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Sommerglück im Strandcafé

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Wenn das Glück zwischen Sonnenschein und Sandkörnern liegt ...

Florence May hätte nie gedacht, dass sie das Leben in London gegen den Komfort einer Strandhütte in ihrer Heimatstadt in Cornwall eintauschen würde, aber in dem Moment, in dem sie sie betritt, weiß sie, dass es die beste Entscheidung war, die sie je getroffen hat. Die Tatsache, dass sie vor Ort ein Unternehmen gründen muss? Ein kleiner Rückschlag, der sich leicht beheben lässt. Und als der Hotelbesitzer von nebenan versucht, ihr das Land abzukaufen? Florence bittet ihre treuen Freunde, ihr zu helfen, ihr kleines Stück vom Himmel zu retten. Und wenn es etwas gibt, was die Gemeinde St. Aidan gut kann, dann ist es, sich zusammenzuschließen, um das Beste aus jeder Sekunde zu machen, was auch immer das Leben einem beschert.


  • Erscheinungstag: 15.04.2025
  • Seitenanzahl: 416
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365010075

Leseprobe

Jane Linfoot

Sommerglück im
Strandcafé

Roman

Aus dem Englischen von
Christian Trautmann

HarperCollins

Für Eric, Theo, Dahlia und Lyla-Rose, xx

Wenn du deinen Verstand darauf trainierst, in jedem Ereignis das Positive zu entdecken, verbannst du alle Sorgen und fühlst dich stärker.

Jacqueline Gold

1. Kapitel

Kurz vor St. Aidan, Cornwall

Pailletten und nachfolgender Wind

Mittwoch

Als ob ich es nicht geahnt hätte! Nach dreihundert Meilen reibungsloser Fahrt seit London entscheide ich mich eine halbe Stunde vor St. Aidan für die Abkürzung, und jetzt steht mein treuer Mini-Cabrio im Stau.

Ich sehe stöhnend Shadow, den Hund, an, der kurz seinen großen braunen Kopf hebt und es sich dann wieder auf der Rückbank bequem macht. Er liegt auf den Taschen, die ich nicht mehr im Kofferraum verstauen konnte. »Es ist erst April und nicht einmal warm genug, um mit offenem Verdeck zu fahren. Die Ferienstaus können doch noch nicht begonnen haben, oder?«

Ich schlage mit der flachen Hand auf das Lenkrad, denn selbst mein Mitsingen zu Miley Cyrus’ Flowers hilft nicht. Ich hoffe, die ersten leisen Zweifel, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, nach Cornwall zurückzukehren, wachsen sich nicht zu einer handfesten Krise aus und führen mir nicht all die Nachteile vor Augen, die ich in dem Jahrzehnt, seit ich weggezogen bin, vergessen habe. Ich blicke über eine Hecke auf das weite blaue Meer jenseits der Weiden und die malerischen pastellfarbenen Häuser von St. Aidan in der Bucht und klammere mich an den Optimismus, der mich hierhergeführt hat.

Als meine Mum mich Ende Januar anrief, um mich zu fragen, ob ich das Strandhaus von ihrer Freundin Ivy zu einem supergünstigen Preis kaufen wolle, kam es mir wie ein glücklicher Zufall vor. Klar, eine baufällige Hütte auf den Sanddünen in einem Dorf am Rand der Welt hatte ich zu der Zeit nicht unbedingt auf dem Schirm. Aber da mein Leben in London gerade zerbröckelte, sah ich darin den Rettungsanker, auf den ich gewartet hatte.

Vier Jahre zuvor war ich Ende zwanzig, und alles, was ich je gewollt hatte, traf endlich ein. Ich war Teammanagerin in einer angesagten postindustriellen Bar namens The Circus, in der sich nur die Hochseilartisten in luftigeren Höhen befanden als die Preise. Ich war verliebt in meinen hinreißenden Freund Dillon, einem talentierten Ingenieur und Kindheitsfreund, den ich mit dreiundzwanzig wiedergetroffen hatte, und zwar Silvester auf dem Dorfplatz von St. Aidan. Wir wohnten in einer mondänen Mietwohnung und waren uns unserer gemeinsamen Zukunft dermaßen sicher, dass wir unsere Eheringe heimlich selbst anfertigten. Da waren wir also, recherchierten Flitterwochen-Ziele und debattierten darüber, ob wir unsere Ersparnisse in die Anzahlung einer Eigentumswohnung, eine spektakuläre Flucht oder die Hochzeit des Jahrzehnts investieren sollten. Die öffentliche Ankündigung unserer Verlobung stand unmittelbar bevor. Und dann fegte das Ergebnis einer Routineuntersuchung auf Gebärmutterhalskrebs alles einfach weg.

Aber das stimmt nicht ganz. Meine Krebsdiagnose schockierte uns, aber danach sagte ich ihr den Kampf an, und Dillon stand mir bei. Wenn ich nicht arbeiten konnte, hätte ich mir keine bessere Unterstützung wünschen können. Als ich wieder anfing zu kellnern und feststellte, dass mir die Kraft fehlte, schaffte ich sogar den Start in eine neue Karriere, indem ich stattdessen Hörbucherzählerin wurde.

Doch diese Schlacht schien die Liebe ausgelaugt zu haben. Vor meiner Krankheit konnten wir kaum voneinander lassen. Als ich die vorläufige Alles-wieder-gut-Diagnose erhielt, war es mit der Beziehung auch vorbei.

Dillon nahm die vielversprechende Versetzung nach Dubai an, die er meinetwegen aufgeschoben hatte, und zahlte die Miete für unsere Wohnung ein Jahr im Voraus, um mir ein wenig Luft zu verschaffen. Um ein bisschen Geld zu haben, vermietete ich das Gästezimmer an eine Doktorandin aus Estland namens Elise, die meistens im Labor war. Dann stürzte ich mich in meine Arbeit.

Einige ruhige Monate lang sah es so aus, als hätte ich eine gute Lösung gefunden. Dann aber bekam ich nach einem kleinen operativen Eingriff an der Luftröhre eine Reibeisenstimme. Sobald ich ein paar Seiten vorgelesen hatte, verließ mich meine Stimme, weshalb ich nicht weiter in meinem neuen Job arbeiten konnte. Leider bin ich auch, trotz der hohen Trinkgelder, längst weit davon entfernt, in meinen alten Job zurückzukehren. Ich bin nicht mehr dieses extrovertierte Partygirl, das feiernde Gäste dazu animiert, eine teure Runde nach der anderen zu schmeißen. So wie ich mich momentan fühle, kann ich wohl nicht mal Cocktails servieren.

Als ich in meinen späten Teenagerjahren nach London kam, schwor ich mir, für immer zu bleiben. Aber in letzter Zeit hat mich mein Glück verlassen, weshalb ich zugriff, als sich die Gelegenheit mit dem Strandhaus ergab. Ein derart verschlafenes Nest, in dem nie etwas los ist, wäre früher mein Albtraum gewesen, aber so, wie mein Leben jetzt aussieht, ist es der perfekte Zufluchtsort. Vier Wände und ein Dach sind alles, was ich brauche. Es ist eine Million Meilen weit weg von dem Luxusapartment im fünften Stock, mit Fitnessraum im Keller, das ich aufgebe, aber wenigstens gehört das Haus mir. Wenn ich zurückgezogen und bescheiden lebe, komme ich mit meinen Ersparnissen vielleicht hin, bis ich wieder Hörbücher lesen kann.

Von Shadow auf dem Rücksitz kommt ein mitfühlendes Schnaufen, aber bevor ich mich für seine Hunde-Solidarität wegen des Verkehrsproblems bedanken kann, fällt mein Blick auf den Aufkleber auf dem Wagen vor mir in der Schlange, und mein entmutigtes Herz macht einen Sprung.

The Little Cornish Kitchen!
Köstliche Tees
und Veranstaltungen,
Seaspray Cottage, St. Aidan!

Meine gute Fee passt wohl besser auf mich auf, als ich ahnte!

The Little Cornish Kitchen wird von Clemmie geführt, einer der besten Freundinnen meiner älteren Schwester, die ich schon mein ganzes Leben lang kenne. Als eine Person in einem blau geblümten Kleid hinten am Wagen erscheint und sich die kastanienbraune Mähne zurückstreicht, springe ich grinsend auf die Straße.

