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The Devil's Sons 2

Als Buch hier erhältlich:

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Diese Gang sorgt für Nervenkitzel

Nachdem Avalone endlich ihren Platz bei den Devil's Sons gefunden hatte, brach alles zusammen. Gefährliche Enthüllungen sind ans Licht gekommen, und ihre gesamte Existenz wurde infrage gestellt. Die einzige Möglichkeit, die sie sieht, ist, Abstand zwischen sich und die Gang zu bringen. Denn mittlerweile vertraut Avalone niemandem mehr. Sie scheint von Feinden umgeben zu sein. Aber egal, was sie tut oder wohin sie geht, sie ist nicht allein. Ob Avalone will oder nicht, sie kann die, die sie betrogen haben, nicht verleugnen, und das wird sie schon bald verstehen ...
Einmal ein Devil, immer ein Devil. Doch zu welchem Preis?


  • Erscheinungstag: 15.04.2025
  • Aus der Serie: Devil's Sons
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 496
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745704679

Leseprobe

Chloé Wallerand

The
Devil’s
Sons 2

Zusammen leuchten wir heller

Roman

Aus dem Französischen
von Barbara Röhl

reverie

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet sich am Romanende eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler enthalten kann.

Wir wünschen euch das bestmögliche Erlebnis beim Lesen der Geschichte.

Euer Team von reverie

Für alle,
die nach ihrem Platz in der Welt suchen …

1. Kapitel

Ich werde aus dem Schlaf gerissen, als mir jemand eine Hand auf die Schulter legt, doch ich lasse die Augen geschlossen. Ich weiß, wo ich bin und was gestern passiert ist, und genau deswegen will ich mich nicht mit der Realität konfrontieren. Ich will nur noch ein paar Sekunden Ruhe haben, und dann werde ich mich dem Unbekannten stellen, der meine Träume unterbrochen hat. Träume, bevölkert von den Devil’s Sons, die mich so geliebt haben, wie ich bin. Was für eine Farce!

Aus meinen Ohrhörern dringt keine Musik mehr, und das Geräusch von Schritten im Mittelgang lässt mich die Augen aufschlagen. Mein Blick trifft den eines Mannes von ungefähr dreißig, der vor dem Doppelsitz steht, auf dem ich mich zusammengerollt habe. Seine Tattoos erinnern mich sofort an die Gang, daher werfe ich ihm einen finsteren Blick zu, als wäre er schuld an meinem Elend. Aber das ist ungerecht ihm gegenüber, und ich bekomme ein schlechtes Gewissen, als er freundlich lächelt.

Er sagt kein Wort. Wahrscheinlich glaubt er, ich könne ihn nicht hören, daher nehme ich meine Ohrhörer heraus.

»Wir machen eine Viertelstunde Pause. Ich dachte, du willst dir vielleicht die Beine vertreten.«

Wäre mein Herz nicht gerade eine offene Wunde, hätte ich seine Aufmerksamkeit zu schätzen gewusst. Ich danke ihm kurz, stehe auf und schnappe mir meine Tasche, um diesen unbequemen Bus zu verlassen.

Es ist angenehmer, die frische Luft zu atmen, als ich dachte. Eine sanfte Brise streicht über meine vom Weinen gereizten Wangen, und das schöne Wetter verjagt meine düstere Stimmung.

Trotz meiner Pfadfinderwitze bin ich nicht besonders abenteuerlustig. Es fällt mir schwer, die Uhrzeit nach der Stellung der Sonne am Himmel zu bestimmen.

Der Unbekannte tritt zu mir.

»Hast du eine Ahnung, wo wir sind?«, frage ich ihn.

»In irgendeiner gottverlassenen Ecke in Tennessee.«

Wenn Carter und Mike wüssten, dass ihre kleine Arinson-Prinzessin sich momentan allein mitten in einem anderen Staat aufhält, an Bord eines schäbigen Busses, würden sie ihre Männer schicken, und dazu noch diesen fiesen Pitt mit dem perversen Blick, um mich am Kragen zurückzuschleifen.

Ohne ein Wort lasse ich den Kerl stehen und gehe zu den Toiletten.

Ich reibe mir die Augen und stoße die Tür des Gebäudes auf und dann die einer Kabine. Sobald ich mir die Blase erleichtert habe, wasche ich mir die Hände und kann mein Spiegelbild nicht ignorieren. Ich habe tiefe bläuliche Schatten unter den Augen, blasse Haut, vom Weinen aufgequollene Augen und zerzaustes Haar.

Da ich mich kategorisch weigere, die Spuren meiner Traurigkeit auf meinem Gesicht zur Schau zu stellen, setze ich meine Tasche zu meinen Füßen ab und fasse meine Mähne zu einem Pferdeschwanz zusammen. Ich drehe den Hahn auf, schöpfe mir Wasser ins Gesicht und trage dann in der Hoffnung, dadurch besser auszusehen, eine Feuchtigkeitscreme auf.

Danach gehe ich zu einem Verkaufsautomaten und besorge mir einen Schokoriegel und etwas zu trinken. Als ich mich über den Ausgabeschacht beuge, um alles herauszuholen, entfährt mir ein Aufstöhnen. Ich bin von Kopf bis Fuß verkrampft, und mein Bauch tut weh. Dass ich zusammengekrümmt und in jedem Sinn des Wortes verdreht geschlafen habe, hat nicht gerade zur Heilung meiner Wunde beigetragen.

»Was für ein Meisterfrühstück!«

Vor mir steht der Mann, der mich geweckt hat. Sein aufgekratztes Lächeln geht mir jetzt schon auf die Nerven. Ich trete an ihm vorbei, um zum Bus zurückzugehen, aber er folgt mir auf dem Fuß.

»Du bist gleich nach dem Aufstehen nicht besonders gesprächig.«

»Und du redest zu viel.«

»Ich bin Ty.«

»Avalone.«

»Sehr erfreut, Avalone.«

Die Bustüren sind geschlossen, der Fahrer ist noch nicht zurück. Jetzt sitze ich in der Falle. Ich drehe mich zu Ty um und mustere ihn von Kopf bis Fuß, ohne an meine guten Manieren zu denken. Ironie des Schicksals: Er ist nicht nur über und über tätowiert, sondern hat auch die gleichen breiten Schultern wie sie. Er hat braunes Haar und einen Dreitagebart. Mit seinen blauen Augen sieht er mich durchdringend an, als wäre ich ein Rätsel, das er lösen muss.

»Wovor bist du auf der Flucht?«

Verblüfft über seine Frage ziehe ich die Augenbrauen hoch.

Habe ich etwas verpasst? Wie sind wir vom Austausch unserer Vornamen zu einer so persönlichen Frage gekommen?

»Vor Idioten.«

Ty lacht offen heraus, was mich sowohl entspannt als auch ärgert. Sein Lachen ist begütigend, dabei habe ich nicht die geringste Lust, mich besänftigen zu lassen. Ich habe jeden Grund auf der Welt, dem ganzen Planeten böse zu sein, und ich habe vor, das auszunutzen.

»Wenn das so ist, wird deine Flucht vielleicht lange dauern.«

»Daran zweifle ich nicht, wenn du weiter an mir klebst.«

Zu meiner großen Erleichterung taucht der Fahrer wieder auf. Ich stürze mich in den Bus und setze mich zurück auf meinen Platz. Doch meine Erleichterung währt nur kurz. Ty setzt sich direkt hinter mich.

»Wir werden uns gut amüsieren, Alone. Es stört dich doch nicht, wenn ich dich so nenne?«

Allein.

Er legt mir die Hände auf die Schultern und drückt sie leicht.

»Es wäre nett, wenn du das lassen könntest«, zische ich mit zusammengebissenen Zähnen.

Ich schiebe seine Finger weg. Daraufhin steht er von seinem Platz auf, nimmt meine Tasche vom Sitz und lässt sich neben mir nieder.

Nicht möglich; dieser Kerl ist noch dreister als die Devil’s Sons!

