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Verliebt für eine Weihnachtsnacht

hier erhältlich:

Harriet Knight will sich jeden Tag einer Herausforderung stellen. Aber als die Hundesitterin ihren neuesten Kunden kennenlernt, gerät sie mächtig ins Stottern: Obwohl der attraktive Arzt Ethan Black bei vielen Frauen einen Fieberschub auslöst, scheitert er an der Erziehung des unbändigen Spaniels Madi kläglich. Um dem Hund zu helfen, bleibt Harriet nichts anderes übrig, als in Ethans Apartment im winterlichen Manhattan einzuziehen - wo sie sich Hals über Kopf in Ethan verliebt. Doch wenn ihre Arbeit getan ist, muss sich Harriet eines fragen: Hat sie Ethan ihr Herz nur für eine Weihnachtsnacht geschenkt? Oder für ein ganzes Leben?


  • Erscheinungstag: 01.10.2018
  • Aus der Serie: From Manhattan With Love
  • Bandnummer: 6
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955767785
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liebe Leserinnen und Leser,

eines meiner Lieblingszitate (das ich diesem Buch voranstelle) stammt von Eleanor Roosevelt, die einmal gesagt hat: »Tu jeden Tag eine Sache, die dir Angst macht.«

Dieser Satz passt perfekt zu der Heldin dieser Geschichte. Harriet ist ein Zwilling, und zwar der schüchterne von beiden. Ihre Kindheit war nicht einfach, und nun, da ihre selbstbewusste Zwillingsschwester aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen ist, sieht sie sich gezwungen, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Das fällt ihr schwer. Sie weiß, sie muss aus ihrer Komfortzone heraustreten, und so beschließt sie, sich jeden Tag einer Herausforderung zu stellen.

Wie die meisten Menschen verkörpert Harriet eine Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit, und ich habe sie gerne dabei beobachtet, wie ihr Selbstbewusstsein wächst und sie ihren eigenen Weg findet.

Wie einige von euch wissen, habe ich ein paar Arztromane geschrieben, bevor ich mich an längere Bücher gewagt habe, und einem sexy Doktor kann ich immer noch nicht widerstehen. Also ist der Held meiner Geschichte Dr. Ethan Black, der in der Notaufnahme arbeitet (so wie ich vor vielen Jahren, bevor ich meinen Beruf wechselte und anfing, im Pyjama Geschichten zu schreiben). Er ist mein Lieblingsheldentyp – stark, gütig, klug und geduldig. Ich kann Harriet nicht vorwerfen, sich in ihn verliebt zu haben (ich hoffe, ihr auch nicht!), aber am Ende wird Ethan zu lieben für sie zur größten Herausforderung.

Es ist eine Geschichte über das Überschreiten von Grenzen. Es geht um Mut, Freundschaft und natürlich Romantik. Das alles vor dem schneefunkelnden Hintergrund von New York City.

Ich hoffe, es gefällt euch.

Sarah

xxx

Für Nora, Laura, Ruth, Mary, Kat und Janeen,

für das Lachen, die Freundschaft

und die großartigen Erinnerungen.

Tu jeden Tag eine Sache, die dir Angst macht.

Eleanor Roosevelt

1. Kapitel

So sollte ein Date nicht enden.

Wenn sie gewusst hätte, dass sie aus dem Fenster der Damentoilette würde klettern müssen, hätte sie sich an diesem Abend gegen die Schuhe mit den wahnsinnig hohen Absätzen entschieden. Warum hatte sie nicht mehr Zeit darauf verwendet, das Balancieren zu lernen, bevor sie ihre Wohnung verlassen hatte?

Sie war noch nie der Typ für hohe Absätze gewesen, was genau der Grund dafür war, dass sie nun diese hohen Stilettos trug. Ein weiterer abgehakter Punkt auf ihrer Liste der Dinge, die Harriet Knight normalerweise nicht tun würde.

Es war eine peinlich lange Liste. Sie hatte sie eines einsamen Oktoberabends zusammengestellt, als ihr bewusst geworden war, dass sie nur deshalb allein in ihrer Wohnung saß und mit ihren Pflegetieren redete, weil sie ihr Leben sicher eingemummelt in ihrer Komfortzone verbrachte. Wenn es so weiterginge, würde sie vereinsamt sterben, umgeben von hundert Hunden und Katzen.

Hier ruht Harriet, die sich in Sachen Tierpflege bestens auskannte, deren Streicheleinheiten Menschen jedoch verwehrt blieben.

Dabei wäre ein Leben in Sünde sicherlich aufregender. Leider hatte sie bei ihrer Geburt das falsche Regelwerk gegriffen. Als Kind hatte sie gelernt, sich zu verstecken. Sich klein, wenn auch nicht vollkommen unsichtbar zu machen. Seitdem war sie immer auf dem sichersten Pfad dahingetrottet und hatte dabei praktische Schuhe getragen. Viele Leute, darunter ihre Zwillingsschwester und ihr Bruder, würden sagen, dass sie dafür gute Gründe hatte. Was auch immer sie dazu getrieben hatte, es lag in der Vergangenheit, sie lebte nun ein kleines Leben, und sie war sich unangenehm bewusst, dass sie sich freiwillig dafür entschied, es so zu belassen.

Das F-Wort thronte über ihrer Welt.

Nicht das Schimpfwort. Sie war kein Mensch, der fluchte.

Ihr F-Wort lautete Furcht.

Furcht vor Demütigung, vor dem Versagen, vor dem, was andere Leute über sie dachten. All diese Furcht hatte ihren Ursprung in der Angst vor ihrem Vater.

Sie war das F-Wort so leid.

Sie wollte nicht alleine durchs Leben gehen, weshalb sie beschlossen hatte, sich zu Weihnachten ein ganz neues Geschenk zu machen.

Mut.

Sie wollte nicht in fünfzig Jahren auf ihr Leben zurückblicken und sich fragen, was sie wohl getan hätte, wäre sie nur mutiger gewesen. Sie wollte kein Bedauern empfinden. Während eines glücklichen Thanksgiving mit Daniel und seiner zukünftigen Frau Molly hatte sie ihre Ängste-Liste durch eine andere Liste ersetzt: eine Herausforderung für jeden Tag.

Die Harriet-Challenge.

Sie würde sich auf eine Reise begeben, um das Selbstbewusstsein zu finden, das sich ihr bislang entzog, und wenn sie es nicht fände, würde sie es vortäuschen.

In dem Monat zwischen Thanksgiving und Weihnachten würde sie jeden Tag eine Sache tun, die ihr Angst machte oder zumindest unangenehm war. Es musste etwas sein, bei dem sie dachte: Das will ich nicht.

Einen Monat lang würde sie genau das Gegenteil von dem tun, was sie normalerweise tat.

Einen Monat lang würde sie sich durch ihre ganz eigene Hölle schicken.

Sie würde aus dieser Challenge als neue, verbesserte Version ihrer selbst hervortreten. Stärker. Mutiger. Selbstbewusster.

Weshalb sie nun halb aus einem Badezimmerfenster hing und sich auf ihre neue beste Freundin Natalie stützte. Zum Glück befand sich das Restaurant nicht auf einer Dachterrasse.

»Zieh die Schuhe aus«, riet Natalie ihr. »Ich werfe sie dir runter.«

»Wie ich mich kenne, werden die Absätze mich entweder aufspießen oder bewusstlos schlagen. Es ist besser, ich behalte sie an, Natalie.« Es gab Tage, da zweifelte sie an den Vorzügen ihrer Sensibilität, aber im Moment war sie nicht sicher, ob sie ihr den Spaß verdarb oder sie am Leben hielt.

»Nenn mich Nat. Wenn ich dir helfe zu fliehen, können wir die Formalitäten auch beiseitelassen. Und du kannst diese Schuhe nicht anlassen. Dann verletzt du dich bei der Landung. Und gib mir deine Handtasche.«

Harriet klammerte sich daran fest. Das hier war New York City. Sie würde ihre Handtasche genauso wenig einer Fremden überlassen, wie sie nackt durch den Central Park spazieren würde. Sie war ein Mensch, der zweimal hinsah, bevor er die Straße überquerte, der das Türschloss überprüfte, bevor er ins Bett ging. Sie war definitiv niemand, der Risiken einging.

Was genau der Grund dafür war, warum sie es tun sollte.

Sie bezwang die Seite an sich, die sich die Handtasche an die Brust drücken und niemals loslassen wollte, und hielt Nat das gute Stück hin. »Nimm. Und wirf sie zu mir herunter.« Dann schob sie ein Bein aus dem Fenster und ignorierte dabei die ängstliche Stimme, die laut durch ihren Kopf hallte. Was, wenn sie es nicht tut? Was, wenn sie damit wegrennt? Deine Kreditkarten benutzt? Deine Identität klaut?

Wenn Nat ihre Identität stehlen wollte, war sie herzlich eingeladen. Harriet war mehr als bereit, jemand anderes zu sein. Vor allem nach dem Abend, der gerade hinter ihr lag.

Sie selbst zu sein funktionierte nicht sonderlich gut.

Durch das offene Fenster hörte sie das Rauschen des Verkehrs, die Kakofonie der Hupen, das Kreischen von Bremsen, das Hintergrundgrollen, das New York City ausmachte. Sie hatte ihr ganzes Leben hier verbracht. Manhattan war ihr so vertraut wie ihr Wohnzimmer, wenn auch entschieden größer.

