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Nordlicht, Band 02

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Elin ist zurück auf Island! Sie kann es kaum erwarten, Ljósadís wiederzusehen, die kleine Stute, die so sehr um ihr verlorenes Fohlen trauert. Und sie hofft darauf, Kári wiederzutreffen, den geheimnisvollen, isländischen Jungen, der so gut mit Pferden umgehen konnte und sie mehrfach gerettet hat. Der Junge, in den sie sich sogar ein kleines bisschen verliebt hat. Aber Kári ist spurlos verschwunden. Bei einem Wanderritt durchs Hochland hat Elin das Gefühl, als könnten beide irgendwo da draußen sein. Elin kommt einem magischen Geheimnis auf die Spur …
Ein wunderschönes, magisches Pferdeabenteuer im Land der Elfen, Feen und Trolle


  • Erscheinungstag: 02.08.2018
  • Seitenanzahl: 256
  • Altersempfehlung: 12
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783505141775

Leseprobe

Prolog

Dunkelheit umhüllt mich.

Lange.

Viel zu lange.

Ich zittere. Friere. Alles an mir schmerzt.

Ich kenne das schon. Ich weiß, ich bin aus einem Grund hier. Wenn ich jetzt aufgebe, ist alles verloren. Aber was? Ich kann mich noch immer nicht erinnern.

Zitternd fingere ich nach einem Streichholz in der Tasche meines Parkas.

In diesem ersten Schwefelfunken sehe ich froschköniggrüne Augen.

Ich höre ein Pferd wiehern. Höre jemanden rufen. Froschköniggrüne Augen sehen mich an. Sie sind zersprungen, vervielfacht. Wie in einem Kaleidoskop. Smaragdgrüne Kristallscherben. Als Nächstes spüre ich Schneeflocken auf dem Gesicht. Wie kann das sein? In einer Höhle? Sie schimmern grünlich und orange vom Feuerschein. Zähe Lava fließt zu meinen Füßen, die sengende Hitze kräuselt die Härchen auf meiner Haut.

Ich bin zurück in der Höhle, die ich schon kenne. Aus unzähligen Träumen zuvor.

Aus dem Schatten löst sich die Gestalt einer alten Frau. Sie wartet auf mich. »Du kannst nicht mehr zurück, Elin. Es hat angefangen«, höre ich ihre Stimme. Schildkrötengreise blaue Augen sehen mich an. »Ihr seid verwoben. Ihr habt eine Aufgabe. Folge dem Gesang. Finde ihn. Stellt euch der Zukunft. Man sagt, die Nornen spinnen die Schicksalsfäden. Der Wind trägt ihre Lieder mit sich fort. Aber du kannst sie hören. Sie singen für dich. Von deiner Bestimmung. Von eurer Bestimmung. Komm zurück! Es ist Zeit, weiterzugehen.«

Der rotgeränderte, wässrige Blick der alten Frau beginnt sich um mich zu weben, zu drehen und zu wirbeln. Da ist wieder der Strudel, der mich mit sich fortreißt. Ein tosender Feuersturm. Salzig und heiß.

Ich fasse mit schweißnassen Fingern nach meinem Anhänger. Schnell, bevor wieder diese Hände nach mir greifen, die ich schon kenne.

Schweißgebadet wache ich auf.

Das einzig Reale in diesen fiebrigen Träumen ist mein Nordlicht. Es beruhigt mich, sobald ich es zwischen meinen Fingern fühle. Ich knete und drehe den Stein und schaue hinein, als könne ich durch ihn bis nach Island blicken. Und vielleicht kann ich das ja sogar.

Er schimmert milchig grün.

Als hätte er ein geheimnisvolles Licht in seinem Inneren.

Mein Nordlicht.

Es verbindet mich mit Kári.

Und mit Ljósadís.

1. Teufels Küche

Ich schlage die Bettdecke zurück und tapse im Dunkeln ins Bad. Es muss kurz nach drei Uhr sein – wenn mein Wecker nicht schon wieder stehen geblieben ist. Das tut er gern mal. Meine Kehle brennt. Ich brauche ganz dringend ein Glas Wasser.

Diese Träume wühlen mich immer noch auf. Aber sie flößen mir nicht mehr so viel Angst ein wie am Anfang. Vielleicht ist das eine Art Gewöhnung. Sie machen mich eher ungeduldig. Ich will die Gestalt im Schatten sehen können. Ich will endlich wissen, was auf der anderen Seite des Lavabachs auf mich wartet. Was für ein Pferd wiehert da? Ist es Ljósadís? Die kleine graue Stute, die mir auf Island geholfen hat, meine Trauer um Sahara zu bewältigen?

Und was will die alte Frau mir mitteilen?

Von unserer Rückreise und den ersten Tagen zu Hause weiß ich so gut wie gar nichts mehr. Ich war ziemlich krank. Káris Kräuter haben mir besser geholfen als jede Medizin, die Mom aus der Apotheke angeschleppt hatte. Aber gegen die Albträume haben sie nichts ausrichten können.