Mir entfährt ein aggressives Brummen, das ihm eigentlich mitteilen soll, dass seine Gesellschaft mir nicht willkommen ist, doch er wirkt, als wäre ihm das schnurzegal.

»Du faszinierst mich und machst mich neugierig.«

Er mustert mich unter seinen dichten Wimpern her, und ich drehe das Gesicht zum Fenster, um mich seinem forschenden Blick zu entziehen.

»Du bist taktlos und außerordentlich unerwünscht.«

»Warum bist du denn so in der Defensive?«

»Und wieso stellst du so viele Fragen?«, erwidere ich.

»Wie schon gesagt, ich bin neugierig.«

Ich beiße die Zähne zusammen. Er geht mir ernsthaft auf die Nerven; so hatte ich mir meine Flucht nicht vorgestellt.

»Wo kommst du her?«

»Ann Arbor«, stöhne ich.

»Bist du an der Uni Michigan?«

Ich werfe ihm einen Seitenblick zu. »Keine Ahnung, bist du vielleicht ein psychopathischer Serienkiller?«

Er lacht noch einmal; dieses Mal klingt er ehrlich, und ich ärgere mich etwas weniger. Aber stur, wie ich bin, beschließe ich, meine schlechte Laune zu konservieren und mich nicht von seiner guten Stimmung anstecken zu lassen. Ich stütze mich mit dem Ellbogen auf den Fensterrand und lege die Wange in meine Handfläche.

»Nein, keine Sorge.«

»Wenn, dann hättest du das ja wohl kaum zugegeben.«

»Wenn du mich für einen Mörder halten würdest, hättest du mir die Frage nicht gestellt.«

Ein Punkt für ihn.

»Aha, wusste ich doch, dass du dazu in der Lage bist!«, ruft er aus.

Mit dem Finger zeigt er auf meinen Mund, und ich runzle die Stirn, bevor ich merke, dass sich meine Mundwinkel zu einem leisen Lächeln verzogen haben. Offensichtlich kann ich seinem sonnigen Gemüt nicht widerstehen.

Ich ärgere mich über mich selbst und versetze ihm einen Klaps auf die Hand, sodass er den Finger einzieht.

»Ja.«

Er mustert mich, und ich schimpfe innerlich auf seine mangelnde Konzentration, die mich zwingt, mich zu erklären.

»Ja, ich bin an der Uni Michigan.«

Jetzt strahlen seine Augen vor Freude. Er streckt die Beine unter dem Sitz aus, reckt die Arme über den Kopf und wirkt geradezu idiotisch glücklich.

»Ich auch, jedenfalls früher! Die besten Jahre meines Lebens!«

»Freut mich, dass jemand die Uni bestanden hat.«

»Aha! Davor flüchtest du also, Alone!«

Ich fühle mich in die Ecke getrieben und werfe ihm einen finsteren Blick zu. »Ich laufe nicht vor der Uni davon, sondern vor den Schwachköpfen in dieser Stadt!«

Nachdenklich verzieht er den Mund und zuckt dann die Achseln. »Ich für meinen Teil gehe meinem Zwillingsbruder aus dem Weg, falls es dich interessiert.«

»Warum?«

»Und wer ist jetzt neugierig?«

Er wackelt mit den Augenbrauen, sodass sie eine Welle bilden, ein echtes Talent, muss ich zugeben. Es geht mir außerdem sehr auf die Nerven. In meiner Stimmung kann ich so etwas nicht vertragen.

Vorwitzig lege ich zwei Finger auf seine Brauen, damit er sie stillhält, verkrieche mich in meinem Sitz und ignoriere ihn.

»Meine Mutter liegt im Krankenhaus. Ich will keinen Fuß hineinsetzen, denn wenn mein Bruder mich erwischt, schlagen wir uns die Köpfe ein.«

Ich kann nicht anders, als den Kopf in seine Richtung zu drehen. Ich verstehe besser als alle anderen, welche Gefühle ein Krankenhaus auslösen kann und warum er sich weigert, sich hineinzuwagen. Doch aus seinem Tonfall schließe ich, dass seine Mutter im Sterben liegt.

»Wenn du deine Mom vor ihrem Tod nicht besuchst, wirst du es bereuen.«

»Bist du immer so offen?«, fragt er und lächelt weiter. »Ich hätte jetzt erwartet, einen Allgemeinplatz zu hören wie: ›Das mit deiner Mutter tut mir leid, sie ist sicher eine großartige Frau, die nicht verdient, was sie durchmacht.‹«

»Es spart immer Zeit, die Wahrheit zu sagen.«

Nachdenklich nickt er. Er zieht seine Hörer hervor und schiebt mir ungebeten einen ins Ohr. Zuerst will ich ihn ihm am liebsten in den Hals stopfen, aber ich muss zugeben, dass mir seine spontane Art gefällt. Hotel California von den Eagles beginnt. Schweigend lauschen wir der Musik. Ty bewegt im Takt den Kopf und singt dann den Text mit, ohne auf die Menschen zu achten, die uns umgeben. Als er laut loslegt, als stünde er unter der Dusche, sehe ich ihn aus großen Augen an.

»Ist doch egal, mach einfach mit!«

Ich reagiere mit einem kategorischen »Nein«. Er hält die Musik an, wendet sich mir zu und sieht mir ernst in die Augen.

»Avalone. Ich bin ein guter Menschenkenner. Obwohl du so ein langes Gesicht ziehst und deine Augen vom Heulen verquollen sind, glaube ich, dass du ein leicht verrücktes Mädel bist, das keine Angst hat, sich lächerlich zu machen. Wenn du also der ganzen Welt zusetzen willst, wie deine Miene es ausdrückt – was könnte es für einen besseren Anfang geben, als einem Bus voller Fahrgäste auf die Nerven zu gehen?«

Verblüfft über seine Worte und seine Argumente gebe ich keine Antwort.

Er lehnt sich auf seinem Sitz an, lässt die Musik wieder laufen und singt weiter. Ich werfe einen Blick über die Schulter und mustere die wenigen Menschen, die ihm keine Beachtung schenken.

Dann lege ich den Kopf ans Polster und beschließe, seinen Rat zu befolgen.

Ty wirft mir einen verschmitzten Blick zu und lächelt breit, dann stimme ich lauthals in Hotel California von den Eagles mit ein.

Alle drehen die Köpfe in unsere Richtung, aber das ist mir egal. Je mehr Worte an mir vorbeiziehen, umso mehr wage ich es, laut und kräftig zu singen. Das tut mir unglaublich gut, und der Druck und der Zorn lassen nach.

Ein Song folgt auf den anderen, wir wechseln amüsierte Blicke, lachen und wetteifern sogar darum, wer den nächsten Künstler aussuchen darf.

Eigentlich hatte ich vor, Trübsal zu blasen, aber der Plan ist ins Wasser gefallen. Aber dafür ergreift mich eine angenehme Leichtigkeit. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell wieder lächeln oder sogar lachen könnte, aber Ty wirkt wie ein frischer Wind, wie pure Glückseligkeit. Dank ihm denke ich nicht mehr an die Menschen, die mir wehgetan haben.

Ohne dass wir gemerkt haben, wie die Zeit verging, erreichen wir Alabama. Als der Bus anhält, wird mir klar, dass ich ohne meinen Reisegefährten wieder in meiner trüben Stimmung versinken werde. Ich hatte damit gerechnet, fern von Ann Arbor traurig zu sein. Aber nachdem ich eine Zeit lang fröhlich war, will ich das nicht mehr. Ich bin kein Mensch, der im eigenen Saft schmort.

Die Fahrgäste nehmen ihr Gepäck und steigen aus. Ty und ich gehen als Letzte, und um die Wahrheit zu sagen, fühle ich mich verloren und ein wenig verängstigt. Ich habe nicht die leiseste Idee, wo ich hingehen oder was ich tun könnte … Ich hatte noch nie Gelegenheit, auf Abenteuer auszuziehen.

»Na gut, wohin?«

Ich mustere Ty und frage mich, ob ich mir in meiner Beklemmung seine Worte eingebildet habe.

