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Private Dancer/Safer (S)EX

hier erhältlich:

2 aufregende Romane von Bestsellerautorin Susan Andersen in einem Band!

Private Dancer:
Das warmherzige Showgirl Treena hält Liebe für eine Illusion - etwas für Träumer. Was sie in ihrer Ehe findet, genügt ihr vollkommen: Fürsorge, Geborgenheit. Doch als ihr Mann stirbt, trifft sie den attraktiven Profispieler Jackson Gallagher. Und er zeigt ihr: Es gibt sie wirklich, die Liebe, und jede Menge Leidenschaft dazu! Alles scheint perfekt - bis sie hinter Jacksons falsches Spiel kommt...

Safer (S)EX:
Hell leuchtet der Stern der Sängerin P.J. Morgan am Musikhimmel! Plötzlich erhält sie anonyme Briefe, voll dunkler Ankündigungen. Zwar kennt die toughe P.J. keine Angst vor einem verrückten Fan. Trotzdem heuert ihre Plattenfirma einen Bodyguard an. Jetzt hat P.J. wirklich ein Problem! Denn ausgerechnet Jared Hamilton soll sie beschützen - der einzige Mann, der sie jemals schwach gemacht hat ?


  • Erscheinungstag: 10.04.2014
  • Seitenanzahl: 560
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955763879
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Private Dancer

 

Safer (S)EX

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgaben:

Skintight

Copyright © 2005 by Susan Andersen

erschienen bei: MIRA Books, Toronto

Coming Undone

Copyright © 2007 by Susan Andersen

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

ISBN eBook 978-3-95576-387-9

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Susan Andersen

Private Dancer

Roman

Aus dem Amerikanischen von Rainer Nolden

PROLOG

Jackson Gallagher McCall stellte seinen Drink auf den kleinen Beistelltisch vor ihm, als eine Gruppe Showgirls in ausgelassener Partystimmung die Bar des Kasinos betrat. Was für eine Gelegenheit! Bittet, und ihr werdet empfangen …

Das musste anscheinend sein Glückstag sein – mit dem Ziel direkt vor Augen. Sein Blick ruhte auf ihrer üppigen rotblonden Lockenpracht, die ihr tief über die Schultern in den Rücken fiel und bei jedem Schritt wippte. Sie inmitten der Tänzerinnen von „La Stravaganza“ – so hieß die Bühnenshow des Hotels – wiederzuerkennen, war gar nicht so einfach gewesen. Denn alle Mädchen hatten eine tolle Figur, waren fast gleich groß und identisch geschminkt und trugen das gleiche Kostüm. Auch ihre Perücken unterschieden sich kaum voneinander, ebenso wenig der Haarschmuck, wenn man davon absah, dass einige von ihnen sich mit ein paar Federn mehr schmückten als ihre Nachbarin.

Er zweifelte jedoch keinen Moment daran, dass es sich um die Frauen handelte, die eben noch über die Bühne gewirbelt waren. Statt der dick aufgetragenen Theaterschminke hatten sie jetzt zwar ihr übliches Make-up aufgelegt, aber einige von ihnen trugen noch die knappen Kostüme aus dem letzten Akt.

Sie jedoch nicht. Kritisch musterte er sie von Kopf bis Fuß und kam zu dem erfreulichen Schluss, dass es bei diesem Körper keine Überwindung für ihn bedeutete, sie zu umgarnen und zu verführen. Ihre Füße steckten in hochhackigen Riemchensandaletten, und sie trug eine pfirsichfarbene Hüfthose mit passendem Top, das am Rücken lediglich von ein paar spaghettidünnen Bändchen zusammengehalten wurde. Ihr Lachen klang leicht heiser, der linke Mundwinkel war eine Nuance nach oben gezogen, sodass ein spöttisch wissendes Lächeln auf ihren Lippen lag. Ihrem kessen Blick zufolge hatte sie bereits mehr Tricks wieder vergessen, als andere Frauen jemals kennen würden.

Um die verführerische Mundpartie entdeckte er den gleichen Ausdruck, der ihm auch auf dem Foto aufgefallen war. Ein Ausdruck, der zu sagen schien: „Ich sorge für die heißeste Nacht deines Lebens, mein Süßer.“ Ohne Frage hatte sein alter Herr ihm das Bild nur geschickt, um sich mit der Frau zu brüsten, die er – wie auch immer – dazu überredet hatte, ihn zu heiraten.

Einer Frau, die Big Jim McCalls Witwe wurde, noch bevor die Tinte auf der Heiratsurkunde getrocknet war.

1. KAPITEL

Happy Birthday, Schätzchen!“ Vielstimmig schallten die Glückwünsche durch den Raum. Eine der Gratulantinnen fügte hinzu: „Der wievielte ist es denn nun wirklich – der zweiunddreißigste?“

Amüsiert betrachtete Treena McCall ihre Kolleginnen an den kleinen Tischen, die sie zusammengeschoben hatten, damit auch jede einen Platz bekam.

„Der dreißigste“, korrigierte sie sanft, obwohl es tatsächlich der fünfunddreißigste war. Doch die Zahl wollte sie lieber so schnell wie möglich vergessen, was angesichts einer Muskelzerrung in der linken Wade, die sie sich bei einem einfachen High Kick im Finale zugezogen hatte, nicht ganz einfach war.

Die Freundinnen johlten spöttisch. „Aber sicher“, meinte eine von ihnen mit liebevollem Sarkasmus. Juney ging noch ein bisschen weiter: „Und wie viele dreißigste Geburtstage hast du schon gefeiert?“, fragte sie mit zuckersüßer Stimme.

„Also, wenn ihr jetzt anfangt, kleinlich zu werden …“ Treenas Lächeln wurde breiter. „Um die Wahrheit zu sagen: Ich habe die Einer gestrichen und zähle jetzt nach dem Alphabet. Danach müsste ich jetzt dreißig und E sein. Aber ich sag dir was, Juney – wenn du darauf verzichtest, das Thema weiter zu vertiefen, werde ich es bei deinem nächsten Geburtstag auch nicht zur Sprache bringen.“

„Abgemacht.“

Am anderen Ende des Tisches beugte sich Julie-Ann Spencer nach vorn. „Auf jeden Fall wirst du in Zukunft wohl nicht mehr in der ‚Crazy Horse‘-Show im ‚La Femme‘ mitmachen, nehme ich an.“

Augenblicklich wurde es still in der Runde, denn alle wussten, dass Julie-Anns Bemerkung, wie mitfühlend sie auch geklungen haben mochte, ganz und gar nicht freundlich gemeint war.

„Miststück“, murmelte Carly neben Treena. Dann fuhr sie mit lauter Stimme fort: „Sitzt, abgesehen von dir, Julie-Ann, sonst noch jemand unter fünfundzwanzig am Tisch?“ Fröhliche Pfiffe und Buhrufe waren die Antwort. Carly warf der jungen Frau einen verärgerten Blick zu. „Dann dürfte wohl keine außer dir vorwitzigem Jungspund für das ‚Crazy Horse‘ in Frage kommen.“

„Das ist ein herber Verlust für ‚La Femme‘“, meinte Eve.

„Die Dummköpfe wissen nicht, was ihnen entgeht“, pflichtete Michelle ihr bei.

Falls Julie-Ann beabsichtigt hatte, Treena die Stimmung zu verderben, durfte sie zufrieden sein. Denn nicht nur, dass Treena niemals im „Crazy Horse“ auftreten würde – sie konnte schon von Glück sagen, wenn sie in zwei Wochen das obligatorische jährliche Vortanzen erfolgreich hinter sich brachte, um ihren Job zu behalten. Wie befürchtet, musste sie die elf Monate, die sie wegen Big Jim mit der Show ausgesetzt hatte, jetzt teuer bezahlen. Nach der Hochzeit hatte sich sein Gesundheitszustand so rapide verschlechtert, dass sie nur hin und wieder Tanzstunden nehmen konnte. Natürlich reichte dieses unregelmäßige Training bei Weitem nicht aus, um in Form zu bleiben und den Anforderungen an ein Showgirl in Las Vegas gerecht zu werden. Innerhalb eines knappen Jahrs war sie vom Dance Captain auf die Position eines Chorusgirls gerutscht. Fünfunddreißig mochte für die meisten Frauen die beste Zeit ihres Lebens sein, aber eine Tänzerin hatte in diesem Alter ihren Zenit längst überschritten. Von nun an würde es beruflich nur noch bergab gehen, und das waren ziemlich düstere Aussichten.

Bevor sie zur Show zurückgekehrt war, hatte sie kaum einen Gedanken an ihr Alter verschwendet. Bis dahin hatte das Ende ihrer Karriere in weiter Ferne gelegen, und sie hatte die Tatsache, dass sie es schneller erreichen würde als ein Hochgeschwindigkeitszug sein Ziel, immer einigermaßen erfolgreich verdrängt. Erst heute Morgen war sie sich ihres Alters schmerzlich bewusst geworden. Und war der Zug erst einmal in den Bahnhof gerollt, blieb ihr nichts anderes übrig als auszusteigen. Dabei war sie ihrem Traum, eines Tages ein eigenes Tanzstudio zu eröffnen, noch keinen Schritt näher gekommen.

Doch diesen deprimierenden Gedanken ausgerechnet jetzt nachzuhängen, brachte gar nichts. Im Gegenteil, sie erhöhten nur den Druck, der schon den ganzen Tag auf ihr lastete: dass sie irgendetwas Verrücktes tun musste, um die Melancholie zu vertreiben.

Hinter ihr fluchte ein Mann leise. Im nächsten Moment ertönte der Schreckensschrei einer Frau. Als sie sich umdrehen und nachsehen wollte, was passiert war, spürte sie etwas Eiskaltes auf ihrer nackten Schulter und am Rücken. Erschrocken sprang sie auf.

„Mein Gott, Treena, entschuldige bitte“, sagte Clarissa, die Kellnerin. Entzückende, in Netzstrümpfe gehüllte Knie präsentierend, beugte sie sich bereits gen Boden, um das leere Glas zurück auf das Tablett zu stellen.

„Es ist meine Schuld“, gestand eine sanfte, tiefe Stimme. Gleichzeitig fasste eine gebräunte, langfingrige Hand Clarissa am Ellbogen und half ihr hoch. „Ich muss mich entschuldigen. Ich hätte beim Aufstehen besser aufpassen müssen.“

Sobald Clarissa wieder stand, wandte sich der Mann an Treena. Hochgewachsen, mit breiten Schultern und zerzaustem braunem Haar, das an einigen Stellen von der Sonne gebleicht war, sah er sie lächelnd an. Sein schwarzes Designer-Jackett hatte bestimmt einen ganzen Wochenlohn gekostet. All das nahm Treena wahr, während er ein Taschentuch aus seiner Brusttasche zog und behutsam ihre Schulter abtrocknete.

„Entschuldigen Sie bitte“, wiederholte er, dabei achtete er sorgfältig darauf, sie nur mit dem Leinenstoff zu berühren, als er die Schulterpartie unter ihren Haaren abtupfte. Mit der anderen Hand löste er einen Eiswürfel aus ihren Locken. „Zum Glück hatte sie nur leere Gläser auf dem Tablett, als ich mit ihr zusammengestoßen bin. Drehen Sie sich um. Jetzt ist der Rücken dran.“

Sein Tonfall war so bestimmend, dass sie seiner Aufforderung automatisch folgte. Als sie sich umdrehte, sah sie in die Gesichter ihrer Freundinnen, die sie mit weit aufgerissenen Augen oder hochgezogenen Brauen fasziniert beobachteten, während er ihren Rücken abtrocknete. Erst in diesem Moment wurde ihr schlagartig bewusst, wie gefügig sie sich verhielt.

Normalerweise war sie alles andere als unterwürfig. Hätte er es auch nur ein Mal gewagt, sie ungefragt oder aufdringlich zu berühren, dann hätte sie ihn ohne zu zögern an Ort und Stelle und vor den Augen aller zur Schnecke gemacht. Schließlich hatte sie Übung darin, Männer abzuwimmeln, die sie nach der Show regelmäßig mit dummen Sprüchen anmachten. Nur weil die Tänzerinnen in der letzten Show des Abends topless auftraten, glaubten viele Männer, mit ihnen ein leichtes Spiel zu haben. Aber die Finger dieses Mannes berührten sie nicht eine Sekunde lang. Auf ihrer Haut spürte sie seine Wärme nur durch den Stoff des Taschentuchs, das immer feuchter wurde.

„So.“ Wie ein tiefes Schnurren klang seine Stimme an ihrem Ohr, und er ließ die Hand sinken. Dann trat er einen Schritt zurück. „Leider ist es nicht perfekt, aber mehr kann ich unter den gegebenen Umständen nicht tun.“

Als sie sich ihm zuwandte, war sein Gesicht näher, als sie erwartet hatte. Schnell trat sie einen Schritt zurück und stieß dabei gegen ihren Stuhl, der prompt umkippte. Beim Versuch, ihn festzuhalten, fegte sie ihre Handtasche zu Boden. „Um Himmels …“

Als sie sich gleichzeitig nach der kleinen Ledertasche bückten, berührten sich ihre Finger. Er ließ sie sofort los, fixierte sie jedoch mit seinen lebhaften blauen Augen. So leise, dass nur sie es hören konnte, murmelte er: „Diese Frau, die jung genug ist, um im ‚Crazy Irgendwas‘ aufzutreten … Glauben Sie mir, mit fünfundzwanzig sieht sie nicht einmal halb so gut aus wie Sie mit dreißig und E.“

Dass er sie belauscht hatte, hätte sie eigentlich ärgern müssen, doch stattdessen lachte sie – tief und unbeschwert. Dabei musterte sie den Mann, der vor ihr hockte. An der Stelle, wo seine verwaschene Jeans über den Knien spannte, war sie fast weiß. Das T-Shirt unter dem federleichten Designer-Jackett passte ausgezeichnet zum Himmelblau seiner Augen. In dieser Sekunde spürte sie eine Verzauberung, die sie lange nicht erlebt hatte: die unverfälschte sexuelle Anziehungskraft zwischen einem Mann und einer Frau. Ihre Lippen schenkten ihm eines dieser typischen einseitigen Lächeln, und sie stand auf. „Vielen Dank. Das ist wohl das schönste Geburtstagsgeschenk, das ich heute bekommen habe.“

Auch er stand auf und schaute sie an. „Hören Sie“, sagte er zögernd. „Sie würden wohl nicht …“ Kopfschüttelnd unterbrach er sich und fuhr sich mit der Hand durch das zerzauste Haar. „Ach, vergessen Sie’s. Natürlich würden Sie nicht.“

„Was?“

„Nichts. Das wäre zu aufdringlich.“

Treenas Herz schlug wie verrückt, und es kostete sie ihre ganze Willenskraft, ihn nicht zu fragen, was er denn hatte fragen wollen.

Doch dann zog er die Hand zurück und streckte sein markantes Kinn vor. „Ach, was soll’s! Hätten Sie Lust, morgen mit mir zu frühstücken? Ich habe gehört, dass das Hotel ein ausgezeichnetes Restaurant haben soll.“

Hatte sie nicht schon den ganzen Tag das Gefühl gehabt, irgendetwas Verrücktes tun zu müssen? Jetzt war der Moment gekommen, ihm nachzugeben. Mach schon, wisperte ihr ein kleiner Kobold ins Ohr. Nimm die Einladung an. Genieße dein Leben. Warum auch nicht? Es war ihr verflixter fünfunddreißigster Geburtstag. Etwas Positives musste an diesem Tag doch dran sein.

Genau, pflichtete ihr das kleine Teufelchen bei. Ein bisschen Spaß wird dir guttun.

Doch sie war kein junger impulsiver Teenager mehr. Außerdem hatte sie erst vor vier Monaten ihren Mann beerdigt. Obwohl sie am liebsten Ja gesagt hätte, kämpfte sie gegen die Versuchung. Resigniert öffnete sie schließlich den Mund, in der festen Absicht, seine Einladung höflich, aber bestimmt abzulehnen.

Aber Julie-Ann kam ihr zuvor. „Vielleicht sollten Sie sie lieber zum Brunch einladen, junger Mann – oder noch besser zum Mittagessen. Unsere Treena hat inzwischen ein Alter erreicht, wo man ein wenig mehr Schönheitsschlaf braucht.“

Anschließend legte sie den Kopf in den Nacken und präsentierte ihm ihren faltenlosen jugendlichen Hals. Als wäre das nicht genug, prustete sie noch laut los, als hätte sie gerade einen urkomischen Witz erzählt.

