×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Montana Dreams - So tief wie die Sehnsucht«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Montana Dreams - So tief wie die Sehnsucht« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Montana Dreams - So tief wie die Sehnsucht

Als Buch hier erhältlich:

Es war ein Kuss gewesen - ein Kuss, den Colt niemals vergessen würde. Und doch war es der falsche Zeitpunkt. Ausgerechnet jetzt hat Luna einen Job angeboten bekommen, der sie aus Montana wegführen wird, weg von ihm. Und dann plötzlich wendet sich das Blatt ohne Vorwarnung: Luna macht eine Erbschaft, die ihr großes Glück bereithalten könnte, ihr andererseits aber auch Feinde gegenüberstellt, mit denen sie nicht gerechnet hat. Colt weiß, niemals hat Luna ihn mehr gebraucht als jetzt, und nichts wird ihn davon abhalten, ihr zur Seite zu stehen.

"Sexy, mitreißend und mit wahnsinnig hohem Suchtpotenzial" Cynthia Eden, New York Times-Bestsellerautorin


  • Erscheinungstag: 05.02.2018
  • Aus der Serie: Montana Dreams
  • Bandnummer: 4
  • Seitenanzahl: 384
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955767419
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Letztendlich können wir nur darauf hoffen, dass wir bei den Menschen, die uns am meisten bedeuten, Spuren hinterlassen haben. Dass wir sie so innig geliebt haben, dass ein Teil von uns für immer ein Teil von ihnen sein wird.

1. Kapitel

Wayne presste eine Hand gegen sein schwaches Herz. Adrenalin und Angst erfüllten ihn. Er hatte nicht mehr lange.

Nach außen gab er sich so, als wäre er bereit, aber in seinem tiefsten Innern wollte er noch mehr Zeit. Die Chance, alles besser zu machen. Zeit, seine Söhne verheiratet und mit ihren eigenen Familien zu sehen. Er wäre so gern Großvater geworden, für ein kleines, süßes Mädchen oder einen wilden Burschen.

Die Haustür knallte zu, so wie sie es immer tat, wenn seine Jungs kamen oder gingen. Es erinnerte ihn daran, wie sie früher hineinstürmten, um etwas zu essen, oder herausrannten, um draußen zu spielen. Vieles hatte sich seither verändert, Erinnerungen verschwammen. Jetzt, am Ende, erinnerte er sich vor allem an die einfachen Dinge, und genau diese liebte er.

Zufrieden blickte er zurück, auf das, was er erreicht hatte, auf die kleinen und großen Freuden und die Liebe zu den Menschen, die ihm am meisten bedeuteten.

Doch es gab auch Dinge, die er bedauerte, von denen er wünschte, sie wären anders gelaufen. Unerfülltes, das an ihm nagte.

»Dad.«

Die Kinder hatte er spät bekommen. Hätte er früher angefangen, wäre er womöglich nicht so nachgiebig, sondern strenger gewesen. Vielleicht wären aus Simon und seinem Bruder Josh nicht die verwöhnten, egoistischen Männer geworden, die sie heute waren. Er hatte ihnen immer alles geben wollen, hatte ihnen aber damit nur beigebracht, alles zu erwarten, ohne dafür arbeiten zu müssen.

»Ich bin hier.« Wayne schnappte sich seinen Cowboyhut vom Schreibtisch. Er hatte ein Date mit seinem Mädchen und wollte nicht zu spät kommen. Mit zweiundsiebzig Jahren und einem schwachen Herzen hatte er keine Zeit mehr zu verschwenden. Er setzte sich seinen Lieblingshut auf und drehte sich zu seinen geliebten – und ja, manchmal nervigen und enttäuschenden – Söhnen um.

»Es ist schon spät. Wo willst du hin?« Simon stellte sich in die Tür, gegen den Türrahmen gelehnt.

Direkt vor ihm stand Josh, die Lippen grimmig aufeinandergepresst. Manchmal fragte sich Wayne, ob der Junge schon so geboren wurde. »Lass mich raten, ein Date mit dieser Kellnerin. Die ganze Stadt lacht hinter eurem Rücken darüber, weißt du das?«

Das verächtliche Augenrollen seines Sohnes gefiel Wayne nicht. »Es ist mir ziemlich egal, was irgendwelche Leute denken. Ihr eingeschlossen. Was ich mache und wieso, geht euch nichts an.«

»Aber die Ranch geht uns etwas an. Wir müssen reden.« Josh kam einen Schritt näher, die Hände in den Taschen vergraben. Mit dieser scheinbar entspannten Haltung konnte er Wayne nichts vormachen. Aus dem Jungen, der einst gern seinen Willen durchgesetzt hatte, war ein Mann geworden, der andere manipulierte.

»Die Ranch gehört mir. Seit eurer Geburt habt ihr euch so gut wie gar nicht dafür interessiert.«

Simon sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Dinge ändern sich. Denkst du etwa, uns fällt nicht auf, wie du dich verändert hast?«

Wayne nickte, langsam dämmerte ihm, worum es hier ging. »Ihr wolltet über euer Erbe sprechen.«

Simons Blick wurde etwas sanfter. »Dad, was hat der Arzt gesagt?«

»Nichts, was ich nicht sowieso schon wusste. Keine Sorge, ich habe meine Angelegenheiten geregelt. Für die Beerdigung ist alles vorbereitet. Und die Ranch wird auch ohne mich weiterlaufen.«

»Wir übernehmen das Ruder, wenn du nicht mehr da bist«, erklärte Josh, als wäre das längst besprochen.

Wayne legte den Kopf schief. »Nicht nötig. Ihr habt euer eigenes Leben. Ich habe jemanden gefunden, der meinen Platz einnehmen wird. Jemanden, der weiß, wie man sich um das Land und die Tiere kümmert, und der zu schätzen weiß, was ich hier aufgebaut habe.«

Simon stieß sich vom Türrahmen ab, machte einen Schritt auf Wayne zu und baute sich vor ihm auf. Besorgnis stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Heißt das etwa, dass du die Ranch nicht Josh und mir hinterlässt?«

Wayne zuckte mit den Schultern. »Was wollt ihr mit einer Ranch? Ihr habt beide deutlich gemacht, dass ihr keinerlei Interesse an meinem Vieh, meinen Pferden oder der Landwirtschaft habt.«

»Du überlässt uns nichts?«, fluchte Josh in sich hinein, wobei er Simon einen wütenden Blick zuwarf.

»Für euch ist gesorgt. Ihr bekommt alles, was ihr braucht, um über die Runden zu kommen und etwas aus euren Leben zu machen.«

»Über die Runden kommen?«, spottete Simon. »Was soll das denn heißen?«

Wayne hob die Hände und ließ sie wieder fallen, sodass sie gegen seine Oberschenkel klatschten. »Du bist fünfunddreißig, nicht dreizehn.« Er schüttelte den Kopf. »Ich muss nicht jede Kleinigkeit für euch organisieren. Das, was ich hier aufgebaut habe, soll weiterlaufen und nicht auseinandergerissen werden. Ich habe sichergestellt, dass es noch lange nach meinem Tod bestehen bleibt. Alles andere werdet ihr erfahren, wenn ich nicht mehr bin.«

»Ich möchte es aber jetzt wissen«, verlangte Josh.

»Was für einen Unterschied macht das? Das Leben, das du willst, ist nicht das Leben, das ich zurücklasse. Geh deinen eigenen Weg. Finde etwas, für das du brennst, und mache etwas daraus. Such dir eine Frau, die Licht in deine Welt bringt, und halte sie fest.«

Josh verschränkte die Arme vor der Brust. »So wie die Kellnerin, die du vögelst, Licht in deine bringt?«

Sofort kochte Wut in Wayne hoch, die seine Wangen und Ohren zum Glühen und sein schwaches Herz zum Rasen brachte. Er ballte die linke Hand zur Faust und versuchte, den Schmerz in seinem Arm zu ignorieren. »Pass bloß auf. Du hast keine Ahnung, wovon du redest oder was sie mir bedeutet.«

»Du bist ein Idiot, wenn du denkst, das hübsche junge Ding verbringe aus einem anderen Grund als deiner dicken Brieftasche Zeit mit dir.« Die Abscheu in Joshs Augen machte Wayne nur noch wütender.