Nat nahm ihr die Schuhe ab. »Versuch, dir nicht den Mantel zu zerreißen. Der ist übrigens super. Die Farbe gefällt mir, Harriet.«

»Der Mantel ist ganz neu. Ich habe ihn mir extra für dieses Date gekauft, weil ich so große Hoffnungen hatte. Was beweist, dass eine optimistische Natur durchaus ein Nachteil sein kann.«

»Ich finde es bezaubernd, optimistisch zu sein. Optimisten sind wie Weihnachtsbeleuchtung. Sie erhellen alles um sich herum. Bist du wirklich ein Zwilling? Das ist so cool.«

Die heutige Herausforderung hatte gelautet: Sei Fremden gegenüber nicht so reserviert. Darin war sie ganz gut, wenn sie jemanden erst einmal kennengelernt hatte, aber oft schaffte sie es nicht durch die ersten qualvoll ungelenken Phasen. Doch sie war entschlossen, das zu ändern.

Angesichts dessen, dass sie und Natalie sich erst vor genau dreißig Minuten kennengelernt hatten, als diese ihr einen köstlich aussehenden Shrimps-Salat serviert hatte, war sie mit ihrem Fortschritt ganz zufrieden. Sie hatte sich nicht verschlossen oder in einsilbige Antworten geflüchtet, wie sie es normalerweise bei Menschen tat, die sie nicht kannte. Und am wichtigsten war, sie hatte nicht gestottert, was sie als Beweis dafür nahm, dass sie endlich gelernt hatte, ihre Sprechstörung zu meistern, die ihr Leben bis in ihre Zwanziger hinein bestimmt hatte. Es war inzwischen Jahre her, dass sie durch einen Satz gestolpert war, und selbst in stressigen Situationen passierte es ihr nicht mehr – sodass es auch keine Entschuldigung mehr gab, Fremden mit Vorsicht zu begegnen.

Alles in allem war das eine gute Sache, wozu die Unterstützung ihrer Schwester einen wesentlichen Teil beigetragen hatte.

Nat seufzte sehnsüchtig. »Sie ist deine beste Freundin, oder? Ihr teilt alles miteinander? Geheimnisse. Schuhe …«

»Wir teilen das meiste.« In Wahrheit war sie bis vor Kurzem diejenige gewesen, die geteilt hatte. Fliss fiel es selbst Harriet gegenüber schwer, sich zu öffnen, aber in letzter Zeit hatte sie versucht, sich zu ändern.

Und Harriet versuchte ebenfalls, sich zu ändern. Sie hatte ihrer Zwillingsschwester gesagt, dass sie nicht mehr beschützt werden musste, und nun musste sie es sich selbst beweisen.

Zwilling zu sein hatte viele Vorteile, aber einer der Nachteile war, dass es einen träge werden ließ. Oder vielleicht wäre selbstzufrieden das bessere Wort. Sie hatte sich nie zu viele Gedanken darüber machen müssen, die rauen Gewässer der Freundschaft zu befahren, weil ihre beste Freundin immer an ihrer Seite war. Was auch immer das Leben ihnen in den Weg gestellt hatte – und das war nicht wenig gewesen –, sie und Fliss hatten eine Einheit gebildet. Auch andere Menschen führten tiefe Freundschaften, aber nichts, gar nichts, konnte es auch nur annähernd mit dem Wunder aufnehmen, einen Zwilling zu haben.

Was Schwestern anging, hatte sie den Jackpot geknackt.

Nat klemmte sich Harriets Handtasche unter den Arm. »Ihr wohnt also zusammen?«

»Nicht mehr.« Harriet fragte sich, wie es sein konnte, dass manche Menschen ohne Unterlass redeten. Wie lange würde es dauern, bis der Mann, der noch im Restaurant saß, nach ihr suchen würde? »Sie wohnt jetzt in den Hamptons.« Das war zwar keine Millionen von Meilen entfernt, fühlte sich aber genauso weit an. »Sie hat sich verliebt.«

»Ich schätze, das ist super für sie, aber sie muss dir wie verrückt fehlen.«

Das war eine Untertreibung.

Der Auszug ihrer Schwester Fliss hatte enormen Einfluss auf Harriet und stellte ihr Gefühlsleben komplett auf den Kopf. Sie freute sich zwar, sie so glücklich zu sehen, aber zum ersten Mal in ihrem Leben wohnte Harriet nun allein. Erwachte allein. Machte alles allein.

Anfangs hatte es sich seltsam und ein wenig beängstigend angefühlt, so als würde man das erste Mal ohne Stützräder Fahrrad fahren. Sie kam sich auch ein wenig verletzlich vor, als würde sie in einen Schneesturm hinausgehen und dann erst merken, den Mantel zu Hause vergessen zu haben.

Aber das war nun die Realität ihres neuen Lebens.

Morgens wachte sie in einer stillen Wohnung auf, anstatt den schiefen Gesang ihrer Schwester zu hören. Sie vermisste deren Energie, die bedingungslose Loyalität, die Verlässlichkeit. Sie vermisste es sogar, über ihre Schuhe zu stolpern, die immer in der ganzen Wohnung verstreut herumgelegen hatten.

Aber am meisten vermisste sie das Gemeinschaftsgefühl, das einen erfüllte, wenn man mit jemandem zusammen war, der einen kannte. Mit jemandem, dem man vollkommen vertraute.

Sie spürte, wie sich ein Kloß in ihrer Kehle bildete. »Ich sollte gehen, bevor er mich suchen kommt. Ich kann nicht glauben, dass ich aus einem Fenster klettere, um vor einem Mann zu fliehen, den ich erst vor einer halben Stunde kennengelernt habe. So etwas tue ich normalerweise nicht.«

Genauso wenig, wie sie sich normalerweise auf Online-Dates einließ, weshalb sie sich gezwungen hatte, es zu versuchen.

Das heute war ihre dritte Verabredung, und die anderen beiden waren beinahe genauso schlimm gewesen.

Der erste Mann hatte sie an ihren Vater erinnert. Er war laut, voreingenommen und in den Klang seiner eigenen Stimme verliebt gewesen. Überwältigt hatte Harriet sich in sich selbst zurückgezogen, aber in diesem Fall war das nicht schlimm gewesen, weil er ganz eindeutig keinerlei Interesse an ihrer Meinung gehabt hatte. Der zweite Mann hatte sie in ein teures Restaurant ausgeführt und war dann nach dem Dessert verschwunden. Er hatte sie mit einer Rechnung zurückgelassen, die dafür sorgte, dass sie sich immer an ihn erinnern würde. Und was den dritten Mann anging – nun, er saß gerade an einem Tisch am Fenster und wartete darauf, dass sie aus dem Bad zurückkam, damit sie sich verlieben und glücklich bis an ihr Lebensende zusammenleben könnten. Und in diesem Fall wäre »das Lebensende« nicht weit weg, denn trotz seiner Behauptung, sich in der Blüte seines Lebens zu befinden, hatte er das Renteneintrittsalter offensichtlich schon weit überschritten.

Gerne hätte sie der Verabredung ein Ende gesetzt und wäre durch die Tür hinausgegangen, wenn sie nicht das Gefühl gehabt hätte, dass er ihr folgen würde. Irgendetwas an ihm bereitete ihr Unbehagen. Und außerdem gehörte aus dem Fenster der Damentoilette zu klettern definitiv zu den Dingen, die sie normalerweise nicht tun würde.

Was die Harriet-Challenge anging, war es ein erfolgreicher Abend.

Die Romantik hatte dagegen einen derben Rückschlag einstecken müssen.

Im Moment schien es ihr die bessere Option zu sein, von Hunden und Katzen umgeben zu sterben.

»Geh.« Nat öffnete das Fenster weiter und strahlte über das ganze Gesicht. »Es schneit! Wir kriegen weiße Weihnachten.«

Schnee?

Harriet starrte auf die träge herabrieselnden Flocken hinaus. »Weihnachten ist noch einen Monat hin.«

»Aber ich spüre, dass es weiße Weihnachten werden. Es gibt keinen magischeren Ort als das verschneite New York. Ich liebe die Feiertage. Du nicht auch?«

Harriet öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Normalerweise hätte sie Ja gesagt. Sie liebte die Feiertage und das Fest der Familie, auch wenn ihre nur noch aus Geschwistern bestand. Doch dieses Jahr hatte sie beschlossen, die Weihnachtsfeiertage ohne die beiden zu verbringen. Und das würde die größte aller Herausforderungen darstellen. Sie hatte noch gut einen Monat, um sich darauf vorzubereiten.

»Ich sollte wirklich los.«

»Das solltest du. Ich möchte nicht, dass dein vereister Leichnam auf dem Bürgersteig gefunden wird. Geh. Und fall nicht in den Müllcontainer.«

»In den Müllcontainer zu fallen wäre nach dem heutigen Abend eine Verbesserung.« Harriet schaute nach unten. Es war nicht hoch – und überhaupt, wie weit konnte sie noch fallen? Sie hatte das Gefühl, den Tiefpunkt längst erreicht zu haben. »Vielleicht sollte ich zurückgehen und ihm erklären, dass er nicht das ist, was ich erwartet hatte. Dann könnte ich zur Tür hinausgehen und müsste nicht riskieren, mit einem verstauchten Knöchel und Essensresten an meinem neuen Mantel nach Hause zu gehen.«

»Nein.« Nat schüttelte den Kopf. »Denk nicht einmal daran. Dieser Kerl ist gruselig. Ich habe dir ja gesagt, du bist die dritte Frau, die er diese Woche hierhergebracht hat. Und irgendetwas stimmt nicht mit der Art, wie er dich angeschaut hat. Als wenn du sein Dessert wärst.«

Harriet hatte den gleichen Gedanken gehabt.