»Clemmie! Das ist ja die beste Überraschung ever! Was machst du denn hier?«

Mit geröteten Wangen deutet sie auf das schlafende Kind auf dem Rücksitz ihres Fahrzeugs. »Bud und ich wollten einen bestellten Blechkuchen ausliefern. Alle haben angehalten, weil ein Hund auf der Straße war, aber ein Fahrer vor uns hat ihn eingefangen, und jetzt schwirren sie alle weiter.«

Ich werde ein wenig nervös bei der Vorstellung, wie Shadow durch den Verkehr läuft, entspanne mich aber gleich wieder, als Clemmies Arm auf meiner Schulter landet. Seit Shadow und ich uns gegenseitig gerettet haben, hat er ganz großartig die Lücken in meinem Leben gestopft, die sich auftaten, nachdem Dillon und ich uns getrennt hatten. Wer braucht schon einen Partner, wenn man einen großen haarigen Hund hat, der sofort aufs Bett springt, kaum ist das Licht aus, und außerdem genauso süchtig nach Custard-Cream-Keksen ist wie man selbst?

Clemmie strahlt. »Du bist die Überraschung hier! Wer hätte gedacht, dass wir es jemals erleben werden, wie der London-Fan Florence May nach St. Aidan zurückkehrt?«

Ich jedenfalls nicht, das ist mal sicher. Aber das behalte ich für mich und umarme sie. Wegen der Wölbung ihres Bauches weiche ich jedoch gleich wieder zurück. »Nicht schlecht, Mrs. Hobson! Du bist jetzt schon runder als mit Bud!«

Clemmie hält sich den Bauch. »Diesmal ist es ein Junge. In einem Monat ist es so weit, deshalb habe ich schon die ganze Woche diese Übungswehen.« Sie atmet schwer aus und lehnt sich an den Kotflügel des Wagens. »Mal unter uns, Flossie, als der Verkehr vor uns gestoppt hat, war ich froh, aussteigen und mir den schmerzenden Rücken massieren zu können.«

Clemmie, meine Schwester Sophie, Dillons Schwester Plum sowie eine reizende Frau namens Nell sind eine Gruppe von Freundinnen, die sich schon seit der Zeit kennen, als unsere schwangeren Mütter sich in der Mums-and-Bumps-Gruppe vor sechsunddreißig Jahren trafen. Dillon war bereits auf der Welt, und ich kam etwas später, aber selbst nachdem wir weggezogen sind, haben wir uns immer in St. Aidan wiedergetroffen.

In unserer Altersgruppe wird ständig geheiratet, und in manchen Sommern gab es eine Hochzeit pro Monat. Als ich hier aufgedunsen von den Steroiden ankam und sämtliche Haare infolge der Chemotherapie verloren hatte, einschließlich meiner Augenbrauen, versuchten Clemmie und ihr Partner Charlie, gerade ein Baby zu bekommen, und erlebten eine Enttäuschung nach der anderen. Auch Nell glaubte damals, sie und ihr Partner George würden nie Kinder haben.

Wenn man dreißig ist und unbedingt schwanger werden will, ist man ein Außenseiter, besonders auf Partys. Und als meine Chancen auf eine Familie ebenfalls schrumpften, hielten Nell, Clemmie und ich zusammen. Da wir auf Alkohol verzichteten, konnten wir uns nicht einmal trösten, indem wir uns anständig betranken. Wir saßen bei so vielen Hochzeiten mit unseren alkoholfreien Cocktails und verdrehten die Augen über all diese glücklichen Frauen, die aufgehört hatten, die Pille zu nehmen, und gleich beim ersten Versuch schwanger geworden waren.

Aber schließlich hatte Clemmie doch Glück. Ihr letzter Versuch mit künstlicher Befruchtung, Bud, kam letztes Jahr zur Welt. Das ganze Dorf hatte an ihrer verzweifelten Odyssee Anteil genommen und freute sich mit ihnen, als Clemmie wie aus heiterem Himmel Weihnachten verkündete, dass sie zum zweiten Mal schwanger sei.

Clemmies Miene hellt sich auf, und sie stellt sich wieder gerade hin. »Nells Baby soll etwa zur gleichen Zeit kommen.«

Bei jeder anderen als Clemmie und Nell hätte ich die Schwangerschaften schwer erträglich gefunden, aber niemand verdient eine glückliche Familie mehr als diese beiden. Clemmies schmerzverzerrtem Gesicht nach zu urteilen, ist sie noch nicht bereit, wieder in den Wagen zu steigen. Also schiebe ich die brennende Neugier auf mein neues Zuhause beiseite und plaudere weiter mit ihr.

»Hat Bud ihr erster Geburtstag gefallen?«

Clemmie macht die Augen auf und stößt erneut die Luft aus. »Und wie!«

Als ich wieder hinschaue, hat sie sich weggedreht und hält sich am Wagendach fest. »Alles okay, Clems?«

Sie wedelt meine Besorgnis fort. »Ich habe Charlie angerufen, er ist auf dem Weg, um uns nach Hause zu fahren.« Einen Moment wirkt sie verkrampft, dann lächelt sie wieder. »Genug von Babys. Erzähl mir von diesem Strandhaus, das du gekauft hast. Sophie hat es mir von der anderen Seite der Bucht gezeigt, als wir bei ihr waren.«

Was ich noch nicht erwähnt habe, ist, dass es sich bei Sophie um Sophie May, die multinationale Kosmetik-Magnatin, handelt, die ihr Unternehmen am Küchentisch begonnen hat, als alleinerziehende Mutter mit Mitte zwanzig. Jetzt schaltet sie Anzeigen in Good Housekeeping und kleidet sich in Blassblau, passend zu ihren Produkten. Sie ist so zierlich, blond und makellos, wie ich ausladend, dunkelhaarig und chaotisch bin. Natürlich hat sie einen tollen Mann, Nate, dazu vier Kinder sowie ein Schloss namens Siren House auf einer Klippe. Wie gut, dass ich mich nie vergleiche. Das Einzige, was ich je besser hinbekommen hatte, war meine Zeit als Teenager-Goth.

Ich bin mir nicht sicher, wie aufnahmefähig Clemmie ist, aber ich sage es trotzdem. »Es handelt sich eher um eine Hütte und weniger um ein Haus. Aber wenn es in echt nur halb so hübsch ist wie bei Google-Satellit, werde ich begeistert sein.«

Clemmie starrt mich an. »Du hast es noch gar nicht gesehen?«

»Mum hat es sich genau angesehen.« Was könnte einem an einer Strandhütte nicht gefallen? Noch dazu am sehr stillen Ende des Dorfes, das ich bevorzuge. »Ich habe sofort zugeschlagen, auch wegen des hundefreundlichen Gartens. Nur Shadow und ich und die Abgeschiedenheit am Meer.«

Clemmie mustert mich skeptisch. »Dir ist hoffentlich klar, dass es in St. Aidan nun auch wieder nicht so friedlich sein wird, jetzt, wo wir alle hier sind …« Sie greift sich erneut an den Bauch. »Fuck! Sorry, Bud!«

Als Studentinnen in einer WG mit Anfang zwanzig schauten wir uns jede Folge von One Born Every Minute an, deshalb kenne ich die Anzeichen. Ich will nicht in Panik geraten, aber wenn sie so flucht, könnte das Baby sehr viel früher als erst im nächsten Monat kommen.

»Möchtest du dich hinsetzen, Clemmie?« Ich hole einen Teppichläufer aus meinem Wagen und schüttele ihn auf, als sich ein weiteres Auto nähert.

Als der Fahrer aussteigt, ist Clemmie auf allen vieren in der Einfahrt zu einem Feld.

»Alles okay hier? Brauchen Sie Hilfe?«

Ich blicke in schiefergraue Augen unter dunklem, gewelltem Haar und atme jene Art von edlem Aftershave ein, bei dem ich weiche Knie bekomme. Gib Gin dazu und küsse gründlich … Das ist nicht die Art von Gedanken, die ich haben sollte, wenn meine beste Freundin sich gerade im Gras krümmt und ich ein neues Leben als Single beginne.

