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Liebe und andere Köstlichkeiten

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Ein Kuss zum Dessert

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  • Erscheinungstag: 01.03.2019
  • Seitenanzahl: 528
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956498558

Leseprobe

1. Kapitel

Ihr Name war June. Es war ein Name, bei dem man an Blumen dachte, an plötzliche Gewitter und lange, ruhelose Nächte im Sommer. Er weckte auch Erinnerungen an sonnenbeschienene Wiesen und an ein Plätzchen im Schatten. Ja, der Name passte zu ihr.

Während sie jetzt dort stand, die Hände in die Hüften gestützt, aufmerksam und angespannt, war in dem Raum kein einziges Geräusch zu hören. Niemand ließ sie aus den Augen, denn niemand wollte sich eine einzige Geste von ihr, eine Bewegung entgehen lassen. Die ganze Aufmerksamkeit war nur auf sie gerichtet. Musik von Chopin erfüllte den Raum, das Licht spielte auf ihrem adrett hochgesteckten Haar und ließ es aufleuchten, ein warmes Braun mit goldenen Lichtern. Smaragdohrringe blitzten an ihren Ohren.

Die hohen Wangenknochen gaben ihrem fein geschnittenen Gesicht ein aristokratisches Aussehen, ihre dunkelbraunen Augen mit den bernsteinfarbenen Flecken blickten konzentriert, die vollen, sinnlichen Lippen hatte sie ein wenig schmollend verzogen.

Sie war ganz in Weiß gekleidet, und sie zog alle Blicke auf sich wie ein Schmetterling im hellen Sonnenlicht. Obwohl sie kein Wort sprach, lauschten doch alle auf das kleinste Geräusch.

June hätte genauso gut allein sein können, so wenig Aufmerksamkeit schenkte sie den Menschen um sich herum. Für sie gab es nur ein Ziel: Perfektion. Mit weniger gab sie sich nie zufrieden.

Vorsichtig hob sie die letzte Blüte der Engelwurz und drückte sie auf den Savarin. Die Stunden, die sie gebraucht hatte, dieses Kunstwerk zu backen, waren vergessen, und auch die Hitze, ihre müden Beine sowie die schmerzenden Arme. Der Abschluss einer Kreation von June Lyndon war äußerst wichtig. Ja, es würde perfekt schmecken, perfekt riechen, sich sogar perfekt schneiden lassen. Aber wenn es nicht auch perfekt aussah, war all das andere nicht wichtig.

Mit der Vorsicht eines Künstlers, der ein Meisterwerk vollendet, hob sie den Pinsel und gab den Früchten und Mandeln einen leichten Überzug aus Apricot.

Noch immer sprach niemand.

Ohne die Hilfe eines der Umstehenden zu erbitten, füllte June jetzt das Innere des Savarins mit einer gehaltvollen Creme, deren Rezept sie wie ein Geheimnis hütete.

Dann trat sie mit hocherhobenem Kopf einen Schritt zurück, um ihrer Schöpfung einen letzten, prüfenden Blick zuzuwerfen. Das war der letzte Test, denn ihr Auge war aufmerksamer und kritischer als das eines jeden anderen Menschen, wenn es um ihre eigene Arbeit ging. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, ihr Gesicht war ausdruckslos. In der großen Küche hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so still war es.

Dann begannen ihre Augen zu glänzen, ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln. Erfolg. June hob einen Arm. »Bringt ihn weg«, befahl sie.

Während zwei ihrer Assistenten das glitzernde Gebilde aus dem Raum rollten, brach Applaus aus.

June akzeptierte den Applaus, weil sie davon überzeugt war, dass sie ihn verdiente. Ihr Savarin war prächtig, und das hatte der italienische Herzog für die Verlobung seiner Tochter so gewollt, dafür bezahlte er auch. June hatte lediglich ihre Arbeit getan.

»Mademoiselle.« Foulfount, der Franzose, dessen Spezialität Schellfisch war, fasste June an den Schultern, seine Augen leuchteten voller Bewunderung. »Incroyable.« Begeistert küsste er sie auf beide Wangen, und zum ersten Mal seit Stunden lachte June.

»Merci.« Jemand hatte eine Flasche Wein geöffnet, June nahm zwei Gläser und reichte eines davon dem Franzosen. »Auf unsere nächste Zusammenarbeit, mon ami.«

Sie trank das Glas leer, nahm ihre kecke Kochmütze ab und verließ dann die Küche. In dem riesigen Speisezimmer mit dem Marmorfußboden und den unzähligen Kerzen wurde gerade ihr Savarin serviert und bewundert. Der letzte Gedanke, ehe sie ging, war, dass Gott sei Dank jemand anders das Durcheinander aufräumen musste.

Zwei Stunden später hatte June die Schuhe ausgezogen und die Augen geschlossen. Ein gruseliger Kriminalroman lag auf ihrem Schoß, während ihr Flugzeug über den Atlantik flog. Sie war auf dem Weg nach Hause. Beinahe drei Tage war sie in Mailand gewesen, nur, um diesen einzigen Nachtisch zuzubereiten. Doch für June war das nicht ungewöhnlich. Sie hatte in Madrid »Charlotte Malakoff« gebacken, in Athen »Crêpes Fourées« flambiert und »Ile Flottante« in Istanbul zubereitet. Für ihre Spesen plus zusätzlich eines beachtlichen Lohns kreierte June Lyndon einen Nachtisch, der noch lange nach dem letzten Bissen in der Erinnerung derer bleiben würde, die ihn verspeist hatten.

Sie sah sich selbst als Spezialistin, ähnlich wie ein befähigter Chirurg. Und in der Tat hatte sie studiert, gelernt und praktiziert, beinahe genauso lange wie ein Mitglied einer medizinischen Fakultät. Fünf Jahre, nachdem sie in Paris, der Stadt, in der das Essen zur Kunst erhoben wurde, die hohen Anforderungen erfüllt hatte, die nötig waren, »Cordon-bleu-Chef« zu werden, hatte sie sich den Ruf erworben, so temperamentvoll zu sein wie ein Künstler, das Gedächtnis eines Computers zu haben, wenn es um Rezepte ging, und die Hände eines Engels bei deren Zubereitung.

June döste in ihrem Sitz in der ersten Klasse vor sich hin und sehnte sich nach einem simplen Stück Pizza. Sie wusste, der Flug würde viel schneller vergehen, wenn sie lesen oder schlafen würde. Sie entschied sich, beides zu tun, zuerst würde sie ein wenig schlafen, denn ihr Schlaf war ihr genauso heilig wie das Rezept für ihre »Mousse au Chocolat«.

Wenn sie erst einmal wieder in Philadelphia war, so erwartete sie dort ein echt hektischer Terminplan. Sie musste eine »Bombe« zubereiten für den Wohltätigkeitsball des Gouverneurs, dann erwarteten sie das Treffen der Gourmet-Gesellschaft, die Demonstration ihrer Kunst in einer Fernsehsendung … und dann noch diese Besprechung, dachte sie benommen.

Was hatte diese Frau am Telefon gesagt? überlegte June. Drake – nein, Blake, Blake Cocharan der Dritte, von der Cocharan-Hotelkette. Großartige Hotels, dachte June. Sie hatte einige davon in unterschiedlichen Ländern besucht. Mr. Cocharan der Dritte hatte ihr einen geschäftlichen Vorschlag zu machen.

June nahm an, dass er von ihr einen besonderen Nachtisch zubereitet haben wollte, den er exklusiv in seinen Hotels anbieten wollte, etwas, das es nur in den Cocharan-Hotels gab. Sie war dem gar nicht abgeneigt – unter den entsprechenden Bedingungen. Und selbstverständlich gegen die entsprechende Bezahlung. Natürlich müsste sie sich zuerst das Cocharan-Unternehmen genauer ansehen, ehe sie sich einverstanden erklärte, ihren guten Namen mit dem Unternehmen in Verbindung zu bringen. Wenn auch nur eines der Hotels nicht ihrem Qualitätsstandard entsprach …

Mit einem Gähnen entschied sich June, später darüber nachzudenken – nachdem sie sich mit »dem Dritten« persönlich getroffen hatte. Blake Cocharan der Dritte, dachte sie mit einem belustigten Lächeln. Rundlich, wahrscheinlich mit Glatze und auch mit Verdauungsschwierigkeiten. Sicher trug er italienische Schuhe, eine Schweizer Uhr, französische Hemden und fuhr einen deutschen Wagen – und ohne Zweifel betrachtete er sich als Amerikaner. Wieder gähnte June, dann seufzte sie, als sie erneut an die Pizza dachte. Sie lehnte den Kopf zurück, entschlossen zu schlafen.

Blake Cocharan der Dritte saß auf dem Rücksitz seiner metallicgrauen Limousine und ging noch einmal den Bericht des neuesten Cocharan-Hotels in Saint Croix durch. Er war ein Mann, der ein heilloses Durcheinander in kürzester Zeit in eine perfekte Ordnung bringen konnte, für ihn war Chaos nur eine Art von Ordnung, die mit Logik entwirrt werden musste. Und Blake war ein sehr logisch denkender Mensch. Für ihn leitete Punkt A unzweifelhaft zu Punkt B und dann zu Punkt C. Ganz egal, wie verwirrt etwas auch sein mochte, mit Logik und Geduld fand er immer einen Weg.

Nicht allein aufgrund dieses Talentes besaß Blake mit seinen fünfunddreißig Jahren absolute Kontrolle über das Cocharan-Imperium. Seinen Reichtum hatte er geerbt und dachte demzufolge auch kaum darüber nach. Seine Position in dem Imperium jedoch hatte er sich erarbeitet, und deshalb war sie für ihn von Bedeutung. Für die Cocharan-Hotels war nur das Beste gut genug, angefangen von der Bettwäsche bis hin zum Mörtel, mit dem die Häuser gebaut wurden.

Und der ihm vorliegende Bericht über June Lyndon sagte ihm, dass sie die Beste war.

Er legte die Papiere über das Hotel in Saint Croix zur Seite und zog eine andere Akte aus seinem Aktenkoffer.

June Lyndon, dachte er, als er die Akte öffnete, achtundzwanzig Jahre alt, studiert an der Sorbonne, Cordon-bleu-Chef. Ihr Vater war Rothschild Lyndon, Mitglied des Britischen Parlaments, ihre Mutter, Monique Dubois Lyndon, eine Französin, war früher Filmschauspielerin gewesen. Die Eltern hatten sich einvernehmlich getrennt und waren seit dreiundzwanzig Jahren geschieden. June Lyndon hatte in ihren frühen Lebensjahren zwischen London und Paris gelebt, bis ihre Mutter einen amerikanischen Geschäftsmann heiratete, der in Philadelphia lebte. Danach war June allerdings wieder nach Paris zurückgekehrt, hatte dort ihre Ausbildung abgeschlossen und lebte jetzt in Paris wie auch in Philadelphia. Ihre Mutter hatte seitdem noch ein drittes Mal geheiratet, einen Papierfabrikanten, ihr Vater hatte sich von seiner zweiten Frau, einer erfolgreichen Anwältin, getrennt.

Alle Nachforschungen Blakes hatten immer wieder zu dem gleichen Schluss geführt: June Lyndon war die beste Dessert-Köchin auf beiden Seiten des Atlantiks. Dazu war sie noch eine hervorragende Küchenchefin, die Wert auf Qualität legte, kreativ und besaß auch die Fähigkeit, in einer Krise zu improvisieren. Auf der anderen Seite sagte man von ihr, dass sie diktatorisch herrschte, temperamentvoll und verletzend ehrlich war. Doch diese Eigenschaften hatten ihr keine Nachteile gebracht.

Sie mochte zwar darauf bestehen, während ihrer Arbeit der Musik von Chopin zu lauschen oder sich weigern zu arbeiten, weil das Licht nicht richtig war, aber ihre Mousse allein genügte, um einen Mann dazu zu bringen, ihr jeden Wunsch zu erfüllen.

Blake war ein Mann, der nicht gern bat … aber er wollte June Lyndon für sein Hotel haben. Und er zweifelte nicht daran, dass es ihm gelingen würde, ihre Zustimmung für genau das zu bekommen, was er sich vorgestellt hatte.

Eine tolle Frau, dachte er. Nicht vielen Frauen war es gelungen, das zu erreichen, was June erreicht hatte. Es gab viele Frauen, die Köchinnen waren, aber die Küchenchefs waren meistens Männer.

Er versuchte, sie sich vorzustellen. Wahrscheinlich war sie rundlich vom vielen Probieren. Starke Hände hatte sie sicher, und ihre Haut war blass und ein wenig teigig von der Arbeit in der Küche. Eine Frau, die wusste, was sie wollte, dessen war er sicher, kompromisslos, organisiert, logisch und kultiviert – vielleicht ein wenig schlicht, weil sie sich mit dem Kochen befasste und nicht mit Mode. Blake dachte, dass sie sicher sehr gut miteinander auskommen würden. Mit einem Blick auf seine Uhr stellte er fest, dass er pünktlich zu ihrer Verabredung sein würde.

»Es wird nicht länger als eine Stunde dauern«, erklärte er seinem Fahrer, als sie vor dem großen Haus anhielten.

