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Wer nicht hören will, muss küssen

Als Buch hier erhältlich:

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Diego … dieser Name ruft Erinnerungen in Tasha wach. An eine heiße Nacht in der Karibik, an noch heißere Küsse - und an das eiskalte Erwachen, als die Handschellen klickten und sie wegen eines vermeintlichen Drogendelikts festgenommen wurde. Und jetzt wagt es dieser Kerl doch tatsächlich, nach sieben Jahren in ihrer Stadt Razor Bay aufzutauchen. Er hat auch noch die Frechheit, sich jetzt Luc zu nennen. Na warte, dem wird sie es schon zeigen.

Luc Bradshaw würde ihr auch gerne etwas zeigen. Nämlich, dass er immer noch etwas für sie empfindet. Aber Tasha lässt ihn abblitzen. Sie will sich nicht einmal anhören, was damals wirklich geschehen ist. Wie gut, dass er seinen Mund nicht nur allein zum Sprechen hat. Denn wer nicht hören will, muss küssen …


  • Erscheinungstag: 10.06.2015
  • Aus der Serie: Razor Bay
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956491917

Leseprobe

Susan Andersen

Wer nicht hören will, muss küssen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Tess Martin

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins GermanyGmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgaben:

No Strings Attached

Copyright © 2014 by Susan Andersen

erschienen bei HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-425-3

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

PROLOG

Vor sieben Jahren. Andros Island, Bahamas

E ine feuchtheiße, nach einer undefinierbaren exotischen Blume duftende Meeresbrise wehte durchs offene Fenster der Hütte herein, gerade als Tasha Riordan auf Diegos Brust sank.

Ihre Nase lag an der feuchten Rundung, an der sein Hals in die muskulösen Schultern überging, und als sie geräuschlos seinen salzigen, leicht würzigen Duft einatmete, ging ihr auf, dass sie ihn während der ungefähr dreißig Stunden, die sie sich jetzt kannten, nicht mal nach seinem Nachnamen gefragt hatte.

Sie wartete darauf, dass der donnernde Reggae-Takt ihres Herzens nachließ, wollte sich jedoch nicht zu genau mit der Erst-gestern-kennengelernt-Sache auseinandersetzen.

Okay, man könnte meinen, sie würde den Moment zum Insich-Gehen begrüßen – angesichts der Tatsache, dass sie einen Großteil ihres Lebens damit verbracht hatte, den Kopf hochzuhalten, um das Ansehen ihrer Mutter wiederherzustellen. Schließlich war es etwas ziemlich Ungewöhnliches für sie, mit einem praktisch Fremden ins Bett zu steigen.

Etwas wirklich sehr Ungewöhnliches. Unfassbar ungewöhnlich. Und sie sollte deshalb zumindest etwas beunruhigt sein, oder?

Schwielige Fingerspitzen strichen ihr nacktes Rückgrat entlang, entfachten neues Leben in ihren Nerven, die eigentlich zu kalter, toter Asche verbrannt sein müssten.

„Alles in Ordnung, cariño?“, fragte Diego.

Seine Stimme wirkte wie eine laute Vibration an ihrem Ohr, das sie an seine Kehle gepresst hatte.

Mir nichts, dir nichts schmolz ihr halbherziger Versuch dahin, sich in Selbstvorwürfen zu ergehen, und sie verzog die Lippen zu einem kleinen Lächeln. Sie wusste nicht, woran genau es lag, aber eins war sicher: Von diesem Typen ging unbestreitbar eine Magie aus. Und zwar in höchstem Maße. Schon von der ersten Sekunde an, als sie ihm am Morgen zuvor am Strand begegnet war, hatte er sie vollkommen umgehauen.

Und das wollte was heißen. Zu Hause in Razor Bay war sie eher dafür bekannt, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen. Immer.

„Ja, klar“, murmelte sie und behielt ihre Gedanken für sich.

Für ihn war dies vermutlich nichts Besonderes. Er hatte sie weiß Gott Dinge fühlen lassen, von denen sie bisher nicht einmal etwas geahnt hatte, und sie konnte nur vermuten, wie viele Frauen ihm ihren Zimmerschlüssel zuwarfen. Auf die Tatsache, dass sie sich erst jetzt von ihm hatte verführen lassen, durfte sie wirklich stolz sein, hätte sie sich ihm doch am liebsten schon in der ersten Minute in die Arme geworfen.

Bei dem Orgasmus, den er ihr beschert hatte, wäre das eine gute Idee gewesen. Es war der unglaublichste, phänomenalste Orgasmus ihres Lebens gewesen.

Sie unterdrückte ein leises Schnauben. Als ob du so viele Vergleiche ziehen könntest. Dann verwarf sie den Gedanken als unwichtig. Ja, ja, sie hatte in ihren zweiundzwanzig Jahren nicht gerade eine Fülle von nicht selbst verursachten Höhepunkten erlebt. Aber sie war keine Jungfrau mehr, und deswegen konnte sie durchaus behaupten, noch nie etwas empfunden zu haben, das dem hier auch nur nahekam. „Wie geht es dir?“, fragte sie leise.

Er blieb so still, dass sie schon glaubte, er hätte aufgehört zu atmen, und sie stellte fest, dass sie vor Schreck keine Luft bekam. Während die Sekunden verstrichen, löste ihr Glücksgefühl sich in nichts auf. Oh Gott, dachte sie, natürlich hast du ihn nicht so vom Hocker gehauen wie er dich. Man brauchte Diego doch nur anzusehen, um zu erkennen, dass er viel erfahrener war als sie. Sie beide trennten Galaxien.

Seine Hände an ihrem Rücken umfassten sie fester, und er sagte mit tiefer, heiserer Stimme: „Du willst wissen, wie es mir geht?“ Er stieß den Atem aus. „Das war so großartig, dass es schon nicht mehr lustig ist.“

„Ach was.“ Tasha lachte ungläubig und stützte sich auf, um ihn anzusehen. Sie machte sich keine Illusionen über sich. Sie war groß und dünn und hatte anständige Brüste, allerdings Hüften und Hintern wie ein zwölfjähriger Junge. Sie wusste, dass Männer sie attraktiv fanden, dass sie aber auf keinen Fall in derselben Liga spielte wie dieser Typ.

Die Masse ihrer rotblonden Locken kräuselte sich noch verrückter und beängstigender als sonst, da es vor einer Weile heftig geregnet hatte – von Diegos fordernden Händen und Fingern, mit denen er sie zerzaust hatte, ganz zu schweigen. Dort, wo das Haar ihr über die Schultern fiel, vermischte es sich mit seinen geschmeidigeren schwarzen Locken. Sie betrachtete ihre Hände, die auf seiner behaarten dunklen Brust lagen. Nach neun Tagen in den Tropen war ihre Haut gebräunter als jemals zuvor. Leider hieß das lediglich, dass ihre Farbe nicht wie sonst an Magermilch erinnerte, sondern an zu kurz getoastetes Brot.