Ich reiße mich zusammen. »Ich bin Florence. Meine schwangere Freundin Clemmie hat Wehen. Könnten Sie vielleicht 999 anrufen und die Worte ›schnelle Wehen‹ sagen, während ich nach ihr schaue?«

Clemmie stößt einen Klagelaut aus. »Niemand braucht hier einen Krankenwagen, Floss! Ein paar Minuten hier unten, und ich werde … Aaahhhh!«

Während der Typ gleich durchkommt und unseren genauen Standort nennt, sagt mir das Echo in meinem Kopf, dass ich diese dunklen Locken und diese Andeutung eines Lächelns nicht zum ersten Mal sehe. Dann fällt mir ein, dass ich nicht mehr in Stoke Newington bin, mit neun Millionen Fremden – in St. Aidan sieht jeder vertraut aus, weil sie es alle sind.

Er blickt mich an. »Der nächste Krankenwagen ist fünfzehn Minuten entfernt. Sie tun ihr Bestes, um jemanden herzuschicken.«

Er widmet sich wieder seinem Telefon, und Clemmie ergreift meine Hand. »Es tut mir so leid, Floss, du bist wirklich die letzte Person, die mir dabei helfen sollte.«

Ich knie mich neben sie und tupfe ihr den Schweiß von der Stirn. Wir wissen beide, dass sie recht hat. Vor meiner Krankheit ist mir nie in den Sinn gekommen, Kinder zu haben. Doch als mir die Chemo diese Möglichkeit nahm, änderte sich meine Einstellung dazu überraschenderweise. Ich versuche, keine große Sache daraus zu machen, aber als ich wusste, dass ich keine Kinder würde bekommen können, hielt ich aus reinem Selbstschutz Abstand zu Babys.

Allerdings hat Clemmie diese Situation ja nicht geplant, also werde ich es irgendwie durchstehen müssen. »Möglicherweise kann gerade ich am besten helfen. Einmal bekam eine Frau in The Circus die Wehen, daher ist es nicht mein erstes Mal!«

Ihre Wehen hören für einen Moment auf, und sie sieht mich an. »Lass mich nicht in der Luft hängen – erzähl mir, wie es ausging!«

Ich hätte lieber nicht davon anfangen sollen. »Ein Sanitäter, der schon Feierabend hatte, fing das Baby in seinem T-Shirt auf. Sie sind nicht zufällig Arzt, oder?«, rufe ich dann dem Typen am Handy zu.

Er schüttelt den Kopf. »Sorry, ich bin Metallurg.«

Verdammt. Einen Versuch war es wert.

Clemmies Blick fällt auf meine Brust, während sie keucht. Ihr Gesicht hellt sich auf, während sie liest und die Worte scheinbar wiedererkennt. »The Libertines in Reading, 2010da war ich mit Sophie!«

Ich grinse. »Das war mal ihr T-Shirt.« Ich hielt es für eine verheißungsvolle Wahl für meine Rückkehr hierher. Als ich es heute Morgen über mein paillettenbesetztes Bikinitop zog, hatte ich nicht vor, bei Windstärke zehn am Meer zu stehen.

Clemmies erstaunter Laut wird zu einem Jammern. »Sophie wird einen Anfall kriegen, wenn du Arnie darin auffängst.« Dass sie das Kind beim Namen nennt, macht es auf alarmierende Weise zu einem lebendigen, atmenden Wesen, und es ist nicht länger bloß ein Babybauch.

Ich lache, denn wenn man Sophie die Stirn bietet, gibt sie für gewöhnlich nach. »Jetzt ist es mein T-Shirt, sie hätte es eben nicht hergeben sollen.« Erst dann dämmert mir die Bedeutung dessen, was Clemmie gerade gesagt hat. »Wie weit ist das Baby denn schon?«

Der Typ kniet sich neben uns ins Gras. »Ich stelle die Notaufnahme auf Lautsprecher. Die wollen wissen, ob Sie den Kopf schon sehen können.«

Ich warte, bis Clemmie die Augen wieder aufmacht. »Ist der Kopf bereits da, Clems?«

Einzelne Haarsträhnen kleben ihr an der Stirn, und sie gibt ein Wimmern von sich. »Könnte sein.«

»Sollten wir nicht auf Charlie warten?« Ich spiele auf Zeit, ziehe aber vorsichtshalber meine Weste aus der Shorts, nur für alle Fälle. »Der kann nicht mehr weit weg sein, und ist bestimmt todtraurig, wenn er es verpasst.«

»Möglicherweise muss ich pressen …«

Mir geht es auch um die praktischen Erwägungen. »Was ist mit deinem Höschen, Clems?«

»Ich trage seit Wochen keine mehr …« Ihr nächstes Stöhnen ist so laut, dass es meine Erleichterung über die eben gehörte Information komplett verdrängt.

Der Typ gibt weiter laufend einen Bericht per Handy durch, während Clemmies Gesicht roter wird. »Sie ist auf den Knien und presst, während ihre Freundin Florence bei ihr ist und ihre Hüften stabilisiert.«

Der Wind trägt das Heulen einer Sirene herüber, aber vielleicht träume ich das auch nur. Und es könnte durchaus sein, dass ich diejenige bin, deren Haltung stabilisiert wird und nicht andersherum, indem ich mich an Clemmies Taille festklammere.

Eine Frauenstimme ist aus dem Handy zu hören. »Sie und Ihr Baby werden es schaffen, Clemmie, wir sind bei Ihnen, alles wird gut … Schnappen Sie sich das Baby, wenn es kommt, Florence … gut festhalten …«

Ich ziehe mein Oberteil aus, nehme die Position hinter Clemmie wieder ein und schiebe den Stoff ihres geblümten Kleides zur Seite. Meine wertvollste Fracht bis zu diesem Moment war ein Tablett mit Champagnercocktails, für die jemand Tausende Pfund bezahlt hatte. Aber der kleine Körper, nach dem ich jetzt die Hände ausstrecke, ist so viel kostbarer.

Ich erschrecke ein wenig über das Gewicht des Babys, als es in meinen Armen landet. Er ist ganz warm, als ich es gegen meine nackten Rippen drücke. Ich sollte schreien, damit jeder es hört, aber ich bringe bloß ein Flüstern heraus. »Ich hab das Baby, Clems! Er ist echt schwer!«

Sie lässt sich seitlich auf den Teppich fallen, und ich eile an ihre Flanke. »Du hast es geschafft, Clemmie, Arnie ist da!«

Was zur Hölle ist jetzt zu tun?

Die nächsten Sekunden dehnen sich endlos, dann folgen ein Prusten und ein Schrei, der sich in einen Heulton verwandelt. Ich betrachte das zerknautschte Gesicht und die winzigen Fäuste. In der Hocke versuche ich, ihn in das T-Shirt zu wickeln.

Als ich das Baby Clemmie auf die Brust lege, ist ihr Gesicht tränennass, und sie erschauert. »Danke, Floss. Ich h-habe das nicht erwartet, als ich losgefahren bin!« Sie betrachtet das Bündel in ihren Armen. »Er ist wunderschön, nicht wahr?«

Ich schlucke ein Schluchzen herunter. »Und noch ein Rotschopf.«

Ihre Augen weiten sich, als fiele ihr noch etwas anderes ein. »Wenn du einen Custard-Cream-Blondie willst, nimm dir einen aus dem Auto!« Sie ergreift meine Hand. »Das sind doch immer noch deine Lieblingskekse?«

Plötzlich tauchen hellrote Fahrzeuge mit Blaulicht auf, und als die Reifen auf dem Schotter schlitternd zum Stehen kommen, halte ich das für ein Missverständnis.

