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Liebe und andere Verzögerungen

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Flugzeuge im Bauch

Die Besitzerin eines Hundesalons am Flughafen, lernt endlich ihren Vielfliegerschwarm kennen und gerät in eine Fake-Dating-Situation mit dem nebenberuflichen Romance-Autor, welcher nach Inspiration für sein neues Buch sucht.

Zwei Fremde, die eine romantische Silvesternacht miteinander verbringen, nur um Monate später herauszufinden, dass sie bald Kollegen sind, die gemeinsam auf Geschäftsreise geschickt werden. Durch Sticheleien versuchen sie, sich nicht zu nahe zu kommen, was sich schwieriger herausstellt als gedacht.

Und zwei beste Freunde, die eine Woche Zeit haben, um einen verlorenen Liebesbrief zurückzugeben, den sie in einem Süßwarenladen am Flughafen gefunden haben, und dazu, den Mut aufzubringen, sich ihre tiefen Gefühle zu gestehen, bevor einer von ihnen das Land verlässt.

Diese drei bezaubernden Erzählungen haben alles was das romantische Herz begehrt.


»Wenn, rein hypothetisch, Denise Williams beschließen würde, eine Akademie zu gründen, um Kurse darüber anzubieten, wie man sexuelle Spannung und Enemies to Lovers schreibt, würde ich in das Klassenzimmer stürmen und ›Nimm mein Geld!!‹ schreien.«- Ali Hazelwood, New York Times-Bestsellerautorin


  • Erscheinungstag: 19.03.2024
  • Seitenanzahl: 480
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749907007
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Mit dir auf Wolke sieben

Für Jay,

den risikofreudigsten Menschen, den ich kenne
(außerdem ein ziemlich phänomenaler Bruder)

1. Kapitel

Ollie

»Direktflug 682 von Orlando ist am Gate C7 eingetroffen.«

Normalerweise blendete ich die ständigen Lautsprecherdurchsagen über Landungen, Verspätungen, Gate-Änderungen oder bei der Security hinterlegte persönliche Dinge aus. Aber diese Durchsage ließ mich aufhorchen. Pre-Flight Paws lag direkt gegenüber von Gate C7. Wenn man den Flughafen von Atlanta wie eine kleine Stadt betrachtete – und oft genug wirkte er so –, dann war das Gate Teil der Nachbarschaft.

Jess kam aus dem hinteren Bereich nach vorn und rief über die Schulter: »Pepper ist ein Entfesselungskünstler – sei vorsichtig, wenn du ihn wäschst!«

Nach zwei Jahren wachsender Bekanntheit und positiver Resonanz von Reisenden angesichts der Möglichkeit, ihre Haustiere während eines Aufenthaltes pflegen zu lassen, konnten wir uns Angestellte leisten.

Jess ließ die Tür hinter sich zuschwingen und gesellte sich zu mir hinter den Tresen. »Du starrst ihn schon wieder an.« Die Stimme meiner besten Freundin und Geschäftspartnerin störte mich bei dem, was nicht Starren, sondern einfach nur Beobachten des Passagiers war, der die Gangway herunterkam. Dieses großen, breitschultrigen, geheimnisvollen Passagiers mit dem markanten Gesicht.

»Ich starre nicht.«

»Du hast den Blick nicht einmal abgewendet, während du mit mir gesprochen hast.« Sie stieß ihre Hüfte gegen meine.

Ich kannte seinen Namen nicht, aber jeden Dienstag gegen 11:15 Uhr kam ein Adonis in einem dunklen, maßgeschneiderten Anzug über die Gangway, der sein Handy checkte, sich umsah und danach in Richtung irgendeines unbekannten Ziels verschwand. Das Einzige, was ihn noch sexyer hätte machen können, wäre ein Buch gewesen, das er mit sich herumtrug. Ich hatte seit jeher eine Schwäche für Leute, die wie ich gern lasen.

Jess gab einen tadelnden Laut von sich und schob mich weg, um an den Computer zu gelangen. »Das ist wirklich traurig.«

Mr. Dienstag sah immer ernst aus, und heute bildete sich sogar eine Falte zwischen seinen Brauen, als er stehen blieb, sich an eine Wand lehnte und auf sein Handy schaute. »Was ist traurig?«

Ihre Finger flogen über die Tastatur. »Dass deine Cola-light-Pause das Highlight deines Tages ist.«

Ich trank durch meinen Strohhalm und behielt den Mann im Auge. »Es ist Eiskaffee.«

»Erinnerst du dich an diesen Werbespot aus den Neunzigern, in dem ein paar Frauen einen Bauarbeiter mit freiem Oberkörper anstarren, der jeden Tag um die gleiche Zeit eine Cola light trinkt?«

Ich löste den Blick von Mr. Dienstag. »Das klingt … problematisch. Wovon redest du?«

Jess verdrehte die Augen. »So jung.« Sie zog ihr Handy aus der Gesäßtasche und öffnete YouTube. Sie war nur zehn Jahre älter als ich, aber anscheinend bedeutete das, dass ich eine ganze Welt popkultureller Werbebezüge verpasst hatte. »Warte.«

»Apropos Cola light – wie kam es dazu, dass Pepper damit übergossen wurde und jetzt ein Bad braucht?« Vorhin hatte ich, von der Toilette kommend, Peppers Besitzer, der uns den kleinen Terrier dann überließ, nass und unglücklich, aber kalorienreduziert vorgefunden.

Jessica hielt mir stolz ihr Handy vor die Nase und zeigte mir ein Video von einem Mann mit freiem Oberkörper und Bauhelm auf dem Kopf, der von Frauen mit aufgedonnerten Frisuren und großen Brillen angegafft wurde. »Offenbar hat er sich losgerissen und ist gegen eine offene Flasche gestoßen, aus der jemand trank. Pepper, nicht dieser Schauspieler. Über dessen Gewohnheiten weiß ich nichts.«

Ich schaute wieder zu C7, um mir keinen weiteren Mr.-Dienstag-Moment entgehen zu lassen, nicht mal für eine Pepper-Story. »Dies ist keine Cola-light-Pause«, sagte ich, während ich mir insgeheim eingestand, dass es doch so war. Ich hatte nur keine so aufgedonnerte Frisur wie die Frauen in dem Video. »Es ist … reine Neugier.«

Jess lachte, und der lebhafte Laut erfüllte den gesamten kleinen Check-in-Bereich. Als einige Vorschriftenänderungen es uns ermöglicht hatten, unser mobiles Haustierpflege-Unternehmen fest ins Terminal C zu legen, investierten wir all unsere Ersparnisse, unsere ganze Zeit und nutzten alle Kontakte, um durchzustarten. Zeit hatte ich, alles andere war knapp, aber ich liebte diesen Laden, besonders wenn die Stimme meiner besten Freundin darin widerhallte. »Neugier, wie er wohl ohne Anzug aussieht?«

Ich grinste und beobachtete, wie Dienstag sein Handy einsteckte, sich umschaute und sich dann auf den Weg zum anderen Ende des Terminals machte. »Nein, ich bin nur neugierig, wer er wohl ist und wohin er geht.«

Jess ging mit wissendem Lächeln nach hinten. »Cola-light-Pause«, rief sie über die Schulter und ließ die Tür hinter sich zuschwingen.

Da Mr. Dienstag wohl zu seinem Anschlussflug unterwegs war, kehrte ich an den Computer zurück, wo ich unsere Finanzen durchgesehen hatte. Jessica war unsere Pflegerin. Ich liebte Tiere und konnte zwar bei einfachen Dingen helfen, kümmerte mich jedoch hauptsächlich ums Geschäftliche. Nachdem ich ein weiteres Mal die Zahlen durchgegangen war, schaute ich erneut zu der Stelle, wo Mr. Dienstag an der Wand gelehnt hatte. Ohne Anzug sähe er bestimmt nicht schlecht aus. Ein Mann ohne Anzug im Flughafen wäre lustig. Ein Mann ohne Anzug in einem Flughafen wäre jedenfalls keiner, mit dem man drei Jahre zusammen war und der einen davon überzeugte, eine Fernbeziehung sei besser als ein Umzug nach D.C. für den Traumjob, nur um dann ein Jahr lang ein Doppelleben zu führen.

Ich schüttelte die Erinnerung ab, denn dieser Verrat hatte mich in jemanden verwandelt, der Angst davor hatte, sich auf etwas Romantisches einzulassen – andererseits aber auch in die wildwasserfahrende, fallschirmspringende Unternehmensgründerin und mutige Frau, die ich jetzt war. Einige Risiken scheute ich als selbstbewusstere Person nicht. Mit Menschen verbundene Risiken hingegen … nun, dafür hatte ich Helden in Büchern. Ich blickte auf den Roman in meiner Handtasche unter dem Tresen und freute mich schon darauf, später weiterlesen zu können.

Zurück zum Geschäft. Ich scrollte durch die Buchhaltungssoftware, prüfte ein weiteres Mal meine Arbeit, den Vorschlag zur Erweiterung des Geschäfts.