Was zum Teufel ging bloß in diesem Mädchen vor? Vor einiger Zeit hatte Julie-Ann Treenas Job als Dance Captain übernommen. Konnte sie sich damit nicht zufriedengeben? Stattdessen schien Treenas bloße Gegenwart die junge Frau zu provozieren. Ach, zur Hölle mit ihr! Um sich nicht über Gebühr zu ärgern, wandte Treena sich wieder ihrem Gegenüber zu. „Wie heißen Sie?“

„Gallagher. Jax Gallagher.“

Allein der Klang seiner Stimme brachte die Nervenenden in ihrer Haut zum Kribbeln. „Nun, Gallagher, Jax Gallagher, ich würde gern mit Ihnen frühstücken.“

Diese Antwort zauberte ein strahlendes Lächeln auf sein Gesicht, bei dem sich kleine Fältchen um seine unglaublich blauen Augen bildeten. „Wirklich?“

„Wirklich! Aber Julie-Ann hat recht – ich bin nicht mehr die junge Frau, die ich gestern noch war, und wir betagten Damen brauchen nun mal unsere Ruhe. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir uns um zehn treffen?“

„Zehn ist wunderbar.“ Zum Abschied reichte er ihr die Hand.

Erstaunt über das Gefühl, das die Berührung seiner langen, etwas rauen Fingerspitzen in ihr auslöste, überlegte sie einen Moment, ob sie eine vernünftige Entscheidung getroffen hatte. Energisch verbannte sie diese Sorge jedoch sofort wieder und sagte nur: „Ich heiße übrigens Treena McCall.“

„Schön, Sie kennenzulernen, Treena.“ Zögernd ließ er ihre Hand los. „Soll ich Ihnen einen Wagen schicken?“

„Das ist nicht nötig. Wir treffen uns im Restaurant.“

„Wie Sie möchten. Also dann bis morgen.“

„Ja“, erwiderte sie, während er einen Schritt zurücktrat. „Bis morgen.“

Während er an der offenen Cocktailbar vorbeiging, kurz mit Clarissa sprach und ihr dabei einige Geldscheine auf das Tablett legte, beobachtete Treena ihn. Ein paar Sekunden lang drangen das Scheppern der Dollarmünzen in den Geldschächten, das Gebimmel der Spielautomaten und das Rattern und Piepen der einarmigen Banditen in ihr Bewusstsein. Normalerweise nahm sie diese Geräusche gar nicht mehr wahr, weil sie sich so an sie gewöhnt hatte. Erst als Jax von der Menschenmenge des Kasinos verschluckt wurde, drehte sie sich zu ihren Freundinnen um. Einen Moment sah sie sie nur ausdruckslos an, dann öffnete sie ihren Mund zu einem stummen Freudenschrei.

Juney, Eve und Michelle dagegen jauchzten laut, während Jerrilyn, Sue und Jo mit den Fingern auf dem Tisch trommelten und „Hey! Hey! Hey! Hey!“ riefen, als hätte Treena gerade den Jackpot geknackt. Und ihre beste Freundin Carly lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, einen Arm lässig über die Lehne gelegt, und warf ihr ein verschmitztes Grinsen zu. „Das hast du ja prima hingekriegt, Schätzchen. Das nenne ich ein tolles Geburtstagsgeschenk.“

Dass Julie-Ann schmollte, hätte für Treena eigentlich eine Genugtuung sein müssen. Denn seit sie nach Big Jims Tod in die Truppe zurückgekehrt war, ließ die ehrgeizige junge Frau keine Gelegenheit aus, um Treena zu verletzen. Doch genau in diesem Moment ließ die euphorische Wirkung des Adrenalins nach. Immerhin schaffte sie es noch, sich wieder zu setzen und selbstbewusst in die Runde zu lächeln, als habe sie tatsächlich ein tolles Geburtstagsgeschenk bekommen.

Doch im Stillen fragte sie sich, worauf um alles in der Welt sie sich da bloß eingelassen hatte.

Am nächsten Morgen saß Jax auf der Polsterbank an einem weiß gedeckten Tisch im Hotelrestaurant. Gedankenverloren spielte er mit einem rosafarbenen Päckchen Süßstoff und rutschte auf seinem Sitz hin und her, ohne die Tür aus den Augen zu lassen. Zufrieden, wie er die Sache am vorigen Abend eingefädelt hatte, überlegte er, ob Treena wohl tatsächlich kommen würde.

Die arme Kellnerin zum Stolpern zu bringen, war wirkungsvoller gewesen, als er gehofft hatte. Eigentlich spannte er nicht gern wildfremde Leute ein, um seine Ziele zu erreichen, aber in diesem Fall war es nötig gewesen. Während der letzten Tage hatte er Treena ausgiebig beobachtet und schnell herausgefunden, dass es zwecklos wäre, sie einfach anzusprechen. Was reizte sie nur daran, die Witwe zu spielen, die nicht mehr mit Männern ausging und nur noch für ihre Arbeit lebte? Er war überzeugt, dass ihr Verhalten nur Show war. Als versierter Glücksspieler war er oft auf der Suche nach der richtigen Chance. Dieses Mal hatte er seinem Glück ein wenig auf die Sprünge helfen müssen und beruhigte sein Gewissen, indem er die Kellnerin mit einem großzügigen Trinkgeld für den Ärger und die peinliche Situation entschädigte. Besonders für die Peinlichkeit. In seiner Jugend hatte er solche Momente oft genug erlebt – viel häufiger, als für ein Kind gut war. Und auch wenn eine Demütigung einen nicht umbrachte, weckte sie doch den verzweifelten Wunsch, sich in das nächstbeste Mauseloch zu verkriechen.

Über seine verkorkste Kindheit wollte er jetzt lieber nicht nachdenken. Stattdessen dachte er an die wenigen Minuten, in denen er Treena McCall kennengelernt hatte. Unvermittelt hörte er auf, mit dem Päckchen Süßstoff in seinen Fingern zu spielen, während er den Augenblick noch einmal Revue passieren ließ.

Seine Reaktion auf sie hatte ihn überrascht. Denn er hatte nicht damit gerechnet, sich dermaßen zu ihr hingezogen zu fühlen. Beim Leuchten ihrer goldbraunen Augen und ihrem volltönenden wunderbaren Lachen war etwas Unerwartetes passiert. Das hatte nichts mit dem Anflug von Erregung zu tun, den ihr Duft und die flüchtige Berührung ihrer rotblonden Locken ausgelöst hatten, sondern sehr viel mehr mit der Frage, wie um alles in der Welt er diesen Moment des Vertrautseins interpretieren sollte, den ihr herzliches Lachen bei ihm ausgelöst hatte?

In diesem Moment betrat die Frau, über die er gerade so intensiv nachdachte, das Restaurant. Schnell warf er das Päckchen Süßstoff zurück in die silberne Schale auf dem Tisch und straffte die Schultern. Lässig legte er einen Arm über die Rückenlehne der Bank, setzte ein freundliches Gesicht auf und beobachtete Treena, die die Kellnerin begrüßte und ihr dann zu seinem Tisch folgte.

Treena bemerkte seinen Blick und warf ihm dieses unwiderstehliche, etwas schiefe Lächeln zu. Auch Jax lächelte, während sein Herz wie rasend schlug.

Heute trug sie eine elegante beige Baumwollhose und ein locker fallendes olivgrünes Top aus einem weichen Stoff, der die Kurven darunter auf unauffällige, dadurch aber umso reizvollere Weise betonte.

Ganz offensichtlich fühlte er sich von dieser Frau angezogen – natürlich nur sexuell. Und selbst wenn nicht – was bedeutete das schon? Treena McCall war ein Mittel zum Zweck. Sie hatte etwas, das ihm gehörte. Etwas, das er dringend brauchte, um am Leben zu bleiben.

Und das wollte er unbedingt.

Also würde er alles tun, um es zu bekommen.

2. KAPITEL

Beinahe hätte Treena die Verabredung nicht eingehalten. Schließlich war sie nur gekommen, weil sie sich immer und immer wieder eingeredet hatte, dass es unhöflich wäre, jemanden zu versetzen, der so nett gewesen war. Sogar als sie der Kellnerin durch das Restaurant folgte, dachte sie noch daran umzukehren.

Dann entdeckte sie Jax auf der Bank, der sie nicht aus den Augen ließ. Sofort schmolzen ihre Bedenken wie Schnee in der Sonne.

Schwer zu sagen, was es mit diesem Mann auf sich hatte, aber irgendetwas fesselte sie an ihm. Sicher nicht sein Aussehen, denn er entsprach nicht dem üblichen männlichen Schönheitsideal. Obwohl er nicht hässlich war, gehörte er keinesfalls zu den Typen, bei deren bloßem Anblick einer Frau der Atem stockte. Dafür war seine Nase ein wenig zu groß, sein Kinn ein wenig zu lang. Jede Einzelheit für sich genommen ließ vielleicht zu wünschen übrig. Und dennoch ergaben sie ein attraktives Gesamtbild. Außerdem hatte er einen durchtrainierten Körper, was sie als Tänzerin schätzte, und im Blick seiner hellwachen blauen Augen lag etwas derart Faszinierendes, dass sie es bis zum anderen Ende des Raumes spürte.

Er erhob sich, als sie den Tisch erreichte. Dass sie fast einen Kopf kleiner war als er, erschreckte sie ein wenig. Seine Statur war ausgesprochen Respekt einflößend, sodass sie sich fast zierlich vorkam. Ein seltenes Gefühl. Da für die meisten Tanzgruppen in Las Vegas eine Mindestgröße von einem Meter fünfundsiebzig vorgeschrieben war, hatte sie sich bisher noch nie klein gefühlt.

Gestern Abend hatte sie hochhackige Schuhe getragen, heute trug sie flache Slipper. Während sie ihn verstohlen musterte, kam sie zu dem Ergebnis, dass er gut und gern einen Meter neunzig groß und knapp hundert Kilo schwer sein musste.

Mit einem Lächeln verabschiedete Treena die Bedienung, die ihnen ein angenehmes Frühstück wünschte und zur Rezeption zurückging. „Guten Morgen“, begrüßte sie Jax und überlegte, ob dies als Begrüßung ausreichte. Nach kurzem Zögern reichte sie ihm die Hand. Um sich zu umarmen, kannten sie einander noch nicht gut genug – von einem Kuss ganz zu schweigen. Als seine warme Hand ihre Finger umschloss, räusperte sie sich – halb verwundert, halb verärgert, dass sie sich so unbeholfen anstellte. Normalerweise hatte sie keine Probleme mit Small Talk, aber ihre letzte Verabredung lag schon sehr lange zurück, und sie war vollkommen aus der Übung. Ihre Hand zitterte ein wenig, als sie sich seinem Griff entzog. „Hoffentlich bin ich nicht zu spät“, murmelte sie.

„Überhaupt nicht, im Gegenteil. Auf die Minute genau. Ich bin zu früh gekommen.“

Entweder trug er dasselbe elegante Jackett wie gestern Abend, oder er besaß zwei von der Sorte. Heute hatte er es mit einem grauen T-Shirt aus Seide und schwarzen Jeans kombiniert. Da er ungemein zufrieden und selbstbewusst wirkte, fragte Treena sich insgeheim, ob er es gewohnt war, in Gesellschaft zu frühstücken, und ob es ihm immer so leichtfiel, jemanden dazu zu überreden.

Unvermittelt sagte sie: „Eigentlich lasse ich mich nicht von vollkommen Fremden einladen.“ Sie schnitt eine Grimasse. „Genau das werden Sie vermutlich bezweifeln, nachdem Sie gestern so ein leichtes Spiel mit mir hatten.“

„Oh nein, ich glaube Ihnen.“ Dabei zog er allerdings die dunklen Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammen, was aussah, als würde er selbst darüber staunen. Schnell zog er die Stirn wieder glatt und reichte ihr die Speisekarte, ohne den Blick von ihr zu wenden. „Sie sehen nämlich ganz und gar nicht so aus, als ob Sie sich rasch erobern ließen.“

Bei dieser Antwort brach Treena in Gelächter aus. „Danke … sollte ich wohl sagen.“

„Vielleicht hätte ich besser sagen sollen, wie jemand, der nach Männern Ausschau hält.“ Er warf ihr einen Blick zu. „Oh Gott, ich mache es nur noch schlimmer, nicht wahr?“

Sie lächelte. „Vielleicht sollten wir das Thema wechseln.“

„Gute Idee.“

„Ich nehme an, Sie sind nicht von hier?“ Fragend legte sie die Stirn in Falten.

„Als Teenager habe ich eine Zeit lang hier gelebt, aber ich bin schon vor langer Zeit weggezogen.“

„Wollen Sie wieder zurückziehen? Sind Sie deshalb hier?“

„Nein.“

„Dann müssen Sie auf Geschäftsreise sein. Oder ziehe ich wieder voreilige Schlüsse? Vielleicht machen Sie ja Ferien?“

„Von beidem ein bisschen. Zuerst will ich eine Stadt, die einmal meine Heimat war, neu kennenlernen. Danach kommt das Geschäftliche.“

„Was machen Sie denn beruflich?“ Bevor er antworten konnte, machte sie eine abwehrende Handbewegung. „Nein, warten Sie, lassen Sie mich raten.“ Aufmerksam sah sie ihn an. „Ihr Jackett ist sehr elegant. Armani?“

„Hugo Boss.“

„Also gut: teuer, ein wenig konservativ, und trotzdem mögen Sie es gern lässig und tragen seidene T-Shirts dazu. Die Kombination mit Jeans und …“, sie beugte sich zur Seite und schaute unter den Tisch, „… Nikes deutet darauf hin, dass Sie vermutlich kein Vorstandsvorsitzender sind, stimmt’s?

„Richtig, genau so ist es!“

„Trotzdem wirken Sie auf mich wie ein Kopfarbeiter, dabei aber auch freiheitsliebend.“ Jetzt musterte sie sein braunes, von der Sonne gebleichtes Haar. Obwohl kurz geschnitten, trug er es etwas länger und zerzauster als die meisten Geschäftsmänner. „Irgendwas Künstlerisches vielleicht? Sind Sie Grafiker?“

Er schüttelte den Kopf.

„Maler oder Fotograf?“

Bei dieser Frage musste er lächeln. „Meine Versuche auf diesen Gebieten waren kaum der Rede wert.“

Sein Lächeln hatte eine beunruhigende Wirkung auf ihre Sinne. Um sich abzulenken, dachte sie fieberhaft über andere Tätigkeiten nach. „Arbeiten Sie in der Computerbranche?“

„Nein. Obwohl ich eine Schwäche für Computer habe.“

„College-Professor?“

Er lachte.

„Das interpretiere ich als Nein. Außerdem würden Sie dann wohl eher ein Tweed-Jackett tragen. Also, mal sehen.“ Erneut setzte sie ihren forschenden Blick auf. „Sie sind braun gebrannt. Aber das sind die meisten Leute hier. Jetzt erzählen Sie mir bloß nicht, dass Sie ein Surfer sind.“ Verärgert schlug sie sich mit der Hand gegen die Stirn. „Blödsinn – so viele Surfer findet man in Las Vegas auch nicht. Außerdem haben Sie bis jetzt noch nicht einmal das Wort Welle erwähnt. War also kein guter Tipp. Sie bauen doch nicht etwa Surfbretter?“ Hatte sie nicht irgendwo gelesen, dass deren Hersteller gerade in der Stadt tagten?

Oder ging es dabei um Snowboards?

Wieder lächelte er, dieses Mal so breit, dass sie seine weißen Zähne sehen konnte. „Leider nicht.“

„Na gut, ich gebe auf. Was also führt Sie nach Vegas?“

„Poker. Ich bin zum Pokern hier.“

Erstaunt riss sie den Mund auf, schloss ihn wieder und versetzte Jax einen Klaps auf den Arm. „Sie lügen. Sie sagten doch, Sie seien geschäftlich hier.“

„Das ist mein Geschäft.“

Entgeistert starrte sie ihn an. „Sie sind professioneller Glücksspieler?“ Amüsiert zog er eine Augenbraue hoch. „Also darauf wäre ich nie im Leben gekommen.“ Ohne zu wissen, warum, brachte sein Geständnis sie ein wenig aus der Fassung. Schließlich wollte sie den Mann ja nicht heiraten, also ging es sie auch nichts an, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Vermutlich würde er nicht einmal lange genug in der Stadt bleiben, um eine Affäre mit ihr anzufangen.