»Haben wir nicht einen Krankenwagen gerufen?«

Die ersten zwei Männer sind schon da und knien jetzt neben uns. »Wir Feuerwehrleute haben den Notruf als Erste erhalten; bei uns sind Sie in sicheren Händen.« Er grinst. »Keine Sorge, Blue Watch regelt das!«

Der zweite wendet sich an mich. »Wir springen ein, bis die Sanitäter da sind. Der nächste Schritt ist die Nabelschnur, dann die Plazenta.«

Ich gebe Clemmie einen Kuss auf die Wange. »Ich mache mal lieber Platz für die Profis!«

Während ich noch höre, wie die Notaufnahme Kontakt mit der Crew aufnimmt, schaut ein dritter Mann auf uns herunter. »Clemmie Hobson! Ein Baby am Straßenrand der Truro zu bekommen, bringt die Idee der natürlichen Geburt aber auf ein ganz neues Level!« Als er mich ansieht, zuckt er zusammen. »Und Florence Flapjack-Face auch noch! Zurück, um die Stadt in Flammen zu setzen, nehme ich an?«

Während ich mich aufrappele, entgeht mir nicht, dass ich von lauter Kerlen umgeben bin, die einen Männer-in-Uniform-Kalender füllen könnten. Meine Gänsehaut ist jedoch auf die Person in der dunklen Anzughose und dem weißen Hemd zurückzuführen, die abseits an der Hecke steht.

Ich habe hier nichts zu verlieren, also kann ich mir ebenso gut eingestehen, was ohnehin jeder weiß. Egal, wie alt ich werde, da wird immer jemand in St. Aidan sein, der mich beim Spitznamen aus meiner Kindheit nennt und mich an die Zeit erinnert, als ich wegen einer Wette in Chemie versuchte, ein Papiertuch zu rauchen, und dabei versehentlich die Schule in Brand setzte. Obwohl ich heute in den Dreißigern bin, ist es trotzdem schwer, die Fassung zu bewahren, wenn meine Brüste aus dem Bikinitop mit Diamantensaum fallen, das auch noch zwei Größen zu klein ist, und mir gleichzeitig Tränen über die Wangen laufen. Trotzdem gebe ich mein Bestes. Ein weiterer Wagen taucht auf, und als Charlie herausspringt, laufe ich zu ihm, um ihn vorzuwarnen.

»Clemmie ist bei der Hecke, sie hat das Baby bereits, beiden geht es gut!«, versichere ich ihm schnell, aber Charlies Gesicht nimmt dennoch die Farbe des Green-Fairy-Absinth-Cocktails an, den wir in The Circus servierten.

Endlich hält ein Krankenwagen hinter dem Feuerwehrfahrzeug, und die Sanitäter kommen mit einer Trage auf uns zu. Charlie kniet sich zu der Gruppe auf dem Teppich, und ich laufe an den Autos vorbei, um nach Bud und Shadow zu sehen, die aber beide noch schlafen. Ich wische mir die Hände mit einem Papiertuch ab, das mir irgendwer reicht. Der Typ, der den Krankenwagen gerufen hat, wedelt mit einem T-Shirt vor mir herum.

»Nehmen Sie das hier, falls Ihnen kalt ist.«

»Ich kann doch nicht …« Zu fragen, wie ich es zurückgeben könnte, würde möglicherweise als Anmache verstanden werden.

»Es ist alt. ›Weiß XL‹ ist kein Urteil, es ist nur die einzige Größe, die noch übrig war.« Er drückt meine Schulter und schaut auf seine sehr elegante Armbanduhr. »Ich bin übrigens Kit. Das hast du sehr gut hinbekommen mit dem Baby. Wenn wir hier fertig sind, müsste ich los. Jemand wartet in Penzance auf mich, und anschließend habe ich noch eine lange Fahrt nach Hause vor mir.«

Ich drücke das T-Shirt an mich, während er zurückweicht. »Ohne dich hätten wir das nicht geschafft, Kit.« Ich merke, dass ich ihn gern davon abhalten würde zu verschwinden, was völlig albern ist. Ich zeige auf seine Beine. »Deine Hose ist dreckig geworden. Wenn du noch Zeit hast, um ins Dorf zu fahren, wird Charlie dir eine leihen.«

Er sieht mich skeptisch an. »Ich habe noch drei weitere saubere Hosen im Wagen und kann mich umziehen.« Als er meinen fragenden Blick sieht, erklärt er: »Tadellose Kleidung gehört zu meinem Job.«

Ich blende die Vorstellung aus, wie er sich die Hose auf dem Beifahrersitz an- oder auszieht, und konzentriere mich auf die Gegenwart. »Clemmie wird sich persönlich bei dir bedanken wollen. Wenn du mir daher deine Adresse gibst? Einer Kuchenbäckerin beim Babykriegen zu helfen, ist keine schlechte Wahl. Du wirst ziemlich sicher für den Rest deines Lebens Brownies aus der Little Cornish Kitchen bekommen. Meine werde ich jedenfalls ganz sicher nicht ablehnen!«

Tatsächlich fahre ich hier die komplette Kuchen-Bestechungsnummer. Wieso kann ich mich nicht bremsen?

Ich sollte mich einfach nach seinem Aftershave erkundigen, um ihm zukünftig aus dem Weg gehen zu können, und dann sollte ich den Mund halten.

Es folgt zunächst Schweigen. »Ist dein Zuhause weit weg?« Ich kann nicht glauben, dass ich das auch noch frage, aber da ich es schon mal getan habe, kann ich direkt klären, ob ich ihn kenne. »Du kommst nicht aus der Gegend?«

Er zögert und dreht sich dann mit perplexer Miene zu mir um. »›Zuhause‹ ist momentan ein bisschen zu viel gesagt, aber ich wohne nicht im Dorf. Noch nicht, zumindest.« Er ist bereits fast wieder bei seinem Wagen angelangt. Gleich wird er verschwunden sein.

»Und deine Nummer?«

»Ich erwarte wirklich keinen Dank.« Er öffnet die Wagentür, und ich habe den Eindruck, dass er mich auf die Probe stellt. Oder mich aufzieht. Dann gibt er doch noch nach. »Hat mich jedenfalls gefreut, euch beide kennenzulernen. Wenn du Kontakt aufnehmen willst, es steht alles auf dem Werbespruch.« Ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, als er winkt. Dann startet er den Motor, und weg ist er.

Ich schiebe meine Arme in die T-Shirt-Ärmel, und als ich es glatt streichen will, lese ich den Aufdruck. Mein Herz wird zu Stein.

tOgether fOrever
www.KitAshton@Love
2LoveAtelier
Covent Garden

Natürlich! Er ist aus meiner Londoner Vergangenheit, nicht von hier!

Wenn jemand nachvollziehen kann, dass man nach einigen Jahren völlig anders aussieht, dann ja wohl ich. Was mich allerdings total überrascht, ist die Tatsache, dass er so schlank wie jetzt und ohne Männerdutt absolut sexy aussieht. Darüber hinaus ist sein »Together«-Versprechen totaler Blödsinn! Er ist der Metallurg, der die Eheringe gemacht hat, die Dillon und ich nie brauchten, und wir hatten die gleichen T-Shirts in den richtigen Größen. »Für immer getrennt« hätte in unserem Fall besser gepasst.

Ich ziehe die Arme wieder aus dem T-Shirt und drehe es um, damit ich die Worte nicht lesen muss, aber dafür blicke ich diesmal auf den Schriftzug, der vor vier Jahren überall zu lesen war.

»ALL YOU NEED IS
Lo
VE«

Als ich das sehe, wird mir tatsächlich ein bisschen übel.

Während ich auf die parallelen Linien der Brandung in der blauen Bucht schaue, danke ich meinem Glücksstern dafür, dass Mr. tOgether-fOrever nur noch ein Punkt am Horizont ist. Mir wäre es extrem unangenehm, wenn irgendwer hier wüsste, dass Dillon und ich diesen Weg je beschritten haben.

Ich schniefe und stampfe mit dem Fuß auf. Am liebsten würde ich laut in den Wind schreien, weil ich Paare und Liebe bis obenhin satthabe. »Einige von uns wollen allein leben, und daran ist überhaupt nichts verkehrt!«, murmele ich stattdessen vor mich hin.

Ich eile zu Clemmie und dem Beginn meines neuen Single-Lebens in St. Aidan, von dem ich hoffe, dass es so aufregend wie möglich wird.

Aber wenn man eine Strandhütte gekauft hat, ohne sie sich vorher anzusehen, warten wohl noch eine ganze Menge weiterer Überraschungen auf einen.