»Das ist vielleicht bei deinen Freunden so und den Frauen in deinem Leben. Die sind alle nur auf das eine aus. Aber so ein Mann bin ich nicht und auch solche Freunde schätze ich nicht. Ich habe versucht, euch beiden die Bedeutung des Lebens, das ich führe, zu vermitteln. Habe versucht, euch meine Werte nahezubringen und euch gleichzeitig alles zu geben, was ihr wolltet. Eigentlich hätte ich wohl lieber … Nun, es ist zu spät, das zu hinterfragen. Ihr seid jetzt selbst Männer. Wenn ich nicht mehr bin, lernt ihr hoffentlich, euer Leben selbst in den Griff zu bekommen, statt immer darauf zu bauen, dass ich euch alles gebe.«

»Reicht es nicht, dass wir aufs College gegangen sind und arbeiten?«, fragte Simon. »Deine Erwartungen sind wirklich hoch, und scheinbar werden wir ihnen noch immer nicht gerecht.«

»Ich bin stolz auf eure Abschlüsse. Bildung ist eine gute Grundlage, aber ihr beide hangelt euch seitdem von einem Job zum nächsten. Viel zu schnell wird euch alles zu viel oder ihr bekommt Langeweile. Ihr arbeitet, um über die Runden zu kommen, und wenn das nicht reicht, kommt ihr zu mir, um nach Geld zu fragen. Die Häuser, in denen ihr wohnt, habe ich bezahlt. Die Autos, die ihr fahrt, sind von mir. Alles, was ich möchte, ist, dass ihr eure Leben nicht verschwendet. Dass ihr etwas finden, das euch auch etwas bedeutet.«

»Hast du uns nicht gerade erzählt, dass jemand anderes die Ranch bekommt?« Simon schüttelte den Kopf und ließ die Hände fallen.

Wayne sah seinen jüngsten Sohn von der Seite an. »Willst du damit sagen, dass die Ranch dir etwas bedeutet? Möchtest du sie führen?«

»Immer noch besser, als wenn du sie einfach weggibst.«

Wayne schüttelte den Kopf. »Glaub mir, mein Sohn, ich erspare dir eine Menge Kopfschmerzen. Du willst sie nicht wirklich. Es ist Arbeit, harte Arbeit. Wenn man diese nicht liebt, zieht sie einen nur runter. Du würdest die Ranch am Ende verkaufen, nur um sie los zu sein.«

»Stimmt nicht. Ich würde jemanden einstellen, der sich um alles kümmert, was ich nicht kann.«

Und das Geld verprassen, das sie einbringt, aber niemals stolz auf die eigene Arbeit sein. Wayne wurde es schwer ums Herz. Er hatte darin versagt, Arbeitsmoral, Hingabe zu einem guten Job und das befriedigende Gefühl, etwas erreicht zu haben, an seine Söhne weiterzugeben. »Es geht dir nicht um das, was du nicht kannst, sondern um das, was du nicht willst. Das hier ist nichts für dich.«

Joshs Schweigen bewies, dass auch er kein Interesse daran hatte, sich einzubringen. Die beiden wollten eine Belohnung, ohne dafür etwas leisten zu müssen.

»Ihr kommt sowieso nur selten her. Nach der Highschool, bei der ersten Gelegenheit, die sich bot, wart ihr weg. Das nehme ich euch nicht übel, ich habe immer gesagt, ihr sollt tun, was euch glücklich macht. Anscheinend verbringt ihr eure Zeit lieber in Bozeman. Das Stadtleben passt besser zu euch, und das ist auch in Ordnung. Ich bin nicht enttäuscht, dass keiner von euch mein Cowboy-Herz geerbt hat. Ihr habt andere Interessen.«

Auch wenn er nicht wirklich wusste, wo genau diese Interessen lagen, abgesehen von ständig neuen Mädchen und der Angewohnheit, in den Tag hineinzuleben, ohne etwas zu erreichen.

»Ich bin spät dran, ich muss jetzt los.« Wayne ging zur Tür.

»Zu ihr«, sagte Josh.

Daraufhin blieb Wayne noch einmal stehen. »Zu einem Abendessen im Diner in netter Gesellschaft. Man wird einsam, wenn man hier draußen allein lebt. Noch eine Sache, die ihr beide hassen würdet.«

Simon hob die Hand, um Wayne aufzuhalten. »Das Gespräch ist noch nicht vorbei.«

Wayne legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. »Denkt über das nach, was ich gesagt habe. Wenn ihr eure Meinung ändert und so ein Leben führen möchtet wie ich, können wir gern noch mal über alles reden. Wenn euch die Ranch interessiert, gebe ich euch hier Arbeit. Vielleicht überrascht ihr mich ja und beißt euch durch, statt nach einer Stunde wegzurennen wie früher.«

Simons Zögern und Joshs abgewandter Blick sagten alles.

»Du kannst nicht alles weggeben«, schnappte Josh zurück. Man konnte ihm seinen Frust deutlich ansehen, wie er da stand, den Mund zu einer schmalen Linie verzogen.

Wayne zog die Augenbrauen zusammen und warf seinem Sohn einen ernsten Blick zu. »Ich kann tun, was ich verdammt noch mal möchte. Die Unterhaltung ist beendet. Wenn ihr eure Meinung ändert und hier arbeiten wollt, sagt Bescheid. Ansonsten ist alles geregelt. Wenn ich sterbe, bekommt ihr, was ich für euch verfügt habe.«

Wayne schritt an seinen vor Wut schäumenden Söhnen vorbei.

»Dad, Josh und ich können uns wirklich um die Ranch kümmern«, versuchte Simon es erneut.

»Alles leere Versprechungen, mein Sohn. Ihr müsst es wollen, um es richtig zu machen.« Er hatte sein ganzes Leben lang so hart gearbeitet, um zu schaffen, woran viele andere gescheitert waren. Nicht, weil die es nicht ausreichend versucht hatten, sondern weil eine Ranch zu leiten schwierig war. Er wollte nicht, dass alles, was er hier erreicht hatte, den Bach herunterging.

Wayne verließ das Haus. Nichts, was er sagen konnte, würde seine Söhne besänftigen.

Er ließ seinen Truck an und kurbelte das Fenster herunter. Langsam und gelassen fuhr er auf die Einfahrt zu, an der Haustür vorbei. Die Jungs hatten die Tür zugeknallt und standen auf der Veranda. Er fuhr die Straße entlang, die von grünen Felder gesäumt war, auf denen seine geliebten Pferde standen, und genoss die kalte Brise in seinem Gesicht. Wie viele dieser kleinen Freuden würde er wohl noch haben, bevor sein Herz endgültig aufgab?

2. Kapitel

Colt betrat den Diner, entdeckte sofort die einzige Frau, an die er denken konnte, und ging zu einem Tisch am anderen Ende des Raumes. Dabei versuchte er, das Gefühl zu ignorieren, das ihm die Brust zuschnürte. Er hätte nach Bozeman fahren, in irgendeiner Szenebar eine junge, überarbeitete Büroangestellte aufreißen können, die etwas Spaß mit einem Cowboy haben wollte. Er hatte nichts gegen Spaß. Aber nicht heute. In letzter Zeit immer seltener, denn Luna beherrschte seine Gedanken mehr, als er zugab. Trotzdem würde er sie nicht in sein Herz lassen, so sehr er sich auch nach ihr sehnte, wenn er sie sah oder an sie dachte. Sie war nichts für ihn. Auf keinen Fall. Sie gehörte seinem besten Freund. Jedenfalls hatte sie das, bis zu jenem Abend in der Bar, an dem sich alles geändert hatte und so verwirrend wurde, dass er noch immer nicht genau wusste, was los war.

»Lass es«, warnte er sich selbst. Leichter gesagt, als getan. Erst recht jetzt, wo sein Bruder Rory Lunas beste Freundin heiratete. Sadie hatte ein waches Auge auf sie beide, wollte immer wissen, was zwischen Colt und der dunkelhaarigen Schönheit mit der Porzellanhaut und den roten Lippen lief, die er immer noch schmeckte, von diesem einen heißen Kuss. So wie jetzt.

Diese verdammte Frau hatte ihre Spuren hinterlassen.

Er warf einen Blick über die Schulter, während er zwischen den Tischen hindurch zu einer Sitznische ging. Dabei ertappte er sie, wie sie ihn von hinter dem Tresen beobachtete. Doch die eisig blauen Augen mit den zwei braunen Punkten im linken Auge und dreien im rechten wandten sich schnell wieder ab. Der Anflug von Scham und Verlegenheit, der in ihrem Blick zu sehen war, passte zu seinen eigenen Gefühlen, aber der Hauch von Wut, den er ebenfalls bemerkte, zerriss ihn. Sie waren einmal Freunde gewesen. Aber das hatte er ruiniert und es tat ihm unendlich leid.

»Na du«, rief Sadie ihm zu, die gerade aus der Küche kam.

Die Idee mit der Sitznische verwarf er wieder und setzte sich stattdessen direkt an den Tresen. Luna eilte davon, um ein Tablett mit Getränken an eine Familie am nächsten Tisch zu bringen.

»Hallo Mama in spe, wie geht’s meiner Nichte oder meinem Neffen?«

Sadie lächelte und streichelte ihren leicht gewölbten Bauch. »Super.« Dann legte sie ihre Hand auf die Hüfte und sah Colt eindringlich an. Der Diamantring, den sein Bruder ihr letzte Woche auf den Finger gesteckt hatte, glitzerte im Licht. »Hat Rory dich auf mich angesetzt? Ich schaffe es schon allein nach Hause, keine Sorge.«

Colt lächelte seine zukünftige Schwägerin an. Ja, Rory war gern etwas überfürsorglich, auch wenn das bei Sadie völlig unbegründet war. Jedenfalls seit der Ärger mit ihrem Bruder geklärt war. Inzwischen steckte dieser hinter Gittern, und sie konnte ihre Nächte sorgenfrei in Rorys Bett verbringen. Der Glückliche.

