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Zauber der Gezeiten: Ein Liebhaber wie Tony

Ein Sturm verwüstet ihr Haus! Ausgerechnet Tony, ihr
Exmann, hilft Sharon - und erinnert sie an all die
glücklichen Stunden, die sie auf der verträumten Insel
erlebt haben. Hat ihre Ehe eine zweite Chance?


  • Erscheinungstag: 01.08.2015
  • Seitenanzahl: 120
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956494451
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller

Zauber der Gezeiten: Ein Liebhaber wie Tony

Aus dem Amerikanischen von Angelika Lohde

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Used-To-Be Lovers

Copyright © 1988 by Linda Lael Miller

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz; Thinkstock/Getty Images, München

ISBN eBook 978-3-95649-445-1

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1. KAPITEL

Sharon Morelli konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Sie hängte ein zartes Negligé aus Chiffon ordentlich und in genauem Abstand zu den anderen Stücken auf den Kleiderständer. So vertrieb sie sich die Zeit, wenn nur wenige Kunden in ihr „Traumland“, ein Geschäft für Damenunterwäsche, kamen.

Sie war so vertieft, dass sie zusammenzuckte, als hinter ihr plötzlich jemand sagte: „Die Geschäfte gehen wohl schlecht?“

Sharon holte tief Luft, um sich von dem Schrecken zu erholen. Tony besaß zweifellos das Talent, immer dann aufzutauchen, wenn sie sich in einer nicht gerade vorteilhaften Lage befand. Auch nach der Scheidung hatte sich daran nichts geändert.

„Ich kann mich nicht beklagen“, antwortete sie schnippisch, dann eilte sie hinter den Ladentisch und blätterte geschäftig in alten Rechnungen, die schon längst geprüft und abgelegt worden waren.

Sharon wusste, dass Tony ihr gefolgt war und ganz in der Nähe stand. Er trug verbeulte Jeans und ein altes, weit aufgeknöpftes Arbeitshemd. Selbst das hatte Sharon in der kurzen Zeit registriert, obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte.

„Sharon“, sagte er ruhig, aber mit der Bestimmtheit, die sein Auftreten so wirkungsvoll machte. Dieser Eigenschaft hatte er es zu verdanken, dass er nicht nur der Chef einer prächtig florierenden Baufirma war, sondern auch der Vater der beiden Kinder aus erster und zweiter Ehe.

Sharon hob den Kopf, sah Tony in die Augen und schob das Kinn leicht vor.

„Was willst du?“, fragte sie. Sie war bereit, sich gegebenenfalls zu verteidigen. Diese Woche stand es ihr zu, drei Tage mit den Kindern im Haus zu verbringen, und wenn Tony etwas dagegen hatte, würde sie um ihr Recht kämpfen.

Tony verdrehte seine ausdrucksvollen Augen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Beruhige dich“, sagte er mit dunkler Stimme. Seine männliche Ausstrahlung schien den ganzen Raum zu erfüllen. „Ich war gerade in der Nähe und wollte dir nur sagen, dass Marc Hausarrest hat. Außerdem hat der Kieferorthopäde gestern Brianas Zahnspange nachgestellt, und danach bekam sie solche Schmerzen, dass ich sie zu Mama brachte.“

Sharon seufzte und schloss für einen Moment die Augen. Wie oft hatte sie versucht, den Ärger über Tonys Mutter herunterzuschlucken! Aber es gab Momente wie diesen, wo alles wieder hochkam. Nach all den Jahren ließ die alte Dame Sharon immer noch spüren, dass nicht sie, sondern Carmen die Mutter von Brian war.

Die schöne und perfekte Carmen, um die Mrs Morelli sen. auch jetzt noch trauerte. Vor elf Jahren war Carmen das Opfer eines tragischen Verkehrsunfalls geworden, und Tonys gesamte Familie konnte es bis heute nicht verwinden.

