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Mit dir auf Düne sieben

Als Buch hier erhältlich:

Jette ist die Hochzeitsplanerin in St. Peter-Ording. Mit Begeisterung organisiert sie den perfekten schönsten Tag im Leben - für andere. Nachdem sie kurz vor ihrem eigenen Ja-Wort sitzengelassen wurde, hat sie für sich den Traum von einer Hochzeit in Weiß an den Nagel gehängt. Bis ihr Ex-Verlobter Klaas bei ihr auftaucht und Jette sich erneut Hoffnung auf ein Happy End auf Düne sieben macht. Doch er will ausgerechnet sie engagieren, um seine Trauung mit einer anderen zu planen.


  • Erscheinungstag: 24.05.2022
  • Seitenanzahl: 240
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365002360

Leseprobe

Für alle,
die an die große Liebe glauben.

Der Traum vom Fliegen

Die hohen Wellen zu reiten

Sich für immer zu lieben

Durch alle Gezeiten

Alles was groß ist, wirklich endlos ist

Braucht unser’n Mut

Und alles wird gut

Nur solange man tut

Sag ja – Sag ja – mit jedem Schritt

Sag ja – Sag ja – zu deinem Glück

Sag ja – ja – weil es dein Leben ist

Komm lass uns türmen

Allen Zweifeln entgegen

In jeden Sturm stürmen

Auf all unseren Wegen

Alles was groß ist, wirklich endlos ist

Braucht unser’n Mut

Und alles wird gut

Nur solange man tut

Songtext: Sag ja von Samuel Anthes

Zwei Jahre zuvor

»Du siehst wirklich wunderhübsch aus«, sagte Gabi begeistert, trat einen Schritt zurück, um mich besser betrachten zu können. Sie lächelte mich an, und ich glaubte, es trotz meiner Kurzsichtigkeit in ihren Augenwinkeln verdächtig schimmern zu sehen. Dann blinzelte sie schnell ein paarmal hintereinander, pustete sich eine Ponyfranse aus dem Gesicht, seufzte kurz auf und fuhr fort, mein Haar mit einem Glätteisen zu bearbeiten.

Ich setzte meine Brille auf, blickte in den Spiegel und versuchte zum einen, den Grund ihrer Begeisterung, und zum anderen, den für ihr Seufzen zu entdecken, was mich ehrlich gesagt mehr beunruhigte. Vor allem heute, am schönsten Tag meines Lebens – das sollte er zumindest werden. Selbst das Datum hatten Gabi und ich nicht dem Zufall überlassen, wenngleich es für Klaas nicht so wichtig war, wann das Fest stattfand, er beschäftigte sich eher mit den Kosten, die für mich wiederum nicht im Vordergrund standen. Für mich war von Anfang an klar gewesen, es musste ein Tag im Wonnemonat Mai sein. Ein Tag, an dem es möglichst wenig oder noch besser gar keinen Regen in den letzten Jahren gegeben hatte. Immerhin wollten wir draußen feiern und nicht im Friesennerz und gelben Gummistiefeln durch Regenpfützen waten. Doch es erwies sich als gar nicht so leicht, herauszubekommen, wie es um die Niederschläge der letzten Jahre bestellt gewesen war. So kam es, dass Gabi und ich schließlich ein eigens kreiertes Wetterorakel entscheiden ließen und ich einen der Zettel zog, auf denen sich die Zahlen von 1 bis 31 befanden. Ich zog die 14, und somit stand fest, dass die große Sause am 14. Mai steigen würde. Wir hatten Glück, dass wir für den Tag einen Termin beim Standesamt in Eiderstedt bekommen hatten. Wir ließen unsere Beziehungen spielen. Otto Normalverbraucher musste nämlich standesamtliche Hochzeiten mindestens ein Jahr im Voraus terminlich reservieren. Was das Wetter anbelangte, war dieser Tag bis jetzt ein Volltreffer gewesen. Angenehme Temperaturen, ein laues Lüftchen und ein nahezu blauer Himmel gaben unserem selbst erfundenen Wetterorakel recht und versprachen, dass es tatsächlich der schönste Tag meines Lebens werden würde.