Das gedämpfte hohe Bellen Peppers drang durch die eigentlich wirkungsvoll schallisolierte Tür. »Hey, Ollie, Jess nimmt sich gerade diesen Chihuahua vor. Kannst du mir helfen bei …« Jeremiah kam mit seifigen Händen durch die Schwingtür.

Ich drehte mich sofort um. Nie hätte ich gedacht, dass wir in einem Flughafen so viele Stammkunden haben würden – aber wie flink Pepper sein konnte, wusste ich längst. »Klar, aber mach die Tür …«

Ein junges Paar mit einer Transportbox betrat den Laden, doch ehe sie etwas sagen konnten, ergriff der eingeschäumte Pepper tatsächlich die Flucht, eine Schaumspur auf dem Boden hinterlassend. Er rannte hinaus ins Terminal C, seine Leine wie eine Schlange hinter sich herziehend.

Verdammt! »Ich hole ihn.« Ich lief zum Eingang, vermittelte unseren neuen Kunden den bestmöglichen Eindruck – »Jeremiah, bitte kümmere dich um sie!« – und sprintete Pepper hinterher. Ich verfluchte das hinterhältige kleine Biest, das ich mal hinreißend gefunden hatte, und rannte ihm im Gedränge laut rufend hinterher. »Pepper!« Ich wich einer Familie aus, die ratlos vor der Anzeigentafel stand, meinen Impuls, ihnen zu helfen, unterdrückend. »Pepper! Komm her!«

Vor mir schlug der Hund Haken, und ich schwöre, der kleine Mistkerl verlangsamte sein Tempo, bis ich näher kam. Wahrscheinlich amüsierte er sich prächtig. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, in Washington, D.C., als Power Player für hochwertige Werbekampagnen in einem Eckbüro zu landen. Als ich auf einem von Peppers nassen Pfotenabdrücken ausrutschte und mit den Unterarmen auf die Fliesen knallte, zweifelte ich an meinen Entscheidungen, die mich hierhergeführt hatten.

Ich rappelte mich auf, schaute mich um und folgte der nassen Spur. »Pepper!«

Das Gedränge wurde noch dichter, aber ich hörte eine tiefe Stimme sagen: »Hab dich.« Ich atmete erleichtert auf und hoffte, dass die Stimme nicht einem der anderen Ladeninhaber gehörte, die darauf lauerten, uns hinauszudrängen. Bitte mach, dass er nicht vor Juliannas Candy Shoppe gestoppt wurde. Die hasst uns. Ich war mir nicht sicher, ob sie Haustiere nicht mochte, uns nicht mochte, weil wir den Laden ihrer Freundin übernommen hatten, der nicht mehr lief, oder ob sie grundsätzlich niemanden leiden konnte. Wie dem auch sei, ich ging ihr für gewöhnlich aus dem Weg.

Ich bewegte mich durch die Menge, auf der Suche nach Pepper, und folgte der Seifenschaumspur auf dem Boden. Ausgerechnet jetzt, wo ich Pepper in einer Menschenmenge zu finden versuchte, war er natürlich still.

Wir werden Pepper Hausverbot erteilen.

»Das ist Ihrer, nehme ich an?«

Nur knapp vermied ich einen Zusammenprall mit einer Familie, die zu ihrem Flug eilte, und entdeckte den nassen, schadenfrohen Pepper, der sich in den Armen meiner Cola-light-Pause wand.

2. Kapitel

Bennett

Ich verabscheue Flughäfen.

»Bleib dran«, sagte ich und hielt auf dem Gate Ausschau nach einer freien Ladestation. Mein Handy hatte sich in der Nacht zuvor nicht aufgeladen, und jetzt zeigte der Akku noch elf Prozent an. Sobald es unter dreißig Prozent war, wurde ich genauso unruhig, wie wenn die Tankanzeige des Autos unter fünfundzwanzig Prozent fiel. Ich ging ungern irgendwelche Risiken ein.

»Wo bist du?«

Meine beste Freundin hätte nicht fragen müssen, da mein Job mich stets an denselben Ort führte. Ich brummte meine Antwort und machte mich auf die Suche nach einem freien Platz, um mein Handy aufzuladen.

»Wo sonst?« Ich versuchte, an der Gruppe vor mir vorbeizukommen, vier nebeneinanderher schlendernden Leuten, und lief eilig auf die Mitte des Durchganges zu. Ich hatte erst in einer Stunde und dreiunddreißig Minuten einen Termin, aber das dämpfte meine Frustration darüber nicht, dass ich mein Tempo verlangsamen musste.

»Warum hast du diesen Job noch nicht gekündigt?«

Ich hörte Gespräche und Vogelgezwitscher im Hintergrund und nahm an, dass Gia über den College-Campus ging, wo sie Chemie unterrichtete.

»Zunächst einmal gefällt mir das Gehalt.« Endlich kam ich an der am weitesten links gehenden Person vorbei, was mir einen scharfen Blick einbrachte, als hätte ich meinen Rollkoffer als Rammbock eingesetzt. »Solche Dinge sind ganz praktisch, wenn man Essen und Unterkunft bezahlen muss.« Vor mir erhob sich ein Jugendlicher und griff nach dem Kabel an seinem Smartphone. Ich beschleunigte meine Schritte.

»Natürlich, aber du hast ja noch eine andere Einkommensquelle.«

Meine beste Freundin war kaum schockiert gewesen, als ich ihr erzählte, dass ich einen Liebesroman geschrieben hatte. Genauso wenig, wie sie schockiert gewesen war, als ich ihr berichtete, dass ich einen Job in der Risikobewertung angenommen hatte. Sie verlangte einfach nur, dass ich ihr die Rohfassung schickte, und fünf veröffentlichte Romane später war sie immer noch der erste Mensch, der meine Sachen las. Nur hatte ich ihr seit einer Weile nichts mehr geschickt, weil ich nichts geschrieben hatte. Seit der Abgabe des letzten Manuskripts. Es war, als befände meine ganze Kreativität sich in einem verloren gegangenen Gepäckstück, während die Deadline bedrohlich näher kam.

»Achtung an Terminal C: Die Person, die Handy, Brieftasche und Zigaretten vergessen hat, wird an der Sicherheitskontrolle erwartet.«

Diese Person hat einen schlechten Tag. Ich wich zwei jungen Leuten aus, die zusammengekuschelt auf dem Boden saßen, im warmen Lichtschein eines iPhones. Daneben war ein älteres Paar, beide in Rollstühlen, die von zwei jungen Männern geschoben wurden. Junge Liebe. Alte Liebe. Überall um mich herum war Liebe, und obwohl es mein Job war – mein Zweitjob –, Liebesgeschichten zu schreiben, hatte ich keine Ideen. Die Quelle war versiegt.

Gia zog meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Bist du noch da?«

»Sorry. Und ich kann meinen Job nicht aufgeben, schon gar nicht, wenn es mir nicht gelingt, dieses Manuskript fertigzustellen.«

»Vielleicht wirst du dazu in der Lage sein, wenn du dir Zeit nimmst, damit deine Kreativität sich regenerieren kann. Oder wenn du ein paar Dates hast, um dich inspirieren zu lassen.«

»Es ist nicht so, dass mich die Inspiration anspringt, wenn ich sie gerade brauche.«

»Möglicherweise aber doch«, sagte sie. »Vielleicht triffst du die Frau deiner Träume, wenn du dich in der Schlange für Zimtschnecken anstellst. Du musst nur mal ein bisschen aus dir herauskommen und Spaß haben.«

Ich erinnerte mich an meinen ersten Flug, als meine Eltern mich in die Staaten gebracht hatten. Der Duft von Zimt, als wir an einem Cinnabon vorbeikamen, war voller Verheißungen. Ich schaute zum Schaufenster links von mir. Jetzt nahm ich den Duft kaum noch wahr. Ich sah jemanden, der ein Auge auf eine frei gewordene Steckdose geworfen hatte, und beschleunigte mein Tempo. »Warum hast du angerufen? Außer um meine Entscheidungen infrage zu stellen.«

»Das war mein Hauptanliegen.« Sie lachte ins Telefon, und prompt vermisste ich sie. Gia war seit meinem ersten Tag auf der Uni – oder am College, wie sie sagen würde – meine beste Freundin, aber jetzt lag das halbe Land zwischen uns, und ich hatte nie jemanden gefunden, mit dem ich diese Verbindung fühlte. Ich vermisste ihr Lachen. Die Kollegen, mit denen ich meine ganze Zeit verbrachte, kicherten zwar, aber echtes Lachen hatte ich lange nicht gehört.

»Na schön. Tat gut, mit dir zu plaudern«, sagte ich und griff bereits in meine Umhängetasche, um das Ladegerät herauszuholen.

