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Wo die Liebe hinführt …: Heißes Wiedersehen in Chicago

hier erhältlich:

Durch eine Tragödie wurden Mari und Marc getrennt. Jetzt haben sie sich wieder, wenn auch nur für eine Nacht in Chicago. Allerdings wissen beide nicht, dass sie ein gemeinsames Reiseziel haben: Harbor Town.


  • Erscheinungstag: 01.03.2015
  • Aus der Serie: New York Times Bestseller Autoren: Romance
  • Seitenanzahl: 120
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956494031
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Beth Kery

Wo die Liebe hinführt …: Heißes Wiedersehen in Chicago

Aus dem Amerikanischen von Heike Warth

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Hometown Hero Returns

Copyright © 2011 by Beth Kery

erschienen bei: Harlequin Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München; Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

ISBN eBook 978-3-95649-403-1

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

PROLOG

Drei Blocks weit war Marc ihr gefolgt, unschlüssig, ob er sie ansprechen sollte. Vielleicht sollte er sich lieber mit seinen Erinnerungen begnügen. Aber sie zog ihn an wie ein Magnet, und immer wieder sagte er sich, dass es keinen Grund für seine Scheu gab.

Was er und Mari einmal geteilt hatten, war heute jedoch von seinen bitteren Gefühlen und der Scham für das Verhalten seines Vaters überschattet. Seit vielen Jahren weigerte Mari sich zudem hartnäckig, auch nur mit ihm zu sprechen.

Kurz vor der Drehtür des Palmer House Hotels hätte er fast kehrtgemacht, aber im letzten Augenblick überlegte er es sich anders.

„Marianna?“

Marianna sah sich um. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht.

Fast hatte er schon vergessen, wie ihr Anblick auf ihn wirkte. Jedes Mal.

Ein paar Sekunden lang bewegten sie sich beide nicht. Dieses eine Wort, ihr Name, war das erste seit jenem schicksalhaften Tag, an dem sie beide geliebte Menschen verloren hatten.

„Marc“, flüsterte Marianna.

„Ich war auf deinem Konzert“, sagte er. Aber sie sah ihn nur an, wie gelähmt. „Ich … ich wollte dir nur sagen, dass du … dass du wunderbar warst.“

Mari setzte ihren Cellokasten ab und drückte den Rücken durch, als müsste sie Kraft sammeln. Ein schwaches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, und das machte ihm Mut, einen Schritt näherzukommen. „Seit wann hört denn Marc Kavanaugh etwas anderes als Rockmusik?“

„Ein bisschen mehr könntest du mir schon zutrauen, Mari. In fünfzehn Jahren kann sich vieles ändern.“

„Zugegeben.“

Er verschlang sie förmlich mit Blicken. So lange schon hatte er auf ihren Anblick verzichten müssen. Jetzt trug sie ein schlichtes schwarzes Kleid – die Berufsuniform für die weiblichen Mitglieder des Symphonieorchesters –, das ihre Figur dezent zur Geltung brachte.

Alles am richtigen Platz, dachte Marc, während er den Blick zwei Herzschläge lang auf Maris vollen Brüsten verweilen ließ. Sie schien sich nicht ganz wohlzufühlen in ihrer Haut, stellte er fest, denn sie spielte nervös mit den Händen. Es waren die Hände einer Cellistin, feingliedrig und sensibel. Schon damals, als sie beide noch so jung waren, hatten diese Hände Marc wie magisch berührt.

„Marianna Itani“, sagte er jetzt. „Du bist erwachsen geworden.“

„Du auch.“

Vielleicht war es Einbildung, aber es schien, als musterte sie ihn genauso interessiert wie er sie.

Als sie ihm jetzt in die Augen sah, lächelte sie. „Ganz der Staatsanwalt von Cook County.“

„Woher weißt du das?“

Mari hob die Schultern. „Aus der Zeitung. Aber es hat mich nicht überrascht. Schließlich hattest du den Erfolg immer schon gepachtet.“ Ihre Stimme wurde ein wenig unsicher, und sie wandte den Blick ab. „Das mit deiner Scheidung tut mir leid.“

Marc hob eine Augenbraue. „Das stand aber nicht in der Zeitung.“

„Ein paar Kontakte habe ich noch zu Harbor Town, und du weißt ja, wie das in Kleinstädten ist. Da wissen alle alles.“

Mari trat von einem Fuß auf den anderen, während Marc darauf wartete, dass sie mehr sagte. Sie waren sich fremd geworden über die Jahre. Seltsam, dachte er, diese gleichzeitige Nähe und Distanz, als stünden wir uns auf den beiden Seiten einer Schlucht gegenüber, verbunden nur durch ein dünnes Band der Erinnerung.

