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Turnier der Leidenschaft

Von wilder Leidenschaft erfasst, gibt sich die junge Meredyth nach der Vermählung ihrem Gemahl Roland of Kirkland hin. Doch sie muss fürchten, dass es ihre einzige Nacht mit dem stolzen Burgherrn bleiben wird. Wenn der Ritter des Königs erst entdeckt, wer sie wirklich ist, welch ungeheuerlichem Betrug er erlegen ist, wird er sie bestimmt in die Verbannung schicken …


  • Erscheinungstag: 30.11.2023
  • Seitenanzahl: 217
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745753820
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

R oland St. Sebastian, Baron of Kirkland, lehnte sich in seinem Kirchenstuhl in der Kapelle von Penacre nach vorn. Die farbenprächtigen Muster, die durch die großen bunten Glasfenster hinter dem Altar auf den peinlich sauberen Steinboden fielen, fanden nicht sein Gefallen. Vielmehr war Roland dadurch beunruhigt, dass die Zeit immer weiter voranschritt. Er zwang sich, jedes Anzeichen seines wachsenden Ärgers zu verbergen, als er das Kinn auf die gefalteten Hände stützte. Indes, er konnte den Ausdruck von Ungeduld und Missfallen nicht aus seinen zusammengekniffenen blauen Augen verbannen, während er zu den beiden anderen Personen im Raum sah.

Wo war seine Braut?

Einer der beiden war der Vater der Braut, Hugh Chalmers, Baron of Penacre, ein großer schlanker Mann mit zahlreichen grauen Strähnen in seinen dunkelblonden Haaren. Er stand stumm und zurückgezogen vor dem Altar, der mit kostbarem rotem Samt drapiert war und auf dem zwei reich verzierte goldene Kerzenleuchter standen. Neben ihm stand der ebenfalls prächtig gekleidete Priester, dem man ansah, wie unbehaglich er sich fühlte.

Als der Priester sich zu ihm wandte und ihm etwas zuraunte, gab Hugh wortkarg Antwort. Sein hagerer Körper blieb nahezu unbeweglich in der langen blauen Tunika mit einer Umrandung aus feinem dunkelblauem Damast. Roland sah, wie sein Blick rasch zu der geöffneten Tür am Ende des Raumes schweifte.

Immer noch blieb der Eingang leer.

Offensichtlich wartete auch Penacre mit Ungeduld auf das Eintreffen seiner Tochter. Roland wusste, der Baron hatte sich dieser Verbindung widersetzt. Doch das Warten machte keinen Sinn.

King John selbst hatte verfügt, dass diese Hochzeit stattfand. Der König hatte entschieden, dass die Kämpfe zwischen den Häusern von Penacre und Kirkland lange genug gedauert hatten, nachdem eine der kleineren Burgen Rolands zerstört worden war und damit auch viele Vorräte. Vorräte waren in diesen Zeiten nach den Kriegen im Heiligen Land knapp und daher von großer Wichtigkeit.

Rolands Gesicht verzerrte sich, und er fuhr sich mit der Hand durch sein schwarzes Haar. Er wollte nicht an den Krieg im Heiligen Land erinnert werden, genauso wenig wie er sich verheiraten wollte. Dieser Krieg hatte seinen älteren Bruder Geoffrey, der nach dem Tod des Vaters Titel und Ländereien erben sollte, das Leben gekostet. Roland fühlte sich noch immer nicht wohl als Erbe seines Vaters, wenngleich er schon vor dessen Tod im Jahre des Herrn 1200, ein Jahr nachdem König Richard sein Ende bei Châlus-Chabrol fand, das Land verwaltet hatte. Wenn nicht eine Reihe von tragischen Umständen eingetreten wäre, trüge er bloß den Titel des jüngsten Sohnes.

Indes wollte er seine Gedanken auf die bevorstehende Vermählung mit Celeste Chalmers richten. Obwohl die Tochter seines Feindes nicht die Braut war, die er selbst erwählt hätte, war sie unvergleichlich schön. Er hatte sie zwar nur ein einziges Mal im Audienzsaal des Königs gesehen, als John verkündete, dass eine Hochzeit die beste Lösung sei, um die Auseinandersetzungen zu beenden, doch Roland fand, dass sie als Gemahlin geeignet war.

Celeste Chalmers war nur Mittel zum Zweck. Er wollte Frieden und Wohlstand auf seinem Land. Ihr reiches Wittum sollte großzügig seine Bemühungen unterstützen, um den Besitz wieder in den gewinnbringenden Zustand zu versetzen, den die Ländereien hatten, bevor sein Vater sich der Hölle der Trunksucht hingegeben hatte. Darüber hinaus sollte diese Ehe sein Leben nicht wesentlich verändern. Die Aufgabe des Weibes war es, dem Gatten das Bett zu wärmen und legitime Erben zu gebären. Sie sollte seine Tafel mit ihrer Schönheit zieren und seine Bedürfnisse befriedigen, wenn er es wünschte.

Roland wollte nicht den Fehler machen, sein Vertrauen blind in die Hände einer Frau zu legen, wie es sein Vater getan hatte. Das war sein Untergang gewesen.

Liebe war für ihn bedeutungslos. Sie hatte seinen Vater in die Knie gezwungen, als seine Gemahlin ihn verließ, und erneut, als eine Frau zwischen ihn und seinen ältesten Sohn trat.

Roland schüttelte den Kopf und richtete sich auf. Er wollte jetzt nicht daran denken. Wieder blickte er mit Ungeduld zu der offenen Kapellentüre.

Wo war das Mädchen, und was dachte es sich dabei, ihn so lange warten zu lassen? Sie sollte nicht denken, dass ihre Schönheit sie davor bewahrte, Rolands Befehlen zu gehorchen, war sie erst einmal sein Weib. Er warf Penacre einen abschätzenden Blick zu und sah die wachsende Enttäuschung des alten Mannes, der die Lippen zusammenkniff. Er hatte den Mann besser eingeschätzt, als dass er einem Mädchen so ein Verhalten erlaubte. Waren sie erst einmal am nächsten Morgen auf dem Weg nach Kirkland, sollte sie schon lernen, wo ihr Platz war.

Erst einige Stunden zuvor war er auf der Burg Penacres angekommen mit nicht mehr als vier seiner am engsten vertrauten Rittern als Gefolge. Roland hatte völlig zu Recht vermutet, als er dachte, dass man ihn nicht mit Falschheit empfangen würde. Er hatte indes auch gewusst, dass man ihm genauso wenig einen herzlichen Empfang bereiten würde.

Penacre hatte ihn begrüßt und in den großen Saal geführt. Nach kurzer Zeit wurde Roland aufgefordert, seine Männer zurückzulassen und in die Kapelle zu kommen, wo seine zukünftige Braut auf ihn warten sollte.

Penacre hatte freimütig eingestanden, als sie zu der Kapelle am anderen Ende der Burg schritten, seine Tochter habe verlangt, dass niemand außer dem Bräutigam, ihrem Vater und dem Priester an der Zeremonie teilnehmen sollten. Roland hatte es seltsam gefunden, das Mädchen so zu verhätscheln, indes, er wollte Penacre nicht sagen, was er in seinem eigenen Haushalt zu tun hätte.