»Rory tigert sicherlich im Haus auf und ab und kann es kaum erwarten, dich wieder in den Armen zu halten, aber er hat mich nicht geschickt, um dich abzuholen.«

Sofort entspannte sie sich. »Na gut.« Sie beugte sich über den Tresen, das Kinn auf den aufgestützten Arm gelegt, und lächelte ihn an. »Wie geht’s dir, mein Hübscher?«

Auch wenn es so klang, flirtete sie nicht wirklich mit ihm. Sadie war für Colt wie eine Schwester geworden und brachte eine Wärme in den Männerhaushalt, die lange gefehlt hatte. Nachdem ihr Vater gestorben war, hatte er ihr vom Tod seiner eigenen Eltern erzählt – er war damals kaum alt genug gewesen, um zu begreifen, dass sie nie wiederkommen würden –, und seitdem bestand eine ganze besondere Verbindung zwischen ihnen.

»Heute war ein harter Tag. Ich dachte, ich schaue mal vorbei und esse was. Schließlich arbeitest du ja lange, und zu Hause kocht Ford.« Colt verzog das Gesicht, um sich über die mittelmäßigen Kochkünste seines ältesten Bruders lustig zu machen.

»Du bist nur deswegen hier?«

Auch er stützte seinen Ellenbogen auf den Tresen und ahmte ihre Haltung nach. »Natürlich versuche ich auch, einen Weg zu finden, dich Rory auszuspannen.«

Sie legte ihm eine Hand auf die Wange und gab ihm einen sanften Klaps. »Niemals, Cowboy.«

Spielerisch zog er die Augenbrauen zusammen. »Ich dachte mir schon, dass du das sagen würdest. Was für eine Art, einem Mann das Herz zu brechen.«

»Du solltest aufhören, dein Herz ständig vor Schmerz und Trauer zu schützen …« Er wusste, das war eine Anspielung an die Zeit nach dem Tod seiner Eltern, daran wollte er eigentlich nicht erinnert werden. »… und in Erwägung ziehen, dich mit meiner Trauzeugin zu versöhnen.«

Colt lehnte sich zurück und unterdrückte das Verlangen, Luna anzusehen. Verlangen? Zur Hölle, es war eher ein Zwang, in ihr hübsches Gesicht zu sehen, sich ihr zu nähern – körperlich und geistig – und sie wieder zu küssen. Nur noch ein Mal. Noch ein Mal diesen Moment genießen, in dem sich alles so verdammt richtig anfühlte, bevor sein Leben wieder zur Hölle wurde.

Er hatte guten Grund, sein Herz zu schützen. Das eine Mal, als er sich einer Frau geöffnet hatte, hatte er alles versaut. Ein einfacher Kuss hatte alles in ein Chaos verwandelt.

»Lass es, Schwesterchen.«

»Auf mich wirkt es, als wartet ihr schon viel zu lange. Komm, entschuldige dich.«

»Es braucht mehr als ein einfaches ›Tut mir leid‹.«

»Bist du dir da sicher? Alles, was ich erkennen kann, ist, dass du immer wieder zu ihr siehst und sie zu dir. Als wolltet ihr euch etwas sagen, aber keiner macht den ersten Schritt.«

»Nach dem, was ich getan habe, gibt es keinen Weg zurück.«

»Hast du sie belogen?«

Colt schüttelte den Kopf. Allein der Gedanke daran war so widerlich, dass er das Gesicht verzog. »Nein, natürlich nicht.«

»Hast du sie absichtlich verletzt? Sie geärgert? Beleidigt? Ihren Hund überfahren?«

Er schüttelte den Kopf und musste lachen, obwohl es eine ernste Unterhaltung war. »Nein, nichts davon.«

»Bereust du es?«

Er seufzte leise, aber das half nicht, den Knoten in seiner Brust zu lösen, der sich nie auflöste. »Mehr, als ich in Worte fassen kann.«

Sadie schlug mit den Händen auf den Tresen. »Dann wüsste ich nicht, wieso du nicht zu ihr rübergehen und ihr das sagen kannst.«

»Es ist nicht so einfach. Sie gehörte zu meinem Kumpel, und ich habe eine Grenze überschritten.«

»Colt, hör zu, sie gehört niemandem. Auch ihm nicht.«

Er ließ den Kopf nach vorn fallen und starrte auf eine Fuge auf dem Tresen. »Mir gehört sie jedenfalls ganz sicherlich nicht. Ich wollte ihr helfen und habe stattdessen alles kaputt gemacht.«

»Eine Frage: Hat sie mit dir zusammen diese Grenze überschritten oder hast du sie gezogen?«

Colt starrte an die Decke. »Was macht das für einen Unterschied?«

»Wenn ihr beide beteiligt wart, tut es ihr vielleicht genauso leid wie dir, und man kann die Sache bereinigen oder zumindest aufklären, wenn ihr einfach miteinander redet.«

Er warf ihr einen verzweifelten Blick zu. »Ach Schwägerin …«

»Colt, ich liebe dich wie einen Bruder, und daher werde ich mit dir reden, als wärst du es. Du verhältst dich wie ein Arschloch. Sie hilft mir bei der Planung für die Hochzeit. Sie ist permanent bei uns im Haus, willst du immer abhauen, wenn sie auftaucht?«

»Bisher hat das doch funktioniert.«

Sadie stemmte die Hände in die Hüften. »Wirklich? Das ist also okay für dich? Willst du ständig so tun, als existiere sie nicht und als wäre zwischen euch nichts passiert? Für mich sieht es so aus, als täte euch das beiden nur weh.«

»Sie macht es doch nicht anders«, gab er zurück.

»Ach, werd erwachsen. Du weißt, was du tun musst, um die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Stell dich nicht so an. Auf meinen Hochzeitsfotos werdet ihr euch nicht böse anfunkeln.«

»Das würde ich niemals tun.«

»Nein. Du würdest neben deinem Bruder stehen und elendig dreinblicken, wegen der Frau neben mir.«

Colt zögerte. Vielleicht hatte Luna mit Sadie über die Sache geredet. Gab es einen Funken Hoffnung, alles wieder in Ordnung zu bringen? »Hat sie dir irgendetwas gesagt, über mich?«

»Nur, dass sie nicht darüber reden möchte. Die Sache ist aber die, Colt: Sie wirkt nicht wütend.«

Das ließ ihn aufhorchen. »Nicht?«

»Nein. Eher verlegen. Als wolle sie ungern zugeben, was sie getan hat. Und das mir, ihrer besten Freundin, gegenüber. Ich würde sie niemals verurteilen. Vielleicht auch, weil ich dich kenne und deinen Bruder heirate.«

»Sie hat überhaupt nichts getan. Ich war’s.«

»Du nimmst die Schuld auf dich, sie nimmt die Schuld auf sich. Scheint so, als wärt ihr beide schuld, was auch immer passiert ist.«

Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Wenn er an den Abend zurückdachte, als sie auf dem Parkplatz standen, ihre Hände auf seiner Schulter und über der schmerzenden Prellung an seinem Kiefer, die ihr Ex, sein bester Freund, ihm verpasst hatte, wusste er nicht mehr, wer den ersten Schritt gemacht hatte. Er? Sie?

»Hör zu, eins habe ich durch die ganzen Geschichten mit meinem Bruder gelernt. Wenn du keine Verantwortung für deine Taten übernimmst, wird alles nur noch schlimmer. Gestehe dir deine Rolle ein. Entschuldige dich für das, was du getan hast. Vielleicht ist das alles, was es braucht, um die Eiseskälte zwischen euch zu beenden.«

Sadie machte keine halben Sachen. Sie war eine starke Frau.

»Ich weiß genau, wieso sich Rory in dich verliebt hat.«

»Fast zwei Jahre lang saß er hier im Diner und hat mich angestarrt und sich gewünscht, mich anzusprechen. Hätte er das getan, hätten wir vielleicht viel früher zueinandergefunden. Ich sage nicht, dass es zwischen dir und Luna genauso ist, aber wenn du deine Gefühle die ganze Zeit mit dir herumträgst und sie sich immer noch frisch anfühlen, solltest du etwas unternehmen, bevor alles immer schwieriger wird.«

Sie hatte ja recht.

»Ich fürchte, dafür ist es schon zu spät. Sie kann mich nicht ansehen, ohne dass ich das alles an ihrem Blick ablese.«

»Vielleicht, weil sie das Gleiche in deinen Augen sieht. Genau wie ich in diesem Moment.« Sadie legte ihre Hand auf Colts. »Warte nicht, so wie Rory es getan hat.«

»Ich bin nicht auf der Suche nach einer Frau und einer Familie.«

»Vielleicht momentan nicht. Aber überleg doch mal: Du fühlst dich jetzt schon so mies, wie soll das erst werden, wenn du die Sache nie in Ordnung bringst und dich den Rest deines Lebens fragst, ob sie die Eine war?«

»So ist es nicht«, log er und musste wieder daran denken, wie es sich angefühlt hatte, sie zu küssen. Die Verbindung, die er in dem Moment zu ihr gespürt hatte, spürte er noch immer. Er wollte die schmerzende Distanz zwischen ihm und der Frau am anderen Ende des Raumes überwinden.