Den Auslöser von Gabis Seufzer hatte ich binnen Sekunden ausgemacht. Ich griff zu einer Puderdose und überdeckte mit einer Quaste notdürftig die rötlichen Hektikflecken, die auf meinem Gesicht großflächig erschienen waren. Vorsichtshalber puderte ich auch gleich meinen Hals und das Dekolleté ab. Schließlich konnte man nie wissen, bis wohin sich die unliebsamen Flatschen noch ausbreiten würden. Besonders dann, wenn sich mein Lampenfieber noch weiter steigern sollte. Dabei musste ich nur ein einziges Wort sagen. Ja. Mehr nicht. Ich stellte die Puderdose wieder auf den Tisch zurück und blickte erneut in den Spiegel. Sah schon besser aus, fand ich. Mein Blick blieb an der geöffneten Terrassentür im Spiegel hängen, durch die warme Sonnenstrahlen fielen. Eine Brise Seeluft wehte herein, die die hellen Vorhänge wie Segel eines Schiffs aufbauschte. Ich merkte, wie ich mich allmählich etwas entspannte und schaute wieder durch die offene Tür hinaus, die den Blick auf den idyllischen Garten meiner Eltern freigab, in dem Blumen und Sträucher in voller Blüte standen und sich leicht im Nordseewind hin und her wiegten. Meine Mutter war nicht nur eine passionierte Gärtnerin, sondern eine ebenso leidenschaftliche Anhängerin von Rosamunde Pilcher und hatte das Areal mit allerhand Magnolien und Rhododendren sowie einem kleinen Gartenhäuschen mit großen gläsernen Türen und Sprossenfenstern in ihr persönliches Stück Cornwall verwandelt. Der einzige Unterschied bestand lediglich darin, dass wir uns nicht auf der Halbinsel Cornwall in England befanden, sondern auf der Halbinsel Eiderstedt. Mitten in Schleswig-Holstein, an der nordfriesischen Küste von Deutschland. Doch das konnte man fast vergessen, wenn man nicht genauer hinschaute und hinter dem Gartenzaun nicht auf den mit Gras bedeckten Deich achtete, auf dem einige Schafe seelenruhig Grashalme ausrupften und verspeisten. Hinter dem Wall verborgen erstreckten sich Salzwiesen, an denen ich mich wohl nie sattsehen werden würde, obwohl ich keine Touristin war, die ihren Jahresurlaub in St. Peter-Ording verbrachte oder extra zum Heiraten hierherkam. Ich verbrachte schon mein ganzes Leben in St. Peter-Ording und konnte deswegen diesen Anblick jeden Tag aufs Neue genießen. Salzwiesen gab es meines Wissens in Cornwall nicht. Und falls doch, dann hatte Rosamunde Pilcher bisher vergessen, sie zu erwähnen.

»Wusstest du eigentlich, dass die durchschnittliche deutsche Ehe ungefähr 15 Jahre dauert, Henrijette?«, erklang Tante Gertruds Reibeisenstimme, die von einem übermäßigen Zigarettenkonsum herrührte, und riss mich aus meinen Gedanken. Mein Blick glitt zur linken Spiegelhälfte. Die entfernte Cousine meiner Mutter saß leicht gekrümmt auf einem Hocker, der an der Wand stand, und nippte missmutig an einer Kaffeetasse mit Blümchen-Dekor. Auf dem Kopf trug sie einen blauen Hut, den blau-grüne Federn zierten. Das sollte vermutlich festlich aussehen, doch mich erinnerte es unwillkürlich an eine Vogelscheuche. Kupferrote Locken umrahmten ihr Gesicht, und auf der Nasenspitze saß eine in Gold eingefasste Brille mit schmalen Gläsern. Sie starrte wie immer sauertöpfisch drein und ließ dabei ihre Mundwinkel derartig hängen, als gelte es, dafür einen Wettbewerb zu gewinnen.

Gabi bekam, ob Tante Gertruds Frage, spontan einen nervösen Hustenanfall. »Entschuldigung, ich muss mal dringend einen Schluck Wasser trinken«, krächzte sie, legte das Glätteisen auf den Tisch ab und verschwand in Richtung Küche.

