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hier erhältlich:

Die erfolgreiche Modedesignerin Hannah O'Dowd hat sich entschieden: Mit 29 will sie endlich den Mann nach Maß! Nur: Wo findet sie in Portland ihren Traummann? Im Internet, rät Freundin Cassie. Doch schnell stellt Hannah fest: Im Netz tummeln sich nur Luschen. Wade ist schwul, Pete ein Angeber, und Tyler liebt hartes Körnerbrot. An dem beißt sich Hannah eine Plombe aus, und da kann nur noch einer helfen: der smarte Zahnarztfreund Scott. Schließt er auch die Lücke in ihrem Leben?


  • Erscheinungstag: 10.12.2012
  • Seitenanzahl: 192
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955761486
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lisa Cach

www.traummann-gesucht.komm!

Roman

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RED DRESS INK™ TASCHENBUCH

RED DRESS INK™ TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Cora Verlag GmbH & Co. KG,
Axel-Springer-Platz 1, 20350 Hamburg
Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
Dating Without Novocaine
Copyright © 2001 Lisa Cach
erschienen bei: Red Dress Ink, Toronto
Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V., Amsterdam

Übersetzung: Martin Hillebrand
Konzeption/Reihengestaltung: fredeboldpartner.network, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Titelabbildung und Autorenfoto: © by Harlequin Enterprise S.A., Schweiz
Satz: Berger Grafikpartner GmbH, Köln
ISBN 978-3-95576-148-6

www.reddressink.com

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

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1. KAPITEL

ZIERMÜNZEN UND HAUCHZARTE STOFFE

Portland, US-Bundesstaat Oregon

„Salbt eure heiligen Körperteile“, sagte Sapphire und reichte ein blauweißes, chinesisches Schälchen herum. „Dieses Rosenwasser hier habe ich hergestellt aus Blütenblättern, im heimischen Garten bei Vollmond gepflückt, auf dass die Kraft der Göttin wirksam werde.“

Ich warf Cassie, die im Schneidersitz neben mir auf einem Kissen auf dem Tanzparkett thronte, einen schiefen Blick zu. Sie trug ein knappes Top, das in einem Saum aus glitzernden, silberfarbenen Klimperscheiben unmittelbar unter ihren Brüsten endete; ihr bloßer Bauchansatz wölbte sich über den schweren, münzenverzierten Gürtel, der ihre Hüften umgab. Böse blickte sie zurück, wobei sich ihre etwas schräg stehenden, elfengrünen Augen warnend verengten.

Das Schälchen landete bei mir; das Rosenwasser, ein dunkles Burgunderrot, roch hinreichend harmlos, als ich vorsichtig daran schnupperte. Ich tunkte meinen Finger in die Flüssigkeit, tupfte sie mir wie Parfüm auf Kehle und Handgelenke und gab das Gefäß an Cassie weiter.

Andächtig benetzte sie Brüste und Schamgegend, verneigte sich anschließend mit geschlossenen Augen über dem Schälchen und bot es der nächsten Bauchtanz-Novizin dar.

„Ich wusste gar nicht, dass deine Halbkugeln heilig sind“, flüsterte ich Cassie zu, während Sapphire die Kursteilnehmerinnen zum allseitigen Erfahrungsbericht über die vergangene Woche aufforderte. „Sonst wäre ich ihnen mit gebührender Hochachtung begegnet. Müsstest du dir nicht einen teureren BH anschaffen, wenn du mit ‘nem Sakralbusen rumläufst?“

„Psst!“ zischte Cassie.

Eine wehleidig guckende Dame mit langem Haar setzte zu einem Bericht über den telepathischen Dialog mit ihrem Hund an.

„Du kriegst Flecken auf dem Stoff direkt über den Brustwarzen.“

„Gib Ruhe, Hannah! Du musst dich ihr öffnen, sonst wird sich die Göttin dir nicht erschließen.“

Zu dem Zeitpunkt hörte sich das nicht gerade nach einer allzu schrecklichen Bedrohung an. Der zehn weibliche Wesen umfassende Bauchtanz- und Göttinnenanbetungskurs hockte im Halbkreis um eine kleine Skulptur aus Terrakotta, die Figuren darstellte, welche mit ineinander verschränkten Armen eine brennende Votivkerze umringten. Genau dieses Ding wurde in einem Versandhaus-Katalog angeboten, der uns in der vorigen Woche per Post ins Haus geflattert war.

Die parapsychische Hundehalterin kam zum Schluss, und schluchzend meldete sich eine Frau mittleren Alters, bei der sich knapp fünfundzwanzig Kilo Übergewicht zwischen Rock und rückenfreies Oberteil zwängten. „Diese Woche musste mein Verlobter vor Gericht. Meine Nachbarin wirft ihm exhibitionistische Handlungen vor; sagt, er hätte in unserem Vorgarten gestanden und sich ihr in schamverletzender Weise gezeigt. Aber nackt war er nicht, und mit Absicht hat er’s schon gar nicht getan! Trug halt Damenschlüpfer und Strümpfe mit Strapsen und wollte einfach schnell die Zeitung holen, mehr nicht!“

Sapphire gab ein paar tröstende Laute von sich, während der Rest des Damenzirkels mit Gemurmel und erstaunten Ausrufen reagierte.

„Wenn die es mit der Göttin hat – wieso gibt sie sich dann mit ‘nem Perversen ab?“ fragte ich Cassie.

„Hannah!“

Ich zuckte die Achseln. So abwegig schien mir die Frage eigentlich nicht.

„Zeit fürs Mantra“, sagte Sapphire, und alle falteten die Hände senkrecht vor der Brust. Von Mantra hatte Cassie kein Wort gesagt. Ich legte die Handflächen zusammen und versuchte angestrengt, mir nicht wie beim Beten vorzukommen.

„Es sind die Gaben der Göttin“, rezitierte die Damenriege im Chor und führte die betenden Hände zu Stirn, Lippen und Herz, „zu denken, zu sprechen, zu fühlen und zu erschaffen.“ Die Fingerspitzen kehrten sich nach unten, fuhren abwärts zwischen die Schenkel und zwängten sich in den mit allerlei Flitterzeug besetzten Schritt. Die Frau mit dem Verlobten in Damenunterwäsche musste die Beine etwas spreizen, um ihre Hände unterzubringen.

Ich nahm die Finger weg. Ich wollte mit meinen Lenden nichts erschaffen, jedenfalls nicht, solange ich noch unverheiratet war. Ja, großer Gott, wozu hatte ich denn sonst die letzten elf Jahre die Pille genommen? Vermochte die Göttin nichts vorzuschlagen, das man per Hirn oder Herz erschaffen konnte? Oder mit den Händen? Hauptsache, man lässt mir meine Gebärmutter in Ruhe, zumindest, bis ich einen Ehemann geangelt hatte.

Genau aus diesem Grund nämlich tat ich mir Cassies Kombi-Kurs in Bauchtanz mit gleichzeitiger Göttinnenverehrung an.

„Kommst du mit der Göttlichen Weiblichkeit in dir in Kontakt, dann spüren die Kerle das“, hatte sie mich belehrt. „Du setzt die Energien in deinem Chakra frei und bringst sie zum Fließen. Die Männer können ihre Blicke überhaupt nicht mehr von deinem Unterleib, dem Zentrum deiner sexuellen Kraft, losreißen; die umschwärmen dich hinterher nur noch so.“

Klang nicht schlecht. Ich war neunundzwanzig, und mittlerweile war es ein halbes Jahr her, dass ich zuletzt Sex gehabt hatte. Es bestand dringender Handlungsbedarf.