»Was? Du bist auf der Flucht, und ich auch. Außerdem, nimm mir das nicht übel – du kommst mir nicht wie jemand vor, der spontan in den erstbesten Bus springt. Du bist ganz offensichtlich neben der Spur und verängstigt. Wir sind uns nicht umsonst begegnet, also lass uns das ausnutzen.«

Ich habe ihm noch gar nicht geantwortet, als er schon die Augen aufreißt.

»Also, ich meine jetzt nicht Sex! Nicht, dass du mir nicht gefallen würdest, im Gegenteil, du bist eine tolle Frau … Aber du könntest meine kleine Schwester sein, und das ist nun wirklich nicht mein Ding.«

Ich sehe zu, wie er rot wird, und amüsiere mich köstlich über sein Gestotter. »Ich folge dir!«

Lola würde in Ohnmacht fallen, wenn sie mich hören könnte, aber ich habe einen guten Instinkt. Andererseits hat mein Instinkt mich auch dazu gebracht, den Devil’s Sons zu vertrauen. So sicher ist er offensichtlich doch nicht. Aber Ty hat in mir die Lust geweckt, diese Reise zu genießen, und ohne ihn schaffe ich das nicht.

Verblüfft zieht er die Augenbrauen hoch, doch dann setzt er einen ernsten Blick auf.

»Hat dir denn niemand beigebracht, dass man in einem fremden Staat nicht mit einem Unbekannten mitgehen darf? Ich meine, ich bin nicht gefährlich, und du hast Glück, über mich gestolpert zu sein, aber trotzdem, Alone!«

»Okay, gehen wir?«

Er nickt und findet sein Lächeln und seine Aufregung wieder. Dann schnappt er sich meine Tasche und zieht mich hinter sich her.

Dieser Kerl ist vollkommen durchgeknallt, ich liebe ihn!

Wir überqueren eine breite Straße und gehen durch belebte Gassen. Ich weiß nicht mal, in welcher Stadt ich mich befinde, was nicht besonders schlau ist. Und wenn mir etwas zustoßen würde, könnte ich nicht mal ein SOS absetzen, denn mein Akku ist leer.

»Wie alt bist du?«, fragt Ty mich neugierig.

»Neunzehn.«

»O verflixt, jetzt fühle ich mich aber alt!«

»Und du?«

»Achtundzwanzig.«

Seine betretene Miene belustigt mich noch mehr als die Zahl selbst. Da ich es gewohnt bin, mit den Devil’s Sons zusammen zu sein, die alle mindestens vier Jahre älter sind als ich, stört mich das nicht.

»Hast du Kinder?«, frage ich ihn mit harmloser Miene, nur um noch eins draufzulegen.

Seine niedergeschlagene Miene schlägt in Grauen um. An diesem Punkt lache ich in mich hinein, damit er begreift, dass ich ihn aufziehe.

»Kleine Schlange …«

Mein Lächeln verfliegt, und ich denke an den Spitznamen, den Jesse mir gegeben hat. S. Aber ich habe keine Zeit für Kummer. Ich muss mich aufs Gehen konzentrieren, um mit Tys langen Schritten mitzuhalten. Er fasst mich am Handgelenk und dirigiert mich ohne Vorrede in eine neue Richtung, bis wir schließlich durch die Tür eines kleinen, netten Hotels treten.

»Zwei Zimmer, bitte«, sagt er zu der Frau an der Rezeption.

Ich trete in die Mitte des Raums und mustere die hölzerne Einrichtung. Kein anderes Material in Sicht.

»Woher kennst du das Hotel?«

»Ich flüchte öfter vor meinen Problemen«, gibt Ty amüsiert zurück.

Ich trete an die Theke und krame in meiner Tasche nach Geld.

»O nein, das geht auf mich. Ist das erste Mal, dass ich eine Unbekannte in meine Eskapaden hineinziehe. Außerdem arbeite ich. Du bist schließlich Studentin, also brauchen wir gar nicht drüber zu reden.«

Ich schüttle den Kopf. »Das kann ich nicht annehmen.«

»Natürlich kannst du! Ich werde meine Meinung nicht ändern.«

Ich sehe ihn zögernd an, aber er streckt schon die Hand mit dem Geld aus, um unsere Schlüssel entgegenzunehmen.

Nachdem er mich nach oben geführt hat, gehen wir den Flur entlang und bleiben vor unseren Türen stehen, die nebeneinanderliegen.

»Sei in einer Stunde fertig! Dann ist Happy Hour.« Seine Augen funkeln aufgeregt, und eine Sekunde später ist er verschwunden.

Dieser Kerl würde sich wunderbar mit Lola verstehen; sie sprudeln beide geradezu vor Energie über. Wer würde den anderen wohl zuerst in die Erschöpfung treiben?

Ich nehme meine Tasche, die Ty vor meinen Füßen abgestellt hat, und trete in mein Zimmer. Es ist nicht groß, aber sehr hübsch und gepflegt. Alle Möbel bestehen aus hellem Holz, und ein Fenster geht auf die Stadt hinaus, die jetzt, am frühen Abend, im Dunkel liegt. Ich werfe meine Sachen aufs Bett und gehe duschen, wovon ich schon seit heute Morgen träume.

Als ich nackt ausgezogen bin, fällt mir meine Verletzung wieder ein. Auf dem Verband prangt ein Blutfleck, aber ich habe nichts, um ihn zu wechseln oder die Wunde zu desinfizieren. Egal, dann muss ich eben zurechtkommen, bis ich eine Apotheke finde.

Nachdem ich mich gesäubert und abgetrocknet habe, fühle ich mich schon besser und genieße den Geruch des Duschgels, von dem meine Haut duftet. Ich gehe zurück ins Zimmer und ziehe frische Sachen an. In dem Moment, in dem ich mein T-Shirt überziehe, wird meine Zimmertür aufgerissen. Ty, der sich ebenfalls frisch gemacht hat, reißt die Augen auf und mustert dann meine Verletzung.

»Verdammt! Was hast du denn angestellt?«

Mit abgehackten Bewegungen ziehe ich mein Oberteil hinunter.

»Klopfst du nie, bevor du hereinkommst?«, frage ich gereizt.

Ich habe wirklich keine Lust, jemandem zu erklären, dass ich Mitglied einer Gang war und mir eine Kugel eingefangen habe, als ich versucht habe, einen Revierkampf zu verhindern. Er würde mir ohnehin nicht glauben.

»Du hättest bloß abschließen müssen, wenn du nicht gestört werden wolltest«, gibt er zurück und zuckt die Achseln.

Er lässt sich auf mein Bett sinken.

»Also, wie hast du dich verletzt?«

»Es ist nicht schlimm.«

Er verschränkt die Arme hinter dem Kopf, wobei seine kurzen Ärmel hochrutschen. Ein Tattoo, das ich noch nicht gesehen habe, prangt auf seinem Bizeps.

Ich erstarre. Mit einem Mal ist mir heiß, und mir steigt die Galle hoch.

Die gleiche Schrift wie bei den Jungs, die gleichen dreizehn Buchstaben, die gleichen drei Wörter.

The Devil’s Sons.

Mit einem Mal passen die Puzzleteile zusammen. Jesse hatte mir von Zwillingen erzählt, die Mitglieder der Gang waren, als er eingetreten ist, genau wie Clarke. Und Ty ist einer von ihnen. Jemand, den ich nicht erkennen würde, aber Carter in Ewigkeit treu ergeben.

Wieder gerät meine Welt ins Wanken, obwohl mein Leben ohnehin schon ein Drahtseilakt ist. Der Hass, den ich gestern empfunden habe, überfällt mich von Neuem, und mir stockt das Blut in den Adern.

Ty mustert mich. Er will etwas sagen, aber ich komme ihm zuvor und werfe mit meiner Kosmetiktasche nach ihm, die ein paar Zentimeter neben seinem Kopf an die Wand knallt. Er springt vom Bett und hebt die Hände, um Unschuld zu markieren.