Diego strich ihr das Haar aus dem Gesicht und nahm es zu einem dicken Pferdeschwanz zusammen. Er sah ihr in die Augen, und vielleicht zum ersten Mal, seit er auf sie zugeschlendert war und sich ihr vorgestellt hatte, sah sie in seinen Augen kein Lachen.

„Doch“, sagte er. „Das war wirklich der Wahnsinn.“ Er zuckte mit seinen breiten Schultern. „Das habe ich nicht kommen sehen.“

Wahrscheinlich war das nur einer seiner Sprüche, aber ein sehr guter. Jedenfalls funktionierte er bei ihr – ihr Herz wurde so klebrig weich wie Trüffelschokolade in einer heißen Tropennacht.

Diego starrte zu ihr hinauf. „Ich liebe deinen Mund.“

Seine Stimme war rau, seine dunklen Augen funkelten heißblütig, und Tashas Herz begann wieder heftig zu schlagen, als er seine Sixpackmuskeln anspannte, um sie zu küssen. Doch bevor er das tun konnte, klingelte sein Handy.

Fluchend sah er zum Nachttisch. Dann fluchte er erneut.

„Tut mir leid“, sagte er. „Da muss ich rangehen.“ Sanft hob er sie von sich und legte sie in die Mitte der Matratze. Anschließend stand er mit einer geschmeidigen, fließenden Bewegung auf, nahm das Handy vom Nachttisch und drückte auf den grünen Knopf. „Yeah“, sagte er. „Das sollte besser wichtig sein.“

Während Tasha ihn betrachtete, fiel ihr auf, dass er mit einem Mal überhaupt nicht mehr charmant aussah, sondern gefährlich. Groß, dunkel und unbefangen in seiner Nacktheit, die Augen hart und der Mund grimmig. Sie zog die Bettdecke bis zum Kinn hinauf und sah auf die Uhr.

Oh Gott. Wenn sie den letzten Flug nach Nassau noch erwischen wollte, musste sie sich so langsam mal anziehen.

In die Decke gewickelt, stieg sie aus dem Bett. Auf einmal kam ihr ihre Idee, Diego spontan auf die Insel Andros zu begleiten, nicht mehr wagemutig und aufregend vor, sondern vielmehr unbesonnen und idiotisch. Sie begann, ihre auf dem Boden verstreute Kleidung einzusammeln.

Schnell schlüpfte sie in ihre Unterwäsche, zog das Sommerkleid über und durchwühlte ihre Tasche nach etwas, womit sie sich die Haare hochstecken konnte. Da schlangen sich warme, harte Arme um ihre Hüfte, und sie wurde an eine noch härtere Brust gezogen.

„Hey.“ Diego beugte sich herunter, um in ihr Ohr zu flüstern. Inzwischen hatte er seine Shorts und das Muskelshirt übergezogen, das er ursprünglich getragen hatte. „Was machst du denn da?“

Es fiel ihr nicht leicht zu denken, umgeben von seiner Hitze und seinem Geruch und diesen Gefühlen. Sie räusperte sich. „Mein Flugzeug geht in eineinhalb Stunden. Ich muss zum Flughafen.“

„Bleib noch eine Nacht bei mir. Ich habe zwar eigentlich Urlaub, mein Chef hat mich jedoch aufgespürt, und jetzt muss ich kurz weg, um mit ihm zu sprechen. Aber das dauert höchstens eine Stunde, dann haben wir noch den Rest der Nacht.“

„Oh.“ Sehr verlockend, sie wollte schon einwilligen, doch ihr üblicher Pragmatismus meldete sich zu Wort. Sie zog ihr Eticket aus der Tasche und wedelte damit vor seinem Gesicht herum. „Ich glaube nicht. Ich habe eine Reservierung.“

Diego küsste sie seitlich auf den Hals. „Ich würde wirklich, wirklich gern den Rest der Nacht mit dir verbringen“, murmelte er mit dieser leisen, dunklen Stimme. „Und ich verspreche, dass ich dich morgen nach Nassau zurückbringe, auch wenn ich ein Wasserflugzeug chartern muss.“

Er strich mit seinen Lippen über die empfindliche Kuhle hinter ihrem Ohr, und beides, sowohl ihre Reservierung als auch ihr Verstand, löste sich in nichts auf. „Also, das wäre eventuell in Ordnung.“

„Das wollte ich hören.“

Er drehte sie zu sich um, um ihr ins Gesicht zu sehen, dann küsste er sie lange und leidenschaftlich. Sie ließ ihre Handtasche fallen, und als sie das nächste Mal in der Lage war, zwei halbwegs funktionierende Gehirnzellen miteinander zu verbinden, lag sie flach auf dem Rücken und Diego richtete sich gerade etwas auf.

„Tut mir leid“, sagte er. „Ich lasse uns beide wirklich nicht gern dermaßen hängen, aber mein Chef ist ein ungeduldiger Mistkerl, und ich bin in …“, er sah auf seine Uhr, „… Scheiße, in drei Minuten mit ihm verabredet.“ Er beugte sich herab, drückte ihr schnell einen harten Kuss auf die Lippen und stand auf. „Ich komme, so bald es geht, zurück, okay?“

Sie nickte, und er stöhnte auf. „Ich werde sie nicht noch mal küssen, ich werde sie nicht küssen“, murmelte er vor sich hin, während er die Hütte verließ.

Kaum hatte sie sich aus dem Bett gekämpft, etwas frischen Lippenstift aufgelegt und ein paar Clips für ihre Haare gefunden, da wurde an die Tür der kleinen Hütte geklopft. Grinsend wirbelte Tasha herum und rannte barfuß hinüber. „Hah! Du hast den Schlüssel vergessen, oder?“

Es war jedoch nicht Diego. Auf der Veranda standen mehrere dunkelhäutige Männer, sie trugen die hellblauen Uniformhemden und die schwarzen Baskenmützen der Royal Bahamian Police. Wortlos drängten sie sich an ihr vorbei in die Hütte. Keiner von ihnen schenkte ihr das sonst übliche freundliche Lächeln, an das sie sich seit ihrer Ankunft auf der Insel gewöhnt hatte. Diese Männer in kugelsicheren Westen blickten im Gegenteil sehr grimmig drein.

„Was ist los?“, fragte sie, nur um sich kurz darauf auf einem Stuhl in einer Ecke wiederzufinden, von dem aus sie gerade mal die roten Streifen an den Hosenbeinen des Polizisten sehen konnte, der ihr die Sicht auf das Geschehen versperrte.

