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Zurück in Monsterville

Als Buch hier erhältlich:

Deine Sportlehrerin ist ein Werwolf? Dein bester Freund dabei, einer zu werden? Und kaum jemanden scheint das zu jucken? Du bist EINDEUTIG zurück in Monsterville!

Ben, Lucy und Linus überlegen noch, wie sie Ost-Emersons Geheimnissen weiter auf den Grund gehen können, da lässt der Vollmond die Hälfte ihrer Klassenkameraden zu Werwölfen mutieren. Sogar Linus kratzt sich neuerdings mit dem Fuß hinterm Ohr! Den drei Freunden bleiben nur 29 Tage Zeit, um den Oberwerwolf zu finden und zu verhindern, dass er die ganze Stadt zu seiner Werwolfarmee macht.


  • Erscheinungstag: 31.01.2020
  • Aus der Serie: Monsterville
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 240
  • Altersempfehlung: 9
  • Format: Hardcover
  • ISBN/Artikelnummer: 9783748800224

Leseprobe

.sinmieheG nie tah tdatS edeJ

.eleiv rered tah nosremE-tsO

thcA ni hcid mmin oslA

,eigaM dnu nretsnoM rov

netnatuM nehcsiredröm ,nehtyM rov

,nerbakaM sed rhem dnu

… tsrettälbmu etieS enie ud remmi nnaw

,asiraM rüF

… brats eid

hconned rebA

.tednif nethcihcseG neniem na nellafeG

.sllafnedej eis tetpuaheB

EINE ZWEITE TODERNSTE WARNUNG

an das menschlIche (oder weNiger menschliche) wesen, das Dieses buch in händen hält:

da bIst du ja wiEder.

*seufz*

hat dich die erSte geschichte in dieser reihE nicht genug geängstigt? so sag miR doch, und bitte sei ehrlich: wieso willst du dir schon wieder eine solche tortur auferleGEn? ich kann dir verSichern, dass dieses zweite buch noch fürchterliCHer als sein vorgänger wird.

solltest du jetzt sofort zu lesen aufhören, Ich hätte vollstes verständnis dafür. schließliCh habe icH in meinem leben wieder und wieder ablehnung erfahren, angefangen damiT, dass mich meine Eigenen eltern Verstießen. »welch abschEuliches gesicht du hast!«, bekam ich seither von etlichen mädchen zu höRen, »welch scheußliche klamotten du trägst!« von etlichen jungen, und nicht selten hat sich ein hund nach einem kurzen schnuppern auf meinem schuh und BEin erleichtert. (und die veRlagslektoren erst! aber wenn ich davon zu erzählen anfange, hocken wir noch morGEN hier …)

also tu dir keinen zwang an und laSs mich ruhig sItzen wie all die anderen. mir maCht es nichts aus. tu nur so, als wären wir uns nie begegnet. ich Habe es so oft erlebt, ich bin es geWohnt.

na los, wirf das buch wEg. vergrab es auf eIner müllkippe. verfütTEre es an einen kojoten oder versenke es im meeR. schieß es ins all, solltest du die gelegenheit dazu haben. oder falls dir die gEsundheit des planeten am herzen liegt, kannst du das papieR auch der wiederverwertung zuführen (die rettung von bÄumen isT ein durchauS Edles anLiegen, das ich voll und ganz gutheiße).

wie dU dich auch entscheidest, lies bloß Nicht weiter.

verflixt noch eins! wieso liest Du immer noch? vielleicht kann ich meiner arGumEntation durcH eine liste nachdruck verlEIhen:

gründe, wieso Man dieses buCh nicht lesen sollte:

  1. weil ich ein mOnster bin. und Daher nur monströse gESchichten kenne.

  2. weil du aus dieser missglückten erzählung nicht das geringste lernen wirst, weshalb dir deine eltern und lehrer danach wütend vorhalten werden, dass du deine zeit ebensO gut mit mathe hättest verbringen können. mathematik ist nämlich nützlich. dieses Buch nicht.

  3. weil Dir in den folgenden kapiteln monster, mythen, magie, mörderische mUtanten und das mySterIum um amerikas Erste verlorene kolonie begegnen Werden – sOllten sie dich also nicHt anöden, werden sie dich ganz bestimmt in unruhe, aufruhr, verzweifLung und pAnik versetzen … und selbstredend in todesangst.

wiLLst du das wirklich?

wie, »ja«? was soll das hEißen, »ja«?