Zwei Stunden waren vergangen, und Roland hatte begonnen, darüber nachzudenken, ob sein Schwiegervater ein närrischer Weichling war. Es überraschte ihn, dass dies derselbe Mann war, der noch vor Kurzem mit ungeheurer Entschlossenheit gegen ihn gekämpft hatte. Die beiden Familien hatten lange miteinander in Fehde gelegen. Oftmals hatten sie bei politischen Konflikten auf entgegengesetzten Seiten gestanden, in den vergangenen Jahren jedoch schien es, als würden die heftigen Attacken Penacres nahezu persönlich. Nur zwei Monate nach dem Tod von Rolands Vater hatte sich heimlich ein Mann in das Kastell der Kirklands geschlichen und das Lieblingspferd seines Vaters gestohlen. Dass Penacres Leute die Tat ausgeführt hatten, wurde erst offenbar, als der Dieb auf der Flucht seinen Mantel abwarf und so das Banner Penacres, die Farben Gelb und Grün, enthüllte. Roland sagte sich, dass es das Pferd des kürzlich dahingeschiedenen Vaters war, sei bloßer Zufall, doch der Vorfall selbst machte ihn wütend.

Der Gedanke daran erzürnte ihn nun erneut in so hohem Maße, dass er nicht länger still sitzen konnte. „Ich werde des Wartens müde. Wo ist Eure Tochter?“ Eine volle Stunde war vergangen, seit Penacre zum letzten Mal jemanden von der Dienerschaft, die draußen im Korridor wartete, sandte, um herauszufinden, wann seine Tochter erscheinen würde.

Hugh Chalmers, der, wie es schien, nach Rolands energischem Ausbruch am Ende seiner Geduld angekommen war, wandte sich ab und schritt den Gang entlang. Diesmal befahl er barsch: „Geh und sieh, was, um alles in der Welt, meine Tochter aufhält.“

Meredyth Chalmers sah den Bediensteten Max mit Bedauern an. „Sag Vater, ich will alles versuchen.“ Sie wandte sich wieder der verschlossenen Tür des Zimmers ihrer Schwester zu. Nichts und niemand, nicht einmal die vertraute Dienerin ihrer Schwester, Agnes, konnte in den vergangenen Stunden etwas sagen oder tun, um Celeste aus ihrem Zimmer zu locken. Die Tür blieb verschlossen.

Meredyth holte tief Luft. „Celeste, bitte, Ihr müsst mich einlassen. Ich werde mein Möglichstes tun, um zu verstehen, was Euch ängstigt.“ Meredyth dachte, ihre Schwester sei von dem Schrecken befallen, einen Fremden ehelichen zu müssen. Vielleicht könnte ihre Furcht sich lösen, wenn sie darüber sprächen.

Zu ihrer höchsten Überraschung und Erleichterung hörte sie, wie der Riegel mit einem leichten Knirschen zurückgeschoben wurde. Für einen langen Augenblick stand Meredyth da, unsicher, was sie ihrer Schwester sagen sollte. Meredyth atmete nochmals tief durch und bemühte sich, Ruhe und Geduld auszustrahlen, als sie die Tür öffnete.

Ihr besorgter Blick fand Celeste nahe am Fenster sitzend. Sie trug ihr elfenbeinfarbenes Hochzeitskleid. Die goldene Stickerei, die die langen Ärmel und den weiten Rock zierte, glitzerte in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Sie fielen auch auf den goldenen Schleier, der Celestes blondes Haar bedeckte, das offen bis zu ihren Hüften herabhing. Ihr Gesicht, jeder Zug darin in vollkommener Harmonie, wurde von dem glänzenden Licht umrahmt. Obwohl Meredyth ihr ganzes bisheriges Leben zusammen mit ihrer Schwester verbracht hatte, fand sie sie auch nun wieder atemberaubend schön. Celeste war wie die Engel, die sie auf den bunt bemalten Zeichnungen der Bibel gesehen hatte, aus der ihnen der Priester das Lesen beigebracht hatte.

Ihre Lieblichkeit passte ausgezeichnet in das kostbar eingerichtete Zimmer mit seinen dicken orientalischen Teppichen und farbenprächtigen Wandbehängen. Das große, dunkel gebeizte Bett mit den schweren saphirblauen Vorhängen zeigte die golddurchwirkte Darstellung eines Greifs, dem Wappentier Penacres, und schien ein passender Platz für solch ein vollkommenes Geschöpf wie Celeste zu sein, um Ruhe zu finden.

Die Worte, die Celeste sprach, ohne den nachdenklichen Blick von ihren schlanken weißen Händen zu heben, verbannten jedoch jeden anderen Gedanken aus Meredyth’ Sinn. „Ich kann Kirkland nicht heiraten. Ich liebe einen anderen.“

Meredyth Chalmers starrte mit beginnendem Entsetzen auf ihre Schwester. „Ihr liebt einen anderen? Celeste, wem seid Ihr in Liebe verfallen?“ Ein plötzlicher, schier unmöglicher Gedanke tauchte in ihr auf. „Es ist doch nicht des Earls Sohn, Orin? Er ist fast noch ein Knabe.“

Celeste blickte sie an. Ihre unschuldigen blauen Augen öffneten sich vor Überraschung. „Nein, wie könnt Ihr nur an so etwas denken? Wie Ihr sagt, er ist noch ein Knabe.“

Meredyth fühlte sich erleichtert, doch nur in geringem Maß. Sie versuchte gelassen zu klingen. „Das beruhigt mich. Seine Verehrung für Euch ist für jemanden, der Augen im Kopf hat, kein Geheimnis, und er ist immer in Begleitung von Sir Giles.“ Wenigstens war Celeste nicht so närrisch gewesen, die verwirrten Gefühle des jungen Mannes zu erwidern. In ihrer Erregung fuhr Meredyth fort: „Diese beiden gehören zusammen, auf eine Art, die ich nicht erklären kann. Beide sind mir unangenehm.“

Ihren Worten folgte ein bedrückendes Schweigen.

Meredyth sah auf und bemerkte in ihrem erregten Zustand, dass ihre Schwester sehr viel stiller schien, seit sie den Namen Sir Giles erwähnt hatte – zu still. „Sagt nicht, es ist …“

Celeste hob den Blick und sah in das Antlitz ihrer Schwester. „Ja. Ich liebe Sir Giles.“ Für einen Augenblick klang sie erleichtert, die Worte laut ausgesprochen zu haben, bevor sich wieder Trauer über sie senkte. „Ich dachte … hoffte, er würde etwas zu Vater sagen … etwas unternehmen, um die Hochzeit mit St. Sebastian zu verhindern, ehe es zu spät ist. Dass er sich vielleicht anders besonnen hätte …“

Meredyth runzelte die Stirne. „Sich anders besonnen hätte?“

Celeste schreckte hoch, und für einen kurzen Moment glaubte Meredyth, Angst in ihren blauen Augen gesehen zu haben. Indes, dieser Eindruck war rasch vergessen, als Celeste heftig ihren Kopf schüttelte. „Es treibt mich nahezu zum Wahnsinn, und ich weiß nicht mehr, was ich sage. Als Ihr gerade eintratet, flehte ich sogar, dass es die Nachricht sei, er … doch … Was soll ich tun?“ Sie ließ den Kopf sinken und begann zu weinen. Heftiges Schluchzen schüttelte ihren schlanken Körper.

Meredyth fuhr nervös über den mit Gold durchwirkten Mittelteil ihres Kleides. Die Berührung ihres eigenen, neuen Gewandes erinnerte sie daran, dass ein Bräutigam Celeste erwartete. „Celeste, sie warten in der Kapelle. Zum zweiten Mal hat Vater einen Boten gesandt, um herauszufinden, warum es so lange dauert. Euer Widerstand gegen diese Ehe war offensichtlich, indes hatte ich so etwas nicht erwartet.“

Das Schluchzen wurde nur noch lauter. In den Wochen, seit der Vater und die Schwester vom Hofe zurückgekehrt waren, war Celeste besonders schweigsam. Sie war schon immer still gewesen, und sie hatte selbstverständlich nichts gesagt, was darauf schließen ließe, dass sie nicht bereit war, diese Ehe einzugehen. Sie hatte einfach zugesehen, immer schön und in Gedanken entrückt, als man ihr das Hochzeitskleid anpasste und Kisten mit Leinen und anderem Hausrat füllte. In Wahrheit hatte sie die Auswahl dieser Gegenstände ihrer jüngeren Schwester überlassen, war Meredyth doch gewohnt, sich um den Haushalt auf Penacre zu sorgen. Obwohl sie um ein Jahr älter war, hatte Celeste niemals Interesse daran gezeigt, die Burg zu führen.