2. Kapitel

Die Strandhütte, St. Aidan, Cornwall

Orange Kartons und ein Blick aus dem Weltall

Dienstag

»Woher kommt das neue Hotel nebenan?«

Es sind fast zwei Wochen vergangen, und Clemmie, Nell sowie die ganze Gang sind zu Besuch bei mir und Shadow. Nachdem sie sich die Hütte angesehen haben und alle auf der Veranda sitzen, ist das meine drängendste Frage.

Genau wie ich sehen sie über die verwitterten Schindeln draußen hinweg, die dringend einen Anstrich benötigen, auch über das ramponierte Blechdach, und bestaunen stattdessen die schöne Veranda sowie die unerwartet luftigen Innenräume.

Als ich bei meiner Ankunft den Gartenzaun hinten und die kleine Pforte mit dem Briefkasten sah, fing ich an zu weinen und hörte in den folgenden Tagen nicht auf damit. Es waren überwiegend Freudentränen über dieses wundervolle Haus, das mir in den Schoß gefallen ist. Aber die Tränen waren auch dem Schock und glücklichen Ausgang von Clemmies Zehnminutengeburt geschuldet. Selbst jemand, der mit Babys nicht viel am Hut hat, hätte dieses Erlebnis traumatisierend gefunden.

Erst seit ich hier bin, denke ich darüber nach, weshalb ich diese spontane Entscheidung getroffen habe, in das Dorf meiner Kindheit zurückzukehren, das ich vor Jahren nur zu gern verlassen habe. Es geht um viel mehr als einen Unterschlupf. Ich bin hier, weil mein Instinkt mir geraten hat, an einen sicheren Ort zu fliehen. Irgendwohin, wo es keine Komplikationen oder Herausforderungen gibt. An einen Ort, an dem ich mir die sprichwörtliche Decke über den Kopf ziehen kann und nicht gleich wieder verschwinden muss. Bisher erweist sich die Strandhütte als perfekt. Doch selbst in einem Idyll am Meer, das die Lösung all meiner Probleme zu sein scheint und wo ich bereits die Kunst perfektioniere, eine Einsiedlerin zu werden, gibt es unterschwellig Grund zur Sorge.

Mit achtzehn war ich begeistert, in eine Stadt zu ziehen, wo ich niemanden kannte, der über mich urteilte. Ich liebte die Freiheit, eine anonyme Fremde in einer Metropole zu sein. Es war aufregend. Es gab wilde neue Leute zum Feiern, jede Stunde ein neuer Club, in den ich gehen konnte. Ich hätte einen Tag, eine Woche oder ein Jahr loslaufen und trotzdem ständig neue Straßen entdecken können.

Erst als es härter wurde, fand ich Trost in den vertrauten Dingen und Umgebungen, suchte ich die bedingungslose Liebe und Unterstützung von Freunden und Familie, die ich mein Leben lang kannte. Vielleicht ist der wahre Grund, weshalb ich zurückgekehrt bin, der, dass ich nah bei den Leuten sein wollte, denen ich mich nicht erklären muss.

Für eine Frau wie mich, deren Identität die wundervolle Stadt geprägt hat, in der ich gelebt habe. Neben der Erleichterung, eine Zuflucht zu haben, ist es beängstigend, dass meine Welt jetzt zusammenschrumpft. Nun, da ich wieder an einem Ort bin, an dem man höchstens fünfzehn Minuten braucht, um zu Fuß von einem Ende ans andere zu gelangen, fürchte ich, selbst entsprechend zu schrumpfen. Nicht dass ich in meinem bisherigen Leben viel erreicht hätte, worauf ich stolz sein könnte, verglichen mit Sophie, Clemmie und der Gang. Was ich ihnen gegenüber auch nicht zugeben würde. Aber was, wenn ich komplett verschwinde, nachdem ich zurück in diesem winzigen Dorf bin?

Clemmie und ich tauschten unsere besten und schlimmsten Momente der Grasstreifen-Geburt am Telefon aus, während sie auf ihre Entlassung aus dem Krankenhaus wartete. Ich gab bewundernde Laute von mir beim Betrachten von Fotos via Messenger, auf denen Bud Baby Arnie daheim hält, und sie schickte mir auch Brownies. Ich hielt die anderen in der WhatsApp-Gruppe bei Laune mit Bildern von Shadow, wie er aus den regennassen Fenstern schaute, und sie schrieben: »Flossie May ist wieder da, juhu!« Laut Clemmie wurde der Dankeschön-Kuchen für Kit an eine Adresse in Dorset geliefert, die er genannt hat. Damit wäre das auch abgehakt.

Das Strandhaus ist zwar ein bisschen baufällig, aber dafür auch größer, als ich es mir jemals erhofft hätte, und dank seiner Lage auf einem Hang oberhalb der Flutlinie ist die Aussicht auf die St. Aidan Bay tagsüber fabelhaft, während nachts in der Ferne ein Lichterbogen zu sehen ist. Wenn der Wind vom Meer bläst, treibt er manchmal den Regen horizontal gegen die Fensterscheiben, aber der Standort des Hauses in den Dünen ist der Grund, weshalb es auch The Hideaway genannt wird. Es gibt sogar eine Stelle, an der man auf dem Weg hinter den Sanddünen den Wagen stehen lassen kann, außerdem eine kleine Kabine mit einem Außenklo.

Das Innere des Hauses besteht aus denselben weißen verwitterten Brettern, wie sie auf den Fotos zu sehen waren, die Mum mir geschickt hat. Ivy hat das Haus von oben bis unten geputzt und sogar ein paar Möbel und Sachen dagelassen. Das meiste Zeug aus meiner Wohnung in London habe ich eingelagert, und da ich nur das mitgebracht habe, was in den Wagen passte, war das Auspacken schnell erledigt. Sicher, Dillon war älter als ich, aber wenn es darum ging, protzige Sofas und Designerstücke zu kaufen, war er Lichtjahre voraus, weshalb die meisten Sachen ihm gehörten. Er und seine Kumpel wetteiferten mit ihrem harten männlichen Ego darum, wer die größten Beträge ausgeben konnte. In den meisten Bereichen unseres gemeinsamen Lebens hatte Dillon das Sagen, und ich ließ ihn gern gewähren. Aber da ich nie eine Hausfrau war, wenn es darum ging, unser Zuhause gemütlich einzurichten, habe ich hier nicht die leiseste Ahnung, wo ich anfangen soll.

Während unserer ersten Tage in St. Aidan verwandelte der andauernde Regen das Meer und den Himmel in ein dunkles Stahlgrau, und die ausgebleichten Holzböden waren übersät mit Abdrücken von Shadows nassen Pfoten. Immerhin konnten wir uns dank dem Regen an das Haus gewöhnen.

Und jetzt ist die Sonne herausgekommen, das Meer funkelt blau, und Sophie, Nell, Plum und Clemmie sind zum Tee da. Nachdem ich ihnen das Haus gezeigt habe, hoffe ich mehr über die größte Überraschung nach Arnies Geburt zu erfahren.

Ich nehme den Faden wieder auf. »Das Grundstück nebenan war eine Sanddüne, als ich mir das Strandhaus zuletzt auf Google Maps angesehen habe.«

Nell verzieht das Gesicht. »Es ist totaler Blödsinn, dass sie diese Satellitenbilder jede Stunde aktualisieren.«

Jede werdende Mutter trägt ihren Babybauch anders, und Nell sieht wohl ziemlich so aus wie immer, ihr Bauch verborgen unter einem Daunenmantel, den sie von George geborgt hat.

Plum sitzt auf den Stufen, die zur vorderen Veranda führen. Sie wirft ihren dunklen Pferdeschwanz hin und her und spielt am Träger ihrer mit Farbe bekleckerten Latzhose. »Dein neuer Nachbar ist das High Tides Serenity Spa Resort, Floss. Das ist so exklusiv, dass es sich selbst nicht einmal mit einem massentauglichen Begriff wie luxuriös beschreibt.« Ihr abschätziges Kopfschütteln ist nervtötend wie Dillons. »Die haben letztes Jahr mit dem Bau begonnen und eröffnen, während wir hier reden.«

Ich bewundere Plum, mit ihren riesigen Seelandschaftsgemälden und der Galerie, die sie in einer stillgelegten Kerzengießerei eingerichtet hat. Doch so nah wir uns früher auch gestanden haben mochten, bin ich in letzter Zeit vorsichtiger bei ihr. Auch wenn Dillon und ich uns freundschaftlich getrennt haben, ist es nur natürlich, dass sie eher auf der Seite ihres Bruders steht.

