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Kingdom of Lies

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Bist du der Krone würdig?

Prisca hat die Wahrheit über Lorian herausgefunden und ist nun gezwungen, Seite an Seite mit ihm zu kämpfen. Von seinem Verrat und seinen Lügen geplagt, konzentriert sie sich darauf, die Hybride sicher in das Reich der Fae zu bringen, während sie von König Sabiums Soldaten gejagt werden. Nur der Tod des Königs kann das Land retten und ihr Volk befreien.Auf der Suche nach Verbündeten und einem alten Artefakt der Götter, mit dem Prisca ihre volle Macht entfesseln kann, führt sie ihr Weg über das Meer zurück in das Reich, über das sie einst herrschen sollte. Dabei lernt sie nicht nur immer mehr über die Geheimnisse ihrer Vergangenheit, sondern auch, dass sie sich vor denen hüten muss, die ihr am nächsten stehen …


  • Erscheinungstag: 15.04.2025
  • Aus der Serie: Kingdom Of Lies
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 480
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745704822
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Stacia Stark

Kingdom of Lies

Ein Königreich so verflucht und verlassen

Aus dem Englischen von Michaela Kolodziejcok

reverie

Liebe Leserinnen und Leser,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr am Romanende eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler enthalten kann.

Wir wünschen euch das bestmögliche Erlebnis beim Lesen der Geschichte

Euer Team von reverie

And if our dreams get broken along the way,
we have to make new ones from the pieces.

DERRY GIRLS

Kapitel 1

Die Königin

Niemand hatte meinem Gatten je gesagt, dass übermäßiger Stolz gefährlich sein kann.

Niemand hatte ihn je gewarnt, dass diejenigen, denen er unrecht getan hatte, eines Tages ihre Kräfte vereinen könnten – um Rache zu nehmen.

Doch selbst wenn einer seiner engsten Vertrauten ihn gewarnt hätte, hätte der König von Eprotha nicht darauf gehört.

Seine Arroganz würde ihm irgendwann zum Verhängnis werden.

Zumindest hoffte ich das.

In diesem Moment saß er lässig auf seinem Thron, Langeweile in den dunklen Augen, die Beine ausgestreckt, einen Weinkelch in der Hand – das perfekte Bild eines sorglosen, selbstsicheren Herrschers.

Doch ich hatte ihn vergangene Nacht erlebt; ich hatte gesehen, wie sein Gesicht vor unterdrückter Wut rot anschwoll, als er in meine Gemächer stürmte.

Weniger als die Hälfte der Wachen, die ihn begleitet hatten, um die entflohenen Verderbten zu fangen, waren noch am Leben.

Er kehrte zurück und fand seinen Hof geplündert vor. Selbst die schweren Juwelen an meinem Hals waren während seiner Abwesenheit geraubt worden.

Mitten im Ballsaal lag sein Lieblingsassessor tot auf dem Boden.

Sabiums Zorn war köstlich gewesen.

Jetzt jedoch würde niemand, der ihn ansah, auch nur ansatzweise vermuten, dass ihn die Flucht von dreihundert seiner Verderbten aus der Fassung gebracht hatte – dabei war das ein herber Schlag, der am Hof für reichlich Getuschel sorgte.

Der Großteil unseres Hofstaats säumte die Wände des Thronsaals und alle waren begierig darauf, Blut fließen zu sehen. Sie waren es gewohnt, unantastbar zu sein. Geschützt. Doch in nur einer einzigen Nacht war diese Gewissheit zerstört worden – die Rebellen hatten das Schicksal der Höflinge in den Händen gehalten, während diese im Fluss der Zeit erstarrt gewesen waren.

Ich hielt meine Miene ausdruckslos, doch meine leicht gespitzten Lippen demonstrierten das erwartete Maß an Besorgnis.

Der König warf mir einen kurzen Blick zu, nur um sich gleich wieder abzuwenden. »Wie«, zischte er leise, »hat es ein einfaches Mädchen geschafft, sich mit den Fae zu verbünden, meinen Kerker zu leeren, meinen Hof zu plündern und mich zu bestehlen?«

Männer. So erschreckend berechenbar in ihrer Reaktion, wenn sie Frauen abwerten, indem sie sie zu Mädchen degradieren.

Niemand wagte es, etwas zu sagen.

Tymedes neigte den Kopf und präsentierte seinen von Grau durchzogenen dunklen Haarschopf. Als Leiter der königlichen Wachen trug er die Schuld am Erfolg der Rebellen, was Sabium von jeglicher Verantwortung befreite.

»Unsere Ermittlungen dazu sind in vollem Gang, Eure Majestät.«

Sabiums Oberlippe zuckte kurz, das einzige Anzeichen seiner Verärgerung. »Wir werden uns heute Nachmittag weiter darüber unterhalten.«

Tymedes erbleichte und ließ sich widerspruchslos wegführen.

Meine Hofdamen waren als Nächstes an der Reihe. Ich griff nach meinem Weinglas, mein Mund fühlte sich plötzlich trocken an.

Nun, da Setella … Prisca, nein, Nelayra fort war – zusammen mit Madinia, der scharfzüngigen Viper –, hatte ich nur noch vier Hofdamen. Vier war eine unheilvolle Zahl, nicht so verhängnisvoll wie fünf, aber sicherlich nicht –

Der König wandte sich mir zu. »Kaliera.«

Ich blickte auf. Meine Hofdamen standen vor uns, ihre Gesichter waren kreideweiß, aber beherrscht, so wie ich es sie gelehrt hatte. Sie alle hatten langjährige Erfahrung am Hof, das sollte es ihnen ermöglichen, die Fassung zu bewahren.

»Ich verstehe nicht, wozu das nötig sein soll«, entgegnete ich. »Ich habe bereits mit meinen Hofdamen gesprochen.«

»Trotzdem.« Sabium winkte sie näher heran. »Ihr alle habt abgestritten, von den Plänen der Verderbten gewusst zu haben. Doch jedes Detail, so klein es auch sei, könnte von Bedeutung sein.« Er schenkte ihnen einen kühles Lächeln. »Gab es irgendwelche Hinweise darauf, dass die Verderbte und der blutdürstige Prinz sich kannten?«

Pelopia, Alcandre und Caraceli schüttelten verneinend die Köpfe. Lisveth zögerte.

Sabium lehnte sich vor. »Sprich!«

»Na ja, es ist nur, ähm … Also, Eure Majestät …«

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Bei seiner momentanen Laune würde Sabium nicht zögern, Lisveth in den Kerker zu werfen, sollte er den Eindruck haben, dass sie ihm irgendetwas vorenthielt. Und es gab so manches an meinem eigenen Verhalten, das Lisveth im Laufe der Jahre aufgefallen sein musste – und das ihr unter Folter über die Lippen sprudeln könnte.

Ich nickte ihr aufmunternd zu. »Alles, was du für relevant hältst.«

»An dem Tag, an dem der Blutrünstige Prinz hier ankam … als er sich für den gromalianischen Prinzen ausgab …«

»Ja«, drängte ich sie, selbst neugierig.

»Das war der Tag, an dem Ihr sie zu einer Eurer Hofdame ernannt habt.« Lisveth lächelte mich mit neu gewonnenem Selbstvertrauen an.

Die Erinnerung daran, dass ich es gewesen war, die der Verderbten so weitreichenden Zugang zum Schloss gewährt hatte, ließ die Höflinge tuschelnd die Köpfe zusammenstecken, und ich verspannte mich unwillkürlich.

Lisveths Lächeln bröckelte, als sie zu den Hofangehörigen blickte. Ihre Schultern sackten nach vorn, und sie wandte sich wieder Sabium zu. »Wir betraten den Bankettsaal«, fuhr sie fort. »Prisca blieb abrupt stehen, und Madinia lief in sie hinein. Madinia zischte Prisca etwas zu, aber Prisca starrte weiter unverwandt zur königlichen Tafel. Sie sagte, sie sei nervös, weil sie noch nie zuvor so viele Adlige auf einmal gesehen habe. Aber vielleicht …«

Sämtliche meiner Muskeln spannten sich an. Der Fae-Prinz hatte sich mit Glamour getarnt. Doch die Hybriden-Thronerbin hatte ihn trotzdem erkannt.

