×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Nächster Halt: Thailand«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Nächster Halt: Thailand« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Nächster Halt: Thailand

hier erhältlich:

Georgia Green hat zwar keinen Verlobten mehr, dafür aber einen triftigen Grund, um nun ihrem Fernweh nachzugeben. Nachdem ihre Hochzeit geplatzt ist, verkauft sie ihr Haus, kündigt ihren Job und schnallt sich zum ersten Mal im Leben einen Rucksack um. In Thailand findet sie allerdings statt der erhofften Erkenntnis zunächst nur Mehrbettzimmer, Ungeziefer und extrascharfes Essen - aber auch ein paar unwiderstehliche Reisebegleiter. Und vor allem lernt Georgia, auf wie vielen Wegen das Glück zu erreichen ist.

"Katy schreibt mit Humor und Herz. The Lonely Hearts Travel Club ist wie Bridget Jones auf Reisen." Holly Martin


  • Erscheinungstag: 08.05.2017
  • Aus der Serie: The Lonely Hearts Travel Club
  • Bandnummer: 1
  • Seitenanzahl: 400
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955766719
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Pflücke die Rosen, solange Du noch kannst.

Grandad, das ist für dich.

Kapitel 1

Fernweh, das (Substantiv, Neutrum): starker Wunsch oder starkes Verlangen nach der Ferne, nach fremden Ländern und danach, die Welt zu erkunden.

Es war mein Hochzeitstag. Diesen Tag hatte ich mir schon seit ich ein kleines Mädchen war in meinen Träumen ausgemalt und nun die letzten zwölf Monate damit verbracht, ihn zu planen und zu organisieren. Es sollte eine rustikale englische Hochzeit auf dem Land werden, inklusive handgearbeiteten Wimpelgirlanden, die von den Balken eines ungeheuer teuren Gutshauses hängen sollten, und einem auf dem perfekt gemähten Rasen aufgestellten Partyzelt, das sich in der Brise aufbauschen würde. Ein Harfenist sollte ein einfaches, doch liebliches Stück zupfen, während wir in den großen Empfangsraum gleiten, in dem uns Familie und Freunde jubelnd und klatschend als Mr. und Mrs. Doherty begrüßen würden. Das war der Teil, vor dem ich am meisten Schiss hatte; all die Leute, die mich anstarren und eine strahlend glückliche Braut erwarten würden, obwohl ich in Wahrheit Höllenangst davor hatte, dass ich beim Schreiten auf den Hintern fallen und mich zum Affen machen würde. Wenn ich im Zentrum der Aufmerksamkeit stehe, wird mir immer flau im Magen, und ich fange an, wie wild zu schwitzen. Deshalb hatte ich diese Situationen auf ein Minimum reduziert, und genau genommen hätte ich ja nicht alleine im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden.

Eigentlich sollte ich schon in meinem cremeweißen, mit Spitze besetzten Kleid mit Schleppe stecken. Ich schaute auf die Uhr, und mir fiel auf, dass die Lieferung der handgebundenen Bouquets aus taubenblauen Vergissmeinnicht und süß duftenden Fresien vor zehn Minuten hätte da sein sollen. Eigentlich sollte ich gerade in dem weichen Sessel des teuren Friseurs versinken, während dieser meine schlappen Locken in ein Kunstwerk verwandelte.

Stattdessen saß ich auf einer ungemütlichen Sonnenliege aus Plastik und versuchte, die großen, dicken Tränen zu verbergen, die mir über die leicht sonnenverbrannten Wangen liefen, während meine beste Freundin Marie mir noch einen verdächtig wässrigen Sex on the Beach von der All-inclusive-Poolbar reichte.

In einer Stunde hätte ich meinen Verlobten Alex heiraten sollen, doch vor fünfzehn Tagen hatte sich alles geändert. Im Fernsehen war eine Wiederholung von Don’t Tell the Bride gelaufen, während ich die Sitzordnung mithilfe des 3-D-Modells, das mir Alex’ Schwägerin Francesca geliehen hatte, zum dritten Mal überprüfte. Sie war mit Kate Middleton zur Schule gegangen und hatte es geschafft, das in jedem Gespräch zu erwähnen, das wir je geführt haben. Alex hatte schon wieder eine Spätschicht eingelegt. Während ich auf ihn gewartet hatte, war ich so sehr in die Folge eingetaucht, in der ein Nichtsnutz von einem Bräutigam für seine kurvige Braut mit Größe 44 ein Kleid der Größe 36 ausgesucht hatte, dass es mir gar nicht auffiel, als Alex auf einmal in der Tür stand. Er kaute auf den Fingernägeln und lockerte sich die Krawatte.

„Wir müssen reden“, hatte er gesagt. Seine Stimme klang kühl und gepresst. Auf seiner Krawatte war ein Tintenfleck, wegen dem mir seine Mutter zweifellos Vorwürfe machen würde, weil ich nicht in der Lage war, ihn herauszubekommen. Über meine mangelnde Eignung zur Haushaltsgöttin hatte sie ihre Nase bereits unzählige Male gerümpft. Als letzter Single umgeben von geschniegelt-und-gestriegelten, verheirateten älteren Brüdern hatte sich Alex anfangs gewehrt, ebenfalls eine Freundin zu haben, die ihn bemuttert. Im Vergleich zu seinen perfekten Hausfrau-Schwägerinnen a là Martha Stewart war ich wie eine frische Brise gewesen. Nach fünf Jahren war dieser süße Duft zu Mief verkommen.

Kennengelernt hatten wir uns in einem zwielichtigen Nachtclub in Manchester, in den uns unsere jeweiligen besten Freunde in einer verregneten Samstagnacht geschleppt hatten. Über billigem Bier aus Halbliter-Plastikbechern kamen wir uns näher und quatschten zu den Klängen von The Smiths und den Kaiser Chiefs, als wären wir langjährige Freunde, die sich vor ewigen Zeiten aus den Augen verloren hatten. Währenddessen zogen unsere besten Kumpels miteinander ab. Nachdem wir auf dem Heimweg im Taxi unsere große Wertschätzung für arterienverstopfende überbackene Pommes miteinander geteilt und unsere gemeinsame Liebe für Aioli entdeckt hatten, wusste ich, aus uns würde etwas Besonderes werden.

Die Jahre gingen ins Land, und wir gingen nicht mehr oft aus, da das Vorankommen auf der Karriereleiter in den Vordergrund rückte. Jahrelang hatten wir in schimmelverseuchten Absteigen von windigen Vermietern gewohnt und dann genug zusammengespart, um unser eigenes Haus zu kaufen. Stolz hatte Alex das Angebot seiner Eltern abgelehnt, uns finanziell unter die Arme zu greifen, also konnten wir nicht wie der Rest seiner Familie Schulter an Schulter mit den Spielerfrauen in der Millionärsmeile wohnen. Doch er hatte den unkonventionellen Charme unseres Viertels genossen, auch wenn das bedeutete, dass die Wahrscheinlichkeit, unsere Nachbarn als Gäste in einer Nachmittagstalkshow zu sehen, ungleich höher war. Ich hatte es toll gefunden, wie fest er zu seinen Prinzipien stand, auch wenn wir hin und wieder ein wenig Hilfe hätten gebrauchen können.

Also war es vorprogrammiert, dass mich Alex in einer verregneten Juninacht fragte, ob ich ihn heiraten wollte. Okay, dann war es eben nicht der Antrag meiner Träume gewesen. Er war nicht einmal auf die Knie gesunken, sondern hatte mir einfach das Schmuckkästchen mit dem Ring über den Tisch geschoben, während wir uns beim Inder ein Essen teilten – jeder mit Blick auf sein iPhone. Zumindest hatte er mir das letzte Papadam überlassen, das war doch schon mal was, glaube ich. Diese Verlobungsgeschichte erzählten wir natürlich nicht unseren Bekannten. Nein, in der offiziellen Version hat er mich überraschend ausgeführt, mich mit Beweisen seiner unendlichen Liebe überschüttet und ein älteres Paar gebeten, ein Foto von uns zu schießen, ich vor Glück flennend und er vor Stolz platzend – eine Schande, dass sie die Kamera nicht richtig hatten bedienen können. So gab es keinen Beweis dafür. Aber das echte Leben ist eben auch kein Disneyfilm, nicht wahr?

Wie dem auch sei, da wir nun nicht nur das Haus abzahlen, sondern auch für eine Hochzeit sparen mussten, gingen wir noch weniger aus. Also ja, mag sein, dass unser Leben ein wenig langweilig geworden war. Routine gab den Ton an, und ich konnte das TV-Programm hoch und runter beten. Doch wir bauten uns eine gemeinsame Zukunft auf, und genau das wollten wir doch, oder?

Als ich in sein müdes Gesicht im Türrahmen blickte, erkannte ich ihn nicht wieder – den Mann, der vor Jahren mit federndem Schritt in den Keller-Club gekommen war und mich zum Tanzen aufgefordert hatte. Dann warf ich einen Blick auf mich selbst, sah den fleckigen und viel zu großen Pyjama, und das war auch nicht die junge Frau mit dem rosigen Gesicht, die Ja gesagt hatte.

„Es funktioniert einfach nicht … ich, ich kann dich nicht heiraten“, stammelte er, und seine schlanken Finger fummelten nervös an der befleckten Krawatte herum.