Sophie, die sich an das Holzgeländer der Veranda lehnt, wie immer ganz in Pale Aqua gekleidet, meldet sich zu Wort. »Diese italienischen Zypressen sehen vielleicht deplatziert aus, aber sie haben dieses Ende des Dorfes definitiv hübscher gemacht.«

Clemmie, mit dem schlafenden Arnie auf dem Arm in ihrem Regiestuhl sitzend, wirft ihr grinsend einen Blick zu. »Der Rasen sieht so gepflegt aus, dass ich ständig damit rechne, die Teletubbies über die Dünen kommen zu sehen.«

Für Nell haben wir einen Lehnsessel nach draußen gestellt, in dessen weichen Polstern sie sich jetzt streckt. »Bei den Preisen, die sie nehmen, werden wir Meerjungfrauen nicht so bald in deren Pool planschen!« Die vier haben ihre Clique als Kinder »die Meerjungfrauen« genannt und den Namen nie mehr abgelegt.

Clemmie wendet sich an mich. »Wie stehst du dazu, Flossie?«

Ich will mir nicht anmerken lassen, dass mein Mut sank, als ich von hier aus dabei zusah, wie die Bauarbeiter den Superluxushütten ihren letzten Schliff gaben, deshalb antworte ich gut gelaunt: »Mein Häuschen wird daneben natürlich ein bisschen schäbig aussehen, aber dagegen kann ich nichts machen. Kommt, kümmern wir uns um den Kuchen.« Als ich das Teetablett hinaustrage, rufen sie »Hübsche Tassen!« im Chor.

Ich lache und verteile die mitgebrachten Brownies. »Die Schränke sind voll davon. Es gibt keine Untertassen, Teller oder Schüsseln, also muss Mums Freundin Ivy nur Tee getrunken und sonst nichts zu sich genommen haben.« Dann füge ich hinzu: »Bei drei Giebeln und zwei überdachten Veranden werde ich bestimmt nicht meckern! Die Leute in St. Aidan streiten sich um Häuser, die nur halb so schön sind wie dieses. Ich kann mich sehr glücklich schätzen.«

»Und das zu Recht!« Sophies Bemerkung kommt eine Sekunde zu schnell.

Wie die meisten Schwestern stritten wir uns heftig als Kinder, aber als Erwachsene halten wir normalerweise zusammen. Niemand ist freundlicher und großzügiger als Sophie, außerdem arbeitet sie hart, und wir alle lassen uns von diesen babyblauen Chinos nicht täuschen – wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist sie nicht aufzuhalten. Aber irgendetwas entgeht mir hier anscheinend gerade.

»Du hast abgelehnt, bevor Mum mir das Haus angeboten hat?« Entsetzt sehe ich Sophie den Kopf schütteln. »Sie hat dir nichts davon gesagt?«

Sie schnieft. »Ist schon okay, ich habe ein Schloss mit einer Treppe bis an den Strand. Auf diese Weise bleibt es in der Familie, und du wohnst wieder die ganze Zeit hier.«

»Ich wünschte trotzdem, du hättest davon gewusst.«

Sophie drückt meine Hand. »Es war nur deshalb ein Schock, weil wir dachten, du hängst an der Stadt. Aber ein Strandhaus passt sehr gut zu dir, so lebhaft und unbeständig.«

Ich verstehe, worauf sie hinauswill. Wenn sie mir vorwerfen will, dass London in den vergangenen sechzehn Jahren für mich der Mittelpunkt des Universums war, muss ich mich schuldig bekennen. St. Aidan befand sich nie unter den Top Ten meiner liebsten Orte. Es war eher meine verzweifelte finale Rettung, nachdem alles andere nicht funktionierte.

Aber Sophie ist die letzte Person, der ich meine Probleme anvertrauen will, da sie mir sofort würde helfen wollen, und ich möchte nicht, dass sie sich verpflichtet fühlt. »Nun, da ich hier bin, lasst uns das Beste daraus machen!«

Sophies Lächeln wird herzlicher. »Es ist doch toll, wenn dein Sprecherinnen-Job dir genug einbringt, dass du dir ein solches Haus leisten kannst.«

Sophie gehört zu den wenigen Leuten, die ich mit einer solchen Bemerkung durchkommen lasse, allein schon deshalb, weil ihr Unternehmen so viel wert ist, dass sie St. Aidan mehrmals kaufen könnte. Das Geld für mein Strandhaus ist ein weiteres Thema, von dem ich ablenken möchte, und da bietet sich das neue Baby an.

»Wie dem auch sei … Shadow und ich fühlen uns sehr geehrt, dass Arnie uns bei seinem ersten Ausflug besucht.«

Clemmie grinst breit. »Als ginge ich irgendwo lieber hin, nach dem, was du für uns beide getan hast.«

Plum sieht mich an. »Na weißt du, Flossie May ist immer noch St. Aidans beliebtester Gossip. Deine Nerven aus Stahl bei einer Geburt verdrängen vielleicht deinen Ruf als Brandstifterin.«

Das bringt alle zum Lachen, und dann wird Arnie bewundert, also habe ich mein Ziel erreicht und von mir abgelenkt.

Clemmie drückt meine Hand, während ich lächelnd ihr Baby betrachte. »Sei unbesorgt, Flossie Flapjack-Face. Irgendwann wird die Zeit auch für dich kommen.«

Sie versucht, mich zu beruhigen, aber es ist schon komisch, wie weit sie danebenliegt, was meine Zukunftspläne betrifft. Ich weiß genau, wovon sie redet: für jemanden in meiner Situation. Ich kann froh sein, dass ich meine Eizellen habe einfrieren lassen.

Ganz St. Aidan weiß das, weil dieser Ort eben so ist, allerdings muss ich Plum Anerkennung zollen, wo sie es verdient hat. »Reizend, wie Dillon war, hat er mir genug Geld überlassen, dass ich mir eine Leihmutter leisten kann.«

Als wir alles aufteilten, bestand er darauf, dass ich den Löwenanteil nehme, obwohl das meiste der Ersparnisse von ihm kam. Ich habe entsprechend genug, um für ein Baby zu bezahlen, falls jemals der Zeitpunkt kommen sollte. Aber nach dem Trennungsschmerz kann ich mir gar nicht vorstellen, jemals wieder einen Partner zu wollen. Und ich habe miterlebt, wie Sophie gekämpft hat, als sie ihr erstes Baby, Milla, bekam, ungewollt schwanger als Studentin. Grund genug für mich, kein Kind allein großziehen zu wollen. Und so haben sich meine Zukunftspläne eben komplett geändert.

Arnie schnauft in seine Faust, ein entzückender Anblick, aber Sophie wendet sich ab und schaut mich an, als begriffe sie gerade etwas.

»Bitte sag mir, dass du das nicht getan hast, Flossie.« Obwohl ich keine Miene verziehe, reckt sie triumphierend die Faust. »Du hast mit Dillons Leihmuttergeld The Hideaway bezahlt, stimmt’s?«

Ich bin erschrocken darüber, dass sie so schnell dahintergekommen sind, aber irgendwie muss ich mich jetzt behaupten.

Plum legt die Stirn in Falten. »Ich will dich nicht verurteilen, Flossie, aber möglicherweise wirst du diese Entscheidung irgendwann bereuen.«

Clemmie stößt einen Klagelaut aus. »Jetzt fühle ich mich noch viel schlechter damit, dass du Arnie auf die Welt geholt hast!«

Nell schaut mich über die Wölbung ihres Bauches hinweg an. »Du hast dich entschieden, in das zu investieren, was dir momentan am wichtigsten war, Floss, und das sollten wir alle respektieren.« Sie zögert kurz und fährt dann mit erhobener Braue an Plum gewandt fort: »Und was auch immer wir davon halten, es ist ihr Geld, nicht Dillons, und sie kann damit machen, was sie will.«

Ich bin ehrlich dankbar, dass Nell das so vernünftig sieht, ganz der Blick einer Buchhalterin, während sie diesen letzten Punkt auch noch klärt.