Sie hörte, wie die Matratze vom Bett gezerrt und Schubladen aufgerissen wurden. Auf einmal trat der Polizist zurück, und ein älterer Mann in Kakihose nahm seinen Platz ein, eine Hand hielt er hinter dem Rücken, die andere hing locker an der Seite herab. Unter diesen Arm hatte er einen schwarzen Hut mit einem roten Band und einer weißen Kordel geklemmt.

„Ich bin Inspektor Rolle von der DEU“, sagte er mit tiefer, melodiöser Stimme.

„DEU?“, fragte sie quiekend. „Was ist das?“

„Drug Enforcement Unit. Ihr Name bitte?“

„Tasha.“ Sie schluckte. Was zum Teufel ging hier vor sich? Das hatte doch nichts mit Diego zu tun … oder? „Tasha Riordan.“

„Wo ist Ihr Komplize, Ms Riordan?“

Ihre Panik nahm zu. Oh Gott, oh Gott, das war überhaupt nicht gut. „Komplize wofür? Ich habe keinen Komplizen!“

„Ist das Ihre Hütte?“

„Nein. Nein, ich bin nur Gast.“

„Gast von wem?“, fragte er streng.

„Diego …“ Sie brach ab, und der ernst blickende Inspektor hob eine buschige Augenbraue. „Ehrlich gesagt kenne ich seinen Nachnamen nicht“, stammelte sie. „Ich weiß, das klingt irgendwie …“ Endlich setzte ihr Verstand ein. „Der Name müsste auf der Anmeldung stehen. Fragen Sie doch den Mann an der Rezeption.“

Inspektor Rolle deutete auf einen Polizisten, der daraufhin aus der Hütte eilte. Sie warteten in nervenzerfetzendem Schweigen auf seine Rückkehr. Diego musste etwas Furchtbares, etwas Kriminelles … etwas Unverzeihliches getan haben. Dann hatte er sich aus dem Staub gemacht – unbehelligt – und überließ es nun ihr, die Sache auszubaden.

Als der Polizist zurückkam, steuerte er direkt auf den Inspektor zu, flüsterte ihm etwas ins Ohr und zog sich in diskretem Abstand zurück. Der Inspektor sah sie an.

„Der Mann an der Rezeption sagt, dass für die Hütte bar bezahlt worden ist. Er hat Sie ziemlich akkurat beschrieben, Ms Riordan, kann sich aber an keinen Diego erinnern.“

Nein! Das ist nicht wahr. Ich bin ja nicht einmal mit Diego zur Rezeption gegangen. Ich habe draußen gewartet, während er eingecheckt hat. Nehmen Sie Fingerabdrücke oder so was! Ich war nicht mal in der Nähe der Rezeption.“

Er musterte sie einen Moment, bevor er mit den Schultern zuckte. „Das könnte sich als wahr herausstellen …“

„Es ist wahr!“

„Doch was wir hier haben …“

Er zog den Arm hinter seinem Rücken hervor und ließ einen großen Beutel mit Zippverschluss auf den Tisch neben ihr plumpsen. Er war gefüllt mit etwas, das wie Puderzucker aussah, aber höchstwahrscheinlich keiner war.

„… ist ein Kilo Heroin – und Sie. Keinen geheimnisvollen Mann namens Diego. Nur Sie. Also, Tasha Riordan, Sie sind wegen des Verdachts auf Drogenhandel festgenommen.“

1. KAPITEL

Gegenwart

M ist“, flüsterte Tasha, während sie hinter den anderen Autos in Max’ Auffahrt parkte. Sie kam später als zu spät.

Überrascht dich das etwa, wollte ihr innerer Klugscheißer wissen.

Nun, natürlich nicht.

Die Männer umringten nicht wie sonst den Grill auf der Veranda, um sich gegenseitig mit ihren Grillkünsten zu übertreffen, und im Garten würden sie auch nicht sein, denn es hatte den ganzen Tag immer wieder geregnet. Das konnte nur bedeuten, dass alle längst beim Essen waren, oder noch schlimmer, dass bereits aufgeräumt wurde.

Sie stieg aus dem Wagen und öffnete den Kofferraum, um ihre Mitbringsel für die Abschiedsparty von Harpers Mutter herauszuwuchten. Verdammt, sie hatte nicht nur vorgehabt, nicht zu spät zu kommen, sondern sogar rechtzeitig genug, um bei den Vorbereitungen zu helfen. Da hatte sie allerdings nicht ahnen können, dass der Koch, den sie für ihre Pizzeria angeheuert hatte, ein Trinker war. Und zwar einer, der auch bei der Arbeit trank.

Ironie des Schicksals. Sie hatte geglaubt, die ganze Sache besonders gut durchdacht zu haben. Jetzt, nach dem Labor Day, wo die meisten Touristen abgereist waren, wollte sie einen Koch beschäftigen, um selbst nur noch Teilzeit arbeiten zu müssen. Natürlich hätte sie vor allem im Sommer Hilfe brauchen können, aber da hatte sie viel zu sehr unter Druck gestanden, um sich darum zu kümmern. Nun wäre es ihr möglich gewesen, den neuen Koch in aller Ruhe einzuarbeiten – damit er sie später, beim nächsten Touristenansturm, entlastete.

Sie schnaubte. Theoretisch war das eine kluge, vorausschauende Idee gewesen, eine, die es ihr ermöglichen würde, mal ein paar Tage freizumachen, und vielleicht auch mal wieder so etwas wie ein Privatleben zu haben. Und wer weiß, wenn sie sich erst einmal an den Luxus eines gelegentlichen freien Tages gewöhnt hätte, wäre sie womöglich sogar so weit gegangen, sich einen richtigen Urlaub zu gönnen.

Okay, allein bei dem Gedanken begann ihr Herz wild zu schlagen, und ein Geschmack, der an Kupfer erinnerte, machte sich in ihrem Mund breit. Aber war es nicht höchste Zeit, dass sie endlich darüber hinwegkam?

Wobei diese Frage im Moment rein rhetorischer Natur war. Ihr neuer Koch, der beim Vorstellungsgespräch umwerfend gewesen war, war höchstwahrscheinlich schon betrunken zur Arbeit erschienen. Auf jeden Fall war er voll wie eine Haubitze gewesen, als sie seinen traurigen Hintern aus dem Bella T’s geworfen hatte. Zu allem Überfluss hatte er sich an ihrem Hauswein bedient, was das Ganze noch schlimmer machte.

