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Vertraut und doch so fremd

hier erhältlich:

Ein One-Night-Stand mit einem Typen, den sie nur über eine Dating-App kennt? Bisher kam das für Emma nicht infrage. Aber jetzt steht er vor ihr, der mysteriöse Mr. X, und er ist Zentimeter für Zentimeter heiße Versuchung. Die Nacht mit ihm ist jede Sünde wert, und Emma schwebt auf Wolke sieben … Bis sie plötzlich von einem Stalker verfolgt wird. Woher kann der so genau wissen, was Emma tut und wo sie ist? Alles läuft am Ende auf eine Frage hinaus: Wer ist Mr. X wirklich?


  • Erscheinungstag: 06.06.2019
  • Aus der Serie: Club
  • Bandnummer: 19
  • Seitenanzahl: 160
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955769970
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Samstag

Er stand vor ihr. Durch die große Fensterfront der Hotelsuite fiel das Mondlicht, und im Hintergrund zeichnete sich die nächtliche Silhouette Chicagos ab. Sie brauchte nur die Hand auszustrecken, um mit den Fingern der festen Kurve seiner definierten Brustmuskeln zu folgen. Fasziniert strich sie über seine Haut. Sanft schob er den Träger ihres BHs von ihrer Schulter, und ihre Haut entflammte bei seiner kaum spürbaren Berührung. Sie war nur zu einem einzigen Gedanken in der Lage: Ich kenne nicht einmal seinen Namen. Ich werde diesen Mann mit mir machen lassen, was immer er will, und ich habe keine Ahnung, wie ich ihn nennen soll.

Sie öffnete den Mund, um ihn ein weiteres Mal zu fragen, doch seine Lippen legten sich auf ihre und die Frage verdampfte in der Hitze ihrer animalischen Lust. Ihr entfuhr ein Stöhnen, als er gekonnt die vordere Öffnung ihres BHs löste und ihre vollen Brüste entblößte. Er beugte den Kopf und umspielte einen ihrer Nippel geschickt mit der Zunge, während er eine Hand um ihre andere Brust legte und sie voll Leidenschaft knetete.

Seine Lippen sind auf mir, und ich habe keine Ahnung, was er beruflich macht. Oder ob er einen Hund hat. Oder – verdammt – eine Frau. Ich bin diesem Mann erst vor einer Stunde begegnet. Es brauchte nur ein paar Nachrichten übers Handy, und jetzt stehe ich hier, halb nackt 

„Ich … Ich habe sowas noch nie gemacht … mit einem Fremden, meine ich“, murmelte sie. Sanft knabberte er an ihrem Nippel, und das Gefühl seiner Zähne auf ihrer empfindlichen Haut ließ sie zittern. „Das ist … das ist verrückt. Normalerweise mache ich so was nicht.“

Er richtete sich auf und sah sie mit einem Blick seiner tiefbraunen Augen, die sie so aus der Fassung brachten, direkt an. Ein Lächeln breitete sich über sein schönes Gesicht aus und erwärmte seine kantigen Züge. „Auch brave Mädchen können manchmal böse sein.“

Sie war ein braves Mädchen. So etwas machte sie sonst nie. Sie hatte überhaupt erst mit zwei Männern geschlafen und mit beiden erst, nachdem sie mindestens drei Monate lang mit ihnen ausgegangen war. Doch mit ihm fühlte sie sich verwegen. Wild.

„Ich kann einfach kaum glauben, dass ich …“ Sie war sich nicht einmal mehr sicher, wie sie hier so schnell gelandet sein konnte. Wie sie einem Mann, dem sie vor weniger als einer Stunde begegnet war, alles von sich zeigen konnte. „Ich meine nur … ich weiß überhaupt nichts über dich.“

„Hast du es dir anders überlegt?“ Er hielt inne und fing ihren Blick mit seinen braunen Augen ein.

„Nein“, sagte sie. Nein, sie wollte ihn. Wirklich.

Er presste seine harte, muskulöse Brust gegen ihre und beugte den Kopf so weit zu ihr hinab, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. „Mehr brauchst du über mich nicht zu wissen“, versicherte er ihr. Sie konnte spüren, wie die Hitze in ihrem tiefsten Innern aufwallte. Er wollte sie genau so sehr, wie sie ihn. Und, Gott, wie sehr sie ihn wollte. Sie wollte ihn, seit sie ihm vor einer Stunde in der Hotelbar begegnet war. Innerhalb von Sekunden hatte sie gewusst, dass sie ihn mit sich machen lassen würde, was immer er wollte. Sie war bereit.

„Ich mache mit dir, was immer du willst. Ich will, dass du es mir sagst.“ Sie atmete keuchend auf, und ihre Knie zitterten leicht. Sie musste kein braves Mädchen sein. Nicht mit ihm. Sie konnte böse sein. Sehr, sehr böse. Sie konnte machen, was immer sie wollte. Konnte ihn machen lassen … was immer er wollte.