Seit das Fieber zurückgegangen ist, bin ich immerhin schon lange nicht mehr davon aufgewacht, dass ich im Treibsand versinke. Das war wirklich unheimlich.

Ich halte meinen Zahnputzbecher unter den Wasserhahn und trinke. Gibt es überhaupt Treibsand in Island?

Unsere Reise liegt inzwischen schon fast acht Wochen zurück. Ich schaue in den Spiegel und begutachte mein blasses Gesicht. Die wirren blassgrünen Fransen kleben mir strähnig an den Schläfen. Der Rest steht in den unmöglichsten Richtungen ab.

Ich hatte Bock auf eine neue Frisur nach unserer Rückkehr. Also habe ich zur Schere gegriffen. Die olle Farbe ist immer noch nicht ganz rausgewachsen, aber vom Ansatz her schiebt sich mein natürliches Hellbraun nach. Was Kári wohl dazu sagen wird? Na ja, richtig kurz sind meine Haare nicht geworden, da hat mir dann doch der Mut gefehlt. Und er kennt mich ohnehin bisher nur mit Mütze – Träume gelten vermutlich nicht.

Ich streiche mir eine widerspenstige Schnittlauchlocke hinters Ohr und drehe meinen Kopf, um mich von allen Seiten zu betrachten. Straßenköterbraun mit hellgrünen Spitzen, voll langweilig. Vielleicht färbe ich als Nächstes pink nach. Oder lila? Oder doch lieber türkis? Was könnte ihm wohl gefallen? Ganz sicher irgendwas, das mit Natur zu tun hat.

Kári.

Ich taste mit der Hand zu dem unscheinbaren Stein um meinen Hals, den mir der rätselhafte isländische Pferdejunge zum Abschied geschenkt hat. Manchmal fürchte ich selbst, dass ich mich da in irgendwas hineinsteigere. Amy glaubt das. Mom lässt mich zum Glück in Ruhe, obwohl sie sonst manchmal echt nerven kann mit ihrer Fragerei.

Mein Blick schweift wieder zu dem milchig grün schimmernden Nordlicht um meinen Hals.

Ich schüttele den Kopf. Nein, ich steigere mich in gar nichts hinein. Kári, Ljósadís und mich verbindet etwas Besonderes. Dafür muss man keine Telefonnummern austauschen oder bei Instagram Fotos liken. Wir werden uns schon finden. Ich muss nur wieder dorthin. Dann wird alles gut.

Müde tapse ich ins Bett zurück. Noch drei Stunden Schlaf, dann klingelt der Wecker. Ich hasse Schule.

Im Traum tölte ich hinter Kári über eine weite Ebene. Die Hufe unserer Pferde hinterlassen quatschende Geräusche. Um uns herum sind die Berge noch tief verschneit, aber hier unten nähert sich bereits der Frühling. Frisches Grün wagt sich an die Oberfläche. Flechten, Moos und Gräser brechen überall durch das Weiß und Grau. Wir reiten durch Schneematsch und Pfützen. Bei jedem Tritt unserer Pferde spritzen braune Klumpen aus Erde und geschmolzenem Eis zu uns herauf. Die Beine von Mánadís – und sogar ihr Bauch – sind braun gesprenkelt. Bei Káris Schimmelstute fällt das natürlich richtig auf, ganz im Gegensatz zu Ljósadís. Meine hellgraue, mausfalbe Nordlichterfee hat immer schwarze Fellstrümpfe an. Ich fasse in ihre dicke dunkle Mähne, die in allen möglichen Farbtönen schimmert. Die Struktur der Haare fühlt sich so real an, als wäre ich tatsächlich zurück in Island. Ich kann die Luft riechen. Sie duftet nach Erde, Schwefel, Schnee – und ganz viel Pferd.

Ich juchze vor Glück. »Ich bin wirklich hier, oder? Bitte sag, dass das kein Traum ist!«, rufe ich Kári zu.

Er dreht sich zu mir um, bremst seine Stute nur durch eine leichte Gewichtsverlagerung nach hinten ab und dirigiert sie neben mich. Wie immer reitet er ohne Sattel und Zaumzeug. Wir fallen in Schritt, und ich merke, dass auch ich auf dem blanken Pferderücken sitze. Ljósadís schnaubt. Unter meiner gefütterten Reithose spüre ich ihre Rückenmuskeln arbeiten. Wie habe ich das vermisst.

Kári lacht nur und legt dann fragend den Kopf schief. Ich nicke. Wir verstehen uns ohne Worte. Auf ein Schnalzen des Pferdejungen fallen unsere Pferde in einen schnellen Galopp. Kári breitet die Arme aus, und ich tue es ihm nach. Ich lasse die Zügel auf den Widerrist meiner Stute fallen. Ein paar Galoppsprünge lang halte ich mich noch an der Mähne fest, dann lockere ich meinen Griff und lasse mich von der Bewegung tragen.

