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Golden Dynasty - Teil 1 & 2

GOLDEN DYNASTY - GRÖßER ALS VERLANGEN
Eine Familie, aufgebaut auf Sünden und Skandalen. Julia ist fassungslos, dass dieser berüchtigte Clan sie als Krankenschwester engagiert hat. Aber noch mehr schockiert sie, dass sie einen der Brüder bereits persönlich kennt. Sehr persönlich. Mit Lucian, dem jüngsten und wildesten Spross der Familie, hatte sie erst gestern eine heiße Nacht. Und er könnte ihr gefährlicher werden als alle Intrigen und dunklen Geheimnisse, in deren Strudel sie hinter den Toren des prächtigen Anwesens gerät …

GOLDEN DYNASTY - BRENNENDER ALS SEHNSUCHT
Unfassbar reich, unglaublich mächtig - und sie füllen die Titelseiten der Boulevardpresse. Nikki Besson weiß nur zu gut, wie die Welt der de-Vincent-Brüder aussieht. Denn als Tochter der Haushälterin ist sie gemeinsam mit ihnen aufgewachsen. Aber nie hätte sie gedacht, dass sie einmal auf das Anwesen in Louisiana zurückkehren würde, um selbst für diesen skandalumwitterten Clan zu arbeiten. Dorthin, wo sie sich in Gabriel verliebt hat - den sie seit der verhängnisvollen Nacht von damals nie wiedersehen wollte …

»Das richtige Buch für alle, die stimmungsvolles Drama, gefährliche Familiengeheimnisse und sinnliche Liebesromane lieben.«
Romantic Times Book Reviews

»Die verwobenen Geheimnisse und die leicht düstere Atmosphäre sorgen dafür, dass die Leser mehr wollen.«
Publishers Weekly


  • Erscheinungstag: 01.09.2019
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 784
  • ISBN/Artikelnummer: 9783945797280
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Jennifer L. Armentrout

Golden Dynasty - Teil 1 & 2

MIRA® TASCHENBUCH

Copyright © 2019 für die deutsche Ausgabe by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Copyright © 2018 by Jennifer L. Armentrout
Originaltitel: »Moonlight Sins«
Erschienen bei: Avon Books, New York

Covergestaltung: zero-media.net, München
Coverabbildung: FinePic / München
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783955768829

www.harpercollins.de
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An alle Leser,

die dieses Buch in die Hand nehmen:

Danke!

1. Kapitel

»Stimmt es, was über die Frauen gesagt wird, die hierherkommen?« Rot lackierte Fingernägel strichen über Lucian de Vincents Bauch und zogen sein Hemd vorne aus dem Hosenbund. »Dass sie … wahnsinnig werden?«

Lucian zog eine Augenbraue hoch.

»Ich habe nämlich das Gefühl, ein bisschen wahnsinnig zu werden, etwas außer Kontrolle zu geraten. Ich will dich schon so lange.« Lippen in derselben Farbe wie die Fingernägel streiften durch das kürzere Haar um sein Ohr. »Aber du hast mich nie beachtet. Bis heute Abend.«

»Das stimmt nicht«, raunte er und griff nach der Flasche Old Rip. Er hatte sie mehr als einmal angesehen. Gewiss auch einige Male abgecheckt. Dieses blonde Haar, dieser Körper in dem tief ausgeschnittenen Kleid, nein, garantiert hatte er das, so wie die Hälfte der anderen Gäste im Red Stallion auch. Verdammt, wahrscheinlich hatten an die neunzig Prozent von ihnen, männlich wie weiblich, mehr als einmal in ihre Richtung geschaut, und das wusste sie.

»Doch du warst immer anderweitig beschäftigt«, fuhr sie fort, und er konnte förmlich vor sich sehen, wie sie einen Schmollmund machte.

Er goss sich von dem zwanzig Jahre alten Bourbon ein, während er sich zu erinnern versuchte, wen er sonst noch abgecheckt haben könnte. Da waren unzählige Optionen, nur hatte er nie genau genug hingeschaut, als dass er jemanden Bestimmtes hätte nennen können. Tatsache war, dass er nicht einmal richtig auf die Frau hinter sich achtete, auch jetzt nicht, als sie das, was sich wie wundervolle Brüste anfühlte, an seinen Rücken presste und mit einer Hand unter sein Hemd glitt. Sie gab diesen Laut von sich, ein kehliges Stöhnen, das keinerlei Wirkung auf ihn hatte. Gleichzeitig legte sie die flache Hand auf seine unteren Bauchmuskeln.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der nur ein wissendes Lächeln und eine heiße Stimme vonnöten gewesen waren, damit er so hart wurde, dass er eine Wand hätte durchbohren können. Als er noch weniger brauchte, um sich für einen Moment in einer heißen Nummer zu verlieren.

Aber jetzt?

Eher nicht.

Ihre scharfen kleinen Zähne fingen sein Ohrläppchen ein und ihre Hand wanderte tiefer, bis ihre Finger seine Gürtelschnalle erreichten. »Aber weißt du was, Lucian?«

»Was?« Er hob das niedrige, schwere Glas an seine Lippen und stürzte die rauchige Flüssigkeit hinunter, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Der Bourbon floss durch seine Kehle und wärmte seinen Bauch, während er das Gemälde über der Bar betrachtete. Es war nicht das beste hier, doch etwas an den Flammen gefiel ihm, erinnerte ihn an dieses brennende Abgleiten in den Wahnsinn.

Sie öffnete seinen Gürtel. »Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder an eine andere denkst.«

»Wirst du …?« Er verstummte, runzelte die Stirn und versuchte, sich zu erinnern.

Mist.

Er hatte ihren Namen vergessen.

O Mann, verdammt, wie hieß die Frau? Die violett-roten Flammen auf dem Bild verrieten es ihm nicht. Er holte tief Luft und erstickte fast an ihrem schweren Parfüm. Es war, als hätte er einen Erdbeerstrauch im Mund.

Sein Hosenknopf sprang auf und er hörte, wie das Ratschen des Reißverschlusses den ganzen Raum ausfüllte. Keine Sekunde später war ihre Hand unter dem Bund seiner Boxershorts, da, wo sein Schwanz ruhte.

Ihre Hand erstarrte nur sehr kurz. Sie schien den Atem anzuhalten. »Lucian?«, fragte sie und schlang ihre Finger um seinen halb erigierten Schaft.

Das offensichtliche Desinteresse seines Körpers ließ Lucian angewidert den Mund verziehen. Was, verflucht noch mal, stimmte denn mit ihm nicht? Er war hier mit einer wunderschönen Frau, die seinen Schwanz berührte, und war ungefähr so erregt wie ein Schuljunge in einem Raum voller Nonnen.

Er war … verflucht, er war gelangweilt. Gelangweilt von ihr, von sich – von alldem hier. Eigentlich entsprach diese Frau seinem Beuteschema: Mit ihr könnte er ein bisschen Spaß haben und sie danach vergessen. Er war nie mehr als einmal mit einer Frau zusammen, weil es, fing man einmal damit an, sich öfter zu sehen, zu einer Gewohnheit wurde, mit der sich schwer brechen ließ. Einer von beiden entwickelte Gefühle, und das war nicht er, niemals er. Er hatte bestenfalls das Gefühl, dass er … damit durch war.

Und dieses Gefühl, drüber hinweg zu sein, über alles, begleitete ihn schon seit ein paar Monaten, lag praktisch wie die Pest über seinem gottverdammten Leben. Die Rastlosigkeit hatte sich tief in ihn eingegraben, wucherte in ihm wie der beknackte Efeu, der die ganze Hausfassade einnahm.

Und er hatte sich schon lange, bevor alles auf den Kopf gestellt wurde, so gefühlt.

Die Frau ließ ihre andere Hand unter seinem Hemd nach oben wandern und griff unten fester zu. »Du lässt mich richtig arbeiten für diesen Schwanz, was?«

Fast hätte er gelacht.

Mist.

Bedachte man, wo er in Gedanken war, müsste sie sich enorm anstrengen. Er stellte sein Glas zurück auf die Bar, ließ den Kopf nach hinten sinken und schloss die Augen, zwang seinen Geist, Ruhe zu geben. Sie war zum Glück still, während sie ihn mit der Hand verwöhnte.

Mehr denn je brauchte er das hier jetzt, dieses gedankenlose Entspannen, und sie – Clare? Clara? Irgendwas mit C, da war er sich sicher. Jedenfalls wusste sie, was sie tat. Mit jeder Sekunde wurde er härter, doch sein Kopf … tja, sein Kopf war nicht bei der Sache.

Seit wann musste er mit dem Kopf dabei sein?

Er stellte die Beine weiter auseinander, gab ihr etwas mehr Spielraum, während er blind nach der teuren Flasche Bourbon griff. Heute Nacht ging es darum, sich zu verlieren, das Gefühl zu haben, er würde tatsächlich leben. Was für jede andere Nacht auch galt, doch ganz besonders heute, denn morgen müsste er sich um einige Dinge kümmern.

Aber im Moment brauchte er nicht zu denken. Er brauchte auch nichts anderes zu fühlen als ihre Hand, dann ihren Mund und vielleicht die Art wie …

Die leisen, kaum hörbaren Schritte im Stockwerk über ihnen zwangen ihn, die Augen zu öffnen. Er neigte den Kopf zur Seite, glaubte bereits, dass er sich das Geräusch eingebildet hatte, doch da war es wieder. Eindeutig Schritte.

Wie zum Teufel konnte das sein? Er fing ihr Handgelenk ein, um sie zu stoppen. Was ihr gar nicht gefiel. Sie bewegte die Hand, rieb ihn fester und härter. Er übte gerade genug Druck auf ihre Hand aus, dass sie innehalten musste.

»Lucian?« Sie klang verwirrt.

Er antwortete nicht, sondern lauschte angestrengt. Unmöglich konnte er gehört haben, was er zu hören meinte. Es konnte niemand in den Zimmern oben sein, niemand sonst war hier.

Nachts war kein Personal im Haus. Sie alle weigerten sich, im Herrenhaus der de Vincents zu bleiben, sobald der Mond aufgegangen war.

Nichts als Stille vernahm er, möglich also, dass er sich Dinge einbildete und dafür dem verfluchten Bourbon danken durfte.

Mann, vielleicht war er derjenige, der den Verstand verlor.

Er zog ihre Hand aus seiner Hose und drehte sich zu der Frau um. Sie war wirklich schön, dachte er, als er ihr Gesicht betrachtete. Allerdings hatte er schon vor langer Zeit erkannt, dass Schönheit ein zufälliges Geschenk war, gedankenlos verteilt. In den meisten Fällen war sie nur oberflächlich und oft nicht einmal echt, sondern mit ärztlicher Hilfe und viel Geschick erzeugt.

Er legte eine Hand in ihren Nacken und fragte sich, wie tief ihre Schönheit reichte und wo die Hässlichkeit begann. Mit dem Daumen fühlte er ihren Puls, gespannt darauf, wann er sich beschleunigen würde.

Sie öffnete den Mund leicht und senkte die Lider über ihre Augen in der Farbe der Iris, die gerade überall in Louisiana blühte. Er wollte wetten, dass bei ihr zu Hause eine oder zwei Kronen lagerten, zusammen mit den passenden Schärpen, die sie als eine der vielen Schönheiten der Südstaaten auswiesen.

Langsam senkte Lucian den Kopf, da klingelte sein Handy auf der Bar. Sofort ließ er die Frau los und wandte sich um. Sie stieß ein enttäuschtes Murmeln aus. Er ging zu seinem Handy und war verwundert, als er den Namen seines Bruders auf dem Display sah. Es war spät, und außerdem lag der goldene Junge doch schon irgendwo in diesem Haus in seinem Bett. Dev wäre zu dieser Uhrzeit nicht mal mit seiner Verlobten zusammen und würde die Nacht durchvögeln, wie Lucian es sich bei normalen, glücklichen Paaren vorstellte.

Andererseits konnte er sich auch schwerlich vorstellen, dass die makellose Sabrina irgendwen vögelte.

Über die Männer und Frauen der de Vincents wurde so manches geredet. Ein Gerücht jedoch schien absolut falsch: Ihre Urgroßmutter hatte einst behauptet, wenn sich ein de Vincent verliebte, dann tat er es schnell und intensiv, ohne Verstand und ohne zu zögern.

Das war totaler Blödsinn.

Der Einzige von ihnen allen, der sich jemals verliebt hatte, war ihr Bruder Gabe gewesen, und was war dabei herausgekommen? Ein verdammtes Chaos.

»Was?«, fragte Lucian, als er das Gespräch annahm und erneut nach der Flasche griff.

»Du musst sofort nach unten in Vaters Arbeitszimmer kommen«, befahl Dev.

Lucian zog die Augenbrauen hoch, doch sein Bruder hatte schon wieder aufgelegt. Das war eine interessante Anweisung. Er steckte das Handy in seine Tasche, machte seinen Reißverschluss zu, zog den Gürtel aus den Schlaufen und warf ihn auf die nahe stehende Couch. »Bleib hier«, sagte er.

»Was? Du gehst weg?«, fragte sie, wobei es klang, als wäre sie noch nie von einem Mann stehengelassen worden, nachdem sie erst mal ihre Hand an seinem Schwanz hatte.

Er grinste sie an und öffnete die Tür, die zur Veranda im ersten Stock führte. »Ja, und du wirst hier auf mich warten.«

Ihr stand der Mund offen, aber während er hinaus in die kühle Nachtluft trat, wusste er, sie konnte so genervt sein, wie sie wollte, sie würde dennoch dableiben und auf ihn warten.

Er überquerte die Veranda und stieg die daran angeschlossene Treppe hinunter, die die direkt zur hinteren Diele führte. Das Mausoleum von einem Haus war nur schwach beleuchtet und still. Der Fliesenboden unter seinen nackten Füßen wich glattem Parkett.

Es dauerte ein paar Minuten, zum Arbeitszimmer im rechten Flügel zu gelangen, weit entfernt von den neugierigen Blicken derjenigen, die das Heim der de Vincents besuchten. Der Flügel verfügte sogar über eine eigene Zufahrt und Eingangstür.

Lawrence, sein Vater, nahm Privatsphäre extrem ernst.

Lucians Schritte wurden langsamer, als er sich den geschlossenen Türen näherte. Zwar hatte er keinen Schimmer, was ihn in dem Arbeitszimmer erwartete, doch da sein Bruder ihn um diese nächtliche Stunde kaum wegen nichts rufen würde, machte er sich auf alles gefasst.

Die schweren Eichentüren schwangen lautlos auf, und Lucian blieb direkt im Eingang des hell erleuchteten Raumes abrupt stehen. »Ach du Scheiße.«

Zwei Beine schwangen leicht hin und her, und die Brooks-Brother-Slipper aus Alligatorenleder hingen mehre Zentimeter über dem Boden. Darunter befand sich eine kleine Pfütze. Der grässliche Gestank verriet Lucian, um was es sich handelte.

»Deshalb habe ich dich gerufen«, sagte Dev matt irgendwo im Zimmer.

Lucian betrachtete die dunkle Hose, deren Beine an der Innenseite nass waren. Darüber ein türkisblaues Hemd, halb aus dem Bund gezogen. Hände und Arme hingen schlaff herunter, die Schultern waren eingesunken, und der Hals befand sich in einem merkwürdigen Winkel.

Wahrscheinlich lag es an dem Gürtel, der um ihn geschlungen war. Jener war oben am Deckenventilator befestigt, der vor gut einem Monat aus Indien importiert und hier eingebaut worden war. Mit jeder Bewegung des baumelnden Körpers hörte sich die Deckenbefestigung wie eine alte, tickende Standuhr an.

»Mein Gott«, stieß Lucian knurrend aus, ließ die Hände sinken und blickte sich rasch im Zimmer um. Die Urinlache breitete sich in Richtung des beige-goldenen Perserteppichs aus.

Würde seine Mutter noch leben, hätte sie entsetzt ihre Perlenkette umklammert.

Bei dem Gedanken trat ein verbittertes Grinsen auf seine Züge. Bei Gott, er vermisste seine Mutter an jedem einzelnen verdammten Tag, seit sie ihn – sie alle – in jener stürmischen, drückend schwülen Nacht verlassen hatte. Seine Mom hatte es gemocht, wenn Dinge schön, alters- und makellos waren. Auf eine traurige Art passte es, dass sie diese Erde genauso verließ.