Ich muss Nells Worte unterstreichen. »Ich habe lange genug gelitten, aber jetzt bin ich hier, und es fühlt sich richtig an.« Es ist, als hätte der Verzicht auf die Möglichkeit einer Leihmutterschaft den Druck von mir genommen, der mir überhaupt nicht richtig bewusst gewesen ist. Ich würde es nicht laut aussprechen, für den Fall, dass Sophie noch eingeschnappt ist, aber ein paar Monate Erholung hier in diesem fantastischen Haus sind genau das, was ich brauche. Doch wie schön es letztlich auch sein mag, es ist nur vorübergehend. Zu meinem Plan gehört, dass ich meine Arbeit wieder aufnehme, sobald meine Stimme zurück ist, und dafür zurück in die Stadt gehe.

Sophies Brownie liegt nach wie vor unberührt auf dem umgedrehten Orangenkarton neben ihrer Tasse. »Dir ist klar, dass es einen Haken gibt, oder?«

Ich habe keine Ahnung, weshalb sie das Gesicht verzieht, aber das darf ich mir nicht anmerken lassen.

Clemmie und Nell tauschen einen Blick, aber Sophie spricht weiter. »Das Land, auf dem diese Hütten gebaut wurden, gehört der Gemeinde, und als sie das Hotel genehmigten, wurden die Häuser an diesem Ende des Strandes zu Wohn-und-Arbeitsgebäuden umgewandelt.«

»Und das ist wichtig, weil …?«

Nell schnauft und setzt sich auf. »Man darf in diesen Häusern hier nur übernachten, wenn man auch ein Gewerbe betreibt.«

Verdammt. Ich war so damit beschäftigt zu überprüfen, ob der Gartenzaun bleiben kann, dass ich die Bedeutung des Abschnitts »Arbeiten und Wohnen« im Vertrag nicht gecheckt habe. »Kümmert das überhaupt jemanden?«

Plum sieht mich skeptisch an. »Sobald die Besucher kommen, schon.«

Sophie schüttelt den Kopf über meinen Fauxpas, wirkt dann aber gleich sanfter. »Es ist absolut kein Problem. Wir deklarieren dich einfach als Sophie-May-Außenposten, um unsere Produkte bei den Verbrauchern zu testen.« Sie legt mir den Arm um die Schultern. »St. Aidan Bay ist bekannt für ihre Westwinde, die den Teint ruinieren. Du wirst für uns am Strand recherchieren!«

Sie versucht ihr Bestes, dabei will ich gar nicht, dass sie sich verpflichtet fühlt, mir beizustehen, weil ich es vergeigt habe.

Clemmie beobachtet mich, während ich unter Sophies Arm durchschlüpfe, und als ich mich auf die Stufe neben Plum setze, treffen sich unsere Blicke.

»A Little Cornish Kitchen an dieser Seite des Strandes könnte funktionieren, wenn du dich mit Kuchen wohler fühlst als mit Kosmetik?«

Ich kann nicht glauben, dass sie mir das anbietet. »Das kann ich mir tatsächlich schon eher vorstellen.« Ich springe darauf an, weil jedes Angebot von Clemmie weniger Verpflichtungen mit sich bringen wird als eines von Sophie.

Clemmie strahlt. »Es gibt niemanden, dem ich lieber helfen würde, Floss. Ich werde dir ein paar Kreationen überlassen, und morgen siehst du wie ein Profi aus.«

Ich stutze. »Zu authentisch soll’s aber auch nicht sein!« Custard-Cream-Blondies sind eine Sache, aber echte Kunden eine ganz andere.

Sophie schnieft. »Keine Sorge, dieser Teil des Dorfes ist toter als Elvis – es gibt praktisch keine Kunden.«

Ich sehe sie lächelnd an. »Das wäre genau das Richtige für mich. Wir wissen beide, dass ich null unternehmerischen Ehrgeiz besitze und sogar noch weniger Begabung.«

Während die anderen für den Erfolg schufteten, sind berufliche Errungenschaften an mir vorbeigegangen. Für mich musste Arbeit Spaß machen, und obwohl ich bei The Circus Verantwortung trug, war ich in den Augen aller letztlich doch nur eine Kellnerin.

Nell stupst mich an. »Sag niemals nie, Florence! Du hast völlig ohne Erfahrung Arnie auf die Welt gebracht.«

Meine Hoffnungen und Träume sind zerplatzt, und ich weiß, ich sollte mein Leben in den Griff kriegen, bevor irgendwer noch weitere Knaller liefert. »Wenn du Arnie nach Hause bringen willst, ist das in Ordnung für mich, Clemmie. Wir können weiterreden, wenn ich wegen der Requisiten vorbeikomme.«

Aber Clemmie hört gar nicht richtig zu, sondern starrt hinaus zu den Dünen.

Plum tippt ihr aufs Knie. »Was ist denn so interessant, Clems? Wenn Chris Hemsworth in einem High Tides-Whirlpool liegt, behalte es bitte nicht für dich!«

Clemmie reckt den Hals. »Floss, da drüben, bei den schicken neuen Strandhütten …«

Nell reibt sich erneut den Babybauch. »Ich mag ja im neunten Monat schwanger sein, aber ich erkenne einen Hottie immer noch, wenn ich ihn sehe – nicht dass ich hier jemanden zum Objekt machen will.«

Plum steht auf, um bessere Sicht zu haben. »Chris ist unvergleichlich, aber der da ist vom gleichen Kaliber.« Sie lacht. »Irgendwer hier muss irgendwas richtig machen, denn er kommt in unsere Richtung, und er winkt!«

Clemmie klingt ganz aufgeregt. »Er ist es, Floss, oder? Das ist Kit, der den Krankenwagen gerufen hat!«

Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was er hier will, aber es passt zum allgemeinen Abwärtstrend dieses Nachmittags. Bisher war es leicht gewesen, mit Männern nichts mehr zu tun haben zu wollen, also sollte ich mich von einem Typen fernhalten, bei dem mir das schwerfällt.

Ich schaue zu Sophie und versuche, sie zu besänftigen. »Wie wäre es denn, wenn ich verspreche, dir das Vorkaufsrecht zu geben, falls ich jemals das Haus verkaufe?«

Seien wir ehrlich, ich werde nicht für immer hier sein, nur, bis ich mich erholt habe. Also geht es in Wirklichkeit nicht darum, ob ich verkaufe, sondern wann. Das weiß Sophie ebenso gut wie ich.

Ein verdächtig zufriedener Ausdruck breitet sich auf ihrem Gesicht aus. »Danke, Flossie, da fühle ich mich gleich viel besser. Damit komme ich definitiv klar.«

Diese unterschwellige Feindseligkeit schon bei der ersten Tasse Tee habe ich nicht erwartet. Da kehre ich zurück, um Unterstützung von der Familie zu erhalten, und tatsächlich hätte ich meine Boxhandschuhe einpacken sollen. Es kann natürlich daran liegen, dass sich meine Rolle verändert hat. Vorher war ich eine Besucherin. Jetzt bin ich Einwohnerin, und das Territorium ist nicht mehr dasselbe.

Und nun zur nächsten Aufgabe des Nachmittags: herausfinden, was Dr. Love2Love hier macht.

3. Kapitel

The Hideaway, St. Aidan

Glückliche Rückkehr

Dienstag

»Hat sich Ian Somerhalder aus The Vampire Diaries hierher nach St. Aidan verirrt?«

Während Plum um den Eckpfeiler der Veranda späht, um einen besseren Blick auf Kit zu bekommen, bin ich skeptisch. Aber die anderen stimmen ihr unisono zu.

Es ist nicht nur, dass dieser Typ gut gekleidet ist. Ein bisschen overdressed vielleicht in seiner Bügelfaltenhose, dem weißen Hemd und der dunklen Krawatte. Es sind vor allem sein Lächeln und seine lässige Ausstrahlung, als er auf uns zukommt. Ich hoffe, das Publikum stellt seine Quietschlaute ein, bevor er in Hörweite ist.

Es ist lächerlich, dass ich diese Anziehung verspüre, die meinen Körper wie tausend Volt durchdringt, während ich ihn dabei beobachte, wie er den Zaun entlanggeht. Er ist der Mann, der meinen Ehering gemacht hat, und zu der Zeit war er selbst verlobt; beides macht ihn für mich völlig indiskutabel.