Und doch war dieses Band stark genug gewesen, ihn erst in dieses Konzert zu führen und Mari dann aus einem Impuls heraus zu ihrem Hotel zu folgen.

Er machte eine Bewegung in Richtung der gut besuchten Hotelhalle. „Darf ich dich auf einen Drink einladen?“

Sie zögerte, und er rechnete schon mit einer Ablehnung. Vielleicht hätte er die Idee vor fünf Minuten auch noch nicht so gut gefunden. Aber das war, bevor er ihr so nahe gewesen war, bevor er ihr ins Gesicht gesehen hatte.

„Vielleicht könnten wir in meiner Suite etwas trinken und ein bisschen reden. Ich meine … Also wenn du willst“, fügte sie hinzu, als er nicht gleich antwortete.

Marc sah wie gebannt auf ihre leicht zitternde volle Unterlippe.

Jetzt blinzelte er, als traute er seiner Wahrnehmung nicht. Vielleicht wollte er etwas sehen, was in Wirklichkeit gar nicht da war. In ihren Augen – die ihn immer schon an die Farbe von Cognac hatten denken lassen –, leuchtete etwas wie Begehren. Zumindest redete er sich das ein.

„Ja, das klingt gut.“

Mari nickte, aber sie rührte sich ebenso wenig vom Fleck wie er.

Dann aber setzte sie sich in Bewegung, und im selben Moment machte Marc einen Schritt auf sie zu und schloss die Arme um sie. Er spürte, wie sie sofort erstarrte, sich aber gleichzeitig gegen ihn drückte und zitterte.

„Schsch.“ Er fuhr mit der Hand durch ihr Haar und hob eine Strähne an seine Nase. Der zarte Duft stieg ihm direkt in den Kopf, und er verspürte ein heftiges Verlangen.

„Mari“, flüsterte er. Dann presste er die Lippen auf ihre Augenlider und Wangen. Sie wurde ganz still in seinen Armen, als er sie auf die Mundwinkel küsste. Langsam drehte sie den Kopf, bis ihre Lippen seine berührten. Ihrer beider Atem vermischte sich, und Marc wurde von seiner Lust fast überwältigt. Es schockierte ihn, wie mächtig dieses Bedürfnis war, und voller Hunger begann er, Mari zu küssen.

Nach einer Weile löste er sich von ihr.

„Es gibt tausend Gründe, warum wir das nicht tun sollten“, flüsterte Mari.

„Mir fällt kein einziger ein.“

So nahm sie seine Hand, und gemeinsam steuerten sie auf den Lift zu.

1. KAPITEL

Fünf Wochen später

Zum ersten Mal in ihrem Leben begriff Mari die volle Bedeutung des Wortes bittersüß, als sie nach fast fünfzehn Jahren Harbor Town zum ersten Mal wieder besuchte. Das Gefühl wurde stärker, als sie den Lake Michigan durch die Bäume schimmern sah.

„Ist hier nicht irgendwo die Silver Dune Bay?“, erkundigte sie sich bei Eric Reyes und winkte zugleich der Immobilienmaklerin, die ihnen gerade das Bürogebäude gezeigt hatte, zum Abschied zu.

„Ja. Was hältst du davon, wenn wir schwimmen gehen?“ Eric betrachtete Mari ein wenig besorgt. „Bei dieser Hitze täte das vielleicht ganz gut.“ Sein Blick wurde forschender. „Mari? Ist alles in Ordnung? Du bist so blass.“

Mari strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn und lehnte sich an die Hauswand, bis die Übelkeit, die sie plötzlich überfallen hatte, wieder verschwunden war.

„Vermutlich habe ich mich bei meinem Sitznachbarn im Flugzeug angesteckt. Der hat den ganzen Flug über ununterbrochen gehustet.“

Eric betrachtete sie aus schmalen Augen. Er war Arzt, und zwar ein sehr guter, soviel Mari wusste.

„Kein Grund zur Beunruhigung“, versicherte sie ihm. „Es ist gleich wieder vorbei. Vermutlich ist die Hitze mit daran schuld.“

Mari löste sich von der Wand. Im Moment hatte sie keine Zeit, krank zu sein. Sie wollte ihre Mission möglichst schnell abschließen, und ihre unerwartete Begegnung mit Marc Kavanaugh vor fünf Wochen hatte diesem Wunsch noch sehr viel mehr Nachdruck verliehen.