»Du Drecksack! Carter hat dich geschickt!«

Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung. Der Hass lodert in mir und verschlingt mich fast. Mit aller Kraft hasse ich die Devil’s Sons, meinen Patenonkel, meine Eltern und die ganze Welt. Und Ty. Ty, dem es gelungen ist, mir mitten in diesem ganzen Chaos, zu dem mein Leben geworden ist, ein Lachen zu entlocken. Ty, der mich mit seiner Lebensfreude und guten Laune angesteckt hat. Ty, von dem ich dachte, ich könnte ihm vertrauen. Aber in letzter Zeit lässt mich mein verdammter Instinkt vollkommen im Stich.

2. Kapitel

»Wer?«

»Tu doch nicht so, Carter Brown!«

Ich schnappe mir einen Schuh und werfe ihn mit voller Wucht nach ihm. Er weicht ihm mit knapper Not aus und mustert mich perplex.

Verständnislos starrt er mich an, als sprächen wir nicht dieselbe Sprache, doch schließlich kommt sein Hirn wieder in Gang. Restlose Verblüffung zeichnet sich auf seinem Gesicht ab, und mir kommen leise Zweifel.

»Du kennst Carter? Carter Brown von den Devil’s Sons?«

Dieses Mal werfe ich das Kissen aus dem Sessel nach ihm. Er bückt sich, um ihm auszuweichen, wirkt aber nicht verärgert.

»Okay, okay! Du bist an der Uni Michigan, klar weißt du, wer das ist.«

Da liegt er völlig daneben und begreift das auch, denn er runzelt die Stirn und richtet sich auf.

»Moment mal … Wie kommst du darauf, er hätte mich geschickt?«

Er mustert mich von Kopf bis Fuß, als könnte er ein Zeichen an meinem Körper finden, und ich bin genauso verwirrt wie er. Kein Zweifel, er ist einer der Zwillinge von den Devil’s Sons.

Aber wenn Carter ihn nicht beauftragt hat, mir zu folgen, was macht er dann hier?

»Du trägst unten am Hals ein Tattoo von einem Vegvisir 1 «, stelle ich fest. »Du bist Heide.«

Wir mustern einander, wobei wir einen Sicherheitsabstand wahren für den Fall, dass der andere gefährlich sein könnte.

»Du bist auch Heidin, da du das Symbol erkennst, obwohl drei Viertel davon von meinem T-Shirt bedeckt sind.«

Der Ty mit dem ansteckenden Lächeln kommt mir plötzlich mit seiner Größe, seinen breiten Schultern und seinem Blick bedrohlich vor. Er strahlt nichts Wohlwollendes mehr aus, sondern ist mit einem Mal ein anderer Mensch; etwas, worauf sich die Devil’s Sons verstehen.

»Carter hat dich nicht geschickt«, konstatiere ich.

Wenn, dann würde er mir nicht misstrauen. Jetzt weiß er, dass ich den Gangchef kenne und vor ihm auf der Flucht bin. Und er glaubt, ich hätte mich mit der Gang überworfen.

»Ich gehöre nicht mehr zu den Devil’s Sons. Und von Carter habe ich seit fast fünf Jahren nichts mehr gehört.«

Die Nornen 2 machen sich ganz gewaltig über mich lustig. Kaum bin ich die Gang los, schicken sie mir ein ehemaliges Mitglied über den Weg.

»Jetzt musst du mir aber erklären, wer du bist und warum du vor dem Boss auf der Flucht bist.«

Er gehört nicht mehr zu ihnen, und trotzdem macht er sich Sorgen, ich könnte ihnen schaden. Dabei sind sie es, die mich verletzt haben. Mich, die ich nur versucht habe, ihnen zu helfen.

Abgesehen davon ist es ein Trost, dass Ty nicht von Carter geschickt worden ist. Ich hätte es nicht ertragen, zum x-ten Mal hinters Licht geführt zu werden.

Ich schütte mich vor Lachen aus, weil ich diese ganze Geschichte leid bin, was den ehemaligen Kriminellen wenigstens entspannt. Ich lasse mich in den Sessel sinken und bin bereit, ihm alles zu beichten.

»Zusammengefasst …«

»Nein«, unterbricht er mich. Mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen setzt er sich wieder aufs Bett. »Ich will die ausführliche Version. Ich habe so ein Gefühl, das könnte sehr interessant werden.«

Dieser Ty, der seine Leichtigkeit wiedergefunden hat, ist mir lieber. Bei allen Göttern, man muss zugeben, dass dieser Kerl ganz schön bedrohlich wirken kann.

»Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, mein Vater sei vor meiner Geburt gestorben.«

Nachdem ich ihm von der symbiotischen Beziehung zwischen meiner Mutter und mir und von meiner Krankheit erzählt habe, schildere ich ihm meine Begegnung mit den Devil’s Sons und wie es dazu kam, dass ich mich mit ihnen zusammengetan habe. Anschließend berichte ich ihm davon, wie Carter mich erpresst hat, diese Falschaussage zu machen, und von all den Ereignissen, die darauf gefolgt sind, guten wie schlechten. Ty lacht, wenn ich lache, und sein Lächeln verfliegt, wenn mir meines vergeht. Er spiegelt mein Mienenspiel perfekt, und ich bin mir sicher, dass er mich versteht.

»Wusstest du, dass Carter und Mike Arinson Brüder sind? Ich nämlich nicht. Bis zu den Verhandlungen.«

»Nimmst du mich auf den Arm?«

Dieser Mann ist übermäßig sensibel. Ein halbes Dutzend Emotionen überkommen ihn gleichzeitig; so viele, dass ich sie am Ende nicht mehr unterscheiden kann. Ich habe den Eindruck, dass die ehemaligen Mitglieder über diesen Umstand nicht Bescheid wissen. Carter muss nur die eingeweiht haben, die eine Rolle bei meiner Rückkehr spielen sollten, und nicht geahnt haben, dass Ty dazugehören würde.

Ich erzähle ihm von der Entwicklung der Verhandlungen und davon, wie ich mir die Kugel eingefangen habe. Er pfeift durch die Zähne, als erinnerte er sich daran, wie eine Schusswunde schmerzt.

Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass ich auf meiner Flucht über einen ehemaligen Devil’s Son stolpern würde, der genau der Gang angehört hat, vor der ich fliehe?

Ich fahre mit den – zur Hälfte falschen – Enthüllungen Carters bezüglich der BloodBros fort, und meinem Reisegefährten fällt alles aus dem Gesicht. Er kennt den legendären Namen dieser mächtigsten Gang Amerikas, und die Vorstellung, dass der Boss auf die eine oder andere Art mit ihr zu tun hatte, lässt ihn sichtlich blass werden.

»Nach Mikes Betrug haben die BloodBros als Vergeltung den Tod des ersten Kindes verlangt, das einem Arinson geboren würde. Seine schwangere Frau ist überstürzt geflohen, und ein Autounfall hat sie und ihr ungeborenes Kind das Leben gekostet. Das ist jedenfalls das, was Carter mir vorgemacht hat.«

Ich hole tief Luft, und dann gestehe ich ihm mit schwerem Herzen die furchtbare Entdeckung, die ich gestern gemacht habe.

»Aber das Kind ist nicht mit seiner Mutter gestorben, es war sogar schon auf der Welt. Carter und Mike haben vor allen so getan, als wäre es tot.«

Einige Sekunden vergehen unter Schweigen, während Ty diese Information verdaut. Dann richtet er sich langsam und mit weit aufgerissenen Augen wieder auf.

»Warte mal …«, flüstert er.

Er mustert all meine Gesichtszüge und schluckt mühsam.

Ich nicke, um seine Vermutung zu bestätigen. »Ich bin Avalone Arinson. Alles, was ich je für wahr gehalten habe, war nur eine Lüge. Alle wussten Bescheid, aber niemand hat es für nötig gehalten, mir zu verraten, wer ich bin. Für die Devil’s Sons war ich nur ein Auftrag: die Arinson-Tochter zu beschützen und nach Hause zu holen.«

Ty ist so schockiert, dass ihm die Kinnlade herunterklappt. Er beginnt, etwas zu sagen, überlegt es sich dann aber anders. Das setzt er ein Weilchen fort, und dann springt er auf.