Er hatte eine andere kennengelernt, eine Frau aus dem Büro, und „Gefühle“ für sie entwickelt. Er hatte nicht gewollt, dass es so weit kommt, aber er hätte sich verändert, wir hätten uns verändert. Er musste es nicht laut aussprechen, aber seine Mutter hatte recht, ich war einfach keine Frau, die man heiratete. Genau wie die kurvige Braut im viel zu engen Kleid im Fernsehen bekam ich auf einmal keine Luft mehr. Noch in derselben Nacht hatte er seine Taschen gepackt und war verschwunden. Ich hatte schluchzend eine alte Flasche Pfirsichschnaps getrunken, wobei ich die Hälfte über Francescas Sitzplan verschüttete, mich zusammengerollt und konnte nicht glauben, dass die Welt um mich herum zusammenbrach.

„Na komm, lass alles raus.“ Marie strich mir über den von der Sonne erhitzten Rücken, während meine Tränen in das inzwischen warm gewordene Cocktailglas tropften. Sie hatte entschieden, dass wir uns für die Zeit, in der eigentlich der „große Tag“ stattfinden sollte, aus dem Staub machen mussten, und uns schnell eine einwöchige Last-minute-Reise in die Ägäis gebucht. Der Ort wurde als das St. Tropez der Türkei beworben. Dieser Ritterschlag war von jemandem erteilt worden, der offensichtlich noch nie in Südfrankreich gewesen war, denn das ehemals verschlafene türkische Fischerdorf war nun ein richtiger Partyort voller Kebab-Restaurants, Tätowierstudios und Bars mit Neonleuchtschildern. Wir trieben uns nicht wirklich in der Innenstadt rum. Die letzten Nächte hatten wir mit Kartenspielen auf dem Balkon verbracht und uns dabei ein oder zwei Flaschen billigen Weißwein reingeschüttet. Marie machte Alex runter, während ich ihn abwechselnd verfluchte und dann panisch schluchzend verkündete, dass ich nicht stark genug sei, um alleine zu sein.

„Danke. Es ist nur … Na ja, das war’s … vorbei.“ Ich wischte mir ein paar verschwitzte Haarsträhnen aus dem rot gefleckten Gesicht und sah Marie mit meinen verheulten Augen an. Sie zuckte zusammen, und das nicht nur wegen meines Anblicks, sondern weil ihr Plan, mein Elend mit Sonne, heißen Männern und einer All-inclusive-Bar zu vertreiben, nicht aufging.

Einen Moment lang hielt sie inne und rutschte mit ihrem kleinen Hintern auf dem harten Sitz hin und her. „Denk mal drüber nach, Georgia, du hast vollkommen recht.“ Sie zögerte kurz. „Das alles ist jetzt Vergangenheit, und es ist an der Zeit, sich um die Zukunft zu kümmern. Und da wir jetzt beide Single Ladies sind, kommen wir am besten durch den Tag, indem wir Alex den Finger zeigen und zusammen einen draufmachen. Ab jetzt hab ich das Kommando hier, und ich sage, wir gehen zum Strand runter.“ Marie sprang auf, stopfte unsere Sachen in die extragroße Strandtasche von Primark und setzte sich ihren riesigen labberigen Sonnenhut auf.

„Na ja …“, murmelte ich niedergeschlagen und trank die letzten Reste meines Cocktails.

„Komm schon! Du schaffst das! Ich weiß, dass du es schaffst. Wir kümmern uns erst mal um unsere Bräune, und für heute Abend suchen wir uns einen richtig coolen Club und amüsieren uns, nur wir beide, so wie früher.“

Ich nickte, band meine vom Chlorwasser strohigen Haare zu einem unordentlichen Dutt zusammen und verfiel in Laufschritt, um sie einzuholen. Meine billigen Flipflops klatschten laut auf den nassen Bodenfliesen.

Wir gingen den engen felsigen Weg entlang, der vom Hotel zum vollen Strand hinabführte. Mit einem Blick erkannten wir die endlosen Reihen mit Sonnenliegen.

„Mist, ist ganz schön voll, oder?“ Marie biss sich auf die Unterlippe. Und obwohl sie eine riesige Jackie-O-Sonnenbrille aufhatte, schirmte sie die Augen mit der Hand ab und blickte in die Ferne.

„Ja, könnte man sagen“, meinte ich seufzend, und meine Motivation sank, während ich sehnsüchtig an ein Mittagsschläfchen zwischen frischen weißen Laken in unserem Hotelzimmer dachte. Vom Lachen, den hupenden Autos und der Musik, die aus den in Konkurrenz stehenden Strandbars ertönte, wurde mir ganz schwindlig. Warum hatte Marie mich heute nicht einfach durchschlafen lassen und erst wecken können, nachdem die geplante Zeremonie, das Anschneiden der Hochzeitstorte und dazu noch der erste Tanz vorbei gewesen wären?

„Komm, Süße. Lass uns ein bisschen weitergehen, ich habe gehört, dass nicht weit von hier eine kleine Bucht ist“, sagte Marie fröhlich und tat so, als wäre sie eine Pfadfinderin, die sich in ein Abenteuer stürzen will – was nicht ganz den Tatsachen entsprach, denn bei den Pfadfindern war sie rausgeworfen worden, nachdem Tawny Owl eine Lebensmittelvergiftung erlitten hatte, als Marie ihr Kochabzeichen machen wollte.

Wir liefen in Schlangenlinien den Strand hinab, gingen an ein paar dichten duftenden Büschen vorbei, navigierten erfolgreich an felsigen Stufen entlang und erreichten bald eine idyllische hufeisenförmige Bucht, in der sich nur vereinzelte Sonnenliegen befanden. Ich registrierte, wie sich meine hochgezogenen Schultern etwas lockerten. Wir hatten eine kleine Oase der Ruhe vor dem Chaos der türkischen Stadt gefunden. Die ruhige, klare türkisblaue Bucht glitzerte vor uns, und ich grub meine Zehen in den Sand, atmete tief die milde Luft mit den vertrauten Gerüchen von Kokos-Sonnencreme und fettigen Pommes ein.

Wir ließen uns auf zwei Sonnenliegen nieder, zogen uns aus und brachten bereits gerötete Haut zum Vorschein. Wenn Marie nicht meine beste Freundin wäre, würde ich sie wirklich hassen. Ihrer schlanken Figur sah man nicht an, dass sie bereits einen Sohn hatte. Cole war das ungeplante Resultat einer durchzechten Nacht voller Leidenschaft mit Mike, einem Typen, den sie in ihrer Stammkneipe getroffen hatte. Sobald Marie einen Raum betrat, zog sie mit ihren langen feuerroten Haaren, die sie nur gelegentlich „auffrischen“ ließ, alle Blicke auf sich. Sie ist der fürsorglichste Mensch, den ich kenne, und sie hat oft die verrücktesten und auch schmutzigsten Gedanken. Ich wünschte, ich wäre mehr wie sie. Insgeheim habe ich immer gehofft, dass etwas von ihrem Glanz auf mich abfärbt, wenn wir zusammen abhängen.

„Hallo, Ladys. Ich heiße Ali. Nur die zwei Sonnenliegen, richtig?“ Ein einheimischer Mann Anfang vierzig mit einem Lächeln im gebräunten Gesicht sprang auf uns zu. Er trug kein T-Shirt. Nur eine Kette hing ihm um den Hals. Daran befand sich der Zahn eines Tiers, der auf seine Bauchmuskeln hinabzeigte. Seine wohlgeformte Brust zierte ein verblichener tätowierter Schriftzug, der sich unterhalb des Bunds seiner abgewetzten und zerschnittenen Jeans fortsetzte.

„Ja, bitte.“ Marie lächelte zu ihm hinauf.

„Hier ist es plötzlich ganz schön heiß geworden.“ Er zwinkerte uns zu und nahm das Geld entgegen.

Marie blickte seinem zugegebenermaßen knackigen Arsch hinterher, während er zu seiner Strandhütte zurückging, und sah mich dann grinsend an: „Lecker, oder?“

Darauf antwortete ich mit einer Mischung aus Seufzen und Schnaufen. Momentan war auch nur der Gedanke an das andere Geschlecht so weit weg, dass ich ein Fernglas nutzen musste, um dieses überhaupt wahrzunehmen.

„Ach, komm schon, Georgia. Du kannst mir nicht vormachen, dass so ein Anblick nicht irgendetwas in deinen stillgelegten Lenden in Bewegung bringt!“ Marie lachte, als ich die Augen verdrehte. „Weißt du was, ich habe plötzlich richtigen Durst. Willst du auch ein Bier?“

„Was für ein Zufall, dass die Bar gleich neben seiner Hütte ist.“

„Mag sein.“ Marie ignorierte meine hochgezogene Augenbraue und wühlte einen Stift und einen zerknitterten Flyer für eine Ladys-trinken-gratis-Nacht aus ihrer Tasche hervor. Sie versuchte, ihn wieder glatt zu streichen. „Ich habe eine Aufgabe für dich, solange ich fort bin. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass du eine Liste schreibst. Ich weiß, wie sehr du Listen liebst, und außerdem sagt meine Mama immer: ‚Im Zweifel schreib es auf!‘“ Den Stiftdeckel an die Lippen gepresst hielt sie inne. „Ich möchte, dass du eine Liste mit all den Dingen schreibst, die du in deinem Leben tun und sehen möchtest. So wie eine Bucket List, nur dass du keinen Krebs im Endstadium hast, der dich antreibt.“ Sie reichte mir den Stift mit dem feuchten Deckel und den Flyer mit der unbedruckten Rückseite.