Sie spürte ihre Lust, die die dünne Spitze feucht werden ließ, die als letzte Grenze zwischen ihr und der unüberlegten Tat lag, die sie dabei war, zu begehen. Dieser unfassbar unüberlegten Tat. Ein Teil von ihr wollte Nein sagen, doch längst schon hatte ihr Körper die Kontrolle übernommen. Ihr Körper wollte es, wollte es so sehr, dass sie zum Tier wurde, einzig getrieben von ihrer Lust und jahrtausendalten Instinkten. In dieser Nacht würde sie sich ihren tiefsten Sehnsüchten hingeben. Es gab kein Zurück mehr. Sie war bereit, diesem Mann alles zu geben. Sie wollte, dass dieser Fremde, den sie nicht kannte, Dinge mit ihr machte, die noch kein Mann zuvor mit ihr gemacht hatte.

Und sie würde es genießen.

1. KAPITEL

Der Tag zuvor

Emma Allaire starrte auf die gerade installierte App namens NOST auf ihrem Handydisplay und seufzte. „Du denkst echt, dass ich das machen sollte?“, fragte sie ihre beste Freundin Sarah zum wiederholten Male, während sie auf der Terrasse ihres Lieblingsbistros am Lincoln Square saßen und der milde, noch nicht ganz herbstliche Septemberwind sanft über den bevölkerten Platz wehte. NOST, kurz für No Strings – nichts Verbindliches, war eine neue Dating-App, von der alle ihre Freundinnen sprachen und die dazu diente, sich mit Männern zu unverbindlichem Sex zu verabreden. Das geheimnisvolle schwarze Logo der App erschien auf ihrem Display, und sie tippte es an.

„Versuch es doch einfach, okay?“, antwortete ihre rothaarige, makellos schöne Freundin, in deren Leben ein Musiker nach dem anderen ein und aus ging. „Bevor du’s nicht probiert hast, kannst du’s doch nicht wissen.“

„Aber das ist doch genau das Problem“, rief Emma und hielt das Handy hoch, dessen Display gerade die NOST-Startseite anzeigte. „Keine Namen. Keine Verbindlichkeiten. 100 % Spaß“, las sie vor und schob empört die schwarzgerahmte große Brille auf ihrem Nasenrücken hoch. „Wie soll man so denn jemals die große Liebe finden?“ Sie zeigte Sarah das Bild eines oberkörperfreien Mannes, der sich selbst mit Kussmund im Spiegel fotografiert hatte. Die App bot ihr an, nach rechts zu wischen, falls sie mit ihm ‚eine gute Zeit‘ verbringen wollte, und nach links, falls nicht.

„Süße, du weißt schon, dass es hier nicht um die große Liebe geht. Es geht allein darum, dass du mal wieder richtig Spaß hast.“ Sarahs Augen leuchteten.

Emma lachte auf. „Wovon sprichst du eigentlich?“

Sarah gestikulierte mit der Gabel in der Hand. „Du hast doch manchmal Spaß, oder etwa nicht?“

Emma spürte, wie sie errötete. „Ähm, klar.“

Bisher halt erst mit zwei verschiedenen Typen. Sie hatte in ihrer gesamten Dating-Geschichte bisher nur zwei Männer gehabt. Aber das musste sie Sarah ja nicht auf die Nase binden.

Diese setzte ihre Sonnenbrille auf und lehnte sich in der Sonne zurück. „Gut. Ich dachte schon, du gehörst zu den armen Seelen, die noch nie einen echten Orgasmus hatten.“

Emma sah sich um; sie fürchtete, dass ihnen jemand zuhörte. Darüber konnte Sarah nur den Kopf schütteln. „Orgasmus!“, rief sie laut, und ein Mann, der mit seinen zwei Kindern am Nebentisch saß, blickte irritiert zu ihnen hinüber.

„Psst!“, befahl Emma ihrer Freundin. Nicht, dass das etwas genutzt hätte, denn Sarah hielt grundsätzlich nicht mit ihren Gedanken hinterm Berg. Doch da brachte der Kellner ihr Essen, und Sarah langte genüsslich zu, während Emma noch immer die App inspizierte.

Das ist genau das Problem. Anonyme One-Night-Stands? Du willst also allen Ernstes mit einem Typen schlafen, von dem du nur das Pseudonym kennst?“ Sie blickte erneut auf ihr Display. „Hot4U?“

Sarah lachte kurz auf. „Wer denkt denn an Liebe, wenn der Typ solche Muskeln hat?“, fragte sie und zeigte auf das Sixpack des Mannes.

„Und genug Tinte unter der Haut, um damit Krieg und Frieden schreiben zu können“, stellte Emma fest. „Er hat gleich beide Arme voll tätowiert.“

„Es geht doch nur um Sex, du musst ihn ja nicht gleich heiraten“, sagte Sarah und verdrehte die Augen. „Und solche Typen sind meistens ziemlich gut im Bett. Leb dich mal ein bisschen aus, Em. Ernsthaft. Du weißt doch selbst, dass du dich viel zu schnell von jedem in eine Beziehung quatschen lässt, der dir einen Drink ausgibt. Und am Ende müssen wir es dann immer zwei Jahre lang mit diesen Langweilern aushalten.“

Emma wusste, dass sie von ihrem letzten Freund Devin sprach, der sich wirklich nicht durch seine umwerfende Persönlichkeit hervorgetan hatte. Er war der einzige Mann, mit dem sie seit ihrem Freund von der Highschool etwas gehabt hatte.