Zwei Emotionen beherrschen ihn.

Unglaube.

Verblüffung.

»Himmelherrgott, verflucht noch mal!«

Er fährt sich mit den Händen durchs Haar, rauft sie sich und dreht sich einmal um seine Achse. Er reißt den Mund auf und platzt schließlich vor Lachen heraus.

»Bei Hlidskjálf 3 , was für ein irres Zeug! Ich stolpere über ein Devil-Mädchen, das Mikes Tochter und die Nichte des Chefs ist …«

Er wedelt mit den Armen und setzt sich in Bewegung, um im Zimmer auf und ab zu gehen. Er scheint nach Hinweisen zu suchen, die Carter ihm gegeben haben könnte, die er aber offensichtlich verpasst hat.

»Verdammt, verdammt, verdammt …«

Mir wird ganz schwindlig davon, wie er in dem Raum auf und ab läuft. Den Göttern sei Dank bleibt er mir gegenüber stehen. Etwas Beschützerisches liegt in seinem Blick.

»Ich liebe Carter und die Devil’s Sons, aber ihre Methoden sind fragwürdig. Du hattest recht, in diesen Bus zu steigen. Wenn man nicht mehr auf einer Wellenlänge mit einer Stadt und allem, was sich dort befindet, ist, gibt es nichts Besseres, als sich zu verdrücken. Also, mein Vorschlag: Wir bleiben so lange hier, wie du willst, und dann bringe ich dich zurück nach Michigan, wenn du dich bereit dazu fühlst.«

Falls ich noch gezweifelt hatte, ob ich ihm meine Sicherheit anvertrauen kann, ist das jetzt geklärt. Ein ehemaliger Devil’s Son würde sich nie gegen mich stellen. Außerdem wirkt Ty wie Balsam auf mein Herz.

»Unter zwei Bedingungen. Erstens wirst du keinen Kontakt zur Gang aufnehmen, um ihnen mitzuteilen, dass ich mit dir zusammen bin. Und zweitens, rede nicht mit mir davon, dass ich nach Michigan zurückkehren soll. Ich möchte meine Zeit genießen und nicht an ein Ablaufdatum denken.«

»Abgemacht!«

Wir strahlen einander an. Ty streckt mir seine Hand entgegen, und ich drücke sie, um unser Abkommen zu besiegeln.

»Oh … Du solltest dein Handy ausschalten, wenn du nicht willst, dass Carter dich findet.«

Ich schütte mich vor Lachen aus, doch der ernste Blick meines Begleiters nimmt mir jede Lust zum Scherzen.

»Das ist mein Ernst. Vielleicht sind die Devil’s Sons ja schon unterwegs.«

Entnervt schüttle ich schließlich den Kopf. »Mein Akku ist heute Nacht leer geworden.«

»Perfekt! Dann verbringen wir einen wunderbaren Abend, während die Jungs auf der Suche nach dir Ann Arbor auf den Kopf stellen.«

Ich verziehe die Lippen zu einem rachsüchtigen Lächeln.

Ich liebe die Jungs, das kann ich nicht abstreiten. An ihrer Seite habe ich mich trotz unserer Streitereien immer ruhig und sicher gefühlt. Unsere Freundschaft hatte immer etwas Symbiotisches, als wäre ich geboren, um mit ihnen zusammen zu sein. Genau deswegen hat mich ihr Verrat ja so getroffen. Momentan habe ich das Bedürfnis, ihnen das Leben schwer zu machen.

Ganz aufgeregt schnappe ich mir meine Jacke, und dann verlassen Ty und ich das Hotel.

Mitten auf der Straße bleibt er stehen und wendet sich mir mit verlegener Miene zu. Er lacht nervös auf. »Verzeih mir mein Verhalten, als ich begriffen habe, dass Carter nach dir sucht. Ich weiß, dass er trotz seiner schlechten Manieren kein Ungeheuer ist. Da du vor ihm auf der Flucht bist, erschien es mir offensichtlich, dass du gegen sie bist. Einmal Devil, immer Devil, verstehst du?«

Ich wische seine Entschuldigungen mit einer Handbewegung weg. Seine Reaktion hat mich nicht verletzt, im Gegenteil. Seit ich die Gangmitglieder kenne, finde ich diese Bande zwischen ihnen wundervoll. Sie sind eine Familie und bleiben es, auch noch Jahre später.

Untergehakt gehen wir weiter, und ich höre zu, wie er mir von seinen diversen Roadtrips erzählt.

»Weißt du, was ich daran liebe, einfach meinen Rucksack zu nehmen und zum Bahnhof zu gehen? Man denkt an nichts, und man hat nur eine Sekunde Zeit, sich für ein Ziel zu entscheiden, bevor man seine Fahrkarte in die Hand gedrückt bekommt. Eine einzige Sekunde, und man ist unterwegs. Man hat nicht die blasseste Ahnung, wo man schlafen wird, wer einem begegnen oder was man essen wird. Man denkt nicht mehr an seine Pflichten und seine Probleme, und man erschafft sich unvergessliche Erinnerungen.«

Ich denke an meine Fahrt zum Busbahnhof von Ann Arbor zurück und lächle. In diesem Moment hatte ich keine Ahnung, was mich erwartete. Die Nornen oder die Götter haben definitiv ein boshaftes Vergnügen daran, mich auf emotionale Achterbahnen zu schicken. Aber Ty hat recht. Dieses Fehlen eines geregelten Ablaufs wirkt befreiend.

»Wie oft bist du schon so spontan auf Reisen gegangen?«

»Das ist jetzt das sechzehnte Mal.«

Ich reiße die Augen auf, und der ehemalige Devil lacht.

»Ich habe dir ja erzählt, dass ich oft vor meinen Problemen flüchte.«

»In welchen Staaten warst du schon?«

»Hmm, mal sehen … Zweimal in South Dakota. Das Gleiche gilt für Nevada, Massachusetts und Arizona. In Alabama bin ich zum dritten Mal. Ansonsten war ich schon in Texas, Kansas, Georgia, North Carolina und Vermont.«

Ich bin wie vor den Kopf geschlagen und schlichtweg neidisch. Für mich ist das hier eine Premiere. Bevor ich zur Uni gegangen bin, war ich noch nie aus Madison herausgekommen.

»In South Dakota, Nevada und Arizona hat es mir besonders gut gefallen. Ganz etwas anderes.«

Ich habe immer davon geträumt, nach Dakota zu kommen. Einmal, als Kind, hat meine Mutter sich den Spaß gemacht, mein Zimmer mit Dutzenden Postern dieses Staats zu schmücken, als ich aus dem Krankenhaus heimkam. Wochenlang haben wir getan, als wären wir dort. Ich weiß noch, dass ich gelacht habe, bis mir der Bauch wehtat.

Eines Tages werden die Nornen, die an unserem Unglück schuld sind, entmachtet und durch neue, wohlwollende ersetzt werden. Wir werden Dakota besuchen, das verspreche ich dir, Avalone, hatte sie mir, den Blick auf den Wilden Westen der Vereinigten Staaten gerichtet, gelobt. Heute begreife ich, dass die missgünstigen Nornen nur die BloodBros waren, die mein Vater sich zum Feind gemacht hatte.

Wir schlendern durch die belebten Straßen der Stadt, und dann bleibt Ty vor der geschlossenen Ladenfront eines Supermarkts stehen. Ich kann meine Verblüffung nicht verbergen, als er einfach die Tür öffnet und mich, obwohl ich protestieren will, in das düstere Innere zieht, das mir vorkommt wie ein langer Flur ohne Ende. Dann führt er mich durch das Dunkel zu einem kleinen Licht, das immer heller wird, je länger wir darauf zugehen. Wir biegen nach rechts ab, in einem Winkel, der nicht ahnen lässt, dass hier ein Durchgang ist. Doch dann werde ich derart geblendet, dass ich die Augen schließen und stehen bleiben muss. Ty verhält neben mir und lässt mir Zeit, bis meine Augen sich angepasst haben. Als ich wieder klar sehen kann, glaube ich zu träumen.