„Ich weiß nicht mehr, was ich will. Ich dachte, ich wüsste es. Ich hatte mir alles ausgemalt und zurechtgelegt, doch jetzt komme ich mir so vor, als wäre ich in einer Art grausamen Vorhölle“, jammerte ich. Dennoch nahm ich den angesabberten Stift, denn es stimmte, ich war ein großer Fan von ausführlichen Listen. Ich hatte das Gefühl, durch das Niederschreiben von Gedanken den Kopf frei und die Kontrolle zurückzubekommen. Dann war da noch die Befriedigung, die Liste mit einem dicken, fetten Haken versehen zu können, sobald man sie abgearbeitet hatte.

„Nein. Du hast genug Trübsal geblasen, und jetzt ist es an der Zeit, etwas zu verändern und loszulegen“, sagte Marie mit fester Stimme. Sie sah aus, als würde sie nach einem zum Werfen geeigneten Stein Ausschau halten, mit dem sie mir drohen würde, falls ich mich nicht fügte. „Was passiert ist, war scheiße. Richtig scheiße. Aber man kann das auch so sehen: Zumindest wirst du nie wieder mit seiner Monstermutter zu tun haben, und du musst dir nie wieder Sorgen machen, ob du bei ihren lächerlichen Familienausflügen auffällst. Du musst nie wieder ihr vornehmes Getue ertragen.“ Sie schürzte die Lippen, hob die Hand zum Gruß wie die Queen und versuchte, unterkühlt zu winken – um ehrlich zu sein, keine schlechte Nachahmung von Alex’ Mutter Ruth. „Es würde mich nicht im Geringsten überraschen, wenn er sich die ganze Zeit über an dem Treuhandfonds bedient hat, den sie ihm angeboten haben, und dann einen auf ich bin einer von den gewöhnlichen Menschen gemacht hat. Blödmann.“

Ich schniefte laut.

„Ich weiß, dass das hart ist, aber versuche es bitte, überlege dir etwas Positives, meine Süße. Wenn du nicht weißt, was du möchtest, dann überlege dir vielleicht, was du nicht möchtest.“ Sie hielt inne. Ali hatte den Blick von einem Beachvolleyballspiel losgeeist und winkte ihr von seiner Strandhütte aus zu. Marie rückte ihre Sonnenbrille zurecht. „Du willst nicht mehr mit ihm, dessen Name nicht genannt werden darf, zusammen sein. Du willst nicht für den Rest deines Lebens in meinem Gästezimmer leben. Du willst nicht irgendeine einsame, langweilige Katzenmama sein …“

„Aber nur, weil ich eine Allergie habe“, wandte ich ein.

„Nein. Du willst nicht nur jemandes andere Hälfte sein. Du musst ein Ganzes sein, und mit einem ausgeklügelten Plan werden wir dich wieder auf die richtige Bahn lenken.“ Sie lächelte mild. „Starte einfach einen Versuch, bitte.“ Sie drückte mir einen Kuss ins Haar, wickelte sich in ihren Sarong und machte sich mühelos über den Sand gleitend auf den Weg, uns etwas zu trinken zu holen.

Ich starrte das leere Blatt an, so unbefleckt und weiß, und hatte Angst, etwas aufzuschreiben, da ich das Gefühl hatte, ich würde mich dann verpflichten, es auch zu erreichen. Das Problem war, dass ich immer einen Plan gehabt hatte. Doch jetzt? Jetzt war alles, was vor mir lag, eine große Leere, so wie das Blatt Papier in meinen verschwitzten Händen.

Auf den Sonnenliegen neben uns hatte sich eine Familie niedergelassen, und sie unterhielten sich lebhaft in einer Sprache, die wie schnell gesprochenes Spanisch klang. Im Vergleich zu meinem ausgeprägt nordenglischen Akzent klangen ihre mir unvertrauten Laute geradezu exotisch. Abgesehen von Französisch, das ich vor dreizehn Jahren in der Schule gelernt hatte, und an das ich mich kaum noch erinnern konnte, sprach ich keine anderen Sprachen. Vielleicht wäre das etwas, was ich tun könnte?

Genau genommen war ich abgesehen von dieser Reise mit Marie schon seit Jahren nicht mehr im Ausland gewesen. Aufgrund all des Sparens für die Hochzeit und das Haus hatte ich alle meine Sommerurlaube mit Heimwerken oder Aufenthalten in der Zweitresidenz von Alex’ Familie in Edinburgh verbracht. Als ich jünger war, hatte ich immer davon geträumt, mein Einkommen für exotische Reisen auszugeben, doch mein erbärmliches Gehalt schien nie dafür auszureichen. Sogar wenn ich ein Last-minute-Angebot nach Benidorm gefunden hatte, hatte Alex gespöttelt, dass wir auch gleich mit unseren Nachbarn in den Urlaub fahren könnten, denn nur dieser Typ Mensch würde einen Pauschalurlaub buchen und dann die ganze Woche englisches Bier in einem Irish Pub trinken. Wenn ich protestierte, dass man meine Familie auch als „diesen Typ Mensch“ bezeichnen konnte, hatte er mich an sich gezogen und mir einen Kuss auf den Hals gedrückt. „Ach Gigi, du weißt, was ich meine. Ich liebe deine Familie, aber vielleicht sollten wir ans Geld denken. Meine Mutter hat gesagt, dass Ed und Francesca jemanden suchen, der eine Woche lang ihr Haus in Devon hütet …?“

Da Alex in seiner Kindheit und Jugend schon viel von der Welt gesehen hatte, war ich mit meinen Träumen vom Fernweh allein. Und um fair zu sein, ich habe sie gern für ihn geopfert, damit er glücklich ist. Ich habe mir eingeredet, dass ich die heiß ersehnten Stempel in meinem Reisepass eines Tages schon bekommen würde. Es schauderte mir fast dabei, so lahm klang das.

Die Nachbarfamilie breitete eine Picknickdecke aus und öffnete eine Kühlkiste, die vollgestopft mit mir unbekannten Dingen war. Gerichte, deren Namen ich nicht kannte, die ich noch nie gegessen hatte, die jedoch fantastisch aussahen und rochen. Das war es, was ich tun wollte. Ich wollte die Frau sein, die mühelos eine neue Sprache parler konnte, die exotische Gerichte mit Zutaten kochte, die ich im Augenblick nicht mal aussprechen konnte, die bei Dinner-Partys Geschichten erzählte: „… Oh, da muss ich an die Zeit denken, die ich bei einem Schweige-Retreat in einem indischen Ashram verbracht habe …“, die Fakten und Anekdoten von entlegenen Orten kannte, anstatt über die steigenden Preise am Immobilienmarkt oder über Steuerklassen herumzunörgeln.

Okay, ich kann das. Ich begann zu schreiben …

Ich will die Welt in vollen Zügen genießen. Ich will erkunden, reisen, lernen und meine Grenzen neu setzen. Ich will zu mir selbst finden. Gebirge und Ozeane werden meine besten Freunde sein, die Sterne werden mich nach Hause leiten in der Nacht und meine Stimme soll unbedingt über alles, das ich gesehen habe, berichten, um es mit anderen zu teilen. Ich will reisen.

Huch! Mein Stift hatte sich wohl irgendwie verselbstständigt. Ich schaute auf das Blatt in meiner Hand und setzte mich auf meine Knie. Scheinbar wollte ich der Reiseenthusiast Michael Palin werden. Okay, und wie sollte ich all das erreichen? Genau wie vor ein paar Minuten schien der Stift ein Eigenleben zu entwickeln.

Kündigen und losziehen.

So einfach war das also, was, Kuli?

Was hält dich davon ab? Weder Mann noch Kinder, und bald auch kein Zuhause mehr. Nur ein blöder Job, bei dem du dich ständig darüber beschwerst, wie wenig du wertgeschätzt wirst, und dich dennoch durchbeißt, weil es dort gute Vorsorgepläne für Mütter gibt. Vorsorgepläne, die du jetzt nicht mehr brauchen wirst. Verkauf alles, kauf einen Rucksack, und zieh los.

Okay, vielleicht hatte der Stift ja recht. Ich hatte einen Job als Assistentin bei Fresh Air PR, einer kleinen wachsenden Firma in der Nähe von Topshop auf der Einkaufsmeile. Dort hatte ich die letzten fünf Jahre verbracht und mich von der Hilfskraft im Postraum zur persönlichen Assistentin des Marketingdirektors hochgearbeitet – jahrein, jahraus dasselbe Büro, dieselben Gesichter, dieselben Druckerprobleme. Der Gedanke daran, sich keine Sorgen mehr machen zu müssen, ob man die falsche Tasse zum Aufbrühen gewählt hatte, nicht dazu gezwungen zu sein, sich durch die Stumpfsinnigkeit der Weihnachtspartys zu trinken, sich nicht mehr die kleinlichen Diskussionen darüber anhören zu müssen, wer den besten Parkplatz hatte und welche Mittagsangebote sich am ehesten lohnten, fühlte sich richtig gut an. Ich war zu bequem geworden. Wie in den anderen Bereichen meines Lebens hatte ich Dingen zugestimmt, die ich nicht wollte, um es anderen recht zu machen. Aus Angst vor Versagen oder aus Peinlichkeit hatte ich aufgehört, meine eigenen Träume zu verwirklichen. Die Alltagsroutine mit Alex hatte sich ganz natürlich eingestellt, auch wenn es Zeiten gegeben hatte, in denen ich auf meine To-do-Listen sowie auf unser so gut wie nicht vorhandenes gesellschaftliches Leben geblickt und das Rackern im eigenen Heim verachtet hatte.