»Warte, warte, warte«, sagte sie. »Du kneifst nicht vor der Woche Strandurlaub, oder?«

Ich steckte hinter einer weiteren Gruppe von Leuten fest, die sich mit der Geschwindigkeit eines Gletschers bewegten, sodass ich widerstrebend das Tempo verlangsamte und Ausschau nach einem Weg durch die Menge hielt, bis mir jemand auf die Schulter klopfte. »Entschuldigung. Können Sie mir zeigen, wo die Gepäckausgabe ist?«

Niemand könnte mich daran hindern, zur Steckdose zu gelangen, an der ich mein Handy aufladen würde. Mit Ausnahme dieser Frau. »Bleib dran, Gia«, sagte ich ins Telefon und blieb stehen, um der Frau die Richtung zu weisen. Wider besseres Wissen bot ich ihr meine Begleitung an. Sie erinnerte mich an meine Gran, die eigentlich gar nicht meine Großmutter war, sondern unsere Nachbarin. Aber sie war die erwachsene Person gewesen, der ich als Kind am nächsten stand.

Gia wartete, bis sie hörte, wie ich mich verabschiedete, dann fragte sie: »Rettest du wieder alte Damen?«

»Ich habe einer älteren Frau geholfen. Warum sagst du das so spöttisch?«

»Das ist kein Spott. Du kannst nur nie Nein sagen, wenn jemand Hilfe benötigt. Das ist süß.«

»Na ja, du weißt, ich versuche stets, süß zu sein.« Mein Konkurrent für die Steckdose war schneller als ich, weshalb ich nun weitersuchen musste. »Und ja, nächsten Monat passt.«

»Eine Woche Strandurlaub. Ich kann es nicht erwarten, Sonne, Meer und eine heiße Strandbekanntschaft zu bekommen.«

»Hast du etwa vor, dich nur auf eine zu beschränken?« Sie hatte mich dazu gedrängt, Urlaub zu nehmen, und wir hatten ein Haus auf Tybee Island in Georgia gemietet. Ich rechnete fest damit, dass sie während unseres Aufenthalts eine ganze Reihe von Fans finden würde. Aber sie ignorierte meine Frage.

»Du könntest selbst jemanden kennenlernen«, schlug sie vor. »Es ist schließlich schon eine Weile her. Eine kleine unverbindliche Affäre würde deine Schreibblockade womöglich lösen.«

Ich verdrehte die Augen. Diese Unterhaltung führten wir nicht zum ersten Mal, und ich hatte darauf ebenso viel Lust wie auf ein Gespräch darüber, dass ich meinen Job kündigen sollte. Dummerweise war der Hauptgrund dafür, dass ich nicht kündigen konnte, eben jene Schreibblockade – manchmal kamen die Storys einfach nicht. Mein Verstand war nicht immer zuverlässig, wenn es darum ging, Worte zu Papier zu bringen. Sie hatte recht, ich hatte eine Schreibblockade. Aber eine Affäre wäre nicht die Lösung meines Problems. Ich mochte es gern verbindlicher. Eine Beziehung mit jemandem.

Gia lachte erneut. »Ignorierst du mich?«

»Allerdings.« Ich verstaute das Ladekabel wieder in meiner Tasche und schaute sehnsüchtig auf die Steckdose, die ich mir nicht hatte sichern können. »Momentan würde mir eine freie Steckdose vollkommen genügen.«

»Pervers.«

»Ich lege jetzt auf.«

Ich grinste, als ich ihr Lachen hörte, ehe ich das Gespräch beendete. Ich freute mich auf den Urlaub und darauf, Gia zu sehen, und ich hoffte, dass der Tapetenwechsel den gewünschten Effekt auf meine Schreibblockade haben würde.

»Pepper!«, rief eine Stimme aus der Menge, und als ich mich umdrehte, entdeckte ich etwas, das wie eine übergroße nasse Ratte aussah, die mit aufgestellten Ohren zwischen den Leuten hindurchraste.

Ich hätte das Tier ignorieren können, aber Gia hatte verdammt recht, was mein Bedürfnis, anderen zu helfen, anging. Also bückte ich mich und packte die glitschige, nagetierähnliche Kreatur, die zwischen meinen Händen zappelte. Bei näherer Betrachtung erkannte ich, dass es sich bei der vermeintlichen Ratte um einen kleinen Hund handelte. »Hab dich.«

Ich konnte die Person nicht sehen, die das Tier suchte, aber ich hörte erneut ihre Stimme. »Pepper!« Ich kraulte den Hund hinter den Ohren, und er hörte auf, sich zu winden. Dann hörte ich die Worte: »Ich hätte in einem Eckbüro sitzen können.« Kurz darauf zwängte sich eine Frau mit gesenktem Kopf zwischen zwei Reisenden hindurch. Sie trug ein limonengrünes T-Shirt mit der Aufschrift Pre-Flight Paws, und ich kannte den Namen von dem kleinen Laden neben dem Gate, an dem ich oft aus dem Flugzeug stieg. Die Frau war mir bisher nie aufgefallen. Ihre gewellten Haare waren zurückgebunden, sie hatte ein hübsches Gesicht und trug eine enge Jeans.

Ich brauchte einen Augenblick, bis ich meine Stimme wiedergefunden hatte. »Das ist Ihrer, nehme ich an?«

Bei meinen Worten sah sie auf und stieß beinah mit einem Mann und einem Kind zusammen, die vorbeieilten.

Nachdem die zwei vorbei waren, sah ich ihr ganzes Gesicht – ihre sanft bernsteinfarbene, klare Haut, die vollen Lippen. Ihre braunen Augen waren geweitet und zunächst auf mich gerichtet, dann auf Pepper.

»Ja, es tut mir so leid.« Sie streckte die Arme aus, um den Hund zu nehmen, der es sich inzwischen in meiner Armbeuge gemütlich gemacht hatte. »Er ist ein Entfesselungskünstler.«

»Ich habe mal gehört, dass Houdini auf Flughäfen angefangen hat«, sagte ich und gab ihr den Hund. Dabei streiften meine Hände kurz die glatte Haut ihrer Unterarme.

Sie lächelte über meinen Scherz, während sie Pepper an ihre Brust drückte und ihn hinter den Ohren kraulte, wie ich es getan hatte. »Beeindruckend, zumal es in den 1920ern kaum Flughäfen gab.«

»Nun«, sagte ich und warf einen Blick auf das Logo auf ihrem Shirt, als sie Peppers Gewicht verlagerte. »Houdini war eben ein Vorreiter – für Sie und Pepper.«

Ich wollte ihren Namen wissen. Das war ein bizarrer Gedanke. Ich hatte den Namen der älteren Dame nicht wissen wollen oder den Namen der Person, die mich finster angesehen hatte, als ich mich vorbeidrängelte. Ich kannte ja nicht einmal die Namen meiner Nachbarn. Aber ihren wollte ich wissen. Sie sah auf meine Brust, und ich spürte Anspannung. Vielleicht lag Gia doch gar nicht so falsch.

»Ihr Anzug«, sagte sie und verzog das Gesicht. »Es tut mir schrecklich leid. Können wir Ihnen die Reinigungskosten ersetzen?«

Der Anzug. Ich lachte über meinen Impuls, mit dieser unbekannten Frau zu flirten. »Nein«, sagte ich und winkte ab, ehe ich mein nasses Jackett auszog. »Das geht schon.«

Sie musterte mich erneut, als ich meine Tasche auf die Schulter hob. »Sind Sie sicher?« Sie hielt den glitschigen Hund fest in den Armen, während er sie abzulecken versuchte und vermutlich auf die Gelegenheit zu einer weiteren Flucht lauerte.

Von der Logik her war mir klar, dass sie mein nasses Jackett betrachtete, den schmierigen Seifenschaum, den der Stoff langsam aufsaugte. Allerdings hatte ich den eigenartigen Eindruck, dass sie mich musterte. Und das gefiel mir. »Ja, bin ich. Kein Problem.«

»Nochmals Entschuldigung, und danke. Ich werde Sie dann nicht länger aufhalten.«

»Gern geschehen«, sagte ich, noch nicht bereit, den Blick von ihr abzuwenden. Es war sehr lange her, dass eine Frau meine Aufmerksamkeit auf diese Weise geweckt hatte. »Ich bin Bennett«, stellte ich mich vor und streckte die Hand aus. »Für den Fall, dass er noch einmal zu fliehen versucht, können Sie mich rufen.«

Sie grinste, und sofort wollte ich sie erneut zum Lächeln bringen. »Ollie«, sagte sie und wollte mir die Hand schütteln, zog ihre jedoch wieder zurück, als Pepper anfing zu zappeln. »Olivia. Ich habe die Haustierpflege dort hinten.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung über die Schulter. »Danke, Bennett, dass Sie mir eine noch viel längere Verfolgungsjagd durch den Flughafen erspart haben.«

Ich winkte zaghaft, als sie einen Schritt zurück machte. »War mir ein Vergnügen.«

»Falls Sie je hier sind und einen Hundefriseur brauchen, schauen Sie vorbei.« Erneut deutete sie zum Gang. »Ich verspreche Ihnen, Pepper ist das einzige Haustier, das uns je entwischt ist.« Der Hund wand sich winselnd in ihren Armen. »Aber gut zu wissen, dass ich um Hilfe schreien kann.«

Ich nickte und betrachtete ein letztes Mal ihre Sommersprossen. »Ich habe keine Haustiere, aber wenn ich zufällig an eines gerate, werde ich das definitiv machen.«

Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich daran, mir einen Welpen zuzulegen.