Blake blickte zum vierten Stock des Hauses hinauf, die Fenster waren geöffnet, stellte er fest. Er hörte Musik aus den geöffneten Fenstern, konnte jedoch nicht erkennen, welche Musik es war. Als er das Haus betrat, sah er, dass der Aufzug gerade außer Betrieb war. Er musste also die vier Stockwerke zu Fuß hochgehen.

Nachdem er an der Tür geläutet hatte, wurde sie von einer zierlichen Frau in einer eng anliegenden schwarzen Jeans und einem T-Shirt geöffnet. Ob das das Hausmädchen ist, das heute seinen freien Tag hatte? fragte Blake sich. Aber sie sah nicht einmal kräftig genug aus, um den Boden schrubben zu können. Und wenn sie ausgehen wollte, so würde sie das sicher nicht ohne Schuhe tun, dachte er.

Nachdem er sie mit einem Blick von Kopf bis Fuß gemustert hatte, sah er wieder in ihr Gesicht. Es war ein klassisches Gesicht, ohne Make-up und zweifellos sehr sinnlich. Der Mund allein kann das Blut eines Mannes in Wallung bringen, stellte Blake bei sich fest.

»Mein Name ist Blake Cocharan, ich bin mit Miss Lyndon verabredet.«

June zog eine Augenbraue hoch – ein Zeichen der Überraschung, dann verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln.

Er ist gar nicht rundlich, dachte sie. Er hatte einen schlanken, muskulösen Körper. Sportlich sah er aus. Offensichtlich beschäftigte er sich eher mit Sport als damit, geschäftliche Besprechungen bei einem gemeinsamen Essen zu erledigen. Auch kahlköpfig war er nicht, sondern er hatte dichtes, glänzendes schwarzes Haar, leicht gelockt umrahmte es ein sehr attraktives Gesicht. Über klaren wasserblauen Augen wölbten sich buschige Augenbrauen, sein Mund war ein wenig zu groß, aber die Lippen waren schön geschwungen und sinnlich. Seine Nase war gerade und gab seinem Gesicht einen leicht hochmütigen Ausdruck. Vielleicht hatte sie mit den Äußerlichkeiten recht gehabt – den italienischen Schuhen und all dem anderen –, aber June musste zugeben, dass sie sich ansonsten in dem Mann gründlich getäuscht hatte.

Es hatte nicht lange gedauert, ihn genauer zu betrachten, drei, vielleicht vier Sekunden, doch dann wurde ihr Lächeln noch intensiver. Blake konnte seinen Blick nicht von ihr losreißen. »Kommen Sie doch bitte rein, Mr. Cocharan.« June trat einen Schritt zurück und öffnete die Tür weiter. »Ich finde es sehr nett von Ihnen, dass Sie zugestimmt haben, sich hier mit mir zu treffen. Setzen Sie sich bitte, ich bin leider gerade in der Küche beschäftigt.«

Blake öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Er stellte seinen Aktenkoffer ab und sah sich um.

Die Einrichtung des großen Zimmers war eine Mischung europäischer Stile, die eigentlich nie zusammengepasst hätten, ihn aber dennoch anzogen. Der Tisch am anderen Ende war bedeckt mit Papieren und Notizzetteln, Geräusche von der Straße drangen durch die geöffneten Fenster, aus der Stereoanlage kam Musik von Chopin.

Diese Frau muss June Lyndon sein, dachte er plötzlich. Er war sicher, dass sonst niemand in der Wohnung war. Fasziniert von den Gerüchen und den Geräuschen aus der Küche, ging Blake durch den Raum zur Küche.

Sechs kleine Tortenböden standen auf der Anrichte, und June füllte sie gerade mit einer dicken weißen Creme. Als Blake in ihr Gesicht sah, erkannte er darin ihre Konzentration, die Ernsthaftigkeit, die einem Chirurgen zur Ehre gereicht hätte. Eigentlich hätte ihn das amüsieren müssen, stattdessen aber faszinierten ihn diese schlanken Hände, die zu der Musik ihre Arbeit verrichteten.

Sie holte etwas mit einer Gabel aus einer Pfanne – Blake nahm an, dass es erwärmtes Karamell war – und tropfte es über die Törtchen. Danach stellte sie jedes einzelne vorsichtig auf ein Tablett, das mit einem Spitzendeckchen aus Papier bedeckt war. Als alle auf dem Tablett standen, sah sie auf.

»Möchten Sie einen Kaffee?« Sie lächelte ihn an, und die Falte zwischen ihren Augenbrauen verschwand.

Blake sah auf die Törtchen auf dem Tablett. Ihre Taille könnte man mit beiden Händen umfassen, dachte er abwesend. »Ja, gern«, antwortete er auf ihre Frage.

»Bedienen Sie sich bitte.« Sie deutete auf die Kaffeemaschine. »Ich muss diese Törtchen nach nebenan bringen.« Noch ehe er etwas sagen konnte, war sie schon an ihm vorbeigegangen. »Oh, da sind auch noch ein paar Kekse. Ich bin gleich wieder da.«

Sie war verschwunden und die Törtchen mit ihr. Blake zuckte mit den Schultern, dann ging er in die Küche zurück, in der ein heilloses Durcheinander herrschte. June Lyndon war vielleicht eine großartige Köchin, aber offensichtlich nicht sehr ordentlich. Doch wenn das Aussehen und der Duft dieser Törtchen ein Anzeichen für ihr Können waren …

Blake suchte im Schrank nach einer Kaffeetasse, dann konnte er der Versuchung nicht länger widerstehen. Mit einem Finger fuhr er über den Rand der Schüssel, in der die Creme gewesen war, und steckte dann den Finger in den Mund. Mit einem Seufzer schloss er die Augen, köstlich … und sehr französisch.

Er hatte in den exklusivsten Restaurants gespeist, bei einigen der reichsten Leute überall in der Welt. Er konnte jedoch nicht behaupten, dass ihm je etwas besser geschmeckt hätte als das, was er gerade aus der Schüssel genascht hatte. June Lyndon hat recht daran getan, sich auf Nachspeisen zu spezialisieren, dachte er. Er bedauerte es, dass sie diese Törtchen weggebracht hatte. Und als er dann noch einmal im Schrank nachsah, fand er auch eine Keksdose.

Normalerweise hätten ihn Kekse überhaupt nicht interessiert, doch ihm lag noch immer der Geschmack der Creme auf der Zunge. Was für Kekse gab es wohl im Haushalt einer Frau, die in der Haute Cuisine nur das Feinste erschuf? Blake öffnete den Deckel der Dose und starrte dann verwundert auf die Kekse. Er nahm einen der Kekse in die Hand, dann lachte er laut auf und legte ihn in die Dose zurück. Und das von einer Frau, die für ihre Kreationen nur die erlesensten Zutaten benutzte?

Während seiner Laufbahn waren Blake schon alle möglichen Exzentriker begegnet, er hielt sich für einen sehr guten Menschenkenner. Und er hatte geglaubt, dass es nicht sehr lange dauern würde, bis er herausfand, was June Lyndon für ein Mensch war.

Gerade als Blake sich den Kaffee eingoss, kam June in die Küche zurück. »Es tut mir leid, dass Sie warten mussten, Mr. Cocharan, ich weiß, das war sehr unhöflich von mir.« Sie lächelte, als hätte sie keinen Zweifel, dass er ihr vergeben würde. »Ich habe diese Törtchen für eine Nachbarin gemacht, sie gibt heute Nachmittag einen kleinen Verlobungstee – mit den neuen Verwandten.« Ihr Lächeln wurde jetzt zu einem Grinsen, sie goss sich eine Tasse Kaffee ein und nahm sich einen Keks. »Möchten Sie keine Kekse?«

»Nein, danke.«

»Wissen Sie«, meinte June, nachdem sie an ihrem Keks geknabbert hatte, »diese Kekse sind wirklich ausgezeichnet.« Mit dem Keks in der Hand deutete sie auf die Couch. »Sollen wir uns nicht setzen und über Ihren Vorschlag reden?«

Sie geht gleich auf die Dinge zu, dachte Blake, dann nickte er zustimmend. Er war in seinem Beruf sehr erfolgreich, nicht etwa, weil er ein Cocharan war, sondern weil er einen wachen, analytischen Verstand besaß. Doch jetzt musste er zunächst einmal überlegen, wie er auf eine Frau wie June Lyndon zugehen musste.

Interessiert betrachtete Blake June Lyndon. Sie hatte ein Gesicht, das er sich im Schatten eines Baumes im Bois de Boulogne vorstellen konnte, sehr französisch und sehr elegant. Ihre Stimme und auch ihre Sprache verrieten unzweifelhaft eine erstklassige europäische Erziehung. Ihr Haar hatte sie achtlos hochgesteckt, die Smaragdohrringe in ihren Ohren waren groß und lupenrein. Der Ärmel ihres T-Shirts zeigte ein ziemlich großes Loch.

Sie setzte sich auf die Couch und zog die nackten Füße unter ihren Körper. Die Fußnägel waren in einem knalligen Rosa angemalt, ihre Fingernägel hingegen waren kurz geschnitten und nicht lackiert. Sie duftete ein wenig nach Karamell – wahrscheinlich von den Törtchen, aber noch einen anderen Duft nahm er wahr, unzweifelhaft französisch und sehr sinnlich.

Wie spricht man eine solche Frau an? überlegte Blake. Benutzte man Charme, um zu ihr durchzudringen, Schmeicheleien oder einfach nur Fakten? Man sagte von June Lyndon, sie sei Perfektionistin und auch ab und zu sehr temperamentvoll. Einmal hatte sie sich geweigert, für einen bekannten Politiker zu kochen, weil der es ablehnte, ihre Küchenausrüstung in sein Land fliegen zu lassen. Sie hatte einer Hollywood-Größe ein kleines Vermögen berechnet für einen riesigen Hochzeitskuchen. Und gerade hatte sie für ihre Nachbarin ein Tablett Törtchen gebacken. Blake hätte gerne gewusst, wie sie wirklich war, ehe er ihr sein Angebot machte.

»Ich kenne Ihre Mutter«, begann er, während er sie noch eingehend betrachtete.

»Wirklich?« Sie sah ihn überrascht an. »Eigentlich sollte ich gar nicht so überrascht sein«, meinte sie dann und knabberte wieder an ihrem Keks. »Meine Mutter steigt immer in den Cocharan-Hotels ab, wenn sie unterwegs ist. Ich glaube, ich habe einmal mit Ihrem Großvater zusammen gegessen, als ich sechs oder sieben Jahre alt war.« Sie nippte an ihrem Kaffee. »Die Welt ist tatsächlich sehr klein.«

Ein wirklich toller Anzug, dachte June, als sie sich zurücklehnte, um ihr Gegenüber besser betrachten zu können. Er war gut geschnitten, dabei konservativ genug, um die Zustimmung ihres Vaters zu finden. Der Körper jedoch, der sich unter diesem Anzug verbarg, hätte zweifellos die Zustimmung ihrer Mutter gefunden. Und es war wahrscheinlich die Kombination von beidem, die Junes Interesse erregte.

Verflixt, er ist wirklich sehr attraktiv, dachte sie, als sie jetzt sein Gesicht betrachtete. Es war kein sehr glattes Gesicht, kantig konnte man es allerdings auch nicht nennen, doch die Kraft, die dahintersteckte, war deutlich zu bemerken. Blake war sicher ein Mann, der immer das bekam, was er haben wollte, und auch ohne dieses faszinierende Gesicht wäre er sicher ein attraktiver Mann gewesen.

Ihre Mutter hätte das »séduisant« genannt, und sie hätte damit recht gehabt. June hingegen benutzte lieber das Wort »gefährlich«. Es war schwierig, solch einer Kombination zu widerstehen. Sie rückte ein Stück von ihm ab. Geschäft war schließlich Geschäft.

»Dann kennen Sie also die Maßstäbe, nach denen die Cocharan-Hotels geführt werden«, ergriff Blake wieder das Wort. Er wünschte plötzlich, dass der Duft, der ihm in die Nase stieg, nicht so verführerisch wäre oder dass ihr Mund ihn nicht so in Versuchung bringen würde. Es gefiel ihm nicht, diese körperliche Anziehungskraft mit seinen Geschäften in Verbindung zu bringen.

»Natürlich.« June setzte die Kaffeetasse ab. »Ich steige auch immer dort ab, wenn ich auf Reisen bin.«

»Wie ich höre, setzen auch Sie Ihre Maßstäbe für Qualität sehr hoch an.«

Als June jetzt lächelte, hatte ihr Lächeln einen Anflug von Arroganz. »In meinem Beruf bin ich die Beste, weil ich es so will.«

Sehr aufschlussreich, dachte Blake. »Das habe ich auch gehört, Miss Lyndon, und mich interessiert eben nur das Beste.«

»Also?« June stützte den Ellbogen auf die Rückenlehne des Sofas und legte dann ihren Kopf seitlich in die Hand. »Und wie interessiere ich Sie, Mr. Cocharan?« Sie wusste, dass ihre Frage sehr zweideutig war, aber sie konnte sich nicht zurückhalten. Wenn eine Frau in ihrem Berufsleben immer wieder Risiken einging und auch immer wieder experimentierte, so färbte das wohl auch auf ihr Privatleben ab.