Aber wohin sollte ich gehen und was sollte ich tun? Kuli, lass mich nicht im Stich. Ich schloss die Augen, atmete die salzige, von Sonnencremeduft geschwängerte Luft tief ein und begann zu schreiben.

Nacktbaden im Ozean bei Mondschein

Die ganze Nacht unterm Sternenhimmel tanzen

Unglaublich exotische Gerichte probieren

Auf einem Elefanten reiten

Historische Tempel besichtigen

Neue Glaubensrichtungen erkunden

Einen Berg besteigen

Sich mit Menschen verschiedener Nationalitäten anfreunden

Den Ratschlag einer weisen Seele einholen

Etwas Verrücktes tun

Mir tat die Hand weh, doch im Kopf brummte es nur so. Ich kam wieder zu mir, als sich eine Mischung aus Zweifeln und der Realität in meine Gedanken schlich. Wie sollst du das hinbekommen? Es wird Monate dauern, das alles zu planen, Geld zu sparen und zu organisieren. Womit fängt man bei solch einer Reise überhaupt an?! Nie im Leben wirst du dich trauen, einen Elefanten anzufassen, geschweige denn, auf einem zu reiten. Beim letzten Versuch, dich mehr zu bewegen, bist du beinahe ohnmächtig geworden, den Everest hochzuwandern, fällt also aus. Und du hast geweint, als dir Blut abgenommen wurde, wie willst du dann mit etwas Verrücktem klarkommen, wie zum Beispiel einer Tätowierung? Das Verrückteste, das ich in letzter Zeit gemacht hatte, war, ohne Abschminken schlafen zu gehen.

Die verträumte Freiheit meines Kulis mochte ich viel lieber als mein blödes Gewissen.

Heute hätte dein Hochzeitstag sein sollen, oder hast du das etwa vergessen? Es ist total sinnlos, sich hier hinzusetzen und über ein vollkommen neues Leben zu schreiben, das du anfangen willst, wenn du doch weißt, dass du nicht die Kraft hast, irgendetwas zu verändern, wies ich mich selbst zurecht.

Das werden wir noch sehen, meinte mein Kuli.

Kapitel 2

Drapetomanie, die (Substantiv, feminin): überwältigender Drang fortzulaufen

Zwei Stunden später drehte sich mir der Kopf immer noch von der Idee, dass ich vielleicht, nur vielleicht, tatsächlich die Welt sehen könnte. Dass ich Rucksacktouristin werden und mein Leben wirklich ändern könnte. Meine eingesunkenen Fußabdrücke zeichneten sich hinter mir im Sand des Ufers ab. Ich ließ das kühlende Wasser über meine sonnenverbrannten Füße schwappen, schloss die Augen und atmete die frische Meeresluft ein. Inzwischen hätten wir bereits die Eheversprechen ausgetauscht. Unsere laut ausgesprochenen Schwüre, uns zu lieben, zu ehren und zu respektieren solange wir leben. Eine einzelne Träne rollte mir über die Wange, doch ich riss mich zusammen. Jetzt bist du an der Reihe. Jetzt war es an der Zeit, mir selbst einen Schwur zu leisten, einen Eid, ein Versprechen, das von ebenso großer Tragweite war, dessen Erfüllung jedoch nur von mir selbst abhing: glücklich zu sein.

Zügig lief ich über den heißen Sand zurück zur inzwischen schnarchenden Marie. Zum Glück war Ali nirgends zu sehen. Dieser unsexy Anblick einer menschlichen Fliegenfalle hätte ihre Chancen bei ihm sonst zunichtegemacht. Ich verstaute meine Reisewunschliste unter ihrer Heat – Zeitschrift und der Flasche Sonnencreme in ihrer Strandtasche und stupste sie dann an. „Was? … Wo? … Wer?“, schreckte sie stammelnd auf, setzte sich ruckartig hin und wischte sich die Spucke vom Mund.

Ich musste über Maries verschlafenes Gesicht und das zerzauste Haar lächeln. „Hey, ich gehe zurück ins Hotel.“

„Superidee, reich mir mal die Flasche Wasser, und dann können wir los. Wie lange hab ich geschlafen? Hab ich was verpasst?“, fragte sie zwischen großen Schlucken. Die Hitze drückte, und sie richtete sich die Haare mit den Fingern.

„Nö, nicht wirklich“, antwortete ich leichthin. Ich hatte beschlossen, noch ein wenig über die Liste nachzudenken, bevor ich ihr meine radikalen Ideen erzählen würde. „Und was ist eigentlich mit dem Baywatch-Typen gelaufen?“, fragte ich und machte eine Kopfbewegung zu Alis Strandhütte.

Sie schnaubte und warf den Kopf in den Nacken. „Wie’s scheint, ist er schwul.“

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht aufzulachen. „Was soll das heißen?“

„Na ja, ich habe meinen klassischen ich-beuge-mich-über-die-Bar-um-mir-einladend-nen-Trinkhalm-zu-nehmen-Trick angewandt, und ich schwöre, dass das bisher immer funktioniert hat.“

„War das nicht der Trick, bei dem du am Ende mit Cole schwanger geworden bist?“, neckte ich sie.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ganz genau! Siehst du, ich hab ja gesagt, dieser Flirttrick ist Gold wert. Wie auch immer, der Typ hat nicht mal mit der Wimper gezuckt. Ganz so, als hätte mein Ausschnitt keinerlei Effekt in seiner Unterhosenregion hervorgerufen.“

„Und deshalb glaubst du, dass er schwul ist?“

„Nein. Aber sogar, als ich mir genussvoll die Lippen geleckt und langsam zu ihm rübergegangen bin – mit ausgestrecktem Kim-Kardashian-Hintern und all dem –, war er zu sehr damit beschäftigt, den Kerlen beim Beachvolleyball zuzusehen, um das überhaupt zu bemerken!“

„Vielleicht ist er einfach nur verdammt sportbegeistert?“, schlug ich vor. Sie verdrehte die Augen und war beleidigt über diesen Schandfleck in ihrem sonst makellosen Verführungszeugnis.

„Glaub mir, ich hab recht. Ich sag dir, er war mehr daran interessiert dabei zuzusehen, wie sich die Typen mit Sonnenmilch eingerieben haben, als den Spielstand zu verfolgen.“

„Ah, na dann. Hey, aber du weißt ja, dass ich dich egal was kommt immer lieben werde!“

Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Georgia. Wir sind hergekommen, um dich wieder in Ordnung zu bringen und nicht, damit mir heiße türkische Männer meine Laune verderben.“ Sie streichelte liebevoll meinen Arm. „Zumindest weiß ich, dass mein Trinkhalm-Trick noch funktioniert, na ja, bei Hetero-Männern jedenfalls“, meinte sie lachend.

Während ich ihr so zuhörte, wurde mir schlagartig klar, dass mir das jetzt auch wieder bevorstehen würde, da ich jetzt Single war: Wege finden, die Aufmerksamkeit der Männer auf mich zu ziehen. Wenn es Marie schon schwerfiel, wollte ich nicht wissen, wie ich das angehen sollte. Der Gedanke, dass ich jetzt solo unterwegs war, ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Ich war nicht länger jemandes bessere Hälfte, Verlobte oder Freundin. Es gab nur noch mich, und bald würde ich kopfüber in den ständig schrumpfenden Pool an Männern, die noch zu haben waren, eintauchen müssen. Oh Gott.

„Alles okay, Süße? Du bist trotz des Sonnenbrands ganz blass geworden.“ Maries Stimme holte mich in die Gegenwart zurück.

„Ja, ja. Bin nur etwas müde.“

„Okay, gut, dann lass uns zurückgehen und was essen, und dann machen wir uns fertig zum Ausgehen. Mal sehen, was das Nachtleben dieser Stadt so zu bieten hat. Und ich lasse kein Nein gelten.“

Es war unsere letzte Nacht hier, und auch wenn ich den Tag so weit ganz gut überstanden hatte, konnte niemand wissen, was noch ein paar Cocktails mehr mit meiner wackligen Entschlossenheit anstellen würden. Andererseits war es im Angesicht der Veränderungen, die mein nun scheinbar jämmerliches Leben umkrempeln sollten, gar keine schlechte Idee, aus meiner Höhle hinaus ins Partylicht der Vergnügungsstraße gezwungen zu werden.

„Na schön“, sagte ich mit einem Nicken.

„Was?!“ Marie beugte sich vor und umarmte mich. „Ich war mir sicher, dass du Nein sagen würdest.“

„Tja, vielleicht werde ich ab jetzt versuchen, etwas öfter Ja zu sagen.“ Ich lächelte sie an.

„Das ist großartig, Georgia. Na siehst du, ich wusste es, hierherzukommen war die beste Idee. Heute Abend wird richtig super, das hab ich einfach im Gefühl.“

***

Aufgrund meiner momentanen Appetitlosigkeit – wahrscheinlich der einzige Vorteil vom Schlussmachen – sah ich eher dürr als schlank aus. Doch als ich mich im Spiegel anschaute, erkannte ich mich nicht wieder: Eine glamourös hergerichtete Frau starrte mich an. Ihre durch Pubertätspickel leicht vernarbte Haut war mit viel Bronzer abgedeckt, ihr glänzend braunes geföhntes Haar rahmte mandelförmige Augen ein, und eine Schicht Lippenstift glänzte auf ihrem Kussmund. Marie hatte auf einer Typveränderung bestanden, deshalb sah das Gesicht im Spiegel völlig anders aus als das der alten Georgia, und ich war mir nicht sicher, ob ich es mochte. Ich fühlte mich unsicher in meinem Outfit. Meine grell pinkfarbene Clutch passte zu den schwindelerregend hohen Stilettos, die ich trotz meiner Einwände, dass ich in High Heels herumeierte wie eine betrunkene Tina Turner, gezwungenermaßen von ihr hatte ausleihen müssen.