Zwar war mir unerfindlich, ob die Freisetzung meines Chakras viel bringen würde, doch irgendwo im Hinterkopf taumelte ein Trugbild meiner selbst in einem Aufzug aus durchsichtigem Fummel, eine Kette aus winzigen Glöckchen um die Hüften gewunden, das Schamhaardreieck schattenhaft durch den Stoff schimmernd und über den Brüsten weiter nichts als massige, mit Klunkern besetzte Ketten. Irgendein fremdartiges, von stampfenden Rhythmen unterlegtes Gejaule ertönte im Hintergrund, während ich für meinen Mr. Right ganz privat die Hüften kreisen ließ, bis ihm vor reproduktivem Drang der Schaum vorm Munde stand.

Sapphire konnte von mir aus labern, so viel sie wollte: über Bauchtanz als Direktverbindung mit der Göttin oder als Entdeckung meines inneren Ichs; ich hatte meinen Traumtypen schon im Telekolleg gesehen. Anthropologisch betrachtet, das war mir klar, sollte das ganze Hüftkreisen einem Mann nur demonstrieren, dass ich jung und gesund genug war, um ihm Nachwuchs zu gebären.

Dagegen war auch nichts einzuwenden.

Sobald Feierabend war mit dem Göttinnen-Mumpitz und es endlich mit dem Tanzen losging, machte die Sache doch allmählich Spaß. Sapphire demonstrierte Bewegungen wie „Schlangenarme“, „Ägyptischer Gang“ oder „Lotushände“ sowie ein unnatürliches, fließendes Rollen der Bauchmuskulatur, das mir irgendwie zu liegen schien. Attraktiv sah es zwar nicht aus, aber ich wusste, es kam einem vielleicht bei Partys zupass, wenn andere mit Ohrenwackeln angaben oder sich die Beine hinter dem Schädel verknoteten. „Na schön“, konnte ich vielleicht zukünftig kommentieren, „du kommst mit der Zunge bis an die Augenbrauen. Aber das hier – kriegst du das auch hin?“ Wenn ich dann mein Hemd hob, würden sie angesichts des Wellengangs auf meinem Bauch große Augen machen. In drei versetzten Reihen standen wir einer verspiegelten Wand gegenüber und ahmten nach, was Sapphire uns vorturnte. Im Vergleich zu meinen Nachbarinnen wirkten meine Übungen ungelenk, und meine Gliedmaßen bewegten sich etwa so locker wie die eines Senators. Ich gehöre schon seit jeher zu denen, die beim Tanzen ständig aus dem Takt geraten, weil mir jedes Gefühl für Rhythmus abgeht. Konnte schon sein, dass mein Sex-Chakra blockiert war.

Am Ende der Stunde wurde das Mantra wiederholt, und als Hausaufgabe trug Sapphire uns auf, im Alltagsleben auf Kreisförmigkeit zu achten, dann endlich waren wir draußen und marschierten Richtung Auto. Sapphires Haus mit dem Tanzstudio lag am südöstlichen Stadtrand von Portland, dort, wo die Vororte allmählich in offene Landschaft übergehen, und in der frühlingshaften Abendluft ließ sich das konzertante Quaken der Frösche vernehmen.

„Wozu hatte Sapphire sich denn eigentlich diesen blauen Zierkiesel zwischen die Augenbrauen geklebt?“ fragte ich Cassie auf dem Heimweg.

„Wusste gleich, ich hätte dich besser zu Hause gelassen. Du klopfst wahrscheinlich die nächsten anderthalb Wochen deine Sprüche über den Kurs, was?“

Sie kannte mich gut. „Und was war mit den Pünktchen und Glitzerdingern neben den Augen? Ich meine nur – was sollen die denn für eine Bedeutung haben? Die sieht doch wie ‘ne Spielkarte damit aus!“

„Brauchst ja nicht mehr hinzugehen!“

„Und mein Chakra ist auch nicht lockerer geworden, glaub ich.“

„Ist sowieso nicht die einzige Blockade bei dir!“ sagte Cassie und stellte das Autoradio an, damit sie meinem Gequatsche nicht länger zuhören musste.

Völlig für die Katz war die Tanzstunde allerdings nicht gewesen. Angesichts der graziösen Sinnlichkeit, mit der die Perversen-Braut sich bewegte, hatte ich mir vorgestellt, wie sich ihr Speckbauch allmählich von einer entstellenden Bürde zu einer Art symbolischen Darstellung von Mutter Erde und deren üppiger Hingabe wandelte. Ihrem miserablen Männergeschmack zum Trotz bewies der elegante Fluss ihrer Bewegungen, dass sie sich auf eine Weise im Einklang mit sich selbst befand, die man von mir weiß Gott nicht behaupten konnte.

Das indes wollte ich vor Cassie nicht eingestehen, widersprach es doch meiner entschiedenen Abneigung gegenüber der locker-flockigen Substanzlosigkeit des New-Age-Zeitalters und gegenüber allem Vegetariertum. Und dass mir inmitten all der Damen vor der Spiegelwand aufgefallen war, dass ich weder so dick noch so groß war, wie ich mir bislang immer eingebildet hatte, das behielt ich ebenfalls lieber für mich. Ich war ein Gutteil kleiner geraten als in meiner Fantasie, und ob das etwas Negatives oder aber etwas Positives über mein inneres Selbst aussagte, entzog sich meiner Kenntnis.

Mir ging auf, dass mir der Kurs sehr wohl gefiel, ich es jedoch nicht zugeben wollte, und dass ich mit meinem Lästern anscheinend übers Ziel hinausgeschossen war. „Ich habs nicht so gemeint, Cass“, übertönte ich den Radio-Radau. Immerhin hatte ich ihre Religion verunglimpft. „Sollen wir kurz im Supermarkt vorbeifahren und uns ein Eis gönnen? Ich geb eins aus.“

„Ein ‚Cherry Garcia‘?“

„Und ‚Chunky Monkey‘ auch.“

„Ey, Spitze!“

Das war das Tolle an Cassie: Sie schnappte zwar ein, aber das hielt nie lange an, und gabs mal Schwierigkeiten, ließen die sich mit einem Klacks Eiscreme übertünchen und vergessen machen. Da konnte man durchaus an schlimmere Mitbewohnerinnen geraten, wie meine Göttin und ich sehr wohl wussten.

Ich kannte Cassie seit meinen Anfangssemestern an der University of Oregon in Eugene. Als wir uns kennen lernten, studierte sie dort bereits mit einigen Unterbrechungen seit vier Jahren und behauptete scherzhaft, sie verfolge einen Fünfjahresplan, der dann um ein Jahr aufgestockt werden musste. Zu guter Letzt hatte sie schlichtweg aufgegeben, so zu tun, als wolle sie doch noch ihr Diplom in Soziologie erwerben, hatte stattdessen ihre Talente in den Duftkerzenverkauf eingebracht, den ihr Freund betrieb, und von Stund an Samstag für Samstag in ihrem Verkaufsstand auf dem Flohmarkt von Eugene gesessen, umgeben von Kerzen in allen Variationen und vertieft in ein Buch mit dem Titel „Wie nutze ich meine Intuition?“. Rechts von ihr hatte sich eine Räucherstäbchen- und Weihrauchbude befunden, und zur Linken wurden kleine Messingfiguren verkauft, Drachen, Zauberer mit Kristallkugeln und solches Zeug.