Was ihr jedoch den Rest gegeben hatte, war die Tatsache, dass er auch noch versucht hatte, Jeremy den Weindiebstahl in die Schuhe zu schieben, dem Jungen aus Cedar Village, den sie erst in der vergangenen Woche angeheuert hatte. Das Village war eine Einrichtung außerhalb der Stadt, in der man Jungen mit gewissen Schwierigkeiten half, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bringen. Und genau das war es, was Jeremy tat. Da brauchte er nun wirklich keinen Vollidioten, der ihm einen Diebstahl unterschob.

Sie stieg die Treppe hinauf, blieb vor der Tür stehen und stellte die Tüten ab. Dann wischte sie, so gut es ging, ein paar Flusen von ihren Shorts und suchte in ihrer Handtasche nach dem Lippenstift.

Eins der ersten Dinge, die ihr an Harper aufgefallen waren: Egal zu welcher Gelegenheit, die Frau war immer perfekt gekleidet. Offensichtlich hatte sie diese Angewohnheit und den irren Stil von ihrer mondänen Mutter übernommen.

Sie selbst hingegen war nur schnell aus dem Restaurant nach oben in ihre Wohnung gerannt, nachdem sie den betrunkenen Koch aus dem Bella T’s geworfen hatte, und hatte sich das gegriffen, was ihr zuerst in die Finger gekommen war. Fusselige schwarze Shorts und – schon besser – ein hübsches Tanktop in einem tiefen Blau, das ihre eigentlich eher grauen Augen blauer wirken ließ. Nachdem sie sich eine Jacke und die Tüte mit den Lebensmitteln für die Party geschnappt hatte, war sie losgejagt.

Ohne einen Hauch von Make-up, von der Wimperntusche einmal abgesehen, die sie morgens aufgetragen hatte, damit die Leute sahen, dass sie tatsächlich so etwas wie Wimpern hatte – obwohl man das Gegenteil vermuten könnte, so blass, wie sie waren.

Sie tupfte ein wenig Lippenstift auf, klopfte an die Tür und trat ein. „Hey“, rief sie über das Gelächter und die lauten Stimmen hinweg, die aus Max’ noch nicht ganz fertiger Küche drangen. „Tut mir leid, dass ich so spät komme. Aber ich habe ein paar Flaschen Rotwein zur Wiedergutmachung dabei und hausgemachte Guacamole und jede Menge Gemüse.“

Sie spazierte in den Raum mit dem langen Tisch und entdeckte als Erstes ihre beste Freundin Jenny, die neben Jake saß. „Hey, Süße“, sagte sie, anschließend begrüßte sie die Damoths und Mary-Margaret, Leiterin des Villages, die Gastgeber Max und Harper und Harpers Mom.

Als ihr Blick dann dem eines Mannes mit kantigen Gesichtszügen aus dessen samtig dunklen Augen begegnete, blieb sie wie angewurzelt stehen. Bilder eines jüngeren Gesichts tauchten in Lichtgeschwindigkeit aus ihrem Gedächtnis auf, während die Hitze unvergessener Küsse und Liebkosungen durch ihre Venen jagte. Sie musste blinzeln, so sicher war sie, sich zu irren.

Aber nein. Guter Gott. Es war nicht möglich, es durfte nicht möglich sein, doch es war tatsächlich Diego ohne Nachnamen, der verdammte Mistkerl, der sie auf den Bahamas in den Knast gebracht hatte, als sie noch deutlich jünger und dümmer gewesen war – oder zumindest naiver –, der letzte Mensch auf Erden, den sie jemals wiedersehen wollte. Und doch saß er dort an Max’ und Harpers Tisch, schwarzes Haar, schwarze Augen, dunkle Bartstoppeln, muskulös, lebendig und überlebensgroß.

In ihrem Hirn begann es zu knistern wie bei einem Radio, dessen Sender nicht richtig eingestellt war, ihre Hand wurde taub. Die Tüte mit Wein und Gemüse fiel auf den Boden und kippte zur Seite.

Sie bemerkte kaum, dass sich der Inhalt in alle Richtungen verteilte.

Heilige Scheiße. Alles um ihn herum schien sich auf einmal in Zeitlupe zu bewegen. Luc Bradshaw erhob sich halb von seinem Stuhl, genauso wie alle anderen am Tisch. Sie riefen durcheinander und veranstalteten einen Riesentumult, um der langbeinigen Frau zu helfen, die sich gerade bückte, um die Weinflaschen und Plastikbehälter vom Boden aufzusammeln.

Er hörte nur gedämpftes weißes Rauschen, starrte auf ihren gesenkten Kopf und rieb sich unwillkürlich über die Brust, wobei er sich fragte, wann genau aus der Luft im Raum so was wie Wackelpudding geworden war.

Himmel. Das war Tasha.

Als ob er das nicht schon in der Sekunde kapiert hätte, als sie ins Zimmer gestürmt war. Wie oft in dieser Woche hatte Jenny, die Verlobte seines Halbbruders Jake, wohl ihre beste Freundin Tasha erwähnt? Jedes Mal, wenn er den Namen gehört hatte, hatte sich sein verdammtes Herz etwas zusammengezogen, obwohl ihm klar gewesen war, dass Jenny unmöglich über die Tasha sprechen konnte, die er einmal gekannt hatte. Erst vor vielleicht zwei Stunden war er endlich an dem Punkt angekommen, an dem die Erwähnung dieses Namens nicht mehr sofort eine derartige Kettenreaktion in seiner Brust ausgelöst hatte. Somit konnte man es ihm wohl nicht verdenken, dass er eine Sekunde lang wirklich gedacht hatte, er würde sich das Ganze nur einbilden, denn wie wahrscheinlich war so etwas?

Nun, verdammt wahrscheinlich, wie sich herausstellte. Diese Tasha war tatsächlich seine Tasha. Es hatte viele Frauen in der Vergangenheit gegeben, bei denen er zufrieden war, dass sie spurlos aus seinem Leben verschwunden waren – diese hatte nie dazugehört.

Er beobachtete, wie sie auf den Fersen hockte und sich ein wenig streckte, um eine der wegrollenden Flaschen aufzuheben, und sah, wie das blaue Oberteil unter dem kurzen Jäckchen aus ihrem Hosenbund rutschte und einen Streifen blasse, seidige Haut entblößte. Dann betrachtete er sie eingehend von Kopf bis Fuß. Einen Moment lang konzentrierte er sich auf ihren runden Hintern. Sie war … fraulicher als das blutjunge Mädchen, an das er sich erinnerte.

Er unterdrückte ein Schnauben. Tja, keine große Überraschung. Es war sieben Jahre her. Also schön, sie war inzwischen kurviger, hatte aber noch immer keine Hüften, und selbst mit größter Fantasie könnte man sie nicht als üppig bezeichnen.

Auch ihre zügellosen Locken waren anders. Sie sahen jetzt glänzender und gezähmter aus als damals. Ihre blassen blaugrauen Augen und der Mund mit der etwas volleren Oberlippe dagegen hatten sich kein bisschen verändert.