Zu Sharons Überraschung hob Tony zärtlich ihr Kinn an. „Hey!“ In seiner Stimme lag ein sanfter Unterton. „Was beschäftigt dich denn so?“

Es war eine ganz normale Frage, aber Sharon konnte sie nicht beantworten, wenn sie sich nicht völlig lächerlich machen wollte. Wenn es etwas gab, womit sie sich jetzt überhaupt nicht auseinandersetzen mochte, dann war es die höfliche Missbilligung, die Maria Morelli ihr entgegenbrachte. Sharon musste sich erst umdrehen und ihre Gedanken ordnen, bevor sie Tonys Blick wieder standhalten konnte.

„Ich würde es sehr schätzen, wenn du Brian abholen und nach Hause zurückbringen würdest, sobald du mit deiner Arbeit fertig bist“, sagte sie mit dünner Stimme.

Tony zögerte. Er hatte nie verstanden, warum Sharon seine Mutter nicht mochte und nicht mehr Zeit als nötig mit ihr verbringen wollte.

„Also gut“, stimmte er schließlich zu.

Als Sharon sich wieder umdrehte, war er bereits verschwunden. Augenblicklich vermisste sie ihn.

Sharon war froh, dass sie vier Stunden später das Geschäft schließen konnte. Draußen schlug sie das Verdeck ihres Kabrioletts zurück und zwängte sich aus der engen Parklücke. Dies waren die letzten schönen Sommertage, und es wurde allmählich Zeit, mit den Kindern den alljährlichen Einkauf der Schuluniformen zu machen.

Sie fuhr vorbei an hübschen, gepflegten Häusern, idyllisch gelegenen Restaurants und einer Drogerie, die gleichzeitig als Postamt diente. Port Webster lag am Puget Sound in Washington. Es war eine malerische kleine Stadt, die sich aber langsam vergrößerte.

Sharon befand sich auf dem Weg zu dem Haus, das Tony und sie damals gebaut hatten, um für immer darin gemeinsam zu leben. Vor ihr lag der Hafen mit seinen vielen Booten. Die bunten Segel bildeten einen reizvollen Kontrast zum blauen Wasser, aber Sharon achtete gar nicht darauf.

Sie dachte über die Verrücktheit ihrer Situation nach. Dieses ständige Hin- und Herpendeln zwischen ihrer Wohnung und dem Haus war alles andere als angenehm. Der Scheidungsrichter hatte diese Lösung vorgeschlagen, um die Kinder nicht aus ihrer gewohnten Umgebung zu reißen. Deshalb lebte sie einen Monat lang drei Tage die Woche im Haus, den nächsten Monat vier Tage je Woche. Die restliche Zeit verbrachte Tony mit den Kindern.

Sharon fühlte sich dadurch oft zerrissen und heimatlos. Sie glaubte, dass es den anderen ebenso ging, sie es aber nicht zugaben. Es war nicht einfach, sich zu merken, wer wann wo lebte, aber sie musste lernen, damit umzugehen. Schließlich war es für sie die einzige Möglichkeit, beide Kinder zu sehen. Würde sie es auf eine gerichtliche Entscheidung ankommen lassen, hätte sie auf Brian keinerlei Ansprüche, und Tony könnte ihr ganz einfach verbieten, die Kleine zu sehen. Das aber würde ihr das Herz brechen.

Zwar hatte Tony etwas Derartiges nie angedeutet, aber man konnte nie wissen.

Das Haus stand am Ende einer langen Straße und war umgeben von hoch aufragenden Kiefern. Marc trainierte in der Auffahrt mit seinem Skateboard. Er war jetzt sieben Jahre alt und das genaue Abbild seines Vaters.

Als er Sharon bemerkte, erhellte sich seine Miene. Gekonnt sprang er vom Skateboard und klemmte es sich unter den Arm.

„Ich denke, du hast Hausarrest?“, fragte Sharon, nachdem Marc sie stürmisch begrüßt hatte.