»Rede weiter«, herrschte Sabium sie an.

Lisveth zuckte zusammen. »J-j-jetzt frage ich mich, ob sie den Blutrünstigen Prinzen in diesem Moment vielleicht erkannt hatte, Eure Majestät.«

Sabium lächelte.

Die Befragung zog sich stundenlang hin. Meine Hofdamen waren es nicht gewohnt, so lange zu stehen, und schließlich begann Alcandre zu taumeln. Auf meinen Befehl hin wurden Stühle herbeigeschafft. Ich überging Sabiums misstrauisches Starren.

»Gut«, sagte Sabium schließlich. »Sehr gut. Ihr habt das alle hervorragend gemacht. Ihr dürft jetzt gehen.«

Er erhob sich und marschierte, ohne den ehrerbietigen Verbeugungen seiner Höflinge Beachtung zu schenken, schnurstracks aus dem Thronsaal. Ich rührte mich nicht von der Stelle.

Sabium schien zu denken, er sei der Einzige, der zu einer bestimmten Erkenntnis gelangt war.

Ich hob mein Weinglas, um mein Lächeln dahinter zu verstecken.

Der Blutrünstige Prinz war hier im Schloss in vollem Fae-Glamour aufgetreten. Aber es war nicht der Glamour gewesen, den sie benutzten, um wie Menschen auszusehen, sondern jene Art von Trugzauber, der Blut verlangte. Und eigentlich undurchdringlich war – außer unter äußerst seltenen Umständen. Und dennoch hatte die Hybriden-Thronerbin diesen Glamour durchschaut.

Er wusste es. Zweifelsohne wusste der Blutrünstige Prinz ganz genau, was das bedeutete. Aber er war ein Mann mit vielen Geheimnissen. Meinen Spionen zufolge hatte nicht einmal Prisca gewusst, dass er ein Fae war. Und das hieß, dass er sie immer noch im Unklaren ließ.

Wenn sie so klug war, wie sie sich bisher gezeigt hatte, würde sie die erstbeste Gelegenheit ergreifen, um von ihm wegzukommen.

Der Junge

Im Schloss herrschte Stille. Das war das Erste, was er bemerkte.

Es war eine Stille, wie er sie noch nie zuvor erlebt hatte. Die Haut des Jungen begann zu kribbeln, denn er wusste, dass etwas nicht stimmte. Bedächtig, beinahe wie die Küchenkatze, die er vorhin beobachtet hatte, drehte er den Kopf.

Parintha schlief in ihrem Sessel, das Strickzeug im Schoß. Stirnrunzelnd betrachtete er sie. Sein Kindermädchen schlief nie in der Dunkelheit – genau deswegen war ihr die Aufgabe übertragen worden, nachts über ihn zu wachen und dafür zu sorgen, dass er sein Bett nicht verließ. Sie ruhte lieber tagsüber aus und nutzte die nächtliche Stille, um ihren Gedanken nachzuhängen.

Doch nun war sie in Schlaf gesunken, den Kopf nach hinten gelehnt, den Mund leicht geöffnet.

Mit einem leisen Klappern fiel ihr Strickzeug zu Boden, doch sie rührte sich nicht.

Sein Onkel betrat den Raum. Langsam setzte sich der Junge auf. Die Augen des Mannes blitzten auf, als er den Jungen entdeckte. »Du solltest schlafen.«

Der Junge machte keine Anstalten, um sich zu verstellen. »Was hast du getan?«

Ein Ausdruck des Kummers huschte über das Gesicht seines Onkels. Er schluckte, atmete tief durch und schluckte erneut. »Es tut mir leid. Es tut mir mehr leid, als du dir vorstellen kannst.«

Der Blick des Jungen fiel auf das Amulett in der Hand seines Onkels, und in diesem Moment wusste er Bescheid.

Prisca

»Iss.«

Das harsch hingeworfene Wort war kein Vorschlag. Dennoch ignorierte ich es und hielt meinen Blick auf den Horizont gerichtet. Das Schiff schaukelte, und ich atmete tief durch, um die aufwallende Übelkeit zurückzudrängen. Alles, was ich tun musste, war durchzuhalten, bis wir anlegten; dann würde ich einen Weg finden, wie Telean und ich entkommen konnten.

Ich spürte förmlich, wie Lorian hinter mir vor Wut dampfte. Diese seltsame Verbindung zwischen uns bestand nach wie vor – eine ungewöhnliche Art von Bewusstheit, die es mir unmöglich machte, mich seiner Präsenz auf dem Schiff zu entziehen.

Ich ballte die Hände zu Fäusten. Bei der ersten Gelegenheit würde ich diese Verbindung kappen.

»Gut«, knirschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Dann verhungere eben.« Er wandte sich zum Gehen.

Ich ignorierte ihn standhaft, auch wenn sich meine Kehle zusammenzog. Seitdem wir die Stadttore hinter uns gelassen hatten, zeigte er sich wieder in seiner menschlichen Gestalt. Es war schlimmer für mich, ihn so zu sehen – so, wie ich ihn vor jener Nacht gekannt hatte. Es ließ mich an meinem eigenen Verstand zweifeln, obwohl ich genau wusste, was ich gesehen hatte.

Rechts von mir raschelten die Segel und der Mast knarrte. Ich spürte, wie das Blut aus meinem Gesicht wich. Meine Brust schnürte sich zusammen, und eiskalter Schweiß rann meinen Rücken hinab.

Ich zwang mich zur Ruhe, konzentrierte mich auf meinen Atem. Tiefe, gleichmäßige Atemzüge, bis das Gefühl, ersticken zu müssen, abebbte.

Ein kurzer Blick zur Besatzung zeigte mir, dass niemand beunruhigt schien.

Diese Geräusche waren offenbar normal.

Ich würde mich auf keinen Fall blamieren, indem ich nachfragte. Außerdem schienen viele Mitglieder der Besatzung, die Lorian zusammengestellt hatte, Angst vor mir zu haben.

Vermutlich hatten sie von den Ereignissen von vor zwei Nächten gehört, als ich die Hybriden befreite. Dass wir den Kerker des Königs geleert, seine Höflinge ausgeraubt und seinen Assessor verblutend auf dem Boden des Ballsaals zurückgelassen hatten.

Er hatte es verdient.

Vermutlich sollte ich mich für meine wilde Raserei schämen. Etwas in mir war entfesselt worden, und ich hatte mich am Blut und den Qualen meiner Feinde ergötzt.

Doch statt Scham empfand ich nur eine dumpfe Zufriedenheit und das brennende Bedürfnis, meine verbliebenen Feinde büßen zu lassen.

Eine gedämpfte Stimme rief Lorians Namen – leise, aber laut genug, dass ich es hören konnte. Die Besatzung war voller Ehrfurcht vor dem Fae-Prinzen. Ich jedoch konnte seinen Anblick kaum ertragen.

Als Gegenleistung für seine Unterstützung in jener Nacht hatte ich Lorian geholfen, das Amulett zu stehlen, das er so dringend brauchte. Ich hatte nicht genau verstanden, was es damit auf sich hatte – nur, dass er es mit einer Verzweiflung begehrte, wie ich sie bei ihm noch nie erlebt hatte.

Unsere Abmachung hatte darauf beruht, dass ich ihm das Amulett übergab. Es war der einzige Weg gewesen, die Hybriden am Leben zu erhalten. Und so war ich wie von Teufeln gejagt mit Madinia durch die Stadt geritten, meine Magie erschöpft, mein Körper so gut wie nutzlos. Als ich Lorian schließlich das Amulett zuwarf, war ich fest überzeugt, dass das mein letzter Augenblick sein würde. Ich war darauf gefasst gewesen, von den Hunderten von Pfeilen, die auf mich gerichtet waren, durchsiebt zu werden.