Als ihr Freund dann in fremden Revieren zu wildern begann, zog Cassie nach Portland und suchte sich dort einen Job hinter der Theke des „Shannon’s Pub“, dem sie seitdem regelmäßig nachging. Zuweilen ließ sie sich Broschüren über berufliche Fortbildungsprogramme kommen, die anschließend monatelang verstaubt und voll gekrümelt auf dem Kaffeetischchen herumlagen, bis ich die Dinger dann während einer unserer sporadischen Putzattacken fragend hochhielt und sie, da Cassie nur achtlos die Achseln zuckte, in den Papiercontainer feuerte.

Ja, sie ließ ihre Hüften zu wilden, fremdartigen Trommelwirbeln kreisen, die liebe Cassie, und ich wusste nicht recht, ob man sie deswegen bewundern oder ihr lieber wünschen sollte, sie möge endlich erwachsen werden und die Realitäten der Welt zur Kenntnis nehmen – so wie wir anderen auch.

Na ja, zumindest wie die meisten von uns. Sapphire oder diese Schrulle, die auf parapsychologische Tête-à-Têtes mit ihrem Hundevieh abfuhr, die residierten wohl in gänzlich anderen Gefilden.

Als wir uns später am gleichen Abend vor dem Fernseher auf dem Bett lümmelten und unser Eis löffelten, da entschlüpfte mir eine Frage, die ich mir um jeden Preis hätte verkneifen müssen. Lag es vielleicht an diesem Bauchtanzkurs, dass sie überhaupt aufkam. Ich weiß es nicht.

„Bist du eigentlich glücklich, Cass?“ fragte ich, just als auf dem Bildschirm eine Blondine mit ultraweißem Lächeln eine Zahnpastatube präsentierte.

Sie fixierte mich mit ihren schönen, schrägen Augen, die das Flimmern des Fernsehers im halbdunklen Wohnzimmer deutlich widerspiegelten. „Glücklich? Wie meinst du das? Jetzt? In diesem Moment?“ Ihr Löffel verharrte bewegungslos über ihrem Kirscheis.

„Ob du zufrieden bist mit deinem Leben und damit, wie es so verläuft. Wolltest du als Erwachsene dort sein, wo du jetzt stehst? Hast du dir das so vorgestellt?“ Ich hatte das Gefühl, als schwinge in meiner Frage eine Verurteilung mit, als stünde für mich bereits fest, dass sie nicht den richtigen Schwung, nicht den Ehrgeiz an den Tag legte, den man von einer Amerikanerin, die was auf sich hielt, erwarten durfte. Aber die Frage zielte eigentlich gar nicht so direkt auf sie, und das spürte sie auch.

„Bist du denn nicht glücklich?“ fragte sie mich, und wenn’s tatsächlich die Göttin gab, dann schien sie mich jetzt voll unendlichem Mitgefühl durch Cassies Augen zu mustern.

Ich merkte, dass mir zu meiner Überraschung Tränen aufstiegen, worauf ich meine Lippen, die plötzlich zu beben begannen, fest zusammenpresste.

„Ach herrje, Mäuschen“, sagte Cassie, während der Soundtrack zu Akte X im Hintergrund losdudelte. „Wird schon wieder. Du setzt dich einfach zu sehr unter Druck. Das ist es!“

„Aber …“, schluchzte ich los, als das heulende Elend schwarz und aus tiefster Finsternis in mir hochkroch und mir das Eis in der Hand nur ein kalter, leerer Trost war. „Aber es gibt doch noch so vieles, das ich …“

„So vieles, das du mittlerweile eigentlich haben wolltest? Ehemann, Kinder, Allradkombi, Golden Retriever? Haus draußen in den Hügeln?“

„Keinen Allradkombi, ‘nen Volvo!“

„Mensch, Hannah, dich durchschaut man auf Anhieb“, sagte Cassie, wobei ihr leicht sardonischer Ton etwas Tröstliches ausstrahlte. „Jeder meint, er müsse sich so was wünschen, aber ich glaube, du willst diese Dinge gar nicht. Jedenfalls nicht wirklich.“

„Doch! Besonders ‘nen Mann!“

„Wenn du so weit wärst, hättest du längst einen. Vielleicht machst du augenblicklich genau das, was du machen sollst.“

Ich senkte den Blick auf mein „Chunky Monkey“-Eis. „Meinst du wirklich?“

„Deine Näherei, die liegt dir vornehmlich am Herzen. Deswegen bist du ja zuallererst überhaupt hier rauf nach Portland gezogen. Darauf solltest du dich konzentrieren und den Rest dem Universum überlassen. Das wird es zu gegebener Zeit schon erledigen.“

Hätte ich mich bloß wie sie darauf verlassen können, dass sich alles schließlich zum Guten wendete! Dieses Gottvertrauen schien ihr so leicht, so natürlich zu erwachsen. Dass Cassie sich mal über irgendetwas Sorgen machte, das sah man nie. „Könnte ich nicht ein bisschen von dem Rest sofort kriegen? Einen Freund beispielsweise?“ fragte ich.

„Der wird kommen, wenn du bereit bist.“ Sie lächelte. „Und bis dahin hast du ja David Duchovny.“

Ich starrte auf die Mattscheibe, wo sich gerade Mulder und Scully in einer Wiederholung kabbelten, und zog schniefend die Überbleibsel meines triefenden Selbstmitleids hoch. „Auf den kann ich verzichten.“

„Wieso? Ich nähme ihn sofort.“

„Der lächelt ja nie!“ klagte ich.

„So ‘n Typ soll ja auch nicht grinsen, wenn er sich deine Beine über die Schultern faltet! Aber unheimlich ist es schon!“ Sie schüttelte sich, worauf ich auflachte und froh war über den Themen- und Stimmungswechsel.

„Wenn man sich vorstellt, wie die sonst immer gucken, kann das auch nicht viel schlimmer sein.“ Ich drückte die Augen fest zu, stöhnte, als hätte ich starke Schmerzen, und keuchte gepresst. „Ich komme! Ich komme! Gleich, gleich … kann ich kommen? Soll ich jetzt?“

„So was fragen die dich?“

„Jedenfalls einer von meinen Ehemaligen.“

„Hast du’s ihm denn erlaubt?“ fragte Cassie.

„Kam drauf an, wie lange er schon zugange war. Von einem bestimmten Zeitpunkt an lag mir nur noch daran, dass er’s endlich hinter sich brachte. Da kriegte ich nämlich schon Bammel vor ‘ner Harnleiterentzündung.“

Cassie verzog schmerzlich das Gesicht, und ich wusste, unser beider Gedanken galten dem bislang ungeöffneten Preiselbeersaft, den wir für Notzeiten im Schrank horteten.

„Hat womöglich sein Gutes, deine Sex-Chakra-Blockade“, meinte Cassie.

„Da könntest du Recht haben.“

2. KAPITEL

BAHNENRÖCKE MIT BILDER-SAUM

Am Dienstagabend kauerte ich bis an die Knie in Kleidern für Brautjungfern, während meine Nähmaschine hurtig die Nähte rauf- und runterratterte. Als selbstständige Näherin und Schneiderin fertige ich auf Bestellung und betreibe meinen eigenen Abhol- und Liefer-Service.