„Dann gehen wir eben langsam.“ Sie drückte mir ein blass goldenes Kleid in die Hände und brachte mich damit zum Schweigen. Es war das Kleid, das ich vor ein paar Jahren aus einer Laune heraus gekauft hatte, Beyoncé lebe hoch, und so. Nachdem Alex gemeint hatte, es sähe aus, als hätte ich es einer billigen Nutte geklaut, hatte ich nicht mal die Etiketten entfernt. Ich hatte mir jedoch eingestehen müssen, dass Queen Bey in ihren mit Strass besetzten Boots bei meinem Anblick nicht eben erzittern würde. Marie musste es heimlich eingepackt haben. Ich wünschte, ich hätte die Chance gehabt, die weiten Leinenhosen und die komfortable Bluse anzuziehen, die ich mir bereitgelegt hatte, bevor Marie sie versteckte. Sehr lustig …

Schließlich waren wir so weit und traten hinaus in den milden Abend, in das Zirpen der Grillen – und den Geruch von Autoabgasen. Wir machten uns auf den Weg zum Hafen. Fünfzehn-Meter-Master schwankten in tintenblauem Wasser und wurden von weiß strahlenden würfelzuckerförmigen Villen an der etwas weiter entfernten Anhöhe akzentuiert, deren Lichter wie vom Himmel gefallene Sterne glitzerten. Unglücklicherweise wurde diese umwerfende Szenerie durch die Ansammlung austauschbarer Bars und Nachtclubs entlang der Küstenlinie ruiniert. Vor jeder Bar standen Aufsteller, die Fischglas-Cocktails, gratis Shots und drei Drinks zum Preis von einem in geschwungener Neon-Handschrift bewarben. Ein Mädel in Fellstiefeln, winzigen Pailletten-Hotpants und einem Bikinitop, das geradeso ihre Nippel bedeckte, tanzte zu uns herüber, legte uns die sonnengebräunten Arme um die Schultern und versuchte, uns in die Bar zu lotsen, für die sie arbeitete.

„Okay, Ladys! Ich bin Mel, macht ihr Ferien? Dann seid ihr hier genau richtig. Wir haben die billigsten und besten Cocktails weit und breit. Ich geb euch drei Cheeky Vimtos zum Preis von einem, alle Mixgetränke für nur ein Pfund, und ich leg noch ein paar Kurze obendrauf!“, begrüßte uns die Blondine fast kreischend mit halb irrem Blick und schwerem Londoner Akzent, ohne auch nur einmal Luft zu holen. Ich warf Marie einen Blick zu. Sie wirkte ebenso peinlich berührt, wie ich mich fühlte, dass sich diese fremde Person fast um uns gewickelt hatte.

Mel zog uns unerbittlich zu der gähnend leeren Bar. In der Ecke wartete eine traurig aussehende Bullriding-Maschine geduldig darauf, übergewichtige Touristen umherzuschleudern. Die Bedienung lehnte an der Bar und rauchte, während jämmerliches Strobo-Licht über die leeren Tische tanzte.

„S’ ist eeeecht noch früh, ich verspreche euch, das hier ist die Partylocation. In paar Stunden wollt ihr garantiert mit mir rumlesben, weil ich euch ’nen Tisch besorgt hab, dann geht’s nämlich totaaal aaaab!“, erklärte die irre Mel angesichts unserer halb entsetzten und halb enttäuschten Gesichter.

Ein paar andere Bar-Schreier schielten herüber, um zu sehen, ob Mel ihren Fang an Land ziehen würde oder ob sie selbst einen Versuch starten konnten, sobald wir weitergingen. Als ich sah, wie sie uns wie die Geier abschätzten und sich ausrechneten, wie hoch die Provision sein würde, die sie aus uns herausschlagen konnten, hätte ich mir am liebsten Maries Hand geschnappt und wäre zurück in die Sicherheit und Stille unseres Hotelzimmers gelaufen.

„Okay, na dann los“, sagte Marie und zerschlug mit einem Mal meine Hoffnungen, hier schnell wieder wegzukommen. Das ist deine letzte Nacht hier, sei nicht so spießig, Georgia.

„Super!“ Das dick aufgetragene Make-up im Gesicht der irren Mel faltete sich zu einem künstlichen Lächeln zusammen. „Mir nach, Ladys!“

Zu Hause hätten die Gäste jetzt zu Come on Eileen getanzt, die Bar bevölkert und versucht, Alex’ arroganten Trauzeugen Ryan zu ignorieren, der mit seiner Krawatte im Rambo-Stil um den Kopf im Partyzelt umhergeflitzt wäre und dabei seinen Willi herumgeschwungen hätte. Und stattdessen war ich nun hier, versuchte, den Freddie-Mercury-Imitator auszublenden, hörte zu, wie Marie von einer Gruppe Milchbubis in T-Shirts mit der Aufschrift Vollabsturz in der Türkei angequatscht wurde, und meine Schultern pulsierten vom Sonnenbrand. Ich war mir nicht ganz sicher, was das kleinere Übel war.

„Georgia! Das ist Rickaaaaay!“, rief Marie über die Musik hinweg und lieferte ihre beste Performance als Bianca Jackson ab, während der Milchbubi, um den sie den Arm gelegt hatte, weiter verträumt dreinschaute. Entweder war er zu jung oder zu betrunken, um mitzubekommen, worauf sie überhaupt hinauswollte. „Seine Kumpel und er sind aus Cardiff.“

„Hey, alles klar?“, Ricky beugte sich für einen Kuss auf die Wange vor, verlor jedoch das Gleichgewicht und verpasste mir eine halbe Kopfnuss auf den Wangenknochen. Wenn die Wirkung des ganzen billigen Alkohols irgendwann nachließ, würde das verdammt wehtun.

„Autsch. Klar, super“, sagte ich und rieb mir die Wange, wobei ich das Make-up ruinierte, das mir Marie so gewissenhaft nach Anleitung eines YouTube-Videos in unserem Zimmer aufgetragen hatte. Ich wollte zurück zu unserem Tisch und mir ein paar Eiswürfel holen – die irre Mel hatte recht gehabt, hier drinnen war es viel lebendiger geworden –, doch Marie hielt mich am Arm fest.

„Komm schon, gib jetzt nicht auf!“, bat sie eindringlich. In ihren Augen glitzerte etwas, das entweder Fröhlichkeit oder ein Wodka-Rausch war, und dann zog sie mich zur Tanzfläche. „Das ist echt klasse. Es ist so super, dich wieder lächeln zu sehen“, schrie Marie gegen den Bohemian-Rhapsody – Remix an. „Außerdem glaub ich, dass da noch was geht“, sang sie mir ins Ohr und machte eine Kopfbewegung zu Ricky, der sich seine Tanzbewegungen scheinbar vom Film Sex on the Beach abgeschaut hatte.

Ich verzog das Gesicht: „Ich weiß nicht.“

„Ich sag dir, der ist total heiß darauf!“

Ich zuckte zusammen. „Ich glaub, dafür bin ich wirklich noch nicht bereit.“

„Vielleicht musst du’s einfach nur hinter dich bringen. Das Pflaster mit ’nem Ruck abreißen?“, schlug sie vor, während ein enthusiastischer Tänzer hüftschwingend an uns vorbeizog.

Ich starrte Marie an und dachte daran, was beim letzten Mal passiert war, als sie mich ermutigt hatte, „es hinter mich zu bringen“. Erinnerungen daran, wie ich fünfzehnjährig in dem kalten Bunker gewartet hatte, kamen zurück. Mein Gesichtsausdruck sprach Bände, und Marie nahm mich in den Arm.

„Tut mir leid, ich hab vergessen, dass ich nicht gerade die beste Kupplerin bin“, sagte sie sachte.

„Ist schon okay, aber ich muss mir die Zeit nehmen, die ich brauche. Und ich will ja nicht fies sein, aber Ricky ist doch bestimmt noch Jungfrau.“

„Du könntest ein Cougar sein!“ Sie brach in Gelächter aus. „Nein, ich versteh schon. Aber hey, es ist gut zu wissen, dass du’s noch draufhast. Außerdem hab ich irgendwo gelesen, dass es wieder zuwächst, wenn man’s nicht benutzt.“ Sie kicherte und wirbelte mich dann herum.

Wir waren gerade dabei, Ricky und seinen Kumpels unseren berühmten Rasenmäher-Tanzmove beizubringen, als sich nahe am Eingang eine Art Tumult entwickelte. In der Erwartung, irgendeinen C-Promi einer türkischen Reality Show zu Gesicht zu bekommen, zog Marie mich durch die Menge hindurch, um mehr sehen zu können. Doch wo ein ruhmsüchtiger Möchtegern hätte stehen sollen, befand sich eine hübsche Frau in einem langen weißen Kleid. Grinsend stand sie Hand in Hand mit einem Mann in schwarzem Anzug da. Kurz darauf folgten ihnen ein paar lebhafte Ladys, die alle graugrüne Kleider im Abschlussball-Stil trugen, und da dämmerte es mir … eine Hochzeitsgesellschaft gesellte sich zu uns.