„Nicht alle meine Ex-Freunde sind so.“

„Du musst einfach mal ein paar mehr Typen kennenlernen. Auch im Bett. Binde dich bloß nicht gleich wieder an den erstbesten Mann, der dir über den Weg läuft. Du weißt, dass ich recht habe.“ Sarah betrachtete sie eindringlich.

Emma spielte mit einer Strähne ihres Haares, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, und blickte an sich hinab. Sie betrachtete ihre weite Blümchenbluse und die bequeme Jeans und stellte sich vor, wie sie Mr. Tattoo gegenüberstehen und sich vor ihm ausziehen würde. Nein, das war einfach unmöglich.

„Ich brauche Romantik“, erklärte Emma. „Die gibt es hier aber nicht. Diese App erfüllt nur Männerwünsche. Frauen wollen etwas anderes.“

Sarah schnaubte. „Woher willst du das denn wissen, wenn du es noch nicht einmal ausprobiert hast?“

„Ich weiß, dass diese App nur wieder von Männern programmiert wurde, um uns genau das machen zu lassen, was sie wollen – während wir Frauen immer noch denken, das hätte irgendetwas mit Freiheit zu tun“, erklärte Emma, die sich in ihrem Studium nicht umsonst auf feministische Theorien spezialisiert hatte.

„Em, kannst du dir deine feministischen Tiraden sparen, bis ich meinen Mimosa ausgetrunken habe?“ Sarah hob ihr Champagnerglas.

„Nein … damit verdiene ich schließlich mein Geld.“ Sie schrieb für ein Frauenmagazin online über Frauenthemen und hatte inzwischen eine kleine, aber treue Fangemeinde. „Außerdem bist du ja offensichtlich total vom Patriarchat manipuliert“, fügte sie grinsend hinzu. Sie wusste, dass sie für Sarah wie eine Emanze klang. Aber im Ernst – manchmal kam sie sich so vor, als wäre sie die Einzige, die all die Ungerechtigkeiten überhaupt wahrnahm. Die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Dass die USA als einziger Industriestaat keine bezahlte Elternzeit garantierte. Und jetzt … jetzt also NOST. Ähnlich wie Tinder, nur noch extremer. Mit dieser App mussten die Männer sich nicht einmal mehr darum bemühen, jemanden ins Bett zu kriegen. Klar, sie war total für die Errungenschaften der sexuellen Revolution – nur eben dann nicht, wenn alle Vorteile den Männern zufielen.

„Das ist einfach … einfach nur ein neuer Trick, mit dem die Männer uns dazu bringen, genau das zu tun, was sie wollen. Sex ohne Verpflichtungen.“

„Okay, dann lösch die App einfach“, sagte Sarah genervt und legte die Gabel auf ihren mittlerweile leeren Teller. Emma, die ihre Waffel mit Blaubeeren längst verschlungen hatte, fragte sich nicht zum ersten Mal, wie sie und Sarah, unterschiedlich wie sie waren, überhaupt je Freundinnen hatten werden können. Sie waren im College zufällig im gleichen Zimmer untergebracht worden, worauf sich ihre ungewöhnliche Freundschaft begründete: Sarah, die impulsive Rothaarige, die kein Risiko scheute, und Emma, der Bücherwurm, der irgendwann einmal für die Regierung arbeiten wollte. Wenn sie ehrlich mit sich war, rangierte ihre Lust, sich auf die Suche nach ihrem Traumprinzen zu machen, derzeit irgendwo zwischen ihren Bemühungen, die Leserschaft ihres Blogs zu vergrößern, und den Plänen für ihre private Altersvorsorge. Dating kam ihr momentan einfach nicht besonders wichtig vor – sie war doch erst achtundzwanzig. Sie hatte noch so viel Zeit. Das redete sie sich zumindest ein. Nachdem Devin sie für eine neue Stelle in Seattle verlassen hatte, verspürte sie fürs Erste kein Bedürfnis, sich wieder auf den Markt zu werfen.

„Eigentlich“, begann Sarah und trank noch einen Schluck, „musst du deinen Account gar nicht löschen. Dein Profil wird für die Typen, die du jetzt gezeigt bekommst, sowieso in achtundvierzig Stunden unsichtbar.“

„Was? Wieso?“

Sarah stellte das Glas ab und blickte sie mit gespielter Verzweiflung an, während sie ihre rote Mähne über ihre Schulter warf.

„Weil es genau darum geht, keine Beziehung zu jemandem zu haben, die länger geht. Alle zwei Tage bekommst du einen Haufen neuer Typen präsentiert, und die alten können dich nicht mehr finden. Jedes Mal ist also alles neu, und das Beste daran ist, dass es keine unangenehmen Treffen im Anschluss gibt. Du hast Sex, und dann – wusch! – verschwindest du. Die App sorgt dafür, dass du einfach abtauchst. Jeder weiß, dass es so läuft. Keiner wird verletzt.“

Emma legte den Kopf in ihre Hände und stöhnte. „Ist das dein Ernst?“ Sie warf ihrer Freundin durch ihre gespreizten Finger einen Blick zu. „Die Profile werden unsichtbar?“

„Genau darum geht’s“, sagte Sarah.