Ein halbes Jahr zuvor hatte ich noch in Eugene gewohnt und dort in einer Änderungsschneiderei gearbeitet. Mit meinem Magister-Abschluss in Geschichte konnte ich wahrscheinlich ebenso wenig anfangen wie Cassie mit ihren Soziologie-Seminaren, doch das war mir schnuppe, denn ich hatte festgestellt, dass mich in historischer Hinsicht lediglich die Analyse der Kleidung auf alten Gemälden wirklich faszinierte. Die Französische Revolution interessierte mich weitaus mehr wegen ihrer Auswirkungen auf die Mode denn auf die Aristokratie Frankreichs, auch wenn beide untrennbar miteinander verwoben waren. Jede meiner Geschichtsklausuren mit der Möglichkeit einer Themenwahl hatten sich so oder so mit Mode befasst.

Nachdem mein Hin-und-wieder-Lover nach zwei Jahren endgültig abserviert war, hatte ich in Anlehnung an eine Seite in Cassies Lebensbuch meinen Umzug beschlossen und mich in Portland niedergelassen. Von Eugene mit seinem verkniffenen Tofu-Gemampfe und seiner Knüpfbatik hatte ich die Nase voll, und für andere zu schuften, das reichte mir auch allmählich. Die Änderungsschneiderei hatte schon auf Grund des gewaltigen Arbeitsanfalls Aufträge ablehnen müssen; daher ging ich mit einiger Sicherheit davon aus, dass es in Portland, wo die Leute bei ihren Klamotten tatsächlich noch Wert auf Passform legten, genug zu tun für mich gab. Um meinen Laden von anderen abzuheben, wollte ich für Textilien und andere Näharbeiten einen Abhol- und Bringedienst anbieten, was mich gleichzeitig von der Befürchtung befreite, ein Kunde könne auf meiner Treppe ausrutschen und sich langlegen und mich deswegen vor den Kadi zerren.

Gott sei Dank fahre ich gerne Auto. Seit ich in Portland wohne, hat mein Schlitten schon zehntausend Meilen mehr auf dem Tacho.

In den ersten paar Monaten kam ich mit Ach und Krach hin, wobei meine gesamten Ersparnisse draufgingen: das Auto abstottern, Sprit, Versicherung, und dann jene lästige kleine Sollsumme auf dem Kreditkartenkonto, die gleich einem Virus an meinen Finanzen fraß und nie so richtig verschwand. In den letzten Wochen allerdings hatte ich, was die Näherei betraf, den kritischen Punkt überschritten, und allmählich gab sich die Kundschaft die Klinke in die Hand. Zwar verdiente ich mehr als seinerzeit in der Änderungsschneiderei, war dafür allerdings nicht sozialversichert und besaß keinerlei Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Da verfiel man durchaus ins Grübeln, welche Anschaffung wichtiger war: Krankenversicherung oder Säumer.

Mein Atelier lag unterm Dach des 1920 errichteten, stuckverzierten Häuschens, das ich gemeinsam mit Cassie bewohnte. Da ich zwei Zimmer beanspruchte und sie nur eins, bastelte ich ihr alle vier, fünf Wochen ein neues Bauchtanzkostüm oder irgendwas für ihre Bude, eine Steppdecke etwa oder Sitzkissen. Diesen Monat sind Gardinen angesagt, und zwar aus einem hauchdünnen orientalischen Stoff, den sie bei einem Bauchtanz-Festival erstanden hatte. Ich würde ihr Glöckchen unten dranhängen, nur so aus Jux. Wenn der Wind über die Vorhänge streicht, fangen die Dinger ganz sacht an zu bimmeln. Cassie steht auf so was.

Ich guckte auf die Uhr und verzog das Gesicht. Schon sieben! In einer halben Stunde sollte ich eigentlich im „San Juan’s Mexican Restaurant“ aufkreuzen, wo ich mit Cassie, Louise und Scott zum Dinner verabredet war, denn es gab etwas zu feiern: Die psychologische Notfall-Hotline hatte Louise endlich von der Nachtschicht befreit und in die Tagesschicht versetzt. Sie arbeitete dort seit zwei Jahren, und die bescheuerten Schlafzeiten sowie der damit verbundene Wegfall jeden gesellschaftlichen Lebens hatten sie an den Rand einer klinischen Depression getrieben. Louise wusste, wovon sie redete; als Psychologin schlug sie sich schließlich mit seelisch Angeknacksten ganze Nächte um die Ohren.

Ich streifte das Jäckchen, das ich gerade in der Mache hatte, über einen Kleiderbügel, hängte es neben die anderen Sachen auf einen Ständer und musterte das gesamte Arrangement mit kritischem Blick. In dem ehrlichen Bemühen, die Brautjungfern in auch nach der Hochzeit noch tragbare Garderobe zu kleiden, hatte die Zukünftige für ihre Freundinnen lauter Kostümchen à la Jackie Onassis in neutralem Bleu ausgesucht, gottlob also einigermaßen Geschmack bewiesen, und auf abscheuliche Schleifen am Po oder auf Taft und ärmellose Kleider, die schlaffe Oberarme enthüllten – verzichtet. An sich war die Idee nicht schlecht. Nur befürchtete ich, dass die Jungfern, wenn sie in einer Reihe standen, eher wie ein Trüppchen Stewardessen aus den sechziger Jahren wirken könnten. Fehlte nur noch die Messingnadel am Revers sowie das runde Hütchen, und die Festgesellschaft hätte womöglich glatt angenommen, die Mädels müssten während des Hochzeitsmarsches mit Erdnusspäckchen statt mit Blütenblättern um sich werfen.

Ich zuckte die Schultern. Das war nicht mein Problem. Sollten die Kunden entscheiden, was sie wollten – diesen Grundsatz hatte ich schon lange intus. Dazu waren die Geschmäcker viel zu verschieden, als dass ich für Hinz und Kunz die Modeberaterin hätte spielen können, womöglich noch auf der Grundlage meiner begrenzten Präferenzen.

Blaue Fäden und allerlei Fusseln klebten mir an der vom langen Sitzen total zerknitterten Hose wie Farbe an einer abstrakten Arbeit von Jackson Pollock. Ich zog sie aus und streifte einen kurzen, maßgeschneiderten Rock aus grauer Ripsseide über. Mittlerweile verfügte ich über sechzehn Röcke von exakt identischem Schnitt, alle aus diversen Stoffresten ehemaliger Nähaufträge. Darüber trug ich einen hellblauen, kurzärmeligen Kaschmirpullover mit rundem Ausschnitt, den ich bei Nordstrom für 24 Dollar im Sonderangebot abgestaubt hatte. Das Loch in der Achselnaht, auf Grund dessen das teure Stück auf den Ständer mit der herabgesetzten Ware degradiert worden war, hatte ich kunstgestopft. Das Schnäppchen brachte den Blauton in meinen blaugrauen Augen zur Geltung und hatte sich zu meinem liebsten Kleidungsstück gemausert.

Ich legte winzige kristallene Ohrclips an und fuhr rasch mit der Bürste durch meinen auf Kinnlänge gestutzten Pagenkopf, gegenwärtig in einem weichen Honigblond getönt, dunkler als die superblondierten Zöpfchen, die mich noch in Eugene geziert hatten. Nicht bloß mein Boyfriend war passé, sondern mit ihm auch mein langes Haar. Ich hatte mich in meinem Frisiersalon in einen Sessel gepflanzt und nach einer Frisur verlangt, die eine gewisse Anziehungskraft auf akademisch gebildete Freiberufler mit Heiratsgelüsten ausüben würde und nicht, wie bisher, auf die arbeitslosen Idioten, die mir gemeinhin nachstellten. Ich habe ohnehin nie begriffen, wieso die Kerle, die das Wenigste zu bieten haben, die Frauen immer am ungeniertesten anmachen.