Doch stattdessen hatte Lorian seinen menschlichen Glamour abgelegt und die Hälfte der königlichen Männer massakriert.

Fae. Er war ein Fae.

Und nicht irgendeiner.

Sie nannten ihn den Blutrünstigen Prinzen.

Er hatte einst eine Stadt namens Crawyth, nahe der Grenze zum Fae-Reich, in Schutt und Asche gelegt. Crawyth galt als einer der wenigen Zufluchtsorte für Hybriden, und ich war wenige Winter alt gewesen, als ich dort mit Demos und unseren Eltern gelebt hatte.

In der Nacht, in der ich meiner Familie entrissen worden war, hatte der Blutrünstige Prinz die Stadt zerstört.

Laut Demos gab es kaum eine Chance, dass meine Mutter überlebt haben könnte. Sie war zu verzweifelt über meine Entführung gewesen, um ihre Magie einzusetzen und sich zu schützen, als sie noch einmal in unser Haus zurückgekehrt war.

Meinen Vater hatte Demos seit jener Nacht nicht mehr gesehen. Demos war als Rebell aufgewachsen und hatte zwei Jahre im Kerker des Königs verbracht, während seine Freunde hingerichtet wurden.

Eine neue Welle der Übelkeit schwappte in mir hoch, und ich klammerte mich an der Reling fest. Lorians Worte hallten in meinem Kopf wider.

»Ich weiß, dass du es schaffst. Weil ich dich darauf vorbereitet habe. Trotzdem werde ich mit einem kalten Knoten im Magen darauf warten, dass ich dich wiedersehe, lebendig und atmend.«

Ich hatte geglaubt, ich würde ihm … etwas bedeuten. Ich hatte geglaubt, dass da etwas zwischen uns wäre. In jener Nacht, als ich durch die Straßen der Stadt galoppierte, floh ich nicht nur zu meinen Freunden, zu meiner Familie.

Ich war zu ihm geflohen.

Energisch nahm ich mir diesen unwillkommenen Gedanken zur Brust und steckte ihn in Brand. Denn der Mann, den ich zu kennen geglaubt hatte, war nichts als eine Lüge. Lorian hatte mich ohne eine einzige Erklärung auf dieses Schiff gebracht. Er hatte keinerlei Anstalten gemacht, mir zu sagen, warum. Stattdessen tigerte er rastlos über das Deck, knurrte den Kapitän an, befahl den Hybriden-Matrosen wiederholt, das Tempo zu steigern, und warf mir hin und wieder düstere Blicke zu.

Jedes Mal begegnete ich seinem Blick mit einem spöttischen Lächeln, und jedes Mal vertiefte sich der Riss in meinem Herzen ein wenig mehr.

Entschlossen drängte ich ihn aus meinen Gedanken und konzentrierte mich auf die anderen. Rythos fehlte mir. Als ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, wirkte er sogar noch größer als sonst, mit spitz zulaufenden Ohren. Doch seine Augen waren zum Glück noch dieselben gewesen – sanft und freundlich.

»Ich bin’s immer noch, Liebes«, hatte er gesagt und seine Hand nach mir ausstreckt. Doch ich war unbewusst zurückgewichen, denn er kam mir so gewaltig vor. Seine Augen hatten … geglüht. Und diese Ohren …

Daraufhin hatte Galon mir einen enttäuschten Blick zugeworfen, der mich bis ins Mark traf, und Rythos wandte sich stumm ab. Doch vorher hatte ich noch den Schmerz in seinen Augen gesehen.

Mein Magen schlingerte erneut, und ich lehnte mich tiefer über die Reling.

Am meisten vermisste ich meine Brüder. Ich sehnte mich danach, Tibris zu umarmen und verlorene Zeit mit Demos aufzuholen. Und wie sehr wünschte ich mir, gemeinsam mit Asinia um den Verlust ihrer Mutter zu trauern! Aber die Abmachung mit Lorian war unmissverständlich gewesen: Wenn ich mich bereit erklärte, ihm ins Reich der Fae zu folgen, würde er Demos das Leben retten.

Lorian hatte keine Gefühle. Sein moralischer Kompass war defekt. Es würde mich nicht überraschen, wenn er den Pfeil, der Demos in die Brust traf, absichtlich nicht abgewehrt hatte, nur um mich dazu zu zwingen, weiter mit ihm zu verhandeln.

Als ich einwilligte, glaubte ich noch, wir würden alle zusammen aufbrechen, doch Lorian hatte diese Idee sofort im Keim erstickt.

Rythos, Galon und die anderen Fae würden in kleineren Gruppen mit Demos, Tibris, Asinia und jenen Hybriden reisen, die im Fae-Reich Schutz suchten. Meinen Brüdern gefiel es gar nicht, dass die Hybriden sich aufteilten, aber ihnen blieb nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren.

Einige Hybriden wollten ihren eigenen Weg gehen. Nun, da Lorian und die anderen sie mit dem blauen Mal ausgestattet hatten, das sie als Menschen auswies, die mehr als fünfundzwanzig Winter alt waren, standen ihnen verschiedene Möglichkeiten offen. Viele hatten noch Familien, die sie zu finden hofften. Doch die meisten Hybriden entschlossen sich, in mehreren kleineren Gruppen ins Fae-Reich zu reisen – einige angeführt von Rythos, Galon, Cavis und Marth, andere unter der Leitung der stärksten Hybriden. Eine große Reisegruppe würde zu viel Aufmerksamkeit erregen, und wenn die Fae eins konnten, dann unbemerkt vor Sabiums Nase herumzuschleichen.

Mich hatte Lorian direkt zum Hafen gebracht. Anscheinend war die Küstenroute sicherer. Dafür hatte er ein kleines Vermögen an Bestechungsgeldern gezahlt – und jeden getötet, der sich nicht kaufen ließ. Sein Heiler verbrachte den Großteil der Zeit in den Kabinen unter Deck. Als ich schon beinahe sicher gewesen war, dass in Lorians Brust ein Herz aus Stein schlug, hatte er den Heiler angewiesen, sich um jene Hybriden zu kümmern, die zu krank waren, um die Reise zu Fuß zu bewältigen, und deshalb mit an Bord gekommen waren.

Sobald wir im Reich der Fae eintrafen, würde es ihnen besser gehen. Dort würden sie frische Luft, nahrhafteres Essen und Sonnenlicht haben. Dafür würde ich sorgen.

Der salzige Geruch der Meeresbrise mischte sich plötzlich mit einem Hauch von Rosenduft. Telean trat neben mich und lehnte sich über die Reling.

»Vielleicht solltest du ein wenig von der Suppe probieren«, schlug sie vor.

Prompt überkam mich ein Würgereiz, und mir drehte sich der Kopf.

Telean legte ihren Arm um meine Schultern. Sie war die einzige gesunde, reisefähige Hybride, der Lorian erlaubt hatte, mit aufs Schiff zu kommen. Da sie damals miterlebt hatte, wie meine Mutter ihre Zeitmagie wirkte, hoffte er, dass sie mir beibringen könnte, was ich wissen musste.

»Dein Vater war genauso«, sagte sie. »Als wir die Schlafende See überquerten, war er in einem jämmerlichen Zustand. Er weigerte sich ebenfalls, einen Heiler zu konsultieren, und bestand darauf, dass die Verwundeten zuerst versorgt wurden.«

Sie zog eine Augenbraue hoch und stieß mich leicht mit dem Ellbogen an; ich spürte, wie ein Lächeln um meine Lippen zuckte.

Ich sog ihre Worte auf, als wären sie Wasser auf ausgedörrter Erde.

»Warum hast du mir nicht gesagt, dass ich die Thronerbin bin?«, fragte ich mit gedämpfter Stimme. Der Wind peitschte mir das Haar ins Gesicht, und ich schob es hastig hinter meine Ohren.