3. Kapitel

Ollie

Ich bog auf die Interstate ein und wartete darauf, dass die Verbindung zustande kam. Die Sonne stand tief am Himmel, der Sommertag wich einem warmen Abend. Ich ließ mein Fenster herunter, um die frische Luft einzuatmen und andere Geräusche als die des Flughafens zu hören. Dann hielt ich die Hand hinaus, um Wellen zu machen, wie ich es als Kind getan hatte.

»Solltest du nicht irgendwo unterwegs sein und ein Date haben oder so?« Harriet war die Tante meiner Mom, und als ich fünf gewesen war, meinte sie, wenn sie mich Ollie nenne, könnte ich sie Harry nennen. Dabei war es geblieben.

Ich fuhr hinter einem Meer aus Bremslichtern langsamer. »Und du?«

»Ich mache mich gerade für eines fertig.« Sie klang ein wenig ungeduldig, aber ich wusste es besser. »Und bevor du fragst, es ist wahrscheinlich eine einmalige Sache. Er ist sehr süß, aber ich weiß nicht, ob wir viel gemeinsam haben.«

Meine sechsundachtzigjährige Tante war in Sachen Dates noch sehr aktiv, und ich musste ihr applaudieren. Sie sah großartig aus und besaß diese Bad-Bitch-Aura, die die meisten Männer nicht ignorieren konnten.

»Ein weiterer Fünfundzwanzigjähriger?«

»Nun übertreib mal nicht. Er war neunundzwanzig, fast dreißig, und es war nur ein Mal.« Sie klang, als würde sie die Augen verdrehen. »Wie dem auch sei, er war lausig im Bett. Hübsch anzusehen. Stehvermögen ohne Ende, aber leider keine Technik. Null Finesse. Damit musst du dich bei Männern in deinem Alter begnügen?«

Ich lachte und genoss den Wind; bevor ich etwas erwidern konnte, fügte sie hinzu: »Aber was rede ich. Wenn er nicht in einem Buch auftaucht, willst du ihn nicht.«

»Ach, na ja, Männer aus Filmen sind auch okay. Aber es stimmt, manchmal mangelt es an Raffinesse.«

»Verdammt schade. Der heute ist vierundfünfzig, also habe ich Hoffnung.« Ihr Ton wurde sanfter. »Also, warum hast du angerufen?«

Ich überlegte, die Automatikschaltung auf Parken zu stellen, da ein Ende des Staus nicht abzusehen war. »Ich wollte nur mal hören, wie es dir geht.«

»Wie läuft der Laden?«

Da sie unsere erste Investorin war, wusste sie sehr genau darüber Bescheid, aber so fragte sie jedes Mal, mit schroffer Stimme und als interessierte es sie nicht sonderlich. Dabei wusste ich, dass das nicht stimmte. Sie hatte mir das Startkapital für das Unternehmen gegeben, Geld, das sie für meine Hochzeit beiseitegelegt hatte. »Ganz gut. Pepper ist heute abgehauen. Ich musste ihn durch das ganze Terminal jagen.«

»Der Hund ist die reinste Plage.«

»Auf jeden Fall hat er seinen eigenen Willen.«

»Von wegen, der bringt nur Ärger. Es schadet nicht, die Dinge beim Namen zu nennen, besonders wenn es sich um einen Hund handelt.«

Ich errötete, denn sie spielte auf meinen Ex an. »Ein hilfsbereiter Fremder hat ihn erwischt und mir eine längere Verfolgung erspart.« Mr. Dienstag. Bennett. Sein britischer Akzent hatte mich überrascht, passte aber gut zu ihm. In meinem Wagen sitzend, erinnerte ich mich daran, wie ich seine Stimme in meiner Wirbelsäule gespürt hatte, während er sprach – in meiner Wirbelsäule und an anderen Stellen.

»Es gibt sicher hilfsbereite Leute dort.« Harrys Stimme wurde schwächer, weshalb ich annahm, dass sie ihren begehbaren Kleiderschrank betreten und das Telefon irgendwo abgelegt hatte, um ihre Jeans und Kleider durchzusehen. Wenn mein Hintern in dem Alter noch so gut aussehen würde wie ihrer, würde ich mich glücklich schätzen können. »Hast du noch etwas auf dem Herzen?«

»Ich bin neugierig, ob du findest, dass ich wieder Dates haben sollte.«

Harry schwieg einige Sekunden lang, und ich hörte das Kleiderrascheln. »Woher soll ich das wissen? Willst du denn wieder Männer treffen?«

»Nein«, antwortete ich automatisch, was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ich mochte Dates. Mir gefiel es, mit jemandem zu flirten und herumzualbern, und ich aß gern in Gesellschaft. Gebunden zu sein, mochte ich hingegen nicht, und ganz bestimmt vermisste ich nicht den Teil, in dem man sich dem Leben des anderen anpasste und dafür nichts als Enttäuschung erntete. »Eigentlich nicht, meinte ich.«

»Es ist okay, vorsichtig zu sein. Ein bisschen Furcht ist wahrscheinlich ganz normal, nach dem, wie dieser verlogene Mistbeutel dich behandelt hat.«

Harry hatte schon viel schlimmere Dinge über meinen Ex-Verlobten von sich gegeben, und sie hatte recht.

»Ich habe keine Angst«, log ich. Angst gehörte nicht zu meinem neuen Ich. Als Harry mir den Scheck über die für meine Hochzeit bestimmte Summe gegeben hatte, hatte sie meine Hände gedrückt und mir gesagt, ich müsse das Leben nicht fürchten, sondern es in vollen Zügen genießen. Das tat ich. Also fürchtete ich mich vor so etwas Schlichtem wie einem Date nicht. Oder?

Harry lachte. »Rede dir das nur weiter ein. Ich weiß, dass du von Klippen springst und alle möglichen riskanten Sachen machst. Du hast keine Angst zu sterben, aber vielleicht doch ein wenig davor, einen netten Mann kennenzulernen und mit ihm Spaß zu haben.«

»Habe ich nicht«, wiederholte ich. Nette Männer gab es ohnehin selten. Ich ging zur Arbeit und anschließend nach Hause. Falls ich nichts mit Martin anfangen wollte, dem Hausmeister am Flughafen, den ich sehr mochte und der Witwer mit siebzehn Enkelkindern war, gab es niemanden. Allerdings dachte ich an Bennett. »Glaube ich zumindest. Ich will es jedenfalls nicht.«

»So kompliziert ist es nun auch wieder nicht, Mädchen. Triff dich zu einem Date und schau, ob es dir gefällt. Ansonsten amüsiere dich mit den Männern aus deinen Büchern.«

Mein Telefon signalisierte eine eingehende Nachricht.

»Hab dir gerade ein Foto geschickt. Wie findest du es?«

Harry hatte sich ein enges, in jeder Hinsicht umwerfendes rotes Kleid angezogen.

»Wie schaffst du es, immer so toll auszusehen?«

»Gute Gene, Glück und gute Investition meiner Alimente.« Harry lachte, und ich versicherte ihr, das Outfit sei perfekt. Sie gab mir einen Kuss durchs Telefon, dann legten wir auf, und ich konzentrierte mich wieder auf den Verkehr. Ihre Bemerkungen über meine Furcht davor, ein bisschen zu leben, beschäftigte mich. Mir gefiel die Vorstellung nicht, dass der, dessen Namen wir nicht aussprachen, nach wie vor einen Einfluss auf mein Leben hatte. Ich wünschte, man könnte all die schönen Seiten des Datings haben ohne die Risiken. Ich hatte es probiert, aber es hatte nicht funktioniert. Ich fand es auch zu anstrengend, den Richtigen herauszusieben.

Wieder schweiften meine Gedanken ab zu Bennett, seiner tiefen Stimme und seinen großen Händen. In einer idealen Welt könnte ich mit jemandem wie ihm ein Date haben – gut aussehend, humorvoll und nur abschnittsweise für dreißig Minuten bis zwei Stunden in meinem Leben.

Der Verkehr setzte sich sehr langsam wieder in Bewegung, und ich freute mich darauf, endlich voranzukommen.

Schön wär’s.

4. Kapitel

Bennett

»Ben, wir brauchen dich übernächste Woche wieder hier in L. A.«, erklärte mein Boss am Telefon ohne Umschweife. Er sah so aus, wie ich mir Humpty Dumpty vorstellte, war süchtig nach orangen Tic Tacs und erwähnte in Gesprächen gern seine Hämorrhoiden.