Sie zwang sich zu einem Lächeln, als sie mit Eric zu seinem Wagen ging.

„Bist du damals eigentlich auch von der Klippe gesprungen wie die anderen?“, wollte sie von ihrem alten Jugendfreund wissen. „Dazu gehört sicher eine Portion Mut.“

Sie sah wieder ihre damals beste Freundin Colleen Kavanaugh mit ihren wehenden blonden Haaren vor sich. Die Furchtlosigkeit der Geschwister Kavanaugh hatte sie immer schon bewundert, diese selbstbewusste, aber sympathische Schönheit, die Offenheit und Fröhlichkeit, ihre Liebe zum Wagnis, das Temperament und vor allem die Loyalität gegenüber den Menschen, die sie liebten.

„Es geht siebzehn Meter in die Tiefe“, erwiderte Eric jetzt, als er neben ihr im Wagen Platz genommen und die Klimaanlage auf die höchste Stufe geschaltet hatte. „Klar bin ich auch gesprungen.“

Mari selbst hatte nur einmal den Mut zu diesem Sprung aufgebracht. Noch immer erinnerte sie sich daran, wie Marc sie damals angesehen hatte, den Mund zu diesem aufregenden kleinen Lächeln verzogen, das so unerhört sexy war.

Denk nicht so viel, Mari, spring.

Und sie war gesprungen. Es war in dem Sommer gewesen, in dem ihre Eltern ums Leben gekommen waren.

Vor fünf Wochen in Chicago hatte sie sich ähnlich leichtsinnig verhalten. Dabei konnte sie sich mit ihren dreiunddreißig Jahren wohl kaum auf jugendliche Schwärmerei und Unbekümmertheit berufen. Ihr Magen verkrampfte sich, als sie daran dachte, wie Marc sie angesehen hatte, als er zu ihr gekommen war. Und sie hörte wieder seine Stimme, rau vor Lust und Begehren.

Darauf habe ich fünfzehn Jahre gewartet, Mari.

Sie schloss die Augen in der Erinnerung an dieses aufregende, wunderbare Zusammensein mit Marc. Als sie jetzt die Augen wieder aufschlug, stellte sie fest, dass Eric auf etwas zu warten schien.

„Willst du es besonders spannend machen? Oder was ist?“, fragte er, als er den Wagen auf die Straße lenkte.

„Wie meinst du das?“, fragte sie vorsichtig.

Ein verwunderter Blick traf sie. „Ich will nur wissen, wie dir das Anwesen gefallen hat.“

„Oh!“ Mari lachte erleichtert auf. Eine Sekunde lang hatte sie schon befürchtet, er hätte ihre Gedanken gelesen. „Ausgesprochen gut“, erwiderte sie dann. „Es ist schön ruhig gelegen gleich am See und beim Wald, und wir haben genug Platz, damit das Familienzentrum bei Bedarf wachsen kann. Vielen, vielen Dank für deine Vorarbeit, Eric. Du und Natalie, ihr habt viel mehr getan, als ich erwartet hatte.“

„So viel war das auch wieder nicht.“

„Die meisten Leute halten mich sowieso für total verrückt: eine Cellistin, die ein Zentrum für Opfer von Drogen- und Alkoholmissbrauch gründet.“

Eric hob die Augenbrauen. „Wie gut, dass die Reyes nicht die meisten Leute sind“, meinte er trocken.

Mari lächelte. Natürlich hatte er recht.

Fünfzehn Jahre war es jetzt her, dass Derry Kavanaugh, Marcs Vater, sich betrunken ans Steuer gesetzt hatte. In dieser Nacht hatte er einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem er selbst, Maris Eltern und Erics Mutter ums Leben gekommen waren. Natalie, Erics Schwester, hatte dabei schwere körperliche und seelische Schäden davongetragen.

Deshalb war Mari jetzt nach all diesen Jahren nach Harbor Town zurückgekehrt. Sie wollte endlich die alten Wunden heilen. Aber das tat sie nicht nur für sich oder Eric und Natalie oder Marc, sondern für alle, die ähnlich traumatische Erlebnisse hinter sich hatten.