Das Lachen verschwand, und er sah plötzlich sehr bedrückt aus.

„Ja, aber das war ungerecht von Daddy“, behauptete er ein bisschen trotzig.

Sie strich ihm zärtlich durchs dunkle Haar, während sie gemeinsam die breiten Steinstufen hinaufgingen, die zur Rundbogenhaustür führten.

„Das lass mich mal entscheiden“, sagte Sharon in gespielter Ernsthaftigkeit und öffnete die Tür. „Also los, was hast du angestellt?“

Sie betraten die Vorhalle, und Sharon legte ihre Handtasche auf den schimmernden antiken Holztisch, den Tonys italienische Vorfahren nach Amerika gebracht hatten. Die Reisetasche konnte sie später noch aus dem Auto holen.

„Nun?“, ermunterte sie Marc, der mit der Antwort zögerte.

„Ich habe Brianas Goldfische in den Swimmingpool gesetzt“, gestand er kleinlaut. „Aber ich konnte doch nicht wissen, dass das Chlorwasser ihnen schadet.“

„Dein Vater hatte ganz recht, dich zu bestrafen.“ Sie zog einen Mundwinkel hoch und versuchte, wie ein alter Gangsterboss zu klingen. „Du kennst die Gesetze, Junge. Lass die Finger von anderer Leute Sachen.“

Marc hatte keine Chance, darauf zu antworten, da Mrs Harry, die Haushälterin, das Staubsaugen unterbrach und Sharon strahlend begrüßte.

„Willkommen daheim, Mrs Morelli.“

Bei diesen Worten krampfte sich Sharons Herz zusammen, aber sie erwiderte die freundliche Begrüßung, bevor sie sich entschuldigte und nach oben ging.

Das Schlafzimmer zu betreten, in dem sie so viele schöne Nächte mit Tony verbracht hatte, fiel Sharon immer noch ziemlich schwer.

Eine Weile verharrte sie still mitten im Raum; ihr Blick glitt über die Einrichtung, blieb auf dem breiten Bett haften. Oh Tony … warum? Warum musste alles so kommen?

Schließlich gab Sharon sich einen Ruck, zog ihre Bundfaltenhose und die Seidenbluse aus; dann schlüpfte sie in bequeme Jeans und ein T-Shirt. Danach betrachtete sie sich im Spiegel. Ihren goldbraunen Haaren, der schlanken Figur und den braunen Augen widmete sie nur wenig Aufmerksamkeit. Dafür umso mehr der Tatsache, dass sie nur eins zweiundfünfzig groß war und die Oberschenkel eine Spur zu dick wurden.

Mit einem Seufzer kniete Sharon sich vor den geöffneten Schrank, um ihre Lieblingsschuhe zu suchen. Als sie ein leises Lachen hörte, zuckte sie zusammen und fuhr herum. Tony stand strahlend in der Tür.

„Es muss dir einen unheimlichen Spaß machen, mich laufend zu erschrecken, Mr Morelli!“

Ihr Ex-Ehemann setzte sich auf die Bettkante, sah Sharon mit Unschuldsmiene an und legte die Hand aufs Herz.

„Ich war so stolz darauf, dich nicht gekniffen zu haben, obwohl mein italienisches Blut danach verlangte. Und jetzt verletzt du mich, indem du mir so etwas vorwirfst“, sagte er dramatisch.

Sharon nahm die Suche nach ihren Schuhen wieder auf. Als sie sie endlich gefunden hatte, setzte sie sich aufs Bett und zog sie an.

„Wo sind die Kinder?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln, das ihr nicht benagte.

„Warum willst du das wissen?“, fragte Tony mit einem verschmitzten Lächeln zurück.

Er hatte geduscht und die Arbeitskleidung gegen Shorts und Pullover eingetauscht. Er sah so unwahrscheinlich gut aus, dass erneut alte Erinnerungen in Sharon aufstiegen und sie seinem Blick ausweichen musste.