Sechs verschiedene Antworten kamen Blake in den Sinn, aber keine von ihnen hatte etwas mit dem Grund seines Besuchs zu tun. »Die Restaurants in den Cocharan-Hotels sind bekannt für Qualität und Service. In letzter Zeit scheint unser Restaurant hier in Philadelphia allerdings in beidem ein wenig zu kurz zu kommen. Ehrlich gesagt, Miss Lyndon, mein Eindruck ist, dass das Essen ein wenig zu gewöhnlich, zu langweilig geworden ist. Ich habe die Absicht, das Restaurant umzugestalten, sowohl äußerlich als auch, was die Besetzung betrifft.«

»Sehr klug. Genau wie manche Menschen werden auch Restaurants ab und zu sehr selbstgefällig.«

»Ich möchte den besten Küchenchef einstellen.« Er warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Und meine Nachforschungen haben ergeben, dass Sie das sind.«

June zog überrascht eine Augenbraue hoch. »Das ist sehr schmeichelhaft, aber ich arbeite freiberuflich, Mr. Cocharan. Und ich habe mich spezialisiert.«

»Sicher, aber Sie haben auch Erfahrung in all den anderen Sparten der Haute Cuisine. Und was Ihre freiberufliche Arbeit betrifft, Sie würden genügend Spielraum haben, diese Arbeit weiterzuführen, wenigstens nach den ersten Monaten. Sie brauchten nur Ihre eigenen Leute anzulernen und eine Menükarte zu kreieren. Ich halte nicht viel davon, einen Experten einzustellen und diesem dann hineinzureden.«

June sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Das Angebot war verlockend, wirklich sehr verlockend. Vielleicht war es nur die Müdigkeit von ihrer Reise nach Italien, die ihr seinen Vorschlag noch verlockender erscheinen ließ. Nur für die Zubereitung eines einzigen Gerichtes durch die halbe Welt zu fliegen, konnte schon ermüdend sein. Sie hatte das Gefühl, er habe ihr zur richtigen Zeit den richtigen Vorschlag gemacht, um ihr Interesse zu wecken, sich für eine bestimmte Zeit nur auf eine Küche zu konzentrieren.

Wenn sie ehrlich war, würde das eine sehr interessante Arbeit werden können. Wenn er es ernst meinte, dass er ihr freie Hand ließ, könnte sie die Küche und auch den Speiseplan in einem alten, wohlangesehenen Hotel völlig umgestalten. Es würde vielleicht sechs Monate Anstrengung kosten, und dann … Es war dieses »und dann«, das sie zögern ließ. Wenn sie wirklich so viel Zeit und Energie in einen Job steckte, der sie voll beanspruchen würde, hätte sie dann noch Zeit genug für das Außergewöhnliche? Auch darüber musste sie nachdenken.

Außerdem, wenn sie sich wirklich auf nur ein einziges Restaurant konzentrieren wollte, konnte sie ohne Weiteres ein eigenes Restaurant eröffnen, überlegte sie. Sie hatte mit diesem Gedanken noch nicht gespielt, weil sie dann zu sehr gebunden wäre, an einen Ort und auch an ein Projekt. Sie zog es vor zu reisen, ein einziges Gericht zuzubereiten und dann weiterzureisen, zum nächsten Land, zur nächsten Spezialität. Das war ihr Stil. Und warum sollte sie den jetzt ändern?

»Ein sehr schmeichelhaftes Angebot, Mr. Cocharan …«

»Dazu ein sehr lukratives«, unterbrach er sie, weil er bemerkt hatte, dass das der Beginn einer ablehnenden Antwort sein sollte. Ganz lässig nannte er ein sechsstelliges Jahresgehalt, das June für einen Augenblick sprachlos machte.

»Und sehr großzügig«, stellte sie fest, als sie die Sprache wiedergefunden hatte.

»Man bekommt nicht das Beste, wenn man nicht auch gewillt ist, dafür zu bezahlen. Ich möchte, dass Sie darüber nachdenken, Miss Lyndon.« Er zog einige Papiere aus seinem Aktenkoffer hervor. »Das ist der Entwurf eines Vertrages. Vielleicht möchten Sie, dass Ihr Anwalt sich das einmal durchliest. Natürlich können wir über alle Punkte noch verhandeln.«

June wollte sich diesen verflixten Vertrag nicht ansehen, weil sie das Gefühl hatte, in eine Ecke getrieben zu werden – eine sehr bequeme Ecke. »Mr. Cocharan, ich schätze Ihr Interesse, aber …«

»Nachdem Sie sich den Vertrag angesehen haben, möchte ich mich gern noch einmal mit Ihnen darüber unterhalten. Vielleicht am Freitag, beim Essen?«, schlug Blake vor.

June kniff die Augen zusammen. Der Mann war wie eine Dampfwalze, eine sehr attraktive, gerissene Dampfwalze. Ganz gleich, wie elegant diese Maschine auch aussah, am Ende überrollte sie einen, wenn man ihr im Weg stand. »Tut mir leid, ich arbeite am Freitag – der Gouverneur gibt einen Wohltätigkeitsball«, erklärte sie daher hochmütig.

»Ach ja.« Er lächelte, auch wenn ihm plötzlich ein dicker Kloß im Hals saß. Er hatte einen flüchtigen Augenblick lang die sehr lebhafte, völlig verrückte Idee gehabt, wie es sein würde, sie auf dem Boden eines schattigen Waldes zu lieben. Der Gedanke allein genügte beinahe schon, ihn dazu zu bringen, ihre Ablehnung einfach hinzunehmen. Doch dann atmete er tief auf. »Ich kann Sie gern dort abholen. Wir könnten danach noch zu Abend essen.«

»Mr. Cocharan«, erklärte June eisig. »Sie müssen sich daran gewöhnen, auch ein Nein zu akzeptieren.«

Den Teufel werde ich tun, dachte er grimmig, lächelte sie aber gleichzeitig an. »Entschuldigen Sie, Miss Lyndon, wenn es so aussieht, als wollte ich Sie drängen. Sehen Sie, immerhin waren Sie für mich die erste Wahl. Na ja …« Scheinbar zögernd stand er auf, und June begann, sich ein wenig zu entspannen.

»Wenn Sie sich schon entschieden haben …« Blake nahm den Vertragsentwurf vom Tisch und legte ihn wieder in seinen Aktenkoffer. »Vielleicht könnten Sie mir dann noch Ihre Meinung über Louis LaPointe sagen?«

»LaPointe?«, flüsterte June entsetzt. Sehr langsam erhob sie sich vom Sofa, ihr ganzer Körper war wie erstarrt. »Sie fragen mich nach LaPointe?« Wenn sie ärgerlich war, so wie jetzt, kam das Erbe ihrer französischen Vorfahren noch mehr zum Vorschein.

»Es wäre nett, wenn Sie mir diesbezüglich etwas sagen könnten«, sprach Blake freundlich weiter, obwohl er ganz genau wusste, dass er bei ihr ins Schwarze getroffen hatte. »Da Sie beide Kollegen sind …«

June warf den Kopf zurück und sagte ein einziges kurzes, rüdes Wort in ihrer Muttersprache. Die goldenen Flecken in ihren dunklen Augen blitzten.

»Der ekelhafte Schuft«, brummte sie dann wieder in Englisch. »Er hat das Hirn einer Erdnuss und die Hände eines Waldarbeiters. Sie wollen von mir etwas über LaPointe erfahren?« Sie nahm sich eine Zigarette und steckte sie an, etwas, das sie nur tat, wenn sie sehr erregt war. »Er ist ein Bauer. Was möchten Sie sonst noch wissen?«

»Nach meinen Informationen ist er einer der fünf Topküchenchefs in Paris«, drängte Blake weiter, sicher, dass er jetzt die richtige Waffe besaß. »Man sagt, sein ›Canard en croûte‹ sei unvergleichlich.«

»Schuhleder«, entgegnete June verächtlich, und Blake musste sich zusammenreißen, um nicht zu grinsen. »Warum fragen Sie mich überhaupt nach LaPointe?«, wollte sie wissen.

»Ich werde in der nächsten Woche nach Paris fliegen, um mich dort mit ihm zu treffen. Da Sie mein Angebot abgelehnt haben …«

»Sie wollen diesen …« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf den Aktenkoffer, in den er den Vertrag gelegt hatte. »… ihm anbieten?«

»Zugegeben, er war für mich nur die zweite Wahl, aber in unserem Aufsichtsrat hat es auch Stimmen gegeben, die meinten, Louis LaPointe sei für diese Aufgabe besser geeignet.«

»Wirklich?« June hüllte sich in eine Wolke aus Zigarettenrauch. Dann streckte sie die Hand aus, Blake holte den Vertrag wieder aus seinem Aktenkoffer und reichte ihn ihr. »Die Mitglieder Ihres Aufsichtsrates haben keine Ahnung, wovon sie reden.« Sie legte den Vertrag neben ihre Kaffeetasse.

»Wahrscheinlich haben Sie recht.«

»Ganz bestimmt.« Wieder zog June an ihrer Zigarette. Der Geschmack ist abscheulich, dachte sie. »Sie können mich am Freitag um neun in der Küche des Gouverneurs abholen, Mr. Cocharan. Dann werden wir uns noch einmal über diese Angelegenheit unterhalten.«

»Sehr gern, Miss Lyndon.« Er wandte den Kopf ein wenig ab und bemühte sich, ausdruckslos zu schauen, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Den ganzen Weg die vier Etagen hinunter lachte er.

2. Kapitel

Einen guten Nachtisch aus nichts zu machen, ist nicht einfach. Aber ein Meisterwerk zu schaffen aus Mehl, Eiern und Zucker ist mindestens genauso schwer. Immer wenn June eine Schüssel oder einen Schneebesen in die Hand nahm, fühlte sie die Verpflichtung, ein Meisterwerk zu schaffen. Sie kochte und mixte nicht einfach – sie schuf, entwickelte und vollbrachte, genau wie vielleicht ein Architekt, ein Ingenieur oder ein Wissenschaftler. Als sie sich für die Haute Cuisine entschied, hatte sie das nicht nur aus einem leichtfertigen Impuls heraus getan, und sie hatte es auch nicht getan, ohne sich das Ziel der Perfektion zu setzen. Und es war die Perfektion, die sie noch immer erstrebte, wenn sie nur einen Löffel in die Hand nahm.

Den größten Teil des Tages hatte sie bereits in der Küche des Gouverneurs zugebracht. Andere Küchenchefs machten Aufhebens von ihren Suppen oder ihren Saucen, Junes Talent dagegen war allein dem krönenden Abschluss des Essens gewidmet, einer auserlesenen Mischung aus Geschmack und Schönheit: der »Bombe«.

Die Grundform hatte sie bereits aus dem Kuchen geformt, den sie gebacken und dann in Form geschnitten hatte. Dies hatte sie mit der gleichen Sorgfalt erledigt, mit der ein Ingenieur eine Brücke entwirft. Die Mousse, ein Paradies aus Schokolade und Creme, hatte sie schon in den Kuchen gefüllt, seit dem frühen Morgen bereits war die Creme gekühlt worden. Und mit all den Vorbereitungen des Mixens, Backens und Formens war June ebenfalls seit acht Uhr auf den Beinen.

Jetzt stand die Grundform auf einem kleinen Tisch vor ihr, neben sich hatte June eine Schüssel mit zerkleinerten Beeren. Musik von Chopin erfüllte die Küche. Im Esszimmer war man bereits beim ersten Gang des Essens, doch es fiel June leicht, den Trubel um sich herum zu ignorieren. Auch der Gedanke, dass ihre Schöpfung genau zum richtigen Zeitpunkt fertig sein musste, machte sie nicht nervös. Das war alles nur Routine. Und trotzdem war ihre Konzentration nicht so, wie sie eigentlich sein sollte, als sie jetzt weiterarbeitete.

LaPointe, dachte sie verärgert. Natürlich war es genau dieser Ärger, der sie schon den ganzen Tag beschäftigte, der Ärger, dass Blake Cocharan ausgerechnet LaPointe hatte erwähnen müssen. June hatte nicht lange gebraucht, bis ihr klar geworden war, dass er diesen Namen ganz bewusst genannt hatte. Doch auch als ihr das aufgegangen war, war ihre Reaktion darauf nicht anders gewesen, höchstens war sie jetzt auf zwei Männer wütend und nicht nur auf einen.

Oh, er glaubt sicher, er sei schlau, wütete June innerlich, als sie jetzt an Blake dachte – wie schon so oft in der vergangenen Woche. Sie holte tief Luft, dann sah sie auf das Gebilde vor sich. Und mich, ausgerechnet mich, bittet er darum, LaPointe eine Referenz zu geben.

»Dieses Aas«, murmelte sie leise vor sich hin, als sie an LaPointe dachte. Und als sie dann die ersten Beeren nahm, um sie über den Kuchen zu streichen, kam sie zu dem Schluss, dass Blake wohl genauso zu verachten war, wenn er vorhatte, mit diesem Franzosen zu verhandeln.

An jede einzelne ihrer unerfreulichen Begegnungen mit diesem knopfäugigen, viel zu kleinen LaPointe erinnerte sie sich noch ganz genau. Das Beste wäre wohl, ihm eine ausgezeichnete Referenz zu geben, dachte sie, während sie die Beeren auf den Kuchen strich. Das würde diesem Schuft von Amerikaner recht geschehen, wenn er mit so einem hochnäsigen Kerl wie diesem LaPointe dastehen würde. Während die Gedanken durch ihren Kopf wirbelten, arbeiteten ihre Hände unbeirrt weiter und gaben dem Dessert seine Form.