*doppelseufz*

ich habe es begrifFen. ich werde dIch nie davon abbriNgen können. du bist wie ein hund, DEr sich in einen knochen verbissen hat – iN ein Köstliches exemplar, von dem er niemals lAssen wird, obwohl es von einem menschlichen skelett stammt und aus eiNem frischen grab ausgebuddelt wurde. aber wenn du heute Nacht vor albträumen nicht schlafen kannSt, ruf mich bloß nichT an. ich habe dich gewarnt.

mit besten und übelsten grüßen

verachtungsvoll

Adam Monster

ps: das könnte sich als nützlich erweisen:

gern geschehen.

Adam Monster

EINS
DER HUNDEMOND

Linus’ Leben war vorbei.

Nein, tot war er nicht – noch nicht. Aber es kam ihm vor, als würde alles zu Ende gehen, und dieses Gefühl drohte ihn zu erdrücken. Wie das nun mal ist, wenn man erfährt, dass man von einem Werwolf gebissen wurde …

Du hast ganz recht, werte Leserin, werter Leser: So weit sind wir noch nicht. Ich darf dich nicht völlig ohne Vorgeschichte holterdiepolter in die Handlung werfen. Bitte um Verzeihung. Lass mich kurz den Schleim und die Spinnen aus der Kehle husten, dann fangen wir noch einmal von vorne an.

Ähem!

***

Als Ben Hunter am zweiten Novembertag von der Schule nach Hause kam, versuchte er zum 127. Mal, seinen Vater zu erreichen. Er wählte die Nummer und wartete. Es läutete. Läutete. Läutete noch einmal und noch einmal. Bis er hörte:

»Hier ist die Mailbox von Henry Hunter. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piepton.« Piep.

»Ich bin’s, Dad. Ben. Ich wollte nur noch mal anrufen, weil … na ja, ich wollte einfach nur Hallo sagen. Seit ich nach Ost-Emerson gezogen bin, haben wir gar nicht mehr miteinander gesprochen. Es ist ja erst ein Monat, aber es kommt mir vor wie … wie eine Ewigkeit. Ich weiß, du und Mom, ihr redet nicht mehr wegen der … also, du weißt schon, wegen der Scheidung, aber wir beide können doch trotzdem noch miteinander sprechen, oder? Kannst du … kannst du dich mal melden? Bitte.«

Ben legte auf. Mehrere Minuten hielt er das Telefon noch in beiden Händen – in der Hoffnung, sein Vater würde gleich zurückrufen. Wenn er es sich ganz fest wünschte, würde es dann passieren? Lange stand er da und versuchte, das Telefon per Willenskraft zum Klingeln zu bringen.

Es klingelte aber nicht.

Ben fühlte sich auf einmal so schwer, als hätte er einen Berg Steine verschluckt. Ihm wurde speiübel. Er warf seinen Rucksack auf den Küchentisch und legte sich flach auf den Boden. Die Kühle der Fliesen im Nacken tat gut. Da glitschte ihm eine riesige Hundezunge über das Gesicht.

»Mir geht’s gut, Fred«, log Ben.

Darauf fiel der Anatolische Hirtenhund nicht herein. Leise wimmernd streckte Fred sich neben seinem besten Freund aus, den Kopf auf Bens Brust. So blieben sie eine Weile liegen.

Schließlich stand Fred auf und verließ den Raum, kehrte aber gleich darauf mit einem Videospiel-Controller im Maul zurück, den er in Bens Schoß fallen ließ. »Du weißt einfach immer, was ich gerade brauche«, sagte Ben und kraulte ihn hinter den Ohren. Ben schlurfte zum Wohnzimmersofa und schaltete den Fernseher ein. Beim Zocken besserte sich seine Laune – zumindest bis seine Mutter von der Arbeit nach Hause kam und fragte: »Hast du schon Hausaufgaben gemacht?«

»Ähhh … nein?«

»Spiele aus, Hausaufgaben an«, erwiderte Frau Hunter.