Diese Gedanken setzten ihm mehr zu als der Tote in diesem Raum, weshalb er nach rechts schritt und sich in einen der Ledersessel fallen ließ. In ebendiesem Sessel hatte er als Kind gehockt und stumm einer der vielen, vielen Ausführungen gelauscht, weshalb er eine solch grandiose Enttäuschung war. Nun saß er mit gespreizten Beinen da. Er brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass sein blondes Haar, anders als das dunkle seines Bruders, aussah, als wären ein Dutzend Hände hindurchgefahren. Er brauchte auch nicht tief einzuatmen, um den extrem blumigen Parfümduft wahrzunehmen, der in seiner Kleidung hing.

Hätte Lawrence ihn so gesehen, er hätte angewidert die Oberlippe gekräuselt. Doch nie wieder würde Lawrence ihn so anschauen, denn er baumelte am Deckenventilator wie an einem Schlachterhaken.

»Hat jemand die Polizei gerufen?«, fragte Lucian, wobei er mit seinen langen Fingern auf der Armlehne trommelte.

»Das will ich doch hoffen«, antwortete Gabriel. Er lehnte sich an die polierte Kirschholzanrichte. Kristallgläser stießen klirrend gegeneinander, aber die Karaffen, gefüllt mit Brandy und feinem Whiskey, bewegten sich kaum.

Gabe, der als der normalere Bruder der de-Vincent-Horde galt, schien noch halb zu schlafen. Er trug lediglich eine Jogginghose und rieb sich das Kinn, während er die Beine beäugte. Sein Gesicht war blass und eingefallen.

Doch wer Gabriel für normal hielt, kannte ihn nicht wirklich.

»Ich habe Troy angerufen«, erklärte Dev grimmig von der anderen Seite des Arbeitszimmers. Er entsprach ganz dem Bild des ältesten Sohnes – der nun offenbar über die gesamte Dynastie herrschte: das dunkle Haar sorgfältig gekämmt, glatt rasiert und keine einzige verfluchte Falte in der Baumwollhose, in der er geschlafen hatte. Wahrscheinlich hatte er sie sogar gebügelt, ehe er herkam.

»Ich habe ihm erzählt, was passiert ist«, fuhr Dev fort. »Er ist unterwegs.«

Lucian sah hinüber zu Dev. »Hast du ihn gefunden?«

»Ich konnte nicht schlafen, deshalb bin ich aufgestanden und nach unten gegangen. Ich bemerkte, dass Licht brannte, und da habe ich ihn gefunden.« Dev verschränkte die Arme vor der Brust. »Wann bist du nach Hause gekommen, Lucian?«

»Was spielt das denn für eine Rolle?«

»Beantworte einfach die Frage.«

Lucian grinste träge, denn er begriff, worauf sein Bruder hinauswollte. »Denkst du, ich habe irgendwas mit dem gegenwärtigen Zustand des lieben alten Dad zu tun?«

Devlin schwieg. Er wartete. Was typisch für ihn war. Still und kalt wie ein frisch ausgehobenes Grab. Er hatte nichts mit Lucian gemein. Nichts. Es war Gabe, der Lucian beobachtete, als erriete er die Wahrheit, als wisse er es besser.

Lucian verdrehte die Augen. »Ich habe nicht mal gewusst, dass er wach und hier unten war, als ich nach Hause gekommen bin. Ich habe meinen eigenen Eingang benutzt und bin fröhlich mit anderem beschäftigt gewesen, bis du mich angerufen hast.«

»Ich werfe dir ja nichts vor«, erwiderte Dev in demselben Tonfall, mit dem er in ihrer Kindheit schon hunderte Male am Tag mit ihnen gesprochen hatte. »Klingt aber verdächtig danach.« Wie verkorkst war das denn? Ihr Vater baumelte an seinem Sechshundert-Dollar-Gürtel am Deckenventilator, und Dev fragte Lucian, wo er gewesen war? Seine trommelnden Finger auf der Armlehne stoppten und er bemerkte den roten Schmierstreifen an seinem Zeigefinger. Er ballte die Hand. »Und wo wart ihr zwei?«

Dev zog die Brauen hoch.

Gabe wandte das Gesicht ab.

Kopfschüttelnd lachte Lucian leise. »Hört mal, ich bin kein Forensiker, aber es sieht aus, als hätte er sich selbst erhängt.«

»Es ist ein unbeabsichtigter Tod«, behauptete Gabe, und Lucian fragte sich, aus welcher Krimiserie er diesen Ausdruck hatte. »Sie werden es dennoch untersuchen. Vor allem, weil er anscheinend keinen … keinen Abschiedsbrief hinterlassen hat.« Er wies mit dem Kinn zum leeren Schreibtisch. »Allerdings hat bisher auch noch keiner von uns richtig gesucht. Mist. Ich fasse das nicht …«

Lucian blickte wieder zur Leiche seines Vaters. Er konnte es genauso wenig fassen. »Du hast Troy angerufen?« Er sah Dev an. »Der wird wahrscheinlich eine verdammte Party schmeißen. Zum Teufel, wir sollten feiern.«

»Besitzt du überhaupt keinen Anstand?«, entgegnete Dev.

»Stellst du mir ernsthaft diese Frage? Wir reden hier über unseren Vater!«

Devs Züge verhärteten sich leicht – eine kaum merkliche Gefühlsreaktion. »Hast du eine Ahnung, was die Leute hierzu sagen werden?«

»Vermittelt dir mein Gesichtsausdruck den Eindruck, dass es mich interessiert, was andere denken?«, erwiderte Lucian ruhig. »Oder dass es mich jemals interessiert hat?«

»Dich schert es vielleicht nicht, aber das Letzte, was unsere Familie braucht, ist, schon wieder durch den Dreck gezogen zu werden.«

Es gab eine Menge Dinge, die ihre Familie nicht brauchte, doch ein weiterer dunkler Fleck auf der alles andere als weißen Weste war ihre geringste Sorge.

»Vielleicht hätte unser Vater das bedenken sollen, bevor …« Er verstummte und deutete mit dem Kopf auf die Leiche.

Dev verkniff den Mund, und Lucian wusste, dass es seinen Bruder seine gesamte Selbstbeherrschung kostete, nichts zu erwidern. Aber schließlich hatte Dev jahrelange Übung darin, nicht auf Lucians Provokation anzuspringen.

Dev schwieg, schritt einfach um die Beine ihres Vaters herum aus dem Arbeitszimmer und schloss leise die Türen hinter sich.

»Habe ich irgendwas gesagt?«, überlegte Luc laut.

Gabe bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Warum musst du das tun?«

Gleichgültig zuckte er mit einer Schulter. »Warum nicht?«

»Du weißt, wie er sein kann.«

Der springende Punkt war, dass Luc sehr wohl wusste, wie Dev sein konnte, aber tat Gabe es? Das glaubte er weniger. Wahrscheinlich, weil Gabe nicht sehen wollte, wie Dev wirklich sein konnte, wenn diese einstudierte Gefasstheit einen Riss bekam.

Gabe starrte abermals zu den verdammten Beinen, und er klang grimmig, als er fragte: »Glaubst du tatsächlich, unser Vater hat das getan?«

»Für mich sieht es so aus«, antwortete Lucian, während er sich auf die gespenstisch weißen Hände konzentrierte, eingefroren für alle Zeit.

»Es gibt nur sehr weniges, was mich bei ihm tatsächlich überrascht hätte, aber dass er sich erhängt?« Gabe strich sich mit den Fingern durchs Haar. »Das ist nicht sein … Stil.«

Luc musste ihm zustimmen. Es sah Lawrence überhaupt nicht ähnlich, ihnen den Gefallen zu tun und sie alle in Ruhe zu lassen. »Vielleicht ist es der Fluch.«

»Meinst du das ernst?« Gabe fluchte leise. »Du hörst dich schon an wie Livie.«

Bei dem Gedanken an ihre Haushälterin kehrte Lucians Grinsen zurück. Mrs. Olivia Besson war wie eine zweite Mutter für sie, gehörte so fest zu diesem Haus wie die Mauern und das Dach, aber die Frau war auch abergläubisch wie Matrosen auf stürmischer See. Das Grinsen verschwand.

Eine schwere Stille senkte sich über sie, während sie beide ihren Vater anstarrten. Es war Gabe, der das Schweigen brach, indem er flüsternd, als fürchtete er, belauscht zu werden, sagte: »Ich bin aufgewacht, bevor Dev mich gerufen hat. Ich dachte, dass ich jemanden im obersten Stock höre.«

Lucian stockte der Atem.

»Ich bin nach oben gegangen, aber …« Gabes Brust hob und senkte sich unter einem tiefen Atemzug. »Weißt du noch, was du morgen vorhattest? Das wird jetzt nicht mehr möglich sein.«

»Warum nicht?«

»Warum nicht?«, wiederholte Gabe ungläubig lachend. »Du kannst das Anwesen nicht einen Tag nach dem Tod unseres Vaters verlassen.«

Lucian sah darin kein Problem.

»Dev würde ausflippen.«

»Dev hat keine Ahnung, was ich tue«, erwiderte er. »Sicher wird er gar nicht merken, wenn ich weg bin. Und am nächsten Morgen bin ich wieder da.«

»Lucian …«

»Es ist wichtig, dass ich das mache, und das weißt du. Ich vertraue nicht … ich vertraue nicht darauf, dass Dev die richtige Person ausgesucht hat. Auf keinen Fall werde ich mich zurücklehnen und ihn das übernehmen lassen.« Sein Ton duldete keine Widerrede. »Dev mag sich so viel er will einbilden, dass er derjenige ist, der alles regelt. Ist mir egal. Aber ich werde hier ein Wort mitreden.«

Gabe seufzte erschöpft und ließ einen Moment verstreichen. »Dann sorg lieber dafür, dass dein Gast vollends begreift, wie wichtig es ist, dass sie keine Silbe über das verliert, was hier geschehen ist.«

»Natürlich«, murmelte Lucian und erhob sich träge. Ihn wunderte nicht, dass sein Bruder von dem Besuch wusste, den er mit nach Hause gebracht hatte.

Dieses Haus hatte Augen und Ohren.

Gabe lief zur Tür. »Ich suche Dev.«

Lucian schaute seinem Bruder nach, ehe er sich wieder zu seinem toten Vater umdrehte, in sich hineinhörte und hoffte, irgendwas, egal was, zu fühlen. Der Schock, den er beim Betreten des Zimmers empfunden hatte, war schon verflogen gewesen, bevor er in ihm nachwirken konnte. Dieser Mann, der am Deckenventilator hing, hatte ihn aufgezogen, und Lucian konnte keinen Funken Trauer aufbringen. Achtundzwanzig Jahre hatte er unter der Fuchtel dieses Mannes gelebt, und da war nichts. Nicht mal Erleichterung. Schlicht ein Abgrund von Nichts.

Wieder blickte er zum Deckenventilator.

Hatte Lawrence de Vincent sich erhängt? Der Patriarch der Familie hätte sie alle aus purem Trotz überlebt.

Doch wenn er es nicht gewesen war, bedeutete es, dass jemand anders ihn getötet und es wie Selbstmord hatte aussehen lassen. Was nicht auszuschließen war. Verrücktere Sachen passierten. Lucian dachte an die Schritte, die er gehört hatte. Es konnte nicht sein …

Für einen Moment schloss er die Augen und stieß einen Fluch aus. Dies würde eine lange Nacht, und das nicht im spaßigen Sinne. Der morgige Tag würde noch länger. Als er das Zimmer verließ, bückte er sich und rollte den schweren Teppich ein Stück auf, damit die Lache ihn nicht erreichte.

2. Kapitel

Auf dem Weg die dämmrige Treppe hinauf übersprang Lucian mal eine, mal zwei Stufen. Sein Wohnbereich war nicht der erste Halt. Stattdessen eilte er auch die dritte Treppe hinauf und durch den überdachten Gang in den Korridor. Wandleuchten erhellten den Weg gerade so, dass er wenige Schritte vor sich etwas sehen konnte.

Er kam an mehreren geschlossenen Türen von Zimmern vorbei, die das Personal aus diversen verschrobenen Gründen nicht betreten wollte, und blieb am Ende des Korridors stehen. Seine Rückenmuskeln spannten sich an, als er die grauweiße Tür ansah.

Der Knauf lag kalt in seiner Hand. Lucian drehte ihn und öffnete die Tür, woraufhin diese lautlos über den dicken Teppichboden glitt. Rosenduft umwehte Lucian. In dem Zimmer brannte Licht. Eine der kleinen Nachttischlampen mit pastellfarbenem Schirm war angeschaltet. Die Gestalt, die in dem großen Bett mit den handgedrechselten Pfosten lag, wirkte unglaublich klein und zerbrechlich. Kein bisschen so, wie sie früher gewesen war.

»Maddie?«, rief er, was sogar in seinen eigenen Ohren schroff klang.

Im Bett rührte sich nichts. Kein Geräusch. Nichts, das ihm verraten könnte, ob sie wach war oder ihn wahrnahm. Sein Brustkorb verengte sich unter einem Druck, den noch so viel Trinken und Vögeln nicht lindern konnten.

Unmöglich konnten jene Schritte ihre gewesen sein.

Er blickte in das Bett, schaute sie für einen Moment an; dann trat er zurück und schloss die Tür hinter sich. Während er sich mit einer Hand übers Gesicht fuhr, steuerte er auf den Durchgang zu und stieg eine Treppe tiefer. Dort passierte er das leere Gästezimmer schräg gegenüber von seinen Zimmern.

Eine andere Form von Anspannung überfiel ihn, als er die Tür zu seinen Räumen aufriss. Drinnen blieb er direkt wieder stehen.

Sein Gast stand von der Couch auf, vollständig nackt bis auf schwarze Vögel-mich-Schuhe. O Mann. Sein Blick wanderte nach unten, der Hand mit den rot lackierten Fingernägeln folgend zwischen den Brüsten hindurch und tiefer, zwischen ihre Schenkel.

»Du hast zu lange gebraucht«, sagte sie und biss auf ihre Unterlippe, als er wieder in ihr Gesicht sah. »Da habe ich schon mal alleine angefangen.«

Klang für ihn nach einer super Art, sich die Zeit zu vertreiben.

Ein Teil von ihm wollte die Tür hinter sich zu treten und vergessen, was unten los war. Verdammt, er war ein Mann, und vor ihm verwöhnte sich eine sehr attraktive und sehr nackte Frau selbst, aber …

Verflucht.

Er durfte sich nicht erlauben, diesen vergnüglichen Pfad einzuschlagen.

Also konzentrierte er sich auf ihre Nase, die er für unverfänglich hielt. »Süße, ich tue das nur sehr ungern …«

Sie stürzte sich wie ein Tiger auf ihn, sprang regelrecht einen guten halben Meter oder gar weiter durch die Luft.

Vor lauter Schreck fing er sie auf, er konnte sie ja schlecht auf dem Boden aufschlagen lassen. Er mochte ein Arsch sein, aber ganz so mies war er dann doch nicht.

Lange Beine schlangen sich um seine Hüften, und warme Hände legten sich an seine Wangen. Ehe er auch nur Atem holen konnte, war ihr Mund auf seinem, drängte ihre Zunge zwischen seine Lippen, so wie sie offensichtlich wollte, dass er es zwischen ihren Schenkeln tat.

Anscheinend hatte sie sich etwas aus der Flasche Bourbon genehmigt.

Das schmeckte er.

Er fasste sie an den schmalen Hüften, befreite sich von ihr, als ob er einen Schokoriegel auspacken würde, und stellte sie hin. »O Mann«, raunte er und trat zurück. »Warst du am College im Leichtathletik-Team?«

Sie trat einen Schritt vorwärts und runzelte die Stirn, da er ihr auswich, sich bückte und ihren Slip aufhob. Verwundert beobachtete sie, wie er als Nächstes nach ihrem Kleid griff. »Was machst du?«

»Auch wenn ich die enthusiastische Begrüßung sehr zu schätzen weiß, musst du gehen.« Er hielt ihr ihre Sachen hin.

Sie ließ die Arme an ihrem Körper herunterhängen. »Was?«

Mit einer Geduld, die er für gewöhnlich gar nicht besaß, holte er tief Luft. »Entschuldige, Süße, aber du musst gehen. Es ist etwas dazwischengekommen.«

Ihr Blick glitt zur Tür hinter ihm, und Lucian schwor bei Gott, sollte dort einer seiner Brüder stehen … »Was ist dazwischengekommen?«, fragte sie.