Zum Teufel mit den kleinen Unterschieden. Sie hätte einen Schnurrbart haben können, ein haariges Muttermal und zwanzig Kilo mehr auf den Rippen, er hätte sie trotzdem erkannt. Es bestand nicht der geringste Zweifel, dass es sich bei ihr um das Mädchen handelte, mit dem er zwei Tage und eine unvergessliche Nacht auf den Bahamas verbracht hatte.

„Tash!“, sagte Jenny und hockte sich neben ihre rotblonde Freundin, und auf einmal stimmten Geschwindigkeit und Lautstärke des Kinofilms wieder. „Geht’s dir gut?“

Erdbeerblond. So nannten die Leute diese blasse rotgoldene Haarfarbe, wie er herausgefunden hatte. Er spürte, wie sein Gesicht sich zu einem strahlenden Lächeln verzog. Das allerdings abrupt erstarb, als Tasha den Blick hob und ihn ansah. Es war, als würde ein Feuerball direkt auf seinen Kopf zurasen, und er duckte sich ein wenig und sank auf seinen Stuhl zurück. Diese Augen, dieser Ausdruck.

Wenn Blicke töten könnten, wäre er jetzt bereits in winzige mundgerechte Bissen zerstückelt. Wieso, verdammt?

Sie sah Jenny an, aber anscheinend nicht mit demselben Furcht einflößenden Starren, denn Jenny duckte sich nicht so wie er.

„Nein“, beantwortete Tasha Jennys Frage, ob es ihr gut gehe, während sie der kleinen braunhaarigen Frau erst eine, dann eine weitere Weinflasche reichte.

Den Rest hatte sie offenbar schon eingesammelt, weil sie jetzt aufstand und Gina die Tüte in die Hand drückte. Gina war eine elegante, etwas dunklere Version ihrer Tochter Harper, die wiederum die Freundin seines Halbbruders Max war.

Herrje. Bei diesen ganzen Verbindungen drehte sich ihm der Kopf.

„Tut mir leid“, sagte Tasha, als die ältere Frau die Tasche in Empfang nahm. „Ich finde es furchtbar, dass du zurück nach Winston-Salem gehst und dass ich auch noch deine Abschiedsfeier verpasse, doch mir geht es nicht besonders.“

„Ja, du siehst recht blass aus, Liebes“, stimmte Gina ihr zu. Sie strich Tasha beruhigend über den Arm. „Geh nach Hause und leg dich hin. Mit etwas Glück kannst du den Bazillus, oder was immer du dir eingefangen hast, einfach wegschlafen.“

„Eine Erkältung ist es sicher nicht, aber Bazille scheint mir das passende Wort zu sein.“

Tasha warf ihm einen weiteren pfeilschnellen bösen Blick zu und fuhr dann grimmig fort: „Es fühlt sich an, als ob eine haarige, eklige Spinne meinen Rücken hinaufkrabbelt. So schrecklich habe ich mich seit Jahren nicht mehr gefühlt, am liebsten würde ich dem Scheißkerl direkt zwischen seine fiesen Knopfaugen schießen.“

Jenny, die gerade die Weinflaschen auf dem Tisch abstellte, warf ihm nachdenklich einen Blick zu, dann wandte sie sich an Tasha: „Armes Baby. Soll ich dich nach Hause fahren? Jake kann dir morgen früh deinen Wagen vorbeibringen.“

Luc sah einen Ausdruck über Tashas Gesicht huschen, der wie Panik aussah, oder vielleicht bildete er sich das auch nur ein, denn als er geblinzelt hatte, wirkte sie wieder vollkommen ruhig.

Tasha tätschelte Jennys Hand. „Nein, ich kann selbst fahren. Ich bin einfach nur fix und fertig nach der Schufterei der letzten Wochen, und jetzt hat es mich erwischt. Ich muss dringend schlafen.“

„Nur gut, dass du inzwischen jemanden hast, der dir hilft“, sagte Jenny.

Tasha lachte rau auf. „Ach ja, was das betrifft … Wie sich herausgestellt hat, wird nichts daraus.“

Mit einem Mal schien sie vollkommen erschöpft zu sein. Sie strich sich mit ihren schlanken, blassen Fingern durchs Haar.

„Das erzähle ich dir morgen“, sagte sie und betrachtete die anderen Gäste am Tisch.

Nun, alle außer ihn. Nach den tödlichen Blicken hatte sie offenbar beschlossen, überhaupt nicht mehr in seine Richtung zu sehen.

„Entschuldigt das Drama“, sagte sie, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Gina und schenkte ihr dieses süße, großzügige Lächeln, das seit sieben langen Jahren in sein Hirn eingebrannt war. „Gute Heimreise“, sagte sie und umarmte Harpers Mutter. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie Gina mit warmer Zuneigung an. „Es war einfach toll, dich kennenzulernen. Ich hoffe wirklich, dass du bald wiederkommst.“

„Oh, das habe ich vor, Darling“, sagte Gina. „Meine Lieblingstochter lebt schließlich jetzt hier.“

„Ähm, Mom?“, meinte Harper trocken. „Ich bin deine einzige Tochter.“

Gina umarmte sie. „Aber du bist auch immer noch mein einzigartiges kleines Mädchen.“

Harpers olivgrüne Iris verschwand fast vollständig unter ihren fransigen Wimpern, so sehr grinste sie. „Das ist wahr.“

Tasha wechselte einige freundliche Worte mit den Gästen, dann, von einem Augenblick auf den anderen, verabschiedete sie sich, spazierte aus der Küche und war weg.

Luc stand auf. „Ist es okay, wenn ich mir noch ein Bier nehme?“, fragte er Max.

„Bedien dich“, antwortete sein Halbbruder im selben Moment, als Harper schon aufstehen wollte.

„Warte, ich hole dir eins“, sagte sie.

Nein, knurrte er in Gedanken, doch er hatte nicht umsonst über ein Jahrzehnt als Undercover-Agent für die DEA gearbeitet. Also warf er ihr sein charmantestes Lächeln zu, das nach jahrelanger Übung zu seiner zweiten Natur geworden war, und sagte bloß: „Bitte, Harper, du brauchst mich wirklich nicht zu bedienen.“

„Yeah, Harper“, meinte Jake. „Er gehört zur Familie. Das bedeutet, dass er auch das Geschirr spülen kann.“

„Zumindest kann ich mir selbst etwas zu trinken holen. Möchte sonst noch jemand was?“

Niemand meldete sich, und er schlenderte gemächlich aus dem Raum und steuerte dann mit wenigen großen Schritten auf die Hintertür zu. Dort angekommen ging er leise hinaus und sah, wie Tasha gerade auf die angebaute Garage zuging, offenbar, um eine Abkürzung zur Auffahrt vor dem Haus zu nehmen. Wolken von der Farbe eines älteren Blutergusses hingen tief am Himmel, aber wenigstens war es im Augenblick trocken. Ohne die Treppe zu benutzen, sprang er direkt hinunter auf den Rasen, wo er leichtfüßig landete.