Telean atmete tief ein, als würde sie die salzige Meeresluft genießen. »Ich wollte es dir sagen.«

»Wann?«

»Nach der Befreiung der Hybriden. Sobald keine Leben mehr von dir abhingen. Ich glaube, dir ist gar nicht klar, was für einen vernichtenden Schlag du dem König versetzt hast. Prisca, ich wollte, dass du diesen Sieg erst mal in Ruhe genießen kannst. Aber deine großspurigen Brüder mussten den Fae natürlich verraten, wer du bist.« Telean rang sich ein blasses Lächeln ab.

Ich seufzte. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie Tibris und Demos lautstark über diese Information gestritten hatten.

»Lorian sagte, der Fae-König wusste es bereits.«

»Ja«, erwiderte sie und seufzte nun ebenfalls. »So oder so wärst du letztendlich im Fae-Land gelandet.«

»Warum?«

»Weil die Fae einst – bevor sie uns zum Sterben zurückließen – unsere Verbündeten waren.«

Nach der gemeinsamen Zeit mit Rythos und den anderen hatte ich verstanden, dass die Fae nicht zwangsläufig unsere Feinde waren – zumindest nicht alle. Dennoch fiel es mir schwer, Verbündete in ihnen zu sehen.

»Und du hoffst, dass sie das wieder sein könnten?«

»Dein Volk verdient eine Heimat.«

Ich schwieg zu dem »Dein Volk«-Teil und dachte an meinen Cousin, den ich damals an den Stadttoren gesehen hatte. Ich wusste, dass er Zeitmagie beherrschte, weil er nicht wie die anderen im Fluss der Zeit erstarrt war, während wir in Lesdryn eindrangen.

Das bedeutete, dass er regieren könnte.

Wieder seufzte meine Tante. »Nelayra.«

Ich krümmte mich, nicht nur wegen des Namens, sondern auch, weil mir erneut übel wurde.

»Warum glaubst du, dass ich eine gute Königin wäre?«

»Schon bevor du wusstest, dass es dein Volk war, hast du für die Hybriden gekämpft. Du hast dreihundert von ihnen aus dem Kerker des Königs befreit.«

Aber es gab noch so viele mehr. Und der König wusste nun, dass ich lebte. Dass ich lebte und mit den Fae zusammen war.

»Regner wird einen Krieg entfesseln, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat«, sagte Telean sanft. »Ich weiß, du verachtest Lorian dafür, dass er dich belogen hat. Aber wenn du das Fae-Reich betrittst, musst du ihn anders sehen – nicht mehr als den Mann, der –«

»Vorsicht«, unterbrach ich sie barsch, doch Telean ließ sich nicht beirren und stieß mich mit dem Ellbogen an.

»Du musst ihn und seine Brüder als potenzielle Verbündete betrachten. Als Hoffnung für dein Volk.«

»Ich habe keine Ahnung, wie man eine Königin ist.« Und es war das Letzte, was ich sein wollte. Alles, wonach ich strebte, war, den Hybriden dabei zu helfen zu überleben. Und mich dann irgendwo in einem ruhigen Dörfchen niederzulassen, wo niemand mich kannte, um ein ganz normales Leben zu führen.

»Na, da haben wir ja Glück, dass der Blutrünstige Prinz mir gestattet hat, auf diesem Schiff mitzureisen, oder?« Telean legte ihre Hand über meine auf der Reling. »Denn zufällig habe ich viele Jahre an der Seite deiner Mutter gestanden, als deine Großmutter regierte. Und ich habe gesehen, wie deine Mutter ihr Volk in Crawyth geführt hat. Ich werde dir alles beibringen, was ich weiß. Aber wenn wir erst mal im Fae-Reich sind, liegt es allein an dir.«

Kapitel 2

Lorian

Lieber L,

sechs Tage und kein einziges Wort von dir. Ich nehme an, du bist verärgert darüber, dass ich dir verschwiegen habe, dass deine Geliebte die Thronerbin der Hybriden ist.

Sie ist doch deine Geliebte, nicht wahr? Oder zumindest war sie das einmal. Ich kann mir jedenfalls lebhaft vorstellen, dass sie – ein Dorfmädchen, das dazu erzogen wurde, uns zu hassen – nicht gerade erfreut auf deine Täuschung reagiert hat.

Ich gehe außerdem davon aus, dass du sie derzeit ständig in deiner Nähe hältst. Schließlich hast du ja so nachdrücklich darauf bestanden, dass sie dich begleitet.

Und obwohl ich mir sicher bin, dass du bereits weißt, was ich in dieser Angelegenheit wünsche, möchte ich es noch einmal deutlich sagen: Ich muss mit der Hybriden-Thronerbin sprechen. Bring sie in unser Königreich.

Dein dankbarer Bruder

C

Lieber C,

ich bin sicher, dass dieser Brief ohne Probleme den Weg zu dir findet.

Dein Schreiben hat mich auf einem Handelsschiff in den Gewässern von Eprotha erreicht – ein geschickter Schachzug, übrigens. So bleiben wir unauffällig, selbst wenn Regners Flotte uns ins Visier nehmen sollte.

Wie du vermutet hast, ist Prisca bei mir – die Thronerbin der Hybriden. Auch wenn ich mich nach wie vor frage, warum ich einer der Letzten sein musste, der von ihrer Herkunft erfuhr.

Regner wird nicht ruhen, bis er sie zur Strecke gebracht hat. Also ja, ich werde sie in unser Königreich bringen. Derzeit kann sie ohnehin nirgendwo anders hin.

–L

Ich rollte die Nachricht zusammen und band sie an das linke Bein des Falken. Ich war bereits mit Galon und den anderen in Kontakt getreten, doch Conreths Botschaft hatte meine Stimmung nur noch weiter getrübt.

Es gab nichts, das ich mir sehnlicher wünschte, als endlich dieses verfluchte Schiff zu verlassen.

Seit Prisca erfahren hatte, wer – und was – ich war, hatte sie kaum ein Wort mit mir gewechselt. Aber ich kannte sie gut genug. Ihr Zorn war wie ein unbezähmbares, wildes Tier, auch wenn sie ihn vor den anderen auf dem Schiff sorgsam verbarg.

Sie würde ohne Zögern meine Kehle durchtrennen, wenn sie glaubte, damit ungestraft davonzukommen.

Eigentlich sollte dieser Gedanke mich nicht dermaßen erregen.

Mit ihrem Zorn konnte ich umgehen; es gab nichts, das heller loderte als wir beide in einem Machtkampf. Doch es war dieser Ausdruck von Kümmernis in ihrem Blick, den ich erhaschte, wenn sie glaubte, dass ich nicht hinschaute, der mich zerriss, als würden unsichtbare Klauen in meinem Inneren wüten.

Es wäre ein Leichtes, Prisca an meinen Bruder zu übergeben, sobald ich ihm den verdienten Fausthieb verpasst hatte. Dann könnte ich wieder zu dem Leben zurückkehren, für das ich bestimmt war.

Und weiter mordend den Kontinent durchstreifen.

Aber bei dem Gedanken krampfte sich mein Magen zusammen, und mein Mund wurde trocken. Die Wildkatze gehörte mir, und ich würde sie so lange beschützen, bis sie es auch selbst erkannte.

Ich war entschlossen, ihr die nötige Zeit zu geben.

Denn selbst wenn Prisca mich nicht sofort verabscheut haben sollte, als sie von meiner wahren Identität erfuhr, würde sie mich früher oder später hassen. Spätestens, sobald sie herausfand, welche Dinge ich im Namen meines Bruders getan hatte.

Die Blutflecken an meinen Händen würden sich niemals abwaschen lassen.

Der Gedanke an das viele Blut hatte mich jahrelang kaltgelassen. Bis ich Prisca traf und etwas in mir – etwas, das ich für tot gehalten hatte – langsam wieder zu neuem Leben erwachte.