Ihr Instinkt hatte aufgeschrien, aber Teil der Harriet-Challenge war es, zu lernen, ihre Instinkte zu ignorieren.

»Es kommt mir so unhöflich vor.«

»Das hier ist New York. Hier muss man gewieft sein. Ich werde ihn ablenken, bis du weit genug weg bist.« Nat schaute zur Tür, als fürchte sie, der Mann könnte jeden Moment hereinplatzen. »Ich konnte es nicht glauben, als er anfing, dich Apfelbäckchen zu nennen. Eines muss ich noch fragen: Warum hast du zugestimmt, ihn zu treffen? Was an ihm hat dich angezogen? Du bist die dritte umwerfende Frau, mit der er diese Woche hier ist. Hat er irgendwelche speziellen Qualitäten? Wieso hast du ihn ausgewählt?«

»Ich habe nicht ihn ausgewählt. Ich habe diesen Kerl aus seinem Internetprofil ausgewählt. Ich schätze, er hat ein paar Probleme damit, seine Wahrnehmung mit der Wirklichkeit abzugleichen.« Sie dachte an den Moment zurück, in dem er an ihren Tisch getreten war. Er war so offensichtlich nicht der Mann aus seinem Profil gewesen, und sie hatte ihn höflich angelächelt und ihm erklärt, sie würde auf jemanden warten.

Anstatt sich zu entschuldigen und woanders hinzugehen, hatte er sich auf den Stuhl ihr gegenüber gesetzt. »Sie sind bestimmt Harriet? Hunde- und Kuchenliebhaberin? Ich liebe warmherzige Frauen, die sich in der Küche auskennen. Wir werden sehr gut zusammenpassen.«

Das war der Moment, in dem Harriet mit Sicherheit gewusst hatte, dass sie nicht fürs Online-Dating gemacht war.

Warum, oh warum nur hatte sie ihren echten Namen benutzt? Fliss hätte sich irgendetwas ausgedacht. Vermutlich etwas Unverschämtes.

Nat schaute sie fasziniert an. »Was stand denn in seinem Profil?«

»Dass er Mitte dreißig ist.« Sie dachte an die dichten weißen Haare und die faltige Stirn. Die gelblichen Zähne und den gräulichen Flaum auf seinem Kinn. Aber am schlimmsten war der anzügliche Blick gewesen, mit dem er sie gemustert hatte.

»Dreißig? Der muss mindestens doppelt so alt sein. Oder vielleicht ist er ein Hund, bei denen zählt ein Jahr wie sieben Jahre. Damit wäre er …« Sie zog die Nase kraus. »… zweihundertzehn Menschenjahre. Puh, das ist alt.«

»Er ist achtundsechzig«, erklärte Harriet. »Aber er meinte, er fühle sich innerlich wie dreißig. Und in seinem Profil steht, er arbeitet im Investmentbereich, aber als ich nachgefragt habe, hat er gestanden, dass er in seine Pension investiert.«

Nat klappte vor Lachen vornüber, und Harriet schüttelte den Kopf.

Sie war erschöpft. Und kam sich dumm vor.

»Nach drei Dates habe ich meinen Sinn für Humor verloren. Das war’s. Ich bin fertig damit.«

Sie wollte nur etwas Spaß haben und unter Leute gehen. War das denn zu viel verlangt?

»Du hast beschlossen, der Liebe eine Chance zu geben. Daran ist nichts falsch. In welchem Bereich arbeitest du? Triffst du darüber keine Leute?«

»Ich gehe beruflich mit Hunden spazieren. Ich verbringe meine Tage mit attraktiven, vierbeinigen Tieren. Die sind immer die, für die man sie hält. Auch wenn ich sagen muss, dass ich einen Terrier ausführe, der sich für einen Rottweiler hält. Das macht mir manchmal ein paar Probleme.«

Vielleicht sollte sie sich weiter an Hunde halten.

Sie hatte sich bewiesen, dass sie dieses Online-Dating konnte, wenn sie wollte. Sie hatte es auf ihrer Liste abgehakt. Das war irgendwie ein Sieg.

Nat zog das Fenster noch weiter auf. »Zeige ihn auf dem Dating-Portal an, damit er nicht noch mehr nichts ahnende Frauen in die Verlegenheit bringt, aus dem Fenster springen zu müssen. Und sieh es doch mal positiv: Zumindest hat er dich nicht um deine Ersparnisse betrogen.« Sie schaute auf die Straße. »Alles frei.«

»Es war schön, dich kennenzulernen, Nat. Danke für alles.«

»Wo kämen wir da hin, wenn eine Frau einer anderen in Schwierigkeiten nicht helfen würde? Komm bald mal wieder vorbei.«

Harriet verspürte ein angenehmes Ziehen in ihrer Brust.

Freundschaft. Das war vermutlich das einzige F-Wort, das sie mochte.

Mit einem Anflug von Bedauern, weil sie sich nie wieder auch nur in die Nähe dieses Restaurants begeben würde, Natalie aber wirklich mochte, hielt Harriet den Atem an und ließ sich auf den Bürgersteig fallen.

Sie spürte, wie ihr Knöchel sich verdrehte und ein scharfer, qualvoller Schmerz durch ihr Bein schoss.

»Alles okay?« Nat ließ die Schuhe und die Handtasche fallen, und Harriet zuckte zusammen, als alles in ihrem Schoß landete. Wie es aussah, wäre das Einzige, was sie von dieser Verabredung mitnehmen würde, ein paar blaue Flecken.

»Mir ging es nie besser.«

Siege, dachte sie, waren sowohl schmerzhaft als auch würdelos.

Das Fenster über ihr wurde geschlossen, und Harriet war sich mit einem Mal zweier Dinge bewusst: zum einen, dass es sehr, sehr schmerzhaft war, ihren Fuß zu belasten. Und zweitens, dass sie, wenn sie nicht barfuß nach Hause humpeln wollte, die Stilettos anziehen musste, die sie sich aus dem Schuhberg herausgezogen hatte, den Fliss in der Wohnung zurückgelassen hatte.

Vorsichtig schob sie den Schuh über ihren Fuß und atmete scharf ein, als der Schmerz durch ihren Knöchel schoss.

Zum ersten Mal in ihrem Leben benutzte sie ein F-Wort, um etwas anderes als Furcht auszudrücken.

Noch ein Haken auf der Liste der Harriet-Challenge.

2. Kapitel

Auf der anderen Seite der Stadt, in der Trauma-Abteilung eines der renommiertesten Krankenhäuser New Yorks, schnitten Dr. Ethan Black und der Rest des Trauma-Teams geschickt und effizient die zerrissene, blutige Kleidung von dem Körper eines bewusstlosen Mannes, um sich die Schäden darunter anzusehen. Und Schäden gab es viele. Genügend, um die Fähigkeiten des Teams auf die Probe zu stellen und sicherzustellen, dass ihr Patient sich für den Rest seines Lebens an diese Nacht erinnern würde.

Ethans Meinung nach waren Motorräder eine der schlimmsten Erfindungen der Welt. Und ganz sicher die schlimmste Transportmethode. Viele der Patienten, die nach Motorradunfällen eingeliefert wurden, waren männlich, und ein großer Prozentsatz von ihnen hatte multiple Verletzungen erlitten. Dieser Mann war keine Ausnahme. Er hatte einen Helm getragen, aber das hatte ihn nicht davor bewahrt, sich eine, wie es aussah, schwere Kopfverletzung zuzuziehen.

»Intubieren und Kanüle legen …« Er nahm die Verletzungen auf, während er Anweisungen erteilte.

Das Team hatte sich versammelt und erkannte logische Zusammenhänge in einer Situation, die für einen Außenseiter wie das totale Chaos wirken musste. Jede Person hatte ihre Rolle, und jeder Person war klar, was genau diese Rolle beinhaltete. Von all den Abteilungen, die es in einem Krankenhaus gab, war die Teamarbeit in der Notaufnahme am stärksten.

»Er hat die Kontrolle verloren und ist in ein entgegenkommendes Auto gefahren.«

Vom Flur draußen ertönten Schreie, gefolgt von einer Flut an Schimpfwörtern in derart kreischender Tonlage, dass die Fenster zu zerspringen drohten.

Einer der Assistenzärzte zuckte zusammen. Ethan hingegen reagierte nicht. Es gab Tage, an denen er sich fragte, ob er inzwischen vollkommen immun gegen die Reaktion anderer Leute auf Krisen war. In der Notaufnahme zu arbeiten brachte einen mit den extremsten menschlichen Gefühlen in Kontakt und verzerrte das eigene Bild von Menschlichkeit und Realität. Sein Alltag war der Horrorfilm eines jeden anderen Menschen. Schon früh in seiner Karriere hatte er gelernt, bei gesellschaftlichen Anlässen nicht über seinen Tag zu reden, außer es handelte sich bei den Anwesenden um Mediziner. Heutzutage war er viel zu beschäftigt, um sich allzu oft in sozialen Situationen wiederzufinden. Mit seiner Verantwortung als leitender Arzt in der Notaufnahme und seinen Forschungen waren seine Tage prall gefüllt. Der Preis, den er dafür bezahlte, waren eine Wohnung, die er selten betrat, und eine Exfrau.