Das darf ja wohl nicht wahr sein. Vorwurfsvoll stierte ich in Richtung Himmel. In der Nacht, in der ich inzwischen schon beim langsamen Tanz mit Alex hätte sein sollen, wurde ich nun mit einer tatsächlich stattfindenden Hochzeit konfrontiert. Ich war in der Gesellschaft lebenslustiger Gastgeber, die die Hochzeitsformalitäten hinter sich bringen, um dann die Clubs heimzusuchen und dort so richtig miteinander zu feiern. Alex hätte das gehasst.

Genau genommen hätte Alex alles an dieser Reise gehasst, angefangen bei den Sonnenliegen aus Plastik, über die Karaokebar, bis hin zu den gestylten türkischen Männern. Auf mein Styling hätte er wahrscheinlich abschätzig reagiert und mein zugekleistertes Gesicht kritisiert. Ich griff mir Maries Hand und zog sie ins Damen-WC.

„Oh Gott! Geht’s dir gut?“, fragte Marie besorgt mit großen Augen. „Ich nehme an, du hast die ungebetenen Gäste gesehen. Wenn du willst, kann ich los und die Türsteher fragen, ob sie sie rauswerfen können!“ Sie fing an herumzuhüpfen, als wäre sie Rocky.

„Nein, das ist schon okay. Mir ist vielleicht ein bisschen schlecht, aber das kann auch am leuchtenden Fischglas-Cocktail liegen, den wir getrunken haben.“ Ich lehnte mich ans kühle Steinbecken. „Ach, Marie, das jetzt gerade zu sehen hat das alles so real werden lassen.“

„Was meinst du? Musst du dich hinsetzen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Hast du gesehen, wie der Bräutigam seine Angetraute angeschaut hat? Hast du das gesehen? Gott, ich konnte die Hormone bis hierher fliegen sehen. Es ist schon Jahre her, dass Alex mich so angeschaut hat. Jahre! Vielleicht bin ich noch mal mit ’nem blauen Auge davongekommen, so wie du gesagt hast. Vielleicht ist das der beste Moment, um mein Leben tiefgreifend zu verändern. Ich habe eine Liste geschrieben, so wie du vorgeschlagen hast.“ Marie sah total verwirrt aus – sie hatte ihren Gedankenblitz vom Strand schon wieder vergessen. Ich wühlte in meiner Clutch, wobei die Hälfte des Inhalts auf den gefliesten Boden fiel, und streckte ihr das Stück Papier entgegen.

„Lies das. Das möchte ich jetzt aus meinem Leben machen. Ich hab’s satt, etwas hinterherzuheulen, das ich wahrscheinlich sowieso nie wirklich hatte. Ich war so sehr damit beschäftigt, die Hochzeit zu planen und sicherzugehen, dass ich die Erwartungen seiner Mutter und von Miss Perfect Francesca erfüllte, dass ich übers Heiraten an sich überhaupt nicht nachgedacht habe. Das Eheversprechen zu schreiben, stand als letztes auf meiner Liste, weil mir einfach nichts einfallen wollte, obwohl ich ihn so lange damit genervt habe, bis er’s gemacht hat“, gab ich zum ersten Mal offen zu.

Marie versuchte, die Liste mit vom Alkohol verschleiertem Blick zu lesen.

„Ich hab eine Mordsangst vor der Zukunft, aber sie muss einfach besser sein, als ein schönes Zuhause mit einem Verlobten zu teilen, der fremdgeht, als eine Arbeit zu haben, die ich hasse, nur um die Rechnungen bezahlen zu können, und als mich noch tiefer zu verschulden, weil die Hochzeit so teuer war. Das sollte eine Phase in meinem Leben sein, in der ich losziehe, die Welt sehe, neue Sachen lerne und zu mir selbst finde.“ Ich war so richtig begeistert und sprach wahrscheinlich lauter, als es sein musste. Mann, das waren echte Killer-Cocktails.

Marie schwieg ein paar Sekunden lang. Dann breitete sich ein riesiges Grinsen auf ihrem angeheiterten Gesicht aus. „Das ist fantastisch, meine Süße. Ich glaube, das solltest du ganz unbedingt machen. Oh Gott, ich werde dich vermissen, aber wann wird’s noch mal eine Zeit geben, die besser ist als jetzt, um loszuziehen? Ich bin so stolz auf dich, wie du mit allem klargekommen bist, und sogar damit, das Paar vorhin zu sehen – das hast du so unfassbar toll gemacht.“

„Danke, aber um ehrlich zu sein, das alles hätte ich ohne dich nie hinbekommen.“

„Doch, hättest du. Du bist so großartig.“ Jetzt lallte sie ganz eindeutig.

„Nein, du bist die Großartige hier.“

„Nein, du!“

Ein Mädel mit gigantisch auftoupierten Haaren preschte an uns vorbei, um sich die Hände zu trocknen und unterbrach unsere Selbstbeweihräucherung. Wir prusteten beide in einem Kicheranfall los. „Ich will das, was die getrunken haben“, rief sie einer ihrer Freundinnen in der Kabine zu. Als ich zur Wanduhr über den Spülbecken blickte, wurde mir klar, dass wir in ein paar Stunden abreisten und noch nicht gepackt hatten.

„Wir müssen los, Süße“, sagte ich. So wie sie schwankte, schien mir, dass sie auch so weit war, nach Hause zu gehen.

„Oooch, ja, du hast recht. Das war so ein toller Abend! Weißt du was, du solltest wieder herkommen und dir auch ’nen Job wie die süße Mel besorgen, da könntest du ’n bisschen rumkommen?“, lallte Marie und nahm meine Hand, während wir an der stetig länger werdenden Schlange vor dem Damen-WC vorbeigingen. Braut und Bräutigam waren schon lange in der Menge junger Türken auf der vollen Tanzfläche verschwunden.

„Ähm, ja, vielleicht“, erwiderte ich abwesend.

Wir schafften es, unbeschadet hinaus und außer Reichweite der provisionshungrigen Bar-Schreier zu kommen. Hin und wieder waren noch einzelne Fetzen von hämmernden Bässen zu hören, und ich fühlte den Rausch des Adrenalins in mir pulsieren. Unter den hell leuchtenden Sternen, die sich im pechschwarzen Wasser, das an den Kai schwappte, spiegelten, spürte ich die Begeisterung und Vorfreude über das, was meine Zukunft für mich bereithielt. Ich fühlte mich lebendig. Wenn ich es überleben kann, an dem Tag, der mein Hochzeitstag gewesen wäre, einer Braut gegenüberzustehen, dann kann ich alles andere mit Sicherheit auch schaffen.

In der Stille unseres Hotelzimmers schlief Marie ein, nur wenige Minuten nachdem ich sie ihrer Klamotten entledigt, sie zugedeckt und die Klimaanlage aufgedreht hatte. Ich schminkte mich ab, schlüpfte in meinen Baumwollpyjama, band meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und schmiegte mich in die weiche Umarmung der Laken. Der Kopf drehte sich mir vom Alkohol, von den Gefühlen und von der Tatsache, dass ich eine Begegnung mit einer Hochzeitsgesellschaft überstanden hatte – ausgerechnet am heutigen Abend.

Eigentlich hätte ich jetzt mit Alex in der Hochzeitssuite des Gutshauses liegen sollen. Nach einem gemeinsamen Bad mit einem Glas Champagner in der riesigen, freistehenden Wanne hätten wir uns nun als Mr. und Mrs. geliebt und davon geschwärmt, wie perfekt der Tag gewesen war. Der Tag meiner Träume. Aber das war das Problem mit Träumen, sie werden so gut wie nie wahr. Nein, in Wirklichkeit wäre es anders abgelaufen: Die Nacht hätte damit geendet, dass wir uns darüber gestritten hätten, warum sein Freund Ryan in seiner Tischrede auf andere Frauen angespielt hatte. Während wir die Torte angeschnitten hätten, hätte mein peinlicher Onkel Ron, den wir nur eingeladen hatten, um Familienstreitigkeiten aus dem Weg zu gehen, den aber in Wahrheit niemand dabeihaben wollte, spontan ein nicht jugendfreies Karaoke gestartet. Was Alex’ Eltern dazu bewogen hätte, ein ernstes Wort mit ihrem Sohn zu sprechen, warum er in so eine ordinäre Familie hineinheiratete. Alex und ich wären zu erschöpft gewesen, um uns überhaupt ein Bad einzulassen, geschweige denn, um noch mehr Alkohol zu trinken, und wir wären in unseren Klamotten, jeder auf seiner Seite des Betts, schnarchend in einen berauschten Schlaf gefallen. Warum hätten wir dann mit Liebe machen anfangen sollen, wenn wir schon seit Monaten keinen Sex gehabt hatten? Wir hatten uns mit unserer Trägheit arrangiert, und ich bin mir sicher, dass das nicht der Titel eines Kamasutra-Films ist. Alex’ mangelndes Interesse an mir hatte ich auf den Hochzeitsstress und die Nervosität geschoben, oder darauf, dass er nach einer erneuten langen Arbeitsschicht müde war. Ich bin dermaßen naiv gewesen! Und dabei hat er es sich die ganze Zeit über von einer anderen besorgen lassen.

Ich schaute rüber zu Marie. Zusammen mit meiner leicht betrunkenen, halb nackten besten Freundin in einem Hotel in der Türkei zu liegen, war genau genommen eine gar nicht so schlechte Art, die heutige Nacht zu verbringen. Im Augenblick war ich glücklich darüber, dass ich diesen Tag nicht als den Tag, an dem ich hätte heiraten sollen, sondern als den Tag, an dem ich einen Plan für mein neues Leben erstellt habe, in Erinnerung behalten würde.

Alles, was ich jetzt noch tun musste, war, ihn umzusetzen.