»Nichts, was dich etwas anginge.« Als sie sich weiterhin weigerte, ihre Sachen zu nehmen, warf Lucian sie auf die Couch hinter ihr. »Hör mal, es tut mir leid, doch du musst jetzt sofort verschwinden.«

Ihre Kinnlade fiel herunter, und sie machte keinerlei Anstalten, sich Richtung Couch zu bewegen und sich anzuziehen. »Auf keinen Fall schickst du mich jetzt weg.«

Drückte er sich unverständlich aus?

»Egal, was los ist, ich kann warten …«

»Du kannst nicht warten, und ich habe wirklich keine Zeit hierfür«, fiel er ihr deutlich bestimmter ins Wort.

Einen Moment lang starrte sie ihn an, dann kniff sie die Lippen zusammen. »Du willst mich doch verarschen, oder? Das ist totaler Bullshit.« Ihre Stimme wurde schriller, und Lucian stellte fest, dass er die Antwort auf seine Frage von vorhin bekam. Ihre Schönheit war wirklich nur oberflächlich. »Du schleifst mich den ganzen Weg hier raus, machst mich scharf und setzt mich dann vor die Tür?«

»Dich scharfmachen?« Er lachte. »Ich habe dich kaum berührt.«

»Darum geht es nicht.«

»Ob du deine Klamotten mitnimmst oder nicht, ob du splitternackt gehst oder dir deine verdammten Sachen anziehst, das ist mir ehrlich gesagt scheißegal.« Er trat auf sie zu; diese Unterhaltung war für ihn beendet. »Aber ich habe das Gefühl, dass der Fahrer, der unten auf dich wartet, nicht deinen nackten Arsch auf seinen Polstern haben will.«

Ihre Wangen röteten sich. »Weißt du überhaupt, wie ich heiße?«, fragte sie, während er zur Bar lief.

Ach, verflucht noch eins.

Er schenkte sich einen Drink ein, wohlwissend, dass diese Situation schneller eskalierte, als er gucken konnte.

»Ich heiße übrigens Cindy, du Arschloch.«

Er kippte den Drink herunter und war froh, dass er beim Raten gar nicht mal so weit danebengelegen hatte. Dann drehte er sich wieder zu ihr um.

Cindy zog sich gerade einen schwarzen Fetzen Seide über die Schenkel nach oben. »Hast du einen Schimmer, wie viele Männer buchstäblich sterben würden, um jetzt an deiner Stelle zu sein?«

»Sicher ist es eine lange Liste«, antwortete er trocken.

Sie schnappte sich ihr Kleid von der Couch und sah ihn wütend an. »O ja, du klingst sehr überzeugt.« Das Kleid glitt über ihren Kopf. »Weißt du eigentlich, wer ich bin?«

»Ich weiß sogar genau, wer du bist.«

»Da du nicht mal meinen Namen kanntest, bezweifle ich es.« Sie griff ihre Handtasche vom Beistelltisch und warf ihr blondes Haar über die Schulter. »Aber du wirst es wissen, wenn ich mit dir fertig bin …«

Sie rang nach Luft, als er schneller als erwartet auf sie zukam. Wieder legte er wie vorhin eine Hand in ihrem Nacken. »Zwar erinnerte ich mich nicht an deinen Namen, aber das heißt nicht, dass ich nicht sehr gut weiß, wer du bist.«

»Ach nein?«, flüsterte sie und senkte die Lider.

»Du bist ein wandelnder Treuhandfond und es gewohnt, alles von Daddy zu bekommen, was du dir wünschst. Du verstehst das Wort Nein nicht und besitzt kein Fünkchen Verstand, wenn es um pure Selbsterhaltung geht.«

»Und du bist so anders?« Sie beugte sich vor und benetzte ihre Unterlippe. »Denn es hört sich an, als würdest du über dich selbst reden.«

Er neigte den Kopf und blickte ihr in die Augen, während sein Griff in ihrem Nacken fester wurde. »Du weißt einen Scheiß über mich, wenn du das denkst. Es gibt nichts, was du mir oder meiner Familie antun könntest, das ich dir nicht dreimal schlimmer zurückzahlen könnte. Also denk nicht mal dran, deine hübschen kleinen Drohungen zu Ende zu spinnen.«

Ihre Hand landete auf seiner Brust, und sie schloss die Augen. »Bist du dir sicher?«

Verdammt.

Dies hier erregte sie.

Angewidert riss er seine Hand weg und ließ Cindy rückwärts stolpern. »Du warst nicht hier. Du warst heute Nacht nicht einmal in der Nähe dieses Hauses. Solltest du irgendjemandem gegenüber auch nur andeuten, du wärst es gewesen, vernichte ich dich.« Er legte eine Pause ein, um sich zu vergewissern, dass sie zuhörte. »Und bevor du aussprichst, was immer dir auf der Zunge brennt, solltest du dir einen Moment Zeit nehmen, darüber nachzudenken, wer ich bin und was ich tun kann.«

An der Stelle hatte Cindy den Mund geschlossen. Sie begriff und machte ihm keinen Stress mehr.

Sobald sie sicher in dem Wagen saß, der hinterm Haus wartete, ging Lucian zu seinen Brüdern ins Hauptwohnzimmer.

»Hat ja lange genug gedauert«, sagte Dev und musterte ihn. »Und doch hattest du nicht die Zeit, dir Schuhe anzuziehen oder dein bescheuertes Hemd in die Hose zu stecken?«

Lucian verengte die Augen, während er an seinem Bruder vorbeischritt. »Ist dir bewusst, dass es fast fünf Uhr morgens ist? Ich glaube kaum, dass irgendwer darauf achten wird, wie ich angezogen bin.«

»Lucian hat recht«, sagte Gabe, der auf dem Sofa saß und wie üblich den Vermittler spielte. »Es ist richtig spät – oder richtig früh. Da ist es unerheblich.«

Dev neigte den Kopf zur Seite. »Hast du nach ihr gesehen?«

Lucian nickte. »Alles unverändert.«

Gabe strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Die Spitzen berührten beinahe seine Schultern. Ihr Vater hasste sein langes Haar und behauptete, er sähe damit aus wie – was hatte er noch gleich gesagt – ein Taugenichts? »Was machen wir, wenn sie das Haus durchsuchen und sie finden? Nicht einmal Troy weiß von ihr.«

»Es gibt keinen Grund, weshalb sie das Haus durchsuchen sollten«, antwortete Dev. »Genauso wie es keinen Grund gibt, dass Troy von ihr erfährt. Es ist schlimm genug …«

»Was ist schlimm genug?«, unterbrach Lucian ihn. Er spürte, wie Wut in ihm aufflammte. »Dass sie hier ist? Dass sie tatsächlich lebt?«

»Ich wollte sagen, es ist schlimm genug, dass wir Dr. Flores praktisch seine neue Praxis finanzieren mussten, die er schon seit fünf Jahren bauen wollte, um sicherzustellen, dass er die in dieser Situation nötige Diskretion wahrt.« Devs Ton war völlig neutral. Kein Gefühl. Nichts. »Und wer weiß, wie viel Geld …« Sein Blick schweifte zur Tür, und im nächsten Augenblick klopfte es.

Dev hatte diese übernatürliche Fähigkeit, stets zu spüren, wenn jemand in der Nähe war, der nicht zur Familie gehörte. Das war irgendwie unheimlich.

Lucian setzte sich neben Gabe, als Dev das Zimmer verließ, hob die Hände und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Fuck.«

»Jap«, antwortete Gabe, und mehr sagte er nicht.

Dev kehrte zurück, gefolgt von Detective Troy LeMere. Troy sah aus, als hätte er glücklich mit seiner frischangetrauten Frau im Bett gelegen, als er den Anruf erhielt. Seine braune Kakihose war so zerknittert, wie sich Lucians Hirn anfühlte. Die dünne Windjacke verbarg die Waffe an seiner Hüfte nicht.

Sie hatten Troy in einem Sommer kennengelernt, als sie vom Internat im Norden, in das man sie gesteckt hatte, während der Ferien nach Hause kamen. Damals schlichen sie sich vom Anwesen und zu den Basketball-Courts einige Meilen weiter. Dort trafen sie Troy, und obgleich sie kaum aus unterschiedlicheren Welten stammen könnten, hatte sich eine starke Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. Ihren Vater hatte dieses enge Band gestört, bis Troy zur Polizeiakademie ging. Von da an legte er gesteigerten Wert auf diese Beziehung, um sie nach Kräften zu nutzen.

Manchmal fragte Lucian sich, ob auch Dev nur deshalb bis heute mit Troy zu tun hatte.

»Das ist nicht euer Ernst, Jungs«, sagte Troy und strich sich über das kurz geschorene dunkle Haar. Keine Beileidsbekundung. So dumm war er nicht. »Den ganzen Weg hierher dachte ich, es sei ein kranker Scherz.«

»Warum sollten wir über so etwas Scherze machen?«, fragte Dev. »Um diese Uhrzeit?«

Lucian verdrehte die Augen, während Gabe etwas murmelte, das verdächtig nach »Fick dich« klang.

Troy kannte Dev und beachtete ihn nicht weiter. »Also, er hat sich erhängt?«

»In dem alten Arbeitszimmer.« Dev trat zur Seite. »Vielleicht kommst du mit und siehst es dir selbst an. Ich bringe dich hin.«

Troy ersparte sich den Kommentar, dass er durchaus wusste, wo das Arbeitszimmer war, doch während er an Lucian vorbeiging, warf er ihm einen Blick zu. Lucian schüttelte kaum merklich den Kopf.

Seufzend stand Gabe auf, als die beiden den Flur hinunter Richtung Arbeitszimmer verschwanden. »Ich gehe mich lieber umziehen, ehe Dev merkt, dass ich immer noch kein Hemd anhabe.«

Lucian schnaubte. »Ich bin ziemlich sicher, dass er das schon gemerkt hat, aber es gehört nun mal nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, dich zu nerven.«

»Stimmt, trotzdem mache ich es.«

Seinem Bruder nachblickend, lehnte Lucian sich in die Polster zurück und streckte einen Arm auf der Rückenlehne aus.

Troy und Dev blieben nicht lange weg, fünf Minuten vielleicht.

Als sie zurück waren, stellte Dev sich vor einen der vielen nie genutzten Kamine, die Arme vor der Brust verschränkt und die Miene versteinert. Troy wirkte ein wenig erschüttert und schien trotz seiner dunklen Haut blass, als er sich auf die Armlehne eines Sessels hockte. »Ich muss den Gerichtsmediziner herrufen, aber wir können versuchen, die Truppe möglichst klein zu halten.«

»Das wäre sehr gut«, antwortete Dev.

Troy sah ihn einen Moment an. »Bevor alle hier sind und der Zirkus losgeht, wie lautet die Story?«

»Was meinst du?« Dev runzelte die Stirn. »Die habe ich dir schon erzählt. Ich konnte nicht schlafen, also bin ich aufgestanden und sah, dass Licht brannte. Ich habe ihn so gefunden.«

»Erzählst du mir ernsthaft, dass du glaubst, der Mann hat sich umgebracht?«, fragte Troy entgeistert. »Ich kenne euren Vater. Der Mistkerl würde eine Atombombe überleben, bloß um …«

»Nicht«, stieß Dev warnend aus. Seine Nasenflügel blähten sich.

Troys Augen verengten sich.

Lucian mischte sich ein, ehe das Gespräch eskalierte – wie die meisten Unterhaltungen mit Dev. Wobei die Eskalation stets einseitig war. »Wie kann es nicht das sein, wonach es aussieht?«

Sein Freund schaute ihn wissend an. »Wo warst du?«

»Ich war im Red Stallion und gegen kurz nach zwei zu Hause, glaube ich.« Seinen Gast ließ er unerwähnt. Sie musste nicht in diese Sache reingezogen werden. »Ich kam nach unten, nachdem Dev mich anrief.«

»Und Gabe?« Troy blickte sich um. »Wo ist er hin?«

»Er wollte sich etwas anziehen«, antwortete Lucian, stützte die Ellbogen auf die Knie und lehnte sich vor. »Er müsste gleich wieder da sein, aber ich sage dir, so haben wir ihn gefunden.«

Troy sah zu dem Handy an seinem Gürtel und fokussierte sich dann wieder auf sie. »Hört mal, ihr wisst, dass ihr mir vertrauen könnt. Wenn der Gerichtsmediziner mit seinem Team hier ist, werden sie ihn sicher nicht nur herunternehmen und einpacken. Sie werden ihn untersuchen.«

»Schon klar«, entgegnete Dev matt. »Vater war … er hatte in letzter Zeit einige Probleme, vor allem wegen all dem, was mit unserem Onkel passiert. Damit kam er schlecht klar. Du weißt, wie wichtig ihm sein Ruf war.«

Interessant.

Lucian blickte zu seinem Bruder. Ja, ihr Onkel, der erhabene Senator, war in einen hässlichen Skandal um eine vermisste Praktikantin verwickelt … oder zwei. Ihr Vater hatte deswegen nicht sonderlich aufgebracht gewirkt, war hingegen völlig ausgerastet, als er hörte, wer oben im zweiten Stock war, und das war verständlich.

»Habt ihr die Sicherheitsbänder angeschaut?«, fragte Troy.

»Auf den Aufnahmen von draußen war nichts Verdächtiges zu sehen. Keiner kommt oder geht, bis auf Lucian«, erklärte Dev. »Und die Kameras drinnen funktionieren schon ewig nicht mehr.«

Fragend blickte Troy ihn an. »Tja, das klingt ein bisschen verdächtig.«

»Es stimmt«, sprang Lucian seinem Bruder bei. »Egal, wie oft wir jemanden hier haben, der sich die Anlage ansieht, sie fällt immer wieder aus. Da ist irgendeine Störung. Das Gleiche, wenn jemand hier drinnen eine normale Kamera benutzen will. Das Einzige, was zu funktionieren scheint, sind bekloppte Handy-Kameras.«

Troy runzelte die Stirn, als wolle er darauf hinweisen, wie dämlich sich das anhörte, doch Lucian machte sich nicht über ihn lustig. Die blöden Videoaufzeichnungen brachen dauernd ab, und bisher hatte kein Techniker die Ursache entdecken können. Natürlich waren den Angestellten Erklärungen eingefallen – paranormale. Dies war einer der Gründe, warum sich einige von ihnen in dem Haus unwohl fühlten.

»Eurem Vater war wichtiger, was die Leute von seiner Familie dachten, als die Familie selbst«, sagte Troy nach einer Weile, und Dev konnte das nicht abstreiten, weil es stimmte. »Es wird Fragen geben, Dev. Wie viel sind die Ölraffinerien, die Immobilien und Vincent Industries wert? Milliarden? Wer erbt das alles?«

»Gabe und ich«, antwortete Dev prompt. »So stand es im Testament unseres Vaters. Ich glaube nicht, dass er es geändert hat.«

Troy wies mit dem Kinn zu Lucian. »Was ist mit dir?«

Lucian lachte. »Ich bin schon lange aus dem Familienunternehmen raus, aber keine Sorge. Ich komme mehr als gut zurecht.«

»Fantastisch, da kann ich gleich ruhiger schlafen, weil ich das weiß.« Troy wandte sich wieder zu Dev. »Worauf ich hinauswill, ist, dass die Leute Fragen stellen werden. Es wird sich nicht verschweigen lassen.«

»Gewiss nicht.« Dev zog eine Augenbraue hoch. »Und es wird bekannt werden, dass er eines natürlichen Todes gestorben ist.«

Troy stieß ein Lachen aus, als er seine Augen weit aufriss. »Verarschst du mich?«

»Sieht er so aus, als würde er dich verarschen?«, konterte Lucian trocken.

»Klar kann ich ein paar Strippen ziehen, aber das wäre eine höllisch dicke Strippe, die nichtsdestotrotz sehr schnell aufribbeln könnte.« Troy schüttelte den Kopf. »Der Gerichtsmediziner wird einen Suizid nicht als natürliche Todesursache verzeichnen.«

Dev hob eine Augenbraue. »Du würdest dich wundern, was Leute alles zu tun bereit sind.«

Der verblüffte Gesichtsausdruck von Troy verschwand, und er starrte Dev an, als wäre er drauf und dran, ihm eine zu verpassen. »Tatsächlich wundert mich nicht mehr vieles, Devlin.«

»Wir verstehen, dass du deinen Job erledigen musst«, mischte Lucian sich wieder ein, die plötzlich scharfe, warnende Miene seines Bruders ignorierend. »Und wir möchten nicht, dass du etwas aufs Spiel setzt. Wir können damit umgehen … mit was auch immer die Leute sagen oder denken werden.«

»Gut zu wissen, denn einige von uns sind nicht im Begriff, ein Milliarden-Dollar-Unternehmen zu erben«, antwortete Troy, wobei er Dev einen vernichtenden Blick zu warf. »Glück für dich.«

In diesem Moment tat Dev etwas, das Lucian schon länger nicht mehr erlebt hatte.