Einer Frau, die seinen Anblick nicht ertrug.

»Du willst es vielleicht nicht zugeben, aber du versuchst etwas zu verbergen, wenn du sie ansiehst. Etwas, das ich selbst lange verspürt habe.«

Er hatte Angst, nachzufragen, aber musste wissen, was sie sah. Er selbst konnte es nicht einordnen. »Und was?«, fragte er also.

»Hoffnung.«

Luna steckte ihren Notizblock in die Schürzentasche, klemmte sich den Stift hinter das Ohr und drehte sich zu Sadie, die ihr auf die Schulter klopfte. »Und, gehst du jetzt nach Hause zu deinem sexy Cowboy?«

»Jap.« Sadie wies mit einer Kopfbewegung in Richtung Colt. »Da wartet auch jemand am Tresen auf dich. Er möchte mit dir reden.«

Erstaunt sah Luna ihre Freundin an. Seit Sadie mit Rory zusammen war, war Luna völlig durch den Wind. Sie wusste, dass irgendwann der Tag der Tage kommen würde. Dass Colt und sie endlich miteinander reden mussten.

»Hat er dir erzählt, was ich getan habe?«

Sadie musterte sie. »Komisch, er wollte mir nicht mal erzählen, was er getan hat. Er glaubt, an irgendetwas schuld zu sein, und du denkst, du seist die Schuldige. Könnte es sein, dass keiner von euch schuld ist? Dass das, was auch immer passiert ist, gar nicht so eine große Sache war?«

Luna runzelte die Stirn, spürte, wie Schuldgefühle in ihr hochkochten und sie rot anlief.

»Hast du seinen besten Freund betrogen?«

Erschrocken holte Luna Luft. »Was? Nein. Billy und ich hatten uns schon getrennt. Außerdem habe ich nicht mit Colt geschlafen.«

»Hast du vielleicht etwas getan, das du dir schon lange gewünscht, dir aber selbst nicht eingestanden hast? Etwas, was alles komplizierter gemacht hat?«

Verzweifelt unterdrückte Luna das Verlangen, zu Colt hinüberzusehen. »Er hat es dir doch erzählt.«

»Nein, hat er nicht. Aber ich glaube, ihr zwei seid perfekt füreinander. Geh zu ihm. Er möchte genauso dringend mit dir reden wie du mit ihm.« Sadie umarmte Luna kurz und ging zur Tür. Genau in diesem Moment betrat Lunas Lieblingsgast den Diner, ihre Verabredung. Wayne war immer pünktlich, dienstags und donnerstags um Punkt acht Uhr. Luna sah auf die Uhr. Nanu, acht Uhr zweiundzwanzig. Seltsam, irgendetwas musste ihn aufgehalten haben. Sein angespannter Gesichtsausdruck verriet ihr, dass es mit seiner Familie, wahrscheinlich seinen Söhnen, zu tun hatte.

Sie ging zu ihm und umarmte den alten Mann extra lange, als er nicht loslassen wollte. Ihr fiel auf, wie gebrechlich er heute wirkte, und sie wich besorgt einen Schritt zurück, wobei sie die Hände an seinen Schultern ließ. »Ist alles in Ordnung, Wayne? Du bist spät dran.«

»Ich bin nur alt und werde langsamer. Für alles brauche ich anscheinend länger. Hast du mich vermisst?«

»Natürlich. Ich habe Neuigkeiten! Ich habe einen Job angeboten bekommen.«

»Wie schön.«

Etwas unsicher verzog sie das Gesicht. »Ich weiß nicht. Es wäre in einem anderen Staat.«

»Ich dachte, du möchtest ein Reittherapiezentrum für behinderte und autistische Kinder aufbauen.«

»Möchte ich auch, aber dafür brauche ich einen Job, der mir erst mal die Ausgaben finanziert. Die Pferde, Ausrüstung, den Platz, wo die Kinder reiten können. Du weißt schon, die kleinen Details, die meinem Traum im Wege stehen.«

Wayne lächelte. »Vielleicht habe ich eine Idee. Komm, setzen wir uns, dann reden wir darüber.«

Sie drückte ihn noch mal und führte ihn zu seiner Lieblingsnische. Dort hatte sie bereits für ihn eingedeckt und seinen Lieblingseistee mit einem Schuss selbst gemachter Limonade bereitgestellt.

Wayne nahm Platz und legte den dunkelbraunen Cowboyhut neben sich. Nachdem er den ersten Schluck von dem Tee genommen hatte, seufzte er zufrieden. »Genau wie ich meine Drinks und Frauen mag – süß, aber auch ein wenig herb. So wie du.«

So voraussehbar wie die Tatsache, dass er jede Woche Brötchen und Bratensauce bestellte, war auch der allwöchentliche Kommentar zu seinem Lieblingsgetränk.

»Du wirkst beunruhigt.«

Er wandte den Blick ab. »Aufgebracht.«

Sie setzte sich ihm gegenüber hin. »Wie kommt’s, Wayne? Bereitet deine Familie dir wieder Ärger?«

Sein Blick wurde düsterer und er starrte an die Decke. »Wieder? Immer. Wenn es nicht einer von ihnen ist, dann sind es alle.«

»Wofür hat man schließlich Familie?«

»Ich hatte mir immer vorgestellt, dass ich mich in diesem Alter längst zur Ruhe gesetzt hätte, mit Enkeln, die um mich herumwuseln, die reiten und mir die Haare vom Kopf fressen. Stattdessen bekomme ich Kopfschmerzen, wenn meine Söhne mich besuchen. Ganz zu schweigen von meiner Schwester und ihrem Mann.« Wayne schüttelte den Kopf, als bettele er um Gnade. »Aber ihre Mädchen mag ich. Meine Nichten sind schlau und freundlich. Sie machen nicht nur das, was von ihnen verlangt wird. Genau wie du.«

Luna legte ihre Hand auf seine und drückte sie leicht »Lass dich nicht unterkriegen.« Ihr fiel nichts Besseres ein. Wayne war ein netter und großzügiger Mann. Er kümmerte sich um seine Familie, die sich nie dankbar zeigte. Im Gegenteil, von dem, was sie mitbekam, verlangten sie immer noch mehr von ihm.

»Deswegen komme ich her, um mein Mädchen zu sehen.« Er tätschelte ihre Hand, die immer noch auf seiner lag. »Du bringst mich immer zum Lächeln und munterst mich auf.«

»Ich verbringe auch gern Zeit mit dir.«

»Lass uns über dein Jobangebot reden und über etwas, das meine Söhne angesprochen haben. Das hat auch mit dir zu tun.«

»Inwiefern?«

Wayne antwortete nicht direkt. Luna blickte kurz zu Colt herüber und sah dann wieder Wayne an, der sie vielsagend anlächelte »Vielleicht sollten wir auch darüber reden. Was ist zwischen dir und deinem jungen Mann da drüben?«

Erneut sah Luna kurz zu Colt, der geduldig darauf wartete, dass sie seine Bestellung aufnahm. »Er ist nicht ›mein junger Mann‹, war er nie und wird er nie sein.«

Etwas blitzte in Waynes Augen auf. »Aber das hättest du gern.«

»Was? Nein. So war das nicht gemeint.«

»Du willst es dir nur nicht eingestehen.«

»Es ist kompliziert.«

»Na, dann mach es einfacher. Ist er ein guter Kerl?«

»Einer der Besten.« Sie zögerte keinen Moment, bevor sie es aussprach.

»Wieso?«

»Wieso? Ich weiß es nicht. Er ist freundlich, hat etwas Raues an sich, aber ist zuverlässig. Er hat seine Prinzipien und Moral, auch wenn er ab und zu gern die Verantwortung ablegt und etwas Spaß hat.«

Wayne nickte. »Ich schätze, jeder muss mal ausbrechen.«

»Er lässt niemanden im Stich. Wenn er etwas kurz beiseiteschiebt, kommt er immer darauf zurück und macht es wieder gut.«

»Also ist er ein Guter. Freundlich, wie du sagst. Ein tüchtiger Arbeiter, wenn es sein muss, der aber auch das Vergnügen nicht vergisst. Ein treuer Freund?«

»Immer.«

»Auch für dich?«

»Das war er mal, aber dann habe ich etwas getan, und er ist auf Abstand gegangen.«

Wayne nickte mit zusammengepressten Lippen. »Deswegen geht ihr euch also schon so lange aus dem Weg.«

War es etwa so offensichtlich?

»Ich gehe ihm nicht aus dem Weg«, log sie Wayne ins Gesicht. Nur eine kleine Lüge.

»Du bist eine verdammt gute Kellnerin, und trotzdem sitzt er da, ohne Drink und ohne dass du seine Bestellung aufnimmst, seit fast zehn Minuten. Er mag geduldig sein, aber du solltest dich fragen, worauf er wartet. Auf sein Essen oder auf dich?«

»Wayne, ich habe etwas getan, was ich nicht hätte tun sollen. Ich habe genommen, woran er glaubte, und es vollkommen missachtet. Nur, um zu bekommen, was ich wollte.«

»Dann entschuldige dich.«

»Wieso sagen mir das alle? Es ändert nichts. Ich kann es nicht ungeschehen machen. Und das möchte ich eigentlich auch gar nicht«, gestand sie leise.