Ein großer Saal voller Menschen wird von Sängern und Jazzmusikern unterhalten, die auf einer kleinen Bühne spielen. Tänzer, die wie in den 1950ern gekleidet sind, bewegen sich im Rhythmus auf der Theke oder um die Tische herum. Sie reißen die Gäste in einem Boogie-Woogie mit, der praktisch eine Zeitreise ist. Alles besteht nur aus Farben, Gelächter und Feierstimmung, und niemand bleibt außen vor.

»Beeindruckend, nicht wahr?«

Langsam und staunend nicke ich.

Diese Bar scheint der Fantasie oder einem guten alten Film entsprungen zu sein, aber ganz bestimmt nicht der Realität. Wie ist es möglich, dass sie noch so unverändert existiert? Wie kann es sein, dass jede einzelne Person solche Lebensfreude ausstrahlt? Kein Schluckspecht, der an der Bar schläft, kein Mann, der kurz davorsteht, einen anderen zu schlagen. Eine so gesellige Stimmung habe ich noch nirgendwo anders erlebt. Ungezwungenheit und Lächeln erhellen den Saal, Partner werden gewechselt, und heiteres Gelächter klingt ins Ohr. Respekt und Wohlwollen untereinander sind fühlbar, und das erstaunt mich wahrscheinlich am stärksten.

»Das ist fantastisch«, flüstere ich.

Ty verzieht verständnisvoll das Gesicht und stürzt sich dann ins Getümmel. Wir schlendern zwischen den Tanzenden hindurch, von denen einige uns im Eifer des Gefechts anrempeln, um sich dann überschwänglich zu entschuldigen und weiterzutanzen. Jede Frau, deren Blick meinen trifft, lächelt – sie wirken alle warmherzig –, und kein Mann regt sich auf, wenn ich ihm auf die Füße trete.

Der ehemalige Devil’s Son führt uns an die Bar, und als er den alten Herrn hinter der Theke sieht, hellt sich seine Miene auf.

»Ty! Es ist eine Ewigkeit her! Du hast gerade noch gefehlt, um die Hütte zum Wackeln zu bringen!«

»Gary! Freut mich so, dich wiederzusehen!«

Mein Freund springt über das lackierte Holz und zieht ihn in die Arme. Dieser liebevolle Austausch entlockt mir ein Lächeln. Ty unterscheidet sich so von den anderen Devil’s Sons. Er hält nie mit seinen Gefühlen hinter dem Berg, und zusammen mit ihm erscheint alles einfach, als ob alle Beziehungen selbstverständlich wären.

»Das ist Avalone, eine Freundin.«

Gary schaut mich an und zieht, an das ehemalige Gangmitglied gerichtet, die Augenbrauen hoch. »Eine Freundin oder deine Freundin?«

Ty zwinkert mir amüsiert zu. »Eine Freundin. Sie steht unter meinem Schutz.«

Der Mann hebt die Klappe, die in die Theke eingelassen ist, tritt hindurch und umarmt mich herzlich. »Da Ty selbst mein Schützling ist, stehst du auch unter meinem Schutz. Heute Abend sind alle Getränke für euch frei!«

Mein Reisegefährte zieht mich schon zur Tanzfläche. »Ich hatte nicht weniger von dir erwartet, Alter!«, ruft er zu Gary zurück.

»Ich kann es mir immer noch anders überlegen und dich vor die Tür setzen, Idiot!«

Ty bricht in lautes Gelächter aus, während ich mich verstohlen vor Lachen ausschütte. Er mag ja anders als die Devil’s Sons sein, die ich kenne, aber ihre legendäre Dreistigkeit besitzt er ebenfalls.

Wir schlängeln uns zwischen den Tanzenden hindurch und bleiben einander gegenüber stehen.

»Kannst du Boogie-Woogie tanzen?«

»Absolut nicht«, gestehe ich.

Er zuckt die Achseln und mustert die Bewegungen der Profis um uns herum, ehe er wenig überzeugt die Lippen verzieht.

»Ich auch nicht. Dann improvisieren wir eben.«

Er nimmt meine Hand, und schon drehe ich mich schnell um meine Achse. Obwohl wir versuchen, die Drehung unauffällig zu bremsen, pralle ich gegen ihn.

So gut, wie wir können, ahmen wir die Tanzfiguren der anderen nach. Ich hüpfe und mache kleine, schnelle Schritte vor und zurück, und dann nach rechts und links. Das Ergebnis ist katastrophal, aber wir schütten uns darüber vor Lachen aus. Ty und ich sind solche Nieten, dass wir mit einem anderen Paar zusammenstoßen, bei dem wir uns entschuldigen, ohne Luft zu kriegen. Die Opfer unserer Talentlosigkeit amüsieren sich über uns und bringen uns schließlich richtige Tanzschritte bei.

Wir bleiben eine Weile gut gelaunt mit ihnen zusammen. Die bezaubernden Stimmen der Jazzsänger und die magischen Finger der Musiker lassen Tanznummern an uns vorbeiziehen.

»Ich gebe auf«, meint die Frau kichernd, als Ty und ich die Füße miteinander verknoten und beinahe hinfallen. »Ihr seid ein wundervolles Paar, aber sichtlich nicht für den Boogie-Woogie geschaffen.«

Wir lachen gutmütig und finden unsere Balance wieder. Mein neuer Freund dankt ihnen, ich winke, und wir verdrücken uns halb verdurstet an die Bar.

»Was trinken denn unsere beiden besten Tänzer?«, fragt Gary uns fröhlich.

Die anderen Gäste an der Bar lachen sich über die Bemerkung des Wirts krumm; ein Zeichen dafür, dass wir nicht unbemerkt geblieben sind und alle sich über dieses Desaster amüsiert haben.

»Einen Coco Hard Still und das Gleiche noch mal ohne Alkohol«, bestellt Ty bei ihm.

Er versichert mir, dass mir das schmecken wird, doch was mir auffällt, ist seine Aufmerksamkeit: Er hat mir ein Getränk ohne Alkohol bestellt. Für viele mag das belanglos erscheinen, aber für mich zählt das. Wenn man jemanden in meiner Lage kennenlernt und selbst nicht krank ist, denkt man selten an die Einschränkungen des anderen.

Nach einigen Minuten, in denen die Getränke zubereitet werden, bekommen wir unsere Gläser und stoßen an.

»Auf unsere zufällige Begegnung, aus der sich, das spüre ich, etwas Wunderbares entwickeln wird!«

Ty zaust mir zärtlich das Haar, und ich nehme glücklich den Strohhalm zwischen die Lippen und trinke einen Schluck.

»Köstlich!«

»Wusste ich es doch!«, ruft er, stolz auf sich, aus. »Aber … da du keinen Alkohol trinken kannst, habe ich etwas für dich.«

Er greift in die Tasche seiner Jeans und zieht einen Joint hervor, den er triumphierend hochhält.

»Ich darf nicht …«

»Da ist kein Tabak drin, und er ist hundert Prozent bio!«

Ich schnappe mir den Joint und springe von meinem Barhocker. Mein Reisegefährte nimmt sein Getränk, und dann verlassen wir den Saal, wobei wir zum Takt der Musik mitwippen.

Ich habe mein emotionales Gepäck am Busbahnhof zurückgelassen, was nicht möglich gewesen wäre, hätte ich Ty nicht getroffen. Ohne ihn würde ich mich in meinem Hotelzimmer im Bett verkriechen und meinen Hass auf die Devil’s Sons pflegen. Das Sprichwort sagt: »Wenn sich eine Tür schließt, öffnen sich zehn andere«, aber in meinem Fall gilt das Gegenteil. Ich war noch nie ein Fan eines wildbewegten sozialen Lebens.

Draußen finden wir uns in der realen Welt wieder. Die Musik dringt nicht mehr zu uns, und die Ruhe kommt mir merkwürdig vor.