Und man erwartete nicht, dass sie dies täte. Ihre Anmut und zarte Lieblichkeit, der silberhelle Klang ihrer Stimme schienen dem Vater mehr zu gefallen, als Meredyth jemals erreichen konnte, auch wenn sie für seine Bequemlichkeit und sein Wohlbefinden sorgte. Auch Meredyth hätte gerne für sich das Licht der Verehrung in den Augen des Vaters gesehen.

Nicht, dass sie es der Schwester neidete. Sie liebte Celeste. Es wäre schwer, es nicht zu tun. Celeste strahlte eine sanfte Liebenswürdigkeit aus, die Menschen zu ihr hinzog und sie völlig von ihrer überragenden Schönheit einnahm. Sie war zerbrechlich und bedurfte mehr Aufmerksamkeit als andere, Meredyth selbst mit eingeschlossen.

Meredyth hatte Sir Giles niemals ganz vertraut, seit er vor etwa drei Jahren nach Penacre gekommen war, und nun dachte sie daran, ob er wohl aus der romantischen Veranlagung ihrer Schwester Nutzen gezogen hatte. Rasch sagte sich Meredyth, dass er gewiss nicht so weit gegangen wäre, doch ihre Unsicherheit ließ sich nicht zerstreuen. In den großen blauen Augen des Ritters brannte ein Feuer, in dem sie sich entschieden unbehaglich fühlte. Sanft sagte sie: „Celeste, Sir Giles, er hat doch nicht … Euch gezwungen?“

Celeste blickte sie entsetzt an, ihre blauen Augen spiegelten ihre Sorgen und Gefühle wider, die Meredyth indes nicht als Schuld lesen wollte. „Das hat er nicht.“

Meredyth hörte die Qual in der Stimme der Schwester, die Art und Weise ihrer Zusicherung jedoch brachte nur wenig Erleichterung. Widerstrebend zwang sie sich, weiter zu fragen, obwohl es sie schmerzte, wenn sie in Gedanken die zarte Celeste mit diesem harten, urwüchsigen Mann sah. „Erwidert er Eure Zuneigung?“

Celeste wirkte betroffen. „Das tut er nicht. Ich hatte gedacht, meine Liebe wäre stark genug für uns beide, jetzt …“

Meredyth schloss ihre Lider. Sie konnte die unendliche Trostlosigkeit im Blick ihrer Schwester nicht ertragen. Wenn Liebe jemanden dazu brachte, sich so zu verhalten, wollte sie besser niemals lieben. Für sie schien das ohnehin nicht sehr wahrscheinlich. Ihre Stellung als Kastellanin in des Vaters Haushalt war ihr sicher für alle Zeit.

Sie schob ihre eigenen, unbedeutenden Sorgen beiseite, um an die Schwester zu denken. „Wie könnt Ihr einen Mann lieben, der Eure Liebe nicht erwidert?“

Celeste hob ihre schlanken Hände an ihre Brust. „Ich weiß nur, dass ich es tue. Seht Ihr denn nicht, dass ich keine Möglichkeit habe, jemals wieder mit Sir Giles beisammenzusein, wenn ich diesen Mann, diesen Roland St. Sebastian, heirate? Und ich weiß, dass wir das könnten, Meredyth. Giles wird mich lieben, wenn man ihm genug Zeit lässt. Er wird einsehen, dass es für uns keinen anderen Weg gibt, dass wir zusammengehören, dass nichts anderes vorstellbar ist.“

Meredyth stand da, hilflos und verwirrt, und schüttelte den Kopf. Celestes Wahl der Worte hingegen schien seltsam. Schon gar nicht wollte sich Meredyth von den gegenwärtigen Sorgen ablenken lassen. „Ihr seid St. Sebastian versprochen.“

Celeste sprang auf und lehnte sich gegen das offene Süll. Wilder Schmerz und Entschlossenheit standen in ihrem Gesicht zu lesen. „Ich stürze mich hinab aus dieser Höhe, Meredyth. Ich werde es tun.“

Meredyth schlug das Herz dumpf vor Angst, und sie flüsterte: „Das könnt Ihr nicht tun, Celeste.“

Die ältere Schwester hob ihr Kinn und zeigte eine Entschlossenheit, die Meredyth überraschte. „Ich kann ihn nicht heiraten.“

„Wir … es muss uns etwas einfallen“, meinte Meredyth nachdenklich.

Sie war erleichtert, als Celeste sich vom geöffneten Fenster abwandte. Offensichtlich war ihre Verzweiflung geringer, da sie merkte, ihre Schwester begann sie ernst zu nehmen. Meredyth hörte nicht auf, den Kopf zu schütteln, als sie laut rief: „Doch was? Was würde geschehen, wenn Ihr dem Befehl des Königs nicht gehorchtet?“

„Es ist ohne Bedeutung, Meredyth. Ich weiß nur, dass ich Giles liebe. Ihr werdet das nicht verstehen, weil Ihr noch nie etwas für jemanden empfunden habt. Ich beobachte ihn den ganzen Tag. Ich sehne mich nach ihm in der Dunkelheit der Nacht.“

Meredyth errötete. Dieses Gespräch war weit entfernt von ihrer Erfahrung, dennoch konnte sie die Qualen ihrer Schwester nicht unbeachtet lassen. „Ihr habt recht, wenn Ihr sagt, dass ich niemals so gefühlt habe. Indes, ich empfinde Verständnis für Euren Kummer. Gäbe es irgendeinen Weg, Euch zu helfen, Celeste, ich würde ihn gehen. Ach, was kann ich bloß tun?“

Celeste sah sie an. Etwas von ihrem Schmerz schien verschwunden zu sein, als sie mit Zuversicht sprach: „St. Sebastian empfindet nichts für mich. Er heiratet mich lediglich auf Befehl des Königs, um die Streitigkeiten zwischen unseren Familien zu beenden.“ Für einen Augenblick hielt sie inne. Sie biss sich auf die volle Unterlippe, während sie ihre Schwester nachdenklich betrachtete.

Als Celeste flehentlich weitersprach, durchfuhr Meredyth ein Gefühl des Unbehagens. „Vielleicht könnt Ihr doch etwas tun, Meredyth. Ihr sagtet selbst, dass Ihr für niemanden etwas empfindet. Ich verstehe nicht, warum gerade ich diesen Mann ehelichen soll. Was verlangt wurde, ist eine Versöhnung zwischen unseren Häusern. Die Braut ist dabei Nebensache. Ich bin sicher, King John hat mich ausgewählt, weil ich die ältere von uns beiden bin. Es ist üblicherweise Brauch, dass die älteste Tochter zuerst vermählt wird, doch es ist kein Gesetz.“

Meredyth legte die Hände an die Brust, als sie überrascht und bestürzt nach Luft rang. „Ihr möchtet, dass ich ihn an Eurer Stelle heirate? Das kann ich doch nicht tun! Dieser Mann würde es niemals zulassen, dass ich Euren Platz einnehme. Welchen Grund sollte Vater ihm nennen? Dass Ihr einen anderen liebt, wird dabei bestimmt nicht ins Gewicht fallen. Er ist Vaters Feind – und somit unser Feind. Er und seine Männer haben unser Land schwer verwüstet.“

Celeste zögerte nur für einen kurzen Augenblick, bevor ihr Ausdruck sich erhellte. „Deshalb werden wir es dem Baron of Kirkland auch nicht sagen, bis es zu spät ist. Und wir können Vater nichts erzählen, weil er dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden soll.“