Der Teufel lächelte.

Die Morgendämmerung verdrängte die Schatten, während Lucian im Wohnzimmer wartete. Die Leute, die im Arbeitszimmer seines Vaters ein- und ausgingen, waren leise, und wenn sie überhaupt sprachen, dann mit gedämpften Stimmen. Draußen waren keine Blaulichter und man stellte den drei Brüdern nur die allernötigsten Fragen. Dev war noch bei Troy, höchstwahrscheinlich, um sicher zu gehen, dass auch genau die Geschichte nach draußen durchsickerte, die er erzählte.

Lucian wandte seinen Blick vom Kamin ab und dem Team an Leuten zu, das im Zimmer erschien. Auf dem schwarzen Polohemd von einem der Männer, die eine Trage schoben, stand »Gerichtsmediziner«.

Das Bild erinnerte ihn an eine andere Nacht mit dem gleichen Ausgang.

Wenn er ehrlich sein sollte, erinnerte es ihn an viele Nächte.

Eine Frau schrie. Lucian erhob sich und drehte sich zur Tür. Dort stand Mrs. Besson und klammerte sich an den Arm ihres Mannes. Beide waren blass. »Was ist los?«

Lucian trat auf sie zu, nahm Richard beim Arm und führte beide in eines der vielen ungenutzten Wohnzimmer, weit weg vom Arbeitszimmer.

»Lucian, was ist passiert?«, fragte Richard und sah ihn besorgt an.

Lucian rollte die Schultern. Er war unsicher, wie er es ihnen sagen sollte. Nicht, dass sie um Lawrence trauern würden, dennoch war er ihr Arbeitgeber gewesen und mithin ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. »Es gab einen Vorfall.«

Richard legte einen Arm um die Taille seiner Frau, als ihre Hand hinauf zu ihrem Kopf wanderte und ihren ohnedies glatten silbergrauen Haarknoten noch glatter strich. »Ich habe das Gefühl, dass du schamlos untertreibst, Junge.«

»Ja, könnte man sagen.« Lucian blickte zur Tür und drückte Richards Schulter. Livie war ihre Haushälterin, hatte den Überblick über das Personal, das tagsüber kam und ging, und über alles andere. Ihr Mann war eine Art Butler, Hausmeister und Haustechniker in einer Person. Das Paar war schon so lange bei ihnen, wie Lucian denken konnte, und er wusste, dass sie absolut verlässlich waren, ungeachtet ihrer Ansichten über das Anwesen. Das mussten sie letztlich auch sein, um für die de Vincents zu arbeiten und Teil der Familie zu sein; sie waren mehr für die Jungen da gewesen, als es deren Eltern je waren. Ihre Tochter war als Kind durch diese Flure gelaufen und wie eine zweite Schwester für die Jungen gewesen. Inzwischen hatte Lucian Nicolette seit Jahren nicht gesehen. Nicht mehr, seit sie aufs College ging.

»Lawrence hat sich im Arbeitszimmer erhängt«, sagte er.

Kleine Falten gruben sich in Livies Gesicht, als sie die Augen zukniff und etwas murmelte, das sich wie ein Gebet anhörte. Ihr Mann starrte Lucian bloß an und fragte: »Ist das wahr?«

»Scheint so.« Es war deutlich zu erkennen, was Richards Gesichtsausdruck bedeutete. Er glich Troys und entsprach dem, was sie im Grunde alle dachten. Auf einmal war Lucian völlig erledigt und strich sich mit einer Hand durchs Haar.

»Lucian!«, rief Gabe aus dem Korridor. Seine Züge waren verhärtet. »Wir müssen mit dir reden.«

Er ging um das Paar herum. »Falls ihr ein bisschen Zeit braucht …«

»Nein«, erklärte Livie und schaute ihn mit ihren braunen Augen an. »Uns geht es gut. Wir sind für euch Jungs da.«

Er lächelte müde. »Danke«, sagte er aufrichtig. »Ich würde mich nur vorerst von Vaters Arbeitszimmer fernhalten.«

Richard nickte. »Willst du immer noch heute weg?«

»Ich muss.«

»Weiß ich.« Richard klopfte ihm auf die Schulter und lächelte entschlossen. »Ich halte hier die Stellung für dich, solange ich kann.«

Lucian ergriff die Hand des Älteren und drückte sie sanft, bevor er die beiden allein ließ und zu seinem Bruder lief. Als er sich Gabe näherte, bemerkte er, dass Troy im Flur auf sie wartete. Dev war nicht zu sehen. »Will ich überhaupt wissen, was ihr zu sagen habt?«

Gabe schüttelte den Kopf. »Ganz sicher nicht.«

Troy sprach mit gesenkter Stimme. »Als sie die Leiche vom Ventilator nahmen, zogen sie auch den Gürtel ab. Euch ist das vermutlich nicht aufgefallen, so wie er hing, und wegen des Gürtels, aber …«

Ein kalter Schauer rann Lucian über den Rücken, als er seinen Bruder ansah. »Was aber?«

»Da waren Spuren an seinem Hals.« Troy holte tief Luft. »Ungefähr da, wo der Gürtel war. Die sehen wie Kratzer aus. Was zweierlei bedeuten kann. Entweder ist er rauf und hat es sich dann anders überlegt, oder er hat sich den Gürtel nie selbst um den Hals gelegt.«

3. Kapitel

»Warum musst du mich verlassen?«, rief Anna. Sie stampfte mit einem Fuß auf und schob die Unterlippe vor, während der leuchtend blaue Drink über den Rand ihres Glases schwappte. »Wer soll sich die Klagen über meine höllischen Nachbarn oder meine sehr sachlichen Bemerkungen über richtig scharfe Pharmavertreter anhören?«

Julia Hughes lachte über ihre Kollegin – oder seit zwei Stunden vielmehr ihre Ex-Kollegin. Sie beide und mehrere andere Schwestern und Mitarbeiter aus dem Center waren in einer Bar wenige Blocks von ihrer Arbeitsstelle entfernt und feierten eine kleine Abschiedsparty. Die sich mittlerweile in einen Wettbewerb verwandelte, wer morgen am übelsten verkatert sein würde.

Julia setzte auf Anna.

»Du hast ja noch Susan. Sie hört sich mit Vorliebe deine trübsinnigen Geschichten an und checkt die Vertreter genauso gerne ab.«

»Tut doch jeder, doch du warst als Einzige noch Single bei uns. Jetzt muss ich mit der Fantasie auskommen, wie du mit denen ausgehst und so irren Sex hast, dass du hinterher nur noch komisch laufen kannst.«

Julia verschluckte sich fast an ihrem Drink und nahm ihr Glas herunter.

Anna grinste, bevor sie einen kräftigen Schluck trank. »Und ich kann nicht mal versuchen, Susan mit einem von ihnen zu verkuppeln.«

»Die Glückliche. Vergiss nicht, dass keines von den Dates ein gutes Ende genommen hat«, erinnerte Julia sie. Tatsächlich waren sie entweder sehr langweilig gewesen oder sie war versetzt worden. Es hatte nichts dazwischen gegeben, und irren Sex, nach dem sie am nächsten Tag eine Schmerztablette brauchte, erst recht nicht.

Julia beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den runden Stehtisch. Die Rockmusik wurde lauter, während sich ihre Gruppe in der Bar verteilte. Der Kuchen, den jemand mitgebracht hatte, war innerhalb von Minuten verputzt gewesen. »Ich werde auch alle vermissen«, sagte sie und holte tief Luft.

»Ich fasse immer noch nicht, dass du das machst.« Seufzend lehnte Anna sich an sie.

Wenn sie ehrlich sein sollte, fasste Julia selbst nicht recht, dass sie ihre Festanstellung als Krankenschwester sausen ließ und mehrere Bundesstaaten weit entfernt in einer anderen Zeitzone eine Stelle als freiberufliche Schwester antrat. Die Entscheidung war so untypisch für sie gewesen, dass ihre Eltern dachten, sie litte unter einer verfrühten Midlife-Crisis.

Den Ansporn zur Bewerbung für den Job hatte eine geleerte Flasche Wein gegeben und … der verzweifelte, geradezu überwältigende Wunsch, dass sich etwas, irgendetwas in ihrem Leben änderte. Sie hatte schon beinahe vergessen, dass sie sich überhaupt beworben hatte, und so war der Anruf von der Agentur letzte Woche ein Schock gewesen: Es gab einen Job in Louisiana, in einem Privathaushalt, und als sie hörte, was dort gezahlt würde, wäre sie beinahe umgefallen.

Julias erste Reaktion war abzulehnen, doch sie hatte nicht auf diese dumpfe Stimme gehört, die sie bis spät in die Nacht wachhielt und dafür sorgte, dass sie bedächtig und übervorsichtig handelte. Und so war, nach dem Ausfüllen eines Berges an Formularen – einschließlich eines Stapels von Vertraulichkeitsvereinbarungen, die laut Agentur in gewissen Situationen gang und gäbe waren –, heute ihr letzter Arbeitstag in der Pflegeeinrichtung gewesen, in der sie die letzten drei Jahre gearbeitet hatte. Für sie war es auch der letzte Tag Normalität gewesen, denn sie hatte das Undenkbare getan.

Nun, zumindest für sie bisher undenkbar, denn sie hatte stets wie in Angst gelebt.

Keine Furcht vor etwas Bestimmten, aber so ziemlich vor allem, was da draußen lauerte. Sie hatte sich davor geängstigt, aus ihrem Elternhaus auszuziehen, um aufs College zu gehen; Angst vor dem Ende ihrer Ausbildung und dem ersten »richtigen« Job; Angst vorm Fliegen; Angst vor Autobahnfahrten. Sie hatte sich vor jenem ersten Date vor Jahren gefürchtet, das sich als eine ihrer miesesten Entscheidungen entpuppte. Und sie hatte sich geängstigt, den einen Menschen zu verlassen, der ihr tagtäglich kleine Stücke ihres Lebens raubte.

Angst zu haben, bedeutete nicht, dass sie sich nicht zwang, sie zu überwinden, doch für gewöhnlich hieß es, dass sie vor jeder Entscheidung endlos alles analysierte und viel grübelte. Was alles schwieriger machte, und die Dinge zu schaffen, umso wichtiger.

So wollte sie nicht mehr leben – nicht mehr wie eine Siebzigjährige, die vor drei Jahren die Liebe ihres Lebens beerdigt hatte, anstatt sich von ihr scheiden zu lassen, wie sie es tatsächlich getan hatte. Die letzten drei Jahre hatten sich angefühlt, als hätte sie aufgegeben und würde leise einschlummern.

Damit war jetzt Schluss.

Die meisten ihrer Sachen hatte sie schon vorausgeschickt und morgen würde sie in den Flieger steigen.

»Ich bin stolz auf dich«, sagte Anna und drehte sich halb zu Julia um. »Ich werde dich schrecklich vermissen, aber ich bin stolz auf dich.«

»Danke«, antwortete Julia und blinzelte ihre Tränen weg. Sie und Anna waren sich im Laufe der Jahre sehr nahegekommen. Anna wusste, was Julia mit ihrem Ex durchgemacht hatte. Und ihr war klar, was für eine große Sache dies hier für sie war.

Sie neigte sich zu Julia und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann stützte sie ihr Kinn auf Julias Schulter. »Wann geht dein Flug?«

»Um zehn, und ich muss früh los zum Flughafen.«

»Aber du musst nicht frühmorgens zur Arbeit, und was heißt das?« Sie richtete sich auf und schob Julias Glas an deren Mund. »Zeit, auszutrinken und durchzudrehen, ehe wir beide noch heulend in der Ecke enden wie zwei Loser. Das wollen wir doch nicht.«

»Niemand will das.« Grinsend gehorchte sie dem Befehl. Nun, zumindest in etwa. Julia war keine große Trinkerin, weil ihr die Vorstellung missfiel, keine Kontrolle über sich zu haben. Deshalb hielt sie sich meist an Wein. Nun trank sie ihr Glas aus, und bei der Hälfte des zweiten Glases summte es schon angenehm in ihr.

Einige andere Schwestern kamen an ihren Tisch und Anna verschwand, um auf der anderen Seite der Bar eine Runde Darts zu spielen. Julia versuchte, sie im Blick zu behalten, doch es war spät geworden und in der Bar wurde es voller. Hin und wieder sah sie ihre zierliche blonde Freundin und den Mann, mit dem sie Darts spielte. Er war groß; andererseits wirkte jeder Mann neben Anna groß. Sein dunkles Hemd spannte sich über breite Schultern, wenn er den Arm anhob, um einen Pfeil zu werfen. Selbst aus der Entfernung erkannte Julia, wie wohlgeformt seine Bizepse waren.

Wer er auch sein mochte, er hatte einen netten Rücken.

Kopfschüttelnd konzentrierte sie sich wieder auf das Gewimmel um sich herum. Anna war verheiratet – und das glücklich. Sie war einfach nur sehr kontaktfreudig und fand überall neue Freunde.

Alle redeten über die neuen Eigentümer des Pflegeheims, die es zu Jahresanfang übernommen hatten. Sie hatten sich Sorgen gemacht, waren unsicher gewesen, was der Leitungswechsel langfristig bedeutete. Offensichtlich musste Julia sich nicht mehr sorgen, freute sich jedoch für ihre Kollegen, dass die neuen Besitzer zu wissen schienen, was sie taten.

Da Julia noch nie als freiberufliche Schwester gearbeitet hatte und unsicher war, ob sie es nach diesem Auftrag weiter sein würde, hatte sie keine Ahnung, was sie bei ihren neuen Arbeitgebern erwartete. Sie unterstand der Agentur, durch die sie engagiert worden war, aber auch der Familie, für die sie arbeiten würde.

Sie spielte mit dem dünnen Stiel ihres Glases und verdrängte die Gedanken daran, was morgen passieren würde. Sie war nervös, verständlicherweise, aber sie durfte nicht ausflippen. Andernfalls würde sie Panik bekommen und an sich selbst zweifeln. Jetzt war es ohnehin zu spät, noch irgendwas …

»Julia!«, rief Anna eine Sekunde, bevor sie Julias Arm von hinten umfasste. »Hier ist jemand, denn ich dir unbedingt vorstellen muss.«

O Gott.

Wenn Anna ihr unbedingt jemanden vorstellen musste, handelte es sich meist um irgendeinen exzentrischen Fremden, über den Anna buchstäblich eben erst gestolpert war und den Julia wirklich nicht kennenlernen wollte. Sie unterdrückte ein Stöhnen, drehte sich langsam um und ließ beinahe ihr Glas fallen, als ihr Blick von Annas gerötetem, strahlendem Gesicht zu dem Mann neben ihr wanderte.

Julias Augen wurden größer, während sie den Fremden musterte. Heiliger Bimbam … Ihr Hirn schien einen Kurzschluss erlitten zu haben, der sämtliche nützlichen Gedanken vernichtet hatte. Es war der Mann, mit dem Anna Darts gespielt hatte. Das erkannte Julia an dem dunklen Hemd, das sich als Thermoshirt entpuppte, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen hochgeschoben waren. Und der Mann war groß. Nicht nur, weil er momentan neben einer verrückten Elfe stand, sondern er war mindestens einen Kopf größer als Julia, und sie war nicht klein.

Dieser Mann, wer er auch sein mochte, war absolut atemberaubend.

Er hatte etwas Verwegenes an sich. Hohe, breite Wangenknochen und einen wohlgeformten Mund mit einem perfekten Amorbogen. Leichte Bartstoppeln an einem Kinn, das wie aus Marmor gemeißelt wirkte. Sein goldbraunes Haar war oben wellig und an den Seiten kürzer. Julia wettete, dass es bei Tageslicht fast so blond war wie Annas. Und nach dem zu urteilen, was sie sich unter dem Shirt und der dunklen Jeans verbarg, dürfte sein Körper genauso fantastisch sein wie sein Gesicht.

Und diese Augen mit den unglaublich dichten Wimpern? Sie waren eine wunderbare Mischung aus Blau und Grün und erinnerten Julia an warmes Meer und Sommer.