»Kümmert sich jemand um die Frau am anderen Ende des Schreis?«

»Sie ist nicht die Patientin. Sie hat nur gerade gesehen, wie ihr Freund mit einem Messer angegriffen wurde. Er liegt in Trauma 2 mit multiplen Fleischwunden im Gesicht.«

»Bringt sie bitte jemand in den Warteraum und beruhigt sie?« Ethan schaute sich das Bein des Mannes näher an und schätzte den Schaden ab. »Was auch immer nötig ist, damit sie aufhört zu schreien.«

»Wir wissen nicht, wie schwer die Verletzungen sind.«

»Umso mehr Grund, Ruhe auszustrahlen. Versichert ihr, dass ihr Freund in guten Händen ist und die bestmögliche Behandlung erhält.«

Es war eine typische Samstagnacht. Vielleicht hätte ich Gynäkologe werden sollen, dachte Ethan, während er den Patienten weiter untersuchte. Dann würde er die Höhepunkte im Leben der Menschen begleiten und nicht ihre Tiefpunkte. Er würde Geburten unterstützen, anstatt gegen den Tod anzukämpfen. Er würde mit den Patienten feiern. Stattdessen verbrachte er seine Samstagnacht an einem Krisenherd. Die Opfer von Verkehrsunfällen, Schusswaffen und Messern, dazu Drogenabhängige auf der Suche nach dem nächsten Schuss … die Liste war endlos und variantenreich.

Und wenn er ehrlich war, liebte er es.

Er liebte die Abwechslung und die Herausforderung. Als Level-1-Trauma-Einheit hatten sie beides im Überfluss.

Sie stabilisierten den Patienten so weit, dass er in den CT geschickt werden konnte. Ethan wusste, bis ihnen nicht die Ergebnisse der Computertomografie vorlagen, würden sie das Ausmaß seiner Kopfverletzung nicht einschätzen können.

Er wusste außerdem, wie schwer es war, vorauszusagen, was die Aufnahme zeigen würde. Er hatte schon Patienten mit minimalen sichtbaren Verletzungen gehabt, die an massiven inneren Blutungen litten, und andere, wie diesen Mann – wie sich später herausstellen sollte –, bei denen die Blutungen erstaunlicherweise nur minimal waren.

Ethan piepte den Neurochirurgen an und sprach mit der Freundin des Patienten, die panisch hergeeilt war und einen Mantel über ihrem Pyjama und Panik in den Augen trug. In der Notaufnahme war alles konzentriert und intensiv, einschließlich der Emotionen. Er hatte große Kerle gesehen, die sich für tough hielten und dann zusammenbrachen und schluchzten wie ein Kind. Er hatte Menschen beten sehen, obwohl sie nicht an Gott glaubten.

Er hatte alles gesehen.

»Wird er sterben?«

Diese Frage hörte er dutzende Male am Tag, und nur selten konnte er eine klare Antwort geben. »Er ist in guten Händen. Wir können Ihnen mehr sagen, wenn wir die Ergebnisse des CT vorliegen haben.« Er war ruhig und freundlich, beteuerte, dass alles, was möglich war, getan würde. Er wusste, wie wichtig es war, sicher sein zu können, dass der Mensch, den man liebte, die beste Pflege erhielt, also nahm er sich die Zeit, der Frau zu erklären, was passieren würde, und ihr vorzuschlagen, jemanden anzurufen, der ihr beim Warten Gesellschaft leistete.

Als der Mann schließlich in die Hände des Teams aus der Neurochirurgie übergeben wurde, zog Ethan seine Handschuhe aus und wusch sich gründlich die Hände. Vermutlich würde er den Patienten nicht wiedersehen. Der Mann war aus seinem Leben verschwunden und würde sehr wahrscheinlich nie erfahren, welche Rolle Ethan dabei gespielt hatte, ihn am Leben zu erhalten.

Später würde Ethan möglicherweise nachfragen, wie es dem Mann ging, aber viel zu oft war er zu beschäftigt damit, sich auf die nächste Priorität zu konzentrieren, die durch die Schwingtüren kam, um über die, die abgehakt waren, nachzudenken.

Susan, seine Kollegin, stieß ihn freundlich aus dem Weg und zog sich ebenfalls die Handschuhe aus. »Das war aufregend. Denkst du je daran, einen Job als Hausarzt anzunehmen? Du könntest in einer süßen kleinen Stadt wohnen, wo du dich um drei Generationen der gleichen Familie kümmerst. Grandma, Grandpa, Eltern und eine Horde Enkelkinder. Du würdest den Tag damit verbringen, ihnen zu sagen, sie sollen das Rauchen einstellen und abnehmen, und vermutlich nie auch nur einen einzigen Tropfen Blut sehen.«

»Das hat mein Vater gemacht.« Und Ethan hatte das für sich nie gewollt. Seine Entscheidungen waren der Grund vieler hitziger Debatten, wann immer er nach Hause fuhr. Sein Großvater sagte ihm, er würde etwas verpassen, wenn er eine Familie nicht von der Geburt bis zum Tod begleitete. Ethan argumentierte, dass er derjenige war, der die Leute am Leben hielt, damit sie überhaupt zu ihren Familien zurückkehren konnten.

»So viele Monate arbeiten wir schon zusammen, und trotzdem habe ich das nicht über dich gewusst.« Susan schrubbte sich die Hände. »Also entstammst du einer Familie aus zwei Generationen Ärzten?«

Sie arbeiteten seit über einem Jahr zusammen, doch beinahe alle ihre Unterhaltungen hatten sich um die Gegenwart gedreht. So war das in der Notaufnahme. Man lebte im wahrsten Sinne des Wortes im Augenblick.

»Drei Generationen. Mein Vater und Großvater sind beide Allgemeinmediziner. Sie hatten eine Praxis in Upstate New York.« Er hatte mit fünf Jahren im Wartezimmer gesessen und zugesehen, wie ein steter Strom von Patienten durch die Tür kam, um mit seinem Dad zu reden. Es hatte Zeiten gegeben, in denen hatte er sich gefragt, ob die einzige Möglichkeit, seinen Vater zu sehen, wäre, krank zu werden.

»Und deine Mutter?«

»Die ist Kinderärztin.«

»Meine Güte, Black, ich hatte ja keine Ahnung. Es liegt dir also in den Genen.« Susan zog so energisch ein Handtuch aus dem Spender an der Wand, dass sie ihn beinahe abgerissen hätte. »Tja, das erklärt es.«

»Das erklärt was?«

»Warum du dich immer so benimmst, als müsstest du etwas beweisen.«

Ethan runzelte die Stirn. Stimmte das? Nein. Ganz sicher nicht. »Ich muss nichts beweisen.«

»Du musst hohe Erwartungen erfüllen.« Sie sah ihn mitfühlend an. »Warum bist du nicht in ihre Praxis eingestiegen? Doktoren Black, Black und Black. Das ist ganz schön viel Black. Sag mir nicht, dass du einfach das wohlig warme Gefühl liebst, das dir die Arbeit in der Notaufnahme gibt.« Durch die Tür hörten sie die Frau »Fick dich!« rufen und tauschten ein schiefes Lächeln. »All diese süßen Patienten, die dich mit endloser Liebe und Dankbarkeit überschütten …«

»Dankbarkeit? Warte mal – ich glaube, die ist mir tatsächlich einmal zuteilgeworden. Das war vor ein paar Jahren. Gib mir einen Moment, während ich in meinen Erinnerungen wühle.«

Er hatte nicht das Gefühl, irgendwelche Erwartungen erfüllen zu müssen.

Darin irrte Susan sich. Er ging aus ganz persönlichen Gründen seinen eigenen Weg.

»Da hast du bestimmt halluziniert. Das passiert bei Schlafmangel. Also, wenn es nicht die seltene Gabe von Dankbarkeit ist, müssen es die Patienten sein, die dich verfluchen, dir auf die Stiefel kotzen und dir sagen, dass du der schlechteste Arzt bist, der je auf Gottes Erden gewandelt ist, und dass sie dich bis aufs Blut verklagen. Darauf fährst du also ab?«

Der Humor ließ sie die Tage voller nervlicher Anspannung überstehen.

Er trug sie durch die dunkleren Arbeitsschichten, in denen sie Traumata miterlebten, nach denen jeder normale Mensch erst einmal eine Therapie bräuchte.

Jeder im Trauma-Team fand seinen eigenen Weg, damit umzugehen.

Sie wussten – genau wie die meisten Menschen –, dass sich das Leben innerhalb eines Augenblicks verändern konnte. So etwas wie eine sichere Zukunft gab es nicht.

»Ich mag diese Seite meines Berufs. Und dazu die Freude, mit bewundernden, respektvollen Kollegen wie dir zusammenzuarbeiten.«

»Du willst bewundert werden? Dann musst du dir eine andere Frau suchen.«

»Ich wünschte, das könnte ich.«

Susan tätschelte seinen Arm. »Ehrlich gesagt bete ich dich an. Nicht weil du süß und gut gebaut bist, sondern weil ich weiß, was du kannst, und hier ist Kompetenz das beste Aphrodisiakum. Und vielleicht treibt dich das Verlangen an, besser zu sein als dein Vater oder dein Großvater, aber ich liebe es trotzdem.«

Er warf ihr einen ungläubigen Blick zu. »Machst du mich etwa gerade an?«

»Hey, ich will mit einem Mann zusammen sein, der gut mit seinen Händen umgehen kann und weiß, was er tut. Was sollte daran falsch sein?« Ihre Augen funkelten, und er wusste, dass sie ihn nur aufzog.