Bislang war mein neues Styling in Bezug auf Männer, die noch zu haben waren, zwar erfolglos geblieben, aber die trüben Tassen, die zumindest ließen mich in Frieden. Nach Louises Dafürhalten war’s mein neuer, entschlossener Blick, der die Versagertypen abschreckte, und nicht etwa die Frisur. Hoffentlich erklärte das nicht auch den Mangel an Männern mit guten Jobs.

Bei meiner Ankunft saßen Scott und Louise bereits wartend und Kartoffelchips knabbernd auf einer Bank im Foyer des Lokals. Musste man länger als zehn Minuten auf einen freien Tisch warten, teilte die in traditionelle Schürzen gekleidete Bedienung ganze Beutel von dem Zeug aus – einer der Gründe, warum der Laden zu unseren bevorzugten Lokalen gehörte.

„Hannah!“ rief Louise und rutschte ein wenig zur Seite, um mir auf der Bank Platz zu machen. „Wo steckt Cassie denn?“

„Keine Ahnung. Wird schon eintrudeln. Hi, Scott!“

„Hi“, sagte er und begrüßte mich mit seinem üblichen sympathischen Lächeln. Scott war zu Oberstufenzeiten auf der High School in beiderlei Hinsicht der Erste für Louise gewesen, also erste Liebe und „erstes Mal“, doch als Liebespaar hatten sie das erste Studienjahr am College – Scott in Cornell, Louise an der University of Oregon – nicht unbeschadet überstanden. Freunde waren sie trotzdem geblieben, und seit Cassie und ich uns nacheinander in Portland angesiedelt hatten, zählte Scott ebenfalls zu unserer Clique.

Zwischen Louise und uns bestand eine stillschweigende Übereinkunft: Sie teilte Scott zwar freundschaftlich mit uns, hätte es aber sowohl Cassie als auch mir ziemlich übel genommen, wenn wir mehr von ihm gewollt hätten. Ich konnte es ihr nicht verdenken – die Vorstellung, mein erster Lover könnte mit Cassie oder Louise in die Kissen krabbeln, ließ mich erschauern.

Auf Grund dieser Geschichte, die zwischen Scott und mir gleichsam das Schwert auf dem Laken symbolisierte, konnte ich tatsächlich unbefangener mit ihm umgehen als mit der noch freien Männerwelt. Scott war groß gewachsen, und mit seinem dunklen Haar, dem leicht jungenhaften Gesicht sowie dem Grübchen im Kinn nicht unattraktiv. Ab und an unterstützte ich ihn beim Klamottenkauf, und bei schönem Wetter gingen wir schon mal gemeinsam wandern.

„He, Scott, kennst du den?“ fragte ich, wobei ich mich vorlehnte und ihn um Louise herum anguckte.

Er ächzte. „Du und deine Uralt-Witze! Hab ich alle tausendmal gehört!“

„Aber dieser ist ein Limerick!“

„Bitte, verschon mich.“

„Lass hören!“ sagte Louise, und ihre braunen Augen glitzerten in ihrem sommersprossigen Gesicht. Sie frotzelte nahezu genau so gern wie ich wegen Scotts Berufs.

„Okay, pass auf:

Es zeigte ein Zahnmediziner

Einer Miss sich als schlimmer Schlawiner.

Er füllte der Miss

Nicht nur das Gebiss,

Und nun hat ‘nen Zahlungstermin er.

Louise lachte, doch Scott schlug die Hände vors Gesicht und schüttelte den Kopf. „Der ist ja älter als George Washingtons Gebiss“, jammerte er. „Diesen fußkranken Humor höre ich mir schon in der Praxis den lieben langen Tag an. Wieso gehst du mir noch nach Feierabend mit diesem Schwachsinn auf den Geist?“

„Weil Zahnärzte Strafe verdient haben. Allesamt Bösewichte.“

Louise legte mir die Hand aufs Knie und tat so, als musterte sie mich mit Therapeutenblick. „Da spüre ich ein schweres Kindheitstrauma, Hannah. Aber hier bist du sicher. Hier kannst du dich aussprechen.“

„Erinnerungen, doch Fetzen, Blitze nur, ein Mann in weißem Kittel, das Jaulen des Bohrers … Nein! Nein!“

„Sie hat ihre Erinnerungen verdrängt“, sagte Louise zu Scott gewandt. „Wir müssen es mit Hypnose probieren. Diese Frau hat tiefe seelische Wunden davongetragen. Deine Gegenwart bereitet ihr offenbar großen Seelenschmerz.“

Scott wollte gerade antworten, als Cassie hereingefegt kam, eingehüllt in eine Duftwolke aus Patschuli und Sandelholz, die vorübergehend sogar den Restaurantgeruch nach Chili und Pfeffer überdeckte. „Sorry, hat ‘n bisschen gedauert. Training lief etwas länger als sonst.“ Cassie gehörte einer halbprofessionellen Bauchtanztruppe an, deren erster öffentlicher Auftritt in einigen Wochen stattfinden sollte.

Louise winkte ab. „Unser Tisch ist sowieso noch nicht frei.“

In dem Moment rief die Hostess, ein blutjunges Ding noch, Louises Namen, und wir folgten, Cassie und Louise vorweg, danach Scott und ich, im Gänsemarsch ihrem schwingenden, orangefarbenen Faltenrock mit rosafarbenen Mustern auf dem Saum ins Innere des Lokals.

„Hab ich euch schon von dem japanischen Austauschstudenten von voriger Woche erzählt, der zehn Jahre keinen Zahnarzt aufgesucht hatte?“ fragte Scott. „Bei dem war ein Backenzahn geborsten, und der Nerv lag frei. Ich musste …“

„Nicht! Hör bloß auf!“ rief ich und hielt mir die Ohren zu. Berichte von dentalen Desastern konnte ich noch schlechter ertragen als Storys, in denen man jemandem die Augen rausholte. Auf diese Weise allerdings revanchierte Scott sich gemeinhin für meine Dentistenwitze: Seine fiesesten Fälle bildeten in ihren unerträglichen Einzelheiten die Basis meines Martyriums. Ich glaube, er hatte keine Ahnung, wie real meine Angst vor dem Zahnarzt trotz allem Schabernack war.

Dabei war mir betäubt unter dem Bohrer bislang überhaupt nichts wirklich Grauenvolles passiert: Kein versehentliches Ziehen des falschen Zahns, keine Reinlichkeitsfanatikerin, deren Metallschaber abglitt und mir die Wange durchstieß, keine Erstickungsanfälle bei den Zahnaufhellern aus speichelproduzierendem Fluorid, die ich als kleines Mädchen verpasst bekam.

Wahrscheinlich hatte ich einfach mein Leben lang eine irrationale Angst konserviert: Vor dem Geschmack des Mittels zur örtlichen Betäubung, ehe die Novocain-Spritze in den Gaumen jagte, vor den winzigen Zahnkrümeln, die man nach dem Bohren und nach der Füllung ausspuckte.

Ich ging also ausgesprochen ungern zum Zahnarzt; Zahnärzte konnte ich aus Prinzip nicht ausstehen, und in Ermangelung einer Krankenversicherung durfte ich mich bei relativ geringen Gewissensbissen dem angenehmen Gedanken hingeben, dass Zahnarztbesuche auf längere Sicht meine finanziellen Möglichkeiten überstiegen.

