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Totwald

Als Buch hier erhältlich:

Hummel entdeckt seinen neuen Bekannten, den ehemaligen Lateinlehrer erhängt in dessen Haus. Findet Hummel an seinem alten Gymnasium einen Schlüssel zu dem Verbrechen, das als Selbstmord getarnt wurde? Währenddessen sind Dosi und Zankl mit einem anderen Fall beschäftigt: Können sie den Tod des »Saure-Gurken«-Unternehmers als Unfall abhaken? Und Kommissar Mader bekommt einen »cold case« auf den Tisch. Kann Mader einem dreißig Jahre alten Fall vielleicht doch noch Leben einhauchen?
Während Dr. Günther alle Hoffnung in die modernen Labormethoden und DNA-Analysen setzt, beweisen seine Leute, dass es noch wichtigere Schlüsselfaktoren für erfolgreiche Ermittlungen gibt: Gespür, Kombinationsgabe und das Vertrauen in die Fähigkeiten der anderen Kollegen, die wissen, dass alle zusammen mehr als die Summe der Teile sind. Und damit ist auch Maders Dackel Bajazzo gemeint.


  • Erscheinungstag: 11.04.2022
  • Aus der Serie: Chefinspektor Mader, Hummel & Co.
  • Bandnummer: 8
  • Seitenanzahl: 272
  • ISBN/Artikelnummer: 9783755600015
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nostalgie

Paris. Fünf Tage schon. Bisher hat Mader nicht einmal die Metro benutzt, war stets nur zu Fuß unterwegs. Mit seinem treuen Begleiter Bajazzo durch die Häuserschluchten der breiten Boulevards, durch die Tuilerien. Sie haben die Tage verbummelt in den kleinen Cafés von Beauville. Heute noch Père Lachaise: Edith, Marcel, Marlene, Jim. Sie alle will Mader treffen. Er ist das erste Mal auf dem Friedhof. Kopfsteinpflaster glänzt. Klare feuchte Luft. Mader atmet tief durch. Sonne folgt auf Regen. Auch in der Stadt der Sehnsucht. Er staunt immer noch. Paris, keine sechs Stunden mit dem Zug von München und eine ganz andere Welt. Heute Abend will Mader nochmal in sein Stammbistro am Canal Saint-Martin. Morgen ist er schon auf dem Weg nach Hause. So man Neuperlach ein Zuhause nennen kann. Klar doch – gegen die Banlieues wirkt die Münchner Hochhaussiedlung im Osten wie ein verschlafenes Dorf. Aber der Moloch mit den grauen Vorortsiedlungen interessiert Mader nicht. Paris ist für ihn ein nostalgischer Traum. Mit Catherine Deneuve, Serge Gainsbourg, Yves Montand und Edith Piaf.

Luxus

Monaco Azzurro. Spätsommer bietet nochmal all seine Kraft auf. ›Dreißig Grad im Schatten, Turnschuh klebt an Gehsteigplatten‹, zitiert Hummel sich selbst. Ein Sommergedicht, das er irgendwann mal geschrieben hat. Ist ihm eingefallen, als er mit seinen Chucks durch die Fußgängerzone geschlurft und in einen weichen Kaugummi getreten ist. Hummel radelt in der gleißenden Nachmittagssonne die Welfenstraße in der Oberen Au entlang in Richtung Giesing. An der Kreuzung zur Regerstraße Schlagschatten. Hummel taucht in die Aura der monströsen Neubauten auf dem ehemaligen Paulaner-Gelände. Beton, hingeklotzt ohne Rücksicht auf irgendwen und irgendwas. ›Echtes Ärgernis‹, findet Hummel, ›grober Keil zwischen Oberer Au und Obergiesing.‹ Aktuell sind das die teuersten Wohnungen in seiner Hood. Vielleicht von ganz München.

Von oben kann man entweder in die Berge sehen oder das Stadtpanorama genießen, wie die Werbebotschaften auf den riesigen Plakaten verkünden. Wer sich eins der Penthouses leistet, sogar beides. Fantastisch – bei einem Aperol Sprizz oder einem Hugo im klickernden Eiswürfelglas auf die profane Welt und die werktätige Bevölkerung runterschauen. Kotz! Hummel hofft, dass die Fettschwaden vom benachbarten McDonald’s auch da oben noch für olfaktorisches Vergnügen sorgen. So eine Luxuswohnung braucht doch niemand. Oder doch? Um sich als Besatzer zu fühlen in einem gewachsenen Viertel, um imperialen Lebensstil zu genießen, die Straße mit ihren Niederungen und dem Dreck maximal als ferne Illusion durch die getönten Scheiben eines Lofts oder eines Porsche Panamera wahrzunehmen? Ist doch Scheiße. Aber Leute, die so was brauchen, die gibt’s natürlich. Leider viel zu viele. Nix für ihn. Aber auch keine Gefahr. So ein Lifestyle würde bei seiner Besoldungsgruppe eh nie in Betracht kommen. Außer, er schreibt dann doch irgendwann einen Riesenbestseller. Auch da muss er sich keine Sorgen machen. Das passiert nicht. Schon gar nicht nach seinen ersten ernüchternden Erfahrungen im Verlagsbusiness. Sein vielgeliebtes Hobby als Autor von Kriminalgeschichten liegt aktuell auf Eis. Vielmehr als ein paar Notizen so nebenbei sind aktuell nicht drin. Die Arbeit hat ihn in letzter Zeit ziemlich aufgefressen. Ein kreativer Rückzugsort wäre schon gut. Wo man nicht immer mit dem schnöden Alltag konfrontiert ist. Könnte man in so einem Luxusbunker wohnen und kreativ sein? Sicher nicht. Und in so einem Hochhausambiente würde ihm schon drei Mal nichts einfallen. Er liebt Altbau. Und ein bisschen Grün ist ihm tausendmal wichtiger als jedes Betongold.

Sein Ziel ist die Kleingartenanlage kurz vor dem Zoo. Irgendwann vor Jahren hatte er sich dort mal auf die Warteliste setzen lassen und jetzt hat man ihm tatsächlich vor zwei Wochen eine Parzelle dort angeboten. Der Vorbesitzer war hochbetagt verstorben und er konnte sogar die Hütte ablösefrei übernehmen. Das Interieur des kleinen Holzhäuschens ist noch immer in einem beklagenswerten Zustand, obwohl er schon in großem Stil ausgemistet hat. Bis unters Dach war alles vollgestopft mit rostigen Gartengeräten, alten Radios, Büchern, mannshohen Stapeln der Zeitschrift Hobby und der Mitgliederzeitschrift des ADAC. Auch eine riesige Sammlung zum Teil absurd hässlicher Steingut-Bierkrüge gehörte dazu. Viele mit Zinndeckeln und damit Sondermüll. Die letzten zwei Samstage war er damit beschäftigt, die Sachen mit Beates Auto zum Wertstoffhof in Thalkirchen zu bringen.