Er stand da, blickte sie an, die Schultern locker, und dennoch hatte sie das seltsame Gefühl, dass er komplett angespannt und bereit war, jederzeit durchzustarten, obwohl alles an ihm entspannt wirkte.

Hatte Anna dieses Prachtexemplar von einem Mann an der Dartscheibe kennengelernt? Julia sollte sich weit häufiger bei diesen Dingern aufhalten, wenn die Typen dort so waren …

»Julia – Julia, das ist …« Annas blaue Augen blitzten vor Aufregung, als sie Julia zu dem schönsten Mann drehte, den diese jemals gesehen hatte. »Entschuldige, wie heißt du noch mal?«

Wie in aller Welt konnte Anna seinen Namen vergessen? Wenn Julia ihn erst einmal gehört hatte, würde er sich auf ewig in ihr Hirn einbrennen.

Nun lächelte er, und Julia nahm es mit jeder Faser ihres Körpers wahr, vom Kopf bis zu den Zehenspitzen, und ganz besonders an all den lange nicht beachteten Stellen dazwischen. Bei seinem schiefen Lächeln zog sich der linke Mundwinkel etwas weiter nach oben als der rechte, was vollends hinreißend war. »Taylor.«

O Mann.

Seine Stimme.

Tief und samtig mit dem Hauch eines Akzents. Südstaaten? Julia wusste es nicht, aber Taylor wurde immer besser und besser.

»Taylor, richtig.« Anna grinste wie eine Katze, die eben einen Schwarm Kanarienvögel vertilgt hatte. »Jedenfalls ist dies die wunderbare und sehr ledige Julia, von der ich dir erzählt habe.«

Hatte sie das wirklich gesagt? Sehr ledige? War Anna betrunken? Sah sie nicht, wie der Typ aussah? Nicht, dass Julia wie eine menschgewordene Müllhalde aussah. Sie hatte das, was ihre Mutter als »symmetrische Züge« bezeichnete. Ihr Gesicht war gleichmäßig proportioniert und viele Leute fanden ihr Haar großartig. Sehr viele. Manche wollten es gar anfassen, was ziemlich schräg war. Es war lang und fiel in dicken Wellen bis über ihre Brüste. Momentan war es zu einem losen Knoten aufgesteckt. Julia hatte gerade genug Zeit gehabt, sich nach der Arbeit umzuziehen; fürs Frisieren war keine mehr übrig gewesen. Jedenfalls wusste sie, dass sie passabel aussah, aber gewiss nicht wie ein Model – nicht wie die Frauen, die sie sich gut an Taylors Seite vorstellen konnte. Die Art Frau, die entweder groß oder winzig war, aber definitiv schlank mit Kurven an den richtigen Stellen. Die Art Figur, wie Julia sie hatte, war schon nicht mehr in gewesen, als sie damit geboren wurde.

»Hi.« Taylor reichte ihr die Hand. »Freut mich, dich kennenzulernen.«

Ihr Blick wanderte von seinem Gesicht zu seiner Hand und wieder zurück. Sein schiefes Grinsen wurde breiter, als er wartete, während sie nur dastand und ihn idiotisch anglotzte. Sie erwachte aus ihrer Starre und schaffte es, ihre Hand zu heben. »Freut mich auch.«

Seine Finger umschlossen ihre fest. »Darf ich dir etwas zu trinken spendieren?«

»Ja«, antwortete Anna für sie. »Das darfst du ganz sicher.«

Sie würde Anna umbringen.

Taylor lächelte. »Was hättest du gern?«

Sie murmelte den Namen irgendeines Getränks, von dem sie nicht mal sicher war, ob sie es jemals probiert hatte, und bemerkte, dass er immer noch ihre Hand hielt.

Er trat einen Schritt näher und beugte sich vor, bis sein Mund neben ihrem Ohr war. Als er sprach, strich sein Atem durch ihr Haar und ihr jagte ein Schauer über den Rücken. »Lauf nicht weg.«

Ihr Atem stockte. »Mache ich nicht.«

»Versprochen?« Er drückte ihre Hand sanft.

»Versprochen«, bestätigte sie.

»Gut.« Er wich zurück und schaute ihr für einen Moment in die Augen. »Bin gleich wieder da.«

Jetzt erst ließ er ihre Hand los.

Vollkommen benommen schaute sie zu, wie er sich umdrehte und zum Tresen ging. Die Menge teilte sich für ihn, als sei er so etwas wie ein Gott. In ihren siebenundzwanzig Jahren hatte Julia noch nie einen solch attraktiven Menschen gesehen.

»O mein Gott, ich glaube, ich habe eben einen Orgasmus nur vom Hinsehen gehabt«, sagte Anna.

Julia starrte sie mit großen Augen an, und Anna hüpfte klatschend auf und ab.

»Wo hast du den gefunden?«, fragte Julia. »Hast du ihn bei einem Versand bestellt, der zufällig ›Wie Träume aussehen‹ heißt?«

Anna lachte. »Ich hatte mir etwas zu trinken geholt – Wasser, wie ich hinzufügen möchte – und er hat mich gefragt, ob ich Darts spiele. Natürlich habe ich Ja gesagt. Das musste ich, weil ich wissen wollte, ob er wirklich real ist.«

Was Julia gut verstand. Ihr fiel es ebenfalls schwer zu glauben, dass er real war.

»Jedenfalls habe ich eine Runde mit ihm gespielt, und rate mal, was passiert ist!«

»Was?« Julia blickte über Annas Kopf hinweg und sah, dass Taylor noch an der Bar stand.

Erneut fasste Anna sie am Arm. »Er hat nach dir gefragt, Julia.«

»Was?«

Sie nickte. »Er wollte wissen, wer die schöne Frau ist, mit der ich vorher geredet habe, und die warst du. Keine andere. Und deshalb hatte er mich zum Dartspielen ausgesucht. Ich wurde benutzt.« Sie grinste. »Und das ist in Ordnung für mich. Weißt du, warum?«

Julia hatte Mühe, alles zu begreifen. »Warum?«

»Weil er an dir interessiert ist und es deine letzte Nacht in der Stadt ist, also wirst du mitgehen, wohin er will, und tun, was immer er will. Sprich: alles.« Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. »Sogar anal, das würde ich erlauben. O ja.«

»O mein Gott.« Julia lachte. »Du bist wahnsinnig. Ich kenne ihn nicht mal …«

»Mein süßes Sonnenkind«, sagte Anna und Julia runzelte die Stirn. »Du musst ihn nicht kennen, um dich mit ihm zu vergnügen. Der Mann ist fantastisch. Er sieht übermenschlich gut aus und die ganze Zeit über, in der wir Darts gespielt haben, hat er immer wieder zu dir gesehen.«

Hatte er? »Das … das kann nicht wahr sein.«

»Ist es. Julia, ich weiß, dass du eine Durststrecke durchgemacht hast – eine richtig lange Durststrecke – und dass dein Ex ein Arsch war, aber es wird Zeit für dich, deine scharfen Flügel auszubreiten und zu fliegen, Baby. Dieser Mann, dieser sexy Mann ist …«

»Stopp!« Ihr Herz machte einen Hüpfer, als sie sah, wie Taylor auf sie zukam. »Er kommt zurück.«

Anna klappte den Mund zu, doch ihr Blick sagte Julia, dass sie ihr nie verzeihen würde, sollte sie dies hier vermasseln. Ihr blieb keine Zeit, alles richtig zu durchdenken, denn Taylor trat bereits um Anna herum und reichte Julia einen Drink, der fruchtig roch.

»Ich bin froh, dass du noch da stehst, wo ich dich zuletzt gesehen habe«, sagte er und lehnte sich an den Tisch. »Denn ich war in Sorge, dass du wegläufst.«

»Nein«, entgegnete sie und blickte hilflos zu Anna.

»Klar«, erwiderte er grinsend.

Was sollte sie jetzt sagen? Oder tun? Gott sei Dank hatte sie sich ein niedliches schwarzes Kleid angezogen, das eine Empire-Taille und Ärmel bis zum Ellbogen hatte. Es war ein altes Kleid, in dem sie sich seit jeher wohlgefühlt hatte. Wäre sie nur vorausschauend genug gewesen, nicht den Baumwollslip mit den Totenköpfen drauf anzuziehen!

Hilfe.

Warum dachte sie das überhaupt?

Dieser Typ würde ihren Schädelslip nicht zu Gesicht bekommen.

Julia bemerkte, dass Anna sich dezent zurückzog und sie allein ließ. Sie nippte an ihrem Drink und überlegte, was sie sagen könnte, das nicht grenzenlos blöd klang. »Warum solltest du das denken?«

Etwas Besseres fiel ihr nicht ein.

»Ehrlich?« Er senkte die Lider, sodass seine fantastischen Augen kurz abgeschirmt waren. »Du wirkst ein bisschen ängstlich.«

Ihre Wangen wurden heiß. »Ist es so offensichtlich?«

»Dann hast du Angst?«, fragte er und hob die Bierflasche an seinen Mund.

So unmöglich es schien, spürte sie, wie sie noch mehr errötete. »Ich würde nicht behaupten, dass ich Angst habe. Ich bin nur … nur überrascht.«

»Das verstehe ich nicht«, antwortete er und trank einen Schluck. »Du bist mir in dem Moment aufgefallen, in dem ich reinkam. Und ganz sicher nicht nur mir. Du bist total umwerfend.«

Okay.

Dieser Typ war gut, richtig gut. So wie er es sagte, klang es wie die Wahrheit. Gewöhnlich wirkten Schmeicheleien bei ihr nicht, aber von ihm? Könnte gut sein. »Das ist süß von dir«, meinte sie und nahm einen großen Schluck von dem, was auch immer sie bestellt hatte.

»Ich bin nicht süß, sondern sage die Wahrheit.« Er drehte sich ganz zu ihr und stellte sein Bier auf dem Tisch ab. »Deine Freundin hat erzählt, dass ihr alle Krankenschwestern seid.«

Sie nickte und ermahnte sich, dass sie es mit dem Drink langsam angehen musste, denn sie schmeckte den hochprozentigen Alkohol darin. »Ja, wir arbeiten in einem Pflegeheim ganz in der Nähe – na ja, ich jetzt nicht mehr. Heute ist mein letzter Tag gewesen.«

»So etwas erwähnte sie«, erwiderte er. »Dass es deine Abschiedsparty ist.«

»Ja.« Sie nippte an ihrem Drink. »Ich verlasse die Stadt – den Bundesstaat morgen.«

»Im Ernst? Wo gehst du hin?« Er wirkte interessiert.

Um ein Haar hätte sie Louisiana geantwortet, konnte sich aber in letzter Sekunde bremsen. Erstens kannte sie Zu-scharf-um-wahr-zu-sein-Taylor nicht und zweitens hatte sie eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschrieben, die sich gewaschen hatte. Die einzigen Menschen, die wussten, in welche Stadt und welchen Bundesstaat sie zog, waren ihre Eltern. Anna wusste lediglich, dass sie nach Louisiana ging.

»Ich fange einen neuen Job im Süden an«, antwortete sie schließlich und wechselte rasch das Thema. »Was ist mit dir? Wohnst du in dieser Gegend?«

Kopfschüttelnd hob er seine Bierflasche an. »Ich bin beruflich in der Stadt. Zu Forschungszwecken.«

»Forschungszwecke?« War er Mediziner oder Journalist? Vielleicht ein Autor?

Er trank einen Schluck Bier. »Hast du schon immer in der Pflege gearbeitet?«

»Nein. Nach dem College war ich in der Notaufnahme eines Krankenhauses«, erzählte sie und schaute sich über die Schulter um. Anna war nirgends zu entdecken. »Da war ich knapp drei Jahre.«

»Wow. Das muss heftig gewesen sein.«

»Konnte es manchmal. Ich meine, es gibt Nächte, in denen man nichts als Bauchschmerzpatienten bekommt, die ab und zu ernste Fälle werden können, aber deren Beschwerden normalerweise keine anderen Ursachen haben als Infekte oder das falsche Essen. Und dann sind da Nächte, die ziemlich hart sind.«

Er betrachtete sie auf eine solch intensive Art, dass sie ein wenig atemlos wurde, als er ihr erneut in die Augen blickte. »Und warum bist da weg?«

Sie schluckte, hob ihr Glas an und trank noch einen Schluck. Auf keinen Fall konnte sie ihm erzählen, dass sie, als sie ihren Mann verließ, die Stadt und ihren Job wechseln musste. Was Adam nicht davon abgehalten hatte, pünktlich alle paar Monate zu versuchen, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Es hatte erst aufgehört, nachdem sie ihre Telefonnummer gewechselt und sie an niemanden der gemeinsamen Freunde gegeben hatte. Tief im Innern hatte sie gewusst, dass er ausrasten würde, wenn er merkte, dass sie weg war, denn so war er eben. Bei dem Gedanken daran wurde ihr flau.

Verdammt, das war ein echter Stimmungskiller.

Sie schob die dunklen Gedanken beiseite. »Ich wollte mal etwas anderes machen und näher bei meiner Familie sein.«

»Ist dir deine Familie wichtig?«

»Ja. Ich bin ein Einzelkind, also wurde ich verwöhnt.« In ihrem Bauch kribbelte es seltsam, als er lachte, aber es war ein gutes Gefühl. Taylors Lachen war tief und nett. Es fühlte sich an wie in der Achterbahn, wenn man ganz oben steht und gleich in die Tiefe stürzen wird. »Okay, ich wurde eigentlich nicht verwöhnt, aber ich stehe meinen Eltern sehr nahe. Sie sind tolle Menschen.«

»Dann hast du Glück. Das können nicht viele Leute von sich sagen.«

»Was ist mit dir?«

»Ich bin keiner von diesen Menschen.«

»Oh.« Sie blinzelte. »Tut mir leid.«

Er neigte den Kopf zur Seite und musterte sie aufmerksam. »Du klingst, als würdest du es wirklich ernst meinen.«

»Weil ich es tue?«

»Du hast Mitgefühl mit Wildfremden?«

»Natürlich. Das sollte jeder.« Sie trat zur Seite, um jemanden vorbeizulassen, wobei das breite Armband mit ihrem Handy darin an ihre Hüfte gepresst wurde. »Meine ich zumindest.«

»Dem stimme ich zu.«

»Schön zu hören, denn …« Sie verstummte, da er eine Hand ausstreckte, um eine Strähne einzufangen, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte. Er strich sie ihr hinters Ohr, und Julia rang nach Luft.

»Alles wieder gut«, sagte er und ließ seine Hand sinken, bis seine Fingerspitzen seitlich an ihrem Hals verharrten. »Obwohl ich wette, dass dein Haar offen sagenhaft aussieht.«

Ihre Wangen wurden wieder wärmer. Sie hatte keinen Schimmer, wie sie reagieren sollte, zumal seine Finger federleicht über ihre Haut strichen.

»Wolltest du schon immer Krankenschwester werden?«, fragte er.

Es verging eine kurze Weile, ehe sie antworten konnte. »Früher … früher wollte ich Tierärztin werden, weil mein Vater Tierarzt ist, doch ich kam nicht damit klar, Tiere einschläfern zu müssen.«

»Ja, das ist heftig. Ich könnte es auch nicht.«

»Hast du … hast du Haustiere?«, fragte sie und kam sich sofort blöd vor. War das nicht ähnlich lahm wie die Frage, welches Sportteam er mochte? Sie hoffte inständig, dass sich das Gespräch nicht in diese Richtung entwickelte, denn sie verstand nichts von Sport.

»Nein, habe ich nicht. Ich bin zu selten zu Hause. Was ist mit dir?«

»Auch nicht, aber irgendwann würde ich gerne welche haben. Ich habe diesen Traum von einem eigenen Tierheim.« Wieder lachte sie, diesmal ein bisschen unsicher, denn sie begriff nicht, warum sie davon plapperte. »Du weißt schon, wenn ich im Lotto gewinne und Millionen Dollar habe, die ich nicht brauche.«

Ein Grinsen umspielte seine Lippen. »Dafür würdest du Millionen ausgeben?«

»Ja. Na ja, wofür würde ich das Geld sonst brauchen?« Obwohl sie auch ein Faible für Designer-Handtaschen hatte, die sie sich nicht leisten konnte, doch das musste er nicht wissen.

»Was für Tiere würdest du retten?«

»Alle möglichen.«

»Auch Goldfische?«

»Wenn sie gerettet werden müssen, ja«, antwortete sie grinsend.