Ty setzt sich auf die Treppe vor einem Hauseingang und klopft auf den Platz neben sich.

»Hast du vor, diesen idiotischen Devils zu verzeihen?«

Seufzend lasse ich mich nieder. Ich finde keine Worte; das liegt alles erst so kurz zurück, dass ich nicht über die Zukunft nachdenken kann.

»Es war falsch von ihnen, die Wahrheit vor dir zu verbergen; sie haben es verdient, dass du wütend auf sie bist. Du hast das Recht, sie abzuhaken, aber du musst wissen, dass Carters Befehle unumstößlich sind. Wenn man sie nicht befolgt, ist das so gefährlich, als würde man sich selbst in den Fuß schießen. Ganz ehrlich, ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich mich an ihrer Stelle verhalten hätte.«

»Ich weiß«, räume ich ein. »Das ist mir bewusst. Es ist bloß einfacher, ihnen böse zu sein, weil sie die Wahrheit vor mir versteckt haben, als dafür, dass sie nicht so für mich empfinden wie ich für sie.«

»Aha, das ist also der Grund.«

Ty reicht mir ein Feuerzeug, und jetzt steht mein Bedürfnis, die Kontrolle zu behalten, meinem Wunsch entgegen, die ganze Welt zum Teufel zu schicken. Ersteres setzt sich durch, und ich verzichte. Schließlich habe ich keine Macht über mein krankes Herz, und mein Leben hat gerade eine nie da gewesene Wendung genommen. Wenn ich keinen klaren Kopf behalte, was bleibt mir dann noch?

»Es ist nicht meine Aufgabe, dich davon zu überzeugen, dass sie dich lieben, den Beweis müssen sie selbst liefern. Aber ich will dir meine Meinung sagen. Carter hat ihnen befohlen, dich zu beschützen und dich zurückzuholen. Nicht, dich zu schätzen. Ich kenne Sean, Jesse und Clarke. Sie sind gar nicht in der Lage, so zu tun, als liebten sie jemanden, und das weißt du genau, weil du sie auch kennst. Also ja, zu Anfang warst du für sie nur ein Auftrag. Aber das heißt nicht, dass alles, was ihr zusammen erlebt habt, nicht ehrlich war. Das eine schließt das andere nicht aus.«

Ich würde ihm gern glauben; die Sache ist nur, dass ich Angst davor habe, noch mehr zu leiden. Ich kann nur daran denken, mich zu schützen.

»Mein ganzes Leben ist infrage gestellt, und ich weiß nicht mehr, an wen oder was ich glauben soll.«

»Verdammt, Alone, du bist ja noch sturer als Sean!«

Ich platze vor Lachen heraus und versichere ihm, dass kein Mensch auf der Welt dickköpfiger ist als er. Darauf folgt eine Debatte, die ich gewinne, indem ich ihm von der Gelegenheit erzähle, bei der Tucker Sean manipuliert hat, um ihn so weit zu reizen, dass daraus ein epischer Blödsinn entstand. Ersterer versicherte, dass sich bei einer perfekten Kollision von zwei Kugeln aus einer Schusswaffe beide auflösen würden. Der andere vertrat die Hypothese, dass die beiden Patronen sich bei ihrem Aufprall abflachen würden. Um Sean auf die Palme zu bringen, haben die Jungs Tucker recht gegeben.

»Seid ihr verrückt oder was? Sie lösen sich nicht auf!«

Was haben wir über seine Wut gelacht! Er hat keine Sekunde lang geahnt, dass wir ihn auf den Arm genommen haben und eigentlich seiner Meinung waren. Dabei war das doch offensichtlich!

Die Jungs haben weiter auf seine Kosten gelacht, bis Sean aus der Haut gefahren ist. Verboten stur und in dem Bestreben, allen zu beweisen, dass er recht hatte, hat er sich zwei Revolver geholt. Niemand dachte, dass er das Experiment wirklich durchziehen würde. Doch er hat sie auf einen Tisch im Garten gelegt, Lauf gegen Lauf. Wir haben aufgehört zu lachen und ihn gewarnt, das könne gefährlich werden, aber er war wie besessen.

Er hat sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Kolben der Schießeisen gestützt, damit sie sich nicht bewegten, und hätte gleichzeitig abgedrückt, hätten die Devil’s Sons ihn nicht rechtzeitig festgehalten und auf ihn eingebrüllt, er werde sich beide Arme wegschießen, wenn er das durchziehen würde.

»Glaub an dein Herz, Avalone. Irren ist menschlich und sogar göttlich. Doch die Vergebung hat deutlich mehr Gewicht. Lass dich nicht von deinem Zorn daran hindern, ihre Entschuldigung anzunehmen. Und außerdem, wenn Rache befriedigender ist als Verzeihung, kannst du immer noch die eine stillen und die andere später gewähren. In einen anderen Staat abzuhauen, ohne dich zu melden, ist doch eine gute Rache, findest du nicht?«

Ich sehe zu ihm auf und begegne seinem strahlenden Lächeln.

»Du wärst ein sehr guter Psychotherapeut, weißt du das?«

»Hat man mir schon oft gesagt.«

Ich denke über seine Worte nach, doch nichts an dieser Geschichte ist einfach.

»Ist nicht so wichtig, ob sie mich wirklich lieben. Carter ist ihr Boss und wird immer vorgehen. Er wird ihnen neue Befehle bezüglich meiner Person geben, und sie werden sie befolgen, auch wenn mir dabei Unrecht geschieht. Eine solche Freundschaft kann ich nicht akzeptieren.«

Als Ty etwas erwidern will, schneide ich ihm das Wort ab.

»Sag bloß nichts, was meine Sicht der Dinge ändern könnte. Ich muss wütend sein, um nicht traurig zu werden.«

Er nickt und akzeptiert meine Entscheidung. Er scheint mich sogar zu verstehen, und das tut mir unwahrscheinlich gut.

»Was genau hat deine Mom eigentlich?«

»Eine degenerative Erkrankung. Wir wissen seit einigen Monaten, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis … Ich war darauf vorbereitet. Jedenfalls dachte ich das. Aber man ist nie bereit, Abschied von jemandem zu nehmen, den man liebt.«

Ich lege die Hand auf seine und fühle mit ihm. Meinen Vater habe ich nie gekannt, da habe ich keinen Grund zum Trauern. Also kann ich nicht nachvollziehen, was Ty empfindet. Aber ich kann ihn unterstützen, und das habe ich vor. Mein Herz und meine Seele sind mit der Familie der Devil’s Sons verbunden, also werden die Zwillinge nicht allein sein. Ich gelobe mir, an ihrer Seite zu sein, so wie Ty an meiner ist.

»Wie viel Zeit hat sie noch?«

Er fixiert einen unsichtbaren Punkt, und zum ersten Mal, seit wir uns kennen, klingt seine Stimme schwach, als er antwortet. »Das weiß niemand genau. Ein paar Wochen.«

Ich hatte ja nicht geahnt, dass das Ende so nah war. Ty strahlt eine solche Lebensfreude aus; er lächelt immer und bringt alle Menschen, die seinen Weg kreuzen, zum Lachen, und dabei ist er innerlich zerbrochen, und die Frau, die ihn zur Welt gebracht hat, wird viel zu früh sterben.

»Ty …«

»Ich weiß, was du mir sagen willst«, unterbricht er mich, »und du hast recht. Aber sprich es nicht aus. Ich muss durchatmen und an etwas anderes denken können.«

Verständnisvoll wahre ich mein Schweigen. Ich mustere den Joint in meiner Hand und zögere, ihn ihm zu reichen.

Nein, er leidet schon genug. Vielleicht wird ihn das entspannen, aber letztendlich wird dieses Dreckszeug ihm eher schaden als nützen.

Nach und nach verjagen sein Lächeln und sein sonniges Gemüt die kleine Wolke, die über seinem Kopf geschwebt hat.