„Sarah! Und was ist mit Vergewaltigern? Serienmördern?“ Emma konnte einfach nicht glauben, dass ihre Freundin ihr tatsächlich anonymen Sex vorschlug.

„Die Guten haben sich doch checken lassen. Siehst du das kleine F neben seinem Nicknamen? Er hat ein Führungszeugnis hochgeladen. Keine Vorstrafen. Das regelt NOST für dich.“

Emmas Blick funkelte. „Und was ist mit … mit Krankheiten?“

„Siehst du das kleine Häkchen hier?“

Emma nickte.

„Das bedeutet, dass er sich letzten Monat erst hat testen lassen. Er ist gesund.“

„Die haben wohl an alles gedacht. An alles, außer an echtes menschliches Miteinander.“

„Haha. Sehr komisch. Urteile nicht, bevor du’s nicht ausprobiert hast.“ Sarah zeigte mit der Gabel auf Emma.

„Aber mal im Ernst, wie kannst du so was machen?“

„Ich habe viel zu tun. Ich arbeite sechzig Stunden die Woche, Gewerbeimmobilien verkaufen sich schließlich nicht von allein. Und, tja, irgendwie ist es echt heiß.“ Sie trank ihren Cocktail aus und warf Emma über ihr Glas hinweg einen neugierigen Blick zu. „Und einen One-Night-Stand? Ich meine – wer hatte denn noch keinen?“

Emma erstarrte. Sie zum Beispiel. Sie konnte sich im Leben nicht vorstellen, nackt vor einem Unbekannten zu stehen. Sie hatte bisher nur mit ihrem Freund von der Highschool geschlafen, und das auch erst nach drei Jahren, und mit Devin, mit dem sie auch immerhin drei Monate zusammen gewesen war, bevor es dazu kam. Wie konnte man nur … einfach mit jemandem ins Bett springen, den man gerade erst getroffen hatte? Sie schlief erst dann mit einem Mann, wenn Gefühle im Spiel waren, ja, erst wenn sie wirklich verliebt war. Anders konnte sie es sich nicht vorstellen.

Sarah hielt inne und konnte ihrer Freundin genau ansehen, was sie dachte. „Warte mal. Du hast … noch nie?“

Emma kam sich plötzlich wie bei einem Verhör vor. Konnte man sie deshalb etwa für prüde halten? Sarahs Gesichtsausdruck nach zu urteilen schon. „Nein. Noch nie.“

„Nicht mal im College? Da hat doch jeder einen.“ Sarah war offensichtlich schockiert.

„Ich nicht.“ Emma trank einen Schluck ihres Champagner-Cocktails.

„Tja, dann musst du es jetzt einfach machen. Du kannst doch nicht dreißig werden, ohne je einen One-Night-Stand gehabt zu haben.“ Sarah beugte sich vor. „Komm, wir machen einen Deal. Du probierst es achtundvierzig Stunden lang aus. Triff dich wenigstens auf ein Date. Du musst ja mit niemandem schlafen. Aber du könntest doch zum Beispiel für dein Magazin darüber schreiben? Wenn es sich wirklich als so schrecklich herausstellt, kannst du immer noch online darüber schwadronieren.“

„Ich schwadroniere nicht“, warf Emma ein. „Ich diskutiere Verschiedenstes.“

„Süße, du schwadronierst, aber das ist schon okay. Genau dafür liebe ich dich doch so. Du hast eine eigene Meinung und keine Angst davor, sie mit allen zu teilen.“ Sarah tätschelte Emmas Hand. „Was hast du denn zu verlieren? Entweder du hast guten Sex oder zumindest eine gute Story für deinen nächsten Artikel. Win-win.“

Sarah hatte gar nicht so unrecht. Und es war inzwischen schon ganz schön lange her, dass Devin nach Seattle gezogen war.

„Wie geht das also?“, fragte Emma und nahm ihr Handy vom Tisch.

„Zuallererst brauchst du ein besseres Foto“, erklärte Sarah und betrachtete stirnrunzelnd Emmas Profilbild. Mit einem schnellen Griff nahm sie Emma die Brille von der Nase und schnappte sich das Handy.

„Hey, die brauche ich zum Sehen!“

„Nein, jetzt gerade nicht.“ Sarah machte ein paar Schnappschüsse von ihr.

„Nein! Hör auf …“ Emma musste lachen, und Sarah machte noch ein paar weitere Bilder.

Dann betrachtete sie ihr Werk. „Ja, das passt.“ Sie zeigte ihrer Freundin das Foto, auf dem diese lachend zur Seite blickte, während ihr offenes, blondes Haar in Wellen über ihre nackte Schulter fiel und ihr Top genau so weit verrutscht war, dass der Ansatz ihres Dekolletees zu sehen war.

„Da sieht man ja viel zu viel!“, protestierte Emma.

„Ganz genau. Falls du’s noch nicht weißt: Typen lieben Brüste.“ Sarah verdrehte die Augen.