Gleichzeitig war sie schockiert über sich selbst. Warum fand sie diese Aussicht nur so enttäuschend?

Jax, der ihre plötzliche Distanz spürte, fragte sich, was er da eigentlich tat. Aufrichtigkeit war nun mal nicht die beste Taktik. Schon oft hatte er sich geschworen, seine Ziele nicht mehr auf diesem Weg zu erreichen. Nicht umsonst hatte er mit seiner Ehrlichkeit schon ein paarmal Schiffbruch erlitten. Und jetzt das! Sie sollte glauben, dass er ein Glücksritter mit Geld wie Heu wäre. Aber leider waren professionelle Glücksspieler für die meisten Menschen ziemlich anrüchige Zeitgenossen, ganz egal, wie erfolgreich sie waren.

Über mangelnden Erfolg konnte er sich nicht beschweren – bis er in Monaco Mist gebaut hatte. Und für dieses Fiasko mitsamt all seinen unglückseligen Konsequenzen trug er allein die Verantwortung.

Deshalb war er hier, und nicht, um sich mit dieser Frau eine schöne Zeit zu machen. Aber Treena McCall zu verführen schien die einzige Möglichkeit zu sein, um in ihre Wohnung zu gelangen. Dort musste er dann nur lange genug allein sein, um den Gegenstand an sich zu bringen, mit dessen Hilfe er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte.

Glücklicherweise dürfte es ein Kinderspiel sein, bei ihr zu landen. Mein Gott, sie war ein Showgirl, und sein Vater hatte ja bereits den Beweis geliefert, dass sie käuflich war. Doch als er sie jetzt von seinem Platz aus betrachtete, ihre üppige Lockenpracht und diesen sinnlichen Mund ansah, hoffte er, nichts Unbesonnenes zu tun. Schließlich war es seine maßlose Selbstüberschätzung gewesen, die ihn in diese vertrackte Situation gebracht hatte. Jetzt musste er vor allem einen kühlen Kopf bewahren. Schon gestern hatte er kaum den Blick von ihr wenden können, und jetzt, wo sie ihm gegenübersaß, spürte er, wie sein Körper in sehr eindeutiger Weise auf sie reagierte. Auf keinen Fall durfte er sich von seinen Gefühlen leiten lassen. Auch wenn sie ganz und gar nicht die Frau war, die zu treffen er erwartet hatte.

Wie selbstverständlich hatte er sie für einfältig und geldgierig gehalten. Stattdessen war sie witzig und offenbar ausgesprochen bodenständig und nüchtern. Warum zum Teufel heiratete eine Frau wie sie einen Mann, der alt genug war, um ihr Vater zu sein? Nur zu gut erinnerte er sich an das Leben mit seinem alten Herrn. Er war kein einfacher Mensch gewesen. Dafür aber ziemlich reich.

„Sind Sie oft in Las Vegas?“, unterbrach Treenas Stimme seine Überlegungen.

Besser, er dachte später weiter über sie nach und konzentrierte sich jetzt auf ihr gemeinsames Frühstück. „Nein, das ist das erste Mal seit vielen Jahren – seit ich aufs College gegangen bin, um genau zu sein. Momentan verbringe ich die meiste Zeit in Europa. Bis vor Kurzem war ich in Monte Carlo.“

„An der Riviera?“

„Ja. So ist es.“

„Herrlich!“ Das Kinn auf die Hand gestützt, betrachtete sie ihn mit einer Mischung aus Bewunderung und Sehnsucht. „So etwas ist für mich unvorstellbar. Ich bin noch nie aus Amerika rausgekommen – abgesehen von einer Woche in Cancún mit Carly vor drei … nein, das ist schon vier Jahre her.“

„Sie wollen mich auf den Arm nehmen?“ Sein Erstaunen war echt. Bis zu diesem Moment war er fest davon überzeugt gewesen, dass sie auf Kosten seines Vaters durch die Weltgeschichte gereist war. Natürlich immer erster Klasse. So hatte sie das Vermögen der Familie auf den Kopf gehauen, bis ihr nichts anderes übrig geblieben war, als wieder zu tanzen.

„Ich wünschte, es wäre so. Aber leider ist es die reine Wahrheit. Ganz schön deprimierend, nicht wahr?“

„Sie wollen mir also wirklich weismachen, dass ein hübsches irisches Mädchen wie Sie es noch nicht einmal in das Land seiner Vorfahren geschafft hat?“

Für diese Frage schenkte sie ihm eines ihrer schelmisch-wissenden Lächeln. „Sie glauben, ich wäre Irin?“

„Sind Sie es denn nicht? Bei dem roten Haar und einem Namen wie McCall liegt es doch nahe, Sie für irisch oder schottisch zu halten.“

Nun lachte sie, und er bemerkte, wie eine Gruppe Geschäftsleute am Nebentisch ihr bewundernde Blicke zuwarf.

„Na ja, vielleicht eine Irin aus Warschau“, entgegnete sie. „Aufgewachsen bin ich in einer kleinen Stahlstadt in Pennsylvania, von der Sie bestimmt noch nie etwas gehört haben. Und bis vor anderthalb Jahren war ich noch Treena Sarkilahti.“

„McCall ist also Ihr Bühnenname?“

„Nein, so heiße ich, seitdem ich verheiratet bin. War. Ich bin nämlich Witwe.“

„Oh, verdammt!“ Zu seiner eigenen Überraschung war sein Mitgefühl nicht geheuchelt – jedenfalls nicht alles. Weil er fest damit gerechnet hatte, dass sie auf seine vorgetäuschte Annahme, McCall sei ihr Bühnenname, eingehen würde, schockierte es ihn ein wenig, das Wort Witwe aus ihrem Mund zu hören. Es beschwor Bilder von Sympathie und Mitgefühl herauf, die er lieber nicht sehen wollte. „Das tut mir leid.“

„Mir auch. Er war ein guter Mann.“

Wenn man die Messlatte nicht zu hoch legt, dachte er. Aber er schluckte die Bitterkeit hinunter. Sie gehörte in eine andere Zeit. Außerdem würde es ihn keinen einzigen Schritt weiter bringen, wenn er nach all den Jahren noch Gedanken darauf verschwendete.

Als er den Mund öffnete, mit einem Kompliment auf den Lippen, um sich ein wenig näher an sie heranzupirschen, sagte sie: „Es ist merkwürdig, irgendwie erinnern Sie mich an ihn.“

Erschrocken sah er sie an.

Sie lachte. „Ich weiß. Es ist nicht sehr angenehm, mit einem toten Ehemann verglichen zu werden. Jim war ein Selfmademan und nicht sonderlich gebildet, Sie sind weitaus gewandter als er. Aber trotzdem sind Sie genauso … liebenswürdig wie er. Und genauso groß. Er war ein imposanter Mann.“

Jetzt wusste er, dass sie log. Niemals hätte er seinen Vater als liebenswürdig beschrieben. Und sich selbst gewiss auch nicht. Jedenfalls nicht mehr.

Aber ein imposanter Mann – oh ja, das war sein Dad gewesen. Ein Mann, der für das Angeln, die Jagd und das Glücksspiel gelebt hatte – überhaupt ein Fan aller Sportarten, die die Menschen je erfunden hatten.

Und dabei hatte ihm die Meinung anderer Leute – selbst die von vollkommen Fremden – immer mehr bedeutet als das Glück seines eigenen Kindes. Wie oft hatte Big Jim ihn gedrängt, sich so und so zu verhalten, damit er von seinen Altersgenossen anerkannt wurde?

Aus einer dunklen Ecke seiner Erinnerung hörte er wie aus weiter Ferne die Stimme seines Vaters.

„Nimm den Schläger fest in die Hand und behalte den Ball im Auge. Verdammt noch mal, Junge, du hast einen Schlag wie ein Mädchen!“

Behutsam berührte Treena seine Hand. „Tut mir leid. Ich hätte ihn nicht erwähnen sollen.“

Er vertrieb die Erinnerungen aus seinem Gedächtnis und versuchte wieder, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, die vor ihm lag. In einem Punkt hatte der alte Mann allerdings recht gehabt: Er musste den gottverdammten Ball im Auge behalten. Unwillkürlich bildete sich eine steile Sorgenfalte über seiner Nase. Als er sich dessen bewusst wurde, lächelte er schnell und betrachtete den attraktiven Rotschopf ihm gegenüber. „Wie lange ist Ihr Mann denn schon tot?“

„Etwas länger als vier Monate.“

„Das ist nicht lang. Da ist es nur natürlich, dass Sie viel an ihn denken.“ Sanft beugte er sich vor und legte seine Hand auf ihre Fingerspitzen. „Bin ich der erste Mann, mit dem Sie seit seinem Tod ausgehen?“

„Ja. Und ich gestehe Ihnen offen, ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.“

Jetzt musste er aufrichtig lächeln. „Wirklich?“

„Wirklich.“ Ihre Wangen wurden rosig.

„Dann nehme ich zurück, was ich eben gesagt habe – dass Sie nicht aussehen wie jemand, der sich schnell erobern lässt. Wenn dazu gehört, dass Sie einem Mann das Gefühl vermitteln, eine Million Dollar wert zu sein, dann machen Sie Ihre Sache viel besser, als ich gedacht habe.“

„Bitte hören Sie auf. Keine Komplimente mehr, das verwirrt mich total.“

„Heucheln Sie, so viel Sie wollen“, erwiderte er scherzhaft. „Jetzt habe ich Sie durchschaut. Wenn Sie einem Mann erzählen, dass Sie seine Einladung wider besseres Wissen angenommen haben, ist das pures Flirten, Honey. Und zwar ein ausgesprochen wirkungsvolles.“ Als er ihren verwirrten Blick bemerkte, wechselte er schnell das Thema. „Haben Sie Kinder?“

„Nein. Wir waren ja noch nicht einmal ein Jahr verheiratet. Big Jim hatte allerdings einen erwachsenen Sohn, ein echtes Wunderkind in Sachen Mathematik, aber ich habe ihn nie kennengelernt.“

„Warum nicht?“, fragte er und lehnte sich zurück. Das konnte interessant werden!

Als habe sie auf etwas gebissen, was einen unangenehmen Geschmack hinterlässt, presste sie die Lippen aufeinander. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich lieber nicht darüber reden.“

Da war es wieder, dieses bittere Gefühl von Unzulänglichkeit. Wie eine Welle schwappte es über ihn hinweg, und er war der Kellnerin dankbar, dass sie in diesem Moment an ihren Tisch kam, um die Bestellung aufzunehmen. Aber was hatte er denn erwartet? Seinem alten Herrn war er immer nur peinlich gewesen. Hatte er wirklich geglaubt, das würde sich ändern, nur weil er vor Jahren von zu Hause weggegangen war? Im Grunde hatte er diese Hoffnung doch längst begraben.

Nicht dass es ihm noch etwas ausmachte, wohlgemerkt.

Bis Ende des Monats musste er in Treenas Wohnung den signierten Baseball gefunden haben – den wertvollsten Besitz seines Vaters. Wenn jemand Anspruch auf dieses kostbare Sammlerstück hatte, dann war er das. Er musste es mit allen Mitteln – legalen wie illegalen – in seinen Besitz bringen. Und zwar bevor Sergej Kirov seine Hunde auf ihn hetzte.

Gleichzeitig musste er sich darauf konzentrieren, die Vorentscheidung des Pokerwettbewerbs in Las Vegas zu gewinnen. Im Idealfall hätte er das eine in trockene Tücher gebracht, bevor er sich um das andere kümmerte. Unvermittelt spürte er, wie seine Schultern sich verkrampften. Um sich zu entspannen, rollte er ein wenig mit den Schulterblättern, als die Kellnerin ihren Bestellblock zuklappte und ging.

Du machst dir zu viele Gedanken. Dabei hatte er genügend Zeit eingeplant, und er rechnete nicht damit, dass die Verführung eines Showgirls Unmengen davon in Anspruch nehmen würde. Wie zur Probe zwinkerte er Treena zu. Prompt verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln.

Oh ja. Alles nur eine Frage der Zeit.

3. KAPITEL

Treena kämpfte sich gerade durch eine endlose Folge von Pliés, als Carly sich plötzlich vor ihr aufbaute. „Hey“, begrüßte sie ihre beste Freundin, während sie mit ausgestellten Knien und kerzengeradem Rücken in die Hocke ging. Anschließend richtete sie sich blitzschnell wieder auf, ohne auf ihren schmerzenden Oberschenkelmuskel zu achten. „Was machst du denn hier?“

„Machst du Witze?“ Ganz instinktiv legte Carly die Fingerspitzen auf die Ballettstange und bewegte sich im gleichen Rhythmus wie Treena. „Du bist nach dem Unterricht nicht nach Hause gekommen.“

„Der Trainingsraum ist unerwartet frei geworden. Die Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen.“

Auch wenn solche spontanen Entscheidungen typisch für Treena waren, wischte Carly die Erklärung mit einer ungeduldigen Geste beiseite. „An jedem anderen Tag wäre das ja auch in Ordnung. Aber doch nicht nach deiner Verabredung heute Morgen. Ich sterbe vor Neugier. Also erzähl schon. Wie ist es gelaufen?“

Während der Trainingsstunde hatte Treena alle Gedanken an ihr Treffen mit Jax aus ihrem Gedächtnis verbannt, um sich auf ihre Übungen zu konzentrieren. Jetzt durchlebte sie die Stunden vor ihrem geistigen Auge noch einmal, und sie lächelte versonnen.

„Was, so toll?“

„Ja.“

„Ich hab’s doch gewusst. An diesem Mann ist was dran …“

Mitten in einer Beugung hielt Treena inne und zerstörte das Bild ihrer synchronen Bewegungen. Erst nach ein paar Sekunden nahm sie den Rhythmus wieder auf. „Genau das Gleiche habe ich auch gedacht – irgendetwas ist an ihm. Aber ich kann dir nicht genau sagen, was es ist.“

„Vielleicht hätte ich eher sagen sollen, da ist was Besonderes in der Luft, wenn ihr zwei zusammen seid. Ich vermute, es liegt an der Chemie.“ Carly zuckte mit den Schultern. „Ist das denn überhaupt wichtig?“

„Ja. Warum er und warum jetzt?“ Ernst schaute Treena ihre Freundin an. „Der Zeitpunkt ist wirklich höchst ungünstig – Big Jim ist doch gerade erst gestorben. Und Jax bleibt wahrscheinlich nicht sehr lange hier. Er ist nämlich ein professioneller Glücksspieler.“

„Sag bloß!“ Diesmal geriet Carly aus dem Rhythmus. „Darauf wäre ich nie gekommen. Dabei sieht er gar nicht so aus – keine glänzenden Schuhe, keine gegelten Haare, kein bisschen gangstermäßig, wie man sich einen Glücksspieler vorstellt.“

Bei diesen Worten musste Treena lachen. So ähnlich wäre auch ihre Beschreibung eines Profispielers ausgefallen – bevor sie Jax kennengelernt hatte. „Er nimmt an der großen Pokermeisterschaft teil, die nächste Woche im ‚Bellagio‘ beginnt. Oder ist es erst übernächste Woche? Den genauen Termin kenne ich nicht.“

„Das ist etwas anderes; dann gehört er ja nicht zur Unterwelt. Und offenbar gefällt ihm, was er sieht, wenn er dich anschaut.“ Carly legte den Kopf schräg. „Da er seit Big Jims Tod der Erste ist, mit dem du dich verabredet hast, gefällt er dir auch, nehme ich an. Also, wo ist das Problem?“

„Ich weiß, ich weiß, es sollte keins sein. Vielleicht ist es einfach noch … zu früh.“

„Unsinn, Liebes.“ Liebevoll drückte Carly Treenas Schulter. „Du und ich, wir wissen doch beide, dass dein Zusammenleben mit Big Jim bei Weitem nicht das war, was die meisten von einer Ehe erwarten.“ Beim Trainieren hatte sich eine Locke aus Treenas lose zusammengebundenem Zopf gelöst. Carly schob sie ihr aus der Stirn. „Außerdem musst du ja nichts überstürzen“, fuhr sie fort, wobei sie Treena verständnisvoll ansah. „Lass es so langsam angehen, wie du selbst es möchtest. Aber ich fänd’s echt schade, wenn du es nicht wenigstens versuchen würdest.“

Treena bedachte ihre Freundin mit einem warmherzigen Lächeln. Carlys burschikoses Auftreten, ihre atemberaubende Figur und ihr kurz geschnittenes blondes Haar erweckten bei vielen den Eindruck eines vergnügungssüchtigen, egoistischen und oberflächlichen Partygirls. Mochte ihre Freundin auch noch so sehr aussehen wie eine scharfe Puppe, für Treena war sie eher der Typ zum Pferdestehlen, ein Mensch, auf den sie sich in jeder Situation hundertprozentig verlassen konnte. „Dann freut es dich bestimmt zu hören, dass ich heute Abend nach der Zehn-Uhr-Show eine Verabredung mit Jax habe. Ich habe ihm sogar schon meine Telefonnummer gegeben.“

Vor Begeisterung jauchzte Carly. „Das ist mein kleines Mädchen!“

„Als kleines Mädchen würde ich sie nicht gerade bezeichnen“, stichelte eine Stimme vom anderen Ende des Übungsraums.