Er konnte sich schnell und leise wie Bodennebel bewegen wenn nötig, und er trat genau in dem Moment an Tashas Seite, als sie die Garage umrundet hatte. Er drückte sich einen Schritt hinter ihr in den Schatten, streckte die Hand aus und berührte ihren Arm. „Hey, Tasha, warte …“

Nach Luft schnappend wirbelte sie herum. Wilde Panik blitzte in ihren klaren grauen Augen auf, sie atmete heftig ein und öffnete die Lippen. Luc wusste, dass sie in der nächsten Sekunde das ganze Haus zusammenschreien würde, also legte er ihr eine Hand in den Nacken und die andere auf ihren Mund, um zu verhindern, dass sämtliche Gäste zu ihrer Rettung eilten.

Nicht, dass sie gerettet werden musste – Himmel, er würde ihr doch niemals etwas antun. Trotzdem wollte er nicht riskieren, dass sein Deputy-Sheriff-Halbbruder auf ihn losging. Er zweifelte nicht einen Moment daran, dass Max nur einen Schrei zu hören brauchte, um in der nächsten Sekunde mit gezogener Dienstwaffe vor ihm zu stehen.

„Tut mir leid“, sagte er mit der sanftesten, unbedrohlichsten Stimme, die er aufbrachte. Ihre Lippen waren weich und ihre Haut fühlte sich warm unter seinen Händen an.

Diese Erkenntnis schob er lieber erst mal in die hinterste Ecke seines Verstandes, wo er sich später darum kümmern konnte, wenn seine Konzentration nicht woanders gebraucht wurde. „Ich wollte dir keine Angst machen – ich möchte nur einen Moment mit dir sprechen. Ich werde dich jetzt loslassen, okay?“

Offenbar tat er das für ihren Geschmack nicht schnell genug, denn sie kniff die Augen zusammen, als wollte sie sagen: Nun mach schon! Nicht ganz sicher, ob nicht alles wieder von vorn anfangen würde, starrte er genauso hart zurück. „Und du wirst nicht schreien, hab ich recht?“ Das war ein Befehl, keine Frage. Ohne zu blinzeln, starrte er dabei in ihre kristallklaren Augen.

Sie zögerte kurz, dann nickte sie.

Langsam löste er den Griff um ihren Nacken. Umgehend schlug Tasha seine Hand zur Seite und rieb sich über den Mund, als ob sie mit Giftmüll in Kontakt gekommen wäre. Sie drückte sich an ihm vorbei und marschierte zurück in den Garten, dann drehte sie sich zu ihm um.

„Wenn du mit mir reden willst, kannst du das verdammt noch mal auch hier machen, wo die Leute uns sehen können.“

Er nickte. Aber was zum Teufel … Warum war sie so sauer? Er war schließlich derjenige, der …

Da er jetzt erneut Ziel eines Friss-Scheiße-und-stirb-Blickes wurde, verfolgte er diesen Gedanken nicht weiter.

„Also, als wer gibst du dich heute aus, Diego“, fragte sie.

Er stellte sicher, dass er nur innerlich zusammenzuckte, aber … Mist. In dieser Hinsicht hatte sie ihn erwischt, denn er konnte ja schlecht behaupten, dass er sich bei ihrem Kennenlernen nicht als ein anderer ausgegeben hatte. Also sah er sie unverwandt an und sagte ruhig: „Mein richtiger Name ist Luc Bradshaw. Ich bin Max’ und Jakes Halbbruder …“

„Oh, bitte“, stieß sie angewidert aus.

Er blinzelte überrascht. „Was meinst du mit oh, bitte? Zumindest Max solltest du ein bisschen was zutrauen. Oder glaubst du etwa, dass er mich nicht gründlich überprüft hat?“

Sie gab einen rauen Ton von sich, und er zog die Augenbrauen zusammen. „Ich weiß wirklich nicht, was hier das Problem ist. Du musst dir doch einfach nur uns drei ansehen – allgemein wird behauptet, dass es eine starke Familienähnlichkeit gibt. Also, warum solltest du bezweifeln, dass ich …“

Sie ging ihm ganz schön auf die Nerven – und es sprach nicht gerade für ihn, dass er das ziemlich heiß fand.

„Hör mal“, sagte sie, die Augen zu Schlitzen verengt, ihre lange, schmale Nase war nur Zentimeter von seiner entfernt. „Ich weiß nicht, wer du bist, Kumpel, oder was du hier für ein Spielchen treibst, aber bleib mir verdammt noch mal vom Leib, ist das klar? Wie kannst du es wagen, hierherzukommen und dich als Jakes und Max’ Bruder auszugeben?“

Sie pikte ihm in die Brust – doch bevor er ihren Finger ergreifen konnte, ließ sie die Hand sinken und trat einen großen Schritt zurück.

„Ich sag dir was“, fuhr sie mit einer Gelassenheit fort, die überhaupt nicht zu ihrem Blick passte. „Ich will großzügig sein. Wenn du deine Koffer packst und aus der Stadt verschwindest – heute Nacht noch –, lasse ich die Vergangenheit ruhen.“ Wieder bedachte sie ihn mit diesem schlitzäugigen Todesstarren. „Wenn du klug bist, nimmst du das Angebot an und haust ab, denn es ist das Gegenteil dessen, was mein Instinkt mir rät.“

Er versuchte, diese Frau mit dem süßen, lachenden Mädchen aus seiner Erinnerung in Einklang zu bringen, versagte allerdings schwer und schüttelte den Kopf. „Wie bitte?“

„Verstehst du kein Englisch mehr, Diego?“

Offensichtlich, denn er hatte keinen blassen Schimmer, wovon sie sprach. Statt ihr das zu erklären und sie zu fragen, was für ein Problem sie hatte und was genau sie zu wissen glaubte, hörte er sich sagen: „Ich heiße nicht Diego. Ich weiß, dass ich das behauptet habe, aber ich war zu dieser Zeit Undercover-Agent bei der DEA, und um meiner guten Gesundheit willen durfte ich niemandem meine wahre Identität verraten. Jedenfalls bin ich Luc Bradshaw, Sohn von Charlie Bradshaw. Halbbruder von Max und Jake.“

„Oh, gut, du hältst an dieser Story fest. Genau genommen hoffe ich das sogar. Denn wenn du morgen noch immer hier bist, werde ich Max mit großem Vergnügen erzählen, dass du nichts anderes als ein mieser Drogendealer namens Diego Soundso bist. Und dann, Di-e-go, wird er deinen ekelhaften Hintern ins Kittchen verfrachten.“

Luc erstarrte. Einen Großteil ihrer kurzen gemeinsamen Zeit hatte er darauf verwandt, möglichst viel über sie zu erfahren – während er selbstverständlich gleichzeitig alles dafür getan hatte, seine eigene Geschichte für sich zu behalten. Er hatte ihr kaum mehr erzählt, als dass er im Urlaub sei und keine Zeit damit verschwenden wollte, über die Arbeit zu reden. Und als sie ein einziges Mal nach genaueren Einzelheiten fragte, hatte er seinen ganzen Charme aufgewandt, um das Thema in eine andere Richtung zu lenken. Wie zum Teufel hatte sie also seine Tarngeschichte spitzgekriegt?