Emma seufzte. „Sarah … das entspricht allen Stereotypen …“

„Halt mir jetzt bloß keinen Vortrag darüber, dass du es hasst, als Sexobjekt betrachtet zu werden. Du wirst dieses Foto jetzt nehmen. Du siehst nach Spaß aus … und nicht so, als hättest du einen Stock im Arsch.“

„Habe ich doch gar nicht!“, rief Emma und versuchte, ihr Handy zurückzubekommen. Sarah wischte ihre Hände jedoch einfach beiseite und machte sich weiter an ihrem Profil zu schaffen. „Was machst du da überhaupt?“

„Ich sorge dafür, dass du die Sache wirklich durchziehst.“ Sarah tippte hochkonzentriert auf dem Display herum.

„Du denkst wohl, dass sich alle Probleme mit Sex lösen lassen.“

„Und was ist daran falsch?“, gab Sarah grinsend zurück, und ihre grünen Augen funkelten.

Emma kicherte und versuchte erneut, ihr Handy zurückzuerobern. Sarah duckte sich jedoch geschickt zur Seite, und Emma gab es schließlich auf. Stattdessen griff sie nach ihrem Kaffee. „Komm schon.“

„Okay.“ Sarah blickte zu ihrer Freundin auf und sah sie herausfordernd an. „Dein Profil wird erst aktiviert, wenn du hier klickst.“

Emma warf einen Blick auf das Display und verschluckte sich beinahe an ihrem Kaffee. „Du hast mich ‚Kätzchen‘ genannt?“ Sie stöhnte leise.

„Oh ja!“, antwortete Sarah grinsend und signalisierte dem Kellner, der gerade an ihrem Tisch vorbeikam, dass sie einen weiteren Mimosa-Cocktail haben wollte. Emma hatte das Gefühl, dass sie selbst ganz dringend auch noch einen Drink brauchte. „Jetzt nur noch den ‚Ich-will-Spaß‘-Button hier drücken, und los geht’s.“

„Ein ‚Ich-will-Spaß‘-Button? Im Ernst?“ Emma zögerte. Wollte sie das wirklich? Es sah ihr so gar nicht ähnlich – wobei … Ich recherchiere doch nur. Wie schlimm kann es schon werden?

„Wenn’s dir nicht gefällt, kannst du die App ja jederzeit löschen“, sagte Sarah und betrachtete sie skeptisch. „Du hast doch keine Angst, oder?“

„Willst du mich jetzt echt auch noch unter Druck setzen?“

„Wenn das funktioniert …“, gab Sarah schulterzuckend zurück.

„Na gut.“ Emma tippte auf den Button und sendete ihr Profil hinaus ins Universum. Ab jetzt konnten also irgendwelche Unbekannten in und um Chicago sehen, dass sie willig und bereit war. Wie sie dazu stehen sollte, war ihr immer noch nicht ganz klar.

„Sehr gut“, sagte Sarah und tätschelte ihr die Hand. „Siehst du? Gar nicht so schwer.“

„Und jetzt?“ Emma starrte auf ihr Handy, als würde die Antwort auf ihre Frage jeden Moment auf dem Display erscheinen.

„Jetzt wartest du.“ Sarah trank einen großen Schluck ihres Cocktails. „Keine Sorge. Wahrscheinlich meldet sich so früh am Abend sowieso noch keiner.“

Genau in dem Moment piepte ihr Handy. Die NOST-App meldete ihr blinkend, dass sie eine Nachricht erhalten hatte.

„Was haben wir denn da?“ Sarah stellte ihr Champagnerglas ab. „Mit deinem heißen Foto geht’s wohl doch etwas schneller.“

Emmas Handy piepte erneut. Und dann ein drittes Mal.

Worauf habe ich mich da nur eingelassen?

Sarah schnappte sich ihr Handy und scrollte durch die Liste ihre Verehrer. „Nein. Nein. Oh, Gott … nein.“ Sie zeigte ihr das Profilbild eines Typen, der versuchte, sich ein Riesen-Hotdog im Ganzen in den Mund zu schieben.

Emma verzog das Gesicht. Wer hatte denn Lust auf Sex mit so einem?

„Ich komme mir vor, als hätte ich grad eine Bar voll ekliger Typen betreten, in der ich mich jetzt achtundvierzig Stunden lang belästigen lassen muss.“

„Vielleicht.“ Sarah wischte ein paar weitere Bilder zur Seite. „Oh ja. Hier ist genau der richtige Typ für dich.“ Sie zeigte Emma das Foto eines Mannes im Spiderman-Kostüm.

Emma lachte laut auf. „Auf keinen Fall. Schau dir doch mal seinen … du weißt schon an.“ Offensichtlich hatte der Mann seinen Schritt extra unmaskiert gelassen, sodass jeder seinen winzigen Schwanz sehen konnte.

„Iiieh!“, schrie Sarah auf und brach in Gelächter aus. „Keine Baby-Karotten für dich.“

Dann wischte sie noch durch ein paar weitere Profile. „Aber der Typ sieht gut aus. Mr. X? Das klingt doch … vielversprechend.“

„Mr. X? Äh, nein.“ Emma schüttelte den Kopf.