Ich beobachtete meine Tante weiterhin durch den Spiegel. Sie zupfte sich seelenruhig eine Fluse von ihrem knielangen marineblauen Rock, der vermutlich vor 30 Jahren topmodisch gewesen war. Abgesehen davon, dass mich niemand Henrijette nannte, außer Tante Gertrud natürlich, fand sie wie immer in jeder Lebenslage die passenden Worte, um entweder zuverlässig eine Familienfeier zu ruinieren oder einen Eklat in der Nachbarschaft anzuzetteln. Darauf war stets Verlass. Und so war es – wie sollte es auch anders sein – leider auch heute. Denn welche Braut wünschte es sich nicht, knapp zwei Stunden vor der eigenen standesamtlichen Trauung mit der aktuellen Scheidungsstatistik in Deutschland konfrontiert zu werden?

»Ist das so?«, fragte ich betont unbeeindruckt zurück und versuchte mir unter keinen Umständen anmerken zu lassen, dass Tante Gertruds Bemerkung wie ein Stachel in meiner Brust steckte.

»Ja«, bestätigte sie mit weiterhin hängenden Mundwinkeln und nickte dabei wichtig. Dann richtete sie eine mit bunten Strasssteinen verzierte Brosche, die sie am Revers ihrer Jacke befestigt hatte, und stellte die Kaffeetasse neben dem Stuhl auf dem Boden ab.

Dazu muss angemerkt werden, dass Tante Gertrud bisher fünfmal verheiratet gewesen war. Wen wunderte es also, dass sie genau wusste, wie lange eine Ehe dauerte. Doch meine Tante war bislang nie in die Verlegenheit gekommen, sich von einem ihrer Ehemänner tatsächlich scheiden zu lassen. Tante Gertrud hatte sich strikt an den Leitspruch »Bis dass der Tod uns scheidet« gehalten und alle ihre Ehemänner unter die Erde gebracht – noch bevor einer von ihnen überhaupt an eine Scheidung denken konnte. Ein bisschen merkwürdig war es schon, dass sie so viele Ehemänner überlebt hatte. Und Glück hatte sie auch gehabt, denn sie war bei jedem Todesfall als Haupterbin des jeweiligen Mannes eingesetzt worden. Und da alle gut betucht gewesen waren, hatte sie enorm profitiert. Tante Gertrud war durch deren Ableben ein sorgenfreies Leben beschert worden. Abgesehen von der beeindruckenden Krimisammlung in ihrer heimischen Bibliothek und der auffallend engen Freundschaft mit Petter Grube, dem Inhaber des Bestattungsunternehmens Grube, war sie jedoch stets völlig unverdächtig geblieben.

Wie dem auch sei, für sie schien der Gedanke an eine Hochzeit unweigerlich mit dem einer Trennung oder dem baldigen Ableben des Angetrauten verbunden zu sein. Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr Mitleid empfand ich für Tante Gertrud. Wie schade war es doch, dass eines der schönsten Feste im Leben solch traurige Gedanken bei ihr auslösten. Für mich hingegen war die eigene Eheschließung ein Ereignis, auf das ich mich schon als kleines Mädchen gefreut und das bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt hatte. Im Gegenteil. Im Laufe der Zeit war ich zu einem richtigen Hochzeitsjunkie geworden. Ich liebte Hochzeiten und ließ kein Ja-Wort im Freundes- und Bekanntenkreis aus, zu dem ich eingeladen wurde. Schließlich organisierte ich den Junggesellinnenabschied und die Vermählung meiner Schwester, die nicht nur ein voller Erfolg wurden, sondern mich auch dazu brachten, aus meinem Hobby einen Beruf zu machen und meine eigene Hochzeitsagentur in St. Peter-Ording zu eröffnen. Praktischerweise hatte sich mein Heimatort in den letzten Jahren zu einem richtigen Mekka für Heiratswillige entwickelt, sodass mich gleich von Anfang an genügend Paare als Hochzeitsplanerin beauftragten. Irgendwann war dann Gabi in St. Peter-Ording aufgetaucht und hatte ebenfalls eine Hochzeitsagentur eröffnet. Was anfänglich nach einer unliebsamen Konkurrenzsituation ausgesehen hatte, entwickelte sich letztendlich zu einem puren Glücksfall. Gabi und ich waren von Anfang an auf einer Wellenlänge gewesen. Sie liebte Hochzeiten ebenso sehr wie ich, war hoffnungslos romantisch und glaubte trotz drei Scheidungen weiterhin an die große Liebe – und hatte vermutlich keinen blassen Schimmer von der aktuellen Scheidungsrate. Ich alleine hätte nie die Hochzeitsanfragen bewältigen können, die stetig mehr geworden waren. Schnell teilten Gabi und ich uns die Organisation von Eheschließungen in und um St. Peter-Ording und boten von der klassischen kirchlichen Trauung bis zur Hochzeit am Strand alles an. Wir kamen uns mit den Aufträgen nicht in die Quere, sondern unterstützten uns gegenseitig. Es war die perfekte Symbiose.