Ich lehne mich zurück, spüre den Wind in meinen Haaren, die Weite dieses magischen Landes, die unendliche Freiheit. Ein kribbelndes Glucksen steigt in mir auf. Ich kann es nicht kontrollieren, es muss einfach raus, genauso wie das Wasser, das der Wind aus meinen Augenwinkeln drückt. Ich lache und weine gleichzeitig, die Arme so weit, als wollte ich das ganze Land umarmen, und das würde ich auch tun, wenn ich könnte.

Kári greift übermütig nach meinen Fingerspitzen und hält meine Hand. So reiten wir ein ganzes Stück nebeneinander. Es fühlt sich an, als ob wir mit den Möwen zusammen über die Ebene fliegen. Ich könnte platzen vor Glück.

Nach einer Weile werden wir langsamer. Die Pferde fallen in einen sanften Schaukelgalopp und verlieren den gemeinsamen Takt. Widerstrebend lassen wir uns los und parieren durch. Vor uns verschmälert sich das Tal.

Ich strecke meine Beine und lasse sie am Pferd baumeln. Kári führt uns über ausgetretene Wildpfade. Das Gelände wird hügeliger, wir klettern sanft bergauf. Unter Ljósadís’ Hufen löst sich Geröll. Schwarze Brocken aus erkalteter Lava, Basalt und Kies kullern und rutschen, werden von der nächsten Schneepfütze, einem größeren Felsen oder einem Moosflecken gebremst.

Ich höre ein Rauschen, das ich mir nicht erklären kann, denn das kleine Rinnsal, dessen Verlauf wir locker folgen, schlängelt sich ruhig gluckernd dahin. Wir durchqueren den Bach, reiten eine Weile an seinem steinigen Ufer entlang und kommen in ein anderes Tal. Während auf den Höhenzügen noch deutlich das Weiß überwiegt, entdecke ich erste gelbe und violette Farbtupfen im Grün. Frühlingsblumen, wie schön! Der Saum des Baches wird breiter, teils ist er jetzt in Bodennebel gehüllt. Hier ist das Gras höher und üppiger gewachsen.

Wir verlassen den sandigen Weg und reiten querfeldein über die hügelige Wiese. Ljósadís senkt ihren Kopf und rupft büschelweise im Vorübergehen ab, was sie davon erwischen kann. Ich bin unsicher, ob ich ihr das durchgehen lassen soll, aber Kári scheint sich nicht darum zu scheren. Mánadís hat bereits einen grünen Schaumfilm ums Maul. Also gebe ich nach.

Ich frage mich, ob wir jemals den Weg zurück finden, aber Kári wirkt sehr sicher. Er scheint zu wissen, wohin wir reiten. Wieder wechselt die Landschaft, unwirtlicher wird es hier, die Pferde staken über Felder aus erkalteter Lava. Kári erzählt etwas vom Vulkan Hengill, der dafür verantwortlich war.

Ich halte mir zwischendurch verstohlen die Nase zu. Es stinkt nach faulen Eiern. Aus morastigen Lehmpfützen steigen Blubberblasen auf. Ich komme mir vor wie in Teufels Küche. Was ich für Nebel oder Wolken gehalten habe, ist Wasserdampf, der aus unzähligen kochend heißen Quellen in buntesten Farben aufsteigt.

Kári ermahnt mich, direkt hinter ihm zu bleiben. Der Boden ist trügerisch. Ich bin heilfroh, dass Ljósadís so trittsicher ist. Verbrühen möchte ich mich nicht mal im Traum.

In den Felsen und Lavabrocken um uns herum erkenne ich Fratzen und Gesichter. Sie sehen aus wie versteinerte Trolle und Riesen.

Weiter geht es, hügelauf und wieder abwärts. Ich habe keine Ahnung, wo wir sind. Reykjadalur heißt das Tal, wenn ich Kári in dem anschwellenden Lärm richtig verstehe. Das rauchende Tal. Passender Name. Überall spuckt, stinkt, dampft und blubbert es. Vor der nächsten imposanten Felsformation bleiben wir stehen. Kári zeigt nach vorn. Und dann kann ich den Ursprung des Rauschens sehen. Vor uns liegt ein Wasserfall! Dampfend stürzen seine Massen in sprudelnden, zischenden Linien hinunter, teilen sich um Felsblöcke und wirbeln davon, talwärts. Wir umrunden ihn weitläufig, queren den Fluss weiter unten an einer breiten, flachen Stelle und folgen ihm ein Stück. Hier können wir wieder an Geschwindigkeit zulegen. Wir tölten.

»Mega«, flüstere ich.

Ljósadís’ Ohren spielen in meine Richtung. Sie macht rhythmische Grunzgeräusche, die in ein zutiefst entspanntes Schnauben münden. Das überdrehte Grinsen in meinem Gesicht wird immer breiter. Ich kann nichts dagegen tun. Keine Ahnung, wann ich zuletzt so glücklich war. Atemlos sauge ich die spektakuläre Landschaft in mich auf.

Kári zeigt auf den Horizont. Weit über den Hügeln meine ich das Meer zu erkennen. Zumindest glitzert und funkelt da etwas, wo Sonnenstrahlen sich durch die Wolken geschoben haben.