Sarah wischte weiter. Plötzlich hielt sie inne. „Oooh, der ist süß.“ Sie hielt Emma das Handy hin, auf dem ein blonder Mittdreißiger im Anzug zu sehen war.

„Könnte sein.“ Emma zuckte mit den Schultern.

„Könnte sein? Der sieht hundert Prozent so aus wie Christian Grey. Und sogar sein Pseudonym ist süß … Happy Fun Time! Den nehmen wir.“

„Sarah!“ Emma versuchte, ihr das Handy zu entreißen. „Stopp!“

Ihre Freundin ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. „Du triffst dich morgen Abend in der Bar des Ritz-Carlton mit ihm“, verkündete sie nach einer Minute.

Emma blies sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Warum hast du das getan?“

„Weil ich weiß, dass du es sonst nicht getan hättest.“

2. KAPITEL

Emma hatte vierundzwanzig Stunden lang überlegt, ob sie ihr Date wieder absagen sollte. Allerdings hatte Sarah schon recht – es ging ja erst mal nur um einen Drink. Wenn sie Mr. Happy Fun Time nicht mögen würde, konnte sie ja jederzeit die Bar verlassen und musste ihn nie wiedersehen. Und trotzdem. Sich mit einem Unbekannten nur für Sex zu treffen, tja, sie war sich nicht sicher, ob sie die Sache wirklich durchziehen konnte. Selbst wenn sie wollte.

Ich treffe mich nur mit ihm. Ein Drink. Dabei erkläre ich ihm dann höflich, dass wir uns gern noch ein paar weitere Male treffen können, bevor wir … äh … bevor wir es tun. WENN wir es überhaupt tun.

Emma plante mindestens sechs Dates ein, bevor sie überhaupt darüber nachdenken würde, sich auszuziehen. Vielleicht sogar besser ein ganzes Dutzend. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie noch nie mit einem Mann geschlafen hatte, in den sie nicht schon längst total verliebt gewesen war. Als alle ihre College-Freundinnen sich ausprobiert hatten, war sie in ihrer Fernbeziehung mit ihrem ersten Freund von der Highschool gebunden. Und gleich danach war sie direkt mit Devin zusammengekommen. Bis er vor sechs Monaten einen Job in Seattle angenommen und ihr vorgeschlagen hatte, dass sie sich doch auch mal mit anderen Leuten treffen könnten.

Emma war davon ausgegangen, dass sie irgendwann heiraten würden – und nun saß sie da und nutzte eine Dating-App.

Vor ihrem Kleiderschrank stehend überlegte sie, was sie nur anziehen sollte für dieses Date, das höchstwahrscheinlich zu überhaupt nichts führen würde.

„Hmm“, murmelte sie und zog ein Blümchenkleid hervor, das für die ihr bevorstehende Septembernacht eindeutig zu luftig war. Außerdem zeigte es viel zu viel Bein. Ich will ja keinen falschen Eindruck hinterlassen. Oh, Moment, das habe ich ja schon – wir sind ja hier bei NOST.

No Strings – nichts Verbindliches.

Sie seufzte und zog einen schwarzen Rollkragenpulli hervor. Wie wäre es denn, wenn sie dazu ihre weiteste Jogginghose anzog? Mal sehen, ob sie diesen oberflächlichen Mr. Happy Fun Time damit in die Flucht schlagen würde. Grinsend entschied sie sich jedoch dagegen. Sie hängte den Pulli zurück und sah sich nach etwas um, das passen könnte. Es gefiel ihr gar nicht, dass sie so viele Gedanken damit verschwendete, sich auf ein Date vorzubereiten, das sie eigentlich gar nicht haben wollte. Eigentlich brauchte sie diese Energie für ein anders Projekt: das Buch, das sie endlich schreiben wollte.

Sie starrte auf ihren Schrank und wünschte sich, dass sie stattdessen an ihrem PC sitzen würde.

„Ich sollte dieses Date absagen“, erklärte sie dem Schrank. „Ich sollte dem Kerl schreiben und absagen.“

Sie zog ihr Handy hervor und öffnete die NOST-App. Sofort poppte Mr. Happy Fun Times Profilbild auf: blond, Markenanzug – er sah aus wie ein erfolgreicher, wohlhabender Geschäftsmann. Na ja, was konnte es schon schaden? Nur, weil sein Profilbild aussah, als käme es direkt von irgendeiner Firmenhomepage, musste er ja nicht gleich langweilig sein. Vielleicht hatte er einen tollen Sinn für Humor. Vielleicht war er besonders schlagfertig. Vielleicht lädt er mich auch einfach nur auf ein paar Drinks ein, ging es ihr durch den Kopf, als sie an ihr in diesem Monat besonders mageres Konto dachte. In den letzten Wochen hatte sie nicht besonders viele Aufträge erhalten und sich öfter, als ihr eigentlich lieb war, auf ihre Kreditkarten verlassen müssen.