Um das herauszufinden, reichte die Zeit nicht, denn Tasha trat noch weiter zurück und warf ihre Haarpracht über die Schultern zurück.

„Und wenn das passiert“, sagte sie mit vor Ironie triefender Stimme, „dann werde ich nur eins bereuen, glaub mir.“

Die Hände in den Hosentaschen starrte er sie an, betrachtete ihre geröteten Wangen und die sprühenden Augen und dachte, wie bescheuert es war, sich noch immer zu einer derart Irren hingezogen zu fühlen.

„Okay, ich hab angebissen“, sagte er. „Was genau würdest du bereuen?“

„Dass im Gegensatz zu der winzigen, achtunddreißig Grad heißen dunklen Gefängniszelle auf den Bahamas, in der ich deinetwegen zwei der schrecklichsten Nächte meines Lebens verbracht habe“, sagte sie tonlos, „die amerikanischen Gefängnisse höchstwahrscheinlich ausgesprochen komfortabel sind.“

Und dann, bevor er auch nur eine Frage stellen konnte, wirbelte sie herum und stolzierte zurück in den Schatten der Garage.

Er stand da und fragte sich, was um Himmels willen in jener Nacht geschehen sein mochte.

2. KAPITEL

T asha Renee Riordan, du verheimlichst mir etwas. Wann zur Hölle hattest du die Chance, Luc Bradshaw kennenzulernen, und warum lehnst du ihn so ab?“

Tasha riss den Mund auf und starrte ihre Freundin an. Sie hatte Jenny noch kaum die Tür geöffnet, da ließ deren Frage sie schon zurücktaumeln, als wäre sie ein Rammbock, der sie mitten auf die Brust getroffen hätte. Jenny trat genau in dem Moment ein, in dem Tasha sich daran erinnerte, wieder zu atmen. Und atmen war gut, wenn auch ein wenig schwierig, so heftig wie ihr Herz klopfte. Aber sie tat ihr Bestes, um ruhig und gefasst zu wirken, und entgegnete: „Was? Ich habe ihn gestern kennengelernt. Du warst doch dabei, Jen.“

„Sei nicht albern, Süße. Du hast ihn angesehen, als ob du ihn kennen würdest. Also, woher in aller Welt? Ich dachte ja, du kämst nie lange genug aus dem Bella T’s raus, um auch nur mal nach Luft zu schnappen.“

Sie wollte es für sich behalten, wirklich, aber das war Jenny, der sie immer alles erzählte, und deswegen gab sie klein bei. „Ich habe ihn vor sieben Jahren getroffen.“ Sie strich sich mit den Fingern durchs Haar und starrte ihre Freundin an. „Und es hat mich total umgehauen zu hören, dass es sich bei Max’ und Jakes sogenanntem Halbbruder um den Diego aus meinem Urlaub auf den Bahamas handelt, von dem ich dir erzählt habe.“ Es laut auszusprechen war zugleich beängstigend und beruhigend. Jetzt konnte sie es zwar nicht mehr zurücknehmen, aber nun war es auch nicht länger ein Geheimnis, das seine ätzende Säure in ihren Bauch träufelte.

Und so mehr Bedeutung annahm, als es sollte.

Jenny wurde schlagartig ernst, was zeigte, weshalb sie ihre beste Freundin war.

„Ach, Mist, Tasha. Wie ist das bloß möglich? Und trotzdem … du warst so … gar nicht du selbst mit diesem Gerede über Bazillen und Spinnen, denen du zwischen die Augen schießen wirst, und diesen ganzen Ich-hoffe-du-stirbst-an-einem-üblen-Herpesfall-Blicken.“

„Oh mein Gott.“ Sie erreichten die Frühstückstheke, die die kleine Küche von ihrem Wohnzimmer abteilte, und in diesem Moment wurden ihre Beinmuskeln zu Pudding. Tasha sackte auf einen Hocker und starrte ihre beste Freundin an. „Es hat mich schockiert, ihn da so cool an Max’ Tisch sitzen zu sehen … Verdammt, Jenny. Wie schrecklich, dass es so offensichtlich war.“

„Gar nicht, Süße. Oder, okay, schon, aber nur für mich.“ Jenny beugte sich herunter, um sie schnell und fest zu umarmen, dann richtete sie sich wieder auf. „Und ich kenne dich inzwischen mein halbes Leben lang.“ Sie warf ihr ein Lächeln zu. „Mich wunderte es nur, dass ich nicht selbst drauf gekommen bin, denn das ergibt Sinn, stimmt’s? Er ist schließlich der einzige Mann, auf den du je so leidenschaftlich reagiert hast.“

Das ignorierte Tasha lieber. Das Letzte, worüber sie im Zusammenhang mit diesem Mann reden wollte, war Leidenschaft. „Ich habe ihm gesagt, dass er bis heute die Stadt verlassen soll. Aber wie soll ich den Bradshaw-Jungs beibringen, dass er gar nicht ihr Halbbruder ist, falls er nicht verschwindet?“

„Tasha. Schätzchen.“ Jenny streichelte ihr den Handrücken und sah sie liebevoll und fest an. „Man muss ihn doch nur ansehen, um zu wissen, dass er ihr Bruder ist.“

„Nein!“ Sie konnte nicht nachgeben, obwohl diese Tatsache schon die ganze Zeit an ihr nagte. Sie zog ihre Hand unter der ihrer Freundin hervor und strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Er wird nicht einfach verschwinden, richtig?“

„Ich fürchte nein.“

„Mist.“ Sie atmete tief ein und stieß den Atem resigniert wieder aus. „Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann, den ich nie mehr in meinem Leben wiedersehen wollte, sich als Max’ und Jakes Halbbruder herausstellt?“

„Ich weiß“, stimmte Jenny ihr zu. „Wir leben in einer wirklich verdammt kleinen Welt.“

Luc hatte gerade seine Reisetasche zu Ende gepackt, als es laut an der Tür klopfte. Alte Gewohnheiten ließen sich schwer ablegen, also zog er leise den Reißverschluss einer der Seitentaschen auf und nahm seine SIG Pro heraus. Mit dem Rücken an die Wand gedrückt näherte er sich der Tür, reckte den Hals und spähte durch den Spion.