Hinter ihr ließ jemand mit lautem Krachen eine Pfanne auf den Boden fallen und wurde deshalb angeschrien. June zuckte nicht einmal zusammen.

Dieser aalglatte, selbstsichere Schuft, dachte sie, als ihre Gedanken wieder zu Blake zurückkehrten. Gleichzeitig strich sie eine dicke Schicht gehaltvoller Creme über die Beeren. Ihre Miene war völlig konzentriert, nur in ihren Augen konnte man ihren Ärger lesen.

Ihr war ein Mann lieber, der ein wenig rau und kantig war, als einer, der förmlich glänzte, weil er so auf Hochglanz poliert war. Lieber ein Mann, der bei der Arbeit schwitzte und seinen Rücken krumm machte, als einer, der mit polierten Fingernägeln herumlief, in fünfhundert Dollar teuren Anzügen. Ihr war ein Mann lieber, der …

June hielt in ihrer Arbeit inne, als ihr klar wurde, was ihr da durch den Kopf ging. Seit wann dachte sie daran, einen Mann ernsthaft in Erwägung zu ziehen, und warum um alles in der Welt verglich sie ihn mit Blake? Lächerlich.

Die »Bombe« war jetzt ein riesiges weißes Gebilde, das auf seine Verzierung mit Schokolade wartete. Mit gerunzelter Stirn betrachtete June ihr Werk, während einer ihrer Helfer die leeren Schüsseln wegräumte. Dann gab sie die Zutaten für die Schokoladenverzierung in den Mixer, während zwei der Köche sich über die Sämigkeit der Sauce für den ersten Gang stritten.

Ihre Gedanken schweiften wieder ab. Es war wirklich erstaunlich, wie oft in den letzten Tagen sie an Blake gedacht hatte, an jede kleine Einzelheit erinnerte sie sich. Seine Augen hatten die gleiche Farbe wie der See auf dem Land ihres Großvaters in Devon. Wie angenehm tief seine Stimme doch war und sein Mund, der sich leicht verzog, wenn er belustigt war.

Es fiel ihr schwer zu begreifen, warum sie sich an all das erinnerte und warum sie immer noch an ihn dachte.

Jetzt ist ganz sicher nicht die rechte Zeit dafür, rief sie sich zur Ordnung, als sie begann, die Verzierung aufzutragen. Sie würde an ihn denken, wenn ihre Arbeit vorbei war, sie würde beim Abendessen mit ihm verhandeln. Oh ja, dachte sie grimmig, sie würde schon mit ihm fertig werden.

Blake kam absichtlich zu früh. Er wollte June bei der Arbeit beobachten. Das war nur zu verständlich, denn immerhin hatte er vor, sie für ein Jahr an seinem Hotel zu verpflichten, da musste er doch sehen, was sie konnte und wie sie arbeitete. Er hatte sich schon öfter zukünftige Angestellte bei ihrer Arbeit angesehen, dies hier war also nichts Besonderes.

Immer wieder versuchte er, sich das einzureden, denn im Hinterkopf rumorten einige Zweifel über seine Motive. Er hatte ihre Wohnung gut gelaunt verlassen, weil er sie in der ersten Runde überrumpelt hatte. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht, als er den Namen ihres Rivalen genannt hatte, war einfach unbezahlbar gewesen. Und es war dieses Gesicht, das ihm seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen war.

Diese Frau beunruhigt mich, dachte er, als er die Küche betrat, und er hätte gern gewusst, warum. Waren ihm erst einmal die Gründe dafür klar, konnte er ihnen auch einen Namen geben.

Er liebte Schönheit – in der Kunst, der Architektur und ganz sicher auch bei Frauen. June Lyndon war schön. Intelligenz war etwas, was er nicht nur schätzte, sondern auch von den Menschen verlangte, mit denen er umging. Zweifellos war June intelligent, und sie hatte außerdem Klasse, das hatte er bereits festgestellt.

Aber was war an ihr, das ihn so beunruhigte? Die Augen? Dieses dunkle Braun mit den goldenen Fleckchen, die je nach ihrer Laune ihre Farbe änderten?

War es ihre sexuelle Anziehungskraft? Nur ein dummer Mann würde sich von einer natürlichen weiblichen Anziehungskraft beunruhigen lassen, und als dummen Mann hatte er sich noch nie eingeschätzt. Doch seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, verspürte er dieses Verlangen in seinem Inneren, fühlte sich zu ihr hingezogen. Ungewöhnlich, dachte er, etwas, worüber er sorgfältig nachdenken musste. Es war kein Platz für diese Art von Verlangen zwischen zwei Geschäftspartnern.

Und das würden sie werden, dachte er, und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. Blake war überzeugt von seiner Überredungskunst, und nachdem er LaPointe erwähnt hatte, hatte June schon den ersten Schritt auf ihn zu gemacht. Jetzt blieb er wie angewurzelt stehen, es war, als habe ihm jemand einen Schlag versetzt. Er brauchte sie nur anzusehen.

Sie war halb verdeckt von ihrem Kunstwerk, an dem sie noch arbeitete, ihr Gesicht war konzentriert. Blake sah die kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen. Sie hatte den Blick gesenkt, deshalb konnte er in ihrem Gesicht nicht lesen, was sie dachte. Die Lippen waren leicht geschürzt – sie luden zum Küssen ein, fuhr es ihm durch den Kopf.

In ihrer weißen Kleidung und mit der großen Kochmütze hätte sie eigentlich schlicht und vielleicht sogar ein wenig komisch aussehen müssen, stattdessen war sie jedoch überwältigend schön. Blake hörte die Musik von Chopin, roch die Düfte der Speisen und fühlte die Spannung, die in der Luft lag, während die anderen Köche viel Aufhebens um ihre Kreationen machten. Alles, was er denken konnte, als er June so vor sich sah, war, wie sie wohl nackt aussehen würde, in seinem Bett, wenn nur Kerzenlicht die Dunkelheit erhellte.

Blake schüttelte den Kopf über sich selbst. Hör auf, dachte er grimmig, wenn man Geschäft und Vergnügen miteinander verbindet, wird beides darunter leiden. Er hatte seine Position erreicht und behauptete sie, weil er bisher Fehler wie diesen vermieden hatte.

June Lyndon war wahrscheinlich so köstlich wie das Gebilde, das sie gerade schuf. Aber das war es nicht, was er von ihr wollte. Er brauchte ihre Kenntnisse, ihren Namen und ihren Verstand, das war alles. Für den Augenblick wenigstens, versuchte er sich zu trösten.

Während er sie beobachtete, wie sie Lage um Lage der Verzierung auftrug, betrachtete er ihre Hände mit den langen, schlanken Fingern, die ohne zu zögern arbeiteten. Der Lärm und die Geschäftigkeit um sie herum schienen sie überhaupt nicht zu stören, es war beinahe, als wäre sie allein in dem Raum. Gut so, dachte er, denn eine hysterische Frau, die unter Stress zusammenbrach, konnte er nicht gebrauchen.

Geduldig wartete er, bis sie ihr Werk vollendet hatte. Als sie dann die Spritztüte mit weißer Creme füllte, um die letzten Verzierungen aufzubringen, war das Essen so weit fortgeschritten, dass die meisten der Köche und Helfer ihr zusehen konnten. Alle warteten auf das Finale.

Endlich trat sie einen Schritt zurück, man hörte ein allgemeines Aufseufzen aus der Menge der Zuschauer, aber noch immer lächelte June nicht. Sie ging um ihre Kreation herum und betrachtete sie von allen Seiten. Perfektion. Mit weniger gab sie sich nicht zufrieden.

Schließlich sah Blake, wie ihre Augen zu leuchten begannen und ihr Mund sich zu einem Lächeln verzog. Und das beunruhigte ihn nur noch mehr.

»Bringt sie rein.« Mit einem Lachen streckte sie ihre Arme hoch, um die verspannten Muskeln zu bewegen. Sie hatte das Gefühl, eine ganze Woche schlafen zu können.

»Sehr eindrucksvoll!« Blakes Stimme erfüllte den Raum.

Die Arme noch immer hochgereckt, wandte June sich um und sah Blake an. »Danke.« Ihre Stimme klang kühl, die Augen blickten vorsichtig. Irgendwann während ihrer Arbeit hatte sie sich entschieden, sehr vorsichtig vorzugehen im Umgang mit Blake Cocharan dem Dritten. »So soll das auch sein.«

Blake entdeckte die große Schüssel mit der Schokoladencreme, die Junes Helfer noch nicht weggeräumt hatten. Mit einem Finger fuhr er über den Rand der Schüssel und leckte seinen Finger dann ab. Der Geschmack hätte einen Stein erweichen können. »Fantastisch.«

June konnte das Lächeln nicht unterdrücken, er hatte ausgesehen wie ein kleiner Junge beim Naschen. »Natürlich«, meinte sie dann und warf den Kopf ein wenig zurück. »Ich mache nur fantastische Sachen. Deshalb wollen Sie mich ja auch haben – nicht wahr, Mr. Cocharan?«

»Mmm.« Sein Murmeln konnte man als Zustimmung deuten, vielleicht aber auch als etwas anderes, doch beide entschieden sich, das nicht näher zu untersuchen. »Sie sind sicher sehr müde, nachdem Sie schon so lange auf den Beinen sind.«

»Ein sehr aufmerksamer Mann«, murmelte sie, während sie die Kochmütze abnahm.

»Wenn Sie möchten, könnten wir in meinem Penthaus zu Abend essen. Es ist ruhig dort, wir wären allein, und Sie könnten es sich gemütlich machen.«

June zog eine Augenbraue hoch und warf ihm einen schnellen, misstrauischen Blick zu. Ein intimes Abendessen war etwas, das sehr gut überlegt werden musste. Sie mochte müde sein, aber mit einem Mann wurde sie noch immer fertig – besonders mit einem amerikanischen Geschäftsmann. Sie zuckte die Schultern. »Einverstanden. Es dauert nur ein paar Minuten, bis ich mich umgezogen habe.«

Ohne einen Blick zurück ging sie davon. Noch während Blake ihr nachsah, trat ein kleiner Mann mit einem dunklen Schnurrbart auf sie zu, nahm ihre Hand und zog diese mit einer dramatischen Geste an seine Lippen. Blake brauchte seine Worte gar nicht zu hören, um zu wissen, dass er June gratulierte. Sein Mund glitt weiter, Junes Arm hinauf. Doch sie lachte nur, schüttelte den Kopf und schob ihn dann sanft von sich. Blake sah, wie der Mann hinter ihr herblickte, wie ein kleiner Hund, der sich verlaufen hatte, und dann seine Kochmütze an sein Herz presste.

Sie war eine Frau, die sich gar nicht bemühen musste, um die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu ziehen, dachte Blake misstrauisch. Vor einer solchen Frau sollte man sich besser vorsehen, denn es würde ihr nicht schwerfallen, einen Mann zu manipulieren.

Blake stand grübelnd abseits, während in der Küche das Aufräumen und Abwaschen begann.

Kurze Zeit später kam June zurück. Sie trug jetzt ein mohnrotes Seidenkleid, das ihren Körper sanft umschmeichelte und ihre Formen noch betonte. Ihre Arme waren nackt, bis auf einen goldenen Armreif, den sie über dem Ellbogen trug. Lange spiralförmige Ohrringe berührten beinahe ihre Schultern. Ihr Haar hatte sie gelöst, es umrahmte in weichen Locken ihr Gesicht.

June wusste, dass sie in diesem Kleid gut aussah. Sie kleidete sich nach ihrem eigenen Geschmack, nicht nach der neuesten Mode, gerade so, wie es ihr gefiel. Doch als sie das Aufblitzen in Blakes Augen bemerkte, war sie zufrieden.

Natürlich interessierte sie sich nicht persönlich für ihn, doch sollte er merken, dass sie eine Persönlichkeit war und nicht nur ein Name, den er unter einen Vertrag bringen wollte. Ihre Arbeitskleidung trug sie in einer Tasche bei sich. Sie streckte Blake die Hand entgegen.

»Fertig?«

»Natürlich.« Die Hand, die sich in seine legte, war kühl, sanft und sehr schmal. Er dachte dabei an Sonnenschein und feuchtes Gras. »Sie sehen zauberhaft aus«, bemerkte er.

Sie konnte nicht widerstehen, ihre Augen blitzten belustigt auf. »Natürlich«, antwortete sie und sah, dass auch er grinste. Gefährlich. In diesem Augenblick war sie nicht sicher, wer von ihnen beiden die Oberhand hatte.

»Mein Fahrer wartet draußen«, erklärte er, dann gingen sie zusammen aus der lauten Küche hinaus in den Mondschein. »Ich nehme an, dass Sie mit Ihrem Beitrag zu dem Essen heute Abend zufrieden waren. Sie sind nicht geblieben, um sich eventuelle Kritik oder auch Lob anzuhören.«

June sah ihn verständnislos an, als sie neben ihm in den Wagen stieg. »Kritik? Diese ›Bombe‹ ist meine Spezialität, Mr. Cocharan. Sie ist immer köstlich, das braucht mir nicht erst jemand zu sagen.« Sie strich ihr Kleid glatt und schlug dann die Beine übereinander.