Ich will gar nicht, dass irgendein Typ meine Rechnung bezahlt, rief sie sich in Erinnerung. Nur, weil ihr Budget derzeit etwas kleiner war, war sie doch noch immer eine völlig unabhängige Frau. Noch ein Grund mehr, die Verabredung abzusagen. So wirkte sich das Patriarchat schon auf sie aus – allein der Gedanke, dass dieser Typ im Anzug ihr einen Drink ausgeben würde …

Sarah würde natürlich behaupten, dass Sex ohne Verpflichtungen der beste Beweis für ihre Unabhängigkeit sei. Emma schüttelte den Kopf. Feminismus war kompliziert. Mit einem weiteren Blick in ihren Schrank entschied sie sich für eine Jeans, ihren schulterfreien Lieblingspulli und flache Stiefeletten. Emma war über einen Meter siebzig groß und ging mit gewohnter Skepsis davon aus, dass dieser Mr. Happy Fun Time kleiner sein würde als sie. Ihrer Erfahrung nach logen Männer sehr häufig, wenn es um ihre Größe ging. Er schrieb zwar, dass er über einen Meter achtzig groß sei, aber das musste ja nicht stimmen.

Sie zog sich an und schminkte sich ganz leicht, dann betrachtete sie sich skeptisch im Spiegel. Ihr war bewusst, dass sie ziemlich unentspannt aussah, auch wenn sie sich zu einem Lächeln zwang, während sie sich die blonden Haare über die Schulter warf.

Alles nur zu Recherchezwecken, redete sie sich ein. Sie würde sich Notizen machen und könnte ihrer Redakteurin morgen eine richtig gute Story anbieten.

Sie nickte ihrem Spiegelbild zu und sah sich selbst tief in die blauen Augen. „Ein Drink“, sagte sie streng. „Höchstens eine Stunde.“

Emma saß in der schicken Bar des Ritz-Carlton im Licht der untergehenden Sonne, das durch die hohen Fenster der geschmackvoll eingerichteten Lounge fiel. Während sie an ihrem Gin Tonic nippte, fühlte sie sich ein wenig unsicher und warf einen weiteren Blick auf ihr Handy. Wo blieb Happy Fun Time? Sieben Minuten war er bereits zu spät, so viel stand fest. Erneut blickte Emma sich in der Bar um und sah drei Frauen, die fröhlich miteinander plauderten, zwei Geschäftsmänner in Anzügen, die ungefähr zehn Jahre zu alt waren, um Happy Fun Time zu sein – außerdem waren sie brünett –, und dann saß in einem Ledersessel in der einen Ecke noch ein Tourist, der mit seinem Sweatshirt mehr als ein bisschen underdressed für die mondäne Bar mit ihren weißen Ledercouches und dem beeindruckenden Blick auf die Skyline Chicagos war. Ihr Blick glitt über die kupferfarbene Fassade des Time-Life-Gebäudes auf der anderen Straßenseite, und sie fragte sich, wie lange sie noch warten sollte, bevor sie dieses sinnlose Experiment abbrechen konnte.

Bis ich ausgetrunken habe, beschloss sie und schwenkte die Eiswürfel in ihrem Longdrink-Glas. Kein Date, keine Story. Sie konnte nichts gegen das leise Gefühl von Enttäuschung tun, das in ihr aufkam. Nicht, weil sie den zwanglosen Sex unbedingt wollte, sondern weil ihr der Gedanke eigentlich immer besser gefiel, über ihr erstes NOST-Date zu schreiben. Es schonungslos auseinanderzunehmen. Sie hatte sich schon diverse Sätze zurechtgelegt, in denen es um weibliche Selbstwertgefühle und Selbstrespekt ging und um die Gefahren, die mit solchen Sex-Dates einhergingen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden, und tatsächlich ruhte der Blick des Typen im Sweatshirt auf ihr. Demonstrativ drehte sie sich weg und blickte auf ihr Display. Keine Nachricht, kein Sorry, komme etwas später, nichts. Nicht, dass man sich auf der Suche nach einem One-Night-Stand besonderer Umgangsformen bedienen musste. Emma betrachtete ihren Drink. Noch drei Schlucke höchstens, dann würde sie gehen.

Ein weiterer Mann betrat die Lounge, und sie blickte in der Hoffnung auf, dass es Mr. Happy Fun Time sein könnte, was sich jedoch als Trugschluss herausstellte. Dieser Mann war viel, viel größer als eins achtzig, mindestens um die eins neunzig, und sah mit seinen breiten Schultern, den großen Händen und seinen muskulösen Armen wie ein ehemaliger Footballspieler aus. Es schien, als würde sich um ihn herum die Atmosphäre in der Lounge komplett verändern, denn alle Blicke folgten dem dunkelhaarigen Unbekannten, während er auf die Bar zuging. Er setzte sich auf einen der leeren Barhocker und winkte dem Barkeeper. Was für ein Kerl, dachte sie, und bewunderte seine Muskeln, die sich unter dem Stoff seines Hemdes abzeichneten. Er schien nur ein wenig älter als sie zu sein. Anfang dreißig vielleicht? Er hatte einen sanft olivfarbenen Teint und leuchtende braune Augen, beinahe golden.