Meredyth schüttelte verwirrt den Kopf. „Es nicht sagen? Was meint Ihr?“ Sie machte eine Geste, um auf ihr eigenes Körpermaß hinzuweisen. „Ihr werdet doch nicht glauben, dass man mich mit Euch verwechseln könnte, Celeste. Selbst wenn es nicht unsere unterschiedliche Größe wäre, seht Euch Euer Haar an und dann meines.“ Meredyth griff über ihre Schulter und zog ihr eigenes, schweres, geflochtenes rotes Haar nach vorn. „Es gibt keine Hoffnung, damit Erfolg zu haben.“

Celeste trat näher zu ihr, ihre Augen blickten flehentlich. „Wir können es tun. Wir müssen es tun, Meredyth. Ich … ich bin keine Jungfrau mehr, und St. Sebastian würde mich eher töten als mir vergeben, wenn er das herausfände. Ihr habt selbst gesagt, er sei unser Feind. Denkt Ihr, er würde mich mit Freundlichkeit behandeln?“

Meredyth rang nach Luft. „Ihr sagtet doch …“

„Ich sagte, er hat mich nicht gezwungen.“ Ihre Wangen färbten sich dunkelrot.

Das änderte alles. Meredyth wusste, dass Celeste die Wahrheit sprach. St. Sebastian würde sie bestimmt töten, wenn er herausfand, dass sie nicht mehr unberührt war. „Ich kann nicht dabeisitzen und zusehen, dass Ihr solch ein Ende findet, indes …, das …“ Sie legte die Hände an ihre Wangen und versuchte, einen klaren Kopf zu behalten, obgleich ihre Gedanken von dem soeben Gehörten und der Sorge um ihre Schwester umwölkt waren.

Celestes Ton wurde schmeichelnder. „Meredyth, ich habe diesen Mann gesehen. Selbst wenn er ein Feind unserer Familie ist, muss ich eingestehen, dass er gut aussieht. St. Sebastian ist groß, kräftig und überaus stattlich. Ich habe gehört, wie andere Mädchen bei Hofe voll Sehnsucht von ihm sprachen. Liebte ich nicht einen anderen …“ Sie wich Meredyth’ Blick aus.

Meredyth konnte sie bloß überrascht anstarren. „Ob dieser Mann gut aussieht oder nicht, sorgt mich im Augenblick am wenigsten.“

Die Schwester errötete, doch dann bettelte sie nachdrücklich: „Bitte, Ihr seid meine einzige Hoffnung.“

Als Meredyth keine Einwände erhob, sondern ihren gequälten Blick der Schwester zuwandte, begann diese, ihr Hochzeitskleid auszuziehen. Nun sprach sie, als hätte sie alles bereits durchdacht. „Ich habe einen Schleier, der Euch bedeckt vom Kopf bis zur Taille. Und Ihr werdet meine neue Cotehardie tragen, und …“

„Man wird es herausfinden. Wir haben nicht die gleiche Größe. Es sind mindestens vier Zoll Unterschied zwischen uns.“ Als sie diese Worte ausgesprochen hatte, kam Meredyth die Bemerkung ihrer Schwester über Kirkland in den Sinn – „groß, stark und überaus stattlich“. Dachte Celeste wirklich, sie mit dieser Beschreibung zu ermutigen? Und dass ihn andere Frauen begehrenswert fanden, war für sie ohne Bedeutung.

Celeste schien nichts von ihrer Reaktion bemerkt zu haben und hörte nicht auf, ihre Kleidung abzulegen, als sie sich kurz dem Fenster zuwandte. „Es ist schon fast dunkel geworden. Im Licht der Kerzen wird niemand Eure Identität erraten, wenn Ihr mein Kleid tragt. Männer bemerken solche Dinge nicht. Es liegt nicht in ihrer Natur. Ihr wisst, ich habe verlangt, dass niemand, außer dem Priester, St. Sebastian und Vater, an der Zeremonie teilnehmen soll. Vater ist zu ärgerlich über diese Eheschließung, als dass er darauf achten wird. Und der Baron hat mich nur einmal gesehen, inmitten eines überfüllten Audienzsaales.“

Meredyth glaubte ihr nicht. Jeder Mann, der Celeste auch nur einmal erblickt hatte, würde sich ihrer erinnern. Doch über diese Erkenntnis setzte sie sich hinweg, da sie sich bewusst wurde, dass ihr Vater in der Tat über Celestes Verehelichung mit diesem Mann bestürzt war und wahrscheinlich nicht darauf achten würde, was vor sich ginge.

Gerade als diese Gedanken Meredyth beschäftigten, legte Celeste das letzte ihrer Überkleider ab und ließ es zu Boden gleiten. Sie machte einen Schritt vorwärts und legte ihre Hände um die Schultern von Meredyth, die eine burgunderfarbene Cotehardie trug. „Ich werde Euch beim Ankleiden helfen. Das ist Euer Hochzeitstag.“

Ihre Kehle war vor Angst wie zugeschnürt und ausgetrocknet. Mit zitternden Beinen ging Meredyth den Weg zur Kapelle. Jeder, dem sie auf ihrem Weg begegnete, schien sichtlich erleichtert, zu wissen, dass sie endlich kam. Niemand, nicht einmal dem Vater selbst, schien aufzufallen, dass es Meredyth war und nicht Celeste, die die Kirche betrat. Er eilte ihr entgegen und geleitete sie den Gang entlang zum Altar. Sie atmete tief durch, und nur der Gedanke daran, dass sie vielleicht wirklich das Leben ihrer Schwester rettete, gab ihr die Kraft, nicht davonzulaufen.

Ihr Herz schlug wild, als sie den Gang entlangschritt, der schattenhaften Figur entgegen, dem Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte. Dieser Mann sollte ihr Gemahl werden.

Meredyth stolperte beinahe über den Saum des elfenbeinfarbenen, mit Gold durchwirkten Rockes. Sie waren gezwungen gewesen, den Rock mit einem goldenen Gürtel zu raffen. Trotzdem war er noch immer zu lang. Ihr knielanges Haar hatten sie fest zusammengebunden und mit elfenbeinfarbenem Stoff umhüllt, um die Farbe zu verbergen. Das sorgsam hochgesteckte Haar hatte ebenfalls dazu beigetragen, dass sie größer wirkte. Und zuletzt war es der schwere Schleier aus goldenem Zindeltaft, der sie vom Kopf bis zur Taille vollständig bedeckte.

Sie blickte weder nach rechts noch nach links und richtete ihre Gedanken bloß darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Als sie vor dem Altar stehen blieb, war Meredyth so erregt, dass sie nicht einmal den Mann ansehen konnte, der neben ihr stand. Er machte den Eindruck von Größe, ungeheurer Kraft und gewaltiger Unruhe auf sie.

Der Priester seufzte erleichtert auf und zog damit ihren Blick auf sich. „Ich werde die Kerzen entzünden.“

Meredyth tat rasch einen Atemzug und bat: „Tut das bitte nicht.“ Sie war beinahe froh, dass ihre Kehle so eng war und ihre Stimme durch die Angst heiser klang, sodass sie von niemandem erkannt wurde. „Ich …“

Ihre Worte schienen bei dem Mann neben ihr noch größeren Unmut hervorzurufen. Er unterbrach sie mit einer ungeduldigen Geste. „Kümmert Euch nicht um die Kerzen, Pfaffe. Lasst uns das so schnell wie möglich hinter uns bringen.“

Wenn es auch eine Erleichterung für sie war, dass sie mit seinen Wünschen übereinstimmte, war Meredyth weit davon entfernt, so zu fühlen.