»Es besteht ja auch die Chance, dass Klaas und ich es länger miteinander aushalten. Zumal wir uns an den Grundsatz ›Drum prüfe, wer sich ewig bindet‹ gehalten haben«, versuchte ich Tante Gertruds missmutiger Bemerkung etwas entgegenzusetzen. »Immerhin bin ich nun 34 Jahre alt und kenne Klaas schon seit der Grundschule«, fügte ich hinzu und hoffte damit endgültig, ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen.

»Das heißt gar nichts«, kam es jedoch unter dem Federhut wie aus der Pistole geschossen.

Ich schnappte nach Luft. Das durfte doch nicht wahr sein! Taktgefühl gehörte zwar bekanntermaßen nicht zu Tante Gertruds Stärken, doch merkte ich, wie sehr mich ihre Aussage traf. Ich atmete tief durch und zählte in Gedanken langsam bis zehn. Irgendwo hatte ich gelesen, dass diese Strategie hilfreich war, wenn man seinem Gegenüber vor lauter Wut am liebsten wüste Beschimpfungen an den Kopf werfen wollte. Ich hingegen wollte die Ruhe bewahren. Denn erstens machte es die Situation nicht besser, sich in den eigenen Ärger hineinzusteigern, und zweitens schadete man nur seiner Gesundheit, wenn man negative Gedanken wie einen Schwamm in sich aufsog. Deswegen setzte ich mich gerade hin, hob mein Kinn und erwiderte mit einem strahlenden Lächeln: »Dann werde ich mir eben besonders viel Mühe geben, damit diese Ehe hält.«

»Ich wollte dich nur vorgewarnt haben«, antwortete Tante Gertrud in einem leicht pikierten Tonfall und steckte sich eine Zigarette an, die sie zuvor samt Feuerzeug aus ihrer ledernen Handtasche zutage gefördert hatte. Sie inhalierte tief und blies den Rauch Richtung Terrassentür. »Du wirst noch an meine Worte denken, Henrijette«, verkündete sie unheilvoll, und ich bildete mir ein, dass der Zigarettenqualm sich wie eine dunkle Wolke über ihrem Kopf zusammenbraute.

Glücklicherweise betraten in diesem Moment Gabi und meine Mutter das Zimmer und unterbrachen so die unliebsame Unterhaltung. »Du siehst ja wirklich hinreißend aus«, rief meine Mutter mindestens genauso entzückt wie vorhin Gabi. Das war Balsam für meine Seele, nach Tante Gertruds Prophezeiungen. »Das Make-up ist super. Nicht zu wenig, nicht zu viel. Schön natürlich.« In ihren Händen trug sie eine Vase mit einem bunten Blumenstrauß, den sie mir nun präsentierte. »Schau mal, ist der Brautstrauß nicht wunderschön geworden?«

»Wirklich wunderhübsch. Fast wie gemalt.« Ich nickte und bewunderte das kunstvoll zusammengestellte Blumengebinde aus Maiglöckchen, Christrosen und Anemonen.