»Hast du dich jemals gefragt, ob er das will?«

Sie ließ sich gegen die Lehne fallen und starrte ins Nichts. Was sie an jenem Abend mit Colt gespürt hatte, in diesem viel zu kurzen, aber perfekten Moment, hatte sich so echt angefühlt. Dann hatte er sie mit zwei Händen auf ihrer Schulter von sich weggeschoben und sie angestarrt, mit einem harten Blick, den sie nicht verstanden hatte. Hauptsächlich, weil in ihrem Kopf durch seinen Kuss alles drunter und drüber gegangen war.

»Lass dir von einem alten Mann sagen, dass man Dinge nicht aufschieben sollte. Die Zeit vergeht so schnell, bevor du dich versiehst, ist alles vorbei.«

Sie drückte noch mal seine Hand, wobei ihr sein blasses Gesicht und seine müden Augen auffielen und der dünne Schweißfilm auf seiner Stirn. »Wayne, ist alles in Ordnung?«

»Ich hab nichts, wobei du helfen könntest, meine Süße. Aber ihm könntest du helfen. Geh schon. Einen guten Mann findet man nicht so einfach. Glaub mir, ich kann nicht mal in meiner eigenen Familie einen finden.«

»Du bist ein guter Mann, Wayne. Du warst immer liebevoll und großzügig zu mir. Ich liebe unsere Gespräche und verbringe gern Zeit mit dir. Deine Ermutigungen und dein Verständnis bedeuten mir so viel.«

»Das und viel mehr gibst du mir zurück, Süße. Du bist für mich wie eine Tochter, und ich genieße jede Minute mit dir. Die meisten Leute in deinem Alter würden sich nicht mit einem alten Mann wie mir abgeben. Du bist anders. Du hörst zu, wenn ich etwas sage. Du weißt meine Weisheiten zu schätzen. Nutze sie jetzt und bring die Sache mit deinem Mann in Ordnung.«

»Er ist nicht mein Mann.«

»Das könnte er aber werden.« Wayne legte ihr eine Hand auf die Wange. »Er ist verrückt, wenn er so ein hübsches, liebenswertes Mädchen nicht will.«

»Flirtest du etwa mit mir, Wayne? Gib es zu, du bist wahnsinnig in mich verliebt.« Die meisten Kunden zogen sie deswegen auf, selbst Wayne neckte sie damit. Aber was sie verband, war einfach eine tiefe Freundschaft, die ihr mehr bedeutete als vieles andere.

»Ich bin doch nicht verrückt.« Er tippte ihr mit dem Finger auf die Nase und lächelte. »Jetzt geh schon. Ich möchte, dass du glücklich bist, also bring wieder ein Lächeln auf dein hübsches Gesicht. Tu es für mich. Ich warte hier auf dich.«

In Gedanken bei der Frau, die neben Wayne Travers saß, starrte Colt auf die glänzende Kaffeemaschine. Der Typ war reich, ihm gehörte eines der größten Güter in der Gegend. Außerdem hatte er ein Auge auf Luna geworfen. In der ganzen Gegend zerriss man sich über ihre Dates das Maul. Colt selbst musste zugeben, dass sie sich gut zu verstehen schienen. Etwas zu gut, für seinen Geschmack, aber den Gedanken schob er schnell wieder beiseite. Er war nicht eifersüchtig, nur … was eigentlich? Er hatte kein Recht auf irgendeine Meinung zu Lunas Verhalten oder dazu, mit wem sie sich traf. Nicht, dass er die etwas gewagteren Gerüchte über die beiden glaubte. Was er zwischen ihnen sah, war eher Zuneigung und eine tiefe Freundschaft. Wenn er erst mal in Waynes Alter war, hoffte er, auch ein junges hübsches Ding zu haben, das ihm das Leben etwas versüßte.

Doch lieber noch hätte er eine Frau wie Luna an seiner Seite.

Vielleicht wollte der Alte sie mit einem seiner Söhne verkuppeln. Ohne es selbst zu merken, zerknüllte Colt die Papierserviette in seiner Hand und legte sie dann wieder weg.

Er beugte sich vor, die Ellenbogen auf den Tresen gestützt, und ließ den Kopf in die Hände fallen. Er rieb sich die Schläfen und erinnerte sich selbst daran, dass er nicht auf der Suche nach Frau und Kindern war. Das war eher etwas für Rory, nicht für ihn. Nicht jetzt. Er hatte noch Zeit, die richtige Frau zu finden – so wie Rory Sadie gefunden hatte.

»Kopfschmerzen?«

Die Stimme löste ein Kribbeln in ihm aus und ihm wurde ganz warm. Seit jenem Abend, der schon viel zu lange her war, hatte sie ihn nicht mehr direkt angesprochen. Trotzdem hatte er ihre sanfte, volle Stimme nicht vergessen. Sie verfolgte ihn in seinen Träumen und rief seinen Namen.

»Ähm, nein. Nur …« Er hob den Kopf und sah sie an. Aus der Ferne zog sie schon immer seine Aufmerksamkeit auf sich, aber aus der Nähe nahm sie ihm regelrecht den Atem. »Hey.«

»Hey.«

Sie stellte sein Lieblingsbier und ein gekühltes Glas vor ihm ab. »Siehst aus, als könntest du das gebrauchen.«

»Danke. Hör mal, Luna …«

Er sah ihr in die Augen, und für einen Moment blitzte Wärme in ihrem Blick auf, aber dann wandte sie ihn wieder ab und sah auf die geschlossene Speisekarte, die vor ihm lag.

»Was wird es diesmal? Steak? Hackbraten oder ein Burger?«

»Bin ich so berechenbar?«

»Nicht wirklich. Aber ich mag es, wenn ein Mann weiß, was ihm gefällt und was er möchte.«

»Wie Billy, oder?« Noch bevor ihr Blick düsterer wurde, bereute Colt, ihren Ex erwähnt zu haben.

Sie stützte sich mit den Händen auf den Tresen und beugte sich vor. »Was soll das?«

»Er wollte dich. Hat so lange an dir festgehalten, wie es ging, schätze ich.«

Sie senkte den Kopf und schüttelte ihn, wobei ihr dunkles Haar mitschwang. Als sie wieder nach oben schaute und ihre hellblauen Augen auf seine gerichtet waren, beugte er sich vor, angezogen vom Schmerz in ihren Augen. »Ich bin nicht der Einzige, der es nicht mitbekommen hat.«

Verdutzt sah sie ihn an. »Wenn du es auch nicht gesehen hast, bin ich vielleicht gar nicht so dumm, wie ich dachte.«

»Wovon redest du? Du bist nicht dumm.« Seine Worte klangen sanft, aber die Wut, die in ihm hochstieg, klang deutlich mit. Er wollte nicht hören, dass sein bester Freund diese wundervolle Frau schlechter behandelt hatte, als sie es verdient hätte.

»Unser Streit in der Bar.«

»Er wollte dich zurück.«

»Nein. Er wollte mich von dir fernhalten.« Ihr Blick war weiter auf ihn gerichtet.

Colt hielt die Luft an. Er beugte sich vor. Das Verlangen, sie zu küssen, war so stark, dass er an nichts anderes mehr denken konnte. Außer an die Frage, wovon zur Hölle sie redete.

Sie kam etwas näher an ihn heran, als sich ihr Blick plötzlich auf etwas fokussierte, das hinter ihm lag. Panik machte sich in ihrem Gesicht breit. Sie sprang auf den Tresen, auf der anderen Seite wieder herunter und raste los. Wayne kauerte am Boden auf den Knien, griff sich mit einer Hand an die Brust, während sein Gesicht einen unnatürlich dunklen Rotton angenommen hatte. Wie in Zeitlupe fiel er vorneüber, krachte gegen einen Stuhl und dann unter den Tisch.

Luna ließ sich neben ihm auf die nackten Knie fallen, legte ihm eine Hand auf den Rücken, bückte sich und flüsterte ihm zu. »Wayne, was ist los?«

Colt kam neben sie und packte den alten Mann an den Schultern, um ihn behutsam umzudrehen. »Er atmet nicht.« Er drehte sich zu den anderen Gästen, die inzwischen die Szene mitbekommen hatten. »Ruft einen Notarzt!« Dann widmete er sich wieder Wayne. Luna hatte bereits sein Hemd aufgeknöpft und mit der Herzmassage angefangen, die Hände fest auf seiner Brust.

»Gib ihm Mund-zu-Mund-Beatmung.«

Colt zögerte nicht einen Augenblick. Er drückte Wayne die Nase zu, hielt seinen Kopf zurück, zog das Kinn nach unten und beugte sich schließlich vor, pustete kraftvoll, um die Lunge des alten Mannes wieder mit Luft zu füllen.

Luna machte mit der Herzmassage weiter, ihr Blick war vollkommen konzentriert, trotz der Tränen, die ihr über die Wangen liefen.