»Natürlich«, murmelte Blake. »Es ist ein sehr kompliziertes Gericht«, sprach er dann weiter. »Wenn ich mich recht erinnere, dauern die Vorbereitungen Stunden.«

June beobachtete ihn, wie er eine Flasche Champagner aus einem Eiskübel nahm und sie öffnete. »Es gibt sehr wenig, das vollkommen ist nach einer nur kurzen Vorbereitungszeit.«

»Das ist wahr.« Blake goss den Champagner in zwei langstielige Gläser und reichte eines davon June. »Auf eine lange Zusammenarbeit.«

June beobachtete ihn im Licht der vorbeifliegenden Straßenbeleuchtung. Er hat ein wenig von einem schottischen Krieger, dachte sie, und auch etwas von einem britischen Aristokraten. Eine recht außergewöhnliche Kombination, aber das Gewöhnliche hatte June noch nie interessiert. Sie stieß mit ihm an. »Vielleicht«, entgegnete sie vage. »Gefällt Ihnen Ihre Arbeit, Mr. Cocharan?« Sie nippte an ihrem Glas, und ohne auf das Etikett der Flasche gesehen zu haben, erkannte sie, welche Abfüllung und welcher Jahrgang es war.

»Sehr.« Auch er beobachtete sie, stellte fest, dass sie bis auf ein wenig Mascara kein Make-up benutzt hatte. Einen Augenblick lang wurde er abgelenkt durch den Gedanken, wie sich ihre Haut wohl unter seinen Händen anfühlen würde. »Und nach allem, was ich eben gesehen habe, gefällt Ihnen Ihre Arbeit auch.«

»Ja.« Sie lächelte. »Ich tue nur das, was mir gefällt. Und wenn ich mich nicht irre, gilt das auch für Sie.«

Blake nickte. »Sie sind sehr aufmerksam, Miss Lyndon.«

June hielt ihm ihr leeres Glas hin. »Sie haben einen sehr guten Geschmack, wenn es um Champagner geht«, meinte sie. »Erstreckt sich dieser gute Geschmack denn auch noch auf andere Bereiche?«

Ihre Blicke trafen sich, als er ihr Glas füllte. »Auf alle anderen Bereiche.« Was hat sie nur vor? überlegte er.

»Sie sind doch Geschäftsmann«, sprach sie weiter. »Sagen Sie, delegieren Geschäftsleute nicht?«

»Sehr oft.«

»Und Sie? Tun Sie das nicht?«

»Das kommt ganz darauf an.«

»Ich habe mich gefragt, warum Blake Cocharan der Dritte sich persönlich darum bemüht, eine Küchenchefin für sein Hotel zu finden.«

Er war ganz sicher, dass sie sich über ihn lustig machte. Noch besser, er war sicher, dass sie wollte, dass er es merkte. Nur mühsam unterdrückte er den aufsteigenden Ärger. »Dieses Projekt ist mir besonders ans Herz gewachsen. Und da ich dafür nur Höchstqualitäten möchte, sorge ich persönlich dafür, auch das Beste zu bekommen.«

»Ich verstehe.« Der Wagen hielt an, und June reichte Blake ihr leeres Glas, als der Fahrer ihr die Tür öffnete. »Dann finde ich es allerdings sehr eigenartig, dass Sie LaPointe erwähnt haben, wenn Sie doch nur das Beste wollen.« Mit einem Anflug von Hochmut in ihrem Gesicht stieg June aus dem Wagen. Das wird ihm sicher seine Arroganz vertreiben, dachte sie.

Das Cocharan-Hotel in Philadelphia war ein zwölfstöckiges Backsteingebäude. Es war im Kolonialstil der Häuser der Altstadt gebaut worden. Eleganz, Stil und Diskretion zeichneten das Hotel aus, das musste June anerkennend zugeben.

Die Empfangsdame war ruhig, aus allem sprachen schlichte Eleganz und Reichtum, und nichts Glänzendes oder Glitzerndes hätte eindrucksvoller sein können.

Blake nahm Junes Arm und führte sie zu den Aufzügen. Mit einem Schlüssel öffnete er die Tür zu seinem Privataufzug.

»Sehr hübsch«, meinte June. »Aber stört es Sie nicht, in einem Hotel zu wohnen? Ich meine, dort zu wohnen, wo Sie auch arbeiten?«

»Nein, ich finde es ganz angenehm.«

Schade, dachte June. Wenn sie nicht arbeiten musste, wollte sie weit weg sein von der Küche und auch von dem Zeitdruck.

Der Aufzug hielt, und die Türen öffneten sich. »Haben Sie die ganze Etage für sich?«, fragte June.

»Es gibt hier noch drei Suiten außer meinem Penthaus«, erklärte Blake. »Aber im Augenblick ist keine von ihnen belegt.« Er schloss die Tür zu seiner Wohnung auf und führte sie hinein.

Die Farbzusammenstellung war ausgesprochen gut gewählt, stellte June fest, als sie auf den dicken Teppich trat. Verschiedene Grautöne herrschten bei der Einrichtung vor, und zusammen mit dem gedämpften Licht gaben sie dem Raum eine verträumte Sinnlichkeit und wirkten gleichzeitig beruhigend.

Das Ambiente hätte vielleicht langweilig gewirkt, hätte der Raum nicht auch Farbflecken gehabt. Das dunkle Blau der Gardinen, die sanften Farben der Kissen auf dem Sofa und das saftige Grün einiger Pflanzen belebten den Raum. Eine Wand wurde von den kräftigen Farben eines Gemäldes eines französischen Impressionisten aufgehellt.

Es gab nichts von dem Durcheinander, das sie für ihre Einrichtung bevorzugt hatte, aber sie bewunderte ihn für seinen Stil. »Sehr ungewöhnlich, Mr. Cocharan«, meinte sie. »Und sehr effektiv.«

»Danke. Möchten Sie noch einen Drink, Miss Lyndon? Die Bar ist gut gefüllt, es gibt aber auch noch Champagner, wenn Sie den bevorzugen.«

June hatte die Absicht, am Ende dieses Abends als Siegerin dazustehen, deshalb ging sie jetzt langsam zum Sofa hinüber und setzte sich. Sie lächelte ihn kühl an. »Ja, ich ziehe Champagner vor.«

Während Blake die Flasche öffnete, sah June sich noch einmal um. Er war gewiss kein gewöhnlicher Mann, entschied sie, und auch nicht langweilig, musste sie sich eingestehen. Da sie sich in ihrem Beruf mit kreativen Dingen beschäftigte, hatte sie Geschäftsleute immer als ein wenig langweilig eingeschätzt.

Nein, Blake Cocharan war bestimmt nicht langweilig. Mit einem langweiligen Mann, ganz gleich, wie attraktiv er war, würde sie mühelos fertig werden. Blake würde schwierig sein, besonders, da sie sich über seinen Vorschlag noch nicht ganz im Klaren war.

»Ihr Champagner, Miss Lyndon.« Als sie ihn ansah, runzelte er die Stirn. Zu abschätzend war ihr Blick, zu berechnend. Was hatte diese Frau vor? Und warum nur sah sie so aus, als gehöre sie hierhin, auf sein Sofa? »Sie haben bestimmt Hunger«, sagte er schnell, um sich abzulenken. »Wenn Sie mir sagen, was Sie essen möchten, lasse ich es in der Küche zubereiten. Ich kann Ihnen aber auch eine Speisekarte bringen lassen, wenn Sie möchten.«

»Das wird nicht nötig sein.« Sie nippte an ihrem Glas. »Ich möchte gern einen Cheeseburger.«

Blake sah sie ungläubig an. »Einen was?«

»Einen Cheeseburger«, wiederholte June seelenruhig. »Mit Pommes frites.« Sie sah in ihr Glas. »Wissen Sie, das ist ein wirklich guter Jahrgang.«

»Miss Lyndon.« Angestrengt beherrscht bemühte Blake sich, seiner Stimme einen normalen Klang zu geben. Beide Hände schob er tief in die Taschen seiner Jacke. »Was für ein Spielchen spielen Sie hier eigentlich?«

Sie sah ihn an. »Spielchen?«

»Soll ich Ihnen wirklich glauben, dass Sie, ein Cordon-bleu-Chef, einen Cheeseburger mit Pommes frites essen wollen?«

»Sonst hätte ich es Ihnen nicht gesagt.« Junes Glas war leer, sie stand auf, um es erneut zu füllen. »In Ihrer Küche gibt es doch sicher Rindfleisch, oder?«

»Natürlich.« Blake war sicher, dass sie ihn ärgern oder sich über ihn lustig machen wollte. Er ging mit einigen schnellen Schritten zu ihr hinüber und nahm ihren Arm. »Warum wollen Sie einen Cheeseburger?«, fragte er.

»Weil ich den gern esse«, erklärte sie schlicht. »Ich mag auch sehr gerne Tacos, Pizza und gegrillte Hähnchen – ganz besonders, wenn ich sie nicht selbst kochen muss. Es geht schnell, schmeckt gut und ist praktisch.« Sie grinste, als sie sein erstauntes Gesicht sah. »Haben Sie vielleicht etwas gegen diese Art von Essen, Mr. Cocharan?«

»Nein, aber ich dachte, Sie hätten das.«

»Ah, und jetzt habe ich Ihr Bild von einem gastronomischen Snob zerstört, wie?« Sie lachte. »Als Küchenchef kann ich Ihnen sagen, dass gehaltvolle Cremes und Saucen nicht gerade sehr gesund für den Magen sind. Außerdem ist das Kochen mein Beruf, und wenn ich nicht arbeite, entspanne ich mich gern.« Wieder nippte sie an ihrem Champagner. »Ich ziehe einen Cheeseburger im Augenblick einem Filet aus Champignons vor, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Wenn es Ihr Wunsch ist«, murmelte er, dann ging er zum Telefon hinüber und bestellte das Essen in der Küche. Ihre Erklärung war einleuchtend gewesen, vielleicht sogar logisch.

Mit dem Glas in der Hand ging June zum Fenster hinüber. Ihr gefiel der Blick auf die Stadt bei Nacht, der Kontrast von Licht, Dunkelheit und Schatten.

Sie konnte die Städte schon gar nicht mehr zählen, in denen sie gewesen war, die sie von vielleicht ähnlichen Aussichten aus betrachtet hatte, doch ihre Lieblingsstadt war eindeutig Paris. Dennoch hatte sie sich entschieden, immer wieder für längere Zeit in den Vereinigten Staaten zu leben, ihr gefiel der Kontrast zwischen den Menschen und den Kulturen. Ihr gefielen die Lebensart und die Begeisterungsfähigkeit der Amerikaner, wie sie sich im Leben des zweiten Ehemannes ihrer Mutter widerspiegelten.

Auch der Ehrgeiz der Menschen war etwas, das sie verstand, sie selbst hatte eine ganze Menge davon. Deshalb suchte sie bei einem Mann vielleicht auch eher nach Kreativität als nach Ehrgeiz. Zwei Menschen, die sich nur an ihrer Karriere orientierten, ergaben kein gutes Paar, das hatte sie schon früh in ihrem Leben erfahren, als sie ihre Eltern beobachtete. Wenn sie sich nach einem dauerhaften Partner umsah – etwas, was in ihrem Leben noch weit weg war –, dann würde sie sich einen Partner suchen, der verstand, wie wichtig ihr ihre Karriere war.

»Gefällt Ihnen die Aussicht?« Blake war hinter sie getreten und hatte sie schon eine ganze Weile beobachtet. Warum ist sie so anders als all die anderen Frauen, die ich bis jetzt mit nach Hause gebracht habe? überlegte er. Und warum genügte allein ihre Anwesenheit, um seine Gedanken immer wieder von dem eigentlichen Grund abschweifen zu lassen, aus dem er sie hierhergebracht hatte?

»Ja.« Sie wandte sich nicht um, weil sie merkte, wie dicht er hinter ihr stand. Wenn sie sich umwandte, würden ihre Körper einander berühren, ihre Blicke sich treffen. Nervös führte sie ihr Glas an die Lippen. Lächerlich, dachte sie dann, kein Mann macht mich nervös.

»Sie haben lange genug hier gelebt, um die einzelnen Gebäude von hier wiederzuerkennen«, sagte Blake, während seine Gedanken damit beschäftigt waren, wie es sein würde, wenn er ihren Hals küsste.

»Natürlich, wenn ich in Philadelphia bin, sehe ich mich selbst als Amerikanerin. Einige meiner europäischen Kollegen haben mir gesagt, dass ich sehr amerikanisch geworden bin.«

Blake lauschte ihrer Stimme, atmete tief den Duft ihres Parfüms ein. Das gedämpfte Licht ließ ihr Haar golden aufschimmern. Genau wie ihre Augen, dachte er. Er brauchte sie nur herumzudrehen, um in ihre Augen sehen zu können.

»Amerikanisiert«, murmelte er, und dann lagen seine Hände auf ihren Schultern, noch ehe er sich zurückhalten konnte, und er drehte sie zu sich herum. »Nein …« Eindringlich sah er sie an. »Ich würde sagen, Ihre Kollegen irren sich sehr.«

»Wirklich?« Ihre Finger schlossen sich um das Glas, nur ihrem eisernen Willen verdankte June es, dass ihre Stimme ihr gehorchte. Ihre Körper berührten sich, als er sie an sich zog, und während in Junes Kopf die Gedanken wirbelten, legte sie den Kopf in den Nacken und sah zu Blake auf. »Was ist mit den Geschäften, über die wir reden wollten, Mr. Cocharan?«

»Damit haben wir noch nicht begonnen.« Sein Mund war dem ihren ganz nahe, dann bewegte er sich ein wenig und hauchte einen Kuss auf ihre Augenbraue. »Und ehe wir damit beginnen, wäre es sicher klug, diesen einen Punkt vorher zu klären.«

June hatte Schwierigkeiten, ruhig zu atmen. Sie hatte noch immer die Möglichkeit, ihn von sich zu schieben, aber sie fragte sich, ob sie das überhaupt wollte. »Welchen Punkt?«, fragte sie.