Plötzlich stolperte einer der Matrosen und starrte mich mit schreckgeweiteten Augen an. Winzig kleine Funken tanzten über meine Haut, und ich wusste, dass meine Augen vor unterdrückter Magie glühten. Es passierte gelegentlich, dass Elementarmagie unkontrolliert entwich; als Kind hatte ich zu Feuer, Wind und Wasser geneigt, doch inzwischen waren es Blitze, die mir entschlüpften, wenn ich unkonzentriert war.

Noch nie in meinem Leben hatte ich meine Kräfte so sehr unterdrücken müssen wie jetzt.

Genauer gesagt seit dem Moment, als ich das Amulett berührte, es mit meiner Magie durchdrang und so alles freisetzte, was es enthielt …

Seitdem musste ich nicht mehr in die Tiefen meines Inneren greifen, um meine Magie zu finden. Ich verlor auch nicht mehr an Stärke, je weiter ich mich von unseren Gebieten entfernte. Stattdessen musste ich jetzt lernen, meine Kräfte im Zaum zu halten.

Je mehr ich jedoch an die kleine Wildkatze dachte, desto schwerer fiel es mir, die Magie in mir zu behalten, dort, wo sie hingehörte.

Ich wandte mich von der Mannschaft ab, ging unter Deck und betrat die Kombüse, wo der Heiler gerade einen Breiwickel vorbereitete. Er schaute in meine Richtung, und die tiefen Falten zwischen seinen Augenbrauen ließen keinen Zweifel daran, dass er mir immer noch zürnte.

Ich konnte ihm den bitteren Zug um seine Lippen nicht verübeln. Schließlich war dies derselbe Heiler, dem ich einen qualvollen Tod angedroht hatte, als Prisca vergiftet worden war.

Vermutlich war er wenig begeistert gewesen, als er erfuhr, dass er uns auf dieser Reise begleiten musste. Doch wenn Regner jemals herausfinden sollte, dass er das Leben der Hybriden-Thronerbin gerettet hatte, wäre er verloren. Und das, was der Menschenkönig dem Heiler dann antun würde, könnte selbst den abgebrühtesten Kriegern die Mägen umdrehen.

Unsere Blicke trafen sich. »Sorg dafür, dass sie etwas isst.«

Ich brauchte nicht zu erklären, von wem die Rede war, und wandte mich wieder zur Tür.

»Sie kann nicht«, sagte der Heiler hinter mir. »Alles, was sie zu sich nimmt, kommt sofort im hohen Bogen wieder raus.«

Ich drehte mich zu ihm um. Er zuckte mit den Schultern. »Die Königin ist noch nicht seefest.«

Wenn Prisca wüsste, dass man sie bereits als Königin titulierte, würde sie wahrscheinlich direkt über Bord springen.

»Kümmere dich darum.«

»Ich hab’s versucht, aber sie besteht darauf, dass ich mich um die verletzten Hybriden kümmere.« Ein Ausdruck widerwilligen Respekts glitt über sein Gesicht. Prisca war in jeder Situation eine geborene Königin, auch wenn sie es selbst noch nicht so sah.

Sie würde jeden Vorschlag, den ich machte, ablehnen. Ich wog meine Möglichkeiten ab.

»Bereite zu, was sie benötigt«, sagte ich. »Ich finde einen Weg, dass sie es einnimmt.«

Falls nötig, würde ich sie sogar festbinden und ihr die Nase zuhalten.

Als ich wieder aufs Deck kam, traf ich auf Telean. Sie beobachtete Prisca, die sich erneut an die Reling klammerte – die Knöchel vor Anspannung weiß, den Blick fest auf den Horizont gerichtet.

Ich hatte ihre Weigerung, etwas zu essen, als bloße Sturheit abgetan.

Meine Muskeln entspannten, meine Brust wurde weiter, und meine aufeinandergepressten Kiefer lockerten sich.

»Der Heiler bereitet einen Trunk gegen Seekrankheit für sie zu«, teilte ich Telean mit.

»Den wird sie nicht trinken«, entgegnete sie nüchtern.

Ich hob nur eine Augenbraue. Ich würde darauf wetten, dass Prisca ihren Starrsinn ablegte. »Du wirst sie überzeugen. Die Hybriden erholen sich, und der Heiler hat mehr als genug Magie, um sich Priscas Übelkeit zu widmen.«

»Ich kann euch hören!«, rief Prisca zu uns herüber. »Ich habe keine Lust, den Rest der Reise damit zu verbringen, mir zu wünschen, aus meinem Elend erlöst zu werden. Wenn du mir versichern kannst, dass der Heiler genug Magie hat, falls er unten bei den Hybriden gebraucht wird …«

Ein Gefühl der Zufriedenheit durchströmte mich. »Ich gebe dir mein Wort.«

Priscas Gesicht wurde sogar noch bleicher, und als sie an mir vorbeistolperte, gab sie einen Laut von sich, der irgendwo zwischen Schnauben und Lachen lag.

Meine Eingeweide zogen sich zusammen, während ich ihr nachsah.

»Interessant, dass Ihr mir erlaubt habt, an Bord dieses Schiffes zu gehen«, bemerkte die alte Frau hinter mir. »Die einzige Person, die Prisca genug beibringen kann, um sie auf die Verhandlungen mit Eurem Bruder vorzubereiten.«

»Was du interessant findest, kümmert mich nicht.«

Ihr Schnauben erinnerte mich an das von Prisca. Ich stieß einen knurrenden Laut aus und folgte der Wildkatze.

Sie marschierte direkt in die Kombüse, nahm das Fläschchen, das der Heiler ihr reichte, und trank es in einem Zug aus. Es würde einige Stunden dauern, bis die volle Wirkung einsetzte, aber ein Teil von mir entspannte sich, als ich sah, wie ein Hauch von Farbe in ihr Gesicht zurückkehrte.

Ohne ein weiteres Wort drückte sich Prisca an mir vorbei zur Tür. Rasch ergriff ich ihr Handgelenk und schob sie in meine Kabine. Überraschenderweise wehrte sie sich nicht, doch sobald die Tür hinter uns geschlossen war, entzog sie mir ihre Hand.

»Was willst du?«, zischte sie.

»Sag mir, was du willst, Wildkatze?«

Die Worte waren heraus, bevor ich begriff, dass ich sie gesagt hatte.

Sie blinzelte. »Was meinst du?«

Eine seltsame Wut brodelte in meiner Brust. »Das ist doch eine einfache Frage. Was zum Teufel willst du?«

Ihre Miene wurde kühl, aber in ihren Augen glomm etwas Goldenes. »Ich will ins Camp der Hybriden. Ich will meine beste Freundin wiedersehen, von der ich glaubte, sie wäre dem Tode geweiht. Ich will meine Brüder sehen; einer von ihnen ist beinahe vor meinen Augen gestorben. Ich will mich mit Demos beraten und Entscheidungen mit ihm gemeinsam treffen, denn er sollte, was sein Königreich betrifft, genauso viel zu sagen haben wie ich. Und ich will Rythos in die Arme schließen und mich bei ihm entschuldigen. Ich halte es keine verdammte Minute länger auf diesem Schiff aus.«

Als sie fertig war, keuchte sie, ihr Gesicht war gerötet, ihr Blick leicht schockiert. Ganz ähnlich hatte sie mich angesehen, als ich das erste Mal in sie eingedrungen war. Bei dieser Erinnerung musste ich unwillkürlich lächeln.

Prisca erstarrte und sah mich an, als wäre ich eine Schlange, die jeden Moment zuschlagen könnte. Ich vermisste die Art, wie sie mich früher angeschaut hat. Vielleicht hatte ich sie verloren, aber vielleicht könnte ich es schaffen, ihr Vertrauen zurückzugewinnen.

Sie runzelte die Stirn. »Was auch immer du gerade denkst …«

»Ich werde es weiterhin denken.« Mein Lächeln erstarb.

Alles in mir drängte danach, ihr zu geben, was sie wollte.