Es geht erneut bergab. Ein paar Minuten lang müssen wir sogar führen. Der Weg ist zu steil. Als ich vom Pferd springe, klebt die Reithose an meinen Beinen. Schweiß. Noch so etwas Vertrautes, das ich viel zu lange vermisst habe, genau wie das Ziehen an der Innenseite meiner Oberschenkel, als ich die ersten Schritte mache, wie ein Astronaut auf dem Mond. Ich gehe wie auf Eiern. Meine Muskeln haben sich noch nicht wieder an so lange Geländeritte gewöhnt.

Kári dreht sich zu mir um.

»Alles gut«, sage ich.

Er erwidert mein Lächeln und sieht dabei aus wie ein kleiner Junge, der sich eine ganz besondere Überraschung ausgedacht hat.

Wie will er diesen Ritt denn noch toppen? »Ich bin gespannt«, wispere ich Ljósadís zu.

Als Nächstes kommen wir durch ein kleines Waldstück, und ich muss kichern. Bäume in Island – als ob! Kári sieht mich verwundert an. Und dann verschlägt es mir den Atem. Ich weiß nicht, ob es der Fluss von vorhin ist oder wie viele Bäche es hier in diesem Tal noch geben mag. Der hier hat eine durchgehend dampfende Dunstglocke über sich. Das Wasser sieht ziemlich heiß aus.

Wir halten. Kári springt leichtfüßig vom Pferd. Ist das unser Ziel? Skeptisch beobachte ich, wie er seiner Schimmelstute etwas ins Ohr flüstert. Er krault ihr sanft die Stirn und verabschiedet sie mit einem freundlichen Klaps zum Grasen. Also lasse auch ich mich vom Pferd gleiten und streife Ljósadís das Reithalfter vom Kopf.

Mein Traumpferd setzt sich gemächlich in Bewegung, den Kopf bereits dicht über dem Boden. Mit einem wohligen Seufzen lässt sich die Stute in ein Moosbett fallen, wälzt sich ausgiebig und schüttelt sich, bevor sie Mánadís schließlich hinterherbummelt, ständig auf Ausschau nach leckeren Hälmchen.

»Und jetzt?«, frage ich neugierig.

Kári zaubert ein Handtuch aus seinem Rucksack und wirft es mir zu. Während ich mit der Situation völlig überfordert bin, streift er sich den Strickpullover über den Kopf, löst den Gürtel von seiner Hose und steht plötzlich barfuß im Hemd vor mir.

»Oh«, sage ich – wortgewandt wie immer, wenn es drauf ankommt. Wo driftet das denn jetzt hin? Da dreht sich der Pferdejunge so schwungvoll um, dass kurz sein nackter Po aufblitzt, und mit einem lauten Platschen verschwindet er bis zur Brust im Wasser. Ich zögere immer noch, als er mir mit ausladenden Gesten und breitem Grinsen bedeutet, ihm zu folgen.

Na toll. Gibt’s hier auch Umkleidekabinen? Kári scheint mal wieder meine Gedanken zu lesen. Lachend zeigt er ein paar Meter bachaufwärts – und Tatsache, da steht ein etwas verwitterter Holzverschlag.

Anscheinend sind wir nicht die ersten Menschen in diesem Idyll. Schade eigentlich! Ich überlege, was ich machen soll. Eigentlich habe ich keine Lust, so weit zu laufen. Im Freibad zu Hause oder zum Schwimmen am Meer tut’s ein Handtuch ja auch.

Kári hält sich lachend die Augen zu und dreht den Kopf weg. Das soll mir genügen. In null Komma nix landen meine Reitklamotten neben seinem Kleiderbündel, und dann mache ich, dass ich die kühle, schwefelige Islandluft gegen das fast schon zu heiße Wasser eintausche. In Unterhemd und Höschen setzen wir uns auf die Steine und lassen uns von den sprudelnden Strudeln umspülen. Die Mützen haben wir aber noch auf.

Wahnsinn!

Wir planschen und plätschern ausgelassen herum und spritzen uns nass, bis wir beide japsen. Dann suchen wir uns eine bequeme Kuhle zwischen den Steinen und genießen wieder das Perlen der Strömung auf der Haut.

Das warme Wasser ist genial. Ich muss unbedingt Mom davon erzählen. Das müssen wir auch mal machen. Ein richtiger Hot Tub mitten in der Natur, sogar mit Whirlpool-Effekt. Genauso hätte ich mir das auf unserer ersten Islandreise vorgestellt, nicht so ein viereckiges, gekacheltes Ding im Schwimmbad – obwohl das auch schon ziemlich cool war.

Ich schließe die Augen und lasse mich bis zum Hals von dem strudelnden Wasser massieren.

Als ich sie wieder öffne, ist Káris Gesicht ganz nah bei meinem. Er lächelt. Unter der gestrickten Wollmütze quellen blonde, nasse Locken hervor. Seine Augen strahlen mich an. Komm bald zurück, ich möchte dir noch so viel zeigen. Er beugt sich zu mir herüber.