Tony lachte, und sie unterdrückte einen Seufzer. Er hatte also mal wieder ihre Gedanken gelesen, so wie schon in den guten Tagen ihrer Ehe.

Sharon stand auf und ging zum Frisiertisch, um sich zu kämmen. Ihr wurde bei dem Gedanken, wie oft Tony und sie sich in diesem Zimmer geliebt hatten, ganz heiß. Tonys Liebkosungen, seine Zärtlichkeiten …

Plötzlich stand er hinter ihr, berührte sanft ihre Schultern, drehte Sharon um und zog sie an sich. Bei seinem Kuss durchlief sie ein vertrauter Schauer. Tony drückte sie noch fester an sich. Es wäre so einfach, jetzt die Tür abzuschließen und sich ihm hinzugeben. Seine Verführungskünste hatten immer noch den gleichen Erfolg wie damals.

Sharon kämpfte mit sich und ihrem Verlangen nach ihm, dann entzog sie sich der Umarmung. Nein, das durfte nicht passieren. Sie war von Tony geschieden, und wenn sie jetzt mit ihm ins Bett gehen würde, könnte sie niemals so weiterleben wie bisher.

„Es geht nicht, Tony.“ Die Worte sollten leichtherzig klingen, aber man hörte deutlich das Bedauern heraus.

Er stand immer noch ganz dicht bei ihr, zu dicht. Sie war sich jedes einzelnen Muskels seines Körpers bewusst.

„Warum nicht, Darling?“, fragte Tony mit leiser, fast hypnotisierender Stimme und legte die Hände behutsam auf Sharons nackte Oberarme.

Diese Frage konnte und wollte sie nicht beantworten. Zu ihrer Erleichterung musste sie das auch nicht, denn genau in diesem Moment kam Brian herein.

Brian war schon jetzt eine Schönheit, obwohl sie erst zwölf Jahre alt war. Das kräftige rotbraune Haar fiel ihr bis über die Schultern, und ihre braunen Augen leuchteten. Nur der bockige Gesichtsausdruck und die silbernen Drähte der Zahnspange verhinderten, dass sie aussah wie das Bildnis eines Engels aus der Renaissance.

Sharon liebte dieses Kind, als wäre es ihr eigenes.

„Hallo, Sweetie“, begrüßte sie Brian, erfreut darüber, endlich Tonys Nähe entkommen zu können. Liebevoll strich sie dem Mädchen übers Haar. „Wie fühlst du dich?“

„Lausig. Jeder einzelne Zahn tut mir scheußlich weh, und Daddy hat dir bestimmt erzählt, was Marc mit meinen armen Fischen gemacht hat.“ Bevor Sharon etwas zu sagen vermochte, fuhr Brian anklagend fort: „Du hättest es sehen sollen, Mom. Das war Mord, glatter Massenmord.“

Sharon nahm Brian in den Arm.

„Wir kaufen dir neue Fische“, versprach sie.

„Marc kauft ihr neue Fische“, korrigierte Tony. Es lag ein ungeduldiger Zug um seinen Mund, als er an den beiden vorbei aus dem Zimmer ging. „Wir sehen uns dann zur nächsten Wachablösung!“, rief er grantig zurück.

Sharon schaute ihm traurig nach. Jedes Mal, wenn er sie verließ, fühlte sie eine eigenartige Leere. Nimm dich zusammen! befahl sie sich, unterdrückte dieses Gefühl und wandte sich ihrer Aufgabe als Mutter zu.

„Hat jemand Hunger?“, fragte Sharon wenig später in der geräumigen Küche. Normalerweise war dies Tonys Reich, aber in den nächsten drei Tagen – oder waren es vier? – musste sie sich um das Essen der Kinder kümmern.

„Gehen wir doch ’ne Pizza essen“, schlug Marc enthusiastisch vor. Er stand an der Feuerstelle des doppelten Kamins, der sowohl die Küche als auch das Wohnzimmer beheizte. Sharon nahm an, dass Marc nach wie vor die Öffnung benutzte, um schneller von einem Raum zum anderen zu kommen. Obwohl sie es ihm mehrmals verboten hatte, tat er es immer wieder.