Wir gaben unsere Bestellungen auf und taten uns zunächst an einer frischen Tüte Chips mit zwei verschiedenen Dips sowie Unmengen an Diätsoda gütlich. Außer Scott, denn der strampelte Tag für Tag an die sechzig Kilometer auf dem Rad ab und brauchte sich um die Abmessungen seiner Hüften keine Sorgen zu machen. Der verschmähte das Diätgetränk zu Gunsten eines Dos Equis.

„Kanns kaum fassen, dass mein Leben jetzt normal wird“, sagte Louise und ließ ihren Trinkhalm geräuschvoll über den Grund ihres mit Eiswürfeln gefüllten Glases gurgeln. Scott hielt einen vorbeikommenden Kellner an und gab ihm Louises leeren Becher zum Auffüllen mit. „Mein Leben wird sich nicht länger ausschließlich ums Schlafen drehen! Ich kann abends ausgehen, ich sehe an den Wochenenden die Sonne. Ich hab sogar schon die Decken von den Fenstern entfernt!“

„Du bist wie ‘ne Pflanze, die wachsen will“, sagte Cassie. „Warst zu lange im Dustern und schon langsam am Vergilben!“

„Genau!“ Louise hielt uns ihre blassen, sommersprossigen Arme hin. „So sieht doch kein gesundes menschliches Wesen aus! Mit dem Teint!“

„Jetzt darfst du dich aber vor keinen Dates mehr drücken“, sagte ich.

Louise presste die Lippen zusammen. „Ich habe da so einen gewissen Jemand im Auge.“

„Wie lange ist es jetzt her, dass du mit dem Intel-Knilch Schluss gemacht hast?“ wollte ich wissen.

„‚Schluss machen‘ würde ich das nicht nennen. Bin ja bloß ein paar Mal mit ihm ausgegangen. Ergibt doch noch keine Beziehung, so was.“

„Aber wie lange ist es her?“ forschte ich weiter.

„Drei Monate in etwa. Ich bin nicht scharf auf ‘nen zweiten Durchgang. Techniker liegen mir nicht – scheint mir ein grundsätzlicher Persönlichkeitskonflikt zu sein. Die sind alle der Typ erfahren-denken, ich dagegen bin eher intuitiv-emotional, wie Cass. Aber klar, die Kerle, die noch zu haben sind, die sitzen in der Computerbranche. Wie das wohl kommt?“

„Ist nun mal in dieser Gegend ein führender Industriezweig“, erklärte Scott. „Ergo gibts auch jede Menge Computerspezialisten.“ Wir guckten ihn giftig an. Zuweilen kapierte er den wahren Kern eines Gesprächs einfach nicht.

„Ach was“, widersprach Louise. „Es kommt daher, dass außer denen keiner mehr Single ist. Und das wiederum liegt an ihrer emotionalen Entwicklung – beziehungsweise der nicht vollzogenen. Allesamt Oberlangweiler, die ihr ganzes Streben und Trachten dem Studium von Dingen statt von Menschen widmen.“

„Solche Schnarchsäcke bieten auch Vorteile“, sagte ich. „Im Allgemeinen sitzen die in guten Jobs und behandeln dich ordentlich, weil sie froh sind, dass sie dich haben.“

„Hattest du denn schon mal was mit so einem?“ fragte Scott.

„Nö, eigentlich nicht.“

„Dachte ich mir. Wäre offensichtlich nicht dein Typ“, behauptete er.

„Welche sind denn mein Typ?“

„Was weiß ich? Bisschen mehr Pep.“ Er machte große Augen. „Schärfer!“

Ich musste kichern. „Ja, klar! Langmähnige, tätowierte Muskelprotze. Motorradrocker ohne Helm. Rüpel und Dumpfbacken, die sich zusammenrotten müssen, weil sie anders die Miete für ‘ne Bruchbude im Nordwesten der Stadt nicht aufbringen. Zu stumpfsinnig zum Rasenmähen. Wählen gehen die wahrscheinlich auch nicht. Die wären richtig für mich.“

„Hannah, Schätzchen“, sagte Louise, „ich kenne nicht eine einzige Frau, die auf Männer steht, die Haus und Hof vernachlässigen.“

„Und lange Haare wirken nur in der Fantasie toll“, entgegnete ich. „Im echten Leben erkennt man daran einen, der seine Karre verscheuern muss, um die Monatsmiete zusammenzukratzen.“

„Ich finde Typen mit Mähne klasse“, widersprach Cassie. „Müssen auch nicht unbedingt Nieten sein. In meinem Yogakurs gibts welche, die sind emotional echt gut drauf. Einer von denen ist sogar Englischdozent an der Uni. Auf mich wirken lange Haare sexy.“

Ich blickte zu Scott und malte mir aus, wie er mit langen Haaren aussehen würde, die dichte Mähne am Hinterkopf straff zu einem Pferdeschwanz gebunden, während er in seinem bläulich-grünen Ärztekittel in der Praxis herummarschierte. Im Grunde keine unsympathische Vorstellung, aber komisch trotzdem.

Er merkte, wie ich ihn musterte. „Ist was?“ fragte er.

„Nö.“

Unsere Bestellungen wurden serviert – gefüllte Fajita tablettweise, alles gefährlich dampfend und brutzelnd. Für einige Augenblicke richteten sich alle Gedanken auf Tortilla und saure Sahne, und jeder war mit Füllen und Rollen beschäftigt. Beim ersten Bissen merkte ich, wie die Fajitasoße unten aus der Rolle sickerte und mir über die Finger rann.

„Ich sehe überhaupt nicht ein, wieso einzig und allein ich so dämlich sein und anfangen soll, mich mit Kerlen zu treffen“, murrte Louise, nachdem wir allesamt die ersten kritischen Bissen geschluckt hatten. „Von euch machts nämlich keiner! Ihr projiziert die ganze Chose auf mich.“

„Ich versuch es ja“, sagte ich. „Und wie ich es versuche! Nur finde ich offenbar nichts Passendes!“

„Ihr Sex-Chakra ist blockiert“, verkündete Cassie.

„Wie war das?“ fragte Scott, und seine ordentlich gewickelte Fajitarolle verharrte reglos auf halbem Weg zum Mund.

„Mein Sex-Chakra“, sagte ich, lehnte mich zurück und deutete mit dem Finger auf die Stelle kurz unterhalb meines Bauchnabels. „Cass hat versucht, mich bei der Freisetzung meiner sexuellen Energie zu unterstützen, und mich zu einem Bauchtanzkurs mitgeschleppt.“

„Männer merken, wenn die Göttliche Weiblichkeit in einer Frau erwacht“, sagte Cassie.

„So?“ fragte Scott.

„Sollte ich vielleicht auch mal versuchen“, warf Louise in die Runde, ohne jemanden anzusprechen.

„Wenn du dich ebenfalls nie verabredest“, sagte Cassie zu Scott, „dann könnte auch dein Sex-Chakra blockiert sein.“

„Aber zum Bauchtanz kriegen mich keine zehn Pferde.“

„Für Männer kenne ich sowieso nicht die richtigen Tanzbewegungen“, sagte Cassie. „Die Energien sind andere. Aber es heißt, viel Flüssigkeitszufuhr soll helfen, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Spült einen so richtig durch.“

Offenbar war Wasser nicht nur bei herkömmlicher Verstopfung hilfreich, sondern auch bei emotionaler. Doch da wir gerade aßen, hütete ich mich, dies laut auszusprechen, bemerkte aber, wie Scotts Lippen leicht zuckten. Ganz kurz trafen sich unsere Blicke, und ich wusste, er dachte das Gleiche.