Das Gröbste ist geschafft, so dass er sich jetzt erstmals auf die schönen Seiten seines Schrebergartens konzentrieren kann. Sein Vorgänger hat dort fünfzig Jahre residiert und so gibt es im Unterschied zu den meisten anderen Gärten gleich drei große alte Obstbäume mit dicken Stämmen, die nur darauf gewartet haben, dass er seine Hängematte zwischen ihnen aufspannt. Sein Plan für heute Nachmittag: einfach in der Matte liegen und nichts tun, ab und zu ein Schluck Bier und sonst nur durchs Laub in den türkisen Himmel schauen und irgendwann sanft einschlummern. Sofern das seine neuen Nachbarn zulassen. Denn die sind ziemlich aktiv, wie er bereits festgestellt hat. Muße steht in dem Kleingartenverein nicht gerade hoch im Kurs, die Leute sind ständig mit etwas beschäftigt: Heckenstutzen, Rasenmähen, Beete umgraben, Äste schneiden. Was strenggenommen vergebliche Liebesmüh ist, denn die Gärten sehen eh schon alle picobello aus. Definitiv eine Leistungsschau: Wer schafft es, mehr aus seinen paar Quadratmetern Grünfläche herauszuholen, sie zu verschönern oder seine Nachbarn mit Ratschlägen bei der Optimierung ihrer Gärten zu unterstützen, herauszufordern oder einfach zu nerven? Das hat Hummel schon in der ersten Woche begriffen. Nicht das Pfeifen der Vögelchen oder das sanfte Rauschen der Blätter in der Sommerbrise sind hier die vorherrschenden Sounds, sondern das Brummen der Rasenmäher, das Stottern der Baumhäcksler oder das schneidige Klicken der Heckenscheren. Nach kurzer Eingewöhnungszeit stört es Hummel aber gar nicht mehr, sondern steigert sogar das luxuriöse Gefühl des eigenen Nichtstuns.

Hummel hat die Kleingartenanlage erreicht, schiebt sein Fahrrad über den knirschenden Kies des Fußwegs zu seiner Parzelle und stellt das Rad auf die betonierte Terrasse seines Häuschens. Er holt die Hängematte aus seiner Kuriertasche und spannt sie zwischen dem Apfel- und dem Zwetschgenbaum auf. Mit einem frechen Plopp! verabschiedet sich kurz darauf der Kronkorken von seiner Flasche Augustiner und klickert lustig über den Terrassenboden. Hummel sinkt in die Hängematte und glotzt zufrieden in den blauen Himmel. ›Macht ihr mal eure Gärten schön‹, denkt er. ›Ich mach heute, was ich am liebsten mach und wozu ich viel zu selten komm – gar nichts.‹ Auch wenn Gauloises nicht seine Zigarettenmarke ist, den Werbespruch fand er schon immer super. Genauso wie: »Einen Tick zu laut und es gibt eine Beschwerde!« Er fummelt die Schachtel Prince Denmark aus seiner Hosentasche und steckt eine Zigarette an.

»Herr Hummel?«, unterbricht eine Stimme seine faulen Gedanken.

Er steckt den Kopf aus der Hängematte und erspäht seine Nachbarin am Zaun. »Ja, Frau Wittkopf?«

»Sagen Sie, möchten Sie nicht zum Kaffee rüberkommen?«, flötet sie und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu. »Es ist doch Wochenende. Da back ich immer. Ich hab eine wunderbare Käsesahne, die für mich allein viel zu groß ist. Das wär doch was!«

»Nein, danke, das ist sehr nett, aber ich hab mir gerade ein Bier aufgemacht«, sagt Hummel und hält die Flasche hoch.

»So einer sind Sie also!«

Er sieht sie verwundert an und will noch irgendwas sagen, so von wegen, dass es doch Samstagnachmittag ist und er jetzt noch nicht beim fünften Bier ist, aber da ist seine Nachbarin auch schon abgetaucht. Er kapiert schon, dass das in der Spießerwelt seiner neuen Nachbarn keine nachvollziehbare Rechtfertigung wäre. In den Augen von Frau Wittkopf ist er in seinem aktuell horizontalen Zustand ein Faulenzer und Alkoholiker. Na, wenn schon, vielleicht lässt sie ihn dann wenigstens in Ruhe. Auf anstrengende Nachbarn und ein Übermaß an Kommunikation kann er gern verzichten. Ruhe ist das, was er sucht. Wenn Frau Wittkopf erfährt, dass er Polizist ist, dann wird es vermutlich richtig lustig. Bestimmt warnt sie die anderen Alteingesessenen: »Dass jetzt schon die Polizei säuft! Am helllichten Tag! Stellen Sie sich das mal vor!« Ist ihm egal. Er trinkt aus und schält sich aus der Hängematte, um sich ein weiteres Bier von der Terrasse zu holen. Er späht in den Mustergarten hinüber. Von Frau Nachbarin keine Spur. Ein scharfer Geruch steigt ihm in die Nase. Irgendwer verbrennt hier feuchtes Holz und Laub. Ist das nicht inzwischen verboten? Puh, wie das stinkt! Soll er mal eine Runde drehen und sich vorstellen und dabei locker einflechten, dass er Polizist ist? Dann würden die Nachbarn vielleicht ihre selbstgezimmerten Spielregeln besser einhalten und nicht die ganze Siedlung mit stinkenden Laubfeuern verpesten. Er erschrickt über sich selbst. Wird man als Spießergärtner automatisch schrebig? Kann gut sein. Gefährlich – soweit darf es auf keinen Fall kommen! Cool bleiben! Er öffnet die zweite Bierflasche, nimmt einen tiefen Schluck und legt sich wieder in die Hängematte. Nein, eigentlich findet er den Feuergeruch ganz reizvoll und denkt an früher zurück, als sie mit zwölf bei den Bahngleisen hinterm Ostfriedhof immer Lagerfeuer machten und Knackwürste am Stock brieten. Häufig war das Holz feucht und grün und qualmte wie Hölle, so dass seine Klamotten zu Hause die ganze Wohnung verräucherten. Was bei seiner Mutter nicht allzu gut ankam. Glückliche Zeiten. Mit Max und Rudi. An der Grundschule waren sie unzertrennlich. Dann ging das auseinander, weil jeder in ein anderes Gymnasium ging. ›Mann, die beiden, wie es denen wohl geht?‹, überlegt er jetzt. Von seinen Grundschulfreunden hat er seit Ewigkeiten nichts mehr gehört. Von seiner Mutter hat er irgendwann gehört, dass Max zum Studieren nach Berlin gegangen war und Rudi auf einem Bauernhof am Bodensee eingeheiratet hatte. Und irgendwo hat er über Rudi aufgeschnappt, dass er fünf Kinder hat. ›Wahnsinn, den Vorsprung hol ich nie ein‹, denkt er und trinkt nachdenklich sein Bier. Er sieht nach oben und genießt die changierenden Farben des Laubs vor dem Blau des Himmels.

Pommes Schranke

»Ein Radler und Currywurst mit Pommes, bitte.«

»Mayo oder Ketchup, Schatzi?«

»Beides. Und wenn es Gummischlangen gibt, bitte eine Tüte. Nicht zu knapp.«

Fränki dackelt los und Dosi streckt sich wieder auf ihrer Badematte aus. Wunderbares Wetter. Richtig heiß. Und das Anfang September! Sie ölt sich nochmal ein.

»Nicht im Ernst?«, hatte Fränki gefragt, als er die Flasche Tiroler Nussöl in der Badetasche entdeckt hatte. Aber so was von Ernst! Sie war dermaßen begeistert gewesen, als sie den vermeintlich längst verblichenen Sonnenschutz im Roßmann entdeckt hatte, dass sie gleich eine Maxi-Flasche kaufen musste. Preisreduziert um fünfzig Prozent! Ja, klar, Saisonende. Jedenfalls genau das Richtige für ihre empfindliche Haut. Wobei sie diesen Sommer zum ersten Mal seit langer Zeit mal wieder so richtig braun geworden ist. Kein Wunder, fast jedes Wochenende waren sie beim Baden gewesen.