»Aber wozu?«, murmelte Ben. »Wenn ich gute Noten schreibe, kommt Dad auch nicht wieder zurück.«

»Wie war das?«

»Nichts, nichts.« Ben schaltete den Fernseher aus und ging zur Treppe.

»Ben Hunter! Du lässt mich nicht einfach so stehen. Ich habe genau gehört, was du gesagt hast.«

»Und wieso fragst du dann?«

Frau Hunter schüttelte den Kopf. Sie nahm Bens Hand, zog ihn auf die untersten Stufen hinunter und setzte sich neben ihn. »Die Scheidung war schlimm, ich weiß. Wir mussten weg von zu Hause, von unseren Freunden und in eine ganz neue Stadt. Das ist eine große Veränderung, so etwas kann einem Angst machen –«

Angst? Ben überlegte, was er seit seinem Umzug nach Ost-Emerson alles zu Gesicht bekommen hatte: Vampire, Hexen, Spinnen in Autogröße, Meerjungfrauen mit spitzen Zähnen, mit denen sie vermutlich Menschen verspeisten, unterirdische Tunnel, in denen ein Herz pochte … Angst war da noch viel zu harmlos ausgedrückt.

»– aber es kann auch sein Gutes haben«, beendete seine Mutter ihren Satz.

»Was soll gut daran sein, dass Dad mich vergisst?«, erwiderte Ben.

Sie presste die Lippen aufeinander. »Er hat dich nicht vergessen. Das könnte er nie.«

»Dann hat er anscheinend vergessen, wie man ein Telefon benutzt.« Ben stand auf. »Sonst würde er mich nämlich irgendwann mal zurückrufen.«

Er stampfte die Treppe hoch in sein Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu, dass die gerahmten Fotos an den Wänden nur so wackelten.

Werte Leserin, werter Leser, womöglich hältst du Ben nun für einen Rüpel, Tunichtgut und ziemlichen Unsympathen. Zugegeben, er benimmt sich wie ein Rüpel, Tunichtgut und ziemlicher Unsympath, aber er ist weder das eine noch dieses oder jenes andere. Sei nicht zu streng mit ihm. Manchmal legt uns das Leben Steine in den Weg, um uns herauszufordern – und in solchen Situationen schlagen wir allzu leicht blind um uns und treffen unsere Liebsten: Mütter, Freunde und Nachbarn. So schlug auch Ben wild um sich. Trotz seines ziemlich unsympathischen Benehmens fühle ich mit ihm. Es ist nie schön, tief verletzt zu werden, vor allem von Vater oder Mutter.

Es ist auch nicht schön, von einer Mistgabel aufgespießt oder in Brand gesetzt zu werden. Beides habe ich selbst erlebt, mehrmals sogar, und teilweise waren meine eigenen Eltern nicht ganz unbeteiligt. Aber das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll. Jetzt geht es um Ben. Wo waren wir? Ach, stimmt …!

Nachdem er also die Tür zugeknallt hatte, warf Ben sich aufs Bett und vergrub seinen Kopf unter dem Kissen. Er wollte nicht, dass irgendjemand seine Tränen sah.

***

Endlich stand Ben auf. Seine Augen brannten, seine Kehle war rau. Die Sonne war schon untergegangen, und aus dem Erdgeschoss stieg der Geruch von Abendessen herauf – seine Mutter kochte. Er schnupperte. Schnupperte noch einmal. Es duftete nach Hotdogs. (Wie mir zu Ohren gekommen ist, werte Leserin, werter Leser, bestehen Hotdogs tatsächlich nicht aus Hunden! Vielmehr ist die dazugehörige Wurst aus Schweinen gemacht. Ich will nicht zu pedantisch sein, aber sollte man diese leckere Brötchen-Fleischschlauch-Kombination dann nicht »Hot Pig« nennen?)