„Wo soll man denn heutzutage überhaupt noch jemand kennen lernen?“ fragte Louise. „In Kneipen will ich nicht, und jemanden treffen, der andauernd in Kaschemmen nach Frauen Ausschau hält, erst recht nicht. Nach allgemeiner Expertenansicht solls ja durch Vermittlung von Eltern oder den Freundeskreis klappen, aber meine Eltern kennen keinen im passenden Alter; hab mich schon erkundigt. Wenn’s hochkommt, verweisen sie einen auf den Sohn irgendeines Bekannten – fünfundzwanzig und ultra-christlich. Und ihr, ihr seid auch keine große Stütze. Wenn ihr ‘nen Junggesellen auftreibt, dann krallt ihr euch den selber.“

„Ich nicht“, sagte Scott.

„Du solltest mir doch eigentlich einen vorzeigbaren Zahnarzt besorgen. Wo bleibt der denn?“ fragte Louise.

„Alle unter der Haube“, sagte er. „Und im Übrigen sind die gar nicht dein Typ. Du brauchst doch jemand mit der Bereitschaft, mit dir nächtelang über die Traumdeutung bei Jung zu diskutieren, nicht einen, der lieber im Bötchen an Sauvie’s Island vorbeizockelt und ‘nen Blick auf sonnenhungrige Nudisten riskiert.“

„Verbringt ihr Zahnklempner mit so was eure freien Tage?“ fragte ich.

„Es sei denn, wir polieren unsere Porsches oder hängen in Szenekneipen rum.“

Eine Weile verschlug es uns die Sprache, und wir brüteten über dem ewigen Kind im Manne, während Scott sich die zweite Fajita wickelte.

„Im Grunde kann die Lage doch gar nicht so hoffnungslos sein, wie sie scheint“, sagte ich schließlich. „Selbst wenn aus einer Million Männer nur einer der Richtige für uns wäre, leben doch … wie viele? … zwei Millionen Einwohner im Großraum Portland. Ergo eine Million Männer, und einer von denen muss dann ja perfekt passen. Für jede von uns einer. Und für dich eine Frau, Scott. Die warten geradezu auf uns – wir brauchen sie bloß aufzutreiben.“

„Man kanns nicht erzwingen“, warf Cassie ein. „Das Universum …“

„Ich hab keinen Bock zu warten, bis das Universum in die Puschen kommt. Am 6. September werde ich dreißig. Das sind nur noch vier Monate. Bis dahin will ich verlobt sein“, sagte ich mit Nachdruck, weil sich meine gesamte Existenzangst von neulich Abend auf diesen einen Aspekt fokussierte. Es schien, als könne eine solche Erklärung die ganze Unsicherheit wegwischen, die Besorgnis darüber, wie meine Zukunft aussehen könnte. Es änderte zwar nichts, aber es gab mir das Gefühl, als hätte ich die Sache unter Kontrolle – und sei es nur zum Schein. „Ich will doch nicht dreißig werden und noch immer keine Ahnung haben, wen ich mal heirate.“

„Hannah“, sagte Louise im Tonfall der engagierten Beraterin, „wenn man die Ehe eingeht, nur weil man meint, man habe das Alter, dann beschwört man die Katastrophe regelrecht herauf.“

„Also, ich steh ja nicht kurz davor, mir den nächstbesten Knallkopf von der Straße zu fischen. Wenn ich mir einfach irgendjemanden andrehen ließe, dann gäbs ein Problem. Nein, ich habs auf meinen Mr. Right abgesehen, auf meinen Jackpot, der unter einer Million Männer im Umkreis von fünfunddreißig Kilometern sitzt, während wir hier reden. Und dann ist es alles andere als ein Fehler.“

„Was findet ihr eigentlich so Besonderes daran, dass ihr dreißig werdet?“ fragte Scott.

Alle drei guckten wir ihn an. Das sah einem Mann mal wieder ähnlich.

„Also, als ich dreißig wurde, da wurde mächtig gefeiert. War spitze – wisst ihr doch, ihr wart ja selber da. Okay, ein bisschen angejahrt kam ich mir durchaus vor, aber auf keinen Fall hab ich mir den Kopf zerbrochen wegen Heiraten und so.“

„Ticktack, ticktack“, sagte ich.

Er verstand offenbar nur Bahnhof.

„Die biologische Uhr“, sagte ich. „Die tickt vor sich hin. Ihr Kerle könnt Kinder fabrizieren, bis euer Viagra alle ist, aber für uns gelten gewisse Zeitlimits.“

„Heute werden die Frauen noch weit jenseits der vierzig schwanger …“

„Ich glaube kaum, dass eine von uns Wert darauf legt, die Rente zu beantragen, während unsere Sprösslinge gerade mit der Schule durch sind“, erwiderte ich. „Ich möchte jedenfalls nicht befürchten müssen, dass mein Herr Gemahl beim Basketballspielen mit meinem Filius vom Herzinfarkt hinweggerafft wird. Ich will auch nicht, dass die Leute mich für die Oma meiner Tochter halten. Ich stehe beruflich auf eigenen Füßen, arbeite, wann und wie ich will, verdiene mein eigenes Geld. Nun will ich ‘nen Mann und Familie. Höchste Zeit, egal, ob das Universum mitspielt oder nicht, und die Sache wird jetzt in Angriff genommen.“

„Heiliger Bimbam, Hannah, du hörst dich an, als stündest du unmittelbar vor einem Feldzug“, sagte Scott.

„Die Liebe findet man so jedenfalls nicht“, beharrte Cassie.

„Da hat sie Recht“, pflichtete Louise bei. „Keine Ahnung, ob das Universum den richtigen Zeitpunkt erkennt, aber die Kerle kriegen mit, wenn man kurz vor der Torschlusspanik steht, und dann geben sie Fersengeld. Was, Scott?“

„Das ist dasselbe, als stünden drei streitsüchtige Brüder angetrunken mit der Schrotflinte hinter dir.“

„Aber ich hab doch gar keine Torschlusspanik“, sagte ich. „Ich plane. Das Universum hilft denen, die sich selbst helfen. Soll ich etwa davon ausgehen, dass der Typ irgendwann urplötzlich vor der Tür steht? Wollt ihr denn etwa nicht alle euer Herzblatt finden?“

Stille senkte sich über den Tisch, eine Ruhezone inmitten des im Lokal herrschenden Stimmengewirrs und Geschirrgeklappers.

„Sicher, klar, finden will ich den schon“, sagte Louise schließlich. „Nur wie?“

„Darüber werde ich mir mal Gedanken machen.“

3. KAPITEL

KOPFTUCH NACH ZIGEUNERINNENART

„Na? Fleißig?“ fragte Robert und packte mir eine ganze Ladung Hosen und Jacketts zum Kürzen und Säumen auf die Arme. Robert arbeitete als Verkäufer bei Butler & Sons, einem exklusiven Sportbekleidungsgeschäft, von dem ein Großteil meiner Änderungsaufträge stammte. Er war sechs Jahre älter als ich, groß und leicht übergewichtig, und sein frisches Gesicht begann stets zu strahlen, kaum dass ich den Laden betrat. Allem Anschein nach, so mein Verdacht, hatte er es auf mich abgesehen, doch der Gedanke an ein Date mit einem als Verkäufer stecken gebliebenen Mittdreißiger riss mich nicht eben vom Hocker. Attraktivität, das hieß bei mir Ehrgeiz und Selbstbewusstsein, und Robert verfügte weder über das eine noch das andere.