Ihre Angst, entdeckt zu werden, hielt sie davon ab, ihre Gedanken auf etwas anderes zu richten als auf den Geistlichen, der das Ehegelöbnis sprach. Der tiefe Klang seiner Stimme schien durch einen dichten Nebelschleier zu ihr zu dringen wie auch die Stimme des Mannes an ihrer Seite. Indes war sie nicht völlig taub, um nicht die Ungeduld in seinem Ton zu bemerken.

Das Pochen ihres Herzens übertönte ihre geflüsterten Antworten. Es schien so schrecklich laut, dass sie mehr als einmal fürchtete, der Mann neben ihr könnte es gleichfalls hören.

Erst als der Pfarrer verstummte, wurde Meredyth sich bewusst, was geschehen war. Nicht ihre Schwester, sie war mit diesem Mann nun in Ehe verbunden.

St. Sebastian nahm besitzergreifend ihre Hand und legte sie in seine warme Hand. Ein heißer, überraschender Schauer und ein anderes, völlig unerwartetes Gefühl, das sie nicht genau beschreiben konnte, durchfuhren sie und ließen ihr Herz noch heftiger schlagen.

Meredyth versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Als die Zeremonie vollendet war, sprach er zu ihr mit seiner tiefen, heiseren Stimme und einem seltsam sinnlichen Ton. „Ist es mir nun gestattet, einen Blick auf meine schöne Braut zu werfen?“

Eine schreckliche Befürchtung überfiel Meredyth, und sie flüsterte: „Nein, Mylord, bitte. Ich bitte Euch zu verstehen, dass ich mich vor Euch befangen fühle … dieser Ehe gegenüber.“

Er beugte sich über sie, so nahe, dass sie sogar durch den schweren Zindeltaft ihres Schleiers seinen warmen Atem an ihrem Ohr fühlen konnte, und sprach: „Ihr müsst mich nicht fürchten, meine kleine Braut.“

Abermals erschauerte Meredyth, doch diesmal war die Ursache nicht bloß Angst. Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, und antwortete mit einem verzweifelten Flüstern: „Nichtsdestotrotz, es ängstigt mich.“ Er würde niemals erfahren, welche Überwindung dieses Bekenntnis sie kostete. Noch nie in ihrem Leben hatte sich Meredyth so vor irgendjemandem oder irgendetwas gefürchtet. Selbst wenn es jemals so gewesen wäre, hätte sie es nicht zugegeben. Sie hatte ihr Leben damit zugebracht, sich damit abzufinden, dass sie niemals so verehrt werden würde wie ihre Schwester. Meredyth hatte schon lange Zeit zuvor gelernt, ihre Gefühle zu verbergen.

Sie konnte ihm nicht gestatten, sie bereits jetzt zu entlarven. Was würde er tun, dieser wilde Krieger, wenn in aller Öffentlichkeit die Tatsache bekannt wurde, dass er die falsche Braut geehelicht hatte?

Sie und Celeste mussten ohne Verstand gewesen sein, zu glauben, dass sie mit diesem Possenspiel durchkommen könnten. Sie fühlte, ihre einzige Hoffnung, die Situation richtigzustellen, war, St. Sebastian zu erklären, dass sie beide einen dummen Fehler gemacht hatten, bevor sonst jemand die Wahrheit entdeckte. Das bedeutete, sie musste alles daransetzen, um ihr wahres Ich zu verbergen, bis sie mit ihm allein war. Doch Meredyth wusste, das konnte nicht eher sein als bis zur heutigen Nacht, wenn die Hochzeitsnacht-Zeremonie vorbei war.

Verzweifelt flüsterte sie: „Darf ich Euch um eine Gnade bitten, mein Gemahl?“

Sein Atem bewegte ihren Schleier, als er mit zurückhaltender Stimme antwortete: „Und was soll das sein, edles Fräulein?“

Ihre Stimme wurde sanfter trotz aller Kühnheit, als sie sich bewusst wurde, dass dies ihre einzige Hoffnung war. „Ich bitte Euch, auf die Hochzeitsnacht-Zeremonie zu verzichten. Ich denke … dass ich das nicht kann … nachdem jeder mich angestarrt hat …“

Es trat eine lange Stille ein. Dann hörte sie ihres Vaters Stimme, in der ein Bedauern unüberhörbar war. „Celeste, meine Tochter. Ich verstehe Eure Zurückhaltung, doch Ihr habt kein Recht, das von Eurem Gemahl zu verlangen …“

St. Sebastian unterbrach ihn abrupt. „Schweigt, Penacre. Dieses Weib ist nun meine Angelegenheit. Mich dünkt, ich werde dieser seltsamen Bitte nachkommen. Ich habe Celeste gesehen und glaube, dass ich keinen Makel an ihr finden werde. Ich möchte nicht, dass sie zu aufgeregt ist, um … gut …“ Meredyth wusste, er zuckte die Schultern, obwohl sie den Blick noch immer gesenkt hielt. „Die Hochzeitsnacht soll eine besondere Nacht sein.“

Ihr Atem stockte bei seinen Worten. Lieber Himmel, dachte sie und kämpfte gegen die aufkommende Verzweiflung und eine seltsame Erregung an, die sie nicht verstehen konnte. St. Sebastian machte kein Hehl aus seinem Verlangen. Und aus welchem Grund auch immer, seine Worte ließen eine lange im Vergessen ruhende Gemütsbewegung in ihr erwachen. Meredyth hatte sich selbst kaum erlaubt, an eine „Hochzeitsnacht“ zu denken und daran, was dabei geschehen sollte, nicht einmal in ihren geheimsten Träumen.

Ohne ein weiteres Wort wandte sich Meredyth um und eilte davon. Es war ihr gleichgültig, was er oder ihr Vater denken mochten. Sie wusste nur, sie musste weg, weg von seiner starken Ausstrahlung, weg von seiner rauen, sinnlichen Stimme und den Worten, die er gesprochen hatte, weg von den Gefühlen, die er in ihr wachrief.

Doch als sie nicht ihrem eigenen Zimmer, sondern dem ihrer Schwester entgegeneilte, sagte sich Meredyth, dass sie sich wie ein kleines Kind verhalten hatte. Sie konnte mit diesem Mann nicht das Bett teilen. So weit durfte es nicht kommen.

Sie rieb ihre feuchten Handflächen an dem Rock des geliehenen Gewandes. Als sie auf dem Weg zu Celestes Zimmer war, wurde sich Meredyth bewusst, dass sie Kirkland in Wahrheit überhaupt nichts sagen mussten. Celeste brauchte bloß den Platz einzunehmen, der für sie vorgesehen war. Meredyth hatte diesen Mann nur im Namen ihrer Schwester geheiratet. Niemand musste etwas davon erfahren.

Und was Celestes Jungfräulichkeit betraf … gut …, so musste ihr etwas einfallen, um ihren Ehemann zu täuschen, damit er dachte, sie wäre noch unberührt. Meredyth hatte gehört, dass so etwas möglich sei.

Als sie die Tür zum Zimmer ihrer Schwester erreicht hatte, stieß sie diese mit Erleichterung auf, in dem Bewusstsein, dass bald alles wieder in Ordnung sein würde.

Ein prickelndes Unbehagen ließ Meredyth’ Blick suchend umherschweifen, um den Mantel ihrer Schwester zu finden, der üblicherweise auf der Kleidertruhe lag. Er war nicht da. Sie biss sich auf die Lippe und wandte sich um, um den Rest des Zimmers abzusuchen. Dabei entdeckte sie ein Stück Pergament, das auf dem Tisch neben dem Bett lag. Mit zitternden Fingern ergriff Meredyth die Nachricht und las die Worte, die mit kindlicher Hand von ihrer Schwester hingekritzelt waren:

Ich kehre am Morgen zurück, sobald alles vorbei ist. Ich habe niemandem etwas erzählt, nicht einmal Agnes, und auch Ihr dürft es nicht tun. Meinen Dank und meine Liebe. Celeste.