Kapitel 3

Hiraeth (Substantiv): Walisisch für eine Art Heimweh nach einem Zuhause, in das man nicht zurückkehren kann bzw. das so niemals existiert hat.

Manchester hieß uns auf seine Art willkommen: Als wir aus dem Flugzeug gestiegen waren, hatte es uns mit grauem Himmel und Sprühregen umarmt, und seitdem hatte es durchgeregnet. Doch auch der ausgebliebene Indian Summer, den die Meteorologen im TV vorhergesagt hatten, konnte meine Laune nicht trüben. Den ganzen Flug über zurück nach Hause hatten wir uns darüber unterhalten, wo, wie und wann ich au revoir sagen würde, und das hatte mich von dem abgelenkt, was mir jetzt noch bevorstand.

Ich musste den Rest meiner Sachen aus meinem alten Zuhause holen und in Maries Gästezimmer bringen – insgeheim hatte ich gehofft, dass sich das auf magische Weise von selbst erledigen würde, während ich fort war. Wo waren die Heinzelmännchen, wenn man sie brauchte? Marie hatte versucht, mich dazu zu ermutigen, mich nicht unterkriegen zu lassen und darum zu kämpfen, in dem Haus wohnen zu können, das mir zur Hälfte gehörte. „Alex sollte derjenige sein, der ausziehen muss. Soll er doch bei der hässlichen Schlampe einziehen, für die er angeblich Gefühle hat“, hatte sie eines Abends geradeheraus beim Kartenspielen gesagt. Wahrscheinlich hatte sie recht. Das Problem war nur, dass ich den Gedanken nicht ertragen konnte, dort alleine zu wohnen und täglich durch die Haustür in ein leeres Haus zu kommen, an dem so viele Erinnerungen hingen. Bisher hatte ich noch nie alleine gelebt und war garantiert nicht stark genug, jetzt damit anzufangen. Davon abgesehen hatte ich nicht die Kraft zu kämpfen und ihn zu konfrontieren. Ich wollte es einfach nur geregelt haben, damit ich das alles hinter mir lassen konnte. Morgen. Morgen würde ich’s erledigen. Heute wollte ich einfach nur in die Wanne, früh ins Bett und die riesige Toblerone-Packung verschlingen, die irgendwie ihren Weg in meinen Einkaufskorb im Duty Free gefunden hatte.

Wir zischten durch den Zoll und hielten kurz darauf vor Maries Wohnung an. Der griesgrämige Taxifahrer knallte unsere Reisetaschen auf den regennassen Fußweg und verfehlte wie durch ein Wunder die Pfützen. Willkommen zu Hause.

Marie telefonierte mit Cole, und ich machte mich nützlich, drehte die Heizung hoch, schüttete saure Milch weg und stellte Wasser zum Kochen auf.

„Oh mein Gott!“, kreischte Marie, als sie ins Zimmer preschte. Ihr Kater schien wie weggeblasen. „Mein Agent hat gerade angerufen und mir gesagt, dass ich das erste Vorsprechen geschafft habe und zum zweiten eingeladen bin!“

„Das sind tolle Neuigkeiten. Wo, was, wann?“

„Ich muss morgen los. Ich werde ein paar Tage lang fort sein, weil der Regisseur gerade vor Ort filmt. Aber für dieses zweite Vorsprechen hat er persönlich nach mir gefragt. Das ist der Film, für den ich vor Ewigkeiten mal vorgesprochen habe – dieser Kostümfilm mit dem unerwarteten Ende, weißt du noch?“

„Ach ja.“ Ich erinnerte mich daran, dass sie wegen irgendetwas nervös gewesen war. Das war zur selben Zeit, als ich mich hatte entscheiden müssen, ob nach dem Anschneiden der Torte gleich der DJ kommen sollte oder erst die Ansprachen. Es war eine stressige Zeit für uns beide gewesen.

„Die wollen Jane Eyre einen urbanen Anstrich geben und es in Brixton filmen statt im Lake District – oder wo auch immer das ursprünglich spielt. Ich habe nur ein paar Zeilen, aber mein Agent meint, wenn es mit dem Regisseur klappt, dann könnte das zu größeren Rollen führen“, erzählte sie aufgeregt.

„Das ist ja fantastisch! Das hast du richtig toll gemacht.“

„Der Haken ist, dass ich Cole noch ein paar Tage länger nicht sehen kann, was mich echt mitnimmt. Aber Mike hat gesagt, dass seine Mutter ihm hilft, auf ihn aufzupassen, bis ich wieder da bin. Bis dahin werden wir uns wohl mit FaceTime begnügen müssen“, sagte Marie traurig.

Dafür, dass Coles Vater Mike nur ein One-Night-Stand gewesen war, hatte er wirklich Verantwortung übernommen, und zusammen hatten sie die Betreuung ihres Sohnes perfekt organisiert. Nicht selten fiel mir Mikes sehnsüchtiger Blick auf, mit dem er Marie ansah, wenn er Cole nach einem Wochenende in seinem Haus zurückbrachte, und ich fragte mich, ob sie es je versuchen würden, die ganze Sache mit Erziehung und Elternsein gemeinsam anzugehen. Äußerlich schienen sie perfekt zueinanderzupassen, und beide vergötterten Cole. Doch immer, wenn ich Marie darauf ansprach, meinte sie nur, dass ein Mann in ihrem Leben völlig ausreichte. Dann wechselte sie stets das Thema.

„Tja, Berühmtsein hat seinen Preis“, sagte ich lächelnd, „aber hey, es dauert ja nicht so viel länger, und stell dir Coles Gesichtsausdruck vor, wenn er seine Mama im Fernsehen sieht.“ Marie zuckte zwar mit den Schultern, doch insgeheim wusste ich, wie viel es ihr bedeutete, ihren Kindheitstraum wahrzumachen und eine Schauspielerin zu sein – ganz besonders, da sie für Cole sorgen musste. Sie bot mittlerweile auch Hausbesuche als Friseurin an, um die Rechnungen bezahlen zu können, doch ihr Herz hing an dramatischen Szenen und an unerwarteten Wendungen, nicht an Blondiercreme und Dauerwellen.

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Das heißt also, dass wir deine Sachen heute Abend aus dem Scheißkerl-Inn holen müssen, weil ich dir sonst nicht dabei helfen kann.“ Sie hatte recht. Verdammter Mist.

Meine Eltern konnte ich nicht um Hilfe bitten, besonders wegen des Rückenleidens meines Vaters. Ich ging meine Handykontakte im Kopf durch und überlegte, wen ich anrufen und bitten könnte, beim Transport von ein paar Kisten zu helfen. Ich überflog die Namen von Alex’ Freunden, entfernten Verwandten, alten Klassenkameraden, mit denen ich, von den jährlichen Facebook – Glückwünschen zum Geburtstag abgesehen, seit Jahren keinen Kontakt hatte und stellte fest, dass niemand übrig blieb.

Niemand.

Als Kind war ich nie sonderlich beliebt gewesen. Doch ich hatte mir ausgemalt, dass ich in meinen glamourösen Endzwanzigern zumindest einige enge Freunde haben würde, neben denen die Darsteller aus Friends wie eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe Fremder in einem Fahrstuhl wirken würde. Das war ein weiterer Punkt für meine Reisewunschliste – mehr Freunde finden.

„Tut mir leid, Süße. Meine armseligen Kisten zu schleppen ist das Letzte, was du gebrauchen kannst, wenn du eigentlich für deine neue Rolle packen solltest.“

„Nee, das ist schon okay. Ich werf einfach ein paar saubere Slips in meine Tasche und bin reisefertig“, meinte Marie lächelnd. „Es ist viel wichtiger, dass wir dich von diesem Arschloch wegholen. Ist es okay, wenn wir jetzt gleich loslegen?“

Ich musste all meine Kraft aufbringen, um zu nicken. Ich wollte nicht dorthin. Ich wollte nicht daran erinnert werden, wollte unser kleines, aber süßes Haus nicht sehen, wo der Wasserhahn in der Küche tropfte, wenn man ihn nicht mit einem Teelöffel festklemmte, wo die Dielen an manchen Stellen quietschten und wo die Zentralheizung beruhigend rauschte, wenn sie ansprang. Ich war nicht bereit, vom Haus Abschied zu nehmen. Aber das war nicht mehr mein Zuhause. Das konnte es nicht mehr sein. So sehr ich mir auch wünschte, nichts von all dem wäre geschehen, so wusste ich doch irgendwo tief in mir drin, dass ich nicht die jammernde, verschmähte Frau sein wollte, die ihn darum bittet, wieder zu ihr zurückzukommen. So hatten mich meine Eltern nicht erzogen. Nein, ich musste mir mein Zeug schnappen und mich meinem neuen Lebensplan widmen. Ein Schritt nach dem anderen … wie man so schön sagt.

Als wir vorfuhren, war es bereits dunkel. Ich hielt den Haustürschlüssel in meiner zittrigen Hand. Marie führte mich zur Tür und fluchte, als sie über eine wacklige Gehwegplatte stolperte. Niemand war zu Hause. Schweigend gingen wir von Zimmer zu Zimmer. Ich erkannte unseren Geruch und merkte, wie meine Entschlossenheit bröckelte.

„Und, was denkst du, wo er deine Sachen hingeräumt hat?“, unterbrach Marie meine trüben Gedanken.

„Wahrscheinlich ins Gästezimmer und unter die Treppe“, vermutete ich. Das waren immer die beiden Orte gewesen, wo wir Zeug verstauten, das wir nicht mehr brauchten.