Als er die Veranda betritt, keuche ich doch unfreiwillig laut auf. Und als ich den Duft seines Aftershaves einatme, ist es um meinen Vorsatz, die Finger von ihm zu lassen, geschehen.

Irgendwie bringe ich es fertig zu sagen: »Hey, du bist es! Wer hätte das gedacht? Leute, das ist Kit.«

Danach meldet sich gleich Clemmie zu Wort. »Kit war unser heldenhafter Helfer an der Straße, und das sind Plum, Nell und Sophie. Und natürlich Baby Arnie.« Sie schiebt das Bündel in ihren Armen zurecht, und Kit kommt näher, um einen Blick darauf zu werfen.

»Noch mal hallo, Arnie. Du bist gewachsen seit unserer letzten Begegnung.«

Männer, die mit Babys reden, sind manchmal zum Dahinschmelzen, aber diesen Typen zu beobachten, haut mich komplett um. Als er die linke Hand ausstreckt, sehe ich, dass er keinen Ehering trägt. Nicht dass ich darauf achte. Oder neugierig bin. Es könnte allerdings ganz nützlich sein, das zu wissen.

Auch wenn er bei der Geburt dabei war, sind die Möglichkeiten dessen, was man zu einem Neugeborenen sagen kann, doch begrenzt. Nachdem Kit Arnie ein Kompliment für seine süße Stupsnase gemacht hat, die ganz nach der seiner Mum kommt, tritt er zurück, und ich wappne mich, das Schlimmste herauszufinden.

»Nun, Kit, du bist zurück in St. Aidan! Ich nehme an, du wolltest dir rasch die neue Hotelanlage nebenan ansehen, auf deinem Heimweg nach Dorset?«

Kit sieht mich an und blinzelt wegen der Sonne. »High Tides?« Seine Haare sind vom Wind zerzaust, wie ich jetzt aus der Nähe erkenne, und während sein Lächeln breiter wird, bilden sich Grübchen auf seinen stoppeligen Wangen. »Ich hoffe, ich werde ein bisschen länger hier sein als beim letzten Mal.«

Sein tiefes Lachen lässt meine Brust vibrieren. Ich kann mich ehrlich nicht erinnern, wann meine Nippel zuletzt dermaßen hart geworden sind. Es muss dieser Mix aus gebändigter Wildheit sein, der ihn so unwiderstehlich macht. Ein Grund mehr, ihn aus meinem Orbit zu entfernen, und zwar schnellstmöglich.

Ich verhandle mit mir selbst und versuche, mich auf das bestmögliche Ergebnis zu konzentrieren. Dass er zum Tee bleibt, damit komme ich wohl klar. Über Nacht wäre schon schwieriger. Verzweifelt, wie ich bin, setze ich ganz auf die teuren Hotelpreise, die ihn davon abhalten werden, länger zu bleiben. Eine ganze Woche jederzeit damit zu rechnen, dass er am Horizont auftaucht, ist echt zu viel.

Mit einem breiten Lächeln fasse ich ein mittleres Schreckensszenario in Worte. »Lass mich raten – du bleibst zum Dinner?«

Erneut folgt dieses Lachen. »Rate weiter …« Er hebt eine Braue. »Tatsächlich habe ich bei High Tides für die nächsten zwei Jahre gebucht, von heute an.«

Mein Magen sackt, als stünde ich in einem Hochgeschwindigkeitslift. »Aber … aber …« Das kann nicht sein, oder?

Sophie kommt mir zu Hilfe. »Spann uns nicht auf die Folter – hast du in der Lotterie gewonnen, oder bist du einfach reich?«

Plums Augen leuchten vor Aufregung. »Moment, ich habe in der Handelskammer davon gehört! Du bist der Schmuckhandwerker, der mit dem Hotel zusammenarbeitet?«

Kit nickt. »Das bin ich! Mein Love2Love-Atelier expandiert nach Cornwall! Ich bin in den neu gebauten Strandhäusern da drüben!«

»Wenn du hierbleibst, musst du zu unseren Singles-Club-Events kommen.« Nell ist geradezu besessen vom St.-Aidans-Singles-Club, den sie selbst gegründet hat. Mittlerweile hat der Club sich zum sozialen Mittelpunkt entwickelt, und wir fragen uns schon, wie sie es schaffen will, lange genug wegzubleiben, um den Kreißsaal aufzusuchen.

Mein Mund fühlt sich an wie Schmirgelpapier, aber ich zwinge mich zu lächeln. »Herzlichen Glückwunsch, die werden wunderbare Workshops veranstalten.« Selbst wenn er sechzehn Stunden am Tag arbeitet, muss er abends nach Hause, also alles gut.

Er grinst breit. »Das Beste an diesem besonderen Deal ist, dass ich hier auch wohnen werde!«

In meinen Gedanken schlage ich mir die Fäuste an den Kopf und springe herum wie Basil Fawlty, wenn er einen Zusammenbruch hat. Irgendwie schaffe ich es, mit fröhlicher Stimme zu erwidern: »Tolle Neuigkeiten! Du und ich werden Nachbarn sein!«

»Wow!« Er schaut zum Horizont, dann wieder zu Clemmie und mir. »Für diejenigen unter euch, die das T-Shirt nicht gesehen haben – zu mir kommen verlobte Paare, mit denen ich dann gemeinsam die Ringe entwerfe und anfertige. Die ganze Geschichte wird dokumentiert, dafür sind die Sonnenuntergänge über dem Meer der Hammer!«

Mir wird langsam so übel, dass ich einen Eimer gebrauchen könnte.

»Die ultimative romantische Erfahrung, die man für alle Zeiten auf Instagram posten kann!«

Jeden Tag direkt vor meiner Nase. Ich bemühe mich, nicht allzu ironisch zu klingen, als ich zu Nell sage: »Wenn das nicht perfekt zum Singles-Club passt!«

Nell klatscht in die Hände. »Absolut, Kit! Wieso bin ich nicht gleich darauf gekommen? Wir werden ein Special Event für dich auf die Beine stellen!«

Ich hatte gehofft, Kit wäre einigermaßen entsetzt von dieser Aussicht, aber stattdessen strahlt er.

»Und was genau ist denn deine Spezialität, Florence?« Er wendet sich so rasch an mich, dass ich fast von den Stufen falle.

»Meine was?«

Er legt den Kopf schief. »Dein Job?«

Clemmie meldet sich zu Wort. »Florence wird unter dem Schirm der Little Cornish Kitchen arbeiten und ihre ganz eigene Strandhausnote einbringen.«

Das ist völlig absurd. Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht laut zu lachen. »Im Sommer wird es wohl eher ein Sonnenschirm und kein Regenschirm sein! Was ich schon mal verraten kann … Es wird um Zuckerrausch und Pudding gehen!« Keine Ahnung, wo das nun wieder herkommt, aber ich habe stets eine große Packung Mr.-Kipling-Apfeltörtchen vorrätig. Es ist ein kaum bekanntes Geheimnis, dass die auch wunderbar mit Eiscreme schmecken.

Sophie hüstelt. »Und Floss will unbedingt ein paar Singles-Club-Veranstaltungen sponsern! Ihr könntet euch zusammentun!«

»Danke für diese Idee, Soph!« Ich dachte, ich hätte sie vorhin besänftigt, aber solche Spitzen zeigen, dass sie mir noch nicht ganz verziehen hat.

Aus dem Bündel auf Clemmies Armen kommt ein Schniefen, und ich stürze quer über die Veranda hin. »Tut mir ja wirklich leid, Kit, aber wir müssen das Baby nach Hause bringen. Für den ersten Ausflug ist er schon ziemlich lange unterwegs.«

Nell erhebt sich aus ihrem Armsessel. »Sehr richtig. Na los, Clemmie!«

Eine Sekunde später sind wir alle in den Dünen unterwegs zu den Autos.

Und die Moral von dieser Geschichte lautet: Wenn ein Nachmittag schon vermurkst ist, kann es trotzdem noch schlimmer werden.

Es wird viel aufwendiger als gedacht, wenn ich hier ein ruhiges Leben führen will!

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