»Reden wir immer noch über die Arbeit?«

»Na klar. Worüber sonst? Ich bin genau wie du mit meinem Job verheiratet. Ich habe mich in Gesundheit und Krankheit, in Reichtum und Armut der Notaufnahme versprochen, und ich sage dir, wenn man in New York City lebt, liegt die Betonung definitiv auf Armut. Aber keine Sorge – ich würde gar nicht lang genug wach bleiben können, um Sex mit dir zu haben. Wenn ich diesen Ort verlasse, falle ich, sobald ich meine Wohnung betrete, sofort in Ohnmacht und wache für niemanden auf. Nicht einmal für dich, Blue Eyes. Also wenn du nicht wegen der Liebe und des positiven Feedbacks hier bist, musst du ein Adrenalinjunkie sein.«

»Ja, vielleicht bin ich das.« Es stimmte, er genoss die Schnelligkeit, die Unvorhersehbarkeit, den Adrenalinrausch, der damit einherging, nie zu wissen, was als Nächstes durch die Tür kam. Die Notfallmedizin war oft wie ein Puzzle, und er genoss die intellektuelle Stimulation, herauszufinden, welches Teil wohin gehörte und wie das Gesamtbild aussehen sollte. Er genoss es, Menschen zu helfen, auch wenn sich die Arzt-Patienten-Beziehung in den letzten Jahren verändert hatte. Jetzt ging es nur noch um den Zufriedenheitsgrad des Patienten und andere messbare Werte, die wenig mit guter Medizin zu tun hatten. Es gab Tage, da fiel es ihm schwer, sich an die Gründe zu erinnern, die in ihm überhaupt erst den Wunsch geweckt hatten, Arzt zu werden.

Susan warf das Papierhandtuch in den Mülleimer. »Weißt du, was ich am meisten liebe? Wenn jemand verbunden hier hereinkommt und man nicht weiß, was man unter den Verbänden finden wird. Ich liebe diese Spannung. Ist es ein Schnitt von der Größe eines Stecknadelkopfes, oder fällt der Finger gleich ab?«

»Du bist seltsam, Parker.«

»Das bin ich. Aber willst du mir sagen, dass du diesen Teil nicht liebst?«

»Ich mag es, Leute zusammenzuflicken.« Er schaute auf, als einer seiner Studenten in den Raum kam. »Gibt es Probleme?«

»Wo soll ich anfangen? Da draußen warten ungefähr sechzig Probleme, die meisten von ihnen betrunken. Wir haben einen Mann, der während einer Büroparty von seinem Schreibtisch gefallen ist und sich am Rücken verletzt hat.«

Ethan runzelte die Stirn. »Es ist doch noch nicht mal Dezember.«

»Sie haben früh gefeiert. Ich glaube nicht, dass er ein Kernspin braucht, aber er hat Dr. Suchmaschine konsultiert und beharrt darauf, und wenn ich keinen Termin im MRT arrangiere, wird er mich auf jeden Cent, den ich besitze, verklagen. Glaubst du, es würde ihn abschrecken, wenn ich ihm die Höhe meiner Studienschulden verrate?«

Susan winkte ab. »Ethan kümmert sich darum. Er ist super darin, die Leute zur richtigen Entscheidung zu lenken. Und wenn das nicht funktioniert, spielt er den bösen Cop.«

Ethan hob eine Augenbraue. »Böser Cop? Ernsthaft?«

»Hey, das ist ein Kompliment. Nicht viele Patienten kommen an dir vorbei.«

Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Zahnschmerzen – die kamen hier ständig vor, immer begleitet von der Forderung nach verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln. Die erfahrenen Teammitglieder spürten, wann sie ausgetrickst wurden, aber für die weniger erfahrenen war es eine konstante Herausforderung, die richtige Balance zwischen Mitgefühl und Misstrauen zu finden.

Ethan dachte immer noch über das Etikett »böser Cop« nach, als er zur Tür ging, doch bevor er bei dem Patienten ankam, wurde er durch die Ankunft eines anderen Patienten abgelenkt – ein vierzig Jahre alter Mann, der auf der Arbeit unter Brustschmerzen geklagt und im Krankenwagen einen Herzinfarkt erlitten hatte. So dauerte es weitere dreißig Minuten, bis Ethan sich um den Mann mit den Rückenschmerzen kümmern konnte, und inzwischen war die Stimmung im Untersuchungsraum durchaus als feindlich zu bezeichnen.

»Na endlich!« Der Mann stank nach Alkohol. »Ich warte schon eine Ewigkeit darauf, dass sich jemand um mich kümmert.«

Alkohol und Angst. Beides sah man in der Notaufnahme häufig. Es war eine toxische Mischung.

Ethan warf einen Blick auf den Aufnahmebogen. »Hier steht, Sie wurden zehn Minuten nach Ihrer Ankunft untersucht, Mr. Rice.«

»Von einer Krankenschwester. Das zählt nicht. Und dann von einem Assistenzarzt, der weniger weiß als ich.«

»Die Krankenschwester ist sehr erfahren.«

»Sie haben hier das Kommando, also will ich Sie, aber Sie haben sich ja schön Zeit gelassen.«

»Wir hatten einen Notfall, Mr. Rice.«

»Wollen Sie damit sagen, ich wäre kein Notfall? Ich war zuerst hier! Wieso ist er wichtiger als ich?«

Weil er bei seiner Ankunft klinisch tot war?

»Wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Rice?« Ethan blieb ruhig, immer ruhig, denn er wusste, in einer angespannten Umgebung konnte die Situation mit Lichtgeschwindigkeit eskalieren.

»Ich will ein verficktes MRT«, lallte der Mann. »Und ich will es jetzt, nicht erst in zehn Jahren. Machen Sie das sofort, oder ich verklage Sie.«

Das war ein nur allzu vertrautes Szenario. Patienten, die ihre Symptome im Internet nachschauten und überzeugt waren, nicht nur die Diagnose zu kennen, sondern auch alle Untersuchungen, die durchgeführt werden mussten. Es gab nichts Schlimmeres als einen Amateur, der sich für einen Experten hielt.

Und die Drohungen und Beschimpfungen waren nur zwei der Gründe, warum die Burn-out-Rate beim Personal der Notaufnahme hoch war. Man musste lernen, damit umzugehen, oder es würde einen zermürben, wie das Meer die Steine am Ufer zermürbte, bis sie zerkrümelten.

In der verrückten Phase zwischen Thanksgiving und Weihnachten würde es nur noch schlimmer werden.

Jeder, der glaubte, es handle sich um eine Zeit der Liebe und des Mitgefühls, sollte mal einen Tag mit Ethan verbringen. Sein Kopf pochte.

Wenn er sein eigener Patient wäre, hätte er eine Untersuchung im CT veranlasst.

»Dr. Black?« Einer der Assistenzärzte stand an der Tür, und Ethan nickte ihm kurz zu, um anzudeuten, dass er sobald wie möglich bei ihm wäre.

Als leitender Arzt wandten sich alle auf der Suche nach Antworten an ihn. Assistenzärzte, Medizinstudenten, Hilfskräfte, Krankenschwestern, Apotheker, Patienten. Es wurde von ihm erwartet, alles zu wissen.

Im Moment wusste er nur, dass er nach Hause wollte. Es war eine lange, elendige Schicht gewesen, und es sah nicht so aus, als würde sich das in nächster Zeit ändern.

Er untersuchte den Mann gründlich und erklärte ihm ruhig und klar, warum ein Kernspin nicht notwendig war.

Das kam so gut an, wie er vermutet hatte.

Einige Ärzte führten solche Untersuchungen durch, weil der Patient dann wenigstens glücklich die Klinik verließ. Aber Ethan weigerte sich, das zu tun.

Er blendete die Tirade aus, in der er als unmenschlich, inkompetent und Schande für den Ärztestand verunglimpft wurde. Inzwischen fiel es ihm leicht, seine Gefühle auszuschalten. Sie wieder anzuschalten war hingegen eine größere Herausforderung, wie man anhand seines katastrophalen Beziehungslebens erkennen konnte.

Er ließ die Beschimpfung über sich hinwegspülen, rückte aber nicht von seiner Entscheidung ab. Schon vor langer Zeit hatte er beschlossen, dass er sich seine Entscheidungen nicht von Schikane oder einer Zufriedenheitsskala der Patienten diktieren lassen würde. Er tat, was für seine Patienten am besten war, und das bedeutete, sie nicht unnötigen Untersuchungen oder Medikamenten auszusetzen, die keinerlei oder – schlimmer noch – negativen Einfluss auf ihren Zustand hatten.

»Dr. Black?« Tony Roberts, einer der dienstältesten Kinderärzte des Krankenhauses, stand an der Tür. »Ich brauche dringend Ihre Hilfe.«

Ethan gab dem anwesenden Assistenzarzt ein paar Anweisungen und entschuldigte sich.

»Was gibt es für ein Problem, Tony? Hast du einen Notfall?«

»Ja.« Tony sah ernst aus. »Sag mir, glaubst du an den Weihnachtsmann?«

»Wie bitte?« Ethan sah ihn fassungslos an und lachte dann. »Wenn es den Weihnachtsmann gäbe, würde er mir vermutlich mit der Rute drohen, weil ich ihm raten würde, seiner Gesundheit zuliebe ein paar Kilo abzunehmen. Und einen Helm zu tragen, wenn er in einem von Rentieren gezogenen Fahrzeug in über 9 Kilometer Höhe unterwegs ist. Oder wenigstens eine Lederkombi.«

»Der Weihnachtsmann in Leder? Hm, das gefällt mir«, murmelte Susan, die gerade auf dem Weg zur Erstaufnahme an ihnen vorbeikam.