»Tut mir leid«, flüsterte Ben, als er die Küche betrat. »Das vorhin. Ich bin nicht sauer auf dich.«

»Ich weiß.« Frau Hunter wischte ihre Hände an einem Geschirrtuch ab und umarmte ihn, gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »Setz dich. Es gibt dein Lieblingsessen.«

Beim Abendessen erzählte sie ihm von ihrem Arbeitstag im Krankenhaus. »… und da habe ich gesagt: Noch einen Katheter wechseln, das schaffe ich heute nicht. Sieben in einer Schicht reichen, vielen Dank auch! Und wie war’s bei dir so?«

»Hmm … Unser Mathelehrer Herr Lupus konnte heute kaum unterrichten, er musste die ganze Zeit niesen und hat sich gekratzt und die Nase geputzt. ›Bin nur allergisch‹, hat er gesagt. Angeblich auf Hunde. Irgendwie komisch. Wo er doch selber ein Werwolf ist. Dann ist er also allergisch auf sich selbst!«

Frau Hunter seufzte. Sie hatte es aufgegeben, Ben für seine – wie sie dachte – blühende Fantasie auszuschimpfen. »Deine komischen Geschichten sind ja sehr kreativ«, versuchte sie positiv zu bleiben, »aber findest du es richtig, dir Lügen über deine Lehrer auszudenken?«

Davon konnte keine Rede sein. Ben sagte die Wahrheit. Ost-Emerson war eine seltsame Stadt voller seltsamer Erscheinungen – ein Mathematik unterrichtender Werwolf war da noch das kleinste Übel. Davon wusste Bens Mutter allerdings nichts. Und da er sie nur ungern anschwindelte, selbst bei Themen wie Monstern, Magie, Mythen und mörderischen Mutanten, blieb er immer ehrlich, ließ sie aber in dem Glauben, er würde bloß Quatsch machen.

Ben schob den letzten Bissen in den Mund und schmierte sich dabei knallgelben Senf auf die Backe. Später, als er abspülte, tauchte vor dem Fenster ein Kater auf. Ein Kater, der ihn beobachtete.

Das, werte Leserin, werter Leser, war kein gewöhnlicher Kater. Immerhin befinden wir uns in Ost-Emerson, wo die größten Absonderlichkeiten an der Tagesordnung sind! Der Kater hatte eine Antenne, ein rotes Roboterauge und vier verschiedenfarbige Beine, als wäre er wie eine Puppe zusammengenäht worden, und außerdem trug er kleine Drachenflügel. Er hieß Faust und gehörte einer mehr als bösen Hexe. Im Auftrag dieser Hexe spionierte das Flickenvieh Ben und seine Freunde aus. Wann immer irgendwo seine Schnurrhaare aufblitzten, tat Ben so, als würde er den Kater nicht sehen.

Kaum war Faust wieder in den Nachthimmel davongeflattert, da läutete Bens Handy. Es war Lucy.

»Wo bist du?«, fragte sie in scharfem Ton. »Hast du vergessen, was heute Nacht ist? Komm sofort rüber.«

Ben warf einen Blick aus dem Fenster. »Es ist Vollmond!? Ich bin unterwegs!«

Er sagte seiner Mutter Bescheid und überquerte eilig die Straße. Auf der anderen Seite warteten Lucy Cross und ihr Bruder Linus vor ihrer Haustür.

»Hattest du auch Besuch von Frankencat?«, fragte Lucy. »Oestre beobachtet uns. Sie will sichergehen, dass wir uns nicht an Halloween erinnern.«

»Ich habe keine sogenannte Frankensteinkatze gesehen«, meinte Linus. »Sondern nur einen gewöhnlichen männlichen Vertreter der Art Felis catus bemerkt.«

Lucy stöhnte. »Wie oft denn noch, kleiner Bruder? Ich dachte, wir wären durch mit dem Thema. Du siehst es eben nicht, Ben und ich schon. Weil wir ein Auge dafür haben, für Magie und das ganze andere kranke Zeug – ich habe nämlich meinen coolen Zauberring, und Ben … na ja, der ist eben einfach schräg drauf. Du wirst uns vertrauen müssen.«

Gut möglich, dass Ben einfach zu schräg drauf war. Vielleicht rief ihn sein Vater deswegen nie zurück?

Linus verschränkte die Arme. »Ich bin ein Mann der Wissenschaft. Ich verlasse mich lieber auf meine eigene Wahrnehmung als auf eine Schwester, die mir noch immer jeden Morgen Streiche spielt.«

»O Mann!«, rief Lucy mit einem belustigten Schnauben. »Das war so witzig. Dass du echt noch mal auf die Plastikfolie über der Klobrille reingefallen bist!«

»Wechseln wir das Thema«, sagte Linus. »Da Vollmond ist, sollten wir –«

Ein tiefes, furchterregendes Heulen hallte durch die Nachtluft. Die drei Freunde blickten sich in den dunklen Straßen ihres Viertels um. Am Himmel hing der helle, gewaltig große Mond.