Obwohl ich kein Problem damit hatte, Nein zu sagen, wenn es um ihre Sicherheit ging, war mein erster Instinkt bei ihr stets, Ja zu sagen. Nur um ihre Augen leuchten zu sehen, um ihr ein Lächeln zu entlocken. Sollte sie jemals erfahren, wie nah sie daran war, den Blutrünstigen Prinzen um den Finger zu wickeln, würde sie vor lauter Lachen kaum noch Luft bekommen.

Ich hatte zu lange geschwiegen. Priscas Mund wurde hart, und sie schlüpfte an mir vorbei zur Tür hinaus.

Prisca

Eine Woche später fragte Telean mich beim Mittagessen ab. »Wie viele Länder gibt es im Reich der Fae?«

»Fünf«, antwortete ich. Nachdem ich nicht mehr ständig speiend über der Reling hing, hatte ich die letzten Tage damit verbracht, zu essen und zu lernen. Dabei war mir schmerzlich bewusst geworden, wie viele Bildungslücken ich hatte – Lücken, die mir die Schamesröte ins Gesicht trieben.

Als Dorfmädchen, das kaum lesen und schreiben konnte, musste ich nun alles über die verschiedenen Herrscher dieses Kontinents wissen – und was sie jeweils zu verlieren hatten.

Die Wahrheit würden die meisten Menschen leider nie glauben. Sabium, der König von Eprotha, war mehr als vierhundert Jahre alt. Sein wahrer Name lautete Regner – er war der Mann, der als Sabiums Vorfahre galt, tatsächlich handelte es sich um ein und denselben Menschen. Regner hatte einst gestohlene Magie eingesetzt, um sich am Leben zu erhalten, hatte in bestimmten Abständen seinen eigenen Tod vorgetäuscht, indem er heimlich die Menschenjungen ermordete, die er als seine Söhne ausgab. Und auf diese Weise unter immer neuen Namen wieder und wieder die Krone übernommen.

»Wie heißen die hochgeborenen Fae, die dort regieren?«

Ich tunkte ein Stück Brot in den Eintopf. Erst seit ich an Bord dieses Schiffes war, wusste ich, wie sehr ich den einfachen Akt des Essens schätzte. »Romydan, Thorn, Caliar, Sylvielle und Verdion.« Die Fae verwendeten ausschließlich Vornamen.

»Und wer ist der Herrscher über sämtliche Länder im Reich der Fae?«

Ich schluckte meinen Bissen herunter. »Conreth.« Lorians Bruder – und unsere derzeitige einzige wirkliche Hoffnung auf ein Bündnis.

»Und seine Ehefrau?«

»Emara.«

»Gut.«

Allmählich konnte ich wieder klarer denken. Und mit wachsender Klarheit machte sich auch eine gehörige Portion Angst in mir breit. Meine Freunde und meine Angehörigen waren auf dem Weg ins Fae-Reich, aber ich hegte keinen Zweifel daran, dass Regner seine mörderische Eisengarde entsenden würde, um sie zu verfolgen.

Dank meiner Tante wusste ich über die Eisengarde bestens Bescheid. Sie bestand aus fünfhundert der loyalsten und brutalsten Männer des Königs, die direkt nach der Geburt ausgewählt und in einer Akademie ausgebildet wurden, wo man ihnen jede Spur von Mitgefühl und Menschlichkeit austrieb. Sie waren seelenlose Killer, die genau für solche Situationen trainiert worden waren.

Lorian hatte erzählt, dass bereits Tausende Hybriden in einem Camp innerhalb der Fae-Grenzen lebten, doch das war keine dauerhafte Lösung. Die Hybriden verdienten ein richtiges Zuhause.

»Du wirkst abgelenkt«, bemerkte Telean.

»Weißt du, wo die Hybriden aus dem Schloss jetzt sind?« Ich war außerstande, mich vollständig zu konzentrieren, solange ich nicht sicher sein konnte, dass alle in Sicherheit waren – selbst wenn dies bedeutete, dass sie sich im Reich der Fae aufhielten.

Telean zeigte keine erkennbare Regung, nur ihr Schweigen verriet, dass der jähe Themenwechsel sie überrascht hatte. Meine Tante war eine meisterhafte Spionin. Viel Zeit verbrachte sie scheinbar dösend an verschiedenen Plätzen des Schiffes, das Gesicht der Sonne zugewandt, die Augen geschlossen. Sicher nickte sie dabei ab und zu auch mal ein, doch meist belauschte sie die Gespräche derer, die töricht genug waren, sich in ihrer Nähe zu unterhalten.

»Rythos und Galon haben ihre Gruppen ostwärts durch Eprotha und weiter in die Wälder geführt. Sie werden bald bei Crawyth die Grenze zum Fae-Reich überqueren.«

»Und die anderen?«, fragte ich.

»Marth und Cavis führen ihre Gruppen durch Gromalia. Die Übrigen haben sich aufgeteilt und sind zu unterschiedlichen Zeiten aufgebrochen.«

Sollte eine der Gruppen gefangen und ausgelöscht werden, gab es so zumindest die Chance, dass einige der anderen überleben könnten. Ich ballte die Fäuste und zwang mich, meine Gedanken zu ordnen. Ich hatte nur einen flüchtigen Blick auf die Gruppen erhaschen können, bevor Lorian mich von den Stadttoren fortgezogen hatte. Ich sollte bei ihnen sein. Ich sollte jetzt bei ihnen sein.

»Wo sind meine Brüder? Und Vicer und Asinia?«

Telean nahm meine Hand und drückte sie sacht. »Bei Marth.«

»In Gromalia also.« Auch wenn es dort weniger gefährlich war als in Eprotha, war es kein sicherer Ort. Besonders nachdem Lorian so lange die Rolle des Gromalianischen Prinzen gespielt hatte.

»Ja. Der Blutrünstige Prinz hat dort Kontakte, Fae-Kontakte. Aber du bist für die Verfolger das größte Ziel«, erklärte Telean. »Dass er dich auf dem Seeweg in Sicherheit bringt, damit hätte Regner nicht gerechnet.«

Dass Telean Lorian den Blutrünstigen Prinzen nannte, war nur schwer erträglich für mich, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, warum. Vielleicht lag es an dem Gedanken, was hätte sein können, wenn Lorian und ich nicht die wären, die wir waren.

»Wir brauchen Verbündete«, erwiderte ich schließlich.

»Ja.«

Nachdenklich nagte ich an meiner Unterlippe. »Aber was, wenn die Fae sich weigern?«

»Sie wollen Regner ebenso dringend tot sehen wie wir. Ohne deine Hilfe hätten sie das Amulett nie zurückbekommen.«

Nein, was das anging, hatte Lorian voll auf meine Unwissenheit gesetzt. Bitterkeit war ein Geschmack, an den ich mich inzwischen gewöhnt hatte.

»Wie genau funktioniert dieses Amulett eigentlich?«

Telean zuckte mit den Schultern. »Das ist eine Frage für den Prinzen.«

Allein der Gedanke, dass Lorian mir jemals irgendetwas offenbaren würde, brachte mich dazu, mit dem Kopf zu schütteln.

Ein paar Minuten aßen wir schweigend, bis ich Lorian schließlich aus meinen Gedanken verbannte. Mir fiel das Gespräch ein, das ich einst mit Margie geführt hatte, als ich nach Lesdryn gekommen war.

»Margie sagte, die Götter hätten sehen wollen, welches Königreich einen Krieg überstehen würde. Deshalb hätten sie das alles ausgelöst.«

Meine Tante nickte bestätigend. »Sie schenkten jedem Herrscher ein Artefakt.«

Margies Stimme hallte in meinem Kopf wider.

Faric, der Gott des Wissens, gab den Menschen ein Artefakt. Tronin, der Gott der Stärke, überließ den Fae drei Artefakte. Und Bretis, der Gott des Schutzes, fand Gefallen an dem Hybriden-Reich im Westen, dessen Volk trotz der Abspaltung von den Fae zu bemerkenswerter Blüte gelangt war. Bretis schenkte etwas, das so mächtig war, dass Tronin und Faric sofort neidisch wurden.