Eric nahm ihre Hand. „Nat und ich stehen hundertprozentig hinter dir. Bist du dir sicher, dass du für dich selbst nichts von dem Schmerzensgeld möchtest und wirklich die ganze Summe in diese Stiftung stecken willst?“

„Ganz sicher. Ich verfolge diesen Plan seit Jahren, es war ja keine spontane Entscheidung. Nie könnte ich das Geld für mich anrühren. Es ist einfach so …“ Sie machte eine kleine Pause und suchte nach den richtigen Worten. „Ja, irgendwie war das Geld für etwas Größeres bestimmt. Außerdem wollen wir das Haus an der Sycamore Avenue verkaufen. Damit haben Ryan und ich ein ganz hübsches finanzielles Polster.“

Mari sah auf die Reihen gepflegter Ferienhäuschen am See. In den Sommermonaten kamen viele Gäste nach Harbor Town, und der kleine Ort platzte aus allen Nähten.

Sie lächelte ein wenig, als sie ein kleines Mädchen mit Pferdeschwanz entdeckte, das gerade um eine Hausecke gerannt kam. Es trug einen pinkfarbenen Bikini und einen Schwimmring in Form eines grünen Drachens um den Bauch.

„Ich hoffe, dass die Zeit für alles reicht, was ich mir vorgenommen habe.“

Eric drückte Maris Hand. „Weißt du, was du unbedingt brauchst? Ein bisschen Spaß und Entspannung.“

„Denkst du dabei an etwas Bestimmtes?“

„Erzähl mir nicht, dass du den Umzug am 4. Juli vergessen hast!“

Mari lachte ein wenig. „Wie könnte ich so ein bedeutendes Ereignis vergessen?“

„Dann gönnen wir uns doch eine Pause und gehen hin. Unsere Pläne für das Familienzentrum können wir auch später noch besprechen.“

Mari zögerte. Sie wollte möglichst wenig in der Öffentlichkeit auftreten. Marc kam zwar nur noch selten nach Harbor Town, aber seine Mutter und Schwester lebten noch immer dort, und sie wollte keiner von beiden über den Weg laufen.

„Mari“, sagte Eric jetzt sanft. „Du hast keinen Grund, dich für irgendetwas zu schämen. Einer deiner Gründe, dieses Zentrum zu gründen, war doch, etwas gutzumachen. Du kannst dich nicht die ganze Zeit verstecken.“

Ihre Augen wurden feucht, und sie starrte aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen. Natürlich hatte Eric recht. Und es gehörte ja zu ihrer eigenen Heilung, nicht immer nur an diesen Schmerz und an dieses Leid zu denken, sondern auch an die schöne Zeit in Harbor Town.

„Also gut. Du hast mich überzeugt.“

Mari stand neben Eric an der Hauptstraße, umgeben von einer fröhlich geräuschvollen Ansammlung von Einheimischen, Urlaubern und Tagesausflüglern. Eine Posaune gab einen ziemlich schrägen Ton von sich, und Mari verzog schmerzlich das Gesicht. Hinter der marschierenden Blaskapelle folgte ein riesiges Segelboot, begleitet von Mitgliedern des arabisch-amerikanischen Wirtschaftsrates. In Harbor Town hatten sich viele arabischstämmige Menschen angesiedelt, und die Stadt war ein lebendes Beispiel dafür, dass eine Minderheitengruppe sich nicht nur in eine Gesellschaft integrieren, sondern diese Gesellschaft auch bereichern und verbessern kann. Maris Eltern, Kassim und Shada Itani, waren Mitglieder der orthodoxen libanesischen Christengemeinde, der Maroniten, gewesen.

Als Kind hatte Mari nie so richtig begriffen, welchen Einfluss die Herkunft und die religiösen Ansichten ihrer Eltern auf sie selbst hatten. Ihr Bruder Ryan war als junger Mann oft ausgegangen und hatte mit vielen Mädchen geflirtet. Aber als sie selbst dann fünfzehn gewesen war, hatte sie schnell am eigenen Leib verspürt, dass an sie andere Maßstäbe angelegt wurden als an Ryan – vor allem, wenn es um Marc Kavanaugh ging, Ryans Freund.

Dabei hatten ihre Eltern Marc sogar sehr gern gehabt, und er war häufig zu Gast gewesen im Wochenendhaus der Familie. Aber an ihrem fünfzehnten Geburtstag hatte sich mit einem Mal alles verändert. Marc Kavanaugh stand plötzlich oben auf einer neuen Liste unerwünschter Freunde.

Mari sah sich jetzt um und entdeckte die beiden großen dunkelblonden braun gebrannten Männer in der Menge. Sie erstarrte. Einer der beiden trug ein kleines Mädchen auf den Schultern. Liam und Marc Kavanaugh.