»Was hast du eigentlich nach den Devil’s Sons und der Uni gemacht?«

»Ich bin nach Charleston, Virginia, gezogen. Mit Alec, meinem Bruder. Ich war Manager in mehreren großen Läden, aber das hat mir alles nicht gepasst. Also habe ich jedes Mal, wenn ich diesen unwiderstehlichen Drang spürte, das Weite zu suchen, den Staat verlassen.« Er lacht über seinen Werdegang. »Ich bleibe also nie lange in einem Job. Ich finde Arbeit, aber wenn ich tagelang nicht aufkreuze, werde ich immer gefeuert, und dann suche ich mir eine neue, wenn ich von meinen Roadtrips zurück bin.«

»Du musst einen interessanten Lebenslauf haben!«

Wir schütten uns vor Lachen aus, und dann legt Ty mir einen Arm um die Schultern und zieht mich verschwörerisch an sich.

»Meine Mutter ist eine sehr gute Freundin von Carter, obwohl wir die beiden noch nie zusammen gesehen haben, was zugegeben komisch ist. Damals hat sie viel gearbeitet, sie hat den Boss gebeten, auf uns aufzupassen, und nach und nach sind wir dann ein Teil der Devils geworden.«

»Und das hat sie Carter nicht übel genommen?«, frage ich verblüfft.

Meine fassungslose Miene amüsiert ihn.

»Nein. Sie hat ihm immer blind vertraut. Sie hat felsenfest geglaubt, dass uns bei ihm nichts Schlimmes passieren kann. Woher dieser Glaube kam? Das haben wir nie erfahren, aber er hat ganz bestimmt einen Grund.«

Ich schweige nachdenklich. Noch ein ungelöstes Rätsel. Die Liste wird für meinen Geschmack inzwischen zu lang, andererseits kann ich nicht behaupten, mich zu langweilen.

»Einmal Devils, immer Devils. Das finde ich sehr schön«, murmle ich.

Er verzieht den Mund zu einem nostalgischen Lächeln. Ich stelle mir vor, wie er die Jacke trägt, eine Harley fährt und hinten im Bund seiner Jeans eine Knarre stecken hat. Genau das habe ich übrigens im ersten Moment, in dem ich ihn gesehen habe, gedacht. Er wirkt wie der typische Devil’s Son.

»Das ist unser Credo. Aber hast du irgendwann mal gehört, wie die Jungs das ausgesprochen haben?!«

Ich verneine.

»Das ist vielleicht sogar gut so.«

»Wieso?«

»Sagen wir mal, wenn diese Worte ausgesprochen werden, dann meist nicht aus Freude. Es ist eher so eine Art Gebet.«

Ich verstehe sehr gut, worauf er hinauswill, aber ich weigere mich, das in Betracht zu ziehen und mir Sorgen um die Jungs zu machen. Ich schüttle den Kopf, um meine Beklemmung zu vertreiben, und springe auf.

»Komm, hoch mit dir! Wir gehen tanzen!«

Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, schwinge ich die Hüften. Ty macht mit, und wir kehren zusammen in die Bar zurück.

Die Einrichtung kommt mir noch spektakulärer vor als vorhin schon. Eine Sekunde erstarre ich angesichts der Energie, die die Profis in voller Aktion ausstrahlen. Die Frauen tragen schwarze Kleider mit weißen Punkten oder rote Röcke mit dem gleichen Muster. Ihre zurückfrisierten Haare sind mit Schleifen geschmückt. Die Männer dagegen tragen Hemden, Jeans mit Hosenträgern und Baskenmütze. Ich bin ein Fan dieses Looks, ganz zu schweigen von ihren beeindruckenden Tanzfiguren, die ich bis jetzt nicht nachahmen kann.

Nachdem Ty den Rest seines Drinks hinuntergekippt hat, gehen wir wieder auf die Tanzfläche. Wir versuchen gar nicht mehr, es den anderen nachzutun. Wir tanzen, wie wir lustig sind, und niemand sieht deswegen auf uns herab.

Die Musik erfüllt meinen Körper und verwandelt mich. Ich fühle mich befreit von allen negativen Gedanken, ohne jede Traurigkeit, Angst oder Besorgnis. Wie Ty lebe ich im Augenblick, wie in Trance. Wir tanzen manchmal einander gegenüber, dann mit dem Rücken zueinander. Unser Lächeln ist das strahlendste auf der ganzen Yggdrasil 4 und unser Lachen das lauteste. Als ich außer Atem gerate, setzt mein Partner mich auf seine Schultern und tanzt allein für mich weiter. Im nächsten Moment finde ich mich ausgestreckt über allen Körpern wieder und werde unter Tys Pfiffen von einer Hand zur anderen weitergereicht.

3. Kapitel

Ich fahre aus dem Schlaf hoch, als der ehemalige Devil’s Son in mein Zimmer stürmt und die Vorhänge aufreißt. Das hereinflutende Licht blendet mich, und ich stecke stöhnend den Kopf unter mein Kissen. Ich bin noch nicht bereit, die Welt der Träume zu verlassen.

Die letzten drei Tage haben mir schwer zugesetzt; Ty hat mich überall herumgeschleppt. Nicht, um die schönsten Museen oder die besten Touristenattraktionen zu besuchen, ganz im Gegenteil. Dank dem Wagen, den der alte Gary uns geliehen hat, haben wir auf der Suche nach ausgefallenen Beschäftigungen alle möglichen Städte abgeklappert. Wir haben uns mit zwei dicken Tüten Popcorn ans Set einer zweitklassigen Serie gesetzt. Es war ein großer Spaß, zu erraten, was die Schauspieler wohl vor der Kamera zueinander gesagt haben. Doch als wir uns ein wenig zu nahe herangewagt haben, hat die Security uns verjagt.

Da ich noch nie einen Gospelchor gehört hatte, hat Ty verkündet, er werde mich stehen lassen, wenn ich ihm nicht augenblicklich folgen würde. Auf gut Glück sind wir durch ein gutes Dutzend Kirchentüren getreten, bis wir eine gefunden haben, in der gesungen wurde. Mir war nicht wohl dabei, einfach hineinzugehen, weil ich fürchtete, das könnte respektlos gegenüber meinen und den christlichen Göttern sein, aber Ty hat es mit seinem Humor fertiggebracht, mich zu entspannen.

»Sogar Odin würde in Asgard 5 eine Kirche bauen, wenn er dann Gospel hören könnte!«

Als wir in die Kirche traten, konnten wir den Chor in Aktion hören und sehen, und wir haben beide stumme Tränen geweint 6 und waren uns des Unrechts bewusst, das unsere Vorfahren den Ihren angetan hatten, und gerührt von dem Stolz auf ihre Befreiung, der in jeder einzelnen Stimme schwang.

Von da an hörten wir bei unseren Spritztouren mit dem Auto nur noch diese Musik.

Bei einem Abend in einer Iglu-Bar erkältete sich Ty und hängte mir seine Rüsselseuche an. Die Temperatur lag unter null, und ich hatte schon das Gefühl, dass meine Jeans am Eis festfrieren würden. Mein Reisegefährte gab als Erster auf, zerrte mich hinaus und schimpfte auf den Besitzer und seine sonderbaren Ideen.

Ein ganz anderes Erlebnis war unser Besuch im Four Senses, einem speziellen Restaurant für Sehbehinderte. Eine Schleuse am Eingang schirmte jedes Licht ab, sodass es im Lokal selbst stockdunkel war. Das Ganze war meine brillanteste Idee gewesen. Das Personal brachte uns zu unserem Tisch, damit wir nicht hinfielen oder mit einem Möbelstück zusammenstießen. Wir konnten nichts sehen und erlebten eine Mahlzeit lang, was Menschen mit dieser Behinderung täglich erfahren. Ty, dem der Verlust eines seiner Sinne Beklemmungen bereitete, konnte sich nicht bremsen und erzählte Unsinn, um sich zu entspannen.

Als er Salz und Zucker verwechselte und seinen Bissen ausspucken musste, platzte er heraus: »Welcher Schwachkopf stellt in einem Restaurant, wo ich mir einen runterholen könnte, ohne dass es jemand merkt, Zucker neben einen ...

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