»Nelayra?«

Meine Tante musterte mich mit diesem erwartungsvollen, aber geduldigen Ausdruck, den sie perfekt beherrschte. Ich schaute weg. »Nur eines der beiden Menschenreiche wurde bedacht«, sagte ich. »Warum?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Die Götter sahen sie wohl als ein Volk an.«

Stirnrunzelnd speicherte ich diese Information für später in meinem Kopf. »Was erhielten die Fae?«

Telean lächelte, und ich konnte nicht anders, als ob meiner eigenen Begriffsstutzigkeit die Augen zu verdrehen. »Natürlich Amulette«, murmelte ich. »Sie erhielten Amulette. Deshalb hat Lorian den König nicht getötet. Er braucht die beiden anderen Amulette.«

»Genau.«

»Und die Hybriden?«

»Unser Geschenk kam von Bretis, dem Gott des Schutzes. Zumindest der Legende nach.«

»Und was war es?«

»Eine Sanduhr.«

»Als Symbol für unsere Zeitmagie.« Bei dem Gedanken stolperte mir kurz das Herz in der Brust.

Sie nickte. »Und um deinen Vorfahren die Ausübung dieser Magie zu erleichtern, zur Verteidigung des Königreichs. Es bleibt nicht immer so schwierig für dich wie jetzt, deine Kräfte zu nutzen. Sobald du die Sanduhr gefunden hast, wirst du eine wahre Macht auf dem Schlachtfeld sein.« In ihren Augen flackerte ein dunkles Leuchten.

Bislang zehrte jedes Mal, wenn ich meine Magie wirkte, enorm an meinen Kräften. Oft war es so erschöpfend, dass mir die Nase blutete und mir schwindlig wurde. Wenn die Sanduhr in dieser Hinsicht wirklich helfen könnte, hätte ich vielleicht die Möglichkeit, das Überleben der Hybriden zu sichern. »Wie funktioniert sie?«

»Sie erlaubt dir, die Zeit noch weiter auszudehnen. Und lässt deine Kraft natürlicher fließen, anstatt aus den Tiefen deines Wesens gezogen zu werden. Die anderen Magien sind nur Legenden – und anscheinend vom Herrscher selbst abhängig.«

Vor meinem inneren Auge tauchte das Bild von Demos auf, wie er blutend am Boden lag, und ein Schauder überlief mich. Um ein Haar hätte ich ihn verloren. »Könnte ich mit der Sanduhr die Zeit zurückdrehen?«

Telean wurde kreidebleich. »Hör mir gut zu, Nelayra. Das darfst du unter keinen Umständen versuchen. Es würde dich umbringen. Die Welt muss im Gleichgewicht bleiben.«

Ich wollte etwas erwidern, aber sie hob warnend die Hand. »Solltest du es irgendwie überleben, würden die Parzen ein gleichwertiges Opfer fordern. Ein Opfer, das dich für immer verfolgen würde.«

Ihr Blick durchbohrte mich förmlich, also nickte ich brav. Wenn die Parzen tatsächlich so mit uns spielten, hatten sie bereits mehr als genug Interesse an mir gezeigt. Ich wollte keinesfalls noch mehr von ihrer Aufmerksamkeit auf mich lenken.

Wenn ich die Sanduhr in die Finger bekäme, könnte ich damit üben, bis ich in der Lage wäre, auf dem Schlachtfeld die Zeit anzuhalten. Und wenn wir es schafften, Regner in irgendeine Art Falle zu locken, könnte ich die Sanduhr nutzen, um ihn zu töten.

Ich musste sie finden.

Eine Weile aßen wir schweigend. Telean beobachtete mich aufmerksam, als wüsste sie, dass ich innerlich mit mir rang, um das nächste Thema anzusprechen. Ich sollte es vielleicht lieber lassen. Aber ich konnte nicht anders.

Schließlich seufzte ich tief. »Darf ich dich etwas fragen?«

»Sicher.«

»Crawyth. Die Nacht, in der meine Eltern starben. Als ich entführt wurde. Der Blutrünstige Prinz …«

Telean blickte mich durchdringend an. Ich hatte das Gefühl, dass sie den winzigen Funken Hoffnung sah, der leise in meiner Brust glomm.

»Du möchtest wissen, ob ich ihn gesehen habe.«

Ich nickte.

»Das habe ich nicht, Nelayra«, erwiderte sie sanft. »Aber andere haben ihn gesehen, nachdem der Angriff vorbei war.«

Hitze versengte meine Augen. Aber dieser dumme Funke weigerte sich, zu verglühen.

Telean lächelte mitfühlend und wechselte das Thema. »Wir nähern uns den Gewässern von Gromalia. Wie heißt der König von Gromalia?«

»Eryndan«, antwortete ich leise. »Sein Sohn ist Prinz Rekja.« Genau der, den Lorian wochenlang verkörpert hatte.

Ein Kribbeln lief mir den Nacken hinauf, und ich blickte über meine Schulter. Lorian betrat die Kabine.

Er war zwar in menschlichen Glamour gehüllt, hatte aber längst jeden Versuch aufgegeben, zu verbergen, wer er wirklich war. Seine Bewegungen waren so schnell, dass sie mein Herz zum Rasen brachten; wenn er still stand, wirkte er geradezu unheimlich reglos.

Langsam stand ich auf. Seine Miene war ausdruckslos … doch seine Augen loderten vor Zorn.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. »Sag es mir«, krächzte ich heiser.

»Es hat einen Angriff gegeben.«

»Was ist passiert?«

»Der König hat seine Eisengarde auf die Hybriden angesetzt.«

Ein tiefer Abgrund öffnete sich in mir. Ich hätte an ihrer Seite sein sollen. Mir war klar, dass ich bei ihnen hätte sein müssen, um meine Magie einzusetzen und meinem Volk einen Vorteil zu verschaffen.

Lorian atmete tief ein. »Acht Wachen haben Rythos’ Gruppe aufgespürt. Deine Freundin, die die Feuermagie beherrscht, war dabei.«

»Madinia.«

Er nickte. »Die Wachen waren vorbereitet, sie hatten sich die Ohren verschlossen, um gegen Rythos’ Magie immun zu sein. Die Hybriden sind immer noch geschwächt.«

Unsichtbare Finger drückten mir langsam die Kehle zu, bis ich kaum mehr atmen konnte. Die Hybriden waren es nicht gewohnt, ihre Magien einzusetzen. Sie waren wahrscheinlich mehr eine Last als eine Hilfe für Rythos gewesen.

»Vier Hybriden sind gestorben.«

Angesichts dieser schreienden Ungerechtigkeit verkrampften sich meine Eingeweide, und ich konnte den Kloß in meinem Hals nicht herunterschlucken. Diese vier Hybriden hatten ihre Freiheit erkämpft, nur um auf dem Weg in ein neues Leben zu sterben.

»Rythos hat einen von ihnen mit seinem Körper geschützt«, sagte Lorian, sein Blick wurde hart wie Granit. Zu gegebener Zeit würde Rythos dafür seinen Zorn zu spüren bekommen, daran bestand kein Zweifel. »Er wurde verletzt.«

Mein Herz stotterte. »Wie schlimm?«

»Interessiert dich das wirklich?« Seine Worte klangen flach und leblos, aber ich vernahm den Vorwurf darin.

Ich starrte ihn an. »Natürlich interessiert es mich.«

Sein Mund verzog sich, und sein durchdringender Blick schien mich aufzuspießen. Ich wusste, was er dachte. Dass ich mich nur so lange für Rythos interessiert hatte, bis ich erfuhr, dass er ein Fae war und dann vor seiner ausgestreckten Hand zurückgewichen war.

Offenbar hatte Lorian es gesehen.

Meine Unterlippe begann zu zittern, und ich biss fest darauf, entschlossen, ihm meine Tränen nicht zu zeigen. Lorian senkte seinen Blick auf meinen Mund, und ich wandte mich schnell ab. Telean räusperte sich. »Achtet darauf, wie Ihr mit der Königin sprecht.«

Ich zog den Kopf zwischen meine Schultern. Ein Anflug von etwas, das Belustigung sein mochte, blitzte in Lorians Augen auf, war im nächsten Moment jedoch schon wieder verschwunden.