»Passend zum Anlass und zur Jahreszeit. Ein echter Frühlingstraum«, sagte Gabi und griff wieder zum Glätteisen, um meine schulterlangen blonden Haare zu bearbeiten. »Deine Haare sind fast fertig. Nur noch ein paar Strähnen.«

Meine Mutter nahm sich ebenfalls einen Stuhl und setzte sich neben mich. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass du in zwei Stunden schon unter der Haube sein wirst und aus Jette Menken eine Jette Dierksen wird.«

»Jetzt fang aber nicht an zu weinen, Mama«, sagte ich in einem mahnenden Ton, wohlweislich, dass ich dann unter Garantie mitweinen müsste. Das würde das vorzeitige Ende für mein Hochzeits-Make-up bedeuten, bevor die Zeremonie im Westerhever Leuchtturm überhaupt angefangen hatte.

»Nein, nein, keine Sorge. Ich werde nicht weinen. Jedenfalls jetzt noch nicht«, antwortete meine Mutter, wobei sie sich merklich zusammenriss. »Ich frage mich nur, wo die Zeit geblieben ist? Es ist doch noch gar nicht so lange her, da warst du noch mein kleines Mädchen und hast Fahrradfahren ohne Stützräder geübt.« Sie drehte sich zu meiner Tante um, die immer noch Rauchschwaden in Richtung Terrassentür blies. »Ist doch so, oder Gertrud?«

Tante Gertrud zuckte jedoch bloß mit den Schultern. »Dürfte mittlerweile über 30 Jahre her sein. Müsste die Zeit gewesen sein, als ich mit Willi verheiratet gewesen war«, versuchte sie den Zeitpunkt näher einzugrenzen.

»Stimmt. Und jetzt heiratet mein großes Mädchen«, sagte meine Mutter in einem feierlichen Ton und tätschelte mir sentimental die Schulter.

Ich konnte im Spiegel sehen, wie Tante Gertrud bei so viel Sentimentalität die Augen verdrehte und hoffte, dass meine Mutter davon nichts mitbekam.

»Wenn Klaas dich jetzt so sehen könnte …«, sagte sie.

»Bloß nicht, Mama!«, protestierte ich. »Deswegen habe ich heute doch extra bei euch übernachtet, damit er mich eben nicht vor der Trauung sieht, sondern erst am Leuchtturm. Du weißt doch, dass das sonst Unglück bringt.« Und sich dann Tante Gertruds Ehestatistik bewahrheiten würde, fügte ich in Gedanken hinzu.

»Ach, was«, winkte meine Mutter ab. »Alles nur überbewerteter Aberglaube, wenn du mich fragst. Dein Vater und ich haben uns auch vor der Hochzeit gesehen. Sogar in einem Zimmer geschlafen. Ich habe ihm eigenhändig die Krawatte gebunden, bevor wir zum Standesamt gefahren sind. Und was ist passiert? Nichts! Wir sind seit über 35 Jahren verheiratet. Und das glücklich.« Jetzt schaute meine Mutter im Spiegel zu Tante Gertrud. Ob sie wohl die Eheprognosen meiner Tante kannte?

»Und Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel«, meinte Gabi und zog den Stecker vom Glätteisen aus der Steckdose. Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete das Endergebnis. »Fertig.«

Meine Mutter klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Toll siehst du aus.«

»Dann kann es ja losgehen«, stellte Gabi zufrieden fest und richtete noch ein paar meiner Strähnen.

»Was gibt es denn eigentlich zum Mittagessen, Ilka?«, wollte Tante Gertrud von meiner Mutter wissen und ließ sich von ihr die Menüabfolge vorlesen, die sie mit einem anerkennenden Lächeln bedachte.

Ich hatte mich insgeheim die ganze Zeit schon gefragt, was Tante Gertrud eigentlich dazu bewogen hatte, überhaupt am heutigen Tag zu erscheinen. Außer, dass sie wie bei jeder Familienfeier Unruhe stiften und eine Arie singen wollte, bei der die Töne schiefer als der schiefe Turm von Pisa waren. Nun hatte ich eine leise Ahnung. Wegen der Eheschließung war sie offensichtlich nicht gekommen. Aber wegen des Essens. Immerhin etwas.