Er rückte näher an sie heran. »Was ist mit Schlangen?«

»Auch die, ja, sogar Nagetiere. Jedes Leben ist wertvoll.«

Verwundert zog er die Augenbrauen hoch. »Okay, also bist du entweder vegan, religiös oder machst Aikido?«

Lächelnd schüttelte sie den Kopf und sah zur Seite. »Nein, das habe ich in einer Folge von The Walking Dead gehört. Bedaure. Ich esse Fleisch, bin nicht sehr religiös und erst recht nicht so tiefsinnig, philosophisch.«

Taylor lachte, und sie musste sich anstrengen, nicht zu seufzen. Es war so ein schönes Lachen. »Mist. Aber freut mich, dass nichts von den drei Sachen zutrifft.«

Sie blickte sich in der Bar um und konnte Anna immer noch nicht in der anwachsenden Menschenmenge ausmachen. Wo war sie denn?

»Gefällt dir die Arbeit in der Pflegeeinrichtung?«, fragte er, und als sie wieder zu ihm sah, fiel ihr Blick auf seinen Mund. Sie versuchte, sich nicht auszumalen, wie er sich auf ihrem anfühlen würde … und an anderen Stellen.

Ihr wurde am ganzen Körper heiß. Gott, sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so auf jemanden reagiert hatte, der sie nicht einmal anfasste. Es hatte immer nur Adam gegeben, und auch wenn der Sex mit ihm in Ordnung gewesen war, hatte allein der Gedanke daran nie bewirkt, dass ihr Puls so wild hämmerte wie jetzt.

»Miss Hughes?« Taylor grinste.

Sie holte tief Luft und beschloss, dass sie lieber jetzt aufhörte zu trinken, damit sie die Chance hatte, ihre Hormone zu zügeln. »Ja, tut sie.«

»Warum?«

Mann, er hatte wahrlich einen Haufen Fragen! Sie stellte ihren Drink auf den Tisch. »Irgendwie bin ich da mehr oder minder reingeschlittert. Als ich wieder herzog, war es eine der ersten Stellen, die ich fand«, gestand sie und strich mit dem Finger am Glasboden entlang. »Und es hat einfach gepasst.«

»Es muss eine schwere Arbeit sein.« Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und lehnte sich darauf. »Ich meine, viele der Patienten sind doch, nun ja, nicht sehr ansprechbar, oder? Ist das der richtige Ausdruck?«

»Manche von ihnen, aber es gibt unterschiedliche Ausprägungen.« Sie schaute ihn an und bemerkte, dass er sie nach wie vor aufmerksam betrachtete. Sehr intensiv. Was ihr das Gefühl gab, dass er jedes Wort mitbekam, das sie sagte. Er schenkte ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit. »Es gibt Patienten, die bei den grundlegendsten Dingen Hilfe brauchen, und andere, die da sind, aber … aber nicht ganz.«

Bedächtig nickte er. »Und was hat dich überzeugt, in dem Bereich zu bleiben?«

Diese Frage war nicht leicht zu beantworten. »Ich denke, es hat mit der Tatsache zu tun, dass einige der Patienten niemanden sonst haben. Es ist nicht so, dass ihre Familien sich nicht für sie interessieren oder nicht da sind, doch viele Menschen wissen nicht, wie man mit jemandem umgeht, der so krank ist. Deshalb brauchen sie jemanden, der es versteht, weißt du? Selbst wenn jemand nicht kommunizieren oder reagieren kann, heißt das nicht, dass er nicht hört, was man sagt. Dass er nicht irgendwo da drinnen ist und denkt …«

»Manche von deinen Patienten können nicht kommunizieren, dich aber hören?«

»Ja. Es sind unterschiedliche Krankheiten. Es gibt Syndrome, bei denen die Leute in sich eingesperrt sind. Ein ganzer Forschungszweig vertritt die These, dass Menschen bei bestimmten Arten von Komata die Leute um sich herum hören«, erklärte sie. »Andere nicht, aber so oder so brauchen sie Menschen, die … die einfach bereit sind, sich um sie zu kümmern.« Sie wurde ein bisschen rot, weil ihr ihre Worte schmalzig erschienen.

»Und das tust du? Dich um sie kümmern?«

Das tat Julia. Manchmal mehr, als sie sollte. Es war schwierig, die menschliche Natur auszuschalten. Patienten zu verlieren, war bis heute etwas, mit dem sie schlecht fertig wurde. »Ja.«

Er sah sie einen Moment lang an, und dann lächelte er strahlend. Es war atemberaubend. Zahnpastamodels wären neidisch. »Tja, wenn ich ehrlich bin, ist mir noch nie eine Krankenschwester begegnet, die wie du aussah, wenn ich mal beim Arzt war.« Er zwinkerte, und das stand ihm verflixt gut. »Wahrscheinlich besser so, sonst hätte ich mir alle erdenklichen Gründe ausgedacht, um wiederzukommen.«

Ihr entfuhr ein Lachen. »Ja, sicher doch!«

»Nein, ich meine es ernst. Ich würde mit Bauchweh anfangen und mir einen oder zwei Finger verstauchen und behaupten, sie wären gebrochen.«

Wieder lachte sie und schüttelte den Kopf. »Du musst richtig gut versichert sein.«

»So in der Art.« Und plötzlich war er noch näher, nicht mal mehr einen Schritt entfernt. »Ich werde jetzt sagen, was mir durch den Kopf geht. Bist du bereit dafür?«

»Kann sein.« Sie umklammerte ihr Glas, und ihr Herz schlug wie verrückt. Was würde er sagen?

Erneut neigte er den Kopf, sodass sein Mund an ihrem Ohr war. Julia durchliefen Schauer, als sie ein würziges Eau de Toilette und frische Seife roch, die eine verblüffend berauschende Mixtur ergaben. »Seit wir hier stehen und reden, frage ich mich, wie deine wundervollen Lippen schmecken.«

Ihr Herz vollführte einen Purzelbaum, während ihr Gehirn zu verarbeiten versuchte, dass er das ernsthaft gesagt hatte.

»Und ich denke auch die ganze Zeit daran, dass deine Lippen nicht das Einzige sind, was ich schmecken möchte.«

Ach du Schreck.

Jedwedes klare Denken verabschiedete sich per Flickflack aus ihrem Gehirn.

Er wich nur wenige Zentimeter zurück, bis ihre Münder so dicht beieinander waren, dass sich ihr Atem vermengte.

»War das zu direkt?«

Ja.

Nein.

Julia schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Kontrolle über ihn.

»Freut mich zu hören.« Taylor wich weiter zurück, und zog beim Grinsen einen Mundwinkel nach oben.

Julia zuckte vor Schreck zusammen, als ihr Handy an ihrer Seite zu vibrieren begann. »Entschuldige«, murmelte sie verlegen, allerdings dankbar für die Ablenkung, denn sie war viel zu sehr darauf konzentriert, dass er ihre Lippen und anderes mehr schmecken wollte.

Umständlich holte sie das Telefon aus der kleinen Hülle. Auf dem Display leuchtete eine Textnachricht auf. Sie kam von Anna. Julia musste sie zweimal lesen, denn sie traute ihren Augen nicht.

Wollte euch zwei nicht stören. Bin auf dem Heimweg zu meinem Mann. Lass dich von dem Scharfen fahren und danach … Hab dich lieb!

»Mist«, murmelte Julia. Sie würde Anna umbringen.

»Das klingt nicht gut.«

Sie war hin und her gerissen zwischen Lachen und abermals Fluchen. »Ist nichts weiter.«

»So hört es sich nicht an.« Er stieß seinen Arm gegen ihren. »Was ist los?«

Sie atmete pustend aus und steckte das Handy in ihre Handtasche. »Meine Freundin Anna? Die, mit der du Darts gespielt hast? Sie hat mich irgendwie hängen gelassen.«

»Lass mich raten. Sie sollte dich nach Hause fahren?«, fragte er, senkte das Kinn, als er sich wieder näher lehnte, und ließ seinen Arm direkt an ihrem liegen.

»Ja.« Julia rückte nicht weg.

Da war es wieder, das schiefe Grinsen. »Ich kann dich nach Hause bringen. Ich hatte nur dieses eine Bier.«

Sie sah ihn an, und tief in ihrem Bauch zogen sich die Muskeln zusammen. Sich von ihm nach Hause bringen lassen? Hätte er vor … sie zu schmecken? Okay. Sie musste wirklich aufhören, über all das nachzudenken. »Danke, aber ist schon gut. Ich kann ein Taxi nehmen oder …«

»Oder du kannst dich von mir fahren lassen. Ist es nicht das, was deine kluge Freundin wollte, als sie verschwunden ist?« Er nahm eine Hand herunter und tippte mit dem Finger auf Julias Handrücken. »Zumindest hoffe ich, dass es ihr Grund war.«

Sie öffnete den Mund ein wenig, als sie ihn anstarrte.

»Tatsächlich würde ich dich sehr gerne nach Hause fahren, Julia.« Seine Fingerspitze glitt über ihr Handgelenk bis zum Ärmelsaum ihres Kleides. »Ich möchte noch ein bisschen mehr Zeit mit dir verbringen.«

Julias Herz klopfte wie wild. Sie sah ihm in die Augen und verlor sich darin. Ihr war bewusst, dass er ihr nicht nur eine Mitfahrgelegenheit anbot, was wiederum bewirkte, dass sich das Pochen aus ihrem Brustkorb sehr viel tiefer verlegte. Ihr wurde von oben bis unten heiß.

»Sag ja«, bat er und strich mit dem Finger über ihren Arm nach unten. Dort malte er die Konturen ihres Handgelenks nach.

Ihr Mund war trocken. Ja zu sagen wäre das Letzte, was sie normalerweise tun würde. Das Allerletzte. Dennoch schrie eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf genau das und verlangte, dass sie nicht tat, was sie sonst tun würde.

Dass sie stattdessen machte, was Anna ihr befohlen hatte, ihre scharfen Flügel ausbreiten und ein wenig fliegen. Konnte sie das? Dann bewegten sich ihre Lippen und ihre Zunge, ehe sie begriff, was sie tat.

Julia sagte Ja.

4. Kapitel

Dies hier geschah.

Es passierte wirklich.

Etwas anderes konnte sie auf der eher kurzen, fast zu kurzen Fahrt zu ihrem Apartment nicht denken. Taylor hatte sich offensichtlich einen Mietwagen genommen. Wenigstens hoffte Julia es, denn der Wagen war viel zu sauber, um einem menschlichen Wesen zu gehören, das eine Seele besaß. Er redete während der ganzen Fahrt, schien merklich entspannt in dieser Situation.

So sehr entspannt, dass er sogar auf halber Strecke zu ihrem Wohnblock eine Hand über ihre legte, damit sie aufhörte, an ihrem Kleidersaum zu zupfen. Was er nicht ansprach, sondern nur ihre Finger mit seinen langen warmen umfing und sie festhielt.

Es war nett und erinnerte Julia an erste Verabredungen und die süße Vorfreude auf alles, was folgen sollte, nur war dies kein Date. Es war ein Abschleppen. Sie war von einem Mann abgeschleppt worden, der aussah, als gehörte er auf die Leinwand.

Als sie den Parkplatz überquerten und anschließend die Treppe hinaufgingen, verlangsamte er seine Schritte deutlich, damit sie mit ihm mithalten konnte. Er lief neben ihr her, eine Hand unten an ihrem Rücken, während ihre Hände zitterten.

Ja, sie zitterten tatsächlich.

Die Male in ihrem Leben, die sie so nervös und aufgeregt gewesen war, konnte sie an einer Hand abzählen. Ihre Gefühle waren ein einziges Wirrwarr. An der Tür verfehlte sie das Schloss beim ersten Anlauf und stieß den Schlüssel gegen das Metall.

»Ich mach schon«, bot Taylor an und nahm den Schlüssel aus ihren tauben Fingern. Sie starrte auf seine Hand, während er den Schlüssel ins Schloss steckte, ihn aber nicht umdrehte. »Julia?«

Sie atmete flach ein und zwang ihren Blick zurück zu seinem Gesicht. »Ja?«

Er schaute ihr in die Augen. »Ich muss ihn nicht umdrehen. Das kannst du machen. Und wir können uns jetzt Gute Nacht sagen. Oder ich drehe diesen Schlüssel um und du lässt mich herein, auf dass wir eine richtig gute Nacht miteinander verbringen. Es ist deine Entscheidung.«

Ihre Entscheidung.

Natürlich war es ihre.

Und Julia wollte dies hier – was auch immer hinter der Tür geschehen würde. Nur hatte sie so etwas nie zuvor getan. Niemals. Es hatte keinen außer ihrem Ex gegeben. Sie hatten jung geheiratet, als sie auf dem College waren, und Julia hatte nie einen One-Night-Stand oder die Chance auf unkomplizierten, unverbindlichen Sex gehabt. Nicht, dass sie es seit der Scheidung nicht gewollt hätte; vielmehr hatte sie nie eingehender darüber nachgedacht, sich nie Gelegenheit dazu gegeben.

Sex … Sex war eine große Sache.

Julia fehlte es an Erfahrung auf dem Gebiet, und man musste kein Pornostar sein, um zu erkennen, dass Taylor in diesen Dingen recht versiert war.

Entsprechend war Julia bewusst, dass er in einer ganz anderen Liga spielte.

Dennoch wollte sie sich nicht verabschieden. Sie wollte ihn nicht gehen lassen, denn dann sähe sie ihn nie wieder. Morgen zog sie weg und er würde gehen, wohin auch immer er musste. Es gäbe keine zweite Chance, und sie … sie wollte diese Nacht mit diesem Mann nicht auf die Liste all der Dinge setzen, von denen sie sich nachträglich wünschte, sie hätte sie getan.

Also nahm sie all ihren Mut zusammen, streckte einen Arm aus, umfing seine Hand und drehte den Schlüssel um. »Ich möchte, dass du mit reinkommst.«

Taylors Brust dehnte sich unter dem dunklen Thermo-Shirt. »Du hast mir den Abend gerettet.«

Sie spürte, wie ihre Mundwinkel zuckten, als sie die Tür öffnete und zur Seite trat. »Ähm, die meisten Sachen sind schon gepackt, natürlich mit Ausnahme der Möbel.« Sie zeigte zur Couch, während sie die Tür hinter sich schloss. »Die werden eingelagert.«

Taylor ging einige Schritte vor und blickte sich in dem kleinen Apartment um. Viel war nicht zu sehen, bloß ein Wohnzimmer und ein kleiner Essbereich vor der Küchenzeile.

»Mein Vater kümmert sich um das Einlagern, weil die Möbelpacker nicht vor dem Wochenende kommen konnten«, fuhr sie fort und schritt an ihm vorbei. »Das Bad ist rechts den Flur da hinunter.« Sie legte ihr Armband auf dem Küchentresen ab und drehte sich um. Hatte sie noch Zeit, ihren Slip gegen einen etwas reizvolleren zu tauschen? Das meiste war nicht mehr hier, doch vielleicht fand sich noch etwas Netteres in ihrem Handgepäck? »Ich habe nicht viel zu trinken da, aber sicher …«

Julia verstummte, als ihr Blick seinem begegnete. Sie beobachtete, wie Taylor mit den Händen nach dem Kragen seines Shirts griff. Wortlos zog er es sich über den Kopf und die Arme. Dann warf er es auf die Rückenlehne der Couch und nahm die Arme herunter.

»Oh«, flüsterte sie und musterte ihn. »O Mann …«

Taylor war wunderschön.

Seine Haut hatte einen bräunlichen Goldton, und da war eine Menge Haut zu sehen, angefangen bei den breiten Schultern bis hin zu diesen faszinierenden Einbuchtungen zu beiden Seiten seiner Hüften und der leicht vorstehenden Ader, die unter seine Jeans verschwand. Seine Brustmuskeln waren so klar definiert wie seine Bizepse. Und sein Bauch … Er war nicht übertrieben muskulös, hatte aber ein sehr amtliches Sixpack.

Irgendwo in ihrem Hinterkopf registrierte Julia vage, dass es das erste Sixpack war, das sie in natura sah.

Als ihr Blick wieder weiter nach oben wanderte, war das schiefe Grinsen zurück. »Es mag wie ein Klischee klingen, doch ich bin froh, dass dir gefällt, was du siehst.«

»Wem würde es nicht gefallen?«, fragte sie ehrlich neugierig.