Tony grinste. »Das ist genau die zynische Antwort, die ich von dir erwartet hatte, Black. Was auch der Grund für meine Anwesenheit hier ist. Ich gebe dir eine Gelegenheit, von der du nie gedacht hättest, dass sie sich dir mal bieten würde.«

»Ein Sabbatical auf Hawaii bei voller Bezahlung?«

»Noch besser. Ich werde dein Leben verändern.« Tony schlug ihm auf die Schulter, und Ethan fragte sich, ob er ihn darauf hinweisen sollte, dass es nach einer Schicht in der Notaufnahme nicht viel bedurfte, um ihn von den Füßen zu hauen.

»Wenn ich nicht schnell zu meinem nächsten Patienten komme, wird sich mein Leben verändern, denn dann werde ich mich vor Gericht verantworten müssen. Können wir das hier schnell hinter uns bringen, Tony?«

»Du weißt, dass der Weihnachtsmann jedes Jahr die Kinder auf der Kinderstation besucht?«

»Nein, wusste ich nicht. Aber jetzt weiß ich es. Das ist toll. Ich bin sicher, die Kinder lieben es.« Das war eine Welt, die weit entfernt war von der, die er bewohnte.

»Das tun sie. Der Weihnachtsmann ist …« Tony schaute sich um und senkte die Stimme. »Der Weihnachtsmann ist eigentlich Rob Baxter, einer der Kinderärzte.«

»Was du nicht sagst. Und ich dachte, er wäre echt.« Ethan unterschrieb eine Anfrage, die ihm ein Student unter die Nase hielt. »Damit ist auch meine letzte Illusion zerstört. Du hast mir das Herz gebrochen. Ich muss jetzt vermutlich heim und mich erst einmal hinlegen.«

»Vergiss es.« Susan lief wieder an ihnen vorbei, dieses Mal in die andere Richtung. »Niemand legt sich hier hin, außer, er ist tot. Wenn du tot bist, darfst du dich hinlegen, aber nur, nachdem wir versucht haben, dich wiederzubeleben.«

Tony sah ihr hinterher. »Ist sie immer so?«

»Ja. Komik ist Teil des Service. Lachen ist gesund, hast du das noch nie gehört? Was willst du, Tony? Ich dachte, du hättest gesagt, es handle sich um einen Notfall.«

»Das tut es auch. Rob Baxter hat sich beim Laufen im Central Park die Achillessehne gerissen. Er wird erst nach Weihnachten wieder fit sein. Das bedeutet eine Krise für die Kinderstation, aber eine noch größere Krise, weil er der Weihnachtsmann ist und wir keinen Ersatz haben.«

»Warum erzählst du mir das? Soll ich mir seine Achillessehne anschauen? Bitte Viola darum. Sie ist eine brillante Chirurgin.«

»Ich brauche keine Chirurgin. Ich brauche einen Weihnachtsmann.«

Ethan sah ihn ausdruckslos an. »Ich kenne aber keinen.«

»Weihnachtsmänner werden auserkoren, nicht geboren.« Tony senkte die Stimme noch weiter. »Wir wollen, dass du dieses Jahr der Weihnachtsmann bist. Wirst du das machen?«

»Ich?« Ethan fragte sich, ob er sich verhört hatte. »Ich bin kein Kinderarzt.«

Tony lehnte sich zu ihm. »Du weißt das vermutlich nicht, aber der Weihnachtsmann muss nicht operieren oder klinische Entscheidungen treffen. Er lächelt nur und verteilt Geschenke.«

»Klingt wie einer meiner normalen Arbeitstage«, sagte Ethan. »Nur wollen sie hier, dass man MRTs und verschreibungspflichtige Medikamente verteilt. In Geschenkpapier verpacktes Vicodin ist dieses Jahr das absolute Must-have.«

»Du bist zynisch und abgestumpft.«

»Ich bin Realist. Und deshalb absolut ungeeignet, mich mit staunenden Kindern herumzuschlagen, die immer noch an den Weihnachtsmann glauben.«

»Genau deshalb solltest du es tun. Es wird dich an all die Gründe erinnern, aus denen du dich für ein Medizinstudium entschieden hast. Dein Herz wird schmelzen, Dr. Scrooge.«

»Er hat kein Herz«, murmelte Susan, die schamlos lauschte.

Ethan sah sie ungläubig an. »Hast du keine Patienten, um die du dich kümmern musst? Leben, die gerettet werden wollen?«

»Ich hänge hier nur rum, um deine Antwort zu hören, Boss. Wenn du dich von Scrooge in den Weihnachtsmann verwandelst, muss ich das wissen. Ehrlich gesagt will ich sogar dabei sein. Ich würde sogar an Weihnachten arbeiten, nur um es zu sehen.«

»Du bist bereits für Weihnachten eingeteilt. Und ich bin nicht dafür qualifiziert, den Weihnachtsmann zu spielen. Warum glaubst du, ich würde Ja sagen?«

Tony sah ihn gedankenverloren an. »Du würdest den Kindern den Tag retten. Besser geht es nicht. Denk noch mal darüber nach. Ich rufe dich nächste Woche oder so an. Es ist ein leichter und sehr lohnender Job.« Er schlenderte davon, und Ethan sah ihm fassungslos hinterher.

»Dr. Scrooge«, sagte Susan. »Wie süß ist das denn bitte.«

»Überhaupt nicht süß.« Ganz sicher konnte Tony das nicht ernst gemeint haben, oder? Ethan war der letzte Mensch auf der Welt, der für gutgläubige, staunende Kinder den Weihnachtsmann spielen sollte.

Ihm fiel ein Student auf, der in der Nähe herumlungerte. »Probleme?«

»Eine junge Frau mit einem verletzten Knöchel. Stark geschwollen und geprellt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn röntgen soll oder nicht. Dr. Marshall ist beschäftigt, sonst hätte ich ihn gefragt.«

»Ist sie auf der Suche nach Vicodin?«

»Ich glaube, sie ist ehrlich.«

Da Ethan wusste, dass der junge Medizinstudent noch nicht über die Erfahrung verfügte, zu beurteilen, ob jemand aufrichtig war oder nicht, folgte er ihm durch die Abteilung. Vicodin war ein effektives Schmerzmittel. Es wurde außerdem gerne als Entspannungsdroge missbraucht, und er hatte längst aufgehört, sich darüber zu wundern, welche Mühen manche Leute auf sich nahmen, um ein Rezept zu bekommen. Er wollte nicht, dass in seiner Abteilung starke Schmerzmittel an jemanden verschrieben wurden, der nur auf der Suche nach einem schnellen Rausch durch Vicodin war.

Als er sie erblickte, dachte er, dass sie hier in dieser bunten Mischung der Menschen, die an einem Samstagabend die Flure der Notaufnahme säumten, vollkommen fehl am Platz wirkte. Ihre Haare waren lang und hatten die Farbe von cremiger Buttermilch. Sie hatte zarte Gesichtszüge, und ihr Mund war ein geschwungener, pink glänzender Bogen. Sie trug einen Schuh, für dessen Absatz man einen Waffenschein bräuchte. Den anderen Schuh hielt sie in der Hand.

Ihr Knöchel war schon blau angelaufen.

Wieso erwarteten Frauen, solche Absätze tragen zu können, ohne sich dabei zu verletzen? Dieser Schuh war ein Unfall, der nur darauf wartete zu passieren. Und auch wenn die Frau normal wirkte, ließ Ethan nicht zu, dass ihr Aussehen sein Radar für Probleme ausschaltete. Vor ein paar Jahren war eine Studentin mit Zahnschmerzen in der Klinik gewesen, die, wie sich später herausstellte, nur ein Vorwand gewesen waren, um an Schmerzmittel zu kommen. Ein paar Tage später war sie mit einer Überdosis in die Notaufnahme eingeliefert worden.

Ethan war bei ihrem zweiten Besuch anwesend gewesen, allerdings nicht bei dem ersten. Es war eine Lektion, die er nie vergessen hatte.

»Miss Knight? Ich bin Dr. Black. Können Sie mir sagen, was passiert ist?«

Das muss eine großartige Party gewesen sein, dachte er, während er den Knöchel untersuchte.

»Ich habe mir den Fuß verknackst. Es tut mir leid, Sie stören zu müssen, wo Sie so viel zu tun haben.« Sie klang mehr als nur ein wenig peinlich berührt, was eine nette Abwechslung zu den beiden Patienten war, die er direkt vor ihr untersucht hatte und die seine Fürsorge als ihr gottgegebenes Recht angesehen hatten.

Er fragte sich, was sie hier ganz allein an einem Samstagabend machte. Sie war schick angezogen, also bezweifelte er, dass sie den Abend allein verbracht hatte.

Er schätzte sie auf Mitte bis Ende zwanzig. Vielleicht auch dreißig, denn ihr Gesicht ließ nur schwer ihr genaues Alter erahnen. Geschminkt mochte sie älter aussehen. Ohne Make-up könnte sie als Collegestudentin durchgehen. Ihre Augen waren blau, und ihr Blick war warm und freundlich, was ebenfalls eine nette Abwechslung war.

Generell sah er während seiner Arbeitstage nicht viel Warmes und Freundliches.