Noch mehr, als sich am Ufer des Starnberger Sees faul in der Sonne zu räkeln, liebt sie es, mit kräftigen Kraulzügen das blaugrüne Wasser zu durchpflügen. Das Beste, was man als Ausgleich zu einer sitzenden Bürotätigkeit machen kann. In den letzten Wochen war mangels Leichen vor allem Innendienst angesagt.

Sie sieht zum Kiosk, wo Fränki in der langen Schlange steht. ›Mit Fränki, das ist top‹, denkt Dosi jetzt. ›Anfangs war es noch ein bisschen eckig. Aber jetzt passt es. Einen besseren Partner gibt es nicht – kein dummes Gelaber, keine Vorschriften und die kulinarische Grundversorgung ist stets gesichert.‹ Sie gähnt und schließt die Augen.

»Pommes-Rot-Weiß an Currywurst und Radler an Gummischlangen«, meldet sich Fränki schließlich zurück. »Macht 12,80.«

»Ich lass anschreiben, wenn’s recht ist.«

»Darf ich Sie darauf hinweisen, dass Ihr Deckel bei mir schon ziemlich ausgereizt ist?«

»Ich werde mich erkenntlich zeigen, wenn es an der Zeit ist«, sagt Dosi und gluckst. Sie steckt sich die erste Pommes in den Mund. »Hm, salzig und schlabberig. Wie Schwimmbad-Pommes sein sollten.«

»Das ist kein Schwimmbad.«

»Sei kein Wortklauber. Hast du die Tante da drüben in dem gelben Bikini gesehen?«

»Arsch frisst Hose?«

»Exakt. Findest du das schön?«

»Ach, wenn man es sich leisten kann.«

»Ich glaub, es hackt!«

»Schatzi, alles gut, ich hab nur Augen für dich.«

»Das will ich aber schwer hoffen.«

Notlage

Zankl sitzt auf dem Klo. Im Haus seiner Eltern am Chiemsee. Nicht, weil er dort gerade etwas zu erledigen hatte, sondern weil er einfach dem chaotischen Trubel für zehn Minuten entkommen wollte. Was für eine bescheuerte Idee, dass Clarissa ihre besten Freundinnen für ihre Geburtstagsparty hierher einlädt. Wie können acht Mädchen nur so laut sein? Ein einziges Gekreische. Er hatte ja gehofft, sich im Hintergrund halten zu können, um nur für den Zusammenbau und die Wartung der Drohne zuständig zu sein, die Clarissa von ihnen zum Geburtstag bekommen hat. Aber Clarissa hat das sofort selbst übernommen und kurz darauf war die Drohne schon in waghalsigen Flugmanövern über ihre Köpfe gezischt. Bei ihm hatten sich spontan pochende Kopfschmerzen eingestellt, die nach einer Ruhepause verlangten. Jetzt blättert er gedankenverloren in der alten Kicker-Ausgabe, die er offenbar das letzte Mal in einer ähnlichen Notlage hier auf dem Klo liegengelassen hatte. Warum belastet dieses tosende Chaos draußen weder seine Eltern noch seine Frau? Oder machen die auch nur gute Mienen zum bösen Spiel? Jetzt hört er ein penetrantes Sirren und schaut durch das gekippte Klofenster in das Kameraauge der Drohne.

»Geht’s noch?«, flucht er und steht auf, drückt automatisch die Spülung.

Schimmel

›Das alte Haus am Hang ist ein Traum‹, denkt Hummel, als er am späten Nachmittag auf sein Rad steigt, um heimzufahren. Er hält noch einmal an. Gefällt ihm. Auch wenn es auf dem Grundstück aussieht wie auf einem Schrottplatz. Dort stehen alte Fahrräder, Waschmaschinen, Kühlschränke, alles abgedeckt mit schmutzig-grüner Kunststoffplane. Die offenen Torflügel eines riesigen Holzschuppens geben den Blick frei auf Küchenanrichten, Bänke, Wirtshausstühle. Hummel muss grinsen. Was für ein wunderbarer Kontrast zur symmetrischen Ordnung der Kleingartenanlage nebenan mit ihren perfekt geharkten Kieswegen und messerscharf rasierten Hecken.

»Wollen Sie was kaufen?«, fragt ein älterer Herr, der aus den Tiefen des Schuppens auftaucht.

»Kann man denn?«, fragt Hummel zurück.

»Meinen Sie, ich sammle das zum Spaß?«

»Ich mein gar nix, ich war nur neugierig. Ich bin neu in der Kolonie.«

»Kolonie! Das klingt wie Ostafrika.«

Hummel lacht. »Ja, manches kommt mir auch ziemlich exotisch vor.«

»Haben Sie die Tafel mit der Vereinssatzung gelesen?«

»Nein. Wo hängt denn die?«

»Beim Vereinsheim. Das große blaue Schild.«

»Ach so, das. Nein, für sowas hab ich keine Zeit. Ich wart, bis mir meine Nachbarin Bescheid sagt, was ich zu tun und zu unterlassen hab.«

»Ha, sehr gut. Welche Parzelle ist denn Ihre?«

»Die von Herrn Rottluff.«

»Der Rottluff, der Bernd. Wir waren befreundet. Auch ein Jäger und Sammler. Was haben Sie mit den Sachen in seiner Hütte gemacht?«

»Das meiste ist jetzt auf dem Wertstoffhof in Thalkirchen.«

»Sic transit gloria mundi.«

»Oh, ich habe Latein gehasst in der Schule.«

»Ich war Lateinlehrer:«

»Ah. Wo denn?«

»Am Franz-Ferdinand-Gymnasium.«

»Da war ich auch«, sagt Hummel erstaunt.

»Wie heißen Sie denn?«, sagen beide gleichzeitig und lachen.

»Schimmelpfennig, Gerald.«

»Der Schimmel! Entschuldigung. Äh, das waren, also, das sind Sie?«

»Noch bin ich es.«

»Ich hatte Latein beim Wallner. Mit Verlaub – ein Riesenarschloch.«

»Ja, ein Pädagoge vom alten Schlag. Oder eben ein Riesenarschloch.«

Hummel streckt ihm die Hand entgegen. »Klaus Hummel. Ich hab damals Latein abgewählt, sobald es ging und mich irgendwie durchs Abi gemogelt.«

»Und was machen Sie heute?«

»Polizei, Mordkommission.«

»Oh, nicht schlecht. Und als Ausgleich zum blutigen Beruf ein beschaulicher Schrebergarten?«

»Ja, ich dachte, das wäre eine gute Idee.«

»Das denken viele. Die ganzen Glockenbach-Hipster, die davon träumen anderen zu erzählen, wie toll es ist, mit den eigenen nackten Händen in der feuchten schwarzen Erde zu wühlen.«

»Das haben Sie schön gesagt.«

»Ja, und das Selbstbild ist meist interessanter als die Realität.«

»Das ist mir jetzt fast zu hoch. Aber ich glaube, ich weiß, was Sie meinen.«

»Darf ich Sie auf ein Bier einladen?«

»Um den Worten mit meiner neuen Nachbarin hier zu sprechen: So einer sind Sie also!«

»Frau Wittkopf.«

»Ja, eine nette ältere Dame.«

»Versiert in Käsesahne.«

»Sie sagen es.«

»Was ist nun mit dem Bier?«

»Ich persönlich wüsste nicht, was dagegenspricht. Sehr gerne.«

Hummel verbringt einen interessanten Abend mit Gerry, wie er den ehemaligen Lehrer seiner alten Schule schon beim ersten Anstoßen nennen darf. Ein vierschrötiger Typ, eine gebeutelte Seele. Gerry wurde wegen Alkohol zur Unterrichtszeit vorzeitig aus dem Schuldienst entlassen und musste auf einen nicht unerheblichen Anteil seiner Beamtenpension verzichten.