»Ihre Lippen – schmecken sie wirklich so aufregend, wie sie aussehen?«

June senkte den Blick. »Sehr interessant«, murmelte sie, dann hob sie ihren Kopf und bot ihm einladend ihre Lippen dar.

Ihre Lippen waren nur noch einen Hauch voneinander entfernt, als es plötzlich an der Tür klopfte. Etwas klickte in Junes Kopf, ein letzter Rest von Vernunft gewann die Oberhand, während ihr Körper noch immer nachgiebig war.

»Der Service im Cocharan-Haus ist wirklich ganz ausgezeichnet.«

»Morgen«, erklärte Blake, als er sie nur zögernd losließ, »werde ich meinen Service-Manager feuern.«

June lachte, und als Blake dann zur Tür ging, nahm sie einen großen Schluck aus ihrem Glas. Das war knapp, dachte sie und holte tief Luft. Sehr knapp. Es wird Zeit, sich auf die geschäftlichen Dinge zu konzentrieren.

Während der Ober den Tisch deckte, hatte June genug Zeit, wieder zu sich selbst zu finden.

»Das duftet herrlich«, sagte sie, nachdem der Ober wieder gegangen war. Dann warf sie einen Blick auf das Essen, das Blake sich bestellt hatte. Ein Steak, dampfende Kartoffeln in der Schale und Butterspargel. »Sehr vernünftig«, neckte sie ihn, während er ihr den Stuhl zurechtrückte.

»Den Nachtisch können wir später bestellen.«

»Ich esse niemals Nachtisch«, erklärte sie und lächelte, dann strich sie Senf über ihren Cheeseburger. »Ich habe mir Ihren Vertrag durchgelesen.«

»Ja?« Er beobachtete, wie sie den Cheeseburger in zwei Hälften schnitt und dann eine Hälfte zu essen begann.

»Mein Anwalt hat ihn sich ebenfalls durchgelesen.«

»Und?«

»Er scheint ganz in Ordnung zu sein. Außer …« Sie zögerte ein wenig vor ihrem ersten Biss. Dann schloss sie die Augen und biss in den Cheeseburger.

»Außer?«, drängte Blake.

»Falls ich Ihr Angebot in Erwägung ziehen sollte, dann brauchte ich beträchtlich mehr Raum für mich selbst.«

Blake ignorierte das »falls«. Immerhin dachte sie darüber nach. »In welcher Beziehung?«

»Sie wissen sicher, dass ich sehr häufig reise.« June streute Salz auf die Pommes frites, probierte und nickte zustimmend. »Sehr oft sind es nur ein oder zwei Tage, wenn ich zum Beispiel nach Venedig fahre, um einen ›Gâteau St. Honoré‹ zuzubereiten. Einige meiner Auftraggeber bestellen mich Monate im Voraus, andere dagegen bitten mich spontan, für sie zu arbeiten.« June biss noch einmal in ihren Cheeseburger. »Einige meiner Kunden möchte ich behalten, entweder aus persönlicher Zuneigung oder aus beruflicher Herausforderung.«

»Mit anderen Worten, Sie möchten nach Venedig fliegen oder wohin auch immer, wenn Sie es für nötig halten.« Auch wenn es nicht so recht zu ihrem Essen passte, so goss Blake doch noch einmal Champagner in Junes Glas nach.

»Genau. Auch wenn Ihr Angebot ein klein wenig Interesse in mir geweckt hat, so wäre es für mich doch unmöglich, wenn nicht sogar unmoralisch, meine Stammkunden nicht mehr zu bedienen.«

»Das verstehe ich.« Sie ist ein harter Verhandlungspartner, dachte Blake, aber das war er auch. »Ich denke, dass wir da zu einer vernünftigen Übereinkunft kommen können. Wir könnten uns ja beide einmal Ihren derzeitigen Terminplan ansehen.«

June knabberte an einer Pommes frites und wischte dann ihre Finger an der Serviette ab. »Sie und ich?«

»Das wäre doch am einfachsten. Und wenn wir uns dann darüber einigen könnten, was sonst noch an Terminen anfallen könnte …« Er lächelte, während sie in die zweite Hälfte ihres Cheeseburgers biss. »Ich sehe mich als einen sehr verträglichen Menschen, Miss Lyndon. Und, um ehrlich zu sein, ich möchte lieber Sie für mein Hotel verpflichten. Im Augenblick tendiert der Rest des Aufsichtsrates noch zu LaPointe, aber …«

»Warum?«, fragte sie vorwurfsvoll, und ein Blick in ihr Gesicht sagte Blake, dass er auf dem richtigen Weg war.

»Normalerweise sind die großen Küchenchefs alle Männer.« June fluchte auf Französisch, und Blake nickte. »Ja, ganz genau. Und durch diskrete Untersuchungen haben wir erfahren, dass Monsieur LaPointe an einem Angebot von uns sehr interessiert wäre.«

»Dieser Gauner würde sogar die Gelegenheit ergreifen, an einer Straßenecke Erdnüsse zu rösten, wenn er dafür nur sein Bild in die Zeitung bekommen könnte.« Ärgerlich warf June ihre Serviette auf den Tisch und stand auf. »Sie glauben vielleicht, dass ich Ihre Strategie nicht durchschaue, Mr. Cocharan.« Stolz hob sie den Kopf, und Blake betrachtete die Linie ihres Halses und wurde daran erinnert, wie ihre Haut sich unter seinen Fingern angefühlt hatte, als er die Hände auf ihre Schultern gelegt hatte. »Sie werfen den Namen LaPointe auf und glauben dann, dass ich Ihr Angebot annehme, weil sonst mein Stolz gekränkt wird.«

Er grinste, weil sie wunderschön war in ihrem Zorn. »Hat es geklappt?«

Ihre Augen wurden ganz schmal, aber ihre Lippen sahen aus, als wolle sie am liebsten lächeln. »LaPointe ist ein Philister, aber ich bin eine Künstlerin.«

»Und?«

Sie wusste besser, dass sie nicht im Ärger etwas zustimmte, was ihr hinterher leidtat. Sie wusste es besser, aber … »Wenn Sie auf meine Terminwünsche eingehen, Mr. Cocharan der Dritte, dann mache ich Ihr Restaurant zum besten an der Ostküste.« Und verflixt, das würde sie auch schaffen. Sie hatte den Wunsch, es ihnen beiden zu beweisen.

Blake stand auf und nahm die beiden Gläser. »Auf Ihre Kunst, Mademoiselle.« Er reichte June ihr Glas. »Und auf meine Geschäfte. Möge es eine profitable Verbindung für uns beide sein.«

»Auf den Erfolg«, fügte sie hinzu, dann stießen sie miteinander an. »Denn das ist es doch, was uns beiden am Herzen liegt.«

3. Kapitel

Nun, jetzt habe ich es also getan, dachte June und zog die Stirn kraus. Sie kämmte ihr Haar zurück und befestigte es dann mit kleinen Perlmuttkämmen. Kritisch betrachtete sie ihr Gesicht im Spiegel.

War es Ärger gewesen, Dummheit, oder hatte ihr Stolz sie dazu gebracht, sich an das Cocharan-Hotel zu binden – und an Blake – für das nächste Jahr? Vielleicht gefiel ihr die Herausforderung, aber die langfristige Bindung und die Verpflichtungen, die damit zusammenhingen, störten sie schon jetzt.

Dreihundertfünfundsechzig Tage. Nein, das war viel zu viel, dachte sie. Zweiundfünfzig Wochen klang auch noch zu viel. Zwölf Monate … nun ja, sie würde damit leben müssen. Nein, besser noch, dachte June, als sie in das Studio zurückging, wo die Fernsehaufzeichnung gemacht werden sollte. Sie würde ihren Schwur erfüllen müssen, das Cocharan-Hotel zum besten Haus an der Ostküste zu machen.

Und ich werde es schaffen! dachte sie und warf das Haar über ihre Schulter zurück. Verflixt, das würde sie. Und dann würde sie Blake Cocharan dem Dritten eine lange Nase drehen. Dieser Schuft.

Er hatte sie manipuliert. Zwei Mal hatte er sie manipuliert. Und obwohl sie es beim zweiten Mal ganz genau gewusst hatte, hatte sie sich von ihm einfangen lassen. Warum? June fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen und beobachtete das Fernsehteam bei den Vorbereitungen.

Die Herausforderung ist es gewesen, dachte sie. Außerdem würde es eine Herausforderung sein, mit ihm zusammenzuarbeiten und dennoch die Oberhand zu behalten. Und es war auch Herausforderung gewesen, die verantwortlich dafür war, dass sie ihren Beruf in einer Männerdomäne gewählt hatte. Oh ja, es gefiel ihr, mit den anderen zu konkurrieren. Mehr noch als das gefiel es ihr zu gewinnen.

Und dann war da noch diese überwältigende Männlichkeit, die von ihm ausging. Seine guten Manieren und auch die teuren Anzüge konnten sie nicht verbergen. Wenn sie ganz ehrlich war, und June entschied sich, wenigstens sich selbst gegenüber ehrlich zu sein, dann würde es ihr Spaß machen, herauszufinden, was dahintersteckte.

Sie kannte ihre Wirkung auf Männer. Sie hatte sie immer als Erbe ihrer Mutter angesehen. Nur sehr selten machte sie sich Gedanken darüber, ihr Leben war zu erfüllt von Arbeit, um viel darüber nachzudenken. Doch möglicherweise war es jetzt an der Zeit, einige Dinge zu ändern?

Blake Cocharan der Dritte bedeutete eine offensichtliche Herausforderung für sie. Und wie gerne würde sie ihm seine männliche Überheblichkeit austreiben. Wie gerne würde sie ihm heimzahlen, dass er sie genau dorthin manövriert hatte, wo er sie haben wollte. Während sie den Vorbereitungen im Studio zusah, stellte June sich verschiedene Möglichkeiten vor, wie ihr das gelingen würde.

Das Studio bot etwa fünfzig Zuschauern Platz, und an diesem Morgen sah es so aus, als wären alle Plätze besetzt. Langsam begann sich der Zuschauerraum zu füllen. Der Regisseur, ein schlanker, aufgeregter Mann, mit dem June schon öfter zusammengearbeitet hatte, lief aufgeregt hin und her. Er gestikulierte heftig. Als er zu ihr herüberkam, hörte June sich seine schnellen, nervösen Instruktionen an, doch sie hörte nur mit halbem Ohr hin. Sie dachte weder an ihn noch an die Nachspeise, die sie zubereiten sollte. Noch immer überlegte sie, wie sie am besten mit Blake Cocharan fertig wurde.

Vielleicht sollte sie versuchen, sich an ihn heranzumachen, versteckt nur, sodass er es nicht merkte. Und wenn dann sein Interesse geweckt war, dann … dann würde sie ihn einfach links liegen lassen. Eine faszinierende Idee.

»Der erste vorgebackene Boden steht in dem mittleren Schrank.«

»Ja, Simon, das weiß ich.« June tätschelte beruhigend seine Hand, während sie überlegte, ob es in ihrem Plan noch Fehler gäbe. Doch, einen sehr großen Fehler hatte ihr Plan. Nur zu gut erinnerte sie sich an die Gefühle, die sie durchflutet hatten, als er sie beinahe geküsst hatte. Wenn sie wirklich dieses Spielchen mit ihm spielen wollte, so konnte sie sich leicht in ihren eigenen Spielregeln verheddern. Also …

»Der zweite steht genau darunter.«

»Ja, ich weiß.« Hatte sie ihn nicht selbst dorthin gestellt? June lächelte den nervösen Regisseur zuversichtlich an. Sie konnte Blake auch nicht einfach ignorieren. Sie würde ihn behandeln – nicht mit Verachtung, einfach nur mit Desinteresse, überlegte sie und lächelte ein wenig hinterhältig. Ihre Augen blitzten. Das würde ihn verrückt machen.

»All die Zutaten sowie die Arbeitsgeräte sind genau dort, wo Sie sie hingelegt haben.«

»Simon«, begann June freundlich, »hören Sie auf, sich Sorgen zu machen. Ich kann so etwas im Schlaf zubereiten.«

»Wir fangen in fünf Minuten an …«

»Wo ist sie?«

Beim Klang dieser Stimme wandten sich Simon und June gleichzeitig um. June begann schon zu lächeln, ehe sie sah, wer da gesprochen hatte. »Carlo!«

»Aha!« Carlo Franconi, schlank und dunkelhaarig, bahnte sich einen Weg zwischen der Menschenmenge und Kabeln hindurch und zog June dann in seine Arme. »Mein kleines französisches Törtchen.« Liebevoll tätschelte er ihr den Po.