»Bitte, Wayne, komm schon. Das kannst du mir nicht antun, bitte«, flehte sie. »Wage es ja nicht, zu sterben.«

In jeder Pause, die Luna machte, beugte Colt sich vor, stieß Wayne Luft in den Körper und prüfte, ob seine Brust sich hob und senkte. Er presste das Ohr gegen die Brust, konnte aber nichts hören, also lehnte er sich wieder zurück und ließ Luna fortfahren.

»Es sieht nicht gut aus«, flüsterte jemand hinter ihnen.

Mit Tränen in den Augen sah Luna Colt an, während sie Waynes Brust weiter bearbeitete. Sie würde nicht aufgeben, das konnte Colt in ihrem Blick sehen, aber tief im Inneren wusste sie die Wahrheit. Er war tot.

Der Rettungswagen tauchte den Diner durch die Fenster in blaues Licht. Zwei Männer ließen neben Luna ihre Taschen fallen, aber sie hörte mit der Herzmassage nicht auf, bevor die anderen nicht bereit waren, zu übernehmen. Einer von den beiden drückte Wayne eine Beatmungsmaske über Mund und Nase und pumpte mit dem angeschlossenen Beutel Luft in seine Lunge. Währenddessen riss der andere Waynes Hemd weiter auf, startete den Defibrillator, klebte ihm Elektroden an die Brust und spritzte etwas Gel auf die Paddles.

Luna starrte die gerade Linie auf dem Monitor an.

In diesem Moment hörte Colt auf sein Bauchgefühl. Er stand auf, stellte sich über Wayne, packte Luna unter den Armen und zog sie weg, damit die Rettungskräfte Platz zum Arbeiten hatten. Das Flüstern der Leute um sie herum trat in den Hintergrund. Lunas Blick war weiterhin auf den Mann am Boden gerichtet, selbst als Colt sich hinter ihr auf die Tischkante setzte und sie an sich zog. Er legte die Arme um sie und versuchte, sie so gut zu trösten, wie er konnte. Sie umklammerte seine Arme und bei jedem Elektroschock, der durch Waynes Körper fuhr, vergrub sie zitternd die Fingernägel in seiner Haut, sodass Colt sie noch fester an sich drückte. Er legte ihr den Kopf auf die Schulter und sah zu, wie die Rettungskräfte versuchten, Lunas Freund zu retten. Einen Mann, der eine wichtige Stütze der Gesellschaft war, immer großzügig Benachteiligten gegenüber.

Zügig luden die Rettungskräfte Wayne auf die Trage und versuchten dabei weiter, ihn wiederzubeleben.

»Wird er es schaffen?« Die Hoffnung in Lunas sanfter Stimme zerriss Colt innerlich. Er kannte die Wahrheit, der sie sich noch nicht stellen konnte.

Der Rettungsassistent presste die Lippen zusammen und schüttelte leicht den Kopf. Die gerade Linie auf dem Monitor bewegte sich nicht, egal, wie oft sie den armen Wayne mit Strom vollpumpten.

»Nein. Nein. Er ist nicht tot, das kann nicht sein.« Sie stampfte mit den Füßen und wollte hinterher, zu ihrem Freund. »Ihr müsst ihn retten, ihr müsst!«

Colt drückte sie fester an sich. »Luna, Süße, sie bringen ihn ins Krankenhaus, aber ich fürchte, es ist zu spät. Es tut mir so leid.« Er drückte das Gesicht an ihren Nacken, atmete ihren süßen Geruch ein und schloss die Augen, als ein schreckliches Schluchzen durch ihren Körper fuhr. Doch er ließ sie nicht los, hielt sie weiter fest, selbst als sie versuchte, sich zu befreien.

»Nein. Nein, es ist nicht wahr. Er wird wieder gesund, die Ärzte holen ihn zurück. Sie müssen ihn zurückholen«, schrie sie.

In seinen Armen drehte Colt sie um und umarmte sie wieder. Sie schlang ihre Arme um ihn, vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter und fing so sehr zu weinen an, dass er ihren Schmerz beinahe körperlich fühlte.

Als die Rettungskräfte weg waren und die Aufregung vorüber war, bezahlten die Gäste still und verließen den Diner. Der Koch warf Colt einen traurigen Blick zu und verzog sich wieder in die Küche. Es war unwahrscheinlich, dass um diese Uhrzeit noch viele Gäste für ein spätes Abendessen vorbeikommen würden. Colt hielt die weinende Luna weiter im Arm.

Ihre Finger bohrten sich in seinen Rücken, so sehr drückte sie ihn an sich. Er wollte sie schon so lange so halten, dass er fast vergessen hatte, was dieses ständige Verlangen in ihm bedeutete. Dieser verdammte Kuss hatte zwischen ihnen etwas entfacht, das sich zu einem Fluch gewandelt hatte, ihn in seinen Träumen verfolgte und ihn sich nach etwas sehnen ließ, das er bis jetzt nicht erkannt hatte. Dabei war es eine so einfache Sache. Er hatte sie bloß komplizierter gemacht, weil er sich so lange von Luna ferngehalten hatte. Versteckt hinter dem Vorwand, dass er ihr eine Entschuldigung und eine Erklärung schuldete. Eigentlich hätte er sich nur eine einzige Sache eingestehen müssen. Er wollte sie. Sie bedeutete ihm etwas.

Dennoch war noch nicht alles zwischen ihnen geklärt. Die Sache mit dem Kuss und seinem Freund, ihrem Ex, Billy, stand nach wie vor zwischen ihnen.

Wieso wollte sein Freund sie von ihm fernhalten?

Etwa aus den Gründen, die jetzt so offensichtlich schienen, die er aber früher nicht gesehen hatte? Was hatte er sonst noch verpasst, abgelenkt von seinen Bemühungen, nicht zwischen Billy und Luna zu geraten? Was hatte er nicht mitgekriegt, wenn er mit Billy verabredet gewesen war und dabei stets gehofft hatte, auch Luna zu sehen, gehofft hatte, dass sie ihn anlächelte, während das Strahlen, das sie Billy schenkte, immer mehr verblasste? Immer hatte er versucht, einen Funken des Glückes zu spüren, das ihr Freund einst mit ihr gehabt hatte.

Immer wieder hatte er sich gesagt, dass er diese Grenze niemals überschreiten würde. Aber dann hatte er es doch getan. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er hatte eine Frau gewollt, die er nicht haben konnte. Jetzt war sie hier, in seinen Armen, und sie gehörte immer noch nicht dorthin.

Er hielt sie an den Schultern fest und drückte sie sanft von sich, ohne sie loszulassen. Sie klammerte sich weiter an ihm fest.

»Er kann nicht tot sein.« In ihren Augen spiegelte sich so viel Trauer, dass er es bis in seine Seele spürte und ihm selbst auch beinahe die Tränen in die Augen stiegen.

»Es tut mir leid. Er ist tot.«

Hilflos schüttelte sie ihn. »Was soll ich jetzt bloß tun?«

»Das Krankenhaus wird seine Familie benachrichtigen, die kümmern sich um ihn.«

Auf einmal war es, als würde alle Luft aus ihr weichen, ihre Schultern sackten unter seinen Händen herab. »Er war mein Freund.«

»Ich weiß, Süße.«

Sie drehte ihr tränenüberströmtes Gesicht zur Seite. Aus den wunderschönen blauen Augen starrte sie ihn fragend an. »Und wir? Sind wir noch Freunde?«

Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte.

»Wayne wollte, dass ich die Sache mit dir kläre, jetzt sofort, bevor es zu spät ist, hat er gesagt. Der Rat eines alten Mannes, die Zeit vergehe so schnell, so ungefähr. Er hatte recht. Es ist viel zu viel Zeit vergangen, ohne dass wir geredet haben.«

Er wischte mit dem Daumen über ihre feuchte Wange. »Luna, du bist mitgenommen. Das kann warten.«

»Nein, kann es nicht. Nicht noch länger.«

»Dann lass es mich sagen. Es tut mir leid, ich hätte dich nicht küssen sollen.«

»Ich habe dich geküsst, aber es tut mir nicht leid. Es tut mir nur leid, dass du danach aus meinem Leben verschwunden bist. Ich wollte dich niemals zu etwas drängen, was deinen Gefühlen mir und Billy gegenüber widerstrebt. Es tut mir leid, dass du dich gegen deinen Freund stellen musstest, für mich.«

Er drückte ihr den Daumen auf die zitternden Lippen. »Ich habe dich geküsst, weil ich es wollte. Danach habe ich mich zurückgezogen, weil ich die Situation ausgenutzt hatte. Ich wusste, dass du mit Billy Streit hattest, aber es hätte sich zwischen euch ja auch wieder alles einrenken können.«

Sie legte ihre Hand auf seine, zog seinen Daumen über ihre vollen Lippen, ihr Kinn, den Hals herunter und drückte ihn schließlich gegen ihre weiche Haut. »Das stimmt nicht. Ich hatte schon Wochen vor dem Abend mit ihm Schluss gemacht, und darüber bin ich auch froh, denn unsere Beziehung war bedeutungslos.«