Das Grinsen wurde breiter. »Weiß ich nicht. Mich interessiert nur deine Meinung.«

»Dir fallen immer die richtigen Worte ein, was?«

»Eigentlich nicht.« Taylor kam ein Stück näher, wobei er nicht ging, er pirschte sich an. »Ich bin nur ehrlich.«

»Tatsächlich?« Sie trat zurück und stieß gegen den Küchentresen.

»Tatsächlich.« Dicht vor ihr blieb er stehen, und sein Blick schien sie zu versengen. Ein Moment verstrich, während sie sich darauf konzentrierte, gleichmäßig zu atmen. »Du darfst mich berühren, wenn du willst«, sagte er. »Und ich hoffe sehr, dass du willst.«

Julia nickte. Oder zumindest glaubte sie, dass sie es tat, denn er umfing sanft ihren Unterarm und führte ihre Hand an seinen Oberkörper. Ihr stockte der Atem.

Ihre Hand landete auf seiner Brust, bevor er mit seiner freien über ihren Arm nach unten und unter den Ärmel ihres Kleides glitt. Sie spreizte ihre Hand auf seiner warmen Haut. Ihr wurde ein wenig schwindlig, während er ihre Finger über die Wölbungen und Tiefen seiner Brust führte.

»Wie?«, platzte sie heraus, ehe sie sich bremsen konnte.

Er zog eine Augenbraue hoch. »Wie was?«

Gott, was dachte sie denn? Ihre Hand kribbelte und krümmte sich auf seiner Haut. »Wie … wie konnten wir hier landen?«

»Tjaaa«, meinte er gedehnt, während er seine Hand erneut auf ihre schob. »Wir sind aus der Bar ins Auto und hergefahren, aber ich schätze, das ist nicht die Frage.«

»War aber schon gut geraten.«

Er neigte den Kopf, bis seine Stirn an ihrer lehnte. »Wir sind hier, weil ich dich gesehen habe und dich besser kennenlernen wollte. Was ich tat. Und als ich mit dir geredet habe, beschloss ich, dich richtig kennenlernen zu wollen.« Wieder begann er, ihre Hand zu bewegen. Ihre Fingerspitzen streiften seinen Gürtel. »So sind wir hier gelandet.«

Ein Flattern durchzog sie, und ihr fielen die Augen zu. »Und du hast keine andere Frau entdeckt, bei der du dachtest, die würdest du gerne näher kennenlernen?«

Seine Stirn rieb an ihrer, als er den Kopf leicht zur Seite neigte. Seine Nase streifte ihre. »Ich habe andere Frauen gesehen.« Er verstummte, und ihr fiel der Kopf zur Seite, als sein Mund über ihre Wange strich. »Frauen, an denen ich sonst interessiert wäre. Frauen, die ganz und gar nicht sind wie du.«

Sie erstarrte und riss die Augen auf. »Wow! Das war vielleicht ein bisschen zu ehrlich.«

»Es ist keine Beleidigung«, erwiderte er und legte eine Hand in ihren Nacken. »Glaub mir.«

»Ich … ich habe keinen Schimmer, was ich darauf antworten soll«, gestand sie.

Sein leises Lachen sandte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken. »Eventuell musst du gar nichts sagen?«

»Kann sein.«

Taylor bewegte sich wieder, und sie fühlte zuerst seinen Atem unterhalb ihres Ohres, dann seine Lippen. Er küsste ihren Puls, bevor er an ihrer Haut knabberte. Mit seiner Zunge strich er über die Stelle, und Julia stieg ein Stöhnen in der Kehle auf.

Hitze schoss durch ihre Adern, jagte pures Verlangen durch sie, bis beinahe ihre Beine nachgaben. Dann führte Taylor ihre Hand nach unten, unterhalb seines Gürtels.

Julia rang nach Luft.

Du meine Güte, sie konnte ihn fühlen, hart und groß unter seiner Jeans. Solch eine Reaktion konnte man nicht vortäuschen. Vielleicht war sie normalerweise nicht der Typ Frau, auf den er flog, doch dies hier gefiel ihm.

Er wich zurück. »Fühlst du das?«

Da sie nicht sprechen konnte, nickte sie.

»Also begreifst du jetzt, wie wir hier gelandet sind? Warum ich hier bin?«, fragte er. »Mein Schwanz ist hart für dich, für keine sonst in der Bar.« Er presste ihre Hand auf sich, bog ihre Finger um die Wölbung. »Das ist alles für dich.«

Sie merkte, dass sie feuerrot wurde.

Taylor hielt inne und sah sie an. Zunächst schien er überrascht, dann verstand er. »Du hast das wirklich noch nie gemacht, oder?« Er hob ihre Hand von seiner Jeans und drückte sie wieder an seine Brust. »Die ganze Aufreißnummer?«

Sie schüttelte den Kopf und fragte sich, ob ihr Gesicht verbrennen würde. »Habe ich wirklich nicht.«

»Verstehe.« Er sog seine Unterlippe zwischen die Zähne und streichelte mit einer Fingerspitze über ihren Hals. »Du bist also ein artiges Mädchen. Das gefällt mir.«

Sie blickte zu ihm auf, während ihr Herz im Begriff war, ihren Brustkorb zu sprengen.

»Aber weißt du, was ich noch besser finde?« Er neigte den Kopf und streifte ihre Wange mit seinen Lippen, als er sagte: »Ich weiß, dass da drinnen ein ganz böses Mädchen steckt, das zum Spielen rauskommen will.«

Es konnte sehr gut sein, dass sie es wollte.

Für einen Moment senkte er die Lider, bevor er sie wieder mit seinem beunruhigenden Blick fixierte. »Ich werde etwas tun, das du richtig genießen wirst, okay?«

Sie würde gleich einen Herzinfarkt bekommen. »Okay.«

Ein Lächeln umspielte seinen Mund und verschwand wieder. Plötzlich waren seine Hände an ihren Armen, und ohne Vorwarnung drehte er sie herum. Sie rang erneut nach Luft, da er sie zurück an sich drückte, sodass sein harter Körper an ihren gepresst war.

Bevor sie fragen konnte, was er vorhatte, war sein Mund in ihrem Nacken. Er zog eine Spur von winzigen, heißen Küssen über ihren Nacken, während seine Hände von ihren Armen glitten. Julia hatte die Augen weit aufgerissen und starrte die dunklen Schranktüren ihr gegenüber an, als seine Handflächen ihre Brüste erreichten. Sofort wurden sie prall, wurden die Spitzen beinahe schmerzhaft hart. Julia bog die Hüften nach hinten, gegen seine, und biss sich auf die Unterlippe, kaum dass sie ein tiefes, kehliges Stöhnen hörte.

O Gott, noch nie hatte sie einen Mann erlebt, der solch einen Laut von sich gab. Nicht so. Nicht, als sei er im Begriff, sie zu verschlingen.

Er bewegte seine Hände weiter, an ihren Seiten nach unten und über ihre Hüften. Dort raffte er ihr Kleid zusammen und schob es hoch. Er glitt mit den Fingern außen über ihre Oberschenkel, während er an der Haut in ihrem Nacken knabberte und mit der Zunge darüberstrich.

Ihr Herz schien überall in ihr zu pochen, als er den Mund von ihrem Nacken nahm und sich unvermittelt hinter ihr hinhockte. Zuerst hatte sie keine Ahnung, was er tat. Sie wollte sich zu ihm drehen, ließ es jedoch, als er den Saum ihres Slips einfing und ihn nach unten zog.

Himmel.

»Zieh ihn aus«, befahl er. Seine Stimme klang streng in dem stillen Apartment.

Julia gehorchte, stützte eine Hand auf den Tresen, um das Gleichgewicht zu halten, während sie erst das eine, dann das andere Bein hob. Innerhalb von Sekunden war der Slip vergessen, und Taylor richtete sich wieder auf, wobei er mit den Händen an ihren Beinen nach oben wanderte. Sein Bauch stieß wieder an ihrem Rücken. Er ließ eine Hand auf ihrer entblößten Hüfte und fuhr mit der anderen hinauf zum Ausschnitt ihres Kleides.

»Wie sauer wirst du, wenn ich dieses Kleid ruiniere?«, fragte er.

»Nicht … sehr.«

»Fantastisch«, murmelte er und packte ihr Kleid vorn. Sie zuckte zusammen.

Julia konnte kaum noch atmen, denn ihr ganzer Leib pulsierte bei dem Geräusch des reißenden Stoffes. Sie blickte nach unten, als ihr kühle Luft über die Brust strich. Der Riss entblößte ihren BH. Zum Glück war der niedlich, aus schwarzer Spitze, und formte ein großartiges Dekolleté.

Er schien ebenfalls gut zu finden, was er über ihre Schultern hinweg sah. »Verdammt, sind die schön, Julia.« Er ließ ihr Kleid los, und der Stoff klaffte noch weiter auseinander. »Du bist wunderschön.«

Sie senkte den Kopf nach hinten an seine Brust, während er eine Hand unter eines der Körbchen legte. Unter den Wimpern hindurch beobachtete sie, wie er es zur Seite schob, um die Brust zu enthüllen.

Taylors Stöhnen jagte einen weiteren Lustschauer durch ihren Körper. »Siehst du zu?«

Sie wollte nicht antworten.

»Julia?«

Sie befeuchtete ihre Lippen. »Ja.«

»Gut.« Er umfasste ihre Brust. »Ich möchte nicht, dass du auch nur eine Sekunde hiervon verpasst.«

Das würde definitiv nicht geschehen.

Sie konnte gar nicht wegschauen, als sein Daumen über die rosige Haut und dann die Brustspitze strich. Diesmal war das Stöhnen nicht zu bremsen, und der Laut wurde zu seinem Namen. Sie war von Sinnen, während er ihre Brust streichelte und sich dann der zweiten widmete. Hier verfuhr er genauso, schob den Stoff beiseite und entblößte sie.

Er schlang seinen Arm um ihren Bauch und ertastete die schmerzende Spitze. Die fing er zwischen Daumen und Zeigefinger ein, um etwas zu tun, das ihren Körper von oben bis unten erbeben ließ und feuchte Hitze zwischen ihren Schenkeln auslöste.

»O Gott«, hauchte sie.

»Mmm.« Wieder liebkoste er ihren Nacken. »Das hat dir gefallen.«

Sie brauchte nicht zu antworten, denn er wusste es bereits. Er tat es wieder, und im Reflex bewegten sich ihre Hüften, blühte ein neues Verlangen in ihr auf. Taylor musste es gespürt haben. Mit einem Bein spreizte er ihre Schenkel. Jeder Muskel in ihr spannte sich an, als er mit der Hand von ihrer Hüfte zu ihrem Innenschenkel glitt.

»Du hältst den Atem an«, flüsterte er in ihr Ohr.

Und ob sie das tat!

»Süß.«

Ein Zittern durchfuhr sie, sobald seine Fingerknöchel ihre Schamlippen streiften. Dann fühlte sie eine sehr zarte Bewegung, ein träges Vor und Zurück, neckend und herausfordernd. »Sie sind sehr feucht, Miss Hughes.«

Julia war jenseits von Scham und kein bisschen geschockt von seinen direkten Worten. Sie konnte lediglich etwas stöhnen, das entfernt nach Zustimmung klang.

»Da sollten wir etwas tun«, schlug er vor, während er seinen Daumen zum Einsatz brachte, um die äußerst empfindliche Stelle zu reizen. »Was meinst du?«

Sie schnappte nach Luft und versuchte, ihre Zunge zu kontrollieren. »Ich denke … das sollten wir.«

Taylor belohnte ihre Antwort, indem er sich jener Stelle besonders widmete. Julia schrie auf und bog sich seiner Hand entgegen. Er umfing ihre Scham und drückte sie wieder an sich, und, bei Gott, das war enorm heiß. Sie konnte ihn unten an ihrem Rücken pulsieren fühlen und wurde immer feuchter.

Im selben Moment, in dem sie seine Zähne an ihrem Ohrläppchen fühlte, drang er mit einem Finger in sie. Ein erstickter Laut entfuhr ihr. Eine Hand bewegte sich auf ihrer Brust, die andere glitt quälend langsam in sie hinein und wieder heraus.

Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust und es raubte ihr den Atem, wie leicht er nur mit seinen Händen, seinen Fingern die völlige Kontrolle über ihren Körper übernommen hatte. Vor allem erstaunte sie, wie schnell sie sich gehen ließ und aufhörte zu denken.

Julias Körper bewegte sich, drängte sich gegen seine Hände und sie umklammerte seine Handgelenke, hielt sich fest und ihn bei ihr. Als er mit einem zweiten Finger in sie drang, stöhnte er. In Julia regten sich erste Vorboten eines nahenden Orgasmus. Ihre Hüften bewegten sich schneller.

»So ist es gut.« Seine Stimme war ein heißes Flüstern an ihrem Ohr. »Reite meine Finger.«

Ihr Herzschlag schoss durch die Decke, sowie sich die sündigen Worte so tief in sie eingruben wie seine Finger. Julia fielen die Augen zu, während sie genau das tat, sich rhythmisch an ihm rieb. Er steigerte das Tempo, neigte sein Kinn und vergrub seinen Mund in ihrer Halsbeuge.

Die Spannung wuchs, nahm immer weiter zu, bis sie zu groß wurde. »O Gott, ich kann nicht …« Sie zog an seiner Hand.

»Du kannst.« Er machte weiter, verweigerte ihr die Bitte. »Und du wirst.«

Es war zu viel, zu intensiv, und es gab kein Entkommen vor diesem wahnsinnigen Rausch. Julia brannte förmlich innerlich. Lava floss durch ihre Adern, und während sie dachte, sie würde sicher in Flammen aufgehen, krümmte er seine Finger tief in ihr, und die Spannung explodierte.

»So ist es gut.« Seine Stimme klang heiser und belegt.

»O … o Gott«, schrie sie. Ihr gesamter Körper erbebte durch den atemraubenden Höhepunkt. Als würden Blitze durch ihren Kreislauf zucken und sich an jedem Nervenende entladen.

Es war die süßeste Qual überhaupt und vernichtete sie, raubte ihr den Verstand. Der Orgasmus durchströmte sie heftig, ehe er verebbte. Erschöpft und verwundert sank sie schwer atmend an Taylors Brust. Sie wäre wohl direkt zu Boden gesackt, hätte er ihr nicht einen Arm um die Taille geschlungen.

Julias Kopf kippte zur Seite, und für wenige Momente rührte sie sich nicht, fühlte nur Taylors Herzschlag an ihrem Rücken. Seine Finger waren noch in ihr, und als er sie behutsam herausnahm, spürte sie ein tiefes Pochen.

Angestrengt schluckte sie. »Ich … das war sagenhaft.«

Taylor küsste sie stumm seitlich auf den Hals und glitt mit der Hand unter ihrem Kleid hervor. Dann hielt er abermals still und Julia fühlte ihn unten an ihrem Rücken. Die Erkenntnis, dass noch mehr kommen würde, schaffte sie beinahe. Wenn er das mit seinen Fingern konnte, was könnte er dann erst damit?

Wow.

Er würde sie auf die bestmögliche Weise umbringen.

Doch nun tat er etwas äußerst Seltsames. Er richtete ihren BH und drehte sie zu sich um. Zögerlich öffnete sie die Augen und stellte fest, dass er sie mit seinen blaugrünen fixierte. »Taylor?«

Er hob die Hände an ihre Wangen. Mit dem Daumen strich er über ihre Unterlippe, während er sie betrachtete. Er neigte sich vor, wobei sein warmer Atem seinem Blick folgte, über ihre Wangen und ihre Augen glitt, ehe er auf ihren Lippen verharrte.

Endlich würde er sie küssen. Vorfreude wallte wieder in ihr auf und sie senkte die Lider. Falls er so küsste, wie er sie berührt hatte, würde sie auf der Stelle implodieren.

»Danke«, sagte er, und sie stutzte. Er dankte ihr? Dann küsste er sie – auf die Stirn.

Julia riss die Augen auf.

Das schiefe Grinsen war zurück, und eine Weile lang starrte Taylor sie nur an. Sie hatte keinen Schimmer, was vor sich ging, doch er neigte den Mund zu ihrem Ohr und flüsterte etwas, das sie nicht richtig hören könnte; oder zumindest ergab es keinen Sinn.

Und dann ließ er sie los und wich zurück, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Julia stand da – während er die Tür öffnete und hinausging.

Weg.