»Übernächste Woche habe ich frei«, sagte ich, im Gang des Flugzeugs stehend und darauf wartend, dass die Türen sich öffneten. »Kann Carter das nicht machen?«

»Oh, stimmt, diese Buchsache«, sagte er. »Sicher, sicher. Ich hätte lieber dich, aber Carter kann das auch. Wirst du mich je einen Blick in das neue Buch werfen lassen? Ich erwarte nicht den Cliffhanger mit dem Vicomte wie im letzten Buch.«

Die Entscheidung, den Job aufzugeben, wäre mir leichter gefallen, wenn mein Boss ein Idiot oder voreingenommen gewesen wäre. Aber er interessierte sich für meine Schriftstellerei und unterstützte meine Nebentätigkeit. Er bestellte meine Bücher und las sie zusammen mit seiner Frau. Das war nett. Er war nett, deshalb sagte ich, obwohl ich keine Zeit hatte: »Ich kann Carter bei der Vorbereitung helfen, wenn du willst. Und ich werde dafür sorgen, dass du eine Vorabausgabe vom Buch erhältst.«

»Das wäre klasse. Danke, Ben.«

Die Türen gingen auf, und ich drängte mit den übrigen Reisenden vorwärts. Alles war Routine, ich hätte das im Schlaf machen können. Doch als ich diesmal in den Check-in-Bereich trat, ignorierte ich meine wartenden E-Mails. Ich fädelte mich zwischen einer vierköpfigen Familie hindurch, die ihre Pläne für den Aufenthalt besprach, und entdeckte den Laden gegenüber dem Gate. Pre-Flight Paws war bunt gestrichen, mit einem kleinen Empfangsbereich, in dem die Frau, die ich vor einer Woche kennengelernt hatte, mit einer Kundin stand. Sie trug das gleiche limonengrüne Shirt und lächelte jemanden an, während sie den Kopf eines Hundes streichelte. Der Hund sah anders aus als der vom letzten Mal. Dieser war trocken und versuchte sich nicht als olympischer Sprinter.

Die Kundin und der Hund kamen aus dem Laden, sodass ich durch die Glastür ihr Gesicht erkennen konnte. Olivia. Ollie. Sie war auf ihren Computer konzentriert. Ich wurde kurz abgelenkt durch einen kleinen älteren Mann, der mich im Vorbeigehen anrempelte. Ich war zu einem dieser Menschen Leuten geworden, die ich hasste, weil sie den ganzen Verkehr blockierten.

»Verzeihung«, sagte ich. Der Mann brummte. Als ich wieder aufsah, schaute Ollie zu mir und lächelte. Ich hatte gehofft, sie zu sehen – der Laden befand sich schließlich gleich neben meinem Gate –, aber ich hatte nicht vorgehabt, mit ihr zu reden. Ich winkte, was mir sofort vollkommen blöd vorkam, aber sie winkte zurück. Dann standen wir da, beide mit erhobenen Händen, als hätte irgendwer die Pausentaste gedrückt. Sie wandte den Blick zuerst ab und sagte etwas über die Schulter.

Bevor ich von einem weiteren Senioren angerempelt wurde, trat ich zur Seite und öffnete meine E-Mails. Prompt sank meine Stimmung. Es gab sieben dringende Nachrichten von meinem Boss, die er bei unserem Telefonat vorhin nicht erwähnt hatte. Risikobewertung war mir wie ein Job vorgekommen, der mir gefallen könnte – er war weder sexy noch glamourös, aber er passte zu mir. Ich bin in einem Haus aufgewachsen, in dem es üblich war, ständig auf das nächste große Ding zu wetten. Überall gab es Risiken, und als Erwachsener machte es mir Freude, für meine Klienten Risiken zu entdecken und zu minimieren. Was mir bei meiner Familie nie gelungen war. Die E-Mails auf meinem Handy warteten wie ein Talisman des Untergangs. Ich schrieb eine rasche Antwort auf die erste, die doch nicht so dringend war, wie mein Boss mit der Betreffzeile angedeutet hatte. Ich stellte mir vor, die E-Mail-App, die ich für die Arbeit benutzte, einfach von meinem Handy zu löschen. Dann hätten sich sämtliche Mails erledigt.

»Sind Sie auf der Suche nach nassen Hunden?«

Überrascht sah ich auf und ließ beim Klang ihrer Stimme und ihres Anblicks prompt mein Handy sowie die zwei Mappen fallen, die ich aus meiner Umhängetasche genommen hatte, um meinem Boss die benötigten Informationen rauszusuchen. »Sollte ich?«

»Pepper ist gerade abgeholt worden, Sie sind also Ihrer Pflichten entbunden«, sagte sie und bückte sich zusammen mit mir nach den Papieren. Unsere Knie stießen kurz zusammen. Ich konnte mich an keine denkwürdige Knieberührung mit jemandem erinnern, und ich nahm mir vor, das in mein Buch einzubauen, als wäre da etwas Aufregendes an diesem kurzen Kontakt.

»Schade, ich mochte den kleinen Kerl.« Ich verstaute die Ordner wieder in meiner Tasche, und dann standen wir beide auf dem fast leeren Gate. Dieses Flugzeug leerte sich immer rasch.

»Vielleicht sollten wir Sie engagieren.« Ihr Blick fiel auf meine Krawatte und glitt über meinen Anzug. »Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob wir uns das leisten können.«

Ich hängte mir die Tasche um die Schulter. »Zufällig ist Hundefangen mein Hobby. Ich würde meinen Amateur-Status lieber behalten.«

Ollie verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief. »Klingt ruchlos. Sind Sie ein böser Typ?«

»Glaube ich nicht … Ich bringe die Hunde immer zurück. Ich bin jedenfalls nicht Cruella de Vil oder so.«

Ihr Lachen hallte über das Gate, und ich wollte sie erneut zum Lachen bringen. Sie grinste und nahm den Scherz auf. »Ganz sicher nicht? Sie haben nicht zufällig Ihren Dalmatinermantel im Handgepäckfach gelassen?« Sie warf den Kopf auf eine Weise zurück, die ich gern gefilmt hätte, um sie später besser beschreiben zu können, die kleinen Lachfältchen und den Halsbogen. Ich verspürte das überwältigende Bedürfnis, alles fallen zu lassen und aufzuschreiben, was mir dazu einfiel, aber jetzt sah sie mich an. Offenbar merkte sie, dass ich sie zu meiner Hauptfigur gemacht hatte.

»Ich schaue besser mal nach dem Mantel. Er ist immerhin versichert.«

»Schlau.« Sie lehnte sich gegen eine Säule, die Arme nach wie vor unter der Wölbung ihrer Brüste verschränkt.

Mein Handy summte in meiner Hand, und das Gesicht meines Chefs erschien auf dem Display.

»Gehen Sie ruhig dran. Danke, dass Sie sich erkundigt haben, ob es irgendwelche Haustiere einzufangen gibt.« Sie machte einen Schritt zurück, sah mich aber weiterhin an. »Und danke auch, dass Sie keine Babytiere in der Wartehalle gekidnappt haben. Das betrachte ich als persönlichen Gefallen.«

»Wer weiß, was ich getan hätte, wenn Sie nicht aufgetaucht wären.«

Wieder lächelte sie, und wow, sie hatte ein tolles Lächeln. Ich spürte, wie sich etwas in mir bewegte, ein Stein, der aus dem Weg rollte. »Viel Glück mit dem Mantel.« Sie winkte erneut und machte zwei langsame Schritte rückwärts, in Richtung ihres Ladens.

Ich nahm mir einen Moment, um ihre Bewegungen zu beobachten und die Rundungen ihres Körpers, als sie davonging. Es war, als könnte ich ihr Lächeln in ihren Schritten fühlen. Ich verdrehte die Augen über meinen kitschigen inneren Monolog, notierte ihn aber trotzdem für eine Buchszene. Plötzlich strömten die Ideen, aber eine Textnachricht meines Kollegen Carter erschien auf meinem Display, während zwei weitere dringende E-Mails eingingen, denen ich mich unbedingt widmen musste. Ich schaute ein letztes Mal Ollie hinterher und staunte darüber, dass dieses knappe Gespräch mit ihr meine Kreativität beflügelt hatte.

5. Kapitel

Ollie

Jess stellte die PC-Kamera so, dass Harry uns beide sehen konnte.

»Also, was hast du beschlossen?«, fragte Tante Harry. Sie hielt sich nie lange mit Small Talk auf, und das mochte ich schon immer an unserer Beziehung. Alle zwei Wochen machten wir einen Videocall mit ihr, um über den Laden zu sprechen.

Jess und ich tauschten einen Blick. »Wir wollen es machen«, sagte ich in selbstbewusstem Ton. Die Gelegenheit, zu expandieren und sich mit einer großen Mutterfirma zusammenzuschließen, um überall im Land Pre-Flight-Paws-Filialen zu eröffnen, barg ein großes Risiko. Es bedeutete, dass wir die Art änderten, wie wir als Unternehmen funktionierten, dass wir zu den neuen Läden reisen und uns dem Unbekannten stellen mussten.

»Na, Teufel noch mal!« Harry klatschte strahlend in die Hände. »Das sind meine Mädchen! Sie riskieren etwas!«

»Es ist ein ziemlich großes Risiko«, meinte Jess zögernd.