Sein Halbbruder Max in Uniform.

Er steckte die Pistole hinten in seinen Hosenbund, zog das Hemd darüber und öffnete. „Was bringt dich denn nach Silverdale?“, fragte er. „Und woher zur Hölle weißt du meine Zimmernummer?“ Als ob ihm das nicht klar wäre.

„Ist schon erstaunlich, wie weit man mit einer Dienstmarke kommt“, antwortete Max in seiner ernsten, direkten Art. „Kann ich reinkommen?“

„Ja, sicher.“ Er trat einen Schritt zurück. „Du bist also nur nach Silverdale gekommen, um mich zu sehen?“

„Yep.“

Der etwas größere Mann ließ seinen Blick wachsam durchs Zimmer schweifen und prägte sich vermutlich jedes Detail ein, das er für wichtig hielt. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf ihn.

„Könntest du Licht ins Dunkel bringen? Warum hat Harper gehört, wie Tasha sagte, dass du nicht Luc Bradshaw, sondern ein Typ namens Diego wärst?“

Luc hatte in der einen oder anderen Form mit dieser Frage gerechnet, doch auf einmal wusste er nicht, wie er sie beantworten sollte. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Eigentlich war er ein Meister der Improvisation und Ablenkung, und sein Killer-Charme tat sein Übriges. Es war jedoch etwas anderes, in die klaren, ungerührten Augen dieses Mannes zu schauen, der praktisch ein Fremder war, während die Gewissheit, dass sie Brüder waren, ihn jedes verdammte Mal, sobald er Max oder Jake sah, hart wie ein Schlag auf den Solarplexus traf. Wie er feststellte, konnte er ihm nicht ins Gesicht lügen.

Das brachte ihn völlig aus dem Konzept.

Diese Sache mit seinen Brüdern würde vielleicht doch schwieriger werden, als er erwartet hatte. Als Einzelkind aufgewachsen fand er die Vorstellung, Max und Jake besser kennenzulernen, anfangs ziemlich aufregend. Allerdings wusste er nicht, wie genau er in diese Familiendynamik passen sollte, nachdem die anderen beiden sich schon ein Leben lang kannten. Er selbst hatte erst vor Kurzem herausgefunden, dass sein verstorbener Vater Charlie – ein Mann, den er durch und durch zu kennen geglaubt hatte – noch zwei weitere Söhne hatte.

Doch darüber nachzudenken beantwortete Max’ Frage auch nicht, deswegen stieß er den Atem aus. „Möchtest du eine Tasse Kaffee? Die Geschichte hat einen gewissen Hintergrund, und es könnte etwas länger dauern, alles zu erklären.“

„Klar. Kaffee ist gut.“ Max machte es sich auf der kleinen Couch im Wohnbereich der engen Suite gemütlich.

Luc goss Kaffee aus der Maschine ein und reichte ihn Max. „Also“, sagte er, noch immer stehend. „Ich werde jetzt ganz langsam meine SIG hinten aus der Jeans nehmen, okay?“ Es war dumm gewesen, sie nicht gleich wegzulegen.

Max legte die Hand auf seine eigene Waffe. „Könntest du mir verraten, warum zur Hölle du eine Pistole hast?“

„Ich dachte, du hättest mich überprüft. Müsstest du nicht wissen, dass ich für die DEA arbeite?“

„Müsste ich. Wenn das wahr wäre.“

„Ich lass dir das durchgehen, da wir uns gerade mal – wie lange? Zehn Tage kennen. Momentan bin ich beurlaubt, aber ich bin schon seit dreizehn Jahren bei der Agency.“

Sein Halbbruder betrachtete ihn wachsam. „Ich möchte lieber nicht mit meiner Waffe auf dich zielen, also tu uns beiden den Gefallen und fass deine Pistole nicht an, bevor du mir nicht deinen Ausweis gezeigt hast.“

„Kannst du haben.“ Er deutete auf die Reisetasche. „Der ist da drüben in meiner Tasche.“

Max stand auf, die rechte Hand noch immer auf der Waffe. „Obwohl, wenn ich es recht bedenke, nimm deine Pistole ganz langsam raus, so wie du es gesagt hast, und leg sie auf den Tisch. Dann hole ich deinen Ausweis.“

Luc spürte, wie ein kleines Lächeln seine Lippen umspielte. Es war albern und wahrscheinlich auch gar nicht angebracht, stolz auf seinen Halbbruder zu sein, aber er war es trotzdem. Max ließ sich von niemandem zum Narren halten. Man ließ niemals, niemals einen Unbekannten eine Tasche durchwühlen, die am Ende womöglich mit weiteren Waffen vollgestopft war. „Guter Plan.“

Er tat, was sein Bruder gesagt hatte, und zog langsam die Pistole aus dem Hosenbund, wobei er darauf achtete, den Abzug nicht zu berühren und keine abrupten Bewegungen zu machen, und legte sie auf den Tisch. Max nahm sie an sich.

Luc deutete einladend auf die Reisetasche. „Der Ausweis ist rechts im Seitenfach.“

Zwar tastete Max ihn nicht ab, rechnete aber wohl damit, dass er noch eine weitere Waffe bei sich tragen könnte, denn er ließ ihn nicht aus den Augen, während er zum Bett ging. Er stellte sich leicht seitlich, um nach dem Reißverschluss an der Tasche zu greifen. Luc verschränkte die Hände hinter dem Kopf, um die Spannung im Raum zu lösen, und bemerkte, dass Max’ breite Schultern sich etwas entspannten.

Max tastete einen Moment in der Seitentasche herum und stieß zufrieden einen leisen Laut aus. Eine Sekunde später zog er das lederne Mäppchen mit dem Ausweis hervor und klappte es auf. Auch der letzte Rest Anspannung löste sich auf. Er musterte das mit einem schwarzgoldenen Adler versehene Abzeichen genauer, dann schlug er das Mäppchen wieder zu und starrte ihn durchdringend an.

„Undercover?“

„Yeah.“ Luc ließ die Hände auf seine Schenkel sinken und richtete sich etwas auf. „Woher weißt du das?“

„Ach bitte“, meinte Max. „Diego? Außerdem würden die meisten normalen Polizisten nicht gleich ihre Waffe zücken, wenn jemand an ihre Hoteltür klopft.“

„Es war ein ziemlich aggressives Klopfen.“

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