»Wie haben Sie ihn verdreht?« Den Mechanismus der Verletzung zu verstehen war oft der hilfreichste Weg, um sich ein komplettes Bild von der Verletzung machen zu können. »Beim Tanzen?«

»Nein. Nicht beim Tanzen. Ich habe die Schuhe nicht angehabt, als ich umgeknickt bin.«

Er sah fasziniert zu, wie ihre Wangen sich röteten.

»Wie ist es dann passiert?« Damit sie nicht auf die Idee käme, er würde die Fragen zu seiner persönlichen Unterhaltung stellen, fügte er hinzu: »Je mehr Einzelheiten ich weiß, desto einfacher ist es für mich, die Verletzung einzuschätzen.«

»Ich bin aus einem Fenster gesprungen. Es war nicht hoch, aber ich bin ungünstig aufgekommen und umgeknickt.«

Sie ist aus einem Fenster gesprungen?

»Gehen Sie gerne Risiken ein?«

Sie lächelte schwach. »Meine Vorstellung von Risiko ist, meinen E-Book-Reader mit in die Badewanne zu nehmen, also nein, ich würde mich nicht als jemanden bezeichnen, der gerne Risiken eingeht.«

Ethans Sinne waren wieder höchst alarmiert. Er glaubte nicht mehr, dass sie eine mögliche Drogenabhängige oder ein Adrenalinjunkie war, sondern womöglich ein Opfer von häuslicher Gewalt. »Warum sind Sie aus dem Fenster gesprungen?« Er sprach ganz sanft und versuchte, mit seiner Stimme zu übermitteln, dass sie ihm vertrauen konnte.

»Ich musste vor jemandem fliehen.« Sie schien etwas in seinen Augen zu sehen, denn sie schüttelte schnell den Kopf. »Ich weiß, was Sie denken, aber ich bin nicht bedroht worden. Es war wirklich ein Unfall.«

»Aus einem Fenster zu springen ist normalerweise kein Unfall.« Außer, sie war alkoholisiert oder stand unter Drogen, aber er roch keinen Alkohol, und sie wirkte auch vollkommen klar. Klarer als die meisten Leute hier. Die Notaufnahme am Samstagabend war kein hübscher Anblick. »Warum sind Sie nicht einfach durch die Tür gegangen?«

Sie wandte den Blick ab. »Das ist eine lange Geschichte.«

Eine, die sie ihm offensichtlich nicht erzählen wollte.

Ethan überdachte seine Optionen. In der Notaufnahme hatten sie es viel zu oft mit Opfern von häuslicher Gewalt zu tun, und es war seine Pflicht, einen sicheren Ort und jegliche Unterstützung anzubieten, die nötig war. Aber er hatte auch gelernt, dass nicht jeder Hilfe haben wollte. Dass es ein Prozess war. »Miss Knight …«

»Sie müssen sich keine Sorgen machen. Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ich war auf einem Date, und das lief nicht gut. Mein Fehler.«

»Sie sind aus dem Fenster gesprungen, um Ihrem Date zu entkommen?«

Sie starrte auf einen Punkt hinter seinen Schultern. »Er war nicht ganz das, was sein Profil versprochen hatte.«

»Sie haben ihn vorher nie getroffen?« Jetzt dachte er an Menschenhandel. Und vielleicht hatte er sich geirrt, was ihr Alter anging, und sie war doch eher zwanzig als dreißig.

Er warf einen Blick auf den Aufnahmebogen und sah, dass er mit seiner ersten Einschätzung richtiggelegen hatte. Sie war neunundzwanzig.

»Ich habe es mit Online-Dating versucht. Es ist nicht ganz so gelaufen, wie ich gedacht hatte. Mein Gott, das ist so peinlich.« Sie massierte sich die Stirn. »Er hat auf seinem Profil gelogen, und ich habe nicht einmal geahnt, dass Menschen so etwas tun. Was mich ziemlich dumm aussehen lässt, ich weiß. Und naiv. Und ja, vielleicht macht es mich auch zu jemandem, der Risiken eingeht, wenn auch unabsichtlich. Und ich bin ganz schrecklich darin.«

Er hing immer noch ihren ersten Worten nach. »Er hat gelogen?«

»Ja. Er hat ein dreißig Jahre altes Foto benutzt und alle möglichen Dinge behauptet, die nicht stimmten.« Sie straffte die Schultern. »Ich fand ihn ein wenig gruselig und hatte ein ungutes Gefühl, was die ganze Sache anging, also habe ich beschlossen, dort einen Abgang zu machen, wo er mich nicht sehen konnte. Ich wollte nicht, dass er mir nach Hause folgt. Das müssen Sie alles gar nicht wissen, oder?« Sie beugte sich vor, um ihren Knöchel zu massieren, und ihre Haare fielen nach vorn und verbargen ihr Gesicht.

Einen Moment lang starrte er einfach nur diesen Vorhang aus schimmerndem Gold an.

Er atmete ihr Parfüm ein. Blumig. Subtil. So subtil, dass er sich fragte, ob es vielleicht kein Parfüm, sondern ihr Shampoo war.

Noch nie hatte er sich emotional auf einen seiner Patienten eingelassen. Heutzutage ließ er sich auf fast gar nichts mehr emotional ein, aber aus irgendeinem Grund verspürte er einen Anflug von Zorn auf den namenlosen Mann, der diese Frau angelogen hatte.

»Warum das Fenster?«, fragte er und riss seinen Blick von ihren Haaren los, um sich wieder auf die Untersuchung ihres Knöchels zu konzentrieren. »Warum sind Sie nicht zur Eingangstür hinausspaziert? Oder durch die Küche oder den Hinterausgang?«

»Die Küche lag in Blickrichtung unseres Tisches. Ich hatte Sorge, dass der Kerl mir folgen würde. Und um ehrlich zu sein, ich habe nicht groß nachgedacht, ich wollte einfach nur weg. Erbärmlich, ich weiß. Ist der Knöchel gebrochen?«

»Sieht nicht so aus.« Ethan richtete sich auf. Die Verletzung war jedoch nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Genauso wenig wie die Schmerzen, die, wie er vermutete, viel tiefer gingen als das Stechen eines verstauchten Knöchels. »Ich glaube nicht, dass wir röntgen müssen, aber wenn es schlimmer wird, sollten Sie zurückkommen oder Ihren Hausarzt aufsuchen.«

Er wartete darauf, dass sie ihm widersprechen und auf einer Röntgenaufnahme beharren würde, aber sie nickte nur.

»Gut. Ich danke Ihnen.«

Das war eine so ungewöhnliche Reaktion, dass er sich noch einmal wiederholte, nur um sicherzugehen, dass sie ihn verstanden hatte. »Wie gesagt, ich glaube nicht, dass eine Röntgenaufnahme notwendig ist.«

»Ich verstehe. Vermutlich hätte ich Ihre Zeit gar nicht vergeuden dürfen, aber ich wollte es nicht schlimmer machen, indem ich etwas tue, was ich nicht tun sollte. Ich bin Ihnen sehr dankbar. Und erleichtert, dass er nicht gebrochen ist.«

Sie akzeptierte sein professionelles Urteil einfach so?

Ohne Widerworte? Ohne Flüche? Ohne ihn zu hinterfragen oder zu drohen, ihn zu verklagen?

»Sie können jedes Schmerzmittel nehmen, das Sie zu Hause haben.«

Das war der Punkt, an dem der Großteil seiner Patienten verlangte, ein Rezept ausgeschrieben zu bekommen.

Oder vielleicht wurde er langsam wirklich zum Zyniker.

Vielleicht brauche ich mal Urlaub.

Es stand einer bevor – die Woche vor Weihnachten. Sieben Tage in einer Luxushütte in Vermont.

Dort traf er sich jedes Jahr mit Familie und Freunden, und dieses Jahr hatte er die Auszeit dringender nötig als je zuvor. Er liebte seinen Job, aber die Unbarmherzigkeit und der Druck forderten ihren Tribut.

»Ich benötige keine Schmerzmittel. Ich wollte nur sichergehen, dass der Knöchel nicht gebrochen ist, mehr nicht. Ich muss in meinem Beruf sehr viel gehen.« Sie schenkte ihm ein süßes Lächeln, das für einen Kurzschluss in seinem Gehirn sorgte.

Während seiner Jahre in der Notaufnahme hatte er mit Panik, Hysterie, verbalen Ausfällen und Schocks zu tun gehabt. Mit all diesen Gefühlen und Reaktionen kannte er sich aus. Er verstand sie sogar.

Doch er hatte keine Ahnung, wie er auf ein Lächeln wie ihres reagieren sollte.

Sie rappelte sich auf die Beine, und er musste sich zurückhalten, um ihr nicht zu helfen.

»Was machen Sie denn beruflich?« Die Frage hatte klinische Relevanz und nichts damit zu tun, dass er mehr über sie in Erfahrung bringen wollte.

»Ich leite eine Agentur für Hundebetreuung. Ich muss herumlaufen können und will es nicht schlimmer machen.«

Eine Hundesitterin.

Er betrachtete die Sommersprossen, die ihre Nase bestäubten.

Und konnte sich vorstellen, dass sie Hunde ausführte. Und an den Weihnachtsmann glaubte.

»Wenn Sie mit dem Ausführen von Hunden Ihren Lebensunterhalt verdienen, sollten Sie sich in Zukunft besser von Stilettos fernhalten.«

»Ja, das war eine dumme Idee. Ein spontaner Einfall. Ich versuche, Dinge zu tun, die ich normalerweise nicht tun würde, und …« Sie brach ab und schüttelte den Kopf. »Das interessiert Sie nicht. Sie haben zu tun, und ich beanspruche sinnlos Ihre wertvolle Zeit. Danke noch mal für alles.«

Diese eine Patientin hatte ihm in den letzten fünf Minuten öfter gedankt als alle anderen Patienten zusammengenommen in den letzten fünf Wochen.