„Was für ein gemeiner Vorschlag“, jammerte Brian und sah Sharon flehend an. „Mom, ich leide.“

Marc wollte gerade protestieren, als Sharon die Hände hob, um für Ruhe zu sorgen.

„Es reicht, ihr beiden. Wir gehen heute nicht weg, sondern essen hier.“

Damit ging sie zum Vorratsschrank und schaute hinein. Einige Fertiggerichte – Spaghetti, Ravioli und Lasagne – standen zur Auswahl.

„Grandma würde einen Herzanfall bekommen, wenn sie wüsste, dass du uns mit diesem Zeug fütterst“, bemerkte Brian, während sie die Teller aus dem Schrank holte.

„Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß“, antwortete Sharon gereizt, nahm das Silberbesteck und deckte den Tisch.

Im Kühlschrank entdeckte sie verschiedene Gemüse, Tomaten und Gurken und machte sich daran, Salat zuzubereiten. Dabei beruhigte sie sich wieder.

Nach dem Essen räumten Sharon und Brian das Geschirr in die moderne Spülmaschine und ließen alle Spuren von Fertiggerichten im Müllschlucker verschwinden. Danach sprach sie mit den Kindern über die Schule.

Der Sommer war fast vorbei, und der erste Schultag rückte immer näher. Marc würde dann die zweite Klasse und Brian die siebente besuchen.

„Wollen wir morgen die Schulsachen einkaufen gehen?“, fragte Sharon. Helen, die einzige Angestellte, die sie sich im „Traumland“ leisten konnte, würde allein im Laden zurechtkommen.

„Das haben wir schon mit Grandma gemacht“, erwiderte Marc und handelte sich damit einen bösen Blick ein. Offensichtlich hatte er ein Geheimnis verraten.

Sharon war verletzt. Seit Wochen freute sie sich auf diesen Ausflug. Es war jedes Jahr das gleiche Ritual: Sie fuhren zu einer der großen Fußgängerzonen von Seattle, aßen nach dem Einkauf in einem Restaurant, und abends gingen sie ins Kino.

Sharon setzte sich an den Tisch, der in der Mitte der Küche stand, und fragte scharf: „Wann war das?“

Marc sah sie verwundert an. Seit der Scheidung tat er das öfter, weil er vieles nicht mehr verstand.

„Letztes Wochenende“, antwortete Briana. Ihre Miene drückte Bedauern aus, passte eher zu einer Erwachsenen als zu einem zwölfjährigen Mädchen. „Grandma meinte, dass du zurzeit stark beansprucht bist.“

„Stark beansprucht?“, wiederholte Sharon und erhob sich langsam von der Küchenbank.

„Mit dem Laden und so weiter“, erklärte Briana.

„Die Steuer müsstest du auch bezahlen“, sagte Marc.

„Und die Rechnungen der Sachen, die du auf Kredit gekauft hast“, fügte Brian hinzu.

Sharon sank zurück auf die Bank.

„Ich brauche euch beide nicht, um zu wissen, was ich in den letzten zwei Monaten gemacht habe.“ Sie wusste, dass sie überreagierte, aber die Enttäuschung und der Zorn waren so groß, dass sie am liebsten losgeheult hätte.

Später saßen die Kinder vorm Fernseher, und Sharon ging nach kurzer Überlegung hinüber zum Wandtelefon und wählte Tonys Nummer. Nach dem dritten Klingeln nahm er ab.

Das ließ Sharons Wut ein wenig verfliegen. Wenigstens hatte er keine Verabredung, sondern war zu Hause.

„Hier ist Sharon. Bevor du in Panik gerätst, will ich dir gleich sagen, dass dies kein Notruf ist.“

„Gut, und weshalb rufst du dann an?“ Tony klang beschäftigt.