Gerry erzählt das alles ohne Groll: »Das stimmt schon mit dem Saufen, aber es gab nach dem Krebstod meiner Frau nichts anderes, was mir Trost spendete. Ich dachte, ich hätte das im Griff, aber das denkt wahrscheinlich jeder Alkoholiker. Naja, heute ist das kein Thema, niemand stellt mehr besondere Erwartungen an mich. Ich schachere ein bisschen mit Trödel und Antiquitäten, besuche Flohmärkte, trinke ein paar Bier. Ein angenehmes, ruhiges Leben. Und ich brauche ja auch nicht viel.«

»Und das große Grundstück und das Haus gehören dir?«

»Nein, das ist Erbpacht. In dem Haus wohnten schon meine Eltern. Die Erbpacht läuft noch knapp vierzig Jahre.«

»Cool, das klingt doch gut.«

»Sonst wäre ich schon lange nicht mehr hier. Die hätten mich vertrieben. Ich krieg ständig Angebote von Immobilienhaien. Die bieten mir unverschämt viel Geld, damit ich gehe und sie hier ein großes Mehrparteienhaus hinstellen können. Die Stadt würde das angeblich auch sehr begrüßen. Wobei das definitiv keine Sozialwohnungen werden. Aber ich gehe hier nicht weg.«

»Sehr gut, versteh ich. Man darf sich nicht vertreiben lassen.«

Hummel ist gut gelaunt, als er spätabends sein Rad nach Hause schiebt. Fahren geht nicht, denn mit seinen jetzt insgesamt fünf Halben Bier ist er schon ganz schön angeschossen und läuft nur noch auf Autopilot. Gut, dass ihn seine Nachbarin vorhin nicht mehr gesehen hat, als er Gerrys Haus verlassen hat. Aber wahrscheinlich war sie schon weg, weil sie pünktlich zum Abendessen mit ihrer Katze zu Hause sein musste. Vielleicht baut sie deswegen so viel Petersilie in ihrem Garten an – für die Sheba-Deko. Wie in der Fernsehwerbung. Die Perserkatze Florentina ist jedenfalls ihr Ein und Alles, wie ihm Gerry erzählt hat. ›Interessanter, guter Typ, der Gerry‹, denkt Hummel jetzt. ›Der exakte Gegenpol zum spießigen Personal in der Kleingartensiedlung.‹

Ganz vergessen

Mader ist erstaunt, als er am Sonntagnachmittag durch die Akten blättert, die ihm sein Chef Dr. Günther in seiner Urlaubsabwesenheit auf den Schreibtisch gelegt hat. Es handelt sich um einen alten Kriminalfall, den er ihm bei einem gemeinsamen Biergarten-Besuch im Sommer angekündigt hat. Hat er völlig vergessen oder verdrängt. Bis eben. Jetzt liegt da dieser Riesenstapel alter Akten. Er überfliegt die vergilbten Papiere und fragt sich: ›Was soll ich bei einem dreißig Jahre alten Fall noch herausfinden?‹

Mader ist kein Fan von Cold Cases, über die aktuell alle so gerne sprechen, weil man inzwischen mittels moderner Ermittlungsmethoden und neuester DNA-Analysen Verbrechen noch nach Jahrzehnten aufklären kann. Manchmal zumindest. Wo die Gegenwart doch genug Beschäftigung für engagierte Polizeibeamte bietet. Findet Mader. Was soll er mit dem alten Krempel?

Das Telefon lässt ihn aus seinen ungeordneten Gedanken aufschrecken. Nicht das Handy, der Dienstapparat auf dem Schreibtisch. Unbekannte Nummer auf dem Display. Es hört nicht auf zu klingeln. ›Wer weiß, dass ich jetzt hier bin?‹, denkt Mader und hebt ab. Bevor er etwas sagen kann, meldet sich Dr. Günther mit erschreckender Frische: »Na, Mader! Zurück aus der Stadt der Liebe? Haben Sie Ihr Glück gefunden?«

»Nein, aber meinen Seelenfrieden.«

»Damit ist es jetzt leider vorbei. München, Munich, Monaco – Urlaub, das ist anderswo.«

»Bitte?«

»Ist das nicht der Wahlspruch Ihrer Abteilung?«

»Fragen Sie Hummel, der ist der Poet bei uns. – Also, was kann ich für Sie tun?«

»Ich hab Ihnen was hingelegt.«

»Ich hab’s gesehen. Was erwarten Sie von mir?«

»Dass Sie sich das in Ruhe ansehen.«

»Heute ist Sonntag.«

»Ja, da hat man im Büro eigentlich nix verloren. Und trotzdem erreiche ich Sie dort. Tja, ich kenne meine Pappenheimer. Wahrscheinlich sind Sie vom Bahnhof gleich ins Büro, um schnell Ihre Mails zu checken, was los war, was so anliegt.«

»So ist es.«

»Andere machen das mit dem Handy.«

»Ich nicht. Ich trenne Privates und Berufliches gerne.«

»Deswegen gehen Sie in Ihrer Freizeit ins Büro, ich verstehe.«

»Also, Sie rufen wegen der Akte an?«

»Exakt. Und ich wollte Ihnen nur kurz sagen, warum. Haben Sie denn ein paar Minuten?«

»Ja, klar. Sie kennen ja den Spruch: München, Munich, Monaco – Urlaub, das ist anderswo.«

Dr. Günther lacht. Dann klärt er Mader auf, dass es nicht nur um irgendeinen alten Fall geht, mit dem er Maders grauen Zellen zum Zeitvertreib beschäftigen will, sondern um einen dunklen Fleck auf seiner sonst so blütenweißen Karriereweste. Es geht um den ersten großen Fall in seiner Laufbahn als Polizist. An dem er gescheitert ist.

Das Opfer war ein Politiker, der tot im Wald in der Nähe seines Hauses im Allgäu gefunden wurde. Erschossen mit einer großkalibrigen Waffe, offenbar seinem eigenen Jagdgewehr. Von seiner Ehefrau und den drei Kindern, mit denen er in dem großen Haus lebte, fehlt bis heute jede Spur. Ein großer ungelöster Fall, der in Bayern wochenlang für Schlagzeilen sorgte. Man spekulierte, ob es sich um das Hinrichtungskommando einer linken politischen Vereinigung handelte, die den rechtskonservativen Politiker Dr. Heribert Winkler bereits mehrfach bedroht hatte. Dementsprechend groß war der Fahndungsdruck und der Einsatz der Sonderkommission. Vor allem aber auch, weil es keinerlei Spur von der Familie des Politikers gab. Die mit hohem Aufwand betriebene Fahndung brachte überhaupt keine Spuren, keinerlei Erkenntnisse. Die Familie war und blieb wie vom Erdboden verschluckt. Entführung? Es gab kein Bekennerschreiben und auch keine Lösegeld-Forderung. Ein Trittbrettfahrer, der sich als Entführer der Familie ausgab, und Geld erpressen wollte, wurde damals schnell überführt. »Der Tod des Politikers und das Verschwinden seiner Familie sind bis heute jedenfalls komplett ungeklärt«, beendet Günther seinen Vortrag. »Und, was sagen Sie, Mader?«