Mein Herz klopft wie wild, als ich mein Gesicht auf seines zubewege. Ich kann Káris Sommersprossen sehen, die kleine Narbe am Kinn, die mir in den letzten Wochen so vertraut wurde. Ich atme seinen Duft ein. Er riecht nach Schaf, nach Pferd, nach wilden Kräutern und nach Schwefelquellen. Ich sehe seine Lippen, nur noch seine Lippen –

bidip … bidip … bidip.

Komm bald zurück! Wie immer hallt seine Stimme in meinem Kopf nach. Wie immer, wenn ich aus Träumen mit ihm aufwache.

Unerbittlich piept mein Wecker weiter. 6:03 Uhr. Draußen ist es dunkel. Kalter Regen klatscht gegen die Fensterscheibe.

Ich ziehe mir die Bettdecke über den Kopf. Meine Finger wandern zu dem milchig grünen Stein, den ich um den Hals trage. Das pulsierende Schimmern seines geheimnisvollen Lichtes durchdringt die Schwärze vor meinen Augen. Er ist ganz warm. Wärmer als sonst.

Komm bald zurück.

»Ich verspreche es«, wispere ich leise und küsse den Stein.

Kári seufzte. »Komm bald zurück«, flüsterte er und rieb sich schlaftrunken die Augen, bevor er sich aufsetzte. Er schlief noch immer auf dem Heuboden über dem Stall. Drüben im Haus war es ihm zu eng geworden, seit es diesen Streit zwischen Freyja und seinen Eltern gegeben hatte … Freyja. Sie bereitete ihm Kopfzerbrechen. Heftiges Kopfzerbrechen. Er hatte sie noch nie so hitzig erlebt, so stur und respektlos. Sie waren Freunde gewesen, seit er denken konnte. Sie hatten zusammen gespielt, im Fluss gebadet, Schafe gehütet. Er hatte ihr den Rücken freigehalten, wenn sie beim Tanzen mit den Mädchen die Zeit vergaß. Sie hatte seine Verletzungen mit Wegerich und Arnika versorgt, wenn er sich auf der Suche nach versprengten Lämmern in den Lavafeldern verletzte.

Kári schlüpfte in sein Hemd.

Das Wissen hatte sie die alte Kräuterfrau gelehrt. Doch Freyja war lange nicht mehr bei Jorúnn gewesen. Sie meinte, die Alte könne ihr nichts mehr beibringen. In Wahrheit hatte sie sich mit Jorúnn überworfen – und nun mit seinen Eltern. Was genau vorgefallen war, wusste Kári nicht. Jorúnn sprach nicht darüber, und Kári respektierte das. Aber er hatte gesehen, wie Freyja wutentbrannt aus der abgelegenen Höhle in den Bergen gestürmt war. Wie sie ihr Pferd aus dem Stand in den Galopp getrieben hatte. Und er hatte ihre Worte gehört, die sie im Zorn gegen die Felsen geschmettert hatte: »Du bist nichts als ein unnützes altes Weib. Deine Zeit ist vorbei. Geh zurück, woher du gekommen bist. Wir brauchen dich hier nicht. Niemand braucht dich!«

Noch in der Erinnerung daran zuckte er zusammen.

Solche Grobheit passte nicht zu der Freyja, nicht zu dem Mädchen, das er kannte. Das Mädchen, das für ihn immer wie eine kleine Schwester gewesen war.

Er verstand sie nicht mehr. Aber wenn er reden wollte, fauchte sie nur. Einmal hatte er sie direkt darauf angesprochen, warum sie nicht mehr zum Tanzen ging oder ihm mit ihrem Flötenspiel bei den Schafen die Zeit vertrieb.

Kári angelte nach seiner Hose.

Mit ihrem Blick hätte sie jeden Hochlandgletscher in einen gigantischen Thermalsee verwandeln können.

Kári schlüpfte in die Wollstrümpfe.

Worum es bei dem Streit mit seinen Eltern gegangen war, ahnte er.

Um Elin. Sie war zu so etwas wie Freyjas Feindbild geworden. Ein Mädchen aus dem Ausland. Eine Touristin. Und ausgerechnet so eine schien eine ähnliche Begabung mit den Pferden zu haben wie er, Kári. Aber es konnte nicht allein Eifersucht sein, was diesen brodelnden Zorn auf alles und jeden erklärte. Freyja vergrub sich in verstaubte Schriften und Gesetze. Selbst der ehrwürdige Rat der Huldúgemeinschaft ging ihr nicht weit genug in der Auslegung dieser Texte. Und doch hatte sie Gleichgesinnte gefunden, sogar Thing-Leute waren darunter, die in Gemeinden außerhalb der ihren Ansprechpartner für Recht und Ordnung waren.

Freyja sprach nicht darüber. Aber Kári hatte sie ein paarmal mit ihnen gesehen. Dunkle Männer waren das, aus den Ostfjorden. Er mochte sie nicht.