Treena seufzte. „Hast du schon wieder gelauscht, Julie-Ann?“

Mühsam unterdrückter Ärger spiegelte sich im Gesicht der jungen Frau, während sie den Saal durchquerte. „Glaub mir, dein ödes Leben ist das Letzte, was mich interessiert. Und Carlys Worte habe ich nur versehentlich mitbekommen.“

„Versehentlich“, murmelte Carly. „Meine Güte, was haben wir für einen großen Wortschatz.“

Ohne sie zu beachten, wendete sich Julie-Ann an Treena. „Ein Blick auf den Stundenplan hätte dir gesagt, dass ich das Studio für mich reserviert habe. Ich bin nämlich für den Dokumentarfilm über Showgirls aus Las Vegas ausgesucht worden. Da muss ich natürlich in Topform sein.“ Sie musterte ihr Chorusgirl von oben bis unten und fügte mit einem zuckersüßen Lächeln hinzu: „Aber wenn du noch nicht fertig bist, können wir ja noch ein bisschen gemeinsam üben. Du kannst es bestimmt gebrauchen.“

Statt dem kleinen Miststück eine Ohrfeige zu geben, lächelte Treena und machte Julie-Ann damit nur noch wütender.

„Vielen Dank, Julie-Ann. Das ist sehr freundlich. Was ist mit dir, Carly – hängen wir noch eine Stunde dran?“

„Aber klar. Ist doch eine prima Gelegenheit. Von Julie-Anns Talent können wir doch nur profitieren, oder?“

„Unbedingt.“ Auch wenn die junge Tänzerin ihr oft fürchterlich auf die Nerven ging, tanzen konnte sie, das musste Treena zugeben. Mit Befriedigung registrierte sie Julie-Anns ärgerliche Miene, dann wandte sie sich an Carly: „Andererseits habe ich schon eine Trainingsstunde hinter mir und hinterher noch ein paar Übungen drangehängt, weil der Raum frei war. Und deine Kleinen jaulen doch bestimmt nach dir, weil sie gefüttert werden wollen.“

„Stimmt.“ Carly strahlte Julie-Ann an. „Ganz zu schweigen von Treenas Verabredung, für die sie sich fertig machen muss. Du weißt doch sicher noch, wie das ist, oder? Ich meine, so lange kann es schließlich noch nicht her sein, dass du auch mal eine hattest.“

Wie schmal Julie-Anns Lippen werden konnten. „Du bist ja so komisch, Carly.“

Treena lachte. „Nicht wahr?“, meinte sie, während sie ihre Sachen einpackte. Mit einem fröhlichen „Tschüs“ ließen sie die junge Frau allein im Trainingsraum zurück.

Kaum hatte sich die Tür jedoch hinter ihnen geschlossen, erstarb Treenas Lächeln. „Was ist nur mit diesem Mädchen los?“, fragte sie, als sie auf die Straße traten und von einem Schwall heißer Wüstenluft begrüßt wurden. „Was habe ich ihr bloß getan, dass sie mich dermaßen hasst?“

„Na ja, das ist doch ganz einfach: Du warst eine bessere Lehrerin, als sie jemals sein wird“, beantwortete Carly ihre Frage.

Wie vom Donner gerührt blieb Treena stehen und starrte ihre Freundin an. „Wie bitte?“

„Du bringst einfach besser rüber, worauf es ankommt. Du schaffst es, den Leuten zu sagen, worauf sie achten müssen, ohne dass sie sich wie plumpe Holzklötze vorkommen. Wenn Julie-Ann jemandem ein Kompliment macht, vermuten alle sofort eine Gemeinheit dahinter. Außerdem nervt es tierisch, sich immer wieder anhören zu müssen, was sie schon alles Tolles gemacht hat, eins besser als das andere. Vielleicht sagt sie ja sogar die Wahrheit. Aber als Dance Captain warst du einfach beliebter, und das weiß sie nun einmal.“

„Na toll. Das bringt mir ja enorm was. Und so ungern ich es auch zugebe – inzwischen ist sie wirklich besser als ich. Kann sie sich nicht einfach damit zufriedengeben?“

„Nein. Das Mädel ist von einem krankhaften Ehrgeiz besessen, und deshalb darf keiner auf irgendeinem Gebiet besser sein als sie.“

Für Treena war es unvorstellbar, dass Menschen ein dermaßen egozentrisches Verhalten einfach hinnahmen. Sie selbst war in einer Stahlstadt groß geworden, in der permanent Arbeitsplätze abgebaut wurden. Wer dort einen festen Job hatte, war glücklich, und niemand hatte Zeit, überheblich zu werden. Alle waren viel zu sehr damit beschäftigt, das nötige Geld zum Überleben zu verdienen. „Ich verstehe das einfach nicht“, sagte sie laut.

„Du hast eben eine ganz andere Arbeitsmoral. Ich kenne niemanden sonst in diesem Beruf, der zwei Jobs gleichzeitig gemacht hat – und das von Anfang an.“

„Meine Familie brauchte nun mal meine Unterstützung, und ich brauchte den Tanzunterricht.“ Tanzen war ihr einziger Ausweg gewesen, der einzige wirkliche Lichtblick in einer grauen Welt und jeden Penny wert, den sie hatte zusammenkratzen können.

Ihre Eltern hatten das nie verstanden, und sie taten es bis heute nicht. Natürlich liebten sie ihre Tochter, aber sie konnten einfach nicht begreifen, warum sie nicht jemanden wie Billy Wardinski von nebenan geheiratet hatte, um mit ihm ein Leben zu führen, wie sie es kannten. Weder ihre beiden Schwestern noch die anderen Mädchen in der Stadt hatten schließlich ein Problem damit, jung zu heiraten und Kinder zu bekommen. Das war nun einmal der Lauf der Welt. Anständige polnisch-amerikanische Mädchen gingen nicht in die Stadt der Sünde. Und sie stellten sich auch nicht so gut wie nackt auf die Bühne, machten Spagat und warfen die Beine in die Luft.

„Woran denkst du gerade?“

Treena warf ihrer Freundin ein schiefes Lächeln zu. „Wie unendlich dankbar ich bin, dass meine Familie nur die Acht-Uhr-Show gesehen hat, als ich sie überreden konnte, mich hier zu besuchen.“

Carly grinste zurück. „Die Kostüme haben sie weiß Gott schon genug schockiert.“

„Die sogenannten Kostüme, hat mein Dad hinterher gesagt. Kannst du dir vorstellen, wie er reagiert hätte, wenn er mich oben ohne gesehen hätte? Da spielte es auch keine Rolle, dass ich damals schon zweiunddreißig war. Vermutlich hätte er mich an den Haaren nach Hause gezogen.“

„Da wir gerade von Kostümen sprechen – oder dem, was davon übrig geblieben ist. Habe ich dir schon erzählt, was Rufus mit meinen neuen Tanzschuhen angestellt hat?“ Lachend erzählte Carly von ihrem neuen Zögling, einer ausgesetzten Promenadenmischung, den sie neben dem Highway Nummer fünfzehn nahe der Grenze zu Kalifornien aufgelesen hatte. Während sie zu ihren Autos gingen, redeten sie nur noch über das Tier.

Dabei vergaß Treena Julie-Anns Gemeinheiten, das Unverständnis ihrer Eltern und ihre wachsenden finanziellen und beruflichen Probleme. Stattdessen lächelte sie, weil sie sich an Big Jims Frage erinnerte, ob ihr und Carly jemals der Gesprächsstoff ausgegangen sei. Das war ihnen tatsächlich noch nie passiert – nicht ein einziges Mal in den mehr als elf Jahren, die seit ihrer ersten Begegnung beim Vortanzen für die Revue „La Stravaganza“ vergangen waren. Von Anfang an waren sie ein Herz und eine Seele, das einzige wirkliche Problem bestand darin, genügend Zeit zu finden, um über all das zu reden, was ihnen auf dem Herzen lag.

Als Treena jedoch kurz darauf allein in ihrem Wagen saß und von niemandem abgelenkt wurde, brachen ihre Probleme wieder wie eine gewaltige Welle über ihr zusammen. Eine Weile verdrängte sie sie erfolgreich, indem sie sich zu Hause in einen wahren Putzrausch stürzte, was sie hin und wieder tat. Dabei fiel ihr der Baseball in die Hände, der auf einem Stapel thronte, den sie in ihrer chaotischen Besenkammer aufbewahrte. Mit gemischten Gefühlen nahm sie die Plexiglasbox in die Hand, in der der Ball schon immer gelegen hatte, ging in die Hocke und betrachtete ihn.

Dieses antike Objekt gehörte zu Big Jims größten Schätzen. Sein Vater hatte sich den Ball 1927, als Zwölfjähriger, bei einem Meisterschaftsspiel geschnappt, als er nach einem Home Run ins Publikum flog. Anschließend hatte er ihn von allen Spielern der New York Yankees – der berühmten „Killer-Mannschaft“ – signieren lassen. Heute war der Ball ein kleines Vermögen wert, aber seine eigentliche Bedeutung lag in dem Glück, das jedes Mal über Jims Gesicht geglitten war, wenn er ihn angesehen hatte. Viel wichtiger als der materielle Wert war ihm die Geschichte des Baseballs – und die Tatsache, dass es sich um ein Familienerbstück handelte.

Einmal mehr spürte Treena einen Anflug von Versuchung. Vorsichtig stellte sie die Box zurück an ihren Platz und verließ den kleinen Raum. Diesem Durcheinander würde sie ein anderes Mal zu Leibe rücken. Erleichtert, der Verlockung widerstanden zu haben, schloss sie energisch die Tür. Vergangene Woche hatte sie einen Anruf bekommen, der ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Im Auftrag eines anonymen Klienten sollte ein Rechtsanwalt namens Richardson ihr ein Angebot für den Ball machen. Bei der Summe, die der Käufer für den Ball zahlen wollte, war ihr schwindlig geworden.

Die Aussicht auf das Geld war verführerischer als alles, was sie sich vorstellen konnte. Ihr ganzes Leben hatte sie hart gearbeitet, und sogar als sie mit achtzehn von zu Hause auszog, hatte sie weiterhin zwei Jobs. Die zweite Stelle hatte sie erst aufgegeben, als sie sich einen Platz in „La Stravaganza“ im „Avventurato Hotel“ ergattert und ein kleines finanzielles Polster angelegt hatte. Unglücklicherweise waren ihre Ersparnisse in Big Jims Krankenhausrechnungen geflossen, was es kolossal schwer machte, dem Angebot des Anwalts zu widerstehen. Wenn sie den Baseball verkaufte, wäre sie mit einem Schlag all ihre finanziellen Sorgen los.

Damit nicht genug, die Angst, beim bevorstehenden jährlichen Vortanzen für die Weiterbeschäftigung bei „La Stravaganza“ durchzufallen, hing wie ein Damoklesschwert über ihr. Dass sie sich unaufhaltsam dem Ende ihrer Karriere näherte, für die sie so hart gearbeitet hatte und die ihr so viel bedeutete, machte sie sehr unglücklich. Doch noch schlimmer war der Gedanke an die drohende finanzielle Unsicherheit. Ständig flüsterte ihr eine innere Stimme ins Ohr, dass es gar nicht so weit kommen musste. Die Summe, die Richardson ihr genannt hatte, reichte für ein eigenes Tanzstudio – und für ein finanzielles Polster, um die Durststrecke der ersten Monate zu überstehen. Sie war überzeugt, dass sie es schaffen konnte – hatte Carly ihr nicht selbst gesagt, dass sie eine gute Lehrerin war? Kein Wunder, dass es sie enorm viel Selbstbeherrschung kostete, nicht auf das Angebot einzugehen.

Allerdings gab es ein Problem, das ihren Wunsch zunichtemachte – Jim wollte den Baseball seinem Sohn vermachen.

Schon bei dem Gedanken an Jackson McCall krampfte sich ihr Magen zusammen. Niemand hatte dieses Erbe weniger verdient als er.

Fest entschlossen, sich den Tag, der so gut angefangen hatte, nicht von einem Nichtsnutz von Sohn verderben zu lassen, holte sie tief Luft. Noch mehr Aufregung war das Letzte, was sie vor dem Vortanzen gebrauchen konnte. Um sich zu beruhigen, machte sie Atemübungen. Ihre Zeit und Energie sollte sie besser darauf verwenden, sich auf schöne Dinge zu konzentrieren – wie die Erinnerung an das Frühstück mit Jax und die Verabredung mit ihm heute Abend. Allmählich ließ ihre Anspannung nach, und sie stieß einen Seufzer aus. Bestimmt würde alles gut werden.

Warum sollte sie sich über einen Mistkerl den Kopf zerbrechen, wenn sie einen Mann kennengelernt hatte, über den nachzudenken sich wirklich lohnte?

4. KAPITEL

Jax fühlte sich großartig. Alles lief wie geplant. Wenn nicht sogar besser als erwartet, denn die Aussicht, mit einem Showgirl aus Las Vegas ins Bett zu gehen, verschaffte seinem Aufenthalt einen zusätzlichen Reiz. Damit nicht genug, lag er achtundvierzigtausend Dollar über seinem ursprünglichen Einsatz, seitdem er vor drei Stunden eine Pokerpartie mit einem Limit von fünftausend Dollar begonnen hatte.

Das Leben meinte es wirklich gut mit ihm.

Aufmerksam betrachtete er seine Mitspieler. Die Frau zu seiner Rechten hatte ein undurchdringliches Pokerface aufgesetzt, genau wie der Asiate neben ihr. Der Vierte im Bunde hatte drei Jahre hintereinander in einer Allstar-Baseballmannschaft mitgespielt. Gut möglich, dass er draußen auf dem Spielfeld alle abhängte. Am Pokertisch jedoch beging er zwei entscheidende Fehler: Wenn er bluffte, wurde sein linkes Auge schmal, und wenn er ein gutes Blatt hatte, klappte er seine Karten geradezu zwanghaft zusammen und fächerte sie anschließend wieder auf.

Kein Wunder, dass ein Großteil der Chips, die sich vor Jax stapelten, ursprünglich Mr. All-Star gehört hatten.

Plötzlich nahm Jax aus dem Augenwinkel einen roten Haarschopf wahr. Sofort richtete er sich auf und ließ den Blick über die Menge wandern. Aber schon in der nächsten Sekunde hatte er sich wieder gefangen und die Arme entspannt zurück auf den Tisch gelegt.

Es war nicht Treena. Das Haar der Frau am anderen Ende des Saals war nicht so hell. Allein das Rot hatte ausgereicht, um ihn abzulenken, und er beruhigte sich, indem er sich einredete, dass es ganz normal sei, wenn er sich Treena nicht aus dem Kopf schlagen konnte. Immerhin stand sie genau zwischen ihm und seinem Ziel.

Die Tatsache, dass sein Herz auf einmal schneller schlug, führte er darauf zurück, dass er nun einmal ein heißblütiger Typ war. Wenn der Gedanke an ein attraktives Showgirl ihn nicht in Erregung versetzt hätte, wäre das doch viel besorgniserregender. Unverblümt gestand er sich ein, dass er es darauf anlegte, mit ihr ins Bett zu gehen. Gleichzeitig war ihm klar, dass er sich durch kein Vergnügen von seinem Ziel ablenken lassen durfte.

Offensichtlich ließ seine Konzentration allmählich nach. Deshalb tauschte er seine Chips ein, kaufte sich ein Sodawasser und nahm es mit zu einem Gai-Pow-Pokertisch ein paar Meter weiter. An eine reich verzierte Säule gelehnt, beobachtete er interessiert das Spiel.