Sharon hörte im Hintergrund etwas brutzeln. Sie sah ihn so lebhaft vor sich, wie er kochte, als würde sie neben ihm in seiner kleinen, praktisch eingerichteten Küche stehen. Zumindest dachte Sharon, dass die Küche seiner Eigentumswohnung klein und praktisch war, denn gesehen hatte sie sie noch nie.

Sharon biss sich auf die Unterlippe, um die Tränen zu verdrängen, und konnte einen Moment lang nicht sprechen. Schließlich jedoch begann sie: „Du findest es vielleicht albern, aber das ist mir egal. Tony, ich wollte selber mit den Kindern die Einkäufe für die Schule machen. So, wie ich es immer getan habe. Es wäre wichtig für mich gewesen.“

Nach einer kurzen Pause erwiderte Tony gelassen: „Mama wollte dir nur einen Gefallen tun.“

Die liebe Mama mit ihrem Wald von Fotografien auf dem Fernseher. Fotos von Tony und Carmen natürlich! Sharon hangelte geschickt mit dem Fuß nach einem Stuhl und setzte sich.

„Tony, ich bin doch nicht unfähig!“ Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

„Das hat auch niemand behauptet“, erwiderte er schnell.

Eigentlich lag weder in seinen Worten noch in seinem Tonfall irgendetwas, das Sharon zusätzlich hätte verärgern können. Dennoch schwelte die Wut in ihr nun so sehr, dass sie sich wie gelähmt fühlte.

„Warum sprichst du denn nicht weiter, Sharon?“ Tony klang jetzt ziemlich besorgt.

Sie musste jetzt etwas sagen, sonst würde er vielleicht herkommen und nach ihr sehen. Das aber hätte sie im Moment nicht verkraften können.

„Vielleicht mache ich nicht alles perfekt, doch für Marc und Brian kann ich in jedem Falle sorgen“, erklärte sie. „Niemand darf einfach meine Rolle übernehmen, als wäre ich völlig unfähig. Und deine liebe Mutter schon gar nicht!“ Tony atmete tief durch. „Sharon …“

„Verdammt noch mal, Tony, tu nicht so erhaben!“

Wären die Kinder nicht im Nebenraum gewesen, hätte sie laut losgeschrien. Tony zeigte eine Engelsgeduld, aber Sharon glaubte zu wissen, dass er nur verständnisvoll tat, damit sie sich lächerlich vorkam.

„Sweetheart, hörst du mir jetzt bitte mal in Ruhe zu?“, sagte er sanft.

Sharon wischte sich die Tränen weg. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie geweint hatte.

„Nenn mich nicht so. Schließlich sind wir geschieden“, protestierte sie.

„Wenn du nicht die sturste Frau bist, die ich jemals …“

Sie legte einfach den Hörer auf und war nicht im Geringsten überrascht, als das Telefon gleich darauf klingelte. Langsam nahm sie den Hörer wieder ab.

„Tu das nicht noch mal!“, schrie Tony.

Sharon lächelte. Er war eben doch nicht vollkommen.

„Tut mir leid“, log sie mit zuckersüßer Stimme.

Kurz nachdem das Gespräch beendet war, entschloss sich Sharon, mit den Kindern am nächsten Morgen ins Inselhaus zu fahren. Sie rief ihre Angestellte Helen an und unterrichtete sie von den neuen Plänen. Anschließend erfuhren es die Kinder.

Die beiden liebten das Holzhaus und freuten sich so sehr darauf, dass sie sogar ohne den sonst üblichen Streit ins Bett gingen.

Sharon las noch, bis sie müde wurde. Dann ging sie ins Badezimmer und duschte. Als sie, in ein Handtuch gehüllt, das Schlafzimmer betrat, erinnerte sie sich unwillkürlich an den Kuss, den Tony und sie ausgetauscht hatten. Sie fühlte wieder Sehnsucht und Verlangen in sich aufsteigen und wusste, sie würde heute Nacht nicht hier schlafen können.