Eilig fuhr Linus fort: »– sollten wir uns zur Diskussion der neuesten unheimlichen Vorkommnisse in dieser Stadt nicht lieber in mein Zimmer zurückziehen – insbesondere angesichts der heutigen Mondverhältnisse?«

Also ging Ben mit seinen Freunden rein. Das Zuhause der Familie Cross wirkte wie aus einem Einrichtungsmagazin ausgeschnitten: elegante, moderne Möbel, jeder Gegenstand am rechten Platz, weit und breit kein noch so kleines Staubkörnchen. Ben wurde rot. Seine Mutter und er hausten immer noch inmitten von Umzugskisten.

Sie waren gerade auf dem Weg zur Treppe, da steckte Herr Cross seinen Kopf aus der Küche. »Hey, Ben! Hast du dich gegenüber inzwischen ein bisschen eingelebt?«

»Ja, Herr Cross.«

»Hast du schon was zu Abend gegessen? Falls du Hunger hast: Es ist noch Gemüselasagne übrig.«

»Danke, aber ich habe gerade gegessen.«

»Wollt ihr vielleicht einen Nachtisch?«, fragte Herr Cross. »Meine Crème brûlée haut so richtig rein!«

Ächzend verdrehte Lucy die Augen. »Wir wollen nichts, Dad!« Und leiser fügte sie hinzu: »Der nervt vielleicht.«

Ben konnte das nicht verstehen. Ihr Vater war total nett. Hätte er einen dermaßen coolen Vater gehabt, hätte er ihn ganz bestimmt nicht so runtergemacht.

»Komm schon, Ben, wir haben zu tun.« Lucy packte ihn am Arm und zerrte ihn hinter Linus die Treppe hinauf.

In Linus’ Zimmer standen meterweise Regale, die nur so von Büchern überquollen. Auf dem Schreibtisch sah Ben einen großen Computer, ein Mikroskop, verschiedene Kristalle in Messbechern und Glasbehältnissen, etliche Notizhefte und eine von tanzenden blauen Funken erfüllte Glaskugel. Linus besaß sogar ein Hochleistungsteleskop, und an der Wand hing ein Poster von Albert Einstein (mit rausgestreckter Zunge).

Auf dem Bett lag Linus’ übergroßer Rucksack offen herum. In jeder Tasche und jedem Fach war irgendetwas fein säuberlich verstaut. So passte eine unglaubliche Menge an Kram hinein: mehrere Taschenlampen, ein Schweizer Taschenmesser, ein Multifunktionswerkzeug, etliche Kugelschreiber, Erste-Hilfe-Ausrüstung, ein Radio mit Handkurbel, Ersatzbatterien, Snacks, eine Flasche Wasser, ein Pfefferspray, Klebeband, eine Signalpfeife, ein Fernglas, eine Lupe, Feuchttücher, eine Damenstrumpfhose …

Eine Damenstrumpfhose? Ben wollte schon fragen, was Linus damit vorhatte, doch der kam ihm klugerweise zuvor. »Die Idee hinter meinem Notfallkit ist, dass es für jede vorstellbare Eventualität alles auch nur theoretisch Nützliche enthält. Aber mein Weitblick soll hier nicht das Thema sein. Wir haben ein Rätsel zu lösen. Nehmt Platz.« Er deutete auf zwei Sitzsäcke. »Ich habe einen Vier-Stufen-Plan zur Rettung Ost-Emersons entwickelt.«

Er klappte eine Präsentationstafel auf. Darauf stand:

LINUS’ SCHLACHTPLAN

1. Oestres Motive und Pläne erforschen

2. Oestre aufhalten und die Stadt retten

3. Oestre fragen, wieso Ost-Emerson das Übernatürliche magnetisch anzieht

4. Oestre an die Polizei übergeben

»Wow«, sagte Lucy mit einem Anflug von Ironie. »So leicht ist das! Hätte ich auch mal selbst draufkommen können! Sorry, aber glaubst du ernsthaft, wir können Oestre einfach so einkassieren? Das ist eine uralte Hexe, die mit einem einzigen magischen Fingerschnippen töten kann! Also echt …«