„Wo ist mein Baseball?“

Mist! Jax richtete sich zu seiner vollen Größe auf und bemühte sich um eine gleichmütige Miene. Denn wenn es jemanden gab, der ihm die gute Laune verderben konnte, dann war es Sergej Kirov.

„Ich habe ihn noch nicht“, entgegnete er mit ruhiger Stimme, ohne dem Blick des Russen auszuweichen. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es etwas dauern würde.“

„Tick-tack“, drohte Kirov. „Die Zeit läuft.“

Die beiden bulligen Männer, die ihn flankierten, lachten laut, als habe er etwas sehr Witziges gesagt. Mistkerl, dachte Jax und warf ihm einen verächtlichen Blick zu.

In Las Vegas erregte Sergejs Erscheinung nur halb so viel Aufsehen wie an anderen Orten. Schwarze Haartollen und ein spöttisches Grinsen waren ein gewohnter Anblick in einer Stadt, wo man sich problemlos von einem Elvis-Imitator trauen lassen konnte. In Europa dagegen wirkte der millionenschwere Russe mit seinem extravaganten Äußeren wie ein Paradiesvogel.

Bei jedem anderen hätte Jax dieses affektierte Gehabe für ein Ablenkungsmanöver gehalten, um die Mitspieler zu irritieren. Aber Kirov war es ernst mit seiner Verehrung für den verstorbenen King of Rock ’n’ Roll. Alles Amerikanische begeisterte ihn – von Elvis Presley bis zum Baseball. Außerdem verfügte er über das nötige Kleingeld, um seinen Leidenschaften nachzugehen. Kopfschüttelnd sah Jax auf die vielen Goldketten, die im V-Ausschnitt seines Overalls glitzerten, dessen Reißverschluss bis zum Bauchnabel geöffnet war.

„Ich will diesen Ball“, beharrte der Russe.

„Sie kriegen ihn auch. Aber wie ich Ihnen schon erklärt habe, ist die Sache mit Dads Hinterlassenschaft komplizierter, als ich gedacht habe.“ Wohlweislich verschwieg er, dass er nicht der Erbe des Baseballs war. Und auf keinen Fall würde er Treenas Namen erwähnen. Es hieß, Kirovs Geld entstamme der russischen Mafia, und obwohl Jax Treena für eine Frau hielt, der es nur ums Geld ging, wollte er nicht, dass ihr etwas zustieß. Was durchaus möglich wäre, wenn Sergej erfuhr, dass sie es war, die zwischen ihm und dem Baseball stand. „Sie bekommen den Ball wie vereinbart nach den Meisterschaften.“

„Das hoffe ich“, bellte Kirov und schnippte mit den Fingern. Seine Begleiter machten auf dem Absatz kehrt und marschierten mit ihm in der Mitte davon. Was für ein grotesker Anblick – zwei schwarze Krähen, die eine russische Elvis-Imitation in einem glitzernden weißen Overall flankierten.

Erleichtert atmete Jax aus und lehnte sich wieder an die Säule. Immer noch ärgerte es ihn maßlos, sich wie ein absoluter Anfänger verhalten zu haben, als Kirov ihn geschickt dazu gebracht hatte, den Ball zu setzen.

In der Tat hatte er sich nicht mehr so ungeschickt angestellt, seit er als Kind verzweifelt versucht hatte, so sportlich zu werden, wie sein Vater es sich immer gewünscht hatte. Im Grunde hätte er Sergej überhaupt nichts von dem Baseball seines alten Herrn erzählen dürfen. Seit er Poker spielte, war es für ihn ein ungeschriebenes Gesetz, nichts aus seinem Privatleben preiszugeben, wenn er unterwegs war. Zu dumm, dass er sich in jener Nacht nicht daran gehalten hatte, als Kirov ihm mit seiner permanenten Angeberei so gewaltig auf die Nerven ging.

Seine Reaktion auf Kirovs Prahlerei war vollkommen überzogen gewesen. Selbst wenn man ihm zugutehielt, dass er gerade vom Tod seines Vaters erfahren hatte. Denn schließlich war es ja nicht so, dass sie einander sehr nahegestanden hätten. Als Jax’ Mutter noch lebte, war Big Jim nicht oft zu Hause, und nach ihrem Tod versuchte Jax vergeblich, die hohen Erwartungen seines Vaters zu erfüllen. Für ein hochbegabtes Kind, das drei Klassen übersprungen hatte und nicht wusste, wie es mit seinen älteren Klassenkameraden zurechtkommen sollte, war das Leben auch ohne die Probleme mit seinem Vater schon mühsam genug. Die ganze Zeit hoffte er, dass sein Vater stolz auf ihn wäre, wie es seine Mutter immer gewesen war. Stattdessen hatte Big Jim von ihm verlangt, ein ganz „normales“ Kind zu sein.

Es hat einfach nicht sein sollen, überlegte Jax verbittert. Über alles hatten sie sich gestritten. Kein Wunder, dass er als Vierzehnjähriger sofort zugriff, als ihm ein Stipendium für ein Maschinenbaustudium am „Massachusetts Institute of Technology“ angeboten wurde – nicht nur, weil das „MIT“ seine Wunschuniversität war. Viel mehr noch reizte ihn, dass dadurch zwischen ihm und Big Jim so viele Meilen lagen, wie es innerhalb der Vereinigten Staaten überhaupt möglich war.

Für Jax war es eine gute Entscheidung gewesen. In Las Vegas wäre er zugrunde gegangen, wenn er sich weiterhin bemüht hätte, den Erwartungen seines Vaters gerecht zu werden. Etwas später, in Cambridge, stellte er fest, dass es keine Rolle spielte, im Sport ein Versager zu sein. Die Kommilitonen schätzten sein mathematisches Gehirn. Und ohne die andauernden Vorhaltungen seines Vaters verlor er im Laufe des dreijährigen Schnellstudiums seine körperliche Ungeschicklichkeit und entwickelte eine Leichtigkeit, die er nie für möglich gehalten hätte. Danach fuhr er nur noch selten nach Hause.

Natürlich war er immer noch ein Jugendlicher in einer Welt voller Erwachsener. Nach dem Unterricht spielte es keine Rolle mehr, dass er seine Kommilitonen mit seiner Intelligenz beeindruckt hatte. Während sie in Kneipen gingen und Bier tranken, saß er im Wohnheim und vertrieb sich die Zeit mit Videospielen. Trotzdem fühlte er sich nicht mehr wie ein Versager. Und dass er einen Platz an dieser Eliteuniversität bekommen hatte, war ohnehin Balsam für sein Selbstwertgefühl.

In Zusammenhang mit seinem Vater hatte er solche Gefühle nie erlebt. Gerade deshalb fiel es ihm noch schwerer, die Ereignisse in jener verhängnisvollen Nacht zu akzeptieren.

Unwillig schüttelte Jax den Kopf. Darüber nachzudenken war doch nur Zeit- und Energieverschwendung. Trotzdem schweiften seine Gedanken jetzt, als er ausdruckslos in den Saal starrte, ohne etwas wahrzunehmen, unwillkürlich zu jenem Abend zurück, an dem alles begonnen hatte.

* * *

Sein Vater war tot. Wie betäubt schüttelte Jax den Kopf. Dann las er den Brief des Anwalts noch einmal. Bestimmt hatte er etwas missverstanden. Denn in dem Schreiben stand nicht nur, dass sein alter Herr gestorben sei, sondern auch, dass es bereits vier Monate zuvor geschehen war. Niemand hatte gewusst, wo Jax sich aufhielt, deshalb konnte er nicht umgehend informiert werden. Und das war allein seine Schuld, denn er hatte es versäumt, Big Jim und dessen Betthäschen seinen Aufenthaltsort zu nennen.

Langsam legte er den Brief auf den Schreibtisch des Hotelzimmers und ging zur Minibar. Er goss den Inhalt von zwei Fläschchen in ein Glas und stürzte den Alkohol unverdünnt hinunter. Kaum hatte er das Glas geleert, öffnete er zwei weitere Fläschchen, füllte das Glas erneut und trat ans Fenster. Während er am Glas nippte, sah er hinaus auf die Alpen. Gestern war ihm die Aussicht noch atemberaubend erschienen, heute jedoch nahm er sie kaum wahr.

Mechanisch fuhr er sich mit der Hand über den Brustkorb. Es kam ihm vor, als klaffte dort, wo sein Herz war, ein tiefes, dunkles Loch.

Angesichts der katastrophalen Beziehung zu seinem Vater erschien ihm die ungeheure Wucht seiner Trauer unlogisch und ganz und gar unglaubwürdig. Und da Logik und Glaubwürdigkeit eine große Rolle in seinem Leben spielten und ihm eine enorme Sicherheit gaben, war es ihm vollkommen rätselhaft, dass er derartig stark auf die Nachricht reagierte. Tiefer und tiefer fraß sich der Kummer in ihn hinein, bis er den unerklärlichen Drang verspürte, einfach loszuheulen.

Fluchend griff er nach seiner Schlüsselkarte und ging in die Hotelbar, um sich abzulenken.

Zwanzig Minuten später betrat Sergej Kirov den Salon. Normalerweise ging Jax dem Russen aus dem Weg, aber er war inzwischen bei seinem vierten Drink angelangt und fest entschlossen, die Gefühle zu ignorieren, die wie ein Stein auf ihm lasteten. Daher begrüßte er den Mann wie einen alten Freund.

Auf halbem Weg zur Theke hielt Kirov inne, drehte sich um und trat an seinen Tisch. „Hallo, Jax. Wie ungewöhnlich, Sie in einer Bar zu sehen.“

„Tja, mit mir allein habe ich mich gelangweilt.“ Eingehend betrachtete er den Mann in dem Jeansanzug mit Stickereien und einem T-Shirt mit breiten, schwarz-weißen Streifen. „Lassen Sie mich raten … die Jailhouse-Rock-Phase des King?“

„Sehr gut.“ Sergej strahlte zufrieden über Jax’ scharfe Beobachtungsgabe. „Nicht viele finden heraus. Gefällt Ihnen?“

„Echt cool.“

„Danke. Danke sehr. Ich bin bester Elvis.“

Wenn es nach Sergej ging, war er in allem der Beste. Jax verkniff sich eine ironische Bemerkung, als er daran dachte, dass der Russe von allen Problemen, mit denen er sich derzeit herumschlug, das geringste war. „Na ja. Was haben Sie denn heute so gemacht?“

In dem Moment kam die Kellnerin an ihren Tisch. Kirov gab seine Bestellung auf, dann wandte er sich wieder an Jax. „Ich habe endlich Baseballkarte bekommen, um Weltmeisterschaftsserie von 1927 zu – wie sagen Sie? – vervollständigen.“

Bei der Erwähnung des Meisterschaftsspiels, das Jax seit seiner Kindheit verfolgte, setzte sein Herz einen Schlag aus. Doch er musterte sein Gegenüber vollkommen gleichmütig. „Ich wusste gar nicht, dass Sie Sammler sind.“

„Ich habe beste Sammlung von Welt. Niemand hat bessere. Ich besitze offizielles Programm der Weltmeisterschaftsserie, den Schläger, den Herb Pennock benutzte, um viertes und letztes Spiel zu gewinnen, ein Foto vom Team der New York Yankees und alle Baseballkarten der Pirates. Ich hatte alle Baseballkarten von Yankees – bis auf eine. Heute ich habe seltene Karte von Earle Combs bekommen, um meine Kollektion zu vervollständigen.“ Er lächelte stolz. „Ist wichtigste Sammlung auf ganzer Welt.“

Bis zu diesem Abend war es Jax immer gelungen, Kirovs Prahlereien mit einem Schulterzucken abzutun. Aber jetzt hatte er genug von seiner Angeberei. Andächtig hob er sein Glas und sah Kirov an. „Ich besitze übrigens den ersten Home-Run-Ball der Serie.“ Ohne einen weiteren Kommentar trank er einen Schluck.

Sergej starrte ihn an. „Ball von Babe Ruth? Der aus dem dritten Spiel, das drei Home Runs brachte?“

„Ja. Signiert von der ganzen ‚Killer-Mannschaft‘.“

„Ich kaufe von Ihnen.“ Begeistert schlug der Russe mit beiden Händen auf den Tisch. „Sie nennen Preis. Sergej zahlt.“

„Tja, leider ist er unverkäuflich.“ Tief in seinem Inneren ahnte er dunkel, dass ihm diese Ablehnung ein bisschen zu viel diebische Freude bereitete. Aber es war ein miserabler Nachmittag gewesen, und da suchte man sich seine Glücksmomente eben, wo man sie finden konnte. „Er hat einen sehr großen ideellen Wert, verstehen Sie? Mein Großvater hat den Ball damals im Stadion aufgefangen, und als er starb, hat er ihn meinem Vater gegeben. Und jetzt gehört der kleine Scheißer mir.“ Wieder spürte er einen stechenden Schmerz in der Brust, den er schnell mit dem Rest seines Bourbons betäubte.

Zu seiner Überraschung ließ Sergej es dabei bewenden und machte der Kellnerin ein Zeichen. Sie tranken noch einige Gläser zusammen. Dann schlug der Russe eine Partie Draw Poker vor – ein Freundschaftsspiel. An diesem Abend war Jax dankbar für alles, was ihn von Big Jims Tod ablenkte, und nahm den Vorschlag gern an. Deshalb achtete er auch nicht auf die leise innere Stimme, die ihn vor der ersten Todsünde beim Pokern warnte: Spiele nie, wenn dich etwas anderes so sehr beschäftigt, dass du dich nicht voll und ganz auf die Partie konzentrieren kannst. Zum Teufel damit an einem Tag wie diesem, an normalen Tagen spielte er ja auch nicht in seiner Freizeit mit potenziellen Gegnern!

Fünf Minuten später saßen sie in Jax’ Zimmer und räumten den kleinen Tisch am Fenster ab, um Platz für ein Kartenspiel und das Geld aus ihren Brieftaschen zu machen. Wie zu erwarten, hatte Kirov wesentlich mehr Bargeld bei sich als er selbst. Mit unsicheren Schritten wankte Jax zum Zimmersafe, wobei er fast stolperte. Als er mit seinem Geld in der Hand zum Tisch zurückkehrte, stand Sergej am Schreibtisch und las den Brief von Big Jims Anwalt.

„Legen Sie den sofort wieder hin“, bellte Jax wütend.

Der Russe tat, wie ihm geheißen, und sah ihn an. „Es tut mir leid für Sie.“

Doch Jax zuckte nur lässig mit den Schultern. „Wir standen uns nicht besonders nahe.“ Er deutete auf den Tisch. „Spielen wir.“

Jax verlor unentwegt. Natürlich hätte er gar nicht erst damit anfangen dürfen, und als er auf sein fünftes Blatt schaute, verfügte er gerade noch über genügend intakte Hirnzellen, um zu wissen, dass es höchste Zeit war, Schluss zu machen.

Kirov, der die ganze Zeit über geredet hatte, musterte ihn über den Tisch hinweg. „Ist merkwürdige Sache mit Vätern und Söhnen“, meinte er.

Bei diesem Satz legte sich eine dunkelrote Wolke über Jax’ ohnehin schon vernebeltes Hirn. „Ich möchte nicht über meinen alten Herrn reden.“

„Meiner war Kommunist aus alter Zeit. Ich mochte ihn überhaupt nicht, aber ich wollte von ihm anerkannt werden. Wie viel Karten Sie wollen?“

Stumm betrachtete er das Blatt. Mit etwas Glück konnten seine vier Karten zu einer Straße werden, aber die Aussichten waren nicht allzu rosig.

„Haben Sie auch nach Anerkennung Ihres Vaters – wie sagt man? – gejagt?“

„Gesucht. Die Anerkennung meines Vaters gesucht. Was geht Sie das an? Wollen Sie die ganze Nacht reden oder spielen?“, erwiderte er gereizt, nahm die Karte, die nicht in die Straße passte, und warf sie auf den Tisch. „Eine für mich.“

Er zog tatsächlich die Karte, die er für seine Straße brauchte. Nachdem Sergej sich zwei Karten genommen hatte, warf Jax dreihundert Dollar in die Mitte.

Der Russe schaute auf seinen Einsatz und erhöhte auf siebentausend.

Verbissen zählte Jax sein restliches Bargeld. Es reichte einfach nicht. Aber er hatte ein gutes Blatt. Es wäre dumm, jetzt aufzugeben.