»Interessant.«

»Ja, nicht wahr? Aber ich will Sie jetzt nicht länger in Ihrer Freizeit stören. Ich würde mich freuen, wenn wir morgen in der Kantine zusammen zu Mittag speisen. Dann kann ich Ihnen noch das eine oder andere Hintergrunddetail berichten. Wie klingt das für Sie?«

»Interessant.«

»Ist das die Standardantwort auf die Frage Ihrer Schwiegermutter, ob Ihnen ihr Spargelrisotto schmeckt?«

»Ich mag keinen Spargel und eine Schwiegermutter hab ich auch nicht.«

»Sie Glückspilz! Sie machen mir Spaß. Wir werden sehen. Bis morgen!«

Mader legt auf und kratzt sich nachdenklich am Kopf. Womit hat er das verdient? Ihm reicht das für seinen letzten Urlaubstag. Eigentlich geht es doch erst morgen wieder los. Aber selber schuld, wenn er unbedingt noch vorher ins Büro muss. Er lässt seinen kleinen Rollkoffer unterm Schreibtisch, denn er will mit Bajazzo zu Fuß nach Hause gehen. »Komm, Bajazzo, hier können wir nichts mehr tun!«

Sie wählen das volle Programm, nehmen auf dem Heimweg alle Stationen mit – die für Sonntag erstaunlich belebte Fußgängerzone, die Flaneure an der Isar und in den Max-Anlagen, das Franzosenviertel Haidhausen mit seinen Straßencafés, das dunkle Mausloch unter den Gleisen des Ostbahnhofs, das Werksviertel wie Legoland in groß, die letzten Arbeitersiedlungen kurz vor dem Michaelibad, schließlich der Ostpark. Er liebt diese Strecke. Nicht überall schön, aber sehr abwechslungsreich. Es dämmert bereits, als er die Hochhäuser hinter dem Park sieht. In einigen Fenstern brennen bereits die Lichter. Ein tröstliches, friedliches Bild. Heimat.

BIOTONNE

Liebes Tagebuch,

ein Tag ist immer die Konsequenz des vorangehenden. Wenn man das so sagen kann. Jedenfalls haben die Taten eines Tages Folgen für den nächsten Tag. Warum habe ich zu Hause noch drei Bier getrunken? Ich war doch eh schon hinüber. Zu viel ist zu viel. Ich habe jedenfalls den Sonntagsbrunch mit Beate verschlafen. Naja, eigentlich hätte ich eh nix essen können. Ich habe Beate mit einiger Verspätung irgendwas von spontaner Grippe und einem verdorbenen Magen erzählt. »Ich kann das riechen«, hat sie daraufhin gesagt. Am Telefon. Haha! Sehr lustig. Gut, dass sowas nicht geht, denn ich hatte zu dem Bier zu Hause noch ein Brot mit der fiesen Knoblauchpaste gegessen, die schon ewig im Kühlschrank steht. Die war ziemlich verschärft. Heute habe ich jedenfalls den Geschmack einer Biotonne im Mund. Gar nicht schön! Und geht nicht weg. Vielleicht war es auch das Glas Oliven, das ich noch im Kühlschrank gefunden habe? Die haben etwas säuerlich geschmeckt. Egal. Verdauungstechnisch ist jedenfalls alles in Ordnung bei mir. Nach einem doppelten Espresso habe ich mich nochmal hingelegt und bin erst am späten Nachmittag wieder aufgewacht. So schnell vergeht die Zeit.

Jetzt werde ich mir einen Teller Nudeln zubereiten und dazu maximal ein kleines Glas Rotwein trinken, um dann vor dem Tatort wegzudösen. Das klingt doch nach einem Plan, Tagebuch, oder? Beate wird sich schon wieder einkriegen. Soll ich sie noch anrufen? Nein, sicher nicht. Sonst muss ich am Ende nochmal außer Haus. Das schaffe ich heute nicht, physisch und mental. Ich werde ihr eine WhatsApp schicken: »Oh, wie gern wär ich jetzt bei dir, wär mein Kopf nur nicht so schwer.« So ähnlich. Ach, sie hat ja eh keine Zeit für mich, sie muss ja abends in der Kneipe hinter dem Tresen stehen. In die Blackbox darf ich heute auf keinen Fall gehen. An der Bar sitzen und nix trinken, das ist wie in der Wüste ohne Wasser. Nein, falsch. Wie im Meer ohne Wasser. Nein, auch falsch. Ach, ein gerades Bild kriege ich heute auch nicht mehr hin. Absolut indiskutabel. Also, in die Kneipe zu gehen. Heute kein Alkohol! Maximal ein kleines Gläschen Rotwein, maximal!

Verabredet

Die Begrüßung am Montagmorgen im Präsidium durch Hummel, Zankl und Dosi ist kurz und herzlich.

»Irgendwas passiert, was ich wissen muss?«, fragt Mader in die Runde.

Nein, da ist nichts, was er wissen muss. Erledigte Sachen von letzter Woche interessieren ihn nicht. Mader freut sich, dass seine Leute so selbstständig arbeiten. Falls sie seinen Rat doch brauchen, werden sie sich schon vertrauensvoll an ihn wenden. Denkt er und verbringt den Vormittag mit Kosmetik seines Mailpostfachs, bevor er sich auf den Weg zum Mittagessen mit Dr. Günther macht.

Nach einer Woche Frankreich ist das Kantinenessen durchaus eine kulinarische Herausforderung für Mader. Er hat sich für den mediterranen Gemüseeintopf entschieden und mustert misstrauisch den schillernden Inhalt seines Suppentellers. »Warum wollen Sie den Fall ausgerechnet jetzt nochmal aufrollen?«, fragt Mader sein Gegenüber.

Günther sieht von seinem Rindergulasch auf, in dem er etwas lustlos herumgestochert hat. »Das ist die letzte Gelegenheit. Das Grundstück mit dem Haus des Politikers ist nach vielen Jahren kürzlich von der zerstrittenen Erbengemeinschaft verkauft worden und das Haus soll jetzt abgerissen werden für einen Neubau. Falls es dort noch irgendwelche Spuren gibt, muss man jetzt noch einmal nachsehen.«

»Was meinen Sie mit ›Spuren‹?«

»Ich hatte damals gehofft, im Haus irgendwelche Hinweise zu finden auf Fluchtpläne, Notfallpläne, die erklären könnten, wohin die Familie verschwunden ist. Ich dachte an einen geheimen Panikraum. Ich erhoffte mir Hinweise auf einen Zufluchtsort in der näheren Umgebung. Aber das Haus hat mir nichts erzählt, ich habe nichts herausgefunden.«

»Wenn es Notfallpläne oder ein Versteck gegeben hätte, dann wäre die Familie doch sicher wieder aufgetaucht?«

»Ja. Es lag schon damals nahe, dass die Familie tot war. Vielleicht schon zu dem Zeitpunkt, als Winkler gestorben ist. Vielleicht ein wenig später. So sieht es leider aus. Aber trotzdem konnten Frau Winkler und die Kinder sich nicht einfach in Luft aufgelöst haben. Mich lässt der Gedanke nicht los, dass die Frau und die Kinder nicht weit entfernt von dem Haus zu finden sind.«

»Aber warum glauben Sie, dass es in dem Haus irgendwelche Hinweise zu ihrem Verschwinden gibt?«