»Zum jetzigen Zeitpunkt mag euch meine Strategie eher simpel gestrickt erscheinen, aber irgendwo müssen wir beginnen«, verteidigte Linus sich. »Und im Moment haben wir nur einen Anhaltspunkt: den rätselhaften Ausspruch einer Füchsin.«

Ben zog sein Notizbuch hervor. Darin hatte er all die Fragen aufgeschrieben, die ihm zu Ost-Emerson eingefallen waren, und auch alle ihre Erkenntnisse aus dem Oktober. Er blätterte die Seiten durch: »Hier. Das waren die letzten Worte der Silberfüchsin an Halloween: Vorsicht vor dem Vollmond und Fremden mit zu viel Haar, denn Ost-Emerson schwebt noch immer in Gefahr. Also Vollmond wäre jetzt.«

»Eben deswegen hatte ich für den heutigen Abend eine Besprechung einberufen«, meinte Linus.

»Vorsicht vor Fremden? Das weiß doch jedes Kind«, spottete Lucy. »Man sollte nicht zu gruseligen Typen ins Auto steigen, nur weil sie einem Süßigkeiten schenken wollen. Okay, geht klar. Aber was ist ihr Problem mit Haaren?«

»Die Haare selbst dürften unproblematisch sein«, wandte Linus ein. »Aber die Fremden mit den Haaren …«

»Wären Fremde ohne Haare besser?« Lucy machte ein Gesicht, als gelte es, eine knifflige Denksportaufgabe zu lösen. »Ich glaube kaum.«

Linus winkte ab. »Ich habe über den Zusammenhang zwischen dem Vollmond und behaarten Fremden nachgedacht, und meine Hypothese lautet: Lykanthropie.«

»Lyka-wasnochmal?«, fragte Lucy.

»Lykanthropie. Das ist der Fachausdruck für die Verwandlung des Menschen in einen Werwolf. Allerdings existiert dieses Phänomen nur in der Fantasie – oder?«

Ben und Lucy sahen einander an.

»Wir sind hier in Ost-Emerson. Da ist alles Übernatürliche ganz natürlich«, antwortete Lucy.

»Ich habe einen Werwolf als Mathelehrer«, sagte Ben. »Der ist aber eigentlich ganz nett. Und er ist kein Fremder. Ich kenne ihn ja.«

»Letzten Monat haben wir gegen Vampire gekämpft, und jetzt sollen wir gegen Werwölfe antreten?«, fragte Lucy. »Supergut! Kommt, gehen wir auf Patrouille! Mal gucken, ob wir einen sehen.«

»Mir wäre es lieber, wir würden erst einmal einen Plan formulieren«, wandte Linus ein.

»Plan-Schmarrn. Pläne sind was für Feiglinge. Wir gehen einfach raus und schauen uns nach behaarten Fremden um.«

Ben zuckte mit den Schultern. »Da geb ich Lucy recht. So groß ist die Stadt nicht. Wir können einfach ein, zwei Runden mit dem Fahrrad drehen.«

»Genau«, sagte Lucy. »Was soll schon schiefgehen?«

Werte Leserin, werter Leser, bitte schreib dir Folgendes hinter die Ohren: Niemals dürfen dir die Worte Was soll schon schiefgehen? über die Lippen kommen. Davon fühlt sich das Universum geradezu herausgefordert, alles schiefgehen zu lassen. Und das will man nicht. Wieso sagst du nicht lieber: Was soll schon gutgehen? Wäre das nicht viel vielversprechender?

Ben, Lucy und Linus sahen einander an. Sie vernahmen den Ruf des Abenteuers – und konnten nicht widerstehen. Kurz darauf rannten sie die Treppe hinunter.