„Sergej ist weltbester Pokerspieler“, frohlockte Kirov. „Sie sollten Geld retten und auf Las Vegas verzichten. Ich werde gewinnen.“

Verdammt! Er hatte nicht genug im Safe und wusste ohne zu fragen, dass Kirov ihm nicht erlauben würde, zu einem Geldautomaten zu gehen. „Nehmen Sie einen Schuldschein?“

„Für Ball.“

Zum Teufel! Er hatte doch ein gutes Blatt! Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, sagte er: „Einverstanden, geben Sie mir ein Blatt Papier.“

In Windeseile schrieb er den Schuldschein aus und warf ihn auf den Tisch. Dann legte er seine Straße, beginnend mit dem König, auf den Tisch.

Sergej aber hatte vier Zweien.

Einen Moment glaubte Jax, er sähe doppelt. Mühsam richtete er den Blick auf das, was vor ihm auf dem Tisch lag. Und dann wurde ihm schlagartig klar, dass er soeben das kostbarste Erbstück seines Großvaters verspielt hatte: den Baseball der Weltmeisterschaftsserie. Sein Magen zog sich zusammen, und ihm wurde übel. Doch ein Spieleinsatz war ein Spieleinsatz.

Noch lange nachdem der Russe gegangen war, saß Jax am Tisch, dachte über den Verlust des Balls nach und fragte sich, ob das für ihn wirklich von solch entscheidender Bedeutung war. Schließlich wollte er das verdammte Ding eigentlich gar nicht haben. Solange er sich erinnern konnte, war es nur ein Nagel zu seinem Sarg gewesen, ein Sinnbild all dessen, was zwischen ihm und seinem alten Herrn schiefgelaufen war.

Warum also traf ihn dieser Verlust so hart? Beharrlich redete er sich ein, dass es nur daran lag, von jemandem ausgetrickst worden zu sein, den er nicht respektierte. Es hatte nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, dass er ein Erinnerungsstück, das seinem Vater unendlich viel bedeutete, achtlos aufs Spiel gesetzt hatte.

* * *

Jax riss sich zusammen. Genug in Erinnerungen gewühlt. Er wollte nicht länger über Dinge nachdenken, die er doch nicht ändern konnte.

Vielleicht hatte er seine Chips zu früh eingelöst. Was er jetzt brauchte, war das angenehme Gefühl von neuen Spielkarten in seiner Hand und das leise Klackern der Plastikchips. Genau wie den markanten Geruch von grünem Filz und die Gesellschaft von angespannten Spielern.

Während der vergangenen zwölf Jahre war das Spiel sein einziger konstanter Gefährte gewesen, und wenn es etwas gab, das es ihn gelehrt hatte, dann die Tatsache, dass an einigen Tagen trotz größter Anstrengungen alles schieflief.

Aber es gab immer eine neue Pokerpartie.

„Hey, Treena“, rief Jerrilyn quer durch den Umkleideraum. „Ich habe gehört, dass du einen neuen Verehrer hast. Klingt ja toll.“

Treena wischte sich gerade die Schminke aus dem Gesicht und ließ das verschmierte Handtuch sinken. Augenblicklich wurde das Stimmengewirr in der Garderobe leiser, und alle lauschten neugierig.

„Ich habe auch einen neuen Schatz. Er heißt Donny und ist ein absoluter Fan der Pokermeisterschaften. Kannst du dir das vorstellen – wenn sie im Fernsehen übertragen werden, kriegen ihn keine zehn Pferde vom Bildschirm weg.“ Kopfschüttelnd ließ Jerrilyn sich auf den Stuhl neben Treena fallen. „Zum Glück ist er gut im Bett, sonst hätten wir überhaupt keine Gemeinsamkeiten. Aber darüber wollte ich nicht mit dir reden. Was ich dir eigentlich erzählen wollte, ist Folgendes: Ich hab ihm von dir und Jax erzählt und wie du zu ihm gesagt hast: ‚Nun, Gallagher, Jax Gallagher, ich würde gern mit Ihnen frühstücken.‘ Da ist Donny fast ausgeflippt. Wusstest du, dass dein Jax bei der großen Pokermeisterschaft Ende des Monats im ‚Bellagio‘ mitmacht?“

„Ja, das hat er heute Morgen erwähnt.“

„Hat er dir auch gesagt, auf welchem Platz er ist? Offenbar ist er einer der ganz Großen im Geschäft. Donny meint, er gehöre vermutlich zu den fünf Top-Gewinnern der letzten Jahre. Wenn das wirklich stimmt, dann bedeutet das riesige, nein, gigantische Geldsummen.“

„Und ein heißer Typ ist er auch noch“, piepste Michelle, die ein paar Stühle weiter vor ihrem Spiegel saß.

„Hm, hm“, murmelte Eve und grinste Treena an. „Geld und Sex-Appeal. Ich glaube, Honey, mit dem Mann hast du den Jackpot geknackt.“

„Hab ich euch schon von dem Fernsehfilm erzählt, bei dem ich mitmache?“, schaltete Julie-Ann sich ein.

„Ja, und wir können es langsam nicht mehr hören“, stöhnte Carly, die gerade aus der Dusche kam. Sie ging zu ihrem Platz neben Treena, ließ das Handtuch fallen, nahm ihre Seidenunterwäsche vom Schminktisch und schlüpfte hinein. Während sie ihren Stringtanga richtete, schaute sie Treena prüfend an. „Was ziehst du denn zu deinem Date an?“

Schnell zog Treena die Nylonkappe ab, mit der sie ihre Haare bändigte, damit die Perücke für den letzten Auftritt passte, und stand auf. Auf dem Weg zum Kleiderständer fuhr sie sich mit den Händen durch die Lockenpracht. Nachdem sie einige Kostüme beiseitegeschoben hatte, fand sie den Plastiksack mit dem Cocktailkleid, das sie von zu Hause mitgebracht hatte. Vorsichtig nahm sie es aus der Hülle, hielt es vor sich und drehte sich zu ihren Kolleginnen. „Wie findet ihr das? Er meinte, ich soll mich schick machen.“

Das schwarz-gold bestickte, taillierte und tief ausgeschnittene Kleid reichte bis kurz übers Knie. Der geschwungene Saum war mit zehn Zentimeter langen Seidenfransen verziert, die bei der kleinsten Bewegung hin und her schwangen. Sie zog die Augenbrauen hoch. „Na?“

„Irre“, sagte Juney und kam näher, um das Kleid genauer zu betrachten. „Wo hast du denn das her?“ Andächtig betastete sie den Saum. „Das ist ja scharf. Irgendwann werde ich es mir mal ausleihen müssen.“

„Wann immer du willst“, sagte Treena. Big Jim hatte es ihr zur Hochzeit gekauft, aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Am Nachmittag war ihr bewusst geworden, dass sie sich seit Langem nicht mehr so auf eine Verabredung gefreut hatte wie auf die mit Jax. Und sie war fest entschlossen, keine Schuldgefühle zuzulassen, die ihr den Abend ruinieren könnten. Sie hängte das Kleid wieder auf den Ständer und kehrte zu ihrem Platz zurück.

Kurz darauf sagte Julie-Ann mit spitzem Unterton: „Ich finde es echt gut, wie schnell du vergessen hast, dass dein Mann erst seit Kurzem tot ist.“

Drohend erhob Carly sich von ihrem Stuhl. „Hör zu, du kleines Mist…“

Doch Treena legte die Hand auf ihren Arm und hielt sie zurück. „Ist schon gut“, sagte sie beschwichtigend. Dann wandte sie sich an Julie-Ann. „Mein Mann ist seit mehr als vier Monaten tot“, sagte sie ruhig. „Und er war während unserer ganzen Ehe schwer krank. Solange er lebte, war ich ihm treu, und wenn ich jetzt mit einem anderen Mann ausgehe, wird mir wohl keiner den Vorwurf machen, ich würde auf seinem Grab tanzen.“

„Natürlich nicht“, erwiderte Julie-Ann mit einem unschuldigen Augenaufschlag. „Das habe ich doch gesagt. Es ist gut für dich, dass du ihn vergessen kannst und dich mit einem anderen amüsierst.“

Keine Schuldgefühle. Bloß keine Schuldgefühle! Obwohl Treena fest entschlossen gewesen war, sich nicht beeinflussen zu lassen, stellte sie fest, dass ihre Vorfreude nach Julie-Anns Spitze einen deutlichen Dämpfer bekommen hatte. Zum Glück verschwand dieses Gefühl aber sofort, als sie den großen Spielsalon betrat und Jax entdeckte.

„Wow!“, staunte er, während er auf sie zukam. „Sie sehen fantastisch aus.“

„Danke. Sie sind aber auch sehr schick.“ Und das war er in der Tat. Das zweireihige Nadelstreifenjackett betonte seinen athletischen Oberkörper und die breiten Schultern. Wieder trug er Jeans, aber diesmal in Kombination mit einem marineblauen Hemd, das die Farbe seiner Augen unterstrich, und einer passenden, sorgfältig gebundenen Seidenkrawatte mit schmalen Streifen.

„Vielen Dank, Ma’am.“ Er strich mit dem Finger über die Krawatte. „Glauben Sie mir, die trage ich nur Ihretwegen. Ich weiß nicht, wer diese Dinger erfunden hat, aber wenn Sie mich fragen, gehört er erschossen.“

„Armer Kerl“, spottete sie. „Aber Sie sind ein Spieler, da gehört das doch zu Ihrer Berufskleidung. Und was soll ich denn erst sagen? Versuchen Sie mal, einen BH zu tragen, der Kerben in Ihre Haut schneidet, und zwar zwölf bis achtzehn Stunden täglich, und das an sieben Tagen pro Woche.“

Wie selbstverständlich fiel sein Blick auf ihren weiten Ausschnitt, der das V zwischen ihren Brüsten hervorhob. „Heute Abend ist das aber kein Problem für Sie, wie ich sehe.“

Bemüht, die plötzliche Hitzewallung in ihrem Körper zu ignorieren, warf sie ihm ein Lächeln zu. „Na ja, damit es nicht nur für einen von uns beiden unbequem ist, übernehme ich für heute Abend die Opferrolle.“

„Das klingt fair.“ Galant führte er sie auf die Straße. Der Nachthimmel war tiefblau, und eine warme Brise fächelte durch die Palmwedel. „Das ist schon besser“, seufzte er erleichtert. „Ich fürchte, ich bin die hohen Temperaturen nicht mehr gewohnt.“ Sein Blick wanderte von der Straße, die im Licht der Neonleuchten glänzte, zu ihren hochhackigen Sandaletten. „Glauben Sie, Sie schaffen es in diesen Dingern bis zum ‚Aladdin‘? Ich kann natürlich auch gern ein Taxi rufen.“

Sie schnaufte abwehrend. „Ich bitte Sie! Damit kann ich Basketball spielen. Die paar Häuserblocks sind ein Kinderspiel.“

„Wenn Sie es sagen“, meinte er skeptisch. „Vergessen Sie Krawatte und BH. Das da sind die wahren Folterinstrumente.“ Eingehend betrachtete er ihre Knöchel und die schlanken Fesseln, verweilte bei den Knien und Schenkeln und schaute ihr schließlich ins Gesicht. Dabei strahlten seine Augen so klar und intensiv, dass sie den Blick nicht von ihnen lösen konnte. „Aber ich muss zugeben, dass sie Ihre Beine fantastisch aussehen lassen.“ Nun musterte er den Saum des Kleides, der knapp oberhalb ihrer Knie endete. „Oder sind es umgekehrt Ihre Beine, die die Schuhe so verführerisch machen?“

„Jax, Sie sind ja richtig gefährlich! Da muss ich fast aufpassen, dass ich mit beiden Beinen fest auf dem Boden bleibe, sonst wird er mir noch unter den Füßen weggerissen.“

Amüsiert zog er eine Augenbraue hoch. „Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt. Wer fährt denn hier seine ganze Waffensammlung auf? Schauen Sie sich doch mal an – diese Schuhe, das Kleid und die Lippen?! Honey, ich habe eher das Gefühl, dass Sie von Natur aus zu allen Schandtaten bereit sind und ich derjenige sein sollte, der besser mit beiden Beinen auf dem Boden bleibt. Sonst gerate ich ins Rutschen.“

Beim letzten Satz wurde seine Stimme leiser. Als sie ihm einen fragenden Blick zuwarf, lächelte er schuldbewusst und zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid. Ich musste plötzlich an meine Zeit als linkischer Teenager denken.“

„Aber sicher“, lächelte sie. „Ein großer, gut aussehender Mann wie Sie konnte sich vor Angeboten doch bestimmt nicht retten. Versuchen Sie bloß nicht, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Bestimmt waren Sie Captain Ihrer Footballmannschaft und mussten die aufdringlichen Cheerleader mit dem Stock verjagen.“

Unvermittelt brach Jax in ein bitteres Lachen aus. „Captain meiner Footballmannschaft?“, wiederholte er. Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie er sich als Vierzehnjähriger in der Welt der Achtzehnjährigen gefühlt hatte. „Wohl kaum.“ Als sie ihm zuzwinkerte, entschied er sich für die Wahrheit. „Mit zwölf war ich zwar ausgewachsen, aber ich bin erst im College mit meinem Körper einigermaßen zurechtgekommen. Schon die ganz gewöhnlichen Mädchen hielten mich für einen Trottel – von den beliebtesten will ich lieber gar nicht erst reden.“

Gerade erreichten sie die „Desert“-Einkaufspassage neben dem „Aladdin Hotel“. Als er ihr die Tür öffnete, bewunderte er ein weiteres Mal ihre barocke Lockenpracht und die Augen von der Farbe eines edlen Whiskeys. „Glauben Sie mir“, meinte er trocken. „Mädchen wie Sie habe ich immer nur aus der Ferne bewundert.“

Erstaunt sah sie ihn an, als sie den im nordafrikanischen Stil eingerichteten Teil der Passage mit den Ladenlokalen und Restaurants betraten. „Mädchen wie mich?“ Unter der mit goldenen und rosafarbenen Wolken bemalten blauen Kuppel lachte sie ihn an. „Mich hätten Sie garantiert nicht bewundert, weder von fern noch aus der Nähe, das kann ich Ihnen versichern. Ich gehörte nicht zur Clique. Ich war das riesige Mädchen mit den roten Haaren, das nur Tanzen im Kopf hatte, um die Stadt hinter sich zu lassen. Und da meine Mitschüler nichts anderes im Kopf hatten, als entweder die besten Fußballer zu werden oder als Schönheitskönigin zu glänzen, hatte ich auch nicht viel zu melden. Kurzum: Ich war alles andere als beliebt.“

Während Jax sich noch darüber wunderte, dass sie als Teenager offensichtlich genau so ein Außenseiter gewesen war wie er, überflog der Oberkellner des „Commander’s Palace“ die Reservierungsliste und winkte einen Kellner herbei, der sie zu ihrem Tisch brachte. Na ja, inzwischen war sie auf der Beliebtheitsskala wohl ein ordentliches Stück nach oben gekommen.

Ihr aufreizendes Kleid war das beste Beispiel dafür, dass sie sich seit damals ziemlich verändert haben musste. Wenn er den Blick nicht endlich von ihren Brüsten löste, würde ihm seine Hose zu eng werden.

Ohne Frage hatte Treena die niedlichsten Brustwarzen, die er seit Langem gesehen hatte – klein, aber perfekt gerundet und aufrecht. Durch den Stoff konnte er sie allerdings mehr ahnen als sehen. Der verheißungsvolle Abgrund zwischen ihren Brüsten, der vom tiefen Ausschnitt ihres Kleides noch wirkungsvoller in Szene gesetzt wurde, ließ ihn die härteste Erektion aller Zeiten befürchten.

Was natürlich Blödsinn war. Schließlich war er nicht mehr siebzehn. Außerdem hatte er alles haarklein geplant und wohnte nicht im „Bellagio“, wo die Meisterschaften stattfanden, sondern im „Avventurato“, weil Treena Sarkilahti McCall hier arbeitete. Und dort konnte er ihre splitternackten Brüste fünf Mal wöchentlich in der Zehn-Uhr-Show bewundern, wenn ihm danach zumute war. Was war dann bitte schön so aufregend daran, sie jetzt teilweise entblößt vor der Nase zu haben?

Doch, da war etwas, musste er sich grummelnd eingestehen. Dem Anblick der hellen, weichen Kurven, die so wunderbar mit dem Schwarz ihres Kleides kontrastierten, konnte er einfach nicht widerstehen – egal, ob er einen Plan verfolgte oder nicht.