»Großes Risiko, große Belohnung. Apropos, ich habe Neuigkeiten für euch Mädels. Ich werde wieder heiraten.«

Jess und ich starrten einander verblüfft an.

»Ach, seid nicht so überrascht. Ich bin alt und ungestüm.«

Jess warf mir einen Hast-du-das-gewusst-Blick zu. »Wer ist er?«

»Nun, erinnerst du dich an mein Date letzten Monat? Das rote Kleid? Tja … ich mag ihn. Er mag mich. Wir werden es mit der Ehe probieren.«

»Und wenn es nicht funktioniert? Ihr kennt euch noch nicht lange«, gab ich äußerst besorgt zu bedenken.

»Dann lassen wir uns eben wieder scheiden. Ja, es geht schnell, aber wir sind alt, und er macht mich glücklich. Nehmt euch für den 9. August nichts vor«, sagte sie. »Bis dahin hast du noch reichlich Zeit, ein Date zu finden, falls du eines willst, Ollie.«

»Wow«, meinte Jess. Wir tauschten einen weiteren Blick und sagten gleichzeitig: »Herzlichen Glückwunsch.«

»Entweder groß oder gar nicht«, sagte Harry, und ihre Miene hellte sich auf. »Stimmt’s, Mädels?«

Ich schaute über den Laptop nach vorn. Wir hatten den Laden vor dem Videotelefonat geschlossen, und draußen liefen nur wenige Passagiere vorbei. Der Flughafen war immer hell erleuchtet, aber hinter der Fensterfront von Gate C7 war ein dunkler Himmel zu sehen, der mich den Blick hinauf zu den Sternen vermissen ließ. Ich liebte so vieles an Atlanta, aber die Großstadtlichter machten es schwer, die Sterne zu erkennen.

»Mhm«, sagte ich. Abgesehen von den Lichtern auf der Landepiste und dem dunklen Himmel sah ich noch etwas – eine vertraute Person, die durch den Wartebereich ging. »Ganz oder gar nicht«, sagte ich und lauschte nur vage dem Gespräch der beiden, während ich Bennett beobachtete. Normalerweise sah ich ihn nur dienstags, stets auf demselben Gate und im Anzug. Heute Abend hatte er das Jackett weggelassen und die Ärmel aufgekrempelt, was den Blick auf Unterarme freigab, über die ich gern mit meinen Fingern gestrichen hätte. Er blieb stehen, als er sich dem Laden näherte, weil die Tür geschlossen und das vordere Licht gedimmt war. Aber als er uns drinnen entdeckte, kam er lächelnd näher.

»Ollie, langweilen wir dich?« Harrys Ton lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm. »Ich mache hier schmutzige Witze über groß oder gar nicht, aber ich glaube, du hast überhaupt nichts mitbekommen.«

»Sorry«, sagte ich und warf erneut einen kurzen Blick über den Bildschirm; ich hoffte, dass sie die schmutzigen Witze nicht wiederholen würde. Bennett überquerte die schimmernden Fliesen und winkte.

»Der süße Typ, den sie stalkt, ist gerade vorbeigegangen«, erklärte Jess. »Allerdings glaube ich, dass es kein Stalking mehr ist. Möglicherweise ist es jetzt Flirten.«

»Weder stalke ich, noch flirte ich«, erwiderte ich und winkte kurz zurück, was mir ein weiteres Lächeln einbrachte. Ich zeigte mit einem Finger auf den Bildschirm, und er winkte ab, um mir zu signalisieren, ich solle mir ruhig Zeit lassen. Ist das allgemeine Körpersprache, oder habe ich ihn einfach auf Anhieb verstanden?

Wie dem auch sei, er setzte sich in den fast leeren Wartebereich von Gate C7 und nahm seinen Laptop heraus.

»Süß, ja? Wie alt ist er?«

Ich lachte zusammen mit Jess. »Hast du uns nicht eben erzählt, dass du frisch verlobt bist? Du hast also schon einen jüngeren Mann.«

Harry winkte mit der Hand vor der Kamera. »Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der Frauen so tun mussten, als hätten sie keine Bedürfnisse und der Mann habe immer recht. Jetzt, wo wir freier sind, kann es gar nicht so viele attraktive junge Männer geben, dass ich einen hübschen, knackigen Po nicht zu schätzen wüsste.«

Jess und ich lachten erneut, und ich spähte zu Bennett, der im Wartebereich arbeitete, mit ernster Miene und zusammengepressten Lippen. »Er ist nur ein netter Kerl, den ich hier am Flughafen kennengelernt habe«, sagte ich.

Harry ließ nicht locker. »Aber er hat doch einen knackigen Hintern, oder?«

Ich wollte das Gespräch schon beenden, aber Jess antwortete für mich: »Das weiß ich nicht, aber er sieht gut aus und scheint unsere Ollie zu mögen.«

»Ich werde gleich nicht mehr mit euch beiden reden. Was spielt es für eine Rolle, ob er süß ist? Ich sehe ihn nur, wenn er Aufenthalt auf dem Flughafen hat.«

»Willst du versuchen, ihn zu heiraten? Ich weiß, du glaubst, aus deinen Liebesromanen genug Romantik zu bekommen. Aber es gibt ein paar Dinge, die ein Buch nicht kann, ein Mann allerdings schon.«

»Nein, zu kompliziert.« Eine Beziehung bedeutete, durch die Ansprüche und Bedürfnisse eines anderen eingeschränkt zu sein. Von jemandem, dessen Pläne sich nicht unbedingt mit meinen Interessen deckten. Und an einer Affäre war ich nicht interessiert.

»Ist er immer noch da draußen?«

Jess stieß mich an. »Jap. Geh und rede mit ihm.« Sie schaute wieder auf den Bildschirm. »Wir haben eh noch was zu besprechen. Wir passen schon auf, dass er dich nicht irgendwohin verschleppt.«

»Oder du schleppst ihn ins nächste Hotel«, meinte Harry.

»Ich bin fertig mit euch beiden«, sagte ich, glitt von meinem Hocker und ging zur Tür. »Bin gleich wieder da.«

Aus den Deckenlautsprechern kam Musik. Normalerweise war es im Wartebereich zu laut, um etwas zu hören, aber jetzt war es bis auf die üblichen Hintergrundgeräusche und gelegentliche Durchsagen ruhig. Ich trat hinaus und ging zu Bennett. Mir fiel ein, dass ich die gleichen Sachen trug wie bei unseren beiden vorangegangenen Begegnungen. Wir trugen unsere Shirts nicht immer, aber es war angenehme, bequeme Kleidung. Ich besaß massenhaft davon, und es war mir egal, ob Tierhaare darauf waren. Trotzdem wünschte ich jetzt, ich würde ein bisschen beeindruckender aussehen.

»Ich fürchte, Sie werden auf diesen Flug eine Weile warten müssen«, sagte ich, auf den leeren Monitor deutend.

Bennett sah überrascht auf und lächelte. Er lächelte, als trüge ich etwas Beeindruckendes. »Hey.« Er verstaute seinen Laptop und stand auf. »Ich war mir nicht sicher, ob Ihr Laden so spät noch offen sein würde.«

»Ist er nicht«, sagte ich und wies über die Schulter zum ganz offensichtlich geschlossenen Geschäft. »Ich mache nur Überstunden.«

»Ich weiß, es ist seltsam, aber ich war geschäftlich in Anaheim und stieß auf das hier.« Er holte eine Cruella-de-Vil-Figur aus der Tasche, ein kleines Plastikspielzeug mit beweglichen Armen und Beinen. »Ich konnte meinem Kollegen nicht erklären, warum ich beim Anblick dieser Figur lachen musste oder weshalb ich sie dann kaufte. Aber ich dachte, es wäre ganz …« Er gab sie mir, und unsere Finger berührten sich.

»Lustig«, beendete ich den Satz und betrachtete die kleine Spielzeugfigur, wobei ich ein unwillkommenes Kribbeln im Bauch verspürte. »Perfekt. Die wird mich daran erinnern, die Welpen vor Bösewichtern zu beschützen.«

Eine zarte Röte färbte seine Wangen, und ich empfand das plötzliche Verlangen, ihn zu küssen. Ich riskierte oft etwas und machte oft impulsive Dinge, zumindest viel häufiger als früher. Allerdings gehörte dazu nicht, einen Fremden während der Arbeit zu küssen. Dennoch grinste ich.

»Erinnerungen sind wichtig. Freut mich, dass sie Ihnen gefällt und Sie sie nicht zu albern finden.«

Ich drehte das Spielzeug in meinen Händen und stellte mir vor, wie er es gekauft hatte. »Ich bin ein Fan alberner Dinge.« Ich wollte ihn fragen, warum er an einem anderen Tag und zu einer anderen Zeit als sonst flog. Aber selbst in meinem Kopf klang das blöd und ganz nach dem Stalking, dessen Jess mich bezichtigt hatte. Andererseits, wenn ich es mir genau überlegte, waren wir normalerweise nicht so spät noch im Salon – wir waren nur deshalb geblieben, um über die Expansion zu sprechen und um Harry anzurufen. Vielleicht war Bennett jeden Freitag auf dem Flughafen und sah klasse aus.