Rasch zog sie einen blauen Seidenpyjama an, klemmte sich Decke und Kopfkissen unter den Arm und marschierte niedergeschlagen hinunter ins Parterre. Es war nicht die erste Nacht, in der sie aus dem Schlafzimmer flüchtete, weil zu viele Erinnerungen damit verbunden waren. Und bestimmt würden noch weitere Nächte hinzukommen.

Im Arbeitszimmer machte Sharon sich die Schlafcouch zurecht, schlüpfte unter die Decke, nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein.

Es lief ein alter Film mit Joseph Cotton und Ginger Rogers. Die beiden schauten sich beim Tanz tief in die Augen.

„Was Fred Astaire wohl dazu sagen würde?“, dachte Sharon laut und zog die Decke höher.

Nach Liebesfilmen war Sharon im Moment überhaupt nicht zumute. Deshalb schaltete sie auf einen Einkaufskanal und schaute ohne Interesse einer schönen Frau im Safarianzug zu, die ein komplettes Essbesteck zum Sonderpreis anbot.

Schließlich machte Sharon den Fernseher aus, löschte das Licht und kuschelte sich in die Kissen. Sie wälzte sich von einer Seite zur anderen, ohne Schlaf zu finden.

Als sie tief einatmete, wurde ihr klar, warum. In der Bettwäsche haftete der Duft von Tonys Rasierwasser.

Dieser Mann scheint wirklich immer gegenwärtig zu sein, dachte sie und seufzte abgrundtief.

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen fühlte Sharon sich wie gerädert und hatte schlechte Laune. Sie vergewisserte sich, dass die Kinder die richtigen Sachen für die Fahrt auf die Insel eingepackt hatten, dann ging sie in die Küche, um die Cornflakes anzurichten.

Plötzlich klopfte es an der Hintertür, und gleich darauf stand Tony im Türrahmen.

„Komm nur rein“, sagte Sharon nicht gerade freundlich.

„Ich war gerade in der Nähe“, fing er an, als ihm auch schon Marc und Brian um den Hals fielen.

„Wir fahren auf die Insel!“, jubelte Marc.

Und Brian fügte strahlend hinzu: „Für ganze drei Tage!“

Tony sah Sharon an.

„Großartig“, sagte er, aber sein Lächeln war nicht echt.

Die Kinder rannten los und verstauten ihre Taschen im Kombi, der nur zum Einkaufen oder für längere Ausflüge mit den Kindern benutzt wurde. Sharon goss inzwischen Kaffee in Tonys Lieblingsbecher und reichte ihn hinüber.

„Ich wollte es dir noch sagen“, bemerkte sie.

„Wann denn? Nach eurer Rückkehr?“ Tony drehte den Becher in den Händen.

Sharon hatte keine angenehme Nacht hinter sich, und nun schien auch der Morgen nicht gut zu werden. Ihre Augen waren geschwollen, das Haar hatte sie nur schnell zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und zum Schminken war sie nicht gekommen. Sie trug die älteste Jeans, die sie besaß, und dazu ein T-Shirt, das nicht viel besser aussah.

Nach einem kräftigen Schluck Kaffee meinte sie: „Du machst aus einer Mücke einen Elefanten.“

„Ich würde nur gerne informiert werden, wenn du mit den Kindern die Stadt verlässt.“

„Also gut. Tony, ich verlasse mit den Kindern die Stadt.“

In seinen Augen blitzte es zornig auf. „Vielen Dank.“ Dann ging er ins Arbeitszimmer.

Dieser Mann war ein echtes Genie darin, Sachen herauszufinden, die sie, Sharon, ihm lieber verheimlicht hätte!

Mit Akten unter dem Arm kehrte Tony gleich darauf zurück und fragte verblüfft: „Du hast unten geschlafen?“

Sharon ärgerte sich, dass sie das Bettzeug nicht vorher weggeräumt hatte.

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