Das sind nur ein paar Steine, Georgia, reiß dich zusammen. Das Haus steht für all die Lügen, die er erzählt hat. Und für die Zukunft, die du nicht haben kannst und die du nicht mehr haben willst. Weiter nichts.

Ich öffnete die Tür zum Gästezimmer und war überrascht, dort ordentlich gepackte, beschriftete und aufeinandergestapelte Kisten mit meinen Sachen vorzufinden. „Winterkleidung, Bücher, CDs, Sonstiges“, las Marie mit gleichermaßen schockiertem Gesichtsausdruck laut vor. Alex war schlampig, unorganisiert und allergisch gegen Putzen. Ich hatte erwartet, dass meine Habseligkeiten in Müllbeutel gestopft worden waren, aber das hier? Das war neu.

„Ich bringe die hier ins Auto, und du schaust dich weiter um“, wies sie mich an.

Als ich langsam das Schlafzimmer betrat, überwältigte mich der Geruch von Bleichmittel und Zitrone. Das Bett war gemacht, auf dem staubfreien Nachttisch stand ein leeres Glas und ohne mein Zeug – Schmuck, der über dem Spiegel hing, Schuhe, die entlang der Wand aufgestellt waren, und Bücher, die sich auf dem Boden stapelten – wirkte das Zimmer größer und kahler. Kein pinkfarbener Pyjama auf dem zerknitterten Kissen, keine benutzten Abschminktücher im Abfalleimer und keine Zeitschriften mehr auf dem Boden.

„Süße, ich glaube, er hat eure gemeinsamen Sachen hier unten hingestellt“, rief Marie von unten herauf.

Sie stand in der Tür der großen Abstellkammer unter der Treppe und streckte mir eine handgeschriebene Notiz entgegen, die Alex an der Tür befestigt hatte.

Das hier sind die meisten Dinge, die wir zusammen gekauft haben und die du vielleicht haben möchtest. Die Entscheidung darüber, wer die größeren Gegenstände wie den Kühlschrank und das Bett behalten soll, überlasse ich dir.

Alex.

Ich warf einen Blick auf die ungewollten Weihnachtsgeschenke, Brettspiele und Gartenmöbel, die direkt neben dem Bügelbrett und dem Staubsauger in der hintersten Ecke aufgestapelt waren. Es war deprimierend zu sehen, wie fünf Jahre Beziehung aussahen: ein angeknackster Fotorahmen, ein Kartoffelstampfer und ein teurer, jedoch kaum benutzter Smoothie-Automat. War’s das etwa? Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich wollte nicht bestimmen, was wessen Eigentum war, oder die Dinge in der Mitte durchsägen. Ich wollte einfach nur raus hier.

„Ich weiß nicht, ob das alles ins Auto passt, Süße“, sagte Marie sanft.

„Ich will das Zeug nicht. Nichts davon. Ich werde mir neue Sachen kaufen. Sachen, die mir alleine gehören, die ich mit meinem eigenen Geld bezahle.“ Ich wischte mir grob über die Augen.

„Okay … wenn du dir sicher bist.“ Marie strich mir mitfühlend über den Arm. Ich nickte und legte dann den Hausschlüssel auf die Küchenanrichte – die blitzsaubere Küchenanrichte. Ich hinterließ keine Nachricht. Es gab nichts mehr zu sagen.

Kaum hatten wir die Tür zugezogen, fing ich an zu weinen. Ich war traurig, dass ich nie wieder auf dem gemütlichen Sofa sitzen und fernschauen würde oder auf dem Herd kochen. Lächerliche Kleinigkeiten. Diese Tür zu schließen fühlte sich viel symbolischer an, als es eigentlich sollte. Ich war erschöpft. Und obgleich ich wusste, dass es richtig war, etwas Neues anzufangen und ihn hier mit den gemeinsamen Erinnerungen leben zu lassen, die ihn verspotteten, so fühlte es sich dennoch wie ein herzzerreißender, großer Schritt in mein neues Leben an. Ein Leben, von dem ich keine Ahnung hatte, wie ich mich darin überhaupt zurechtfinden sollte.

Kapitel 4

Erleuchtung, die (Substantiv, feminin): plötzliche Erkenntnis, Eingebung

Das Stadtzentrum wimmelte nur so von schikanierten Bürokräften und frühmorgendlichen Shoppern. Auf der überlaufenen Straße waren wir bereits dreimal knapp mit irgendwelchen Leuten zusammengestoßen, deren Blicke auf ihre Handys geklebt zu sein schienen. Darunter auch ein riesiger gedrungener Mann, der mich angerempelt und beinahe umgeworfen hatte.

„Wo wollten wir uns noch mal mit deinen Eltern treffen?“, fragte Marie.

„Ähm, im Kendal’s“, antwortete ich abwesend und rieb mir die Schulter.

„Ah, hätte ich mir denken können. Weißt du noch, wie deine Mutter immer mit uns dort hingegangen ist, als wir noch klein waren? Wir kamen uns so fein vor! Wir wollten unbedingt einen der Stars von Coronation Street sehen, und dann haben wir uns mit Parfümproben eingedeckt. Schau mal, da sind sie!“, rief Marie und winkte aufgeregt.

Mein müde wirkender Vater winkte lächelnd zurück. Meine Mutter war voll und ganz damit beschäftigt, sich ihre Handtasche an die Brust zu drücken und einen unter dem Ladendach lungernden Verkäufer einer Straßenzeitung misstrauisch zu beäugen.

„Guten Morgen. Entschuldigt bitte, wir sind spät dran.“

„Na, da seid ihr ja, ihr Schlafmützen. Du warst noch nie eine Frühaufsteherin, hab ich zu deinem Vater gesagt, nicht wahr, Len?“ Meine Mutter lachte leise. Ohne eine Antwort zu erwarten, drückte sie sich an ihm vorbei und gab mir einen Kuss auf die Wange – und warf dem Zeitungsverkäufer einen argwöhnischen Blick zu.

„Guten Morgen, Liebes, schön, dass du wieder da bist.“ Mein Vater umarmte mich und hüllte mich in den vertrauten Geruch nach Seife und Waschmittel ein.

„Aber sag mal, was hab ich da gehört? Du wirst fortgehen und ein großer Star werden?“, wandte sich meine Mutter an Marie.

Marie lachte. „Oh, noch nicht so ganz, Sheila, es ist eher Hackney als Hollywood, aber keine Sorge, ihr seid alle zur Premiere eingeladen“, erwiderte sie lächelnd. Dann zog sie einen Fünfer für den Zeitungsverkäufer hervor, der sich daraufhin breit grinsend davonmachte.

„Oh, das will ich doch hoffen. Ist das nicht aufregend, Georgia?“ Ohne meine Antwort abzuwarten, redete meine Mum gleich weiter. „Ich wette, deine Mutter ist richtig stolz auf dich. Wer hätte das gedacht, dass sich das neue Mädchen in Georgias Klasse, mit dem südenglischen Akzent und der Allergie gegen Pommes und Bratensoße, in einen erfolgreichen Filmstar verwandeln würde! Schade, dass wir nicht so viel Zeit haben, ich will nämlich alles darüber wissen. Aber Len hat einen Arzttermin wegen seines Rückens. Er macht ihm wieder zu schaffen“, sagte meine Mutter und hakte sich bei Marie unter.

Zehn Minuten später hatten wir es uns mit einem Tablett voll Kaffee und Gebäck auf durchgesessenen Sofas bequem gemacht. Als meine Mutter einen Schluck Kaffee nahm und Marie gerade zur Toilette verschwunden war, ergriff mein Vater die Chance, ein Gespräch zu beginnen.

„Und, mein Liebling, wie war’s? Du hast ein wenig Farbe bekommen. Ihr müsst schönes Wetter gehabt haben“, meinte er grinsend und zeigte auf meine sich schälende Nase.

„Es war super, aber obwohl wir eben erst zurückgekommen sind, fühlt es sich schon an, als wäre es ewig her“, antwortete ich bedrückt. Ich hatte die dunkle Wolke, die mich seit letzter Nacht umgab, immer noch nicht abschütteln können. Nachdem wir mein altes Haus verlassen hatten, hatte ich den ganzen Weg über zurück zu Maries Haus geweint. Dann quälte ich mich sogar noch mehr, indem ich die paar Kisten, die wir in ihr Auto geladen hatten, öffnete. Unter den ordentlich zusammengelegten Klamotten, den CDs und den Harry-Potter-Bänden befand sich ein Schuhkarton. Er war randvoll gefüllt mit abgerissenen Tickets und Flaschendeckeln von unseren ersten Dates, mit verschwommenen Polaroids, mit aus Zeitschriften herausgerissenen Bildern von exotischen Stränden und Ratschlägen zum Buchen von Reisen zu zweit und von Orten, die man gesehen haben sollte, bevor man stirbt. Ich hatte alles in die Recyclingtonne geworfen – zusammen mit meiner Reisewunschliste, die ich zerknittert auf dem Boden meiner Reisetasche gefunden hatte. Wem wollte ich hier etwas vormachen?

„Oh je, der Blues nach dem Urlaub“, sagte er seufzend. „Das ist völlig normal, besonders nach allem, was du durchgemacht hast.“

„Und, hat Marie dich dazu gebracht, bis in die Puppen mit attraktiven türkischen Männern zu tanzen?“, wollte meine Mutter wissen. Mein Vater räusperte sich und änderte seine Sitzhaltung.

Autor

Entdecken Sie weitere Romane aus unseren Miniserien

The Lonely Hearts Travel Club