Aber womöglich fuhr er gar nicht so sehr auf mich ab, sondern freute sich einfach nur, wenn er mal jemand von ungefähr seinem Jahrgang sah. Was bei Butler & Sons über den Ladentisch ging, das machte den Eindruck, als sei es für Golfspieler bestimmt oder fürs Country-Club-Establishment oder für die, die sich in Portland dafür hielten. Jedenfalls handelte es sich bei den Kunden, die ihre maulwurfsgrauen Hosen oder ihre Pullover mit Rautenmuster dort erstanden, kaum um junge, allein stehende Damen.

„Hab ganz schön zu tun“, sagte ich und nahm ihm die Sachen ab. „Drei Terminaufträge stehen für heute Nachmittag an.“

„Haben Sie denn überhaupt schon einen Bissen essen können?“ fragte er.

Ich wich seinem Blick aus. Jeglichen Hinweis auf Verpflegung betrachtete ich als Anzeichen für Gefahr, das in primitive Vorzeiten zu deuten schien: Mann bringt Frau Fleisch, gut, essen, essen! Völlig in Ordnung, falls Frau will Mann, Mann jagen mächtiges Mammut, machen feines Feuer. Nicht so toll, falls Mann nur heimbringen alte Taube und nasses Holz. Ich für meinen Teil bestand auf einen brauchbaren Versorger.

„Im Allgemeinen bringt Joanne mir was vorbei“, sagte ich, was der Wahrheit ziemlich nahe kam. Sie stand als Nächste auf meiner Liste, und für gewöhnlich trug sie in der Tat Muffins oder Kekse auf, die sie mir dann aufdrängte, keine volle Mahlzeit im üblichen Sinne, aber durchaus eine Art Lunch, auf den ich mich schon eingestellt hatte.

„Ach so.“ Er verzog sein Gesicht, bemühte sich aber schnell wieder um eine fröhlichere Miene. „Vielleicht können wir ja nächste Woche zusammen einen Happen futtern. Der ‚Food Court‘ bietet ein paar recht leckere Sachen.“

Mein Lächeln wirkte etwas gequält. „Mal sehen.“

Mehr konnte ich ihm als Antwort nicht bieten: Es machte weder seine Hoffnungen gänzlich zunichte, noch stellte es eine große Ermutigung dar, obschon mir durchaus einleuchtete, dass ich eigentlich keinerlei Hoffnungen bei ihm wecken durfte. „Gutes zu tun ist oft grausam“ und dergleichen, was oftmals für den Hoffenden weniger schlimm ist als für den, der diese Hoffnungen zunichte machen muss. Immerhin kriegte ich jede Menge Aufträge von Roberts Arbeitgebern, weswegen mir nichts daran lag, es mir mit einem der Angestellten zu verderben.

Möglicherweise kam er ja endlich auf den Trichter, falls ich nächste und auch übernächste Woche zu viel zu tun hatte, und dann konnten wir beide so tun, als habe er nie mehr als freundliche Anteilnahme zum Ausdruck bringen wollen.

Butler & Sons residierten im unteren Level von „Pioneer Place Two“, der Erweiterung des schicken Einkaufstempels im Herzen Portlands. Eine luftige Fußgängerbrücke sowie eine unterirdische Passage verbanden das Center mit seinem älteren Zwilling, und genau durch diesen Tunnel marschierte ich mit meiner Ladung Sportbekleidung und folgte dabei den flussähnlichen Wellenbewegungen des blauen Dekorglases zu meinen Füßen. Die Geschäfte zu beiden Seiten bestanden größtenteils aus den gleichen Ketten, wie man sie in jeder beliebigen Stadt findet – „Body Shop“, „Victoria’s Secret“, „Gap“, „Banana Republic“, „Eddie Bauer“ usw., usw. Wirklich Interessantes hatten sie nicht zu bieten. Ich ging am liebsten zu „Saks“ und kupferte mir dort die Ideen für meine Zuschnitte ab. Irgendwie sah bei denen alles ein wenig schöner aus.

Die Fußgängerpassage mündete im Untergeschoss des ursprünglichen „Pioneer Place“, im zentralen Atrium, von dem aus man mittels einer Art Rolltreppen-Achterbahn über vier Stockwerke zu einem verglasten Dach gelangte. Zehn Meter hohe Bambusbäume erhoben sich aus mächtigen Behältern, Sitzbänke aus Eiche wanden sich in eleganten Formen um einen Springbrunnen mit zahlreichen sprudelnden Quellen, deren Gemurmel von den nackten Fußböden und Glaswänden der Geschäfte ringsum widerhallte. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte jemand eine rote Zahnbürste ins Wasserbecken geworfen, die nun inmitten der Münzen auf dem Grunde ruhte.

Ich entdeckte einen Zeitschriftenhalter mit der „Willamette Week“, der örtlichen Veranstaltungspostille, drapierte daher meinen Kleiderstapel über die Rücklehne einer Bank, schnappte mir ein Exemplar, setzte mich und überflog die Ausgabe. Das Blatt erscheint wöchentlich als Alternative zum Lokalmatador „Oregonian“. Von meinen Bekannten las eigentlich keiner die Artikel: Uns lag lediglich am Veranstaltungskalender und an den Kontaktanzeigen. Das, was ich diesmal suchte, fand sich auf den letzten Seiten: Annoncen mit Angeboten für Singles beziehungsweise Single-Clubs.

„Frauen telefonieren kostenlos! Treffen Sie sich mit gleich gesinnten, anspruchsvollen Singles!“ Dieser Aufmacher prangte über einem Herzen mit dem Foto einer verführerisch in den Hörer hauchenden Blondine.

Was für Frauen tun sich das an, derartige Nummern zu wählen? Und was für Typen lernen sie wohl übers Telefon kennen? Unwillkürlich fielen einem diese „Schweinigel“ ein, die sich bei Louise übers Sorgentelefon des psychologischen Notdienstes meldeten: Anrufer, die vorgeblich dringend der Beratung bedurften, deren Tonfall jedoch auf Anhieb verriet, dass sie gerade heftig onanierten. Denen reichte offenbar schon eine Frauenstimme, um ruckzuck ihr Ejakulat ins Taschentuch zu jagen.

„Sommerspaß! Wildwasser-Touren! Wandern! Ausschließlich Singles!“ verkündete eine weitere Schlagzeile über dem Schwarzweißfoto mit attraktiven jungen Leuten, die mit Paddelschwüngen und ekstatischem Juchzen durch die Stromschnellen schossen, dass das Wasser um ihr Schlauchboot nur so spritzte, wobei sie in ihren einheitlichen Rettungswesten würfelförmigen menschlichen Päckchen von athletischer Begeisterung glichen.

Meinen Vorstellungen entsprach das schon eher, aber mein Gefühl sagte mir, dass eine saftige Mitgliedsgebühr drohte. Wenn nicht mal eine Krankenversicherung drin ist, dann kann man auch nicht mir nichts, dir nichts ein paar Hunderter hinblättern für einen Schlauchboot-Trip mit anderen desperaten Singles.

Nein, stimmte ja nicht, korrigierte ich mich. Nicht desperat. Durchorganisiert.

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