Er schaute auf seine Hände. »Ich will Sie nicht aufhalten; ich wollte Ihnen nur diese Figur geben. Anscheinend haben Sie noch zu tun.«

Ich nickte und warf einen Blick über die Schulter, dorthin, wo meine Freundin uns beobachtete und den Laptop gedreht hatte, damit Harry auch alles sehen konnte. Wie peinlich. »Danke«, sagte ich. »Habe ich tatsächlich. Wir haben ein Meeting mit meiner Tante – na ja, einer Investorin; sie ist beides, also sollte ich wohl mal wieder hineingehen. Die beiden beobachten uns ganz offensichtlich.«

»Gut, wenn es Leute gibt, die auf einen achtgeben.« Er winkte unserem Publikum zu.

»Stimmt wohl.« Ich hielt ihm meine Hand hin, was mir komisch und zu geschäftsmäßig vorkam. Allerdings wollte ich ihn erneut berühren, denn beim ersten Mal war das Knistern wie ein Adrenalinstoß gewesen. »Hat mich gefreut, Sie wiederzusehen.«

Meine Hand war klein in seiner, und er schüttelte sie langsam, was mir Zeit gab, das Knistern zu genießen. »Gleichfalls.«

»Wenn Sie das nächste Mal hier sind …«, sagte ich, ohne meine Hand zurückzuziehen. Wenn Sie nächsten Dienstag um 11:15 Uhr hier sind. »… dann könnten wir vielleicht zusammen einen Kaffee trinken.«

Er hatte meine Hand noch nicht losgelassen. »Das wäre schön. Für mich eher Tee statt Kaffee. Ich komme in zwei Wochen wieder vorbei.«

»Dann sehen wir uns wohl.« Das war gut! Ich unterhielt Kontakt zu einem Mann und hatte keine Angst. Mein betrügerischer, verlogener Ex hatte mich diesmal nicht gebremst.

Über die Lautsprecher kam eine Durchsage. »Flug 7816 nach Miami, bitte einsteigen an Gate C24

»Oh, das bin ich«, sagte Bennett und schaute den Gang entlang. Es war noch ein ganzes Stück zu gehen bis zu Gate C24, mit unzähligen Laden und bevölkerten Kreuzungen auf dem Weg. »Ich sollte jetzt lieber los.«

Endlich zog ich meine Hand aus seiner zurück und wusste schon, was ich mir alles von Jess und Harry dazu würde anhören müssen. »Ja, sorry! Verpassen Sie meinetwegen nicht den Flug.«

Ich glaube, ihm wurde ebenfalls bewusst, wie lange unsere Hände sich berührt hatten. Er schob seine in die Tasche. »Bestimmt nicht. Obwohl es mehr Spaß macht, sich mit Ihnen zu unterhalten, als gleich im Flugzeug zu arbeiten.«

»Ich werde Ihnen nicht raten, nicht zu arbeiten, aber ich hoffe, Sie bekommen bald eine Pause.«

Er nahm seine Tasche vom Sitz neben ihm und hängte sie sich über die Schulter. »Bald. Nächste Woche mache ich einen kleinen Strandurlaub.«

»Davon müssen Sie mir erzählen, wenn wir uns zum Kaffee treffen.«

Er grinste erneut, und ein Grübchen erschien auf seiner Wange. »Unbedingt.« Er hielt inne und sah mich an. Ich machte eine scheuchende Handbewegung.

»Wir sehen uns in einigen Wochen.«

»Verlassen Sie sich drauf«, sagte er und lief los zu seinem Gate.

6. Kapitel

Bennett

»Bennett!«

Ich hörte Gia, aber nur auf diese bestimmte passive Art, die ich beherrschte. Ohne den Blick vom Bildschirm zu heben, winkte ich ihr. Etwas hatte den Felsen, der meine Kreativität blockiert hatte, weggerollt, sodass ich in den vergangenen zwei Wochen die erste Hälfte der Rohschrift wie im Flug niedergeschrieben hatte.

»Ben?« Gia stand jetzt hinter mir.

»Eine Minute«, sagte ich und hob die Hand. »Ich bin fast fertig.«

Rasch tippte ich den Schluss des Kapitels und überflog noch einmal die Worte auf dem Bildschirm. Nicht schlecht, dachte ich.

»Ooh! Scharf!«, sagte Gia, die mir über die Schulter blickte, und ich drückte auf Speichern und klappte den Laptop zu.

»Ich habe dir noch nicht die Erlaubnis erteilt, es zu lesen.«

Sie setzte sich in den Liegestuhl mir gegenüber. »Nun, ich verfüge über eine ausgezeichnete Sehkraft und habe in diesem Urlaub noch keine sexy Fremden kennengelernt, also bleiben mir nur deine geschriebenen Sexszenen.«

Ich gab einen Laut von mir, der ihr bedeutete, still zu sein, weil drei ältere Damen gerade vorbeigingen.

Ich war daran gewöhnt, dass Gia die Augen verdrehte, doch als die drei Frauen zu uns herüberschauten und sie winkte und ihnen etwas zurief, hätte ich mich am liebsten in den Ozean gestürzt.

»Mein bester Freund schreibt die besten Liebesromane, und die Liebesszenen sind perfekt!«

Mir war nicht peinlich, dass ich Liebesromane schrieb, doch die Kombination aus Gia, die lautstark den Wert meiner freizügigeren Schreibkünste anpries und Werbung für mich machte, indem sie Leuten am Strand etwas zurief, löste Unbehagen in mir aus.

»Oh, wie heißen Sie denn? Iris liest gern heiße Sachen«, erwiderte eine von ihnen und zeigte kichernd auf ihre Freundin, während sie zu uns herüberkamen. Normalerweise mochte ich es, Fans zu begegnen, und nach einem Moment des Überraschtseins, als sie erfuhren, dass D. A. Bennett keine Frau war, gefiel es ihnen für gewöhnlich auch. Aber normalerweise war ich dabei nicht halb bekleidet, ungeduscht und hatte eine Nonstop-Schreibphase hinter mir.

Gia führte die Unterhaltung für mich, da ich nicht antwortete. »D. A. Bennett, und er hat The Duchess Affair, To Loathe an Earl und die Serie The Scoundrels of Malificent Falls geschrieben.« Gia sprang auf. »Ich kann es Ihnen aufschreiben, wenn Sie wollen.«

Zwei der Frauen hatten ihre Handys gezückt. »Nicht nötig, ich kaufe die Bücher gleich. Sie sollten sie für Ihr gesamtes Marketing engagieren«, wandte die vordere Frau sich an mich, mein sehr lässiges Äußeres musternd.

»Ja, sollte ich wohl.«

»Ich habe mich immer gefragt …«, meinte ihre Freundin. »Also, ich dachte immer, Autoren von Liebesromanen erleben selbst diese aufregenden Liebesgeschichten. Trifft das auf Sie beide zu?«

Gia lachte, und zwar so unvermittelt und laut, dass ich eigentlich hätte beleidigt sein müssen. »Nein, absolut nicht«, versicherte sie ihnen, nach Luft schnappend.

»Wir sind Freunde«, meldete ich mich zu Wort und wandte den Blick ab von meiner Freundin, der jetzt Tränen übers Gesicht liefen. »So lächerlich ihr die Vorstellung einer Beziehung mit mir auch vorkommen mag. Ich bin Single.«

Die Frau tätschelte meine Hand. »Ich wette, Ihre Liebesgeschichte wartet schon irgendwo auf Sie.« Sie wedelte mit ihrem Handy. »Und danke für die Empfehlungen«, sagte sie zu Gia. »Eine gute scharfe Szene, und der Autor hat mich schon für sich eingenommen!« Die Frauen winkten und wanderten weiter über den Strand, während Gias Kichern nachließ.

»War das wirklich so lustig?«

»Ja«, sagte sie und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Nicht nur das mit uns, sondern dein Gesichtsausdruck.«

»Ich hatte keinen.«

»Und ob. Mit deinen zerzausten Haaren und deinem Schriftstellerblick war das eine Mischung aus blankem Horror und Verwirrtheit. Als hättest du vergessen, dass ich eine Frau bin oder dass du dich überhaupt zu Frauen hingezogen fühlst und es in der Realität tatsächlich auch Liebesgeschichten gibt.« Gia machte es sich wieder auf dem Liegestuhl bequem und hob ihr Glas Eistee an die Lippen, nachdem sie genug über mich gespottet hatte.