»Wovon redest du? Er hat dich geliebt.«

Sie schüttelte den Kopf, wobei Tränen über ihre Wangen kullerten. »Am Anfang wirkte es so echt.« Ihre Stimme brach. »Ich habe die Aufmerksamkeit geliebt, mit der er mich überschüttet hat. Dann aber wurde ich ihm zu langweilig. Wir haben nur noch gestritten und schließlich haben wir uns getrennt.«

»Ich habe ihm gesagt, was für ein Idiot er war, dich gehen zu lassen.«

»Ja, das hat er mir an dem Abend in der Bar erzählt. Er kam wieder angekrochen und machte große Versprechungen. Er wollte netter werden, aufmerksamer. Wieder und wieder bin ich auf diese Masche hereingefallen. Aber schließlich konnte ich nicht mehr und habe endlich gesehen, was er so sehr versuchte zu verstecken: Er wollte mich nicht wirklich. Er wollte nur nicht, dass du mich bekommst.«

»Wieso glaubte er, dass du mit mir zusammen sein willst?«

»Ihr wart beste Freunde. Ihr habt ständig etwas zusammen gemacht, aber von mir hast du dich immer ferngehalten. Billy hat es dann immer mit dem ›Mein Mädchen, guck mal, wie glücklich wir sind‹-Schwachsinn übertrieben. Ich habe gesehen, wie du mit anderen Frauen umgehst. Du hast gern deinen Spaß, aber du hast sie immer respektvoll behandelt, selbst wenn du nichts Ernstes von ihnen wolltest. Wenn Billy beleidigend wurde, grundlos Streit anfing oder sich allgemein wie ein Arsch verhielt, habe ich ihm immer gesagt, er solle mehr sein wie du. Du warst immer so nett zu mir. Du hast Anstand. Mit deinen Brüdern arbeitest du gut zusammen und du würdest dir nie etwas nehmen, was dir nicht zusteht. Billy wollte aber nicht mit dir verglichen werden. Es hat ihn wütend gemacht.«

»Das ist lächerlich. Wir waren Freunde, keine Konkurrenten.«

»Das dachtest du. Aber als du an jenem Abend in der Bar aufgetaucht bist, bin ich aufgestanden und zu dir gegangen. Billy hatte ich nicht mal gesehen, aber er hat mich beobachtet und fing mich ab, bevor ich bei dir war. Da konnte ich es einfach nicht länger verstecken.«

»Was?«

»Was ich für dich empfand. Immer, wenn ich zu Billy sagte, er solle mehr wie du sein, wollte ich eigentlich etwas anderes. Ich wollte nicht ihn, der sich verhält wie du. Ich wollte einfach dich. An jenem Abend dachte ich, ich gebe dir ein Bier aus, sage Hallo und gucke mal, was passiert.«

»Ist das dein Ernst?«

»Ich weiß, riskantes Spiel, oder? Schließlich warst du sein Freund. Du bist niemand, der so was einem Freund antut. Aber wir waren getrennt und ich dachte mir, wieso zum Teufel nicht? Wenn ich es nicht probiere, werde ich mich für immer fragen, was passiert wäre.« Sie drückte ihm die Hand auf die Brust. »Und ich wollte nicht noch länger warten.«

Jetzt verstand Colt gar nichts mehr. Sie wollte ihn schon die ganze Zeit? »Was hat Billy dir gesagt?«

»Das, was er immer gesagt hat, wenn er mich zurückwollte. Aber ich wollte es einfach nicht mehr hören. Mir war klar, dass er sich niemals ändern würde, und ich hatte mich verändert. Ich wollte mehr. Etwas Besseres. Jemand anderen. An dem Abend wurde es mir klar. Ich wollte ihn nicht mehr und ich würde ihn auch nicht zurücknehmen. Ich wollte von ihm weg und einen neuen Weg einschlagen.«

Colt konnte es immer noch nicht ganz glauben, es schien so unmöglich. »Einen Weg, der zu mir führt?«

»Ich hatte keine Ahnung, dass er bei meinem Nein derart explodieren würde.«

»Er hat dich gepackt und versucht, dich durch die Hintertür nach draußen zu zerren.«

»Weg von dir. Nüchtern hätte er mir wahrscheinlich nur ins Gesicht gelacht und gesagt, dass du sowieso niemals mit mir ausgehen würdest. Aber er war ziemlich betrunken. Zum Glück bist du dazwischengegangen und hast ihn zum Ausnüchtern nach Hause gefahren.«

»Und zum Dank hat er mir eine verpasst.«

»Das tut mir wirklich leid.« Ihre blassen Wangen liefen rot an. »Mir ist das alles so unangenehm. Ich hatte nicht das Recht, einen Keil zwischen dich und deinen Freund zu treiben, und das war auch nicht meine Absicht. Aber dann habe ich dich draußen gesehen, an deinen Truck gelehnt, mit der Hand an der geschwollenen Wange, und hatte so ein schlechtes Gewissen und dann …«

»… hast du mich geküsst und bewiesen, was für ein unendlicher Idiot Billy ist, weil er dich hat gehen lassen.«

»Was?«

»Du hast es doch gespürt, genauso wie ich. Meine ganze Welt hat sich in diesem Moment auf den Kopf gestellt, aber ich dachte, dass du zu Billy gehörst, dass ihr wieder zusammenkommt. Dass ich nicht das Recht hatte, eure Beziehung zu zerstören.«

»Sie war schon lange vor diesem Abend vorbei.«

»Aber das wusste ich damals nicht. Ich schätze, dafür schuldest du mir noch was. Das Bier.«

Sie strich ihm über die Schultern und die Arme. Dabei fiel ihr Blick auf die halbmondförmigen Wunden, die ihre Nägel hinterlassen hatten.

»Oh Gott, Colt, du blutest!«

»Ja, du hinterlässt deine Spuren bei mir. Immer.«

3. Kapitel

Simon hastete in die Crystal Creek Clinic und blieb abrupt stehen, als Josh aus einem Zimmer am Ende des Flurs kam. Seine Tante und sein Onkel, Bea und Harry, folgten Josh, hielten aber etwas Abstand und flüsterten miteinander. Die Frau an der Rezeption, die ihn fragte, ob sie ihm helfen könne, beachtete Simon gar nicht, sondern ging seinem Bruder entgegen. Die Wut in Joshs Augen konnte den Schmerz nicht überdecken.

»Er ist tot.« Die Worte erreichten Simon nicht wirklich. Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Nein, wir haben ihn doch vor zwei Stunden noch gesehen.«

»Herzinfarkt. Er ist im Diner umgekippt, bei seiner viel zu jungen Freundin.«

Simons Blick wurde hart, sein Mund verzog sich zu einer schmalen Linie. »Was?«

»Die Rettungskräfte haben berichtet, dass die Kellnerin versucht hat, ihn wiederzubeleben. Aber sie meinten, keine Reanimation der Welt hätte seinem kaputten Herzen helfen können.«

Simon fuhr sich mit der Hand durchs Haar und musterte seinen Bruder. Was zur Hölle sollte dieser wütende Tonfall? Josh konnte öfter mal etwas schroff sein, aber so gefühllos hatte Simon ihn noch nie erlebt.

»Wir waren zu spät.« Josh zeigte keinen Funken Bedauern über das Ableben ihres Vaters.

Simon senkte den Blick, er spürte, wie Schmerz sich in seiner Brust ausbreitete.

»Jetzt können wir nichts mehr am Testament ändern. Wir müssen uns mit dem abfinden, was drinsteht, und versuchen, es irgendwie zu unseren Gunsten zu drehen.«

Simon riss den Kopf hoch. Überraschen sollte ihn diese Reaktion eigentlich nicht. So war Josh, immer auf der Suche nach einem Weg, einen Vorteil herauszuschlagen. Wenn sie früher guter Cop und böser Cop gespielt hatten, war Josh der böse gewesen. Darin ging er richtig auf.

»Das war es also? Er ist tot? Einfach so?«

Josh stopfte die Hände in die Taschen seiner grauen Hose. »Es ist keine Überraschung, wir wussten, dass er ein schwaches Herz hat.«

Ja, das hatte Simon gewusst, aber irgendwie hatte er gedacht, sein dickköpfiger, starker Vater würde dagegen ankommen. Immerhin hatte er seine viel jüngere Frau überlebt, die vor fünf Jahren an der verdammten Grippe gestorben war. Simon hatte immer halb damit gerechnet, dass sein Vater noch einmal heiraten würde – vielleicht sogar die viel zu junge Kellnerin, in die er so vernarrt war – und ihm ein langes Leben bevorstünde.

»Simon, wir müssen den Anwalt anrufen und alles ins Rollen bringen«, drängte Josh ihn.

Simon rieb sich die zugeschnürte Brust und blinzelte ein paar Tränen weg. »Gibst du mir vielleicht fünf Minuten, um damit klarzukommen, dass Dad tot ist?«

»Nimm dir alle Zeit der Welt. Aber ich für meinen Teil möchte wissen, was der verrückte alte Mann in sein Testament geschrieben hat.«

»Das würde ich auch gern wissen«, schloss Bea sich an. Ihre weißen Haare hatte sie zu einem engen Dutt nach hinten gebunden, an Ohren, Hals und Händen funkelten Dutzende Edelsteine, als wäre sie auf dem Weg zu einer royalen Hochzeit. Mit dem, was dieser Schmuck wert war, hätte sie dem Krankenhaus wahrscheinlich einen neuen Flügel spenden können.