»In dem Haus kann man zumindest noch die … Ich weiß auch nicht, wie ich sagen soll, die Aura der Menschen spüren, die dort gelebt haben. Ich hatte keinen Erfolg damals. Ich brauche jetzt jemanden, der unbelastet und mit frischem Blick sich das Ganze noch einmal ansieht. Es bleiben zwei Wochen, dann ist das vorbei, dann existiert das Haus nicht mehr.«

»Und wenn die Familie Winkler damals ins Ausland verschwunden ist?«

»Warum?«

»Keine Ahnung. Vielleicht sind sie in ein Versteck gebracht worden und dort festgehalten worden. Dauerhaft.«

»Wie Natascha Kampusch?«

»Es gibt nichts, was es nicht gibt.«

»Die Kampusch wurde bewacht. Und ist schließlich geflohen. Irgendwann gibt es immer eine Gelegenheit.«

»Haben Sie denn eine Theorie, was vorgefallen sein könnte?«

»Nein. Ich habe keine Ahnung, was passiert ist. Ich habe alle möglichen und unmöglichen Theorien durchdacht.«

»Es geht doch nicht nur um einen alten Fall? Warum ist das Ihnen so wichtig, das liegt doch alles viele Jahre zurück?«, fragt Mader einmal mehr.

Günther zögert etwas, dann erklärt er: »Ich habe mich für einen Leitungsposten beim LKA beworben. Mein Konkurrent ist ein früherer Kollege und er hat nun diesen Misserfolg bei den Ermittlungen damals ins Feld geführt, um mich auszustechen! Ich war an den Ermittlungen maßgeblich beteiligt und bin leider komplett gescheitert. Das wirft mir jetzt mein Mitbewerber vor. Wir waren zusammen in einem Dezernat. Und schon damals keine Freunde. Ich will das nicht auf mir sitzen lassen. Zumal das Haus jetzt abgerissen wird und damit alle vielleicht noch verbliebenen Spuren zerstört werden. Es besteht eine letzte Gelegenheit, noch einmal einen Blick auf den Tatort zu werfen.«

»Tatort?«

»Ja, ich wüsste nicht, was das sonst ist.«

»Wird man sich vor Ort nicht wundern, wenn wir den Fall jetzt wieder aufrollen?«

»Der Fall ist eiskalt, wir treten niemandem auf die Füße, wenn wir uns das nochmal anschauen. Und idealerweise bekommt das auch niemand mit.«

»Und wie soll ich Ihnen dabei behilflich sein? Für mich ist das doch komplett neu.«

»Eben. Wissen Sie, ich habe lange nachgedacht. Wenn jemand eine neue Idee dazu entwickeln könnte, dann Sie. In den letzten Jahren haben Sie mich immer wieder überrascht. Ich habe das Gefühl etwas ganz Entscheidendes übersehen zu haben. Wo ist die Familie abgeblieben? Es muss doch irgendwelche Spuren, Hinweise geben. Vier Menschen können nicht einfach so verschwinden.«

Mader nickt nachdenklich. »Und dieser Politiker? Was können Sie mir zu dem sagen?«

»Dr. Heribert Winkler, CSU, Landtagsabgeordneter, Vorsitzender im Wirtschaftsausschuss, stramm rechtskonservativ, wirtschaftsliberal, ein Linkenfresser. Sehr umstritten, aber effektiv. Im Sinne des damaligen Politikverständnisses.«

»Klingt nicht gerade nett.«

»Winkler war ein Arschloch, wie es im Buche steht.«

»Waren Sie mit ihm befreundet?«

»Wie kommen Sie auf die Idee?«

»Ihr Tonfall deutet auf eine gewisse Vertrautheit hin.«

»Nein, wir waren nicht befreundet. Das wäre definitiv zu viel gesagt. Aber ich kannte ihn ganz gut. Im Rahmen meiner Ausbildung war ich auch beim Personenschutz. Wir mussten immer wieder für die Sicherheit von Politikern sorgen. Auch bei Winkler.«

»Zu dieser Zeit?«

»Nein. Also, ich habe nicht auf meinem Posten versagt, wenn Sie das andeuten wollen.«

»Ich deute gar nichts an.«

»Beim Personenschutz war ich damals schon ein gutes Jahr nicht mehr.«

»Und dass Sie bei den Ermittlungen dabei waren, das war in Ordnung? Also, wenn Sie bereits in einer Beziehung zu ihm standen?«

»Beziehung stimmt ja nicht. Winkler war ein weithin angefeindeter Politiker. Als das alles passierte, fühlte ich mich mitschuldig. Der Personenschutz soll die Leute ja vor solchen Angriffen schützen. Ich wollte unbedingt klären, was da passiert ist. Es ist mir nicht gelungen. Der Fall hat mich ein Jahr meines Lebens gekostet. Wahrscheinlich mehr. Ich habe Tag und Nacht gearbeitet.«

»Ich verstehe es immer noch nicht. Warum haben Sie so viel Energie darauf verwendet?«

»Es war ein Riesenfall. Ich wollte beweisen, was ich kann.«

»Wie kam das an? Also bei den Kollegen, den Vorgesetzten.«

»Nicht gut. Nach einem halben Jahr wollte man den Fall abschließen. Auch ohne Ermittlungsergebnis.«

»Und Sie haben auf eigene Kappe weiterermittelt?«

»Ja.«

»Aha. Und dann?«

»Als mein Vorgesetzter es herausfand, wurde ich explizit angewiesen, die Finger davon zu lassen. Auch weil in dem Fall viele Kompetenzen an den Staatsschutz gegangen sind. Wegen möglicher politischer Motive. Ich vermute, dass es denen nie um die Familie ging.«

»Und Sie haben dann aufgehört zu ermitteln?«

»Nein, ich blieb auch weiterhin an dem Fall dran. Heimlich, nach Feierabend, am Wochenende. Aber irgendwann hat es aufgehört. Ist verblasst wie ein schlechter Traum. Und trotzdem bin ich alle paar Jahre mal wieder zu dem Haus gefahren, um mich dort umzusehen. Eigentlich vor allem, um zu überprüfen, ob ich damit fertig werde, mich damit abfinde. Verstehen Sie das?«

»Der Täter kehrt immer wieder an den Tatort zurück – der Ermittler auch.«

»Vor einem guten Monat war ich mal wieder bei dem Haus. Da stand plötzlich ein Bauzaun rund um das Grundstück. Ich habe mich auf dem Gemeindeamt erkundigt. Das Grundstück ist bereits verkauft, das Haus wird in zwei Wochen abgerissen und dann ist es endgültig vorbei. Aber noch haben wir ein kleines Zeitfenster.«

»Und was erwarten Sie jetzt von mir? Neue Erkenntnisse durch DNA-Analysen, Big Data?«

»Mader, ich weiß doch, wie Sie ticken. Ich brauche kein High-Tech, ich brauche jemanden mit einem anderen Blick, einer originellen Idee abseits dessen, was wir damals schon alles versucht haben. Wenn das einer kann, dann Sie.«

»Danke für die Blumen.«

»Lesen Sie sich in den Fall ein, die offiziellen Akten haben Sie bereits. Ich gebe Ihnen noch meine privaten Aufzeichnungen. Wenn Sie das möchten.«