Vor dem friesischen Backsteinhaus wartete bereits das bestellte Großraumtaxi. Meine Eltern, Gabi, Tante Gertrud und ich fuhren zum Westerhever Leuchtturm. Jedenfalls fast. Genaugenommen bis zu der Stelle, an der es nicht mehr weiterging. Dort erwarteten uns bereits meine Schwester mit ihrem Mann sowie eine gemietete Pferdekutsche, die uns in einem gemächlichen Tempo durch die Wiesen bis zum Leuchtturm brachte, wo wir mit Klaas und seiner Familie verabredet waren. Während der Fahrt wehte uns eine frische Nordseebrise um die Nase. Die Luft roch nach Salz, und über uns flogen Möwen, die sich vom Wind tragen ließen und uns mit ihrem lautstarken Gekreische begleiteten.

»Wir scheinen die Ersten zu sein«, stellte mein Vater fest, als wir aus der Kutsche gestiegen und zum Eingang des Leuchtturms gegangen waren. Von Klaas und seiner Familie war weit und breit nichts zu sehen.

»Und ich dachte schon, ich würde zu meiner eigenen Hochzeit zu spät kommen. So langsam, wie wir mit der Kutsche unterwegs waren«, merkte ich an und klemmte mir eine Haarsträhne hinter das Ohr, die sich durch den Wind gelöst hatte. Vermutlich waren Gabis Bemühungen längst dahin, und meine Haare sahen aus wie ein Storchennest bei Windstärke zehn.

»Die ist doch allzeit gemütlich unterwegs«, meinte Gabi, die wie immer die Ruhe weg hatte – was eine nicht zu unterschätzende Charaktereigenschaft für eine Hochzeitsplanerin war, wenn es darum ging, selbst im größten Chaos einen Überblick zu behalten und einen gelassenen Eindruck zu machen.

Meine Mutter schaute auf ihre Armbanduhr. »Schon nach zwölf. Eigentlich müssten sie längst hier sein.« Sie schirmte ihre Augen mit der Hand von der Sonne ab und blickte über die Salzwiesen, um nach Klaas und seiner Familie Ausschau zu halten.

Ich spürte, wie ich langsam unruhig wurde und Lampenfieber bekam. Sobald die Kutsche mit Klaas und seinen Angehörigen am Horizont auftauchen würde, würde es nicht mehr lange dauern, bis wir in dem Trauungsraum standen und ich meine große Liebe heiraten würde. Mich für immer und ewig zu ihm bekennen würde. Bis dass der Tod uns schied. Aus Henrijette Menken würde Henrijette Dierksen werden. Nicht, dass ich das nicht wollte. Ich wollte es unbedingt. Mehr als alles andere auf dieser Welt. Doch fühlte ich eine Aufregung in mir aufsteigen wie noch nie zuvor in meinem Leben. Allmählich konnte ich die Reaktionen von einigen Paaren nachvollziehen, für die ich ihre Hochzeit organisiert hatte. Spontan fiel mir eine Braut ein, die sich während des Ja-Wortes übergeben hatte. Ich schüttelte den Kopf und versuchte, die Erinnerung an dieses Ereignis zu vertreiben. Nein, das wollte ich bestimmt nicht nachahmen.

»Ganz ruhig. Sie kommen bestimmt gleich«, sagte meine Schwester und strich mir beruhigend über den Arm, als ob sie meine Gedanken lesen konnte. Vermutlich konnte sie das sogar. Schließlich hatte sie auch schon eine Hochzeit hinter sich und vielleicht genau das Gleiche durchgemacht.

»Und was mache ich, wenn ich vor Aufregung einen totalen Blackout habe?«, wisperte ich ihr zu, und meine Hand krallte sich um die Stängel meines Blumenstraußes.