„Es ist schön hier“, sagte Treena, während sie ihren Blick durch das Restaurant mit seinen grünen Wänden und den Baldachinen an der Decke wandern ließ, die den Eindruck vermittelten, in einem riesigen Zelt zu sitzen. „Ich habe schon viel von diesem Lokal gehört, bin aber noch nie hier gewesen.“

„Hier war ich auch noch nicht, aber ich kenne das Original in New Orleans. Ich habe mir gedacht, dass es Ihnen gefallen könnte.“

„Unbedingt. Außerdem gehe ich liebend gern essen.“

„Wirklich? Und ich liebe Hausmannsküche.“ Jetzt lad mich schon ein, Schätzchen. Erwartungsvoll sah er sie an.

Doch sie warf ihm nur dieses schräge, wissende Lächeln zu. „Sind Sie verrückt? Ich würde jeden Tag ins Restaurant gehen, wenn ich es mir leisten könnte.“

„Glauben Sie mir, mit der Zeit wird das öde.“ Offensichtlich musste er mehr leisten, um die heiß ersehnte Einladung zu bekommen. Wahrscheinlich wollte sie richtig umworben werden.

Aber selbst das brachte nicht den gewünschten Erfolg. Deshalb war er ziemlich frustriert, als er sie nach dem Essen zu ihrem Wagen begleitete. Natürlich spürte er, dass sie ihn sympathisch fand. Zweieinhalb Stunden lang hatten sie sich prächtig unterhalten und viel gelacht. Zwischendurch hatte er sich mehrmals in Erinnerung rufen müssen, dass er nicht zum Vergnügen hier war. Danach hatte er seine Anstrengungen jedes Mal verdoppelt, aber egal, wie geschickt er auch versuchte, das Gespräch in die richtigen Bahnen zu lenken – sie lud ihn nicht zu sich nach Hause ein.

Nur mit Mühe konnte er seine Enttäuschung verbergen, als sie ihren Wagen erreichten. „Das ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes“, meinte er, als sie die Wagentür öffnete und sich noch einmal zu ihm umdrehte. „Ich liefere Sie gar nicht gern in einem riesigen leeren Parkhaus ab. Beim nächsten Mal hole ich Sie zu Hause ab und bringe Sie auch wieder nach Hause.“

Tadelnd hob sie eine Augenbraue. „Natürlich nur, wenn es ein nächstes Mal gibt.“

„Aber sicher doch.“ Er lächelte verführerisch. „Sie mögen mich doch. Geben Sie’s ruhig zu. Sie mögen mich wirklich.“

Der Blick, mit dem sie ihn von Kopf bis Fuß musterte, war kühl. Doch dann musste sie lachen. „Nun ja, ich könnte Sie vielleicht wirklich ein bisschen mögen.“

„Nein, du magst mich sehr.“ Mit einem Schritt war er bei ihr, so nah, dass er ganz in ihrem wundervollen Duft versank. „Genauso, wie ich dich mag.“ Das war nicht einmal eine richtige Lüge. Diese Verführung lief genau nach Plan und wirkte so echt, dass er sich nur beglückwünschen konnte – präzise von seiner Seite und vollkommen frei von hinderlichen Gefühlen.

Und genau so küsste er sie jetzt – kühl, erfahren und berechnend. Herrlich umspielte ihr weiches Haar seine Finger, er hielt sie fest an sich gepresst und gab ihr eine Kostprobe seiner Fähigkeiten.

Problematisch war nur, dass sie seinen Kuss aufrichtig erwiderte, und zwar mit vollem Einsatz. Weich und nachgiebig legten sich ihre Lippen auf seine. Als sie sie unter dem Druck seiner Zunge öffnete, nahm er die Einladung sofort an, erkundete die warme, weiche Höhle und kostete ihren verführerischen Geschmack. Leise stöhnte sie auf. Sein Glied reagierte sofort, und er drängte sich noch enger an sie. Auch sie wollte ihn noch näher an der richtigen Stelle spüren und spreizte die Beine, soweit ihr das bei dem engen Kleid möglich war. Gar nicht mehr kühl oder berechnend presste er sein Becken gegen ihren Unterleib, um seine Erektion an den warmen, weichen Platz zwischen ihren Schenkeln zu schieben. Was bei dem Kleid leider gar nicht so einfach war.

Ihre Hände streichelten seine Brust, im nächsten Moment schlang sie die Arme um seinen Hals, und diese wundervollen Brüste, die ihn den ganzen Abend über provoziert hatten, drückten sich gegen seine Rippen. Bei dieser Berührung, die er den ganzen Abend über ersehnt hatte, stöhnte er unwillkürlich auf und konnte plötzlich nicht mehr atmen.

Um wieder Luft zu bekommen, löste er sich von ihren Lippen. „Meine Güte“, raunte er, während sich sein Brustkorb atemlos hob und senkte. Ohne weiter nachzudenken, zog er sie von der geöffneten Wagentür, schlug diese zu, umfasste Treena und hob sie auf die Motorhaube. Den dünnen Stoff ihres Kleides schob er bis zur Taille nach oben und schaute ehrfurchtsvoll auf das winzige Seidendreieck, das sichtbar wurde, als er ihre Beine spreizte. „Du. Bist. So. Sexy“, stöhnte er, stellte sich zwischen ihre Beine, fuhr mit den Händen wieder durch ihre fülligen Locken und verschloss ihren Mund erneut mit seinen Lippen.

Verdammt, er konnte einfach nicht genug bekommen. Nicht von ihrem Geschmack, nicht von dem Duft ihrer Haut, nicht von dem köstlichen warmen Gefühl, sie in seinen Armen zu halten. Während er sie fest umschlungen hielt, bewegte er seine Hüften auf und ab und löste sich erst von ihr, als der warme Hügel, an dem er sich rieb, immer feuchter wurde und einen Fleck auf seiner Hose hinterließ. Schwer atmend hob er den Kopf und sah sie an.

Unbeschreiblich betörende Sehnsucht lag in ihrem Blick, in den großen Pupillen und den roten und von ihren Küssen geschwollenen Lippen. Dann lächelte sie und fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. Er beugte den Kopf, um sanft in die feuchte volle Lippe zu beißen.

„Oh.“ Treenas Kopf sank nach hinten.

Mit einem genüsslichen inneren Beben saugte er an ihrer Lippe, küsste ihren Mundwinkel, die Wange, den Hals und die Kehle. Während er sich mit dem Mund bis zu ihren Brüsten hinunterarbeitete und seine geöffneten Lippen in das Tal zwischen den weichen Hügeln presste, umfasste er ihren schlanken Hals. Weiter und weiter schmeichelten seine Lippen ihrem Busen, erklommen die hellen Hügel und umschlossen schließlich die sie bereits sehnsüchtig erwartenden Gipfel.

Zuerst kitzelten sie nur mit einem sanften Zungenstrich die harte Spitze, dann aber legten sich seine Lippen um die ganze rosafarbene Knospe und spielten mit ihr.

Scharf sog sie die Luft ein und bäumte sich ihm entgegen. Doch gleichzeitig legte sie die Hände auf seine Brust und schob ihn von sich. „Das ist zu viel“, keuchte sie. „Oh Gott, Jax, es ist zu viel, und es geht zu schnell.“ Sie glitt von der Motorhaube.

Der Meinung war er überhaupt nicht. Vielmehr fand er, dass der Zeitpunkt genau richtig war, um sie auf den Rücken zu legen und ihr den winzigen Slip zu zerreißen.

„Entschuldige bitte“, sagte sie, nach Luft schnappend. „Ich habe noch nie …“ Vor Überraschung lachte sie verlegen und schüttelte den Kopf, dabei flogen ihre weichen Locken wie in einem Wirbelsturm auf. „Himmel, ich kann nicht glauben, dass ich drauf und dran war, es mitten in einer Garage zu tun.“

Im Geiste sah er, wie sie sich auf der Motorhaube liebten. Sie hatte recht. Das war kaum der richtige Ort für seine große Verführungsszene. Beängstigend, wie schnell er die Kontrolle über die Situation verloren hatte.

Denk an deinen Plan! Er holte tief Luft und seufzte leise. Unverwandt ruhte sein Blick auf ihr, langsam fuhr er sich mit der Zunge über die Unterlippe und kostete ihren Geschmack nach. „Nimm mich mit zu dir nach Hause.“

Sein Angebot reizte sie, das sah er ihr an. Aber sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht“, sagte sie und öffnete die Autotür. „Es tut mir leid – halte mich bitte nicht für eine dieser Frauen, die einen Mann bis zum Äußersten reizen und ihm dann die Tür vor der Nase zuknallen. So bin ich nicht. Aber ich … kann das jetzt noch nicht. Ich kenne dich doch gerade einen Tag.“ Mit diesen Worten stieg sie ein.

Statt zu fluchen, wie er es am liebsten getan hätte, nickte er. „Ich rufe dich an“, sagte er so sanft wie möglich zum Abschied.

Ohne ein weiteres Wort startete sie den Motor. Kurz darauf war er allein in einer grauen Zementhöhle, von deren Wänden das Motorengeräusch widerhallte. Mit einer gewaltigen Erektion und einsetzenden Kopfschmerzen starrte er den Rücklichtern ihres Wagens nach, bis sie auf der steilen Rampe verschwanden.

„Mist“, fluchte er und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „MIST!“ Hohl hallte seine Stimme von den Mauern zurück.

Was für ein Trottel er doch war. Was hatte er jetzt von seinem großen Plan? Das Einzige, was davon übrig geblieben war, konnte er mit einer kalten Dusche bekämpfen. „Du musst mich nicht für eine Frau halten, die Männer bis zum Äußersten reizt“, wiederholte er ihre Worte mit piepsiger Stimme, um dann in normalem Tonfall fortzufahren: „Und ob ich das tue, Baby!“

Verdammt, sie hatte ihn verschaukelt, ihn angeturnt und dann im Regen stehen lassen. Tief vergrub er die Hände in den Taschen und stakste breitbeinig zum Aufzug.

Das würde ihm nie wieder passieren.

5. KAPITEL

Aufgeregt hämmerte Treena gegen Carlys Tür. Sofort drang lautes Gebell aus der Wohnung, übertönt von Carlys genervter Stimme. „Hört auf damit, sofort! Rufus, Buster, seid still! – Ich komme schon.“ Schuldbewusst warf Treena einen Blick auf die Armbanduhr und seufzte. Denn die Hunde bellten munter weiter, und Carly klang inzwischen regelrecht verzweifelt: „Verdammt noch mal! Ruhe, ihr zwei!“

Endlich riss sie die Tür auf.

Carlys blonde Haare standen noch stacheliger ab als sonst, und sie hatte kein Make-up aufgelegt. Als sie den Mund öffnete, blitzten ihre blauen Augen. Eigentlich hatte Treena mit einer flapsigen Bemerkung gerechnet, die ebenso unhöflich wie zutreffend war, doch Carly musterte sie nur von oben bis unten. „Wow! Komm rein“, sagte sie dann und schob die beiden Hunde beiseite, die um ihre Füße tanzten.

„Entschuldige bitte“, bat Treena, während sie ihnen in den kleinen Korridor folgte. „Ich weiß, es ist schon spät.“

„Kein Problem.“ Carly ging voraus in ihr farbenfroh eingerichtetes Wohnzimmer. „Setz dich. Möchtest du eine Tasse Tee? Oder lieber einen Tequila? Vorsicht, da liegt Rags.“ Sie nahm eine langhaarige schwarze Katze von einem Polsterstuhl und setzte sie auf den Boden. „Ich muss sagen, du siehst aus, als hättest du einen viel interessanteren Abend gehabt als ich.“

„Meine Güte.“ Treena brach vor Anspannung in lautes Gelächter aus und ließ sich auf den Stuhl fallen. „Beinahe hätte ich Sex mit Jax auf der Motorhaube meines Wagens gehabt!“

Ihre Freundin riss erstaunt die Augen auf. Gleichzeitig zuckte es um ihre Mundwinkel, und ihr Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. „Hey, da bist du ja schon ganz schön weit gekommen. Das ist gut.“

Eine dreibeinige Katze sprang auf Treenas Schoß, und sie streichelte ihr weiches weiß-graues Fell. „Das ist überhaupt nicht gut, Tripod“, sagte sie streng. „Das musst du deinem Frauchen sagen. Ich kenne den Mann jetzt gerade … meine Güte, wie lange denn eigentlich? Vierundzwanzig lächerliche Stunden!“

Doch Tripod kümmerte das offensichtlich überhaupt nicht. Er drehte sich zweimal um sich selbst, bevor er es sich auf ihren Oberschenkeln bequem machte. Sobald er lag, stieß er mit dem Kopf gegen ihre Hand, damit sie ihn weiter streichelte, und schnurrte zufrieden, als sie seiner Aufforderung nachkam.

„Na ja, du bist ja auch ein Kerl. Von dir hätte ich auch nichts anderes erwartet“, murmelte sie. Carly, die sich auf die Couch gesetzt hatte, beobachtete sie aufmerksam. „Mit dir ist das allerdings etwas anderes. Es ist wirklich nicht gut.“

„Sagst du. Spontan-Sex finde ich sogar sehr gut.“

„Carly, es war nicht auf einer weichen Decke unterm Vollmond. Wir waren mitten in einem Parkhaus.“

„Okay, das ist wirklich nicht besonders romantisch. Aber immerhin kriegst du ein paar Punkte für Impulsivität.“

„Und ob das impulsiv war. Meine Güte, die Sache ist mir total aus der Hand geglitten.“ Dabei legte Treena doch so viel Wert darauf, immer und überall die Kontrolle zu behalten. Noch immer konnte sie sich nicht erklären, was über sie gekommen war, aber sie kam sich wie eine Idiotin vor – nicht nur, weil sie sich so hatte gehen lassen, sondern auch für die albernen Dinge, die sie hinterher gesagt hatte. Noch im Nachhinein wurde sie verlegen, wenn sie daran dachte, dass sie sich wie eine unbedarfte, unreife Schülerin benommen hatte.

„Oh!“, Carly seufzte genüsslich. „Ich liebe Spontan-Sex.“ Dann wurde sie wieder ernst und setzte eine reumütige Miene auf. „Entschuldige, Treena, ich weiß, dass du ziemlich durcheinander bist. Das liegt nur daran, dass ich schon so furchtbar lange keinen Sex mehr hatte. Für mich klingt das alles einfach irre aufregend.“

„Glaub mir, ich verstehe dich“, versicherte Treena. „Bei mir ist es auch schon eine Weile her.“

Carly lachte. „Ja, stimmt. Aber wenigstens hattest du es regelmäßig, bis Big Jim krank wurde. Ich dagegen kann mich gar nicht mehr an mein letztes Mal erinnern …“ Sie stoppte und musterte Treena aufmerksam. „Was ist denn?“

Mist! Um sich nicht zu verraten, schlug Treena die Augen nieder. „Was soll denn sein?“

„Du hast gerade so komisch geguckt. Na ja, ich weiß zwar, dass wegen Big Jims Krankheit in eurer Ehe nicht allzu viel gelaufen ist, aber …“ An dieser Stelle warf sie Treena einen durchdringenden Blick zu. „Möchtest du darüber reden?“

Nein. Andererseits war Carly ihre beste Freundin, und Lügen war auch nicht gerade gut fürs Gewissen. „Wir … ähm … wir haben nie zusammen geschlafen. Jedenfalls nicht wirklich.“

„Was?“ Carly lachte. „Natürlich habt ihr das getan. Big Jim war doch eine männliche Sexbombe, bevor er …“ Wieder sah sie Treena an. „Oder etwa nicht?“

„Nein. Weißt du, das ist etwas kompliziert. Also, zunächst einmal war ich fasziniert, dass er nicht sofort mit einem Showgirl ins Bett springen wollte.“

Carly nickte. „Das kann ich verstehen. Von solchen Typen lernen wir ja leider genug kennen.“

„Eben.“

„Und Jim war also anders?“

„Vollkommen. Damals wusste er noch nicht, dass sein Prostatakrebs wieder ausbrechen würde. Er glaubte, er hätte ihn besiegt, aber die Kehrseite der Medaille war, dass die Medikamente, die er nehmen musste, seine Potenz beeinträchtigten. Also, es war bestimmt nicht Liebe oder Lust auf den ersten Blick – bei keinem von uns. Mir gefiel, dass er mir nicht sofort an die Wäsche wollte wie die meisten anderen Typen. Und ihm gefiel wahrscheinlich der Gedanke, dass seine Freunde mich für eine Klassefrau hielten, die mit ihm im Bett die tollsten Sachen veranstaltete. Ich meine, du hast es ja auch geglaubt, und du bist bestimmt nicht leicht hinters Licht zu führen.“

„Und das hat dir nichts ausgemacht?“

„Nein. Ihm war immer sehr wichtig, was seine Freunde dachten, und ich glaube, allein die Vorstellung, dass sie wissen könnten, er bekäme keinen mehr hoch oder könne eine Erektion nicht lange genug halten, quälte ihn entsetzlich.“

„Aber was war mit dir? Hast du dich nicht gewundert, als er gar keine Annäherungsversuche machte?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn eben für einen Gentleman gehalten.“ Und das entsprach auch weitgehend der Wahrheit. Tatsache war allerdings auch, dass sie erleichtert gewesen war.