»Aber wie soll ich das machen – ermitteln ohne konkreten, aktuellen Anlass?«

»Mord verjährt nicht.«

»Also da würden mir diverse ungelöste Fälle einfallen.«

»Haben Sie im Moment denn viel auf dem Tisch?«

»Es geht so. Nein, aktuell nichts wirklich Wichtiges.«

»Geben Sie das Tagesgeschäft in die Hände Ihres Teams. Sie bekommen von mir Sonderurlaub.«

»Wie bitte?«

»Mader, Sie haben dieses Jahr 35-jähriges Dienstjubiläum. Da ist eine Woche drin. Ganz offiziell. Keine Extratour.«

»Super, dann fahr ich nochmal nach Paris.«

»Im Ernst, Mader, ich brauche Ihre Hilfe.«

»Korrekt ist das mit dem Sonderurlaub aber nicht.«

»Sehen Sie es als Weiterbildung.«

»Worum geht es Ihnen eigentlich? Da steckt doch mehr dahinter, oder?«

»Ich würde Sie bitten, jetzt keine weiteren Fragen zu stellen.«

»Okay, ich stell jetzt keine Frage mehr. Wenn ich einen Überblick habe, will ich aber die Hintergründe wissen, warum Sie das unbedingt noch klären wollen.«

»Es geht um meine Karriere. Das hab ich Ihnen doch gesagt.«

»Das reicht mir nicht.«

Günther seufzt. »Das habe ich befürchtet. Ja, später erzähl ich Ihnen mehr. Nicht über den Fall – über mich.«

»Ich erinnere Sie daran.«

»Und Ihre Leute erfahren bitte nichts von der Sache.«

Derrick

Zankl und Dosi fahren mit dem Dienstwagen die Grünwalder Straße stadtauswärts. Die Sonne steht fett am Himmel, ein schöner Herbstnachmittag. Rumpelnd zischt eine Trambahn an ihnen vorbei. Im dichten Verkehr kommen sie nur sehr langsam vorwärts. Hohe Dichte an Edel-Karossen – Porsche, BMW, Mercedes, Jaguar.

»San ma a bisserl untermotorisiert«, sagt Dosi an einer roten Ampel und tut so, als würde sie in der Nase popeln und ihr Fundstück aus dem Fenster schnippen. Sie freut sich über das entsetzte Gesicht des wettergegerbten Cabriofahrers neben ihr. Als dieser zu einer Tirade Luft holt, greift sie unter den Sitz zur Polizeikelle und winkt ihm mit einem frechen Grinsen.

»Dosi, jetzt lass mal den Schmarrn, am Ende kriegt der ein Herzkasperl.«

»Wegen mir gerne.«

»Nanana …« Zankl deutet nach rechts. »Den Harlachinger Berg runter und du bist bei Hummel im Schrebergarten. Können wir am Rückweg ja mal vorbeischauen. Er hat gesagt, dass er abends dort jetzt immer noch einen Zwischenstopp einlegen muss – zum Rasensprengen.«

»Wie du das sagst!«

»Ja, wie?«

»Na, als will er alles in die Luft jagen. Rasen sprengen.«

»Und Blumen gießen natürlich.«

»Ja, dass der so aufgeht in seinem Nebenjob als Gärtner, erstaunlich.« Dosi steckt sich ein Fisherman’s in den Mund. »Den grünen Daumen hätte ich gar nicht vermutet bei ihm.«

»Mir reicht schon unser Balkon. Jasmin macht da immer ein Riesengeschiss. Im Frühjahr die Holzplatten von IKEA drauflegen, die Töpfe neu bepflanzen, dann alle Töpfe richtig platzieren. Die eine Pflanze mag Halbschatten, die andere braucht es ganz dunkel, der nächsten wiederum macht pralle Sonne nichts aus. Und das Gießen ja nicht vergessen, aber bitte nicht zu viel! Und andauernd muss ich irgendwelche Töpfe wegräumen, damit wenigstens ein bisschen Platz ist. Die Pflanzen haben mehr Rechte auf dem Balkon als ich. Und Ende September darf ich die Platten dann wieder wegräumen und die Pflanzen, die draußen bleiben, mit Jutesäcken verhüllen, als wäre es ein verdammtes Projekt von Christo. Die reinste Sisyphos-Arbeit. Es gibt doch winterharte Pflanzen.«

»Tannen zum Beispiel.«

»Zum Beispiel. Aber nein, es muss ja schön bunt sein. Auch laut Clarissa. Einpflanzen ist immer voll super, aber Gießen ist dann voll öde und ich bin der Depp, der dran denken muss oder angemotzt wird, wenn die Pflanzen vertrocknen. Und die Hängematte, die ich auf dem Balkon aufgespannt habe, ist auch immer besetzt, wenn ich mich mal eine Viertelstunde reinlegen will.«

»Zankl. Weißt du, was ich denke?«

»Woher soll ich wissen, was du denkst?«

»Dass du auf einem ziemlich hohen Niveau jammerst. Dass du es eigentlich gut findest, wenn du gebraucht wirst, wenn du moderige Balkonbretter auswechseln oder das schwere Zitrusbäumchen in den Keller zum Überwintern bringen sollst. Und wenn der Balkon sogar groß genug ist für eine Hängematte, dann kannst du meinen mal anschauen. Vielleicht erklärst du mir dann auch, warum ein Geländer eigentlich ›Französischer Balkon‹ heißt. Also jammer nicht!«

Zankl will schon aufbrausen, dann überlegt er und sagt: »Ja, vielleicht hast du recht. Eigentlich brauche ich mich nicht beschweren, auch wenn das mit den blöden Pflanzen nervt.«

»Solange es nur die Pflanzen sind und nicht deine Familie generell.«

»Naja, manchmal ist es schon sehr eng. Also rein physisch. Wir leben zu viert auf siebzig Quadratmetern!«

»Du bist doch eh kaum zu Hause.«

»Haha, Dosi, sehr witzig.«

»Na, dann hoffe ich mal, dass du keinen Anfall von Sozialneid bekommst, wenn wir jetzt gleich eine Grünwalder Villa betreten.«

»Ich kann’s kaum erwarten, einen Blick hinter die hohen Mauern einer Millionärsvilla zu werfen. Bestimmt ein riesiges geschmackloses Haus, das den Odem tödlicher Langeweile verströmt. Wie die meisten Villen dort. Wo Mumien wohnen, die sich nur durch intravenöse Zufuhr von Champagner und Cognac über ihre triste Restlaufzeit retten.«

»Zankl, in welcher Klischeehölle lebst du denn?«

»Hast du nie Derrick geguckt?«

»Was ist das?«

»Gibt’s ja nicht. Du kennst Derrick nicht? Das ist eine Kultserie im Fernsehen aus den Achtzigern! Mit Horst Tappert als Stefan Derrick.«

»Wer ist das?«

»Ein Schauspieler. Horst Tappert hatte legendäre Tränensäcke. Und Dackelblick. Als Kriminaler Stefan Derrick war er oft in Grünwald unterwegs. Streifte wie ein schläfriger Dachshund durch die edlen Wohngruften. Die Leute, Frisuren, sagenhaft! Das pure Grauen. Und die Klamotten erst! Riesenkrägen, Rüschen, Frauenblusen mit Schulterpolstern. Slowmotion-Fernsehen. Du musst dir unbedingt mal eine Folge reinziehen.«

»Den Eindruck habe ich jetzt nicht.«

»Doch, das ist Kult. Glaub’s mir.«

»Ich werde es googeln. Wenn mir mal sehr langweilig ist. Vielleicht sollte Mader sich die Serie mal wieder anschauen. Klingt ganz, als würde ihm das gefallen.«

»Ach, der rührt sich doch fast gar nicht mehr aus seinem Büro. Außer, um mit Bajazzo Gassi zu gehen.«

»Sei froh, dass er uns machen lässt. Ich freu mich immer, wenn ich mal rauskomm.«

»Ich auch. Mader war heute Mittag übrigens mit Dr. Günther essen – der Arme.«

»Mader oder Günther?« Dosi grinst.