Meine Schwester lächelte mich an, nahm meine freie Hand und drückte sie. »Sag Ja. Mehr musst du nicht tun. Sag einfach Ja.«

Als nach einer Viertelstunde immer noch keine Pferdekutsche mit Klaas und seiner Familie in Sicht war, machte sich langsam auch Unruhe bei dem Rest meiner Familie breit. Besonders bei meiner Mutter, die nun im Sekundentakt auf ihre Armbanduhr schaute und unverständliche Dinge vor sich hin murmelte. Selbst Gabi wippte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Die Einzige, die scheinbar völlig gelassen blieb, war Tante Gertrud. Sie saß rauchend wie ein Schlot auf einer Bank vor dem Leuchtturm, hatte die Augen halb geschlossen und genoss offensichtlich die Sonnenstrahlen. An ihr schien die allgemein aufkommende Ungeduld komplett abzuprallen.

Mein Vater beförderte sein Handy aus der Hosentasche seines Anzugs, den er extra für den heutigen Tag hatte anfertigen lassen. »Ich rufe mal eben bei Klaas an und frage, wo sie bleiben.« Er drückte auf eine Taste und hielt sich das Mobiltelefon ans Ohr. Dann zog er die Stirn in Falten und schaute auf das Display. »War ja klar. Kein Empfang«, sagte er missmutig und steckte das Telefon wieder ein.

»Die werden doch die Trauung nicht vergessen haben, oder?«, fragte meine Mutter nervös.

»Ach was! Das glaube ich nicht. So was ist mir bei sämtlichen Hochzeiten, die ich bis jetzt organisiert habe, noch nie passiert«, entgegnete Gabi überzeugend. »Vermutlich hat der Bräutigam sich eher vor Aufregung Kaffee aufs weiße Hemd gegossen, und deswegen verzögert sich seine Ankunft«, sagte sie beschwichtigend in die Runde. »Ich bin mir sicher, es gibt eine ganz einfache Erklärung für die Verspätung.«

Hinter uns wurde die Tür vom Leuchtturm geöffnet. Ein frisch vermähltes Paar trat mit seiner Hochzeitsgesellschaft heraus. Es wurden Fotos gemacht und Glückwünsche ausgesprochen, bevor das Hochzeitspaar ebenfalls in eine Pferdekutsche einstieg.

»Da vorne kommt eine Kutsche«, rief meine Mutter und zeigte in die Ferne.

»Na also. Doch nicht vergessen«, stellte Gabi zufrieden fest. »Dann können wir uns ja jetzt alle endlich auf die standesamtliche Trauung freuen.«

Wir schauten dem Pferdewagen am Horizont erwartungsvoll entgegen, der sich gemächlich näherte, aber erst auf halber Höhe war, als die Tür des Leuchtturms abermals geöffnet wurde und Edda Müller erschien, die Standesbeamtin, die mich und Klaas trauen sollte. »Jette, kommst du mal bitte?« Sie winkte mich zu sich herüber, und mir fiel sofort auf, dass irgendetwas nicht stimmte. Der bekümmerte Blick, mit dem sie mich ansah, erinnerte mich eher an die Beerdigungen von Tante Gertruds Ehemännern als an eine feierliche Eheschließung.

»Ja?«, fragte ich und legte den Kopf schief, als ich vor ihr stand.

»Klaas und seine Familie sind noch nicht da. Kannst du uns noch etwas Zeit einräumen?«, fragte meine Mutter, die mir zu der Standesbeamtin gefolgt war, bevor diese überhaupt etwas sagen konnte.

Edda Müller blickte kurz zu Boden und schüttelte dann den Kopf. »Ich weiß gar nicht, wie ich es dir beibringen soll.«

»Was denn?«, fragte ich und spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass im nächsten Moment eine Bombe hochgehen und danach nichts mehr so sein würde wie zuvor.

»Ich kann meinen Schwiegersohn nicht erreichen. Kein Handyempfang.« Mein Vater kam zu uns und zeigte wie zum Beweis auf sein Handy, auf dessen Display immer noch kein Empfang angezeigt wurde.

»Das ist nicht nötig. Ihr Schwiegersohn hat sich gerade auf dem Festnetz des Leuchtturms gemeldet, da er Sie nämlich auch nicht erreichen konnte«, erklärte Edda Müller.

»Oje. Ist was passiert?«, fragte ich besorgt. »Was hat er gesagt?«

»Können wir uns bitte kurz auf die Bank setzen?«, bat die Standesbeamtin und deutete in Richtung von Tante Gertrud, neben der ich Platz nahm.