Káris Blick fiel auf ein Stück orange-blauen Stoff, das unter seinem strohgefüllten Kissen hervorlugte.

Er zog es heraus und versenkte einatmend seine Nase darin. Wenn er die Augen schloss und an Elin dachte, konnte er sich einbilden, immer noch ihren Duft in dem weichen Tuch zu spüren. Er nahm ein paar tiefe Züge, dachte an blassgrüne Haarsträhnen, sturmblaue Ozeanaugen und an Grübchen in sommersprossiger Haut. Sie war einfach nur ein Mädchen. Ein ganz normaler Mensch. Warum nur machte sie Freyja Angst? Denn Angst musste doch die Ursache sein für solche Wut.

Unten raschelten die Tiere im Stroh. Sie hatten Hunger. Mánadís brummelte leise.

Kári verstaute den Stoff wieder sorgfältig unter seinem Kissen. Dann schlüpfte er in seine gefütterten Stiefel und kletterte die Leiter hinunter. Er gähnte. Die Sonne würde bald aufgehen, und die Pferde wollten Heu. Er musste dringend weniger träumen und mehr schlafen.

2. Träume und Trolle

Ich sitze am Schreibtisch und brüte über meinen Englischvokabeln für die Arbeit Ende der Woche. Bottle bank = Altglascontainer, raw materials = Rohstoffe, renewable energy = erneuerbare Energien. Ich unterdrücke ein Gähnen. Meine Energien müssten auch dringend erneuert werden.

Richtig konzentrieren kann ich mich nicht. Meine Gedanken schweifen immerzu ab. Ich betrachte die Fotocollage, die rechts neben meinem Laptop steht, gleich neben dem gerahmten Porträt von Sahara. Auf einem der Bilder gebe ich Ljósadís einen Apfel. Auf dem zweiten sitze ich in dichtem Schneetreiben auf ihr und bin in meinem blauen Winteroverall kaum zu erkennen. Das dritte zeigt Theres und mich von hinten, wie wir gemeinsam durch den Schnee stiefeln, und auf dem vierten ist … Nichts. Nur endlose isländische Schneewüste. Und doch ist es mein liebstes Foto. Denn ich sehe Kári darauf. Er ist nur hinter irgendeinem dieser vielen Hügel verborgen. Meine Lippen verziehen sich zu einem wehmütigen Lächeln. Ich seufze leise.

Meine Sehnsucht wächst von Tag zu Tag. Nach Island, nach den Pferden. Nach diesem sonderbaren Pferdejungen, der reiten kann wie ein Comanche. Und dessen Berührungen sich wie Brausepulver auf nasser Haut anfühlen. Nur doller.

Ich greife nach dem Stein auf meiner Brust. Nachdenklich streifen meine Finger an der Kette aus Pferdehaaren auf und ab.

Die Haustür klappt und reißt mich aus meinen Tagträumen. »Mom?!«

»Wer denn sonst? Oder hast du einem heimlichen Lover deinen Schlüssel gegeben?« Sie streckt den Kopf durch den Türspalt und zwinkert mir zu.

»Ha, ha.« Ich verziehe das Gesicht. Mom zieht sich den Mantel aus und verschwindet im Flur Richtung Garderobe. »Es gibt Kartoffelpuffer zum Abendessen. Wie lange brauchst du noch für die Hausaufgaben?«, ruft sie.

Ich klappe mein Englischbuch zu und folge ihr in die Küche. Das hat heute ohnehin keinen Sinn mehr. »Englisch könnte ich viel besser in einem Land lernen, in dem alle die Sprache ständig benutzen«, beginne ich eins unserer Lieblingsgespräche. Meine Schulnote würde sich nach einem weiteren Islandaufenthalt unverzüglich, garantiert und drastisch verbessern – damit liege ich ihr schon seit Wochen in den Ohren.

»Ist das so?« Mom dreht sich schmunzelnd zu mir um. »Dann müssen wir also über Pfingsten nach England fahren? Lass mal sehen …« Sie zerpflügt das Innere ihrer Handtasche. »Wo hab ich’s denn –«

Ich erschrecke. »Nein!«

Meine Mutter wühlt konzentriert weiter und sieht mich gar nicht an. »… ich war im Reisebüro, als hätte ich’s geahnt … es muss hier doch irgendwo …«

»Mom, bitte, das ist nicht komisch.« Ich setze mich an den Küchentisch.

Meine Mutter sieht kurz zu mir auf. »Aber du hast eben gesagt, dass du dein Englisch verbessern willst.«

»Ja … aber … wir wollten doch nach Island«, stammele ich. »Die sprechen dort auch alle richtig gut Englisch.«

»Ah, da ist es ja!« Ich starre auf den Prospekt, mit dem sie triumphierend herumwedelt. »Tower Bridge, London Eye … und danach vielleicht ein paar Tage an die Südküste nach Cornwall? Es gibt auch Feriensprachkurse … was meinst du?!« Sie schaut mich erwartungsfroh an.