Erregt zerknüllte Meredyth das Pergament in ihrer Faust. Sie war nun alleine, um St. Sebastian entgegenzutreten.

Was sollte sie ihm sagen? „Vergebt mir, Mylord, meine Schwester ist einem anderen Mann in Liebe verfallen, und ich habe ihren Platz eingenommen.“

Es war höchst unwahrscheinlich, dass ein Mann sich mit einem Ersatz zufriedengab. Celeste war eine wahre Schönheit, bekannt für ihre Anmut und liebliche Stimme. Meredyth war bloß sie selbst, klein, rothaarig, mit Sommersprossen auf der Nase. Sie war in keiner Weise einer Frau wie Celeste ebenbürtig. Obwohl sie sich bewusst war, dass auch sie Anmut besaß, würde kein Mann sie in der Gegenwart ihrer Schwester auch nur bemerken.

Gerade als sie dieser Gedanke durchfuhr, wurde die Tür geöffnet, und Agnes trat ein. Sie trug ein beladenes Tablett und blieb zögernd auf der Schwelle stehen. In ihren grauen Augen lag ein Ausdruck von Besorgnis, als sie eintrat. „Ich bringe Euch Essen und Wein, Mylady.“

Meredyth fühlte, wie ihr Herz bis zum Halse schlug, während sie das zerknüllte Pergamentstück fest gegen ihren Busen drückte. Ihre Stimme war ein heiseres Flüstern. „Ich brauche nichts.“

Voll Sorge runzelte die Dienerin die Stirn. „Aber Ihr müsst etwas zu Euch nehmen, Ihr habt den ganzen langen Tag nichts gegessen.“ Agnes wandte sich dem Tisch zu, um das Tablett daraufzustellen. Sie drehte sich um und zeigte auf das Nachtgewand, das am Fußende des Bettes lag. „Ich werde Euch beim Auskleiden helfen, Mylady.“

„Nein“, rief Meredyth und trat einige Schritte zurück.

Die Frau sah sie erstaunt an. „Was ist mit Eurer Stimme, Mylady? Ihr klingt … so seltsam.“

Voll Entsetzen wandte Meredyth ihr den Rücken zu und sprach mit tiefem, rauem Ton: „Es ist nichts seltsam, nur das Naheliegende. Ich habe soeben den Feind meines Vaters geehelicht. Lass mich allein. Ich wünsche jetzt niemanden zu sehen. Ich brauche keine Hilfe.“

„Doch …“ Agnes trat vor, ihre Hand hilfsbereit ausgestreckt.

Meredyth ließ die Dienerin verharren, als sie ihr das Gesicht zuwandte, und schüttelte entschlossen ihr verschleiertes Haupt. „Nein. Ich bitte dich, mir wenigstens ein kleines Maß an Würde zu lassen. Ich kümmere mich um mich selbst.“

Agnes gehorchte zögernd. Ihr Blick war noch immer mit Besorgnis erfüllt. Mit eingesunkenen Schultern wandte sie sich zur Tür. Meredyth hegte Mitgefühl für die andere, da sie wusste, wie sehr die treue Dienerin sich um ihre Schwester sorgte. Indes, sie konnte nicht nachgeben.

Agnes öffnete die Tür und hielt kurz inne. „Ich bleibe in der Nähe, Mylady, für den Fall, dass Ihr meiner bedürft.“

Meredyth nickte, ohne etwas zu sagen. Sie seufzte voll tiefer Erleichterung, als sich die Tür hinter ihr schloss. Ihre Kehle war aus Angst vor der Entdeckung wie ausgedörrt. Sie wandte sich dem Tisch zu, goss Wein in einen Becher und leerte ihn rasch. Den ganzen Tag über war sie zu beschäftigt gewesen, um mehr als einen Becher Wasser zu trinken, und der Wein wirkte nun lindernd auf ihre verengte Kehle.

Beinahe hätte man sie entdeckt. Sie trank noch einen weiteren Becher. Diesmal langsam, Schluck für Schluck, um, wie sie sich selbst sagte, noch klar denken zu können.

Meredyth war sich bewusst, dass sie vorgeben musste, ihre Schwester zu sein, bis sie Gelegenheit hatte, mit Kirkland zu sprechen. Es war die einzige Hoffnung, um sicherzugehen, dass er als Erster die Wahrheit erfuhr.

Meredyth straffte entschlossen ihre Schultern, als sie einen weiteren Schluck des Trankes zu sich nahm. Eines nach dem anderen, sagte sie sich, als ein Gefühl der Entspannung ihre verkrampften Muskeln löste. Sie konnte keine weitere Begegnung mit Agnes wagen. Ihr Blick fiel auf das neue, hauchdünne Nachtgewand, das auf dem Bett bereitlag. Sie wollte sich umkleiden und ins Bett legen, um St. Sebastian zu erwarten. Sollte Agnes nochmals erscheinen, würde sie sehen, dass sie bereits zu Bett gegangen war, und wieder gehen. Das abgelegte Hochzeitsgewand sollte Zeugnis davon geben, dass sie keiner Hilfe bedurfte.

Die Idee schien ihr sehr klug, wie sie sich selbst einredete. Rasch begann Meredyth, sich zu entkleiden.

2. KAPITEL

R oland wandte sich der Dienstmagd zu, die geschäftig mit dem Weinkrug hin und her eilte und sich mühte, die Becher nicht leer werden zu lassen. Er nahm ihr den gefüllten Krug aus den Händen und stellte ihn vor sich auf die Tafel. Erschrocken wich sie zurück. Penacre sagte kein Wort, doch Roland spürte den missbilligenden Blick seines Schwiegervaters.

Er beachtete ihn nicht weiter, als er seinen Becher von Neuem füllte. Roland hob den Kelch und warf einen flüchtigen Blick auf die Gäste in dem großen Saal. Seine Gedanken waren mehr auf die Frage gerichtet, warum er zugestimmt hatte, auf die üblichen Zeremonien vor der Hochzeitsnacht zu verzichten. Der Grund dafür war gewiss, dass das Mädchen so verschreckt schien und nicht nur launisch. Ihre zarte Hand war wie Eis, ihre Worte waren ein ängstliches, heiseres Flüstern gewesen.

Er wollte sich nicht diese seltsame Woge des Mitgefühls eingestehen, das er empfand, als er diese zarten Finger in den seinen hielt. Unter keinen Umständen wollte er zulassen, dass dieses Weib von ihm Besitz ergriff. Roland sagte sich, dass er bloß eingewilligt hatte, weil er das Mädchen in dieser Nacht nicht zu Tode erschrecken wollte.

Seine plötzliche Sorge um sie wuchs aus seinem eigenen, ungestillten Verlangen. Es war schon einige Wochen her, seit er zuletzt das Bett mit Einid auf Kirkland geteilt hatte. Länger als er gewohnt war. Er empfand keine Verpflichtung seiner ehemaligen Geliebten gegenüber. Beide waren sich bewusst, dass ihre Beziehung nur ihrer gegenseitigen Annehmlichkeit diente. Er erfreute sich an ihrer Schönheit und an ihrem Körper – sie genoss seinen Schutz und die Freuden ihrer Begierde.

Der Gedanke an die körperliche Vereinigung mit Celeste Chalmers erregte ihn. Diese Nacht sollte ihnen beiden Vergnügen bereiten. Sein Instinkt als Liebhaber sagte ihm, dass er sie mit Gefühl dazu bringen konnte, seine Zärtlichkeiten zu erwidern. Auch das hatte er in ihrer angstvollen Erregung gespürt.