In Shorts und T-Shirt sah Marc genauso gut aus wie in dem grauen Anzug, den er in Chicago getragen hatte.

Ihr Blick fiel auf die Frau neben ihm – Brigit Kavanaugh, die ausgerechnet jetzt zu ihr herübersah. Offene Wut stand in Brigits Augen, und Mari fühlte sich, als hätte man ihr mitten ins Gesicht geschlagen.

Mari wusste, dass Marc gelegentlich zu Besuch nach Harbor Town kam – welch ein Zufall, dass er sich dieselbe Zeit wie sie dafür ausgesucht hatte.

Andererseits … Heute war Unabhängigkeitstag, und morgen jährte sich der Unfall. Vielleicht kam die Familie jedes Jahr an diesem Tag an Derry Kavanaughs Grab zusammen. Damit hätte sie eigentlich rechnen müssen.

Mari versuchte, sich wieder auf den bunten, fröhlichen Umzug zu konzentrieren. Aber sie spürte fast körperlich, dass Marc sie beobachtete. Diese blauen Augen hatten immer wieder eine magische Kraft auf sie ausgeübt, und sie konnte sich gut vorstellen, dass es im Gerichtssaal nicht anders war.

In Chicago hatte sie die Macht dieser Augen zum letzten Mal gespürt.

Vermutlich war er ziemlich böse auf sie gewesen, als sie nicht zu ihrer Verabredung erschienen war und dann auch auf seine Anrufe nicht reagiert hatte – vor allem nach dieser Nacht im Hotel.

„Na, wenn das nicht Marianna Itani ist!“, rief Liam Kavanaugh verwundert.

Marc folge Liams Blick und fand Mari sofort. Sie trug ihr langes Haar offen, das gelbe Kleid unterstrich ihre golden schimmernde Haut und brachte ihre aufregenden Kurven aufs Vorteilhafteste zur Geltung.

„Marianna Itani?“, wiederholte Colleen Kavanaugh hinter ihren Brüdern ungläubig. „Wo?“

„Wusstest du, dass sie hier ist, Mom?“, wollte Marc von seiner Mutter wissen.

„Ja. Sie will das Haus in Ordnung bringen, bevor es verkauft wird. Unglaublich, dass sie und Ryan so lange damit gewartet haben. Aber sie scheinen auf das Geld nicht angewiesen zu sein“, bemerkte Brigit bitter.

„Mommy, können wir mit der Parade laufen?“, bettelte die sechsjährige Jenny. „Brendan sieht so lustig aus, ich will ihn noch mal sehen.“

Marc bückte sich, um seine Nichte von seinen Schultern absteigen zu lassen.

„Gehst du nicht mit, Onkel Marc?“ Jenny zog an seiner Hand.

„Nein. Ich leiste Grandma noch ein bisschen Gesellschaft. Du kannst mir ja später erzählen, ob Brendan irgendeinen Unsinn gemacht hat.“

Jenny zerrte ungeduldig an Colleens Hand, und bald waren die beiden nicht mehr zu sehen.

Liam lachte. „Offenbar gibt es für kleine Mädchen kein größeres Vergnügen, als ihre Brüder in erniedrigenden Situationen zu ertappen.“

„Das liegt vermutlich daran, dass Jungen dazu neigen, ihre Schwestern zu übersehen“, erwiderte Marc. Er konnte den Blick nicht von Mari lösen.

„Sieht so aus, als hätte Mari sich sehr erfreulich entwickelt“, meinte Liam jetzt.

Marc versuchte immer noch, sich von dieser unerwarteten Begegnung zu erholen. Sein erster Gedanke war gewesen, dass Maris Besuch in Harbor Town irgendetwas mit dieser Nacht in Chicago zu tun hatte. Aber als sie ganz offensichtlich seinen Blick mied, war er sich nicht mehr so sicher.

„Ist Ryan auch da?“, wollte Marc wissen. Wie Ryan sich damals vor Gericht benommen hatte, gehörte zu seinen unangenehmsten Erinnerungen.