»Rythos wird überleben«, sagte er schließlich. »Dein Drache hat drei der eisernen Wachen zu Asche verbrannt, während die anderen Hybriden sich sammelten und Rythos die verbleibenden Wachmänner mit seinem Schwert erledigte.«

»Drache?«

»Die Fae glauben, dass diejenigen mit außergewöhnlich starker Feuermagie von Drachen abstammen.«

Madinia hatte tatsächlich das Temperament eines Drachen. Ich merkte mir diese Information und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Lorian. »Ich hätte Leben retten können, wenn ich dort gewesen wäre.«

»Das beweist nur, dass du hier genau richtig bist.«

»Vier Tote. Vier Hybriden.«

Er trat einen Schritt näher, seine Miene war düster. »Was denkst du, was die Eisengardisten mit dir machen werden, wenn sie dich erwischen?«

Ich drehte mich um, und Telean ergriff meine Hand, ohne Lorian eines Blickes zu würdigen. »Dein Volk braucht keine weitere Kriegerin auf dem Schlachtfeld, Nelayra. Es braucht eine Königin.«

Ich öffnete den Mund, scharfe Worte lagen mir bereits auf der Zunge.

»Wir kriegen Besuch«, rief plötzlich ein Matrose von draußen.

»Die Gromalianer«, zischte Lorian.

Meine Knie wurden weich, doch ich zwang mich zu einem Grinsen. »Nach all den Monaten, in denen du dich als ihr Prinz ausgegeben hast, brennen sie sicherlich darauf, sich mit dir zu unterhalten«, flötete ich spöttisch. »Vielleicht solltest du dich also darum kümmern, ihre Gemüter abzukühlen, während ich meine Reise fortsetze.«

Lorian sah mich einfach nur an, sein Blick war undurchdringlich.

Ein dunkler, widerspenstiger Teil in mir stachelte mich an, weiterzumachen. »Ich meine, wir brauchen einander jetzt ja nicht mehr wirklich. Dein Bruder ist schließlich derjenige, mit dem ich verhandeln muss. Oder sehe ich das falsch?«

Lorian hatte nie versucht, mir irgendetwas zu erklären oder mit mir zu reden. Er hatte keinerlei Anstalten gemacht, um mich zu kämpfen. Für ihn war ich nichts weiter als ein Zeitvertreib gewesen. Ein Spielzeug. Und auch nach unserer Ankunft im Fae-Reich würde ich ihm wohl oder übel weiterhin begegnen müssen, solange ich mit seinem Bruder verhandelte – obwohl jeder Moment in seiner Nähe sich anfühlte, als würde mein Herz in der Faust eines Riesen zerquetscht werden.

Telean erhob sich kopfschüttelnd und ging wortlos zur Tür.

Lorians Blick wurde wild. »Wenn du dich mit meinem Bruder verbündest, verbündest du dich auch mit mir, Wildkatze.«

Mein Herz hämmerte. Wenn das so weiterging, würde ich ihn nie loswerden. Verzweiflung wallte in mir hoch, zäh und bitter wie Gift.

»Sie kommen!«, rief eine panische Stimme, und Lorian warf mir einen langen Blick zu, der unmissverständlich besagte, dass unser Gespräch noch nicht beendet war.

Mit einem verächtlichen Schnauben stürzte ich aus der Kabine und eilte zurück an Deck.

Matrosen hasteten umher, zurrten Taue fest und drehten das Schiff in den Wind.

Wir waren auf einem Handelsschiff in See gestochen, mit einer gut ausgebildeten Mannschaft, perfekt vorbereitet und im Schutz der Dunkelheit, nachdem wir die Stadttore hinter uns gelassen und jeden beseitigt hatten, der uns hätte aufhalten können. Doch das Schiff, das uns jetzt folgte …

Es war ein wahres Meisterwerk der Ingenieurskunst, und ich hielt den Atem an, als es durch das Wasser schnitt und sich unaufhaltsam näherte. Auf dem Schiffsrumpf, der offenbar aus dunklem, gealtertem Eichenholz gefertigt war, prangten kunstvolle Schnitzereien mystischer Kreaturen. Ich kniff die Augen zusammen, konnte aber nur ein paar geflügelte Wesen erkennen, die zu fliegen schienen, während das Schiff sich mit den Wellen hob und senkte.

Über den drei hoch aufragenden Masten bauschten sich mächtige dreieckige Segel.

Es war ein Kriegsschiff. Meine Gedanken überschlugen sich. Lorian konnte ohne Weiteres ein ganzes Schiff zerstören, aber wer wusste schon, wie viele weitere Schiffe sie dann schicken würden.

Ich konnte die Zeit stillstehen lassen, aber nicht unendlich lange.

»Wer an Bord unseres Schiffes besitzt noch Magie?«, fragte ich Lorian, als er neben mich trat.

»Die Besatzung verfügt über geringe Mengen unterschiedlicher Kräfte – den Löwenanteil hat allerdings Regner sich einverleibt. Soweit ich weiß, besitzt deine Tante Defensivmagie.«

Ich nickte. »Meine Tante kann Schutzschilde heraufbeschwören. Allerdings hat Regner ihr den Großteil ihrer Magie genommen, als die Königin ihn überredete, ihr Leben zu schonen. Er hat sie regelmäßig auslaugen lassen.« Mir wurde übel bei dem Gedanken, was für ein Leben Telean im Schloss geführt hatte.

Mein Mund wurde trocken, während das Kriegsschiff unaufhaltsam näher kam. Wären Galon und die anderen jetzt hier, wäre die Lage eine ganz andere. Doch Lorian hatte sie zurückgelassen, damit die Hybriden – mein Volk – in Sicherheit gebracht werden konnten.

Von Schiffen verstand ich nur wenig, doch selbst ich erkannte, dass dieses hier auf Geschwindigkeit und Wendigkeit ausgelegt war; der lange, schmale Rumpf schoss mühelos durchs Wasser und hielt direkt auf uns zu. Auf der Flagge am Hauptmast waren keinerlei Wappen zu erkennen.

»Was ist das dort vorne am Bug?«

»Ein Rammsporn«, erklärte Lorian nüchtern. »Dient dazu, feindliche Schiffe zu versenken.«

Ich blinzelte, und im nächsten Augenblick fühlte es sich so an, als würde ich wieder im Fluss treiben – die eisige Kälte zog das Leben aus meinen Knochen, meine Lungen schrien verzweifelt nach Luft, während das Wasser immer und immer wieder über meinem Kopf zusammenschlug.

Lorian musterte mich eindringlich, und wahrscheinlich sah er mehr, als mir lieb war. Wie immer.

Immer, wenn ich denke, dass du aufhörst, ein ängstliches kleines Mäuschen zu sein, und endlich die Frau zum Vorschein holst, von der ich weiß, dass sie in dir steckt, beweist du mir, dass ich mich getäuscht habe. Tja, Schätzchen, wir haben aber keine Zeit für deine Unsicherheiten und Selbstzweifel.

»Wir werden herausfinden, was sie wollen«, presste ich zwischen tauben Lippen hervor. »Und sollten sie angreifen, werden wir ein Exempel an ihnen statuieren.«

In Lorians Miene blitzte etwas auf, das beinahe Anerkennung hätte sein können. Ich ignorierte es und richtete meinen Blick wieder auf das Schiff in der Ferne.

Uns blieb jetzt nur zu warten. Dann würden wir erfahren, ob diese Leute gekommen waren, um uns zu töten oder um mit uns zu reden.

Lorian

Prisca beobachtete das näher kommende Kriegsschiff. Und ich beobachtete sie.

Ihr Gesicht war blass, dunkle Schatten zeichneten sich unter ihren Augen ab. Es war unübersehbar, wie unglücklich sie war, und die...

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