Edda Müller setzte sich neben mich. Meine Eltern, Gabi, meine Schwester und ihr Mann stellten sich vor die Bank, um zu hören, was die Standesbeamtin mir mitzuteilen hatte. Selbst Tante Gertrud drehte uns nun interessiert ihren Kopf zu. »Klaas hat gerade angerufen«, wiederholte Edda Müller das, was wir schon wussten.

»Ja, das sagtest du ja bereits. Verspätet er sich? Kann die Hochzeit dann trotzdem heute noch stattfinden? Oder ist nach uns direkt ein anderes Brautpaar dran? Wie lange müssen wir auf einen neuen Termin warten, wenn er es nicht mehr pünktlich schafft?«, fragte ich ohne Punkt und Komma. Ich wollte Eddas Antwort hinauszögern, weil ich mittlerweile fühlen konnte, dass das, was sie mir sagen würde, nicht zu der Vorstellung von meinem schönsten Tag im Leben passte.

Edda Müller faltete ihre Hände auf dem Schoß und seufzte. »Das ist es nicht.«

»Also doch ein Unfall?«, mutmaßte meine Mutter.

»Gott bewahre, nein!« Die Standesbeamtin schüttelte nun heftig den Kopf. Es fiel ihr sichtlich schwer, die passenden Worte zu finden.

»Es wird keine Hochzeit geben«, erklang plötzlich Tante Gertruds abgeklärte Stimme.

Wir blickten sie entsetzt an.

»Gertrud! Also, das schlägt dem Fass jetzt wirklich den Boden aus!«, protestierte meine Mutter energisch.

»Ganz ruhig.« Edda Müller machte eine beschwichtigende Handbewegung und räusperte sich dann umständlich. »Es tut mir leid, das zu sagen, aber es stimmt leider. Klaas hat in der Tat die Hochzeit abgesagt.«

»Nein!«, riefen meine Eltern entsetzt.

»Das darf doch nicht wahr sein.« Gabi stemmte ihre Hände in die Hüften.

Und meiner Schwester und ihrem Mann hatte es spontan gänzlich die Sprache verschlagen.

Mir fiel der Hochzeitsstrauß aus den Händen. Ich starrte Edda Müller nur fassungslos an, unfähig zu einer Reaktion. Klaas hatte die Hochzeit abgesagt? Nein, es konnte entweder nur ein Riesenmissverständnis vorliegen oder ich hatte mich schlichtweg verhört. Ich schluckte. »Bitte?«, fragte ich fast tonlos und mit zitternder Stimme. »Er hat die Hochzeit abgesagt?«

Edda Müller kniff die Lippen zusammen und legte mir tröstend eine Hand auf die Schulter. Ich spürte, wie Übelkeit in mir aufstieg und mir gleichzeitig heiß und kalt wurde. Ich krallte mich mit den Händen an der Bank fest, um irgendwo etwas Halt zu finden. Die Pferdekutsche war nun fast am Leuchtturm angekommen. Außer dem Kutscher, der vorne auf seinem Bock saß, befanden sich keine Fahrgäste in ihr.

Wir schwiegen, standen alle unter Schock. Keiner wusste, was er sagen sollte. Tante Gertrud kramte in ihrer Handtasche und beförderte einen kleinen Flachmann aus Edelstahl heraus. Sie schraubte den Deckel ab und trank einen ordentlichen Schluck, wobei sie ihren Kopf kurz in den Nacken legte. Dann hielt sie mir stumm die Flasche entgegen. Unsere Blicke trafen sich. Sie nickte mir zu, und in dem Moment wusste ich, dass sie mich verstand. Ich nahm den Flachmann und trank ebenfalls einen großen Schluck.

»Wer will schon Dierksen mit Nachnamen heißen? Der Name hat mir noch nie gefallen«, stellte Tante Gertrud fest und steckte sich dann eine neue Zigarette an.

1. Kapitel

»Und man erkennt mich auch wirklich nicht?«, fragte er mich zum x-ten Mal.

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