Lachend zog sie sich ein wenig von ihm zurück. »Carlo, was tust du hier in Philadelphia, an einem Mittwochmorgen?«

»Ich war in New York, um mein neues Buch vorzustellen, ›Pasta del Maestro‹.« Mit gerunzelter Stirn sah er sie an. »Und da sagte ich mir, Carlo, du bist ganz in der Nähe der attraktivsten Frau, die je einen Spritzbeutel in der Hand gehalten hat. Also bin ich gekommen.«

»Ganz in der Nähe.« June lachte. Das war typisch für Carlo. Wäre er in Los Angeles gewesen, er hätte das Gleiche gesagt. Sie hatten zusammen studiert, zusammen gekocht, und wäre ihre Freundschaft nicht so wichtig geworden für sie, hätten sie wahrscheinlich auch miteinander geschlafen. »Lass dich ansehen.«

Gehorsam trat Carlo ein paar Schritte zurück und stellte sich in Positur. Er trug eng anliegende Jeans, ein violettes Seidenhemd und einen weichen Schlapphut, den er tief in die Stirn gezogen hatte. Ein riesiger Diamant blitzte an seinem Finger. Wie immer sah er großartig aus und sehr männlich, und er war sich dessen wohl bewusst.

»Du siehst fantastisch aus, Carlo. Fantastico.«

»Aber natürlich. Und du, mein köstliches kleines Törtchen …« Er nahm ihre Hände und drückte sie an seine Lippen. »… squisita.«

»Aber natürlich.« Lachend gab sie ihm einen Kuss auf den Mund. Sie kannte Hunderte von Menschen, beruflich und auch privat, aber wenn man sie gebeten hätte, den Namen eines Freundes zu nennen, Carlo Franconi wäre ihr als Erster in den Sinn gekommen. »Es ist schön, dich zu sehen, Carlo. Wie lange ist es schon her? Vier Monate? Fünf? Als ich zum letzten Mal in Italien war, warst du gerade in Belgien.«

»Vier Monate und zwölf Tage«, erklärte er. »Aber wer zählt das schon? Ich hatte nur Hunger auf deine Napoleons, deine Eclairs und auf deinen Schokoladenkuchen.«

»Heute Morgen mache ich einen ›Vacherin‹«, erklärte sie ihm. »Und du darfst davon probieren, wenn die Show vorbei ist.«

»Ah, deine Baisers. Dafür könnte ich sterben.« Er grinste sie an. »Ich werde mich in die erste Reihe setzen und meine Augen nicht von dir lassen.«

June kniff ihn in die Wange. »Hey, Carlo, sei bitte nicht so dramatisch.«

»Miss Lyndon, bitte.«

June blickte zu Simon, der immer nervöser wurde. »Es ist schon in Ordnung, Simon, ich bin bereit. Setz dich hin, Carlo, und sieh mir gut zu. Vielleicht lernst du diesmal doch noch etwas.«

Er sagte noch etwas in Italienisch, was allerdings leicht zu übersetzen war, dann setzte er sich in die erste Reihe. June stand hinter der Arbeitstheke und sah zu dem Regisseur hinüber, der die Sekunden bis zum Beginn der Übertragung zählte. Carlo schnitt ihr noch eine Grimasse, aber June ignorierte ihn und begann zu sprechen.

June sieht wirklich umwerfend aus, dachte Carlo, aber das hatte sie schon immer getan. Und trotzdem machte er sich jetzt Sorgen um sie.

Solange er June kannte – und das waren immerhin schon beinahe zehn Jahre –, hatte er nie erlebt, dass sie eine persönliche Bindung eingegangen war. Für einen so gefühlsbetonten Mann, wie er es war, war es nicht einfach, ihre Reserviertheit zu verstehen, ihr offensichtliches Desinteresse an romantischen Erlebnissen. Sie war eine leidenschaftliche Frau, das hatte er erlebt, wenn sie ihre Temperamentsausbrüche hatte, entweder aus Ärger oder aus Freude. Aber nie hatte er diese Leidenschaft auf einen Partner gerichtet gesehen.

Schade, dachte er, während er ihr zusah. Eine Frau war ohne einen Mann unvollkommen – genauso, wie ein Mann ohne eine Frau unvollkommen war. Er hatte sein Leben mit vielen Frauen geteilt.

Einmal, bei Kirschkuchen und Chablis, hatte sie ihm erklärt, dass ihrer Meinung nach Männer und Frauen nicht für dauerhafte Beziehungen bestimmt seien. Die Ehe war eine Sache, die zu oft schiefging, und daher, ihrer Meinung nach, keine Institution, sondern nur Heuchelei der Menschen, die behaupteten, sich binden zu können. Liebe war ein flüchtiges Gefühl und daher nicht verlässlich. Es war etwas, das Menschen vorschoben, die eine Entschuldigung für dummes oder unvernünftiges Verhalten suchten. Wenn sie sich dumm benehmen wollte, brauchte sie dafür keine Entschuldigung.

Damals hatte Carlo ihr sogar zugestimmt, immerhin hatte er gerade eine Beziehung mit einer griechischen Reederei-Erbin beendet. Später war ihm klar geworden, dass June genau das gemeint hatte, was sie sagte, während seine Zustimmung nur den damaligen Umständen entsprungen war.

Wirklich schade, dachte er noch einmal, als June jetzt den bereits vorgebackenen Boden hervorholte und ihre Demonstration begann. Wenn er für sie nicht empfinden würde wie für eine Schwester, wäre es sicher eine Freude, ihr die … angenehme Seite einer Beziehung zwischen Mann und Frau zu zeigen. Aber leider, dachte er, während er sich zurücklehnte, wird das ein anderer Mann tun müssen.

Zwanglos sprach June in die Kamera und zu dem Publikum im Studio. Der Boden mit dem Aufbau aus Baiser und der Dekoration aus kandierten Veilchen wurde in den Ofen geschoben, der bereits fertige Kuchen wurde zur Demonstration hervorgeholt. Sie füllte ihn, dekorierte ihn mit Früchten, goss Himbeersauce darüber und verzierte ihn mit Schlagsahne. Zum Schluss machte die Kamera noch eine Großaufnahme davon.

»Bravo!« Carlo stand auf und klatschte, als die Kamera abschaltete. »Bravissima!«

June verbeugte sich noch einmal lächelnd.

»Großartig, Miss Lyndon.« Simon kam zu ihr und nahm seinen Kopfhörer ab. »Ganz großartig. Und wie immer perfekt.«

»Danke, Simon. Sollen wir das hier dem Publikum und der Filmcrew servieren lassen?«

»Ja, ja, eine sehr gute Idee.« Er winkte seinem Assistenten. »Hol ein paar Teller und servier das hier, ehe wir das Studio für die nächsten Aufnahmen räumen müssen.« Dann war er wieder verschwunden.

»Sehr schön, cara.« Carlo steckte seinen Finger in die Schlagsahne und leckte ihn dann ab. »Ein Meisterwerk.« Dann griff er nach einem Löffel und nahm sich ein großes Stück von dem »Vacherin«. »Ich werde dich jetzt zum Essen einladen, dann kannst du mir alle Neuigkeiten erzählen. Bei mir gibt es so viel zu erzählen, es würde Tage dauern, vielleicht sogar Wochen.« Er zuckte mit den Schultern.

»Wir können in dem Laden um die Ecke eine Pizza essen«, schlug June vor und zog sich ihre Schürze aus. »Es gibt da nämlich etwas, wo ich deinen Rat gebrauchen könnte.«

»Meinen Rat?« Der Gedanke, dass June ihn um Rat bitten wollte, erstaunte Carlo. »Aber natürlich«, lenkte er dann schnell ein und lächelte sie an. »Zu wem sonst sollte eine intelligente Frau gehen, um sich einen Rat zu holen, wenn nicht zu Carlo?«

»Du bist so ein Schuft, mein Schatz.«

»Vorsichtig.« Carlo setzte sich eine Sonnenbrille auf. »Sonst musst du für die Pizza bezahlen.«

Es dauerte nicht lange, und June biss herzhaft in ihr Stück Pizza. Sie saßen in Carlos Ferrari, und Carlo gelang es, gleichzeitig zu essen und den Wagen geschickt durch den dichten Verkehr zu lenken. »Also, erzähle«, rief er über die laute Musik aus dem Radio. »Was hast du auf dem Herzen?«

»Ich habe einen Job angenommen«, rief June. Der Wind blies ihr das Haar ins Gesicht, sie strich es mit einer Hand zurück.

»Einen Job? Du nimmst doch viele Jobs an.«

»Dieser ist aber anders.« Sie schlug die Beine übereinander und biss dann noch einmal in ihre Pizza. »Ich habe zugestimmt, die Küche eines Restaurants umzustellen und zu leiten, für ein Jahr.«

»Ein Restaurant?« Carlo runzelte die Stirn. »Welches denn?«

June nippte an ihrem Sodawasser. »Das Restaurant im Cocharan-Hotel, hier in Philadelphia.«

»Ah.« Die Falten auf seiner Stirn verschwanden. »Das ist wirklich absolut erste Klasse, cara. Aber das hätte ich ja eigentlich wissen müssen.«

»Ein ganzes Jahr, Carlo.«

»Das vergeht schnell, wenn man gesund ist«, erklärte er unbekümmert.

June begann zu grinsen. »Verflixt, Carlo, ich habe mich in eine Ecke drängen lassen, weil … na ja, ich konnte einfach der Versuchung nicht widerstehen, es auszuprobieren, und diese amerikanische Dampfwalze hat dann auch noch mit LaPointe gedroht.«

»LaPointe?«, schnaufte Carlo. »Was hat der Kerl denn damit zu tun?«

June leckte ihre Finger ab. »Ich wollte das Angebot zuerst ablehnen, und da hat Blake – das ist die Dampfwalze – mich gefragt, was ich von LaPointe halte, da er auch für diesen Job in Frage käme.«

»Und du hast ihm deine Meinung gesagt?«, wollte Carlo wissen.

»Das habe ich getan. Aber ich habe auch den Vertrag behalten und ihn mir angesehen. Immerhin war es ein fantastisches Angebot. Mit dem Geld könnte ich eine Hundehütte zu einem erstklassigen Feinschmeckerlokal umbauen.« Sie runzelte die Stirn und bemerkte gar nicht, dass Carlo so haarscharf an einem anderen Wagen vorbeifuhr, dass nicht einmal ein Blatt Papier dazwischengepasst hätte. »Und dann ist da auch noch Blake selbst.«

»Die Dampfwalze.«

»Ja, ich kann dem Wunsch nicht widerstehen, es ihm zu zeigen. Er ist schlau, er ist selbstgefällig, und, verflixt noch mal, er ist umwerfend sexy.«

»Ach ja?«

»Ja, und ich habe dieses unwiderstehliche Verlangen, ihn auf seinen Platz zu verweisen.«

Carlo fuhr mit quietschenden Reifen über eine Kreuzung, an der die Ampel gerade auf Rot umsprang. »Und wo ist dieser Platz?«

»Unter meinem Daumen.« Lachend verspeiste June den Rest ihrer Pizza. »Und wegen all dieser Dinge habe ich mich für ein ganzes Jahr verpflichtet. Willst du diesen Rest noch essen?«

Carlo blickte auf den Rest seiner Pizza, dann biss er herzhaft hinein. »Ja. Und welchen Rat willst du von mir haben?«

June trank ihren Becher leer. »Wenn ich nicht verrückt werden will, während ich mich ein ganzes Jahr lang an dieses Projekt binde, brauche ich dringend eine Ablenkung.« Grinsend streckte sie einen Arm zum Himmel. »Was ist die beste Art, Blake Cocharan den Dritten dazu zu bekommen, vor mir zu kriechen?«

»Herzlose Frau.« Carlo verzog das Gesicht. »Dafür brauchst du meinen Rat doch gar nicht. Vor dir kriechen doch schon die Männer in mindestens zwanzig Ländern.«

»Das ist nicht wahr.«

»Du blickst nur einfach nicht hinter dich, cara mia.«

June runzelte die Stirn. Was Carlo da gesagt hatte, gefiel ihr gar nicht. »Bieg hier rechts ab, Carlo, dann zeige ich dir meine neue Küche.«

Der Anblick und auch die Düfte waren ihr nur zu gut bekannt, doch schon im ersten Moment entdeckte June etwa ein Dutzend Dinge, die sie ändern würde. Das Licht ist gut, stellte sie fest, als sie Arm in Arm mit Carlo durch die Küche ging. Aber sie würde einen Ofen in Augenhöhe brauchen, dort an der Wand, und sicher auch mehr Küchenhelfer. Sie sah sich um, suchte in den Ecken nach Lautsprechern. Es waren keine vorhanden. Auch das würde sich ändern.

»Nicht schlecht, mein Schatz.« Carlo nahm ein großes Küchenmesser. »Du hast immerhin eine gute Ausgangsbasis hier. Es ist so, als bekäme man zu Weihnachten ein Geschenk, das man erst noch zusammenbauen muss, sì?«

»Hmm.« Abwesend nahm sie eine Pfanne in die Hand. Edelstahl, registrierte sie. Man würde die Pfannen durch Kupferpfannen ersetzen müssen. Sie wandte sich um und stieß mit Blake zusammen.

Für den Bruchteil einer Sekunde genoss sie dieses Gefühl, atmete tief den Duft seines Rasierwassers ein. Doch dann überwog der Ärger, dass sie nicht gemerkt hatte, dass er hinter ihr stand.