Ihr Gehirn war noch Brei von dem sensationellen Orgasmus, weshalb sie nichts weiter tun konnte, als dazustehen und auf die Stelle zu starren, an der er eben noch gewesen war. Taylor war gegangen, ohne, nun ja, gekommen zu sein. Und er war gegangen, ohne Telefonnummern auszutauschen, ohne einen Kuss, aber nicht ohne Abschied.

Julia glaubte, dass er »Bis zum nächsten Mal« geflüstert hatte, was unlogisch schien. Total. Er musste etwas anderes gesagt und ihr benebelter Verstand es falsch verstanden haben. Letzteres konnte ihr niemand vorwerfen, denn …

Moment!

Er hatte ihren Nachnamen gesagt. Mehrmals.

Julia sank blinzelnd gegen den Tresen. Sofern Anna ihm ihren Nachnamen nicht gesagt hatte, woher in aller Welt hatte er ihn gewusst?

5. Kapitel

Die letzte Nacht war kein Fehler.

Das sagte sie sich immer wieder, als sie im Morgengrauen aufstand und zum Flughafen fuhr, nachdem sie sich von ihren Eltern verabschiedet hatte und während sie auf dem eher kurzen Flug immer wieder einnickte. Die letzte Nacht war anders als andere und hatte ein wenig eigenartig geendet, aber sie war kein Fehler gewesen. Sie hatte keine Ahnung, warum er gegangen war, nachdem er sie zum Höhepunkt gebracht hatte, ohne dass er auch gekommen war, aber darüber würde sie nicht wie verrückt grübeln, denn ihr neurotischer Verstand würde es höchstens so verdrehen, dass es ein negatives Licht auf sie warf.

Und was dieser wundervolle Mann mit ihr getan hatte, war zu … zu fantastisch gewesen, um es zu beflecken.

Ehe sie ins Flugzeug stieg, hatte sie Anna ein kurzes Update gegeben. Sie nannte keine Details, sehr zum Verdruss ihrer Freundin, aber sie fragte Anna, ob die ihm ihren Nachnamen verraten hatte. Als der Flieger landete, war Annas Antwort da.

Soweit sie sich erinnere, habe sie Julias Nachnamen ihm gegenüber nicht erwähnt.

Das war unglaublich bizarr, aber sie hatte momentan keine Hirnkapazität übrig, um sich deshalb weitere Gedanken zu machen. Ihre Eltern waren in Sorge um sie. Sie hörte ihnen heute Morgen an, dass sie ihre Entscheidung für falsch hielten. Vielleicht war der Entschluss, einen Schwesternjob in einem tausende Meilen entfernten Bundesstaat anzunehmen, wirklich ein riesiger Fehler. Wer wollte das wissen? Es war ohne Frage und definitiv das Verrückteste, was sie je getan hatte.

Nun, die letzte Nacht rangierte wohl gleich dahinter auf dem zweiten Platz.

Bisher war die weiteste Reise, die sie von ihrem Heimatort Chambersburg aus unternommen hatte, ein kurzer Flug vor fünf Jahren mit ihrem Ex Adam nach Cleveland gewesen, um seine Familie zu besuchen. Einen Job anzunehmen, der voraussetzte, dass sie – und sei es nur für einige Zeit – in einen kleinen Ort außerhalb von New Orleans übersiedelte, von dem sie nie zuvor gehört hatte, war das genaue Gegenteil dessen, was für Julia normal war.

Der Ort klang nicht mal, als hätte er einen richtigen Namen. La-Place? Julia schüttelte den Kopf ein wenig, als sie auf der Rolltreppe zur Gepäckausgabe fuhr, wo sie einem Mr. Besson zufolge der Fahrer erwartete, um sie zum Haus zu bringen. Mr. Besson hatte ihr schlichtweg untersagt, sich einen Wagen mieten, und behauptet, das Anwesen sei selbst mit Navi nicht zu finden.

Wie beruhigend.

Wäre dieser Mr. Besson nicht von der Agentur überprüft worden, hätte Julia befürchtet, dass sie einem Serienkiller auf dem Silbertablett serviert werden sollte.

Sie inhalierte den muffigen Geruch, der sämtliche Nischen und Winkel des Flughafens auszufüllen schien. Na ja, ein bisschen besorgt war sie noch. Wie es sich anhörte, würde sie hinaus ins Sumpfland von Louisiana gefahren werden, bei dem es sich, wie sie unlängst erfahren hatte, nicht um einen herkömmlichen Sumpf handelte. Wer hätte das gedacht?

Eine Hand fest am Griff des kleinen Rollkoffers, den sie schon seit Ewigkeiten besaß, strich sie sich eine verirrte braune Haarsträhne hinters Ohr, während sie das Gedränge an den Gepäckausgaben betrachtete.

Unten an der Rolltreppe trat sie zur Seite und schluckte angestrengt. Ein nervöses Kribbeln regte sich in ihrem Bauch. Sie ließ den Blick über die Männer in dunklen Anzügen und mit Namensschildern schweifen und sagte sich, dass es zu spät war, jetzt noch Bedenken zu hegen.

Sie hatte ihren festen Job in der Pflegeeinrichtung aufgegeben.

Ihr Mietvertrag für das Apartment war gekündigt.

Ihr Auto war verkauft und das Geld auf ein Sparkonto überwiesen, das Julia auf keinen Fall anrühren wollte, da Mr. Besson ihr versichert hatte, dass man ihr einen Wagen zur Verfügung stellen würde.

Es gab kein Zurück mehr, und das war gut, denn sie hatte weggemusst. Anna verstand es; Julias Mutter wollte es nicht verstehen, es nicht sehen. Und ihr Vater würde es hoffentlich nie herausfinden.

Das unangenehme Kribbeln in ihrem Bauch wurde stärker. Sie würde nicht an Adam denken. Nicht jetzt. Hoffentlich nie wieder.

Sie zupfte an ihrer weiten, blassrosa Bluse und schritt auf die Gepäckausgabe zu, blieb jedoch gleich wieder erschrocken stehen. Ungläubig las sie JULIA HUGHES auf einem dieser gigantischen Tablets, die so viel kosteten wie eine Hypothekenrate.

Ein junger Mann, der wie der Fahrer eines Diplomaten zu einem wichtigen Meeting gekleidet war, wartete auf sie. Er trug einen maßgeschneiderten schwarzen Anzug und Schuhe glänzender als Diamanten. Unmöglich konnte er ihr Fahrer sein. Da musste eine bizarre …

»Miss Hughes?«, fragte der Mann, klemmte sich das Tablet unter den Arm und kam auf sie zu. Sein Blick fiel auf ihren Koffer. »Ist das Ihr einziges Gepäckstück?«

Wie hatte er sie erkannt? Unsicher schaute sie sich um, auch wenn sie nicht wusste, nach was oder wem. »Ja. Das … das ist mein einziges Gepäck. Ich hatte …«

»Die meisten Sachen vorausgeschickt«, beendete er den Satz für sie, was nur marginal beruhigend war. »Ich bin Brett und ich fahre Sie heute. Darf ich?«

Julia blinzelte verwirrt.

Lächelnd griff er nach ihrem Koffer und konnte ihr erfolgreich den Griff entwinden. »Möchten Sie sich vorher noch frisch machen? Wir fahren ungefähr eine Stunde von hier.«

»Ja. Nein, alles gut«, korrigierte sie sich und merkte, dass sie rot wurde. »Entschuldigung. Ich bin gerade etwas durcheinander. Es war ein langer Morgen.«

»Verständlich.« Er lächelte ihr kurz, aber warmherzig zu. »Wenn Sie mir folgen wollen?«

Und das tat sie. Sie folgte dem munteren jungen Mann an den Gepäckbändern vorbei und war froh, dass sie flache Schuhe angezogen hatte. Da sie unsicher gewesen war, wie sie bei der ersten Begegnung mit ihren neuen Arbeitgebern gekleidet sein sollte, hatte sie sich für die einzige schwarze Hose entschieden, die sich nicht anfühlte, als würde sie binnen Minuten die Durchblutung ihrer unteren Körperhälfte stoppen. Noch lieber wäre ihr eine bequeme Leggings für den Flug gewesen.

Warme, schwüle Luft schlug ihr entgegen, als sie hinaus ins Parkhaus traten. »Wow«, sagte sie und hielt den Riemen ihrer Handtasche fester umklammert. »Das ist ganz schön heiß.«

»Und das ist noch nichts. Warten Sie, bis es richtig Sommer wird«, antwortete Brett und angelte die Autoschlüssel aus seiner Hosentasche. »Da werden Sie für Temperaturen um die dreißig Grad beten.«

Julia hatte alles über die berüchtigte feuchte Hitze in und um New Orleans gelesen. Sie war nicht empfindlich und sie bekam nie prompt eine Erkältung, sobald die Temperaturen unter zehn Grad sanken, anders als ihr Vater, der eher dünn als schlank war. Julia besaß eine kleine, zusätzliche Isolierschicht. Okay, vielleicht mehr als eine kleine, und es würde auch keine Diät und kein Training je etwas an dem Umfang ihrer Hüften oder Schenkel ändern, weshalb sie sich mehr oder minder damit abgefunden hatte, dass sie aus dem Leim ging wie die Hexe im Zauberer von Oz.

Scheinwerfer leuchteten auf, und Brett blieb stehen … hinter einem …

War das ein … Mercedes?

Julia starrte den Wagen mit offenem Mund an. Was in aller Welt sollte das sein? In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie in solch einem Wagen gesessen. Anscheinend begaffte sie das Auto, das sicher mehr kostete als ihre gesamten Ersparnisse, ein bisschen zu lange, denn Brett ging zur hinteren Wagentür und öffnete sie ihr.

»Miss Hughes?«

Sie kam sich selten dämlich vor, eilte zum Wagen und setzte sich auf die Rückbank – nicht ganz so elegant, wie es einem Mercedes gebührte, aber immerhin verfrachtete sie ihren Hintern hinein, ohne sich zur Idiotin zu machen.

Und dann blickte sie sich im Innern verdutzt wie eine Idiotin um, widerstand gerade so dem Drang, mit der Hand über das elegante Interieur zu streichen. Es roch so, wie Julia es sich bei einem Neuwagen vorstellte, nach Holz und Leder.

Alles fühlte sich surreal an.

Brett saß hinterm Steuer, und der Motor schnurrte los. Schnell fuhren sie aus dem Parkhaus, und Julias Gesicht klebte förmlich am getönten Seitenfenster, als sie sich vom Flughafengelände und auf die Autobahn schlängelten, die sie nur aus den Nachrichten kannte.

Bisher war sie, wenn überhaupt, mit ihrer Familie oder Freunden irgendwohin gefahren, weshalb sie die Stille im Wagen beunruhigend fand. »Also, ähm, fahren Sie Mr. Besson oft?«

Brett lachte leise. »Nicht oft, Gott sei Dank.«

Sie sah ihn verwundert an.

»Normalerweise machen die ihr eigenes Ding, er und seine Frau, und ich fahre für gewöhnlich nicht. Mein Vater macht das, aber er hatte heute einen Termin«, erklärte er. »Unsere Familien arbeiten schon seit, wow, Generationen zusammen.«

Seit Generationen? Julia lehnte sich zurück und überkreuzte locker die Arme auf ihrem Schoß, während sie dachte, dass das wohl so ein Südstaatending sein musste.

»Ich bin Vollzeit auf der Loyola, also schadet das bisschen zusätzliche Geld nicht.« Er fädelte sich auf der Überholspur ein.

»Ah, was studieren Sie?«

»Business Management, aber vielleicht wechsle ich das Hauptfach noch. Ich bin erst seit zwei Jahren dabei, also habe ich noch nicht viele Kurse gemacht.«

Sie plauderten, während Julias Gedanken mit einer Million Meilen die Sekunde unterwegs waren. Sie wusste sehr wenig über Mr. Besson, ihren baldigen Patienten, abgesehen von dessen Verfassung und der Bezahlung – die höher als normal angesetzt war. Wenn sie ehrlich sein sollte, hatte sie sich auf die Stelle beworben, als sie halb betrunken von einer Flasche Wein und quasi im Zucker-High von fast einer ganzen Tüte Dove-Schogetten gewesen war; das Ganze in einer Nacht, in der ihr Kopf keine Ruhe geben wollte und sie partout nicht schlafen konnte. Nie hätte sie gedacht, dass sie von ihnen hören würde, geschweige denn den Job angeboten bekäme. Folglich war sie fast aus den Latschen gekippt, als die Agentur sie zwei Tage später anrief und zu einem Telefon-Interview mit Mr. Besson bat.

Sie war staatlich geprüfte Krankenschwester mit Erfahrung in Notfallmedizin, hatte sich allerdings die letzten Jahre auf Vollpflege spezialisiert. Jedenfalls wusste sie, dass es andere Bewerberinnen geben musste, die viel mehr Erfahrung vorweisen konnten. Trotzdem bekam sie das Angebot, und nun war sie hier, wurde in einem Mercedes weiß der Himmel wohin gefahren.

Falls sie am Ende tot war, könnte sie zumindest diesen Punkt von ihrer »Was ich noch gemacht haben will«-Liste streichen, die sie gar nicht führte.

Sie rutschte unbehaglich auf der Rückbank hin und her. Alles ging ihr zu schnell: Von dem Moment an, in dem sie sich angetrunken um den Job beworben hatte, bis jetzt waren gerade mal gute anderthalb Wochen vergangen. Noch nie hatte Julia solche wegweisenden Entscheidungen so Hals über Kopf und gedankenlos gefällt.

Es gibt kein Zurück.

Daran erinnerte sie sich einfach immer wieder.

Brett hatte recht gehabt mit der Fahrtzeit. Ungefähr eine Stunde später und einige Meilen von der Autobahn entfernt bog er in eine Straße ein, zu der es, soweit Julia sehen konnte, kein Schild gab. Neugierig spähte sie durch die Windschutzscheibe und war sofort verzaubert. Hohe Eichen säumten die breite asphaltierte Zufahrt. Es waren Bäume, die seit Jahrhunderten hier stehen mussten, die wahrscheinlich schon gestanden hatten, ehe das Land besiedelt wurde. Louisianamoos bedeckte die Bäume und bildete einen dichten Baldachin, durch den selbst an den sonnigsten Tagen kein Licht dringen würde.

Die Straße zog sich endlos hin, und als sich die Bäume lichteten, waren sanfte grüne Hügel zu sehen. Doch es ging noch weiter, und bald fuhren sie erneut durch dichte Bäume, bis sie zu einem großen Tor mit einem kleinen, verlassen anmutenden Gebäude daneben gelangten.

War das hier eine bewachte Wohnanlage? Julia wusste es nicht. Das Tor schwang auf, als Brett etwas an der Sonnenblende antippte. Dann setzte der Wagen sich abermals in Bewegung und fuhr langsam die sich schlängelnde Straße hinauf. Schließlich sah Julia es – das Monstrum von einem Haus.

Ihr stand der Mund offen, als sie sich von der Rückbank vorbeugte und es ungläubig mit großen Augen betrachtete.

Von einem Haus konnte man eigentlich nicht sprechen. Dies war eher eine riesige Villa – oder ein Herrenhaus ähnlich den alten Plantagenhäusern, die Julia im Internet gesehen hatte, allerdings dem 21. Jahrhundert angepasst … und wie.

Der Hauptteil war drei Stockwerke hoch und seitlich von zweigeschossigen Flügeln flankiert. Auf jedem Geschoss befanden sich umlaufende Veranden, teils überdacht, teils offen. Vom Wagen aus konnte sie Deckenventilatoren sehen, die sich innen träge drehten.

Hohe Säulen rahmten die Haustür und setzten sich entlang der Veranden fort, sodass es anmutete, als würden sie das Gebäude stützen. Die Fensterläden waren schwarz, bunte Blumen hingen von den gusseisernen Balkonbrüstungen, und etwas hier war besonders.

Das gesamte Haus war von Weinranken bedeckt.

Julia staunte, wie das sein konnte, denn zugleich schien es, als sei das Haus erst in den letzten zehn Jahren renoviert worden. Natürlich hatte sie keine Ahnung, wie schnell oder langsam Weinranken wuchsen, doch es gab keinen Zentimeter, der nicht von ihnen überwuchert war.

Und woher kamen die überhaupt? Große Eichen umstanden das Haus, und Julia konnte nicht sehen, was dahinter lag, aber wie konnte dieser Wein so wachsen? Es schien völlig ungewöhnlich, dennoch verlieh es dem Haus zusätzliche Schönheit und ein beinahe antikes