»Ihr wollt noch mal raus?«, fragte Herr Cross, der ein Blech mit frisch gebackenen Schoko-Cookies in der Hand hielt. »Ich hatte eigentlich eine Überraschung für euch.«

»Sorry, Dad.« Lucy schob sich rasch einen Keks in den Mund. »Aua! Heiß! Wir müssen! Wollen noch schnell was für die Schule erledigen!«

»Jetzt? Es ist kurz vor neun –«

»In der Tat«, unterbrach Linus ihn. »Wir, äh, wir sollen für Biologie die Auswirkungen des Vollmonds auf das Verhalten von Glühwürmchen beobachten. Und nach Sonnenuntergang geht das am besten.«

»Ah, verstehe. Dann viel Spaß. Passt auf euch auf und sagt Bescheid, wenn ihr irgendwas braucht.«

Lucy und Linus rauschten aus der Haustür, Ben blieb aber noch einmal stehen. Er dachte an seinen Vater und spürte wieder dieses Schweregefühl. »Danke, Herr Cross.«

Zwei Minuten später strampelte Ben hinter Linus’ Fahrrad und Lucys Skateboard hinterher. Zu dritt rollten sie ihre Straße hinunter und bogen in die nächste ein.

Linus wischte sich Schweiß von der Stirn. »Kaum zu glauben. Ich habe einen unserer Erziehungsbots angelogen.«

»Ich bin stolz auf dich, Brüderchen«, sagte Lucy. »Damit bist du deinem großen Ziel, wie deine Schwester zu werden, einen Schritt näher gekommen.«

»Bitte nimm das zurück«, entgegnete Linus. »Du und ich, wir haben nicht das Geringste gemeinsam.«

Lucy musste lachen. »Wie du meinst.«

»Ist dein Rucksack nicht ein bisschen zu schwer, um ihn überallhin mitzuschleppen?«, wollte Ben von Linus wissen.

»Das ist er. Aber wie sagt der Volksmund so schön? Vorsicht ist besser als Nachsicht. Was uns auch erwarten mag, ich habe das passende Werkzeug dabei.«

»Sind da Gummibärchen drin?«, fragte Lucy.

»Ja. Aber die sind nicht für dich gedacht. Sondern für Notfälle.«

»Das ist ein Notfall. Ich brauche Zucker.«

So fuhr das Trio von einem Ende Ost-Emersons zum anderen und wieder zurück. Werwölfe sichteten sie keine, und trotzdem wurde Ben an jeder Ecke daran erinnert, dass seine neue Heimat nicht wie andere Städte war. Im Gegenteil. Eine alte Dame trippelte mit ihrem Hund den Bürgersteig entlang, allerdings war sie ein Gespenst – und er auch. Ein Feuerwehrauto raste vorbei, am Steuer ein abscheulicher Schneemann. In einer Einfahrt stieg gerade ein Vater aus seinem Minivan aus und brachte die Einkäufe ins Haus, wo eine Familie aus 1,50 Meter großen Ameisen auf ihn wartete. Und vor einer roten Ampel stand ein Motorradfahrer, allerdings ohne Kopf.

Linus, der nicht sehen konnte, was Ben sah, kommentierte das so: »Beim Führen eines zweirädrigen Kraftfahrzeugs sollten Sie unbedingt einen Helm tragen.«

Der Mann hob den Daumen und brauste davon.

»Was war das denn?«, sagte Ben zu Lucy.

»Den kopflosen Reiter meinst du? Ach, der ist harmlos. Letztes Jahr hat er sein Pferd verkauft und ist auf eine Harley-Davidson umgestiegen.«

»Es ist schon spät«, bemerkte Linus. »Sollten wir nicht langsam nach Hause, um Dad nicht zu verärgern?«

»Aber der Ausspruch der Silberfüchsin –«, fing Ben an.

»Schaut mal, da!« Mit einer schnellen Skateboarddrehung hielt Lucy am Spellman Drive an. Auf das Straßenschild waren einige Zahlen gesprayt worden:

12-1-19-19-20

5-21-3-8

14-9-3-8-20 2-5-9-19-19-5-14

8-5-21-20-5 14-1-3-8-20

»Was glaubt ihr, was das soll?«, fragte Ben. »Ist das wieder ein Code?«

»Vergesst den Quatsch«, wisperte Lucy. »Hört ihr das?«

»Ich höre gar nichts.«

»Ganz genau«, erwiderte sie. »Man hört nicht mal Insekten. Komisch, oder? Normalerweise zirpen die Grillen nachts doch um die Wette.«

Ein kalter Schauer kroch über Bens Rücken. Ein Stück die Straße hinunter entdeckte er ein blau-rotes Blinken. »Da! Polizei!«

»Das sollten wir uns genauer angucken«, entschied Lucy.