»Da vorne ist es«, sagt Zankl und deutet zu der riesigen Villa, vor der ein Krankenwagen und zwei Polizeiautos stehen.

»Hui!«, staunt Dosi, als sie kurz darauf in dem Foyer des pseudoklassizistischen Baus stehen. »Das ist echt groß.« Ihr Blick geht hoch zu dem Kronleuchter, der wie ein glitzernder Todesstern fünf Meter über ihnen hängt.

»Der Typ konnte sich sowas leisten«, sagt Zankl.

»Was hat der denn beruflich gemacht?«

»Konservenfabrikant. Ferdinand von Pröller.«

Dosi lacht auf. »Ha, jetzt kapier ich es erst. Das ist der Heini von Pröller-Gewürzgurken. Die kauf ich auch immer. Nicht die billigsten, aber die einzigen, die so richtig knacken. Fränki steht voll auf die Dinger. Er macht seinen Schweizer Wurstsalat immer mit Pröller-Gurken, der totale Hammer. Geschmack mit Knack – toll, töller, Gurken von Pröller. So ein geiler Werbespruch!«

Zankl hört ihr gar nicht zu und geht zu der Rechtsmedizinerin, die gerade über ihren Instrumentenkoffer gebeugt ist. »Hallo Gesine, was machst du denn hier?«

»Dasselbe wie ihr wahrscheinlich. Fremdverschulden ausschließen. Ihr kommt ganz schön spät?«

»Wir haben noch Anderes auf dem Tisch.«

»Ich auch.«

»Boah, der war gut«, murmelt Zankl. »Nein, wir sind ziemlich lang im Stau gestanden zwischen den Kleinwagen von Porsche, Maserati und Bentley.«

»Ich bin mit dem Krankenwagen mitgefahren, mit Blaulicht ging das recht flott.«

»Ich denke, der Mann ist tot. Was brauchen wir da noch einen Krankenwagen?«

»Nicht für den Toten.«

»Sondern?«

»Naja, wenn man einen Toten findet und nicht so viel Erfahrung damit hat wie wir, dann kriegt man schon mal schnell einen Schock. Besonders Angehörige. Deswegen ist auch ein Kriseninterventionsteam hier. Aber der Frau geht es offenbar den Umständen entsprechend gut.«

»Okay. Und worum geht es genau? Ein Unfall?«

»So sieht es zumindest aus. Aber macht euch am besten selbst ein Bild.«

Sie folgen Gesine ins Untergeschoss des Hauses, wo sich ein großes Schwimmbad befindet. Die schwarzen Schieferplatten, mit denen alles ausgekleidet ist, schimmern matt im Tageslicht, das durch raffiniert eingesetzte Oberlichter einfällt. Das Ganze wirkt wie das Set eines James-Bond-Films.

»Luxus ist doch was Angenehmes«, sagt Gesine. »Vielleicht wird hier ja bald was frei.«

»Tja, wenn du tot bist, dann hilft dir auch der schönste Luxus nix«, meint Dosi.

»Das hast du schön gesagt, Dosi«, sagt Zankl.

»Ist doch so. Darf ich?«, fragt sie Gesine und deutet auf den zugedeckten Leichnam.

Gesine tritt zur Seite. »Aber bitte doch. Ist ganz frisch.«

Dosi zieht das Tuch weg. Zum Vorschein kommt ein trotz sanfter Leichenblässe immer noch satt gebräunter, durchtrainierter Herr. Nicht mehr ganz faltenfrei, aber insgesamt doch sehr sportlich.

Dosi nickt nachdenklich. »Das ist also der Gurkenkönig. Wir alt ist er geworden?«

»Sechsundsiebzig«, sagt Zankl.

»Was du alles weißt.«

»Ich mach mich halt gerne schon vorher schlau.«

»Dafür kenn ich seine Gürkchen. Mann, für Sechsundsiebzig ist der Herr von Pröller noch ganz gut beieinander.«

»War, meine Liebe.«

»Ach, eigentlich sieht der Gurkenkönig noch immer ganz knackig aus. Als würde er gleich aus seinem Mittagsschlaf erwachen. Er vermittelt jedenfalls nicht den Eindruck, als würde er einfach so vom Stangerl fallen. Steht die Todesursache denn schon fest, Gesine?«

»Nein. Aber vermutlich Ertrinken. Vielleicht auch Herzinfarkt. Wir werden sehen.«

»Wer hat ihn denn gefunden?«, fragt Zankl.

»Seine Frau, wenn ich das richtig verstanden habe. Sie kam vom Friseur und da schwamm er auf der Wasseroberfläche. Gesicht nach unten. Müsst ihr die Grünwalder Kollegen nochmal fragen. Die waren zuerst hier.«

»Todeszeit?«

»Vermutlich zwischen zehn und zwölf Uhr.«

Jetzt kommt ein uniformierter Beamter ins Schwimmbad und stellt sich vor: »Gruber, Dienststelle Grünwald. Brauchen Sie uns denn noch?«

»Grüß Sie«, sagt Zankl und gibt ihm die Hand. »Die Ehefrau ist oben?«

»Ja.«

»Sagen Sie, was denken Sie – ein Unfall?«

»Offenbar. Wobei das schon komisch ist, der Typ sieht eigentlich topfit aus.«

»Ja, das finden wir auch. Danke nochmal, Sie können gehen. Wenn wir noch Fragen haben, rufen wir an.« Zankl sieht nachdenklich zum Pool. »Der war doch bestimmt ein guter Schwimmer. So wie der aussieht.«

»Mei, vielleicht war es einfach ein Unfall«, meint Gesine. »Dinge passieren. Ein Krampf, Herzstillstand.«

»Naja, Gesine, und warum obduzierst du ihn dann?«, fragt Dosi.

»Damit wir die Todesursache auch amtlich haben. Sicher ist sicher. Bei so viel Kohle.« Sie macht eine ausladende Bewegung mit den Armen.

»Komm, Dosi«, sagt Zankl, »mich würde jetzt schon sehr interessieren, was seine Frau zu all dem sagt.«

Sie gehen nach oben in die riesige Wohnküche der Villa. Auf einem Stuhl am Esstisch sitzt eine zusammengesunkene Frau mittleren Alters.

»Hallo, wir sind von der Polizei«, stellt sich Dosi vor. »Roßmeier. Mein Kollege Zankl. Haben Sie ihn gefunden?«

Die Frau sieht sie mit verheulten Augen an. »Ja, normalerweise gehe ich da nicht runter.«

»Aha?«

»In der Regel bin ich nur für die Küche zuständig.«

»Aha. Sehr schön«, sagt Dosi amüsiert.

»Wie, äh, meinen Sie das?«

»Tschuldigung. Ging Ihr Mann immer zur selben Zeit schwimmen?«

»Das ist nicht mein Mann, ich bin die Haushälterin. Gerlinde Meiler.«

»Oh, ich dachte, seine Frau hätte ihn gefunden? Da haben wir offenbar was falsch verstanden. Sie haben ihn also gefunden, Frau Meiler?«

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