»Ich weiß nicht einmal, wovon du sprichst. Wie kannst du das alles in einem sekundenbruchteilkurzen Gesichtsausdruck erkennen?«

»Ich kenne dich eben. Oder willst du sagen, dass ich falschliege?« Sie wartete nicht auf meine Antwort, sondern zeigte auf den Laptop. »Hilft der Strand? Du hast kaum von deinem Computer aufgeschaut, seit wir hier sind. Schreibblockade überwunden?«

»Ich glaube schon.« Ich griff nach meinem Tee und fand drei verschiedene Becher und ein vergessenes Sandwich. Zum Glück sagte meine Freundin kein Wort, hob jedoch vielsagend eine Braue. »Die Ideen sprudelten nur so während meiner letzten beiden Geschäftsreisen.«

»Hast du eine sexy Kollegin aus der Risikobewertungsbranche kennengelernt, die dich auf Gedanken an die Liebe und aufregende Sachen in Kutschen gebracht hat?«

»Definitiv nicht. Fred in Kalifornien macht mich jedenfalls nicht an. Außerdem würde seine Reisekrankheit jegliche Aktivitäten in einer Kutsche weniger spaßig machen.« Nachdem ich der attraktiven Hundefriseurin erneut im Flughafen begegnet war, strömten die Ideen nur so. Während ich in Kalifornien Urlaub machte, musste ich ständig an sie denken. Ollie. Schon unser kurzes Gespräch sowie der Geruch von Hundeshampoo an meinem Jackett waren mir im Gedächtnis geblieben, und die Schreibblockade hatte sich gelöst. Als ich ihr das alberne Spielzeug geschenkt hatte, war die Blockade nur noch Erinnerung. Ollie war hübsch, auf die gleiche Weise, wie ich meine Charaktere beschrieb, mit großen ausdrucksstarken Augen und vollen Lippen, und sie war lustig. Hatte ich je so in meinem Kopf geplappert? »Das einzig Bemerkenswerte war, dass ich einen entflohenen Hund eingefangen und die Besitzerin eines Hundesalons im Flughafen kennengelernt habe.«

»Du hast im Flughafen einen entflohenen Hund eingefangen und eine Hundefriseurin kennengelernt?«

»Genau so war’s.« Ich lachte in mich hinein. »Niedlicher Hund.«

»Und niedliche Hundefriseurin?«

Atemberaubend. Ich stellte meinen Tee wieder hin, er war ohnehin kalt, und ich wusste gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal vom Computer aufgestanden und mir nachgeschenkt hatte. »Ihr Name ist Olivia.«

»Aha, du hast also die sexy Hundefriseurin kennengelernt. Wirst du sie anrufen?«

»Sexy habe ich nicht gesagt.«

»Dein blödes Grinsen lässt darauf schließen.«

Ich winkte lachend ab. »Natürlich werde ich sie nicht anrufen. Wir leben in verschiedenen Bundesstaaten und sind uns drei Mal für vielleicht fünf Minuten begegnet.«

»Drei Mal? Lange genug, um dich wieder zum Schreiben zu bringen.«

Wenn ich ehrlich wäre – und ich hatte nicht vor, es zu sein –, hatte ich mehr als einmal an sie gedacht. Ihr Lächeln war mir unvergesslich. Aber statt das zuzugeben, stand ich auf. »Du bist eine hoffnungslose Romantikerin.«

Gia lachte wieder. »Ich bin nicht die Romantikerin in dieser Freundschaft. Ich bin die, die flirtet.«

»Auch wieder wahr. Hast du vor, heute Abend einen strammen Burschen oder eine aufregende Frau mit in unsere Unterkunft zu bringen? Werde ich Ohrstöpsel brauchen?«

Gia hob die gekreuzten Finger. »Ich hoffe sehr, du wirst deine Noise-cancelling-Kopfhörer benötigen. Ich wette …« Sie verstummte, da ein Kätzchen auf der Terrasse erschien, ein kleines graues, schmutziges, miauendes Kätzchen. Es war nicht scheu, sondern lief direkt zu Gias Bein, als fühlte es sich hier ganz wie zu Hause. »Hallo«, begrüßte Gia das Tier und hielt ihm die Hand zum Schnuppern hin. »Hast du dich verlaufen?«

Das Tier sah nicht aus, als lebte es bei Menschen oder als kümmerte sich irgendwer um es. Es war mager, selbst für eine Katze, und es hatte etwas Schwarzes und Klebriges am Rücken. »Sieht aus wie ein Streuner«, sagte ich.

Gia suchte nach einem Halsband, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass die Katze ihre Besitzerin gefunden hatte. Gia behauptete zwar, nicht romantisch zu sein, aber es fiel ihr nicht schwer zu lieben. Ich war neidisch. Sie hatte eine Schwäche für streunende Tiere und streunende Menschen. Deshalb waren wir Freunde geworden – sie, eine beliebte, temperamentvolle Studentin, und ich, der stille, in sich gekehrte Junge, dem es schwerfiel, Freunde zu finden.

»Du kannst nicht noch mehr Tiere aufnehmen«, sagte ich. Sie hatte bereits zwei Katzen und eine Schildkröte zu Hause, außerdem ihren alten Hund, der während der letzten fünf Jahre stets ausgesehen hatte, als blieben ihm noch zehn Minuten. »Du wirst aus deiner Wohnung geworfen.«

Sie winkte ab. »Mein Vermieter liebt mich. Kannst du ihr etwas zu fressen holen?«

Ich lief ins Haus und fragte mich, warum mir in letzter Zeit so viele Tiere über den Weg liefen und wie Gia diese Katze wohl nennen würde. Durch das Auftauchen der Katze hatte sie aufgehört, mich zu triezen, aber ich dachte immer noch an Olivia. Ich konnte sie nicht einfach als Muse benutzen. Dann wäre ich ein mieser Kerl. Allerdings konnte ich auch nicht vergessen, dass sie der Auslöser für meinen Schreibflow war. Wenn ich ganz offen zu ihr wäre, würde sie es möglicherweise nicht seltsam finden. Ich grübelte darüber nach, wie ich diesen Vorschlag formulieren könnte. Hallo, möchten Sie Zeit mit mir verbringen, damit ich weiterhin Liebesromane schreiben kann? Ich verspreche, es wird nicht komisch werden. Ich verdrehte die Augen, während ich in der Küche hantierte. Eine solche Frage könnte ich niemals stellen. Die Vorstellung einer Muse war nicht real, doch allein an eine Unterhaltung mit Ollie zu denken, weckte in mir das Verlangen weiterzuschreiben.

Als ich mit Wasser und klein geschnittenem Fleisch vom Mittagessen aus der Küche kam, schienen Gia und die Katze bereits feste Freunde zu sein. Das Fellknäuel wirkte zwar immer noch scheu, strich aber um Gias Beine. »Hast du dir schon einen Namen überlegt?«

»Ich muss versuchen, die Besitzerin zu finden.«

Ich nickte. Natürlich würde sie das tun, aber ich wusste auch, dass die Katze mit uns im Flugzeug landen würde. Ich untersuchte die schwarze Substanz, die an ihrem Fell klebte. »Jemand sollte mal einen Blick darauf werfen.«

7. Kapitel

Ollie

»Oh, mein süßes Baby«, rief die Frau und breitete die Arme für Pepper aus. »War er denn heute ein perfekter kleiner Kunde?«

Hinten prustete Jess. Ich nahm die Kreditkarte der Frau entgegen. »Wie immer.«

Die Frau gurrte über Pepper. Wir sahen ihn ohne Ausnahme alle zwei Wochen, und ich wollte sie immer schon fragen, wohin sie denn alle zwei Wochen reiste, dass ihr Hund vorher gebadet werden musste. Ich vermutete eine Liebesbeziehung und war neugierig auf die Person, die Pepper bei einem Date dabeihaben wollte. Als die beiden den Laden verließen, stützte ich mich mit dem Ellbogen auf den Tresen und genoss die kurzzeitige Ruhe. Gate C7 war leer, und es gab keine Ankündigung eines ankommenden oder abgehenden Fluges.

»Du starrst zum Gate, als hätten wir Dienstag«, stellte Jess fest und wischte sich die Hände an ihrem Kittel ab.

Tatsächlich hatte ich gehofft, dass Bennett auftauchen würde. Bennett, der sich heldenhaft verhalten hatte, als Pepper durch das Terminal auf der Flucht gewesen war, und der mir ein Geschenk mitgebracht hatte. »Tue ich nicht«, sagte ich und schaute kurz zu der vorbeiziehenden Gruppe von Leuten, in der Hoffnung, ihn zu entdecken. Dabei hatte ich gar nicht mehr an unsere lockere Verabredung auf einen Kaffee gedacht. »Und selbst wenn, er ist eben ganz hübsch anzusehen.«

»Und hat eine tolle Stimme«, zitierte sie mich.

»Und er trägt einen schicken Anzug«, fügte ich seufzend hinzu. »Vielleicht taucht er gar nicht mehr auf.« Es passte irgendwie zu mir, einen süßen, witzigen Typen kennenzulernen, der nur auf der Durchreise war.

»Schade«, sagte sie. »Zu blöd, dass du einen solchen Mann nicht für Harrys Hochzeit finden kannst. Um deinem Ex, diesem Idioten, zu zeigen, was ihm entgangen ist.«

Harry und die Grandma von meinem Ex waren enge Freundinnen. Wir waren praktisch zusammen aufgewachsen. Die Wahrsch...

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