Doch das wollte sie Carly nicht gestehen.

Denn anscheinend liebten alle Frauen, die sie kannte, Sex – mit Ausnahme ihrer Mutter vielleicht. Sie selbst dagegen war in Sachen Sex alles andere als forsch oder neugierig – was sie aber lieber verheimlichte. Vermutlich war das auch der Grund, weshalb sie es so gut verstand, dass Big Jim seine Schwäche seinen Freunden gegenüber nicht zugeben mochte.

Zwar liebte sie Küsse und das Vorspiel. Aber wenn es dann richtig zur Sache ging, fragte sie sich oft, was daran so toll sein sollte. Natürlich genoss sie einen Höhepunkt ebenso sehr wie andere Frauen. Hin und wieder verhalf sie sich sogar selbst zu einem. Auf diese Weise waren sie und ihre Handbrause im Laufe der Jahre enge Freundinnen geworden.

Aber sobald Männer ins Spiel kamen, hatte sie ein kleines Problem damit, sich gehen zu lassen. Aber leider war genau das eine Voraussetzung, um einen Orgasmus zu erleben. Obwohl sie es sich nicht gern eingestand, war sie eine Niete im Bett. Ein Typ, mit dem sie geschlafen hatte, hatte ihr das hinterher sogar wortwörtlich bestätigt.

„Ich kann nicht glauben, dass du den Mann geheiratet hast, ohne vorher das Angebot zu prüfen. Was hat dich denn an ihm gereizt, wenn es nicht der Sex war?“

„Er hat mich mit seiner Aufmerksamkeit verführt.“ Sie lachte, als sie Carlys verdutzte Miene sah. „Ich weiß, das klingt nicht sehr überzeugend. Aber wenn du bedenkst, wie ich aufgewachsen bin, ist das schon eine ganze Menge. Es war so ein tolles Gefühl, dass er sich nicht nur für meine Brüste und meinen Hintern interessiert, sondern mir wirklich zugehört hat. Ihm war wichtig, was ich mochte. Und er hat auf Kleinigkeiten geachtet. Du kennst doch meine Mom und meinen Dad. Sie sind wirklich ganz reizende Leute, die mich sehr lieben. Aber sie hatten ein ziemlich schweres Leben und immer alle Hände voll zu tun, um das tägliche Brot auf den Tisch zu schaffen. Da blieb nicht viel Zeit für Geburtstagspartys oder Ferien.“

„Was man von Big Jim wahrlich nicht sagen kann.“ Carly lachte. „Dein vierunddreißigster Geburtstag wird bestimmt in die Geschichte eingehen.“

„Ja, er hat wirklich eine tolle Party für mich auf die Beine gestellt. Damals wusste er bereits, dass sein Krebs wieder ausgebrochen war, und es ging ihm ziemlich mies. Solche Sachen hat er oft für mich gemacht. Am liebsten war mir allerdings, wie er mich zum Lachen gebracht hat. Bevor ich ihn kannte, habe ich nicht gewusst, dass das Leben so komisch sein kann.“

„Er war schon ein Schatz.“

„Das ist wahr. Ich weiß, dass viele Leute glauben, ich hätte ihn nur wegen seines Geldes geheiratet. Und ich gebe auch zu, dass es schön war, eine Weile keine finanziellen Sorgen zu haben. Aber eigentlich habe ich ihn geheiratet, weil er mir immer wieder gesagt hat, dass er auf mich aufpassen wollte.“

„Das muss für dich dann ja der ausschlaggebende Punkt gewesen sein.“

Dankbar streckte Treena ein Bein aus und stupste ihre Freundin mit dem Zeh an. „Ich find’s ganz toll, dass ich dir nie etwas erklären muss. Aber genau so war es. Solange ich denken kann, habe ich immer für mich selbst gesorgt. Als Jim mir das abnehmen wollte, war das für mich verlockender als alles Geld der Welt.“

„Dann ist es eigentlich ziemlich unfair, dass du dich zum Schluss dermaßen um ihn kümmern musstest.“

Dass sie diesen Gedanken auch gehabt hatte – und zwar mehr als ein Mal –, gestand sie sich nicht gern ein. Kurz nach ihrer Hochzeit setzte die Krankheit ihr zerstörerisches Werk an Big Jim fort. Schon sehr schnell musste sie die Verantwortung für sie beide übernehmen. Wann immer sie eine Minute Zeit fand, sein Krankenzimmer zu verlassen, arbeitete sie sich durch unzählige Rechnungen und musste hilflos zusehen, wie die Ausgaben ins Uferlose stiegen. Bald war nicht nur Jims Vermögen aufgebraucht, sondern auch ihre eigenen Ersparnisse. Einzig die Eigentumswohnung war ihr geblieben.

Jetzt zuckte sie nur mit den Schultern. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte ihr niemand versprochen, dass das Leben fair wäre. „Tja, dumm gelaufen.“

„Aber aus irgendeinem verdammten Grund läuft es bei dir immer dümmer als bei anderen. Trotzdem bin ich ein bisschen irritiert, Treena. So, wie es sich anhört, hast du schon ewig keinen Sex mehr gehabt. Warum hast du also nicht die Gelegenheit genutzt und diesen unglaublichen Mann vernascht?“

„Ich … ich weiß es einfach nicht.“ Unwillkürlich presste sie die Beine zusammen, als sie daran dachte, was für Gefühle sie in der Garage gehabt hatte. Doch sie vertrieb die peinliche Erinnerung und reckte trotzig das Kinn vor. „Ich glaube, ich war noch nie eine Frau für einen One-Night-Stand. Außerdem kenne ich Jax doch noch gar nicht. Da bin ich einfach noch nicht bereit für so eine intensive Sache.“

Und sie würde es vermutlich auch niemals sein. In dieser Nacht musste sie unentwegt daran denken, als sie sich von einer Seite auf die andere wälzte und versuchte, das heftige Begehren, das sie in den wenigen Minuten auf der Kühlerhaube verspürt hatte, mit der Frau in Einklang zu bringen, die sich immer in der Gewalt haben wollte. Leider erfolglos. Das Einzige, wozu die Grübeleien führten, waren etliche schlaflose Stunden und der dringende Wunsch, überhaupt nicht mehr an Jax Gallagher zu denken.

Doch das war leichter gesagt als getan.

Denn während sie bei Carly gewesen war, hatte er eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen. Und am nächsten Morgen rief er schon wieder an. Weil sie befürchtete, dass er es sein könnte, nahm sie nicht ab und ließ ihn auf Band sprechen.

„Treena, bist du zu Hause?“ Eine kleine Pause. „Bitte sprich mit mir, wenn du da bist. Lass mich nicht so in der Luft hängen. Ich habe heute ein Pokerspiel in L. A., und ich möchte da nicht auftreten wie ein blutiger Anfänger. Aber das werde ich wohl, weil ich dich vergangene Nacht … nun ja, ich habe dich wohl ein bisschen erschreckt. Und weil ich dauernd daran denken muss, kann ich mich nicht auf dieses verdammte Spiel konzentrieren.“

Erst jetzt griff sie zum Hörer. „Du hast mich nicht erschreckt. So ängstlich bin ich nun auch nicht.“ Ihr war wichtig, dass er das wusste.

„Schön, das zu hören. Dann kannst du ja heute Abend mit mir ausgehen.“

Bei seinen Worten machte ihr Herz einen Sprung, und fast hätte sie den Hörer fallen lassen. Als sie kopfschüttelnd ablehnte, dachte sie kurz, wie albern diese Reaktion war, schließlich konnte er sie nicht sehen. Aber vermutlich schüttelte sie den Kopf ja auch eher für sich als für ihn. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“

„Im Gegenteil, es ist eine großartige Idee. Ich weiß, dass ich gestern zu schnell für dich war, aber ich werde dich nicht mehr bedrängen, versprochen. Bitte sag Ja. Wir könnten uns einen gemütlichen Abend machen. Ich komme zu dir.“

„Nein.“ Auf keinen Fall wollte sie mit ihm allein in ihrer Wohnung sein, in der das einladende Bett nur wenige Schritte entfernt stand, falls die Dinge wieder außer Kontrolle gerieten. Aber den Gedanken, ihn überhaupt nicht zu sehen, fand sie ebenfalls unerträglich. „Wir könnten allerdings in eine Spätvorstellung gehen. Oder in eine Disco.“ Im Grunde sollte dieser Vorschlag ihn abschrecken. Die wenigsten Männer riskierten es, mit einem Showgirl tanzen zu gehen, weil sie sich nicht blamieren wollten. Wenn er jetzt aufgab, wäre sie aus dem Schneider.

Doch er überraschte sie. „Ja, das könnten wir wirklich tun“, meinte er leichthin. „Aber du musst mir einen Gefallen tun, einverstanden? Fahr heute Abend mit deiner Freundin zur Arbeit. Dann kann ich dich hinterher nach Hause bringen.“

Die Vorstellung, erneut mit ihm allein in einer Tiefgarage zu sein, brachte ihren Puls zum Rasen. Deshalb willigte sie ein, fügte jedoch vorsichtshalber hinzu: „Vorausgesetzt, ich erwische Carly noch, bevor sie mit ihren Hunden spazieren geht. Sie ist oft unterwegs und nur selten zu Hause. So oder so, wir treffen uns heute Abend. Am besten wieder bei den Aufzügen im großen Spielsaal.“ Schnell legte sie den Hörer auf, aus Angst, doch noch ihre Meinung zu ändern. Anschließend fragte sie sich, ob sie nicht einen riesigen Fehler beging.

Da sie nun aber ohnehin nichts mehr daran ändern konnte, schob sie den Gedanken beiseite. Als sie sich wieder setzen wollte, klingelte es. Vor der Tür stand Ellen Chandler, ihre hinreißend charmante und sehr zierliche Nachbarin. Dankbar für die willkommene Ablenkung, begrüßte Treena sie.

„Guten Tag, meine Liebe“, lächelte die ältere Frau. „Sei mir nicht böse, dass ich einfach so bei dir aufkreuze. Ich habe hoffentlich keinen schlechten Zeitpunkt erwischt?“

„Überhaupt nicht.“ Wie immer freute sich Treena über den Besuch der alten Dame, die bis vor Kurzem als Bibliothekarin gearbeitet hatte. „Bitte komm herein.“ Ellens Gesellschaft hatte etwas Beruhigendes, außerdem ließ Treena sich gern von der Neunundfünfzigjährigen mit ihrem Selbstgebackenen verwöhnen – dem besten, das sie jemals gegessen hatte. Verlangend beäugte sie den mit einer Folie bedeckten Teller in Ellens Hand.

Prompt streckte Ellen die Hand aus und reichte ihn ihr. „Für dich.“

„Vielen Dank. Einen Moment habe ich befürchtet, du wolltest nur Hallo sagen und den Teller jemand anderem bringen.“ Mit einem verschmitzten Grinsen nahm sie ihn entgegen und ging in die Küche. „Ich mach uns einen Kaffee. Was hast du mir denn diesmal Schönes gebacken?“

„Nichts Besonderes.“ Ellen folgte ihr zu der Theke, die den kleinen, farbenfroh eingerichteten Raum vom Wohnzimmer trennte. „Ein paar Snickerdoodles und einige Schokoladenkekse.“

„Nichts Besonderes, sagt sie!“ Vorsichtig entfernte sie die Folie und sog den köstlichen Duft der Kekse ein. „Meine Güte, Ellen. Ich glaube, ich liebe dich.“

„Deshalb backe ich ja auch ständig für dich, Darling. Dir kann man so leicht eine Freude machen.“

„Stimmt, Ma’am, aber es muss schon etwas Hervorragendes sein.“

Ellen lachte ihr überraschend tiefes und raues Lachen, das so gar nicht zu dem kurzen, mit grauen Strähnen durchzogenen Haar, dem makellos sitzenden grauen Tanktop und der Hose mit dem schmalen Gürtel zu passen schien. „Es gibt Leute, die finden es fragwürdig, dass ich mir deine Zuneigung mit einem Teller Kekse erkaufe.“

„Das kommt auf die Menge an. Du hast ziemlich viele Kekse backen müssen, um das von mir zu hören.“

„Gott sei Dank – ich fände es schrecklich, wenn du dich unter Wert verkaufen würdest.“ Ganz unschuldig schob sie einen Magnet-Sticker an der Kühlschranktür gerade. Dann sah sie Treena forschend an. „Und jetzt erzähl mir von dem neuen Mann in deinem Leben. Ein scharfer Typ – so hat Carly ihn jedenfalls beschrieben.“

Mitten in der Bewegung erstarrte Treena, und das Lächeln auf ihrem Gesicht verschwand. „Carly redet zu viel.“

„Oje. Hätte ich mal besser nichts gesagt?“, fragte Ellen ängstlich.

„Nein, ist schon in Ordnung. Ich habe nur etwas heftig reagiert – tut mir leid.“ Das schien zurzeit ihr Lieblingssatz zu sein. „Vermutlich liegt es daran, dass ich mir meiner Gefühle für Jax im Moment noch gar nicht sicher bin. Und ich glaube auch nicht, dass ich schon darüber sprechen kann.“

„Dann lassen wir es eben. Habe ich dir schon erzählt, dass ich mich entschieden habe, die Reise nach Italien zu machen? Das plane ich ja schon so lange.“

Ein paar Sekunden schaute Treena die zierliche Frau dankbar an. Dann kümmerte sie sich um den Kaffee. Langsam ließ die Anspannung nach, die der Gedanke an Jax in ihr ausgelöst hatte. „Du bist wirklich der rücksichtsvollste Mensch, der mir jemals begegnet ist. Danke, Ellen. Und was ist jetzt mit Italien?“

„Ich möchte nicht gerne allein fahren. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob es mir wirklich Spaß macht, mit einer Gruppe zu reisen. Denen ist man dann nämlich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.“

„Ja, das würde mich auch von so einem Trip abhalten“, pflichtete Treena ihr bei, goss zwei Tassen Kaffee ein und trug sie zu dem kleinen Wohnzimmertisch. „Mitreisende können ja wirklich ganz nett sein. Aber die Sehenswürdigkeiten würde ich mir auch lieber allein ansehen, statt mich an einen Stundenplan halten zu müssen.“ Nachdenklich nahm sie einen Keks. „Will denn keiner deiner Freunde mitfahren? Ich würde sofort mit dir kommen, wenn ich Urlaub machen könnte.“ Sie lächelte bedauernd. „Na ja, und das nötige Kleingeld hätte.“

„Die meisten meiner Freundinnen arbeiten noch. Ich bin doch in Frührente gegangen. Und die Einzige, mit der ich mir vorstellen kann, drei Wochen Tag und Nacht zusammen zu sein, ist Lois. Wir träumen schon seit Jahren von dieser Reise, und in diesem Herbst wollten wir sie endlich machen. Aber ihre Tochter in Minnesota hat vor zwei Monaten erfahren, dass sie schwanger ist – nachdem sie und ihr Mann es jahrelang vergeblich versucht haben. Deshalb will Lois ihren Urlaub aufheben, um ihr nach der Geburt zu helfen.“ Mit einer graziösen Bewegung führte sie die Tasse an die Lippen. „Vielleicht verschiebe ich die Reise einfach um ein Jahr, dann hat Lois wieder Zeit, mitzukommen.“

„Das tut mir leid. Es war bestimmt eine große Enttäuschung für dich.“

Liebevoll tätschelte Ellen ihre Hand. „Du bist so verständnisvoll – und immer so umsichtig.“

„Könntest du mir das vielleicht schriftlich geben? Meine Eltern sind nämlich der festen Überzeugung, mein Job wäre eine Einbahnstraße in die Hölle.“

„Ach.“ Die alte Dame nickte verständnisvoll. „Es ist bestimmt nicht leicht für sie, sich vorzustellen, dass ihr Baby in einer Show oben ohne tanzt.“

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