Raues Gelächter lenkte seine Aufmerksamkeit wieder zurück in den Rittersaal. Die auf Schragen errichteten Tische ächzten förmlich unter dem Gewicht der Braten, der Brote, Stews und anderer Leckerbissen. Doch Roland sah, dass man bisher dem Essen weniger zugesprochen hatte als dem Wein. Die vielen Pokale, Becher und Krüge, die auf den Tischen standen, wurden immer wieder aufs Neue gefüllt. Im ganzen Saal war kein Mann mehr völlig nüchtern, er selbst eingeschlossen. Der Wein hatte jedoch die schwermütige Stimmung noch verstärkt, statt sie zu erleichtern.

Er blickte zum Vater seiner Braut. Der Mann schien an der lärmenden Festlichkeit noch weniger Gefallen zu finden als seine Leute. Sein Gefolgsmann, Sir Giles, machte denselben Eindruck. Man hatte Sir Giles Roland als den Ritter vorgestellt, der Penacre am engsten vertraut sei, und so hatte er auch jetzt an seiner Seite Platz genommen.

Etwas an diesem Manne stieß Roland ab, obwohl er nicht sagen konnte, was ihn dazu veranlasste. Der Ritter war ein großer, schlanker Mann, nicht muskulös, doch kraftvoll. Seine Haut war dunkel, und ein dichter schwarzer Bart zierte die hohlen Wangen.

Gerade als Roland sich abwenden wollte, hob Sir Giles seinen Kopf, und die Blicke der beiden trafen sich. Der tiefe Hass und die Feindseligkeit, die Roland darin sah, überraschten ihn. Es war ein Blick von solcher Bösartigkeit, dass seine Hand unwillkürlich den Griff seines Schwertes suchte. Doch sofort zog er seine Finger hastig zurück. Der Ritter hatte nichts getan, außer ihn anzublicken. In dieser Nacht, seiner Hochzeitsnacht, wollte er die Feindseligkeit dieses Mannes nicht beachten.

Er hatte indes nicht erwartet, hier Freunde zu finden.

Ein anderes Gesicht zog seine Blicke auf sich, das des jungen Orin, Sohn des Earl of Hampstead. In der Tat gab es hier keine Freunde. Die helle Narbe, die die Wange des Knaben verunzierte, war selbst aus der Entfernung unübersehbar. Sein ablehnendes Verhalten überraschte Roland nicht, noch ließ es ihn völlig unberührt.

Sein Vater war einst des Knaben Ziehvater gewesen. Roland war die Aufgabe zuteilgeworden, ihn in den Ritterpflichten zu unterweisen. Doch Orin hatte die Belehrungen nicht angenommen. Roland hatte sein Bestes getan, den Knaben den richtigen Umgang mit dem Schwert zu lehren, er hatte ihn immer und immer wieder ermahnt, seinen Kopf nicht hinter dem Schwertarm zu ducken, wenn er angriff. Es war Orins eigener Fehler gewesen, dass Rolands Schwert an dem seinen abglitt und die Klinge tief in die Wange des Burschen drang.

Verärgert hatte Orins Vater den Sohn nach Hause geholt. Das alles geschah, als King Richard noch am Leben und Rolands Familie dafür bekannt gewesen war, in der Gunst des Königs zu stehen. Roland hatte sich schon immer über die Loyalität des Earl of Hampstead zu Richard gewundert, da Gerüchte gingen, Hampstead hätte heimlich John dabei unterstützt, Richard von seiner Rückkehr nach England abzuhalten. Sein Vater hatte sich geweigert, solchen Spekulationen Gehör zu schenken, und Rolands Verdächtigungen ärgerlich zurückgewiesen, und noch mehr nach dem Unfall, bei dem Orin missgestaltet wurde. Bis zum heutigen Tag hatte Roland nicht gewusst, dass Orin nun im Hause seines Feindes unterrichtet wurde, der ein unerschütterlicher Gefolgsmann des vor Kurzem gekrönten King John war.

Roland berichtigte sich selbst: ehemaliger Feind. Das Dekret des Königs, in dem er diese Heirat verfügte, hatte die Fehde zwischen ihren Familien beendet.

Seit dem Tod seines Vaters im vorangegangenen Jahr war Roland vollauf damit beschäftigt gewesen, den mannigfaltigen Besitz, der ihm mit dem Titel des Baron of Kirkland zugefallen war, zu verwalten. Doch ebenso wenig wie Albert St. Sebastian hatte Roland je vergessen, dass eigentlich sein Bruder Geoffrey der rechtmäßige Erbe war. Es minderte nicht den Schmerz über den Verlust, dass der eigene Vater den Sohn in die Verbannung getrieben hatte …

Roland schob diese Gedanken beiseite und erhob sich. Eine liebliche, wenn auch ein wenig schweigsame Braut wartete auf ihn.

Die lärmende Gesellschaft verstummte. Aller Blicke richteten sich aufmerksam auf ihn. „Ich begebe mich zur Ruhe“, sagte er und versuchte, ungezwungen zu wirken, soweit es unter den gegebenen Umständen möglich war.

Ein aufmunternder Schrei erscholl aus den Kehlen seiner Männer. Brian, sein Knappe und der Jüngste in der Runde, rief: „Wir werden hier bald die Schreie der Lust vernehmen. Kein Weib kann Euch widerstehen, Lord Sebastian.“

Roland straffte seine Schultern und warf ihm ein nachsichtiges Lächeln zu. Da der Bursche vom Wein berauscht war, lag nichts Hinterlistiges in seinen Worten.

Der Baron, Sir Giles und das übrige Gefolge waren auffallend still. Sir Giles hatte den stechenden Blick seiner blauen Augen auf seine behandschuhten Fäuste gerichtet, und Penacre hob seinen Becher, um ihn erneut zu leeren.

Nachdem Meredyth einen zweiten Becher des kühlen Weins getrunken hatte, um sich Mut zu machen, legte sie sich zurück in die weichen Kissen des großen Bettes aus dunkel gebeiztem Holz. Sie hatte die Bettvorhänge rundum zugezogen, sodass keiner, der den Raum betrat, sie gleich sehen konnte. Sie traute der Dienerin nicht, dass sie sich entfernt hielt. Zuviel Besorgnis lag in der Stimme der älteren Frau, als diese mehrfach nach dem Wohlbefinden ihres Schützlings gefragt hatte.

Meredyth indes mochte es nicht, allein im Dunkeln zu liegen. Als die Zeit verrann, schien es, als würde sie nach und nach immer ängstlicher und verwirrter. Sie wusste nicht, was sie Lord Kirkland sagen sollte. Sie hätte den Wein nicht trinken sollen, er hatte ihr nur für kurze Zeit Wohlbehagen bereitet. Nun fühlte sie, wie sehr er ihr in den Kopf gestiegen war.

Was sollte sie zu St. Sebastian sagen, wenn er in dieses Zimmer kam und Celeste erwartete? Sie konnte lediglich beten, dass die Worte von selbst kamen und dass er nicht zu wütend wurde, ehe sie ihm alles erklären konnte.

Das Feuer ging aus, doch Meredyth hatte weder die Kraft noch den Mut, sich zu erheben, um es neu zu schüren. Ihr ganzes Tun war darauf gerichtet, wieder klar zu denken und die richtigen Worte zu finden. Roland St. Sebastian musste verstehen, dass ihre Tat nicht gegen ihn gerichtet war, sondern dass sie bloß ihrer Schwester helfen wollte.

Meredyth versuchte sich vorzustellen, was er sagen könnte und wie sie ihm antworten wollte. Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum, verloren den Zusammenhang, und nichts blieb als verwirrte Gefühle.