Vor dem Haus des alten Herrn Maxwell parkte ein schwarz-weißer Streifenwagen. Das Blaulicht blitzte, doch es war kein Mensch zu sehen. Lucy, Linus und Ben hielten einige Meter entfernt an. »Äh … Wo sind denn die Polizisten hin?«

»Andere Frage.« Lucy zeigte mit dem Finger auf ihre Füße. »Von wem stammt das Blut da unten?«

Sie waren mit den Fahrrädern und dem Skateboard mitten in eine tiefrote Lache gerollt. Und als sie gerade wenden wollten, rief jemand: »Was macht ihr hier?«

»Aaahh!«, kreischten die jungen Detektive – ehe sie sich umdrehten. Im Schatten hinter dem Haus standen zwei Polizisten und Herr Maxwell.

»Mann!«, ereiferte Lucy sich. »Erschrecken Sie uns doch nicht so!«

Während er sich näherte, kicherte der eine Polizist. Auf seinem Namensschild war Officer Ramirez zu lesen. »Tut mir leid. Aber würdet ihr uns bitte verraten, was ihr so spät noch hier draußen macht?«

»Wir sind auf dem Heimweg von einem Lerntreffen. Hat sich hingezogen«, antwortete Lucy. »Was ist hier passiert?«

»Nichts. Wir drehen nur unsere übliche Runde.«

»Und die riesige Blutlache da?«, hakte Linus nach.

Da sanken die Mundwinkel der Polizisten nach unten, und als Herr Maxwell einen Schritt ins Mondlicht tat, wurden seine zerfetzte Kleidung und sein blutüberströmter Arm sichtbar. »Ist nicht weiter schlimm. Bloß ein kleiner Unfall.«

»Ein kleiner Unfall?«, wiederholte Lucy. »Sie sehen aus, als hätten Sie Ihren Arm in einen Mixer gesteckt.«

»Ich wurde von einem Tier gebissen. Das verheilt schon wieder«, entgegnete Herr Maxwell. Und noch während Ben in der Dunkelheit die Augen zusammenkniff, wuchs die Haut an Herrn Maxwells Arm tatsächlich wieder zusammen. Ein paar Sekunden später war nur noch eine bissförmige Narbe übrig. Das war aber nicht alles: Auf Herrn Maxwells Armen schienen zusätzliche Haare zu sprießen, ebenso auf seinem Gesicht und seinen Händen.

Wie dir, werte Leserin, werter Leser, vielleicht bekannt ist (oder auch nicht), verfügen Werwölfe über bemerkenswerte Selbstheilungskräfte. Diese Erfahrung musste ich am eigenen Leib machen, als ich mich während des Boxeraufstands in China mit derartigen Bestien balgte. Ein Glück, dass mein Leib ohnehin aus totem Fleisch besteht – für mich waren ihre Bisse nur eine kleine Unannehmlichkeit. Doch trifft es einen Menschen, so wie Ben, Lucy und Linus es sind und vermutlich auch du es bist, kann ein solcher Biss den ganzen Körper aus dem Gleichgewicht bringen. Solltest du, werte Leserin, werter Leser, jemals einem Lykanthropen gegenüberstehen, musst du schleunigst die Flucht ergreifen. Außer du hättest Spaß daran, regelmäßig den Vollmond anzuheulen und zum Pinkeln das Bein zu heben.

Ben kniff noch immer die Augen zusammen. Bisher hatte er gedacht, die Polizisten hätten einfach beide einen Vollbart. Jetzt erkannte er, dass ihre Wangen noch deutlich behaarter waren. Und Herr Maxwell ähnelte ihnen mehr und mehr.

Aus den Kehlen der drei Männer drang ein dunkles Grollen, zugleich zuckten und wanden sie sich, als hätten sie einen Anfall. Ein Krachen tief in ihrem Körper, wie von knackenden Knochen, und die Knöpfe flogen von ihren Hemden. Sie wuchsen, verformten sich.

»Äh, Lucy …«, flüsterte Ben.

»Linus?«, sagte Lucy. »Wir müssen hier weg.«

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