Ich schüttele matt den Kopf. »Mom, ich … England ist toll, klar, aber …« Ich könnte losheulen.

»Ich weiß.« Mom sieht mich mitleidig an. Sie zieht einen Umschlag aus der Broschüre mit der britischen Flagge und hält ihn sich an die Brust. Auf einmal gluckst sie los. »Genau diese Reaktion habe ich erwartet. Das habe ich dem Herrn im Reisebüro auch erklärt. Und dann habe ich mich lieber für das hier entschieden.« Sie fördert vier Tickets zutage und wirft sie auf den Tisch. »Besser?« Sie kann sich das Lachen kaum verbeißen.

Meine Hand zittert, als ich einen der Papierstreifen zu mir heranziehe. Hamburg-Reykjavík entziffere ich als Erstes. Mir wird ganz flau im Magen vor Aufregung. »Echt jetzt? Du hast …? Wann fliegen wir? Und für wen sind die anderen beiden –?«

Mom unterbricht mich strahlend. »Amy und Nele kommen mit. Nele findet, Amy muss dringend auf andere Gedanken kommen. Denkst du das nicht auch?« Ich nicke wie ein Wackeldackel und fliege stürmisch in Moms ausgebreitete Arme.

»Ich habe gestern meinen Bonus für den Projektabschluss in der Post gehabt«, erklärt sie japsend. »Da dachte ich, besser, ich buche gleich, bevor wieder was dazwischenkommt. War das gut?«

»Perfekt!«, jubele ich und wirbele sie herum. »Du bist die beste Mama der Welt.«

Sie lacht. »Und das von einem Teenager! Kann ich das bitte schriftlich haben?«

»Und gucken wir uns dann auch Elfen und Trolle an?« Meine beste Freundin und ich lümmeln quer auf meinem Bett. Wir trinken Tee und wälzen Kartenmaterial, Reiseführer und die Prospekte, die ich von meinem ersten Islandtrip mit Mom behalten habe. Zwischendurch kiekst Amy verzückt, wenn sie wieder neue Fotos im Internet entdeckt hat. »Schau mal, da müssen wir auch hin! Djúpagilsfoss – wow! Wieso haben diese ganzen Wasserfälle nur so unaussprechliche Namen?«

Meine Hand tastet automatisch nach dem schimmernden Anhänger, der um meinen Hals hängt. »Ist gar nicht so schwer, wenn man sich einhört: Djuhva-jills-foss«, sage ich langsam. »Foss heißt einfach Wasserfall.«

Meine Aussprache deckt sich ziemlich mit dem, was der Google-Roboter zeitgleich aus Amys Handy schnarrt. Beeindruckt lässt sie ihr Smartphone sinken und sieht mich an. »Seit wann bist du so ein Sprachtalent?«

Ich zucke mit den Achseln und lasse verstohlen den flachen runden Stein unter mein Shirt zurückgleiten.

Amy entgeht die Bewegung nicht. »Meinst du, du siehst deinen Kári wieder?« Sie feixt. »Den musst du mir unbedingt vorstellen. Vielleicht hat er ja einen gut aussehenden Bruder? Ob der genauso gut reiten kann? So was liegt ja meist in der Familie, oder? Aber nach Schaf darf er nicht riechen.« Sie kichert.

»Amy!« Ich ziele mit einem meiner türkisfarbenen Dekokissen nach ihr. »Lass das!«

Meine Freundin versteckt sich quietschend hinter ihrer Teetasse, und ich lasse das Kissen sinken. »Ich kann es kaum erwarten, wieder dort zu sein«, seufze ich.

»Ha! Da ist wieder dein Kári-Grinsen! Das hast du immer, wenn du an ihn denkst.« Amy lächelt und drückt mir einen Kuss auf die Wange. »Kann ich total verstehen. Ich war ja noch nie da, aber wenn es nur halb so himmlisch ist, wie du sagst, muss es umwerfend sein. Hauptsache, ich bekomme das mit dem Reiten hin. Das ist bei uns schon ewig her. Aber deine Mom hat ja gesagt, die haben auch Pferde für Anfänger und Wiedereinsteiger.«

Ich grinse breit. »Freu dich auf Muskelkater an den unmöglichsten Stellen.«

Am Abend kann ich es kaum erwarten, ins Bett zu kommen. Leider bin ich so aufgeregt, dass es eine ganze Weile dauert, bis ich endlich eingeschlafen bin.

Im Traum werfe ich kleine Muscheln an das Fenster, hinter dem Kári auf dem Heuboden des unscheinbaren Stalles schläft. Bei unserem letzten gemeinsamen Ausritt hat er mir den Aussiedlerhof seiner Familie von einer Anhöhe aus gezeigt. Er schmiegt sich fast unsichtbar in die Hügel.