Und dann dieser Körper! Schlanke Taille, muskulöse Beine. Er musste ein professioneller Sportler sein, dachte sie. Kannte sie ihn? Gehörte er vielleicht zu den Chicago Blackhawks, der hiesigen Eishockeymannschaft? Oder zu den Cubs, dem sehr erfolgreichen Baseball-Team? Irgend so etwas musste es sein. Dieser Körper musste einfach genutzt werden. Ein Körper, der ihm zweifellos irgendwo einen Millionen-Dollar-Vertrag verschafft haben musste. Model? Vielleicht war er ein Model. Oder ein Filmstar. Ganz bestimmt war er berühmt.

Er blickte für einen Sekundenbruchteil auf und schenkte ihr den winzigsten Hauch eines Lächelns, und erst in dem Moment fiel ihr auf, dass sie ihn regelrecht anstarrte. Hastig sah sie auf ihr Handy und fragte sich, ob er bemerkt hatte, dass sie ihn in Gedanken bereits ausgezogen hatte. Emma spürte, wie sie errötete. Jetzt denke ich schon nur noch an Sex, verdammt. Das kommt davon.

Während sie versuchte, den Mann nicht mehr direkt anzustarren, musste sie sich eingestehen, dass er wirklich gut aussah. Er hatte pechschwarze Haare und trug ein lässiges und zugleich elegantes Hemd, das in seiner schwarzen Jeans steckte. Obwohl er angezogen war, war nicht zu übersehen, wie muskulös seine Arme waren und dass sein Waschbrettbauch flach und hart und ohne auch nur ein einziges überflüssiges Gramm Fett war. Er trug eine Armbanduhr, der man schon aus der Distanz ansehen konnte, dass sie sehr wertvoll war, und keinen Ehering, wie Emma direkt auffiel. Der Barkeeper servierte ihm einen Whiskey auf Eis. Der Mann trank einen Schluck und zog sein Handy aus der Tasche.

Und deshalb müssen wir dauernd diese Apps benutzen, schimpfte Emma in Gedanken. Wir können schon gar nicht mehr sehen, wer direkt vor uns steht.

Sie musste an ein Gespräch mit ihrer Mutter denken, die sie gefragt hatte, warum sie nicht mal mit ihren Freundinnen ausging, um jemanden kennenzulernen. Genau deshalb, dachte sie und seufzte innerlich. Die guten Typen waren sowieso immer mit ihren Handys beschäftigt. In dem Moment piepte ihr eigenes Handy, und sie nahm es vom Tresen. Vielleicht war es ja Mr. Happy Fun Time.

Doch die Nachricht, die in der NOST-App aufpoppte, war nicht von ihm. Sie kam stattdessen von Mr. X, der gestern einer ihrer möglichen Kandidaten gewesen war. Emma konnte sehen, dass sein Profil für sie schon mit einem Timer versehen war, der ihr anzeigte, wie lange sie es noch würde sehen können. Außerdem bemerkte sie sowohl das F als auch das kleine Häkchen neben seinem Namen: gecheckt und gesund, erinnerte sie sich. Gut. Das war gut.

Ich wollte nur kurz Hallo sagen, du bist anscheinend gerade in der Nähe.

In der Nähe? Hä?

Woher weißt du das? tippte sie schnell in ihr Handy und sah sich nach einem heimlichen Beobachter um.

Die Kartenfunktion? antwortete er.

Emma schlug sich die Hand vor die Stirn. Natürlich. Die Karte, die anzeigte, welcher NOST-User in der Nähe war. Oder, wie sie sie nannte, die ‚Ich habe es dringend nötig und nehme jeden, JEDEN, der sich innerhalb eines Umkreises von zwei Metern von mir befindet‘-Funktion. Sie betrachtete die Karte und sah, dass sich mindestens ein Dutzend NOST-User in ihrer Nähe befanden – ja, sogar im gleichen Gebäude. Klar, ich bin ja auch in einem Hotel. Sie versuchte herauszufinden, wo genau Mr. X sein könnte, doch ihr wurden so viele kleine, einander überlappende Dreiecke angezeigt, dass sie es aufgab.

Wofür steht Mr. X? fragte sie.

X-Factor. Ist doch klar. ‚Groß, dunkel und gut aussehend‘ war schon vergeben.

Sie musste grinsen. Sein Selbstbewusstsein war sexy. Sie sah sich sein Bild noch einmal genauer an. Wow. Rabenschwarze Haare … leuchtende braune Augen … sanfter Teint und nur der Hauch eines Dreitagebarts. Irgendwoher kam er ihr bekannt vor. Wo hatte sie diesen Mann nur schon einmal gesehen?

Eine weitere Nachricht von Mr. X poppte auf.

Möchtest du etwas trinken? Du bist ja hier … also GENAU hier.

Sie konnte einen Blick auf sich spüren und sah auf. Es war der heiße Kerl am anderen Ende der Bar, der ihr zuprostete.

Er war Mr. X!

Diese Erkenntnis überraschte und freute sie gleichermaßen. Der umwerfende Typ gleich neben ihr war also auf NOST. Nun, vielleicht hatte Sarah ja doch recht gehabt und das hier war gar keine so schlechte Idee.

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