„Nein. Er ist bei der Air Force und derzeit in Afghanistan stationiert, kann also nicht hier sein. Aber dass Mari ihr Haus verkaufen will, höre ich zum ersten Mal. Ich finde es gut. Ein Haus sollte bewohnt werden.“

„Es ist ein Schandfleck!“, erklärte Brigit. „Nicht einmal als Ferienwohnung wurde es genutzt.“

„Wenn Mari und Ryan das Haus an Urlauber vermietet hätten, hättest du dich genauso aufgeregt, Ma. Außerdem hält Joe Brown das Haus in Schuss.“

Brigit sah Liam böse an, und Marc schnitt seinem Bruder eine Grimasse. Selbst schuld, sollte sie heißen. Liam sollte allmählich wirklich wissen, dass es nicht ratsam war, irgendetwas Vernünftiges über die Itanis zu sagen. Hatten sie denn nicht vor all diesen Jahren gelernt, dass Logik ausgedient hatte, wenn es um Freundschaft, Mitgefühl … Liebe ging?

„Wer ist das denn neben Mari?“, erkundigte sich Liam.

Marc erstarrte. Er hatte sich so sehr auf Mari konzentriert, dass ihm der große, gut aussehende Mann neben ihr gar nicht aufgefallen war.

„Eric Reyes“, erklärte Brigit. „Er ist Arzt geworden. Mari und er scheinen viel zu bereden zu haben.“ Mit einem letzten gekränkten Blick setzte sie sich in Bewegung, um sich auf die Suche nach Colleen und ihrer Enkeltochter zu machen.

Aha, das also war Eric Reyes. Der zappelnde dürre Knirps, an den er sich erinnerte, hatte sich zu einem imposanten Mann ausgewachsen. Und er war Arzt geworden? Vermutlich hatte er das Geld, das ihm in dem Prozess zugesprochen worden war, in sein Studium investiert.

Marc wurde das Herz schwer, aber das hatte nichts mit diesem Prozess zu tun. Schließlich war er Staatsanwalt und stand damit vor allem auf der Seite der Opfer. Schon vor langer Zeit hatte er sich damit abgefunden, dass in Katastrophen wie der, die sein Vater verursacht hatte, der Schaden der Opfer nicht allein von der Versicherung gedeckt war. Und so war auch ein großer Teil des Familienvermögens auf Gerichtsbeschluss in die Wiedergutmachung für die Familien Itani und Reyes geflossen.

In all der Zeit war es ihm jedoch nicht gelungen, seiner Mutter seine Sicht der Dinge begreiflich zu machen. Brigit hatte das Gefühl, dass sie und ihre Kinder für das Verbrechen ihres Mannes bestraft worden waren. Dass die beiden anderen Familien vor Gericht gegangen waren, um Geld zu erstreiten, hatte sie tief verletzt. Sie hatte das Haus der Familie in Chicago verkaufen und in das Sommerhaus in Harbor Town ziehen müssen. Außerdem hatte sie einen Gutteil der familiären Ersparnisse hergeben müssen, um die Schuld ihres Mannes abzutragen.

Seitdem waren die beteiligten Familien verfeindet.

Mari selbst hatte sich nie um das Verfahren gekümmert. Ihre Tante und ihr älterer Bruder hatten sie mit nach Chicago genommen und beschützt. Achtzehn Jahre alt war sie damals gewesen. Als Marc jetzt ihr Profil betrachtete, fragte er sich zum hundertsten Mal, wie wohl ihre Sicht der tragischen Geschichte war. Ob sie auch ihm Vorwürfe machte? In dieser wilden, spontanen Nacht in Chicago hatten sie das Thema nicht berührt. Da waren sie mit anderen Dingen beschäftigt gewesen.

Er verzog das Gesicht in der Erinnerung daran. Irgendwie empfand er es als zutiefst symbolisch, dass er und Mari sich so nahe gekommen waren und jetzt voneinander getrennt auf zwei verschiedenen Straßenseiten standen. Wie die Königskinder …

In diesem Moment legte Reyes den Arm um Maris Schultern und strich ihr über die Wange. Marc erinnerte sich noch allzu gut daran, wie weich und zart ihre Haut war.

Mari und Reyes, das hatte einen gewissen Sinn. Blut war dicker als Wasser, und diese Weisheit traf vermutlich noch viel mehr auf vergossenes Blut zu. Das schweißte wohl noch mehr zusammen als die Herkunft.

Da konnte er nicht mithalten.

Er wusste nicht einmal, ob er das überhaupt wollte – nicht mehr, nachdem Mari ihn seit dieser unglaublichen Nacht ignorierte.

„Willst du mit ihr reden?“, fragte ihn Liam jetzt.

Auf Marcs Stirn erschienen Falten. „Keine Ahnung. Ich habe das Gefühl, dass sie nichts mit mir zu tun haben will.“

Liam wollte etwas entgegnen, aber ein Blick in Marcs grimmiges Gesicht ließ ihn schweigen.

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