Und nicht nur das, sie hatte auch seine professionelle Meinung nicht infrage gestellt.

Ethan, der nie von seinen Patienten überrascht war, war überrascht.

Und fasziniert.

Er wollte sie fragen, warum sie versuchte, Dinge zu tun, die sie normalerweise nicht tat. Warum sie sich entschieden hatte, Stilettos zu tragen. Warum sie sich auf ein Dinner mit einem Mann eingelassen hat, den sie online kennengelernt hatte.

Doch er blieb professionell. Erklärte ihr, dass sie den Fuß hoch lagern und kühlen sollte, wobei er die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen hatte, weil er ihre Aufrichtigkeit am Anfang angezweifelt hatte.

Er fragte sich, wann genau er der menschlichen Natur gegenüber so misstrauisch geworden war.

Ja, er brauchte definitiv dringend Urlaub.

3. Kapitel

»Das war der schlimmste Abend meines Lebens. Ich brauche einen Neuanfang.« Harriet lagerte ihren verletzten Knöchel auf dem Sofa, während sie mit ihrer Schwester telefonierte. »Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, bin ich in der Notaufnahme gelandet, wo Dr. Hot-aber-schroff mich offensichtlich für eine Prostituierte gehalten hat.« Sie sah immer noch seine skeptische Miene vor sich, als wäre er nicht sicher, ob ihre Berufswahl ganz koscher war.

An Tagen, an denen sie die Arme voller schlabbernder Hunde hatte, fragte sie sich das oft selbst.

»Er war heiß? Erzähl mir mehr.«

»Ernsthaft? Ich erzähle dir, dass ich mich mit einem gruseligen Stalker-Typen getroffen habe und aus dem Fenster in einen Müllcontainer gesprungen bin, und der einzige Teil, über den du reden willst, ist der Arzt in der Notaufnahme?«

»Wenn er heiß war, ja. Hast du ihn auf ein Date eingeladen?«

Für jemanden, der behauptete, nicht an Romantik interessiert zu sein, dachte ihre Zwillingsschwester ziemlich viel an Männer.

»Nein, ich habe ihn nicht auf einen Drink eingeladen.«

»Ich dachte, du versuchst, dich selbst herauszufordern.«

»Auch da gibt es Grenzen. Und den Arzt anzumachen, der mich in der Notaufnahme behandelt, ist eine davon.«

»Du hättest ihn dir schnappen und ihm einen fetten Kuss auf die Lippen drücken sollen.«

Harriet stellte sich sein entsetztes Gesicht vor. »Und dann hätte ich dich aus einer Zelle anrufen müssen, weil die Polizei mich wegen tätlichen Angriffs über Nacht eingesperrt hätte. Warte mal – lachst du etwa?«

»Vielleicht ein wenig.« Fliss gab ein ersticktes Geräusch von sich. »Gibt es zufällig Videoaufnahmen von der Fensteraktion? Die würde ich zu gerne sehen.«

»Ich hoffe nicht, denn ich möchte das nicht noch einmal durchleben.« Das schmerzhafte Pochen in ihrem Knöchel reichte als Erinnerung vollkommen. Das und das stetige Summen der Demütigung, das immer lauter wurde, wenn sie an den Augenblick im Krankenhaus zurückdachte.

»Ich bin stolz auf dich!«

»Warum?«

»Weil das alles so vollkommen untypisch für dich ist.«

»Das stimmt.« Harriet bewegte ihren Knöchel und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis die Schwellung abklang. Das Letzte, was sie in ihrem Job gebrauchen konnte, war eine Verletzung, die sie am Gehen hinderte. »Das war das letzte Mal, dass ich Mollys Rat zu irgendetwas angenommen habe. Sie hat mir gesagt, ich solle es mal mit Online-Dating probieren.«

»Das war ein Supertipp. Sie ist Beziehungsexpertin und weiß alles.«

Harriet dachte an die drei Verabredungen, die sie durchlitten hatte. »Nein, nicht alles.«

»Sie hat unseren unzähmbaren Bruder gezähmt. Das beweist, dass sie alles weiß.«

»Es ist aber nicht der beste Ansatz für jemanden, der Probleme mit Fremden hat. Ich bin nicht gerade in Bestform, wenn ich Leute nicht kenne.«

»Wenn du nicht gehen kannst, wie willst du dann die Firma leiten?«

»Ich habe meine Spaziergänge für die nächsten zwei Tage abgegeben.«

»Soll ich ein paar Anrufe tätigen?«

»Nein, das habe ich schon.«

»Du hast sowohl unsere Leute als auch die Kunden angerufen?«

»Ganz genau.«

»Selbst Mrs. Langdon?«

Ella Langdon war die Herausgeberin eines großen Hochglanzmagazins und ziemlich Furcht einflößend. Bevor Harriet sie angerufen hatte, hatte sie sich lange Mut zusprechen müssen.

»Ja, selbst Mrs. Langdon. Sie hat ihre missbilligende Stimme eingesetzt, aber ansonsten war der Anruf kein totaler Albtraum.« Und Harriet hatte nicht gestottert, was das Wichtigste war. Auch wenn es lange nicht mehr vorgekommen war, lebte sie immer noch in der Angst, dass es passieren würde, wenn sie es am wenigsten gebrauchen konnte. Als Kind hatte ihr Stottern sie den anderen um sie herum entfremdet. Sie wusste nicht, wie sie ohne ihre Zwillingsschwester überlebt hätte.

»Ich bin beeindruckt. Es ist, als würde ich mit einer vollkommen neuen Harriet sprechen. Und sobald dein Knöchel geheilt ist, wirst du wieder ausgehen.«

»Ich glaube nicht. Dieses Internet-Dating ist nichts für mich. Und warum sollte es auch? Wie soll man anhand einer Kurzbeschreibung jemanden finden, den man mag? Die Menschen spielen einem was vor und zeigen nur das, was sie dich sehen lassen wollen. Das ist alles so gestellt.« Und das hasste sie. Wo war da der Sinn? Wenn man nicht zwei Stunden lang ehrlich sein konnte, wie standen dann die Chancen, es vierzig oder fünfzig Jahre lang zusammen durchzuhalten? Vielleicht war es unrealistisch von ihr, zu erwarten, dass eine Beziehung ewig dauerte. Vielleicht war sie hoffnungslos altmodisch.

Ihre Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Vor ein paar Monaten hätte sie das ihrer Schwester erzählt, aber jetzt behielt sie es für sich. Da war dieser Schmerz hinter ihren Rippen. Sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es nur eine Magenverstimmung war oder ob sich in ihr Gefühle regten, mit denen sie nichts anzufangen wusste. »Wie auch immer, es ist irrelevant, weil ich in den nächsten paar Tagen nirgendwohin gehen werde. Wie läuft es in den Hamptons? Wie geht es Grams? Und Seth?«

»Hier ist alles gut. Grams ist schwer mit ihren Freundinnen beschäftigt – du weißt ja, wie sie ist. Sie hat ein aktiveres Sozialleben als jeder andere, den ich kenne. Und Seth arbeitet viel, aber ich auch. Am Strand spazieren zu gehen ist ein Segen, und es gibt hier so viel mehr Kunden, als ich gedacht hätte.«

Und wenn es darum ging, neue Kunden zu finden, hatte Fliss die Nase eines Terriers.

»Ohne dich würde es die Bark Rangers nicht geben.«

»Hey, ich habe die Firma vielleicht aufgebaut, aber du hältst sie am Laufen. Die Kunden lieben dich. Die Hunde lieben dich.« Fliss hielt inne. »Bist du sicher, dass du Weihnachten nicht mit uns verbringen willst? Ich habe noch nie Weihnachten ohne dich gefeiert. Du wirst mir so fehlen. Das wird komisch.«

»Es wird zauberhaft.« Wer spielte jetzt etwas vor? »Du wirst mit Seths Familie zusammen sein.«

»Aber du bist auch eingeladen. Ich wünschte, du würdest kommen.«

Harriet dachte darüber nach, Weihnachten mit einer Gruppe von Menschen zu verbringen, die sie nicht kannte. Fliss würde sich verpflichtet fühlen, ein Auge auf sie zu haben. Das wäre unerträglich. Und außerdem, entschied sie, wird das die größte Herausforderung von allen. Weihnachten ohne ihre Zwillingsschwester. Das war, wie die Nabelschnur zu durchtrennen. Wenn sie das überlebte, würde sie alles überleben. Es würde ihr Selbstvertrauen aufbauen.

Vorausgesetzt, sie überlebte es tatsächlich.

»Ich will in der Stadt bleiben. Ich liebe Manhattan zu Weihnachten.« Das stimmte. Es war ihr die liebste Jahreszeit, um durch die Stadt zu wandern. Sie betrachtete die Schaufenster und beobachtete die Menschen, die mit Tüten beladen über die Fifth Avenue wankten. »Sie haben Schnee vorausgesagt. Das wird magisch. Ich liebe Schnee, aber bei meinem Glück werde ich vermutlich ausrutschen und mir auch noch den anderen Knöchel verknacksen.«

»Dann siehst du vielleicht Dr. Hot wieder.«

»Sollte das passieren, wird er vermutlich denken: ›Wieso lernt diese Frau nicht endlich mal zu gehen?‹«

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