»Mr. Cocharan.« Sie trat einen Schritt zurück und verbarg ihre Gefühle hinter einem höflichen Lächeln. »Irgendwie habe ich nicht damit gerechnet, Sie hier zu sehen.«

»Meine Leute halten mich auf dem Laufenden, Miss Lyndon. Man hat mir gesagt, dass Sie hier sind.«

June nickte nur. »Das ist Carlo Franconi«, stellte sie Carlo vor. »Einer der besten italienischen Küchenchefs.«

»Der beste Küchenchef in Italien«, korrigierte Carlo sie. »Nett, Sie kennenzulernen, Mr. Cocharan.« Er streckte Blake die Hand entgegen. »Ich habe schon oft die Gastfreundschaft Ihrer Hotels genossen. Ihr Restaurant in Mailand macht ganz passable Linguine.«

»Von Carlo ist das ein Kompliment«, erklärte June. »Er glaubt nämlich, dass nur er die italienische Küche wirklich beherrscht.«

»Das glaube ich nicht nur, ich weiß es.« Carlo hob den Deckel von einem Topf und schnupperte. »June hat mir erzählt, dass sie Ihr Restaurant übernehmen wird. Sie haben wirklich Glück.«

Blake sah June an, er bemerkte Carlos Hand auf ihrer Schulter. Eifersucht ist ein Gefühl, das man erkennt, auch wenn man es noch nie zuvor gefühlt hat. Und das erlebte Blake jetzt. »Ja, das habe ich«, beeilte er sich zu bestätigen. »Und da Sie schon einmal hier sind, Miss Lyndon, könnten Sie vielleicht auch gleich den endgültigen Vertrag unterschreiben. Dann brauchen Sie nicht noch einmal herzukommen.«

»Einverstanden, Carlo?«

»Geh nur. Dort drüben wird gerade Lamm zubereitet, das interessiert mich.« Ohne auch nur noch einen Blick auf June zu werfen, ging Carlo zur anderen Seite der Küche, um seine Meinung dazuzugeben.

»Ist er geschäftlich in der Stadt?«, fragte Blake.

»Nein, er wollte mich nur besuchen.«

Sorglos hatte sie die Wahrheit gesagt, doch bei ihren Worten verspürte Blake einen dicken Kloß im Hals. Also liebt sie diesen aalglatten Italiener, dachte er grimmig. Nun, das war ihre Sache. Seine Sache war es, sie so schnell wie möglich aus dieser Küche herauszubekommen.

Schweigend führte Blake sie in sein Büro. Es war ein wenig moderner eingerichtet als seine Wohnung, stellte June fest, dennoch hatte er diesem Raum unverkennbar seinen Stempel aufgedrückt.

Ohne zu fragen ging June zu einem der Sessel hinüber und setzte sich. Es war zwar gerade erst Mittag, aber sie hatte das Gefühl, schon stundenlang auf den Beinen zu sein.

»Wie praktisch, dass ich gerade gekommen bin, als Sie auch hier waren«, begann sie und zog ihre Schuhe von den Füßen. »Das macht es doch viel einfacher. Denn da ich schließlich zugestimmt habe, können wir auch gleich anfangen.« Dann sind es nur noch dreihundertvierundsechzig Tage, dachte sie.

Blake gefiel ihre sorglose Einstellung zu dem Vertrag genauso wenig wie ihre Zuneigung zu diesem Italiener. Er ging zu seinem Schreibtisch hinüber und nahm einige Papiere in die Hand. Als er sie dann wieder ansah, verflog sein Ärger. »Sie sehen müde aus, June.«

June riss sich zusammen. Er hat mich zum ersten Mal mit meinem Vornamen angesprochen, dachte sie und schob dann schnell das Gefühl der Unsicherheit auf ihre Müdigkeit. »Ich bin auch müde. Schließlich habe ich heute Morgen um sieben schon Baiser gebacken.«

»Möchten Sie einen Kaffee?«

»Nein danke, ich fürchte, ich habe heute schon zu viel Kaffee getrunken.« Sie sah auf die Papiere in seiner Hand, dann lächelte sie ihn an. »Ehe ich das da unterschreibe, sollte ich Sie vielleicht warnen, dass ich die Absicht habe, einige größere Änderungen in Ihrer Küche anzuordnen.«

»Das war doch der Grund dafür, dass ich mich um Ihre Unterschrift bemüht habe.«

Sie nickte, dann streckte sie die Hand aus. »Wenn Sie erst die Rechnungen bekommen, sind Sie vielleicht nicht mehr so freundlich.«

Blake reichte ihr einen Stift. »Ich denke, wir haben beide das gleiche Ziel vor Augen, da sind die Kosten nur zweitrangig.«

»In meinen Augen schon.« Schwungvoll setzte sie ihren Namen unter den Vertrag. »Aber ich brauche ja auch die Schecks nicht zu unterschreiben.« Sie reichte ihm den Vertrag. »So, jetzt ist es offiziell.«

»Ja.« Achtlos legte er die Papiere auf seinen Schreibtisch zurück. »Ich möchte Sie heute Abend zum Essen einladen.«

June stand auf, ihre Beine taten ihr weh. »Nun, das müssen wir dann wohl ein anderes Mal machen, ich werde nämlich mit Carlo ausgehen.« Sie streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. »Aber Sie können gern mitkommen.«

»Mit unserem Geschäftsabschluss hat das nichts zu tun.« Blake nahm ihre Hand. »Und ich möchte mit Ihnen allein sein.« Er griff auch noch nach ihrer anderen Hand.

Darauf bin ich nicht vorbereitet gewesen, dachte June. Sie war diejenige, die mit dem Manöver beginnen wollte, zu ihrem eigenen von ihr gewählten Zeitpunkt. Jetzt musste sie sich damit abfinden, dass ihr die Situation aus der Hand genommen wurde. Doch sie würde sich nicht überrumpeln lassen. Sie hob den Kopf und lächelte ihn an. »Wir sind doch allein.«

Blake zog die Augenbrauen hoch. Sollte das eine Herausforderung sein? Oder machte sie sich wieder einmal über ihn lustig? Doch diesmal sollte sie nicht so leicht davonkommen. Er zog sie in seine Arme. Sie schien dorthin zu gehören, das fühlten sie beide, und beide verwirrte dieses Gefühl.

Er sah ihr tief in die Augen. Die goldenen Flecken in ihren Augen sind dunkler geworden, stellte er fest. Blake merkte kaum, was er tat, als er ihr das Haar aus dem Gesicht strich.

June wehrte sich gegen das Gefühl, das seine Berührung in ihr auslöste. Viele Männer hatten sie schon berührt, zur Begrüßung, in Freundschaft, in Ärger und auch in Verlangen. Es gab keinen Grund, warum diese Berührung jetzt der Grund dafür sein sollte, dass ihr schwindlig wurde. Nur ihr eiserner Wille hielt sie davon ab, sich in seine Arme zu schmiegen oder sich mit einem Ruck von ihm loszureißen. Sie beobachtete ihn und wartete.

Als er seinen Kopf zu ihr hinunterbeugte, war June vorbereitet. Dieser Kuss würde anders sein, natürlich, denn er war ja auch anders. Aber mehr auch nicht. Noch immer war ein Kuss für sie nur eine Art der Kommunikation zwischen Mann und Frau. Eine Berührung der Lippen, ein Geschmack.

Doch in dem Augenblick, als er seine Lippen auf ihre legte, wusste June, dass sie sich geirrt hatte. Anders? Dieses Wort konnte nicht beschreiben, was in ihr vorging. Ihre Gedanken flogen davon, ihr wurde gleichzeitig heiß und kalt. Und die Frau, die genau gewusst hatte, was sie erwartete, seufzte angesichts des Unerwarteten.

»Noch einmal«, murmelte sie, als seine Lippen sich von ihren lösten, dann schloss sie die Hände um sein Gesicht und zog ihn an sich.

Er hatte geglaubt, sie würde kühl sein und glatt und sehr zerbrechlich. Er war sich dessen ganz sicher gewesen. Vielleicht traf es ihn deshalb mit solcher Heftigkeit. Sanft war sie, ihre Haut war seidig weich, als seine Hand sich in ihren Nacken legte. Aber sie war nicht kühl, stellte er fest, als er sie küsste. Er konnte dem, was er fühlte, keinen Namen geben, konnte es nicht erklären. Er konnte nur noch fühlen.

June schlang die Arme um seinen Hals und fuhr mit beiden Händen durch sein Haar. Sie hatte geglaubt, es gäbe keinen Geschmack, den sie nicht schon einmal geschmeckt hatte. Doch jetzt erfuhr sie etwas, das sie nicht begreifen konnte, und sie genoss es, kostete von dieser Süße und konnte nicht genug davon bekommen.

Mehr! Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie dieses Verlangen gekannt. Sie war in einer Welt des Überflusses groß geworden, in der es von allem immer genug gab. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfuhr sie jetzt wahren Hunger und ungebändigtes Verlangen. Und diese Dinge brachten Schmerz mit sich, entdeckte sie, einen Schmerz, der ihren ganzen Körper erfasste.

Mehr! Dieser Gedanke beherrschte sie, und gleichzeitig wusste sie, je mehr sie nahm, desto größer würde ihre Sehnsucht nach noch mehr sein.

Blake fühlte, wie sie in seinen Armen erstarrte. Und weil er den Grund dafür nicht kannte, umfasste er sie stärker. Er wollte sie haben, jetzt, sofort, mehr als alles zuvor in seinem Leben. Sie bewegte sich in seinen Armen, versuchte sich gegen ihn zu wehren. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und sah in seine Augen, die ungeduldig blickten und aus denen ihr die Leidenschaft entgegenleuchtete.

»Genug.«

»Nein.« Noch immer hielt er sie fest. »Nein, das ist es nicht.«

»Nein«, stimmte sie mit zitternder Stimme zu. »Und deshalb müssen Sie mich jetzt loslassen.«

Er ließ die Arme sinken, blieb aber noch immer dicht vor ihr stehen. »Das müssen Sie mir erklären.«

June hatte ein wenig Kontrolle über sich selbst zurückgewonnen, und jetzt war es Zeit, die Regeln zwischen ihnen festzulegen – ihre Regeln –, und zwar schnell und genau. »Blake, Sie sind ein Geschäftsmann, ich bin Künstlerin. Jeder von uns beiden hat seine Prioritäten. Dies hier …«, sie trat einen Schritt von ihm zurück und reckte sich, »… kann nicht dazugehören.«

»Wollen wir wetten?«

June runzelte die Stirn, aber mehr aus Überraschung als aus Ärger. Eigenartig, dass sie nichts von Rücksichtslosigkeit in seinem Benehmen zu spüren glaubte. Nun, darüber würde sie später nachdenken, wenn sie mehr Abstand gewonnen hatte.

»Wir werden zusammen arbeiten, mit einem ganz besonderen Ziel«, sprach sie weiter. »Aber wir sind zwei Menschen mit völlig verschiedenen Ansichten. Sie sind natürlich am Gewinn interessiert und an dem Ruf Ihrer Hotelkette. Ich bin daran interessiert, einen besonders guten Rahmen für meine Kunst zu schaffen und für meinen eigenen Ruf. Wir wollen beide erfolgreich sein, daher dürfen wir unser Ziel nicht aus den Augen verlieren.«

»Dieses Ziel ist vollkommen klar«, gab Blake zurück. »Aber das andere auch. Ich will Sie haben.«

»Ah«, meinte June gedehnt, dann griff sie nach ihrer Tasche. »Sie kommen ja sehr schnell auf den Punkt.«

»Es wäre lächerlich, wenn ich darum herumreden wollte in diesem Augenblick.« Jetzt klang seine Stimme ein wenig belustigt. »Sie müssten naiv sein, um das nicht zu bemerken.«

»Und das bin ich nicht.« Noch ein wenig weiter zog sie sich von ihm zurück, entschlossen, ihm zu entfliehen, ehe sie ihre Fassung völlig verlor. »Aber es ist Ihre Küche – und es wird meine Küche werden. Im Augenblick ist es das, was mir am meisten am Herzen liegt. Ich werde eine Liste der Änderungen und der neuen Einrichtungsgegenstände aufstellen und sie Ihnen bis Montag zukommen lassen.«

»Gut. Und am Samstag werden wir zusammen essen gehen.«

An der Tür blieb June stehen und schüttelte den Kopf. »Nein, das geht nicht.«

»Ich werde Sie um acht abholen.«

Es kam selten vor, dass jemand eine Bemerkung, die sie machte, einfach ignorierte. June vermied es, aufzubrausen, stattdessen versuchte sie es mit Geduld, wie sie es von ihrer Kinderfrau gelernt hatte. »Blake, ich habe Nein gesagt.«

Wenn er wütend war, so verbarg er es meisterhaft. Er lächelte sie an, wie man ein ungezogenes Kind anlächelte. Dieses Spiel konnten sie auch beide spielen, dachte er. »Um acht Uhr«, wiederholte er und setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches. »Wenn Sie möchten, können Sie sogar Tacos essen.«

»Sie sind sehr störrisch.«

»Ja, das bin ich.«

»Ich aber auch.«

»Ja, das stimmt. Wir sehen uns dann am Samstag.«

June musste sich bemühen, ihn böse anzustarren, denn am liebsten hätte sie gelacht. Doch wenigstens gelang es ihr dann, die Tür ziemlich laut hinter sich zuzuschlagen.

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