Die Dächer und Wände des traditionellen Torfhauses sind komplett mit Moos und Gräsern überwuchert. Sie formen eine Einheit mit den Felsen, als wären sie untrennbar und ganz natürlich miteinander verbunden, buchstäblich aus einem Guss. Unter halbrunden Giebeln lugen kleine Sprossenfenster wie schläfrige Augen in die Landschaft. Hätte er mich nicht darauf hingewiesen – wir wären keine zwanzig Meter daran vorbeigetrabt, und ich hätte die Gebäude überhaupt nicht bemerkt.

»Kári«, flüstere ich. Ich will bestimmt nicht seine Familie wecken, aber ich musste einfach herkommen, um ihm die Neuigkeiten zu überbringen. »Kári!«

In der Ferne schlägt ein Hund an. Unwillkürlich ducke ich mich. Endlich erscheint sein verwuschelter blonder Lockenkopf hinter der vierfach geteilten Glasscheibe. Verschlafen späht er zu mir herunter. Dann geht ein ungläubiges Strahlen über sein Gesicht. Zwischen seinem ersten aufgeregten Winken und dem Moment, als die grob behauene Holztür neben mir aufspringt, vergehen keine zwei Minuten.

»Wir kommen wieder«, platzt es aus mir heraus. »Pfingsten schon, hierher nach Island. Ich freu mich so!«

Statt einer Antwort nimmt er mich stürmisch in seine Arme, drückt mich an sich, dass ich kaum Luft bekomme, und wirbelt mich herum.

Mein Atem malt Dampfwolken in die Luft. Unter unseren Füßen knistern gefrorene Grashalme. Ein Lachen gluckert aus mir heraus, das ich nicht aufhalten kann.

Kári wirft einen Blick hinüber zum Haus. Obwohl Milliarden Sterne den Nachthimmel erhellen, erkenne ich kaum einen Unterschied zu den unbewohnten Felsen. Wobei, wer weiß schon, ob sie nicht doch bewohnt sind? Von den sagenumwobenen Elfen vielleicht?

Ich unterdrücke ein Kichern. Wieso wurden die Hobbitfilme eigentlich nicht hier gedreht, sondern in Neuseeland?, schießt es mir flüchtig durch den Kopf. Hier ist schon alles vorhanden, was dort künstlich aufgebaut wurde … Ob den Filmleuten die wuscheligen Tölter nicht elegant genug waren? Seine eigenen Pferde darf nämlich nicht mal Hollywood mitbringen, vielleicht war das der Grund.

Kári zieht mich in den Stall hinein. Drinnen ist die Luft feucht und von den Tieren angewärmt. Es raschelt im Stroh, und meine Augen brauchen einen Augenblick, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt haben. Dann erkenne ich ein paar Schafe auf der einen Seite eines schmalen Ganges und rechts von uns zwei – nein – drei Pferde, die neugierig ihre Köpfe zu mir herüberstrecken. Das hellste von ihnen blubbert mich leise an.

»Mánadís«, wispere ich erfreut, als ich sie erkenne. Ich streichle der Schimmelstute sanft über die flauschige Stirn. Sie hat noch ihr Winterfell. Kein Wunder, es ist gerade mal Ende März, und wir sind irgendwo knapp unterhalb des Polarkreises. Jetzt, wo mir das einfällt, fange ich prompt an zu frieren.

Kári dreht eine der Petroleumlampen höher, die im Abstand von etwa einem Meter an den Holzwänden hängen.

Ich stehe hier tatsächlich im Bademantel, meinem karierten Flanellpyjama und barfuß in Gummistiefeln. Na, großartig. Das perfekte Ausgeh-Outfit. Ein Traum! Wörtlich und ironisch! Amy würde vor Lachen vom Stuhl kippen, wenn sie das wüsste.

Kári liest mal wieder meine Gedanken, oder er ist einfach nur fürsorglich. Er hängt mir eine gemusterte Wolldecke um, keine Ahnung, woher er die so schnell hat. Sie ist schön weich und riecht wie er nach Kräutern, Tieren und frischem Stroh.

Bist du schon mal nachts ausgeritten?, fragt sein Blick. Ich schüttele langsam den Kopf. Mein Herz klopft, als er an mir vorbei nach dem Riegel von Mánadís’ Boxentür greift. Gemeinsam bürsten wir die Stute kurz über. Zehn Minuten später sind wir draußen. Kári hilft mir auf den Rücken seiner ungesattelten und ungezäumten Stute und schwingt sich hinter mir hinauf. Langsam reiten wir bergan.

Ich atme die frostige Nachtluft ein und lausche den Geräuschen: dem Krispeln des gefrorenen Bodens unter Mánadís’ Hufen, den vereinzelten Vogelstimmen, dem leisen Rascheln von Blättern im Wind. Ich fühle Káris Atem dicht hinter meinem Ohr, die Wärme seiner Stute an meinen Beinen und seinen eigenen Körper in meinem Rücken. Ich bin glücklich.

Als mein Wecker drauflospiept, könnte ich dafür dann glatt losheulen. So abrupt bin ich noch nie aus meinen Islandträumen gerissen worden.

Schlaftrunken schiele ich auf die Uhr. 6:12 Uhr.

Bidip … bidip … bidip

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