Zu ihrer größten Überraschung fühlte Meredyth, wie Tränen in ihre Augen traten. Sie gehörte nicht zu denen, die oft weinten. Sie glaubte nicht an die Ehrenhaftigkeit von Tränen. Doch die Ereignisse des Tages forderten ihren Tribut, und sie begann zu weinen. Meredyth konnte nicht aufhören, als sie einmal damit begonnen hatte. Sie wälzte sich herum, um die schmerzhafte Einsamkeit in ihrer Brust zu betäuben, und vergrub ihr Gesicht in dem Kissen. Wie hatte das alles geschehen können? Wie hatte Celeste sie überreden können, dieses wahnwitzige Spiel mitzuspielen?

Weil es eben Celeste war.

Ihr ganzes Leben war Meredyth darauf bedacht gewesen, dass ihre Schwester größerer Aufmerksamkeit bedurfte, obwohl sie um ein Jahr älter war. Als Meredyth sechs und Celeste sieben Jahre alt gewesen waren, hatten sie zusammen auf einer Lichtung nahe der Burg gespielt. Celeste pflückte Blumen und wanderte immer tiefer in den Wald hinein. Immer wieder ermahnte Meredyth ihre Schwester, da Agnes gesagt hatte, sie müssten in Sichtweite der Mauern bleiben. Doch Celeste hatte sie ausgelacht und aufgefordert, mit ihr zu kommen. Meredyth war auf der Lichtung geblieben, und als Agnes kam, um sie abzuholen, war sie zu Tode erschrocken, als sie merkte, dass ihr älterer Schützling verschwunden war. Stundenlang hatte man nach Celeste gesucht. Sie war im dichten Wald gestolpert, hatte sich den Knöchel verletzt und konnte nicht zurückgehen.

Meredyth würde niemals den überraschenden Ärger ihres Vaters vergessen, der sich gegen sie gerichtet hatte. Er hatte gesagt, dass sie, Meredyth, es nicht hätte erlauben dürfen, dass Celeste alleine davonlief, und dass sie künftig nie wieder ihre Schwester sich selbst überlassen dürfe. Ob Meredyth nicht wisse, dass ihre Schwester eine zarte, fantasievolle Natur sei und man deshalb besonders auf sie achten müsse?

Es gab keine Worte des Trostes für Meredyth, die sich um die Schwester geängstigt hatte. Keine Worte des Lobes, dass sie die Anordnung von Agnes befolgt hatte. Von diesem Tag an hatte Meredyth begriffen, dass sie, um sich die Liebe des Vaters erhalten zu können, ihre Schwester beschützen musste, da ihm Celeste das Liebste auf der Welt war.

Es war eine harte Lektion gewesen, doch sie hatte sie ohne Tränen ertragen, bis jetzt.

Wie lange sie geweint hatte, wusste Meredyth nicht; sie spürte nur körperliche Erschöpfung, als das Schluchzen nachließ. Sie lag da und fühlte sich leer. Ihre Augen waren von den Tränen geschwollen und gerötet. Sie schloss die Lider, um zu ruhen, wollte ihren Mut wiedergewinnen und sich vorbereiten …

Roland folgte der Richtung, die ihm eine Dienerin gewiesen hatte. Das war die eigentümlichste Eheschließung, von der er jemals gehört hatte, und nun erwartete man vom Bräutigam, dass er sich seiner Braut selbst darbrachte, ohne die gewohnten Vorbereitungen und Zeremonien.

Je näher Roland seinem Ziel kam, das bedeutungsvoll am obersten Ende der Turmtreppe lag, desto weniger störte ihn das alles. Er dachte nur an das schöne Weib, das seiner harrte. Er wusste, sie war verängstigt und unerfahren, das hatte ihre furchtsame Art ihm gegenüber gezeigt. Nochmals erinnerte er sich an das Erschauern ihres Körpers, als er ihre Hand berührt hatte. Sein Gefühl sagte ihm gewiss nichts Falsches, wenn er davon ausging, dass seine Braut Leidenschaft besaß.

Er war kein selbstsüchtiger Liebhaber und hatte sogar Freude daran, der Frau, mit der er das Bett teilte, Befriedigung zu verschaffen. Er hatte bemerkt, dass auf diese Weise eine Frau anschmiegsamer wurde und begierig darauf bedacht war, ihm Freude zu schenken, nicht nur im Bett, sondern auch auf andere Art.

So sagte er sich, dass es weise sei, die Beziehung mit seiner Frau so zu beginnen.

Roland hatte das Ende der Treppe erreicht und öffnete die Tür. Die Dunkelheit, die lediglich von einigen glühenden Kohlen im Kamin vor dem Bett schwach erhellt wurde, überraschte ihn. Leise trat Roland ein, sein kriegerischer Scharfsinn war auf Gefahr vorbereitet. Er befand sich immerhin im Haus des Geschlechtes Chalmers, Feinde seiner Familie seit Generationen. Er blieb stehen, um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Schon bald merkte er, dass keine Gefahr lauerte. Keine bedrohlichen Schatten, keine ungewöhnlichen Geräusche. Es fehlte der dumpfe Druck, der die Gefahr stets begleitete.

Seine Spannung ließ nach. Begierig sah sich Roland im Zimmer um, doch konnte er seine Braut nicht entdecken.

Schon dachte er, das Zimmer sei leer, als er leises Atmen vernahm. Er wandte sich der Richtung zu, aus der das Geräusch kam, trat an das Bett und war überrascht. Denn er hatte gedacht, ihre Angst sei zu groß, um ihn hier zu erwarten. Doch es erfreute ihn. Vielleicht war das Mädchen doch nicht so verängstigt, wie er vermutet hatte.

Roland trat in den Schatten des großen Bettes. Rasch entledigte er sich seiner Kleidung. Dann zog er die schweren Vorhänge beiseite und legte sich in das Bett.

Suchend streckte er seine Hand aus und berührte die zarte Wölbung einer Hüfte. Seine Braut. Er spürte ein Ziehen in den Lenden, als er an ihre Schönheit dachte. Obwohl sich sein Verlangen regte, wusste er, dass er langsam vorgehen musste, um ihr höchste Lust zu bereiten, die der seinen nicht nachstehen sollte. Doch nicht Worte, nur sein Körper sollte sprechen. Dass sie sich beide fremd waren, konnte nicht in wenigen Augenblicken geändert werden. In dieser Nacht wollte er einen Bund der Lust schließen, in dem sie beide nahmen und gaben. Diesem Bund traute Roland mehr als allen Verträgen.

Er fühlte ihre Gestalt, mehr denn er sie sah. Roland richtete sich auf und beugte sich über sie. Ihr Atem war süß und warm auf seinem Gesicht, und seine Erregung wuchs. Langsam näherte er sich mit den Lippen dem Mund seiner Braut.

Sie zuckte leicht zusammen und rückte von ihm ab. Seinen Mund sanft auf den ihren gepresst, durchlief ihn ein Gefühl der Befriedigung, als ihre kleine Hand sanft die dunklen Haare auf seiner Brust streichelte. Er hörte nicht auf, sie zu küssen. Voll Verlangen biss und sog er an ihren Lippen, und bald zog sie seinen Kopf an sich. Roland empfand steigende Erregung und wachsende Leidenschaft, da er sich bewusst wurde, dass er seine Frau wohl richtig eingeschätzt hatte. Sein Mund glitt über ihre zarten Wangen, über die sanfte Linie ihres Halses.

Meredyth hatte geträumt, sie liege in einem riesigen, weichen Bett. So weich, dass sie das Gefühl hatte, auf einem friedlichen Meer aus weißem Linnen und Licht zu schwimmen. Nichts konnte sie hier, wo sie sicher und geborgen war, beunruhigen.

Langsam wurde sie sich bewusst, dass es Lippen waren, die sie berührten, und es schien zuerst, als würden auch diese zu dem Traum gehören. Sie waren fest und dennoch sanft. Das Gefühl von Wärme und Licht schien durch sie verstärkt zu werden.

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