Country Queen. Der alte Spitzname entlockte Simon kein Lächeln mehr.

Harry, der stets an Beas Seite war, legte ihr die großen Hände auf die Schultern. Bea war eine zähe alte Dame. Nicht eine Träne hatte sie in den Augen, während Simon seine hinunterschlucken musste. Josh ähnelte deutlich eher der reservierten Tante.

»Euer Vater war ein guter Mann. Er hat sich um euch gekümmert und um mich und Harry.«

Simon fragte sich, ob Bea erwartete, dass Josh und er diese Aufgabe von jetzt an übernehmen würden. Vermisste denn keiner von ihnen Dad? War ihnen sein Tod einfach egal?

»Euer Vater konnte sehr großzügig sein, wenn er wollte. Doch die letzten Jahre hat sich das geändert.« Die Enttäuschung in ihren Augen und das Bedauern in ihrer Stimme sprachen dieselbe Sprache. Simons Vater war liebevoll, aber bestimmt gewesen, während Bea distanziert und unnahbar wirkte.

Simon schüttelte den Kopf. Spürte, wie Schmerz und Verlust ihn einschnürten, während gleichzeitig Wut in ihm aufstieg. »Ich will ihn jetzt noch einmal sehen. Es ist nicht der passende Augenblick, über die Ranch und Dads Erbe zu reden.«

»Er ist tot. Es ist an der Zeit, vorzutreten und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.« Seine Tante wollte wohl an Simons Verantwortung für die Ranch appellieren. Sie konnte nicht wissen, dass sein Vater ihnen vor ein paar Stunden gesagt hatte, dass es genau so nicht laufen würde.

»Ist er wirklich tot?« Die sanfte, süße Stimme erinnerte Simon an seine Mutter.

Als er sich umdrehte, sah er die Frau, die er seit längerer Zeit verabscheute. Die Frau, mit der sein Vater in diesem Diner Zeit verbrachte, seit Simons Mutter gestorben war. Sein Vater hatte es damit erklärt, dass er einsam sei, aber dann hätte er sich einen Hund zulegen sollen, keine Frau, die Simons kleine Schwester sein könnte.

»Was zur Hölle willst du hier?« Joshs rauer Ton ließ die Kellnerin zusammenzucken. Der Mann neben ihr zog die Augenbrauen zusammen und musterte Josh und Simon eindringlich. Irgendwie kam er Simon bekannt vor. War er mit seinem älteren Bruder zur Schule gegangen? Im Moment konnte er sich jedenfalls nicht an den Nachnamen erinnern.

Simon machte einen Schritt auf sie zu und streckte die Hand aus. »Ich bin Simon, Waynes jüngster Sohn. Das ist mein Bruder, Josh.«

Kurz schüttelte Luna ihm die Hand.

»Luna. Ich war dabei, als … als dein Vater den Herzinfarkt hatte.« Sie brachte die Worte kaum über ihre zitternden Lippen. Tränen standen ihr in den Augen, eine davon lief über ihre Wange. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, sie wegzuwischen. »Mein herzliches Beileid.«

Im Gegensatz zu seiner Familie schien sie wirklich um seinen Vater zu trauern.

»Danke, dass du gekommen bist. Aber dies ist eine Familienangelegenheit.« Bea sah mit erhobener Nase zu Luna herab, ohne ihre Missbilligung zu verstecken.

»Du bist nur hier, um herauszufinden, was er dir hinterlassen hat, du dreckige, geldgierige Hure.« Wie einen Fluch stieß Josh die Worte aus. Selbst Simon sah ihn fassungslos an.

»Pass auf, was du sagst«, warnte ihn der Mann neben Luna.

Luna wich einen Schritt zurück, als hätte man sie geschlagen. »Nein, nein!« Sie schüttelte den Kopf. »So ist es nicht. Er war mein Freund, ich wollte ihn retten. Wir beide wollten das.« Sie nahm die Hand des Mannes neben sich.

Simon reichte auch ihm die Hand. Wer war er bloß? »Simon. Danke, dass ihr ihm helfen wolltet.«

Der Mann musste Luna loslassen, um ihm die Hand zu geben. »Colt Kendrick.«

Kendrick … Simon konnte sich vage an einen Rory Kendrick erinnern, aus der Schulzeit.

»Kein Problem. Das mit deinem Vater tut mir leid. Ich kannte ihn nicht näher, aber er war ein guter Mann. Klug. Immer bereit, anderen auszuhelfen oder einen Rat zu geben.«

»Wirklich?« Josh sah genauso überrascht aus wie Simon.

»Mein Großvater und er waren befreundet. Sie haben sich öfter in der Stadt oder auf der Ranch getroffen. Wenn ich in der Nähe war, habe ich ihnen gern zugehört, wie sie Ideen austauschten, über die Ernte oder das Vieh, solche Sachen.«

Luna drehte sich zu Colt. »Ich wusste gar nicht, dass du ihn so gut kanntest.«

Colt zuckte mit den Schultern. »Nicht wirklich gut. Aber dies ist eine kleine Stadt. Man trifft sich, sagt kurz Hallo und plaudert ein bisschen. Dieser Small Talk war aber nicht so das Ding von Wayne und mir. Meist haben wir über Pferde geredet.«

Simon beobachtete die beiden. Sie standen sich nahe, waren aber kein Paar. Interessant.

»Du willst uns also sagen, dass du nicht mit unserem Vater geschlafen hast?«, fragte Josh geradeheraus.

Wut spiegelte sich in Lunas hellblauen Augen. »Nein, er war nur ein Freund. Zweimal die Woche haben wir uns im Diner getroffen und manchmal hat er mich auf die Ranch eingeladen.«

»Wir sollen glauben, dass du auf der Ranch Zeit mit ihm verbracht hast, aber nicht mit ihm geschlafen hast?«, fragte Josh ungläubig.

»Wir sind geritten, haben geredet, zu Mittag gegessen.« Empört riss sie die Hände in die Luft, ließ sie aber wieder fallen. »Ihr wisst schon, was Freunde so machen.«

»Dann bist du schlauer, als du aussiehst, wenn du ihn um den Finger gewickelt hast, ohne die Beine breitzumachen.«

Colt zeigte mit dem Finger auf Josh. »Halt die Fresse, oder ich mach dich fertig.«

Luna funkelte Josh böse an, die Lippen zusammengepresst. »Es ist widerlich, was du da sagst. Ein guter und anständiger Mann ist gerade gestorben. Ich weiß nicht, was mit euch nicht stimmt, dass ich euch mehr interessiere als euer toter Vater.«

»Entschuldigung. Die Trauer hat wohl die Sinne meiner Neffen verwirrt. Aber wenn du nicht hier bist, um ein Stück vom Erbe abzugreifen, was tust du dann hier?« Bea hielt sich eine ihrer glitzernden Hände gegen die Brust.

»Ich wollte sehen, ob die Ärzte ihn vielleicht doch noch retten konnten.« Erneut stiegen ihr Tränen in die Augen und ein Kloß schien sich in ihrem Hals zu bilden. »Ich wollte mich verabschieden.«

»Gut, jetzt weißt du es. Er ist tot. Seine Familie muss sich von ihm verabschieden und um alles kümmern. Du solltest gehen.« Bea wedelte mit der Hand, als würde sie eine Fliege verscheuchen wollen.

Inzwischen zogen sie die Blicke von vorbeieilenden Mitarbeitern, Patienten und Besuchern auf sich. Auch wenn sie leise sprachen, bemerkten alle den feindseligen Ton der beiden Parteien, die sich im Flur gegenüberstanden.

»Colt«, erklang die Stimme der Ärztin. Es war Dr. Bowden, Colt kannte sie gut.

Colt ging an den anderen vorbei und zog Luna mit sich. Verlegen und wütend senkte sie den Kopf und versuchte, die Emotionen zu verstecken, die sich auf ihrem wunderschönen Gesicht zeigten. Simon musste zugeben, dass sein Vater einen guten Geschmack hatte, was Frauen anging.

»Bell, ist es möglich, dass Luna Mr. Travers noch mal kurz sieht, um sich zu verabschieden?«

»Natürlich, ich sehe keinen Grund, wieso das nicht gehen sollte.«

»Sie gehört nicht dazu«, ging Bea schnippisch dazwischen.

Simon schüttelte den Kopf und lächelte sie verlegen an. »Geh schon, Luna. Das ist in Ordnung.«

»Simon!«, rief Josh empört aus.

»Wieso nicht?« Simon hatte das Gefühl, Luna nicht zum letzten Mal zu sehen. Auch wenn sie Abschied von seinem Vater nahm, ahnte er, dass sie ein Teil ihres Lebens bleiben würde. Da sein Vater Josh und ihm nicht alles vererben wollte, fragte sich Simon, was er wohl ihr hinterlassen hatte und wie sie es zurückbekommen konnten.

Autor

Entdecken Sie weitere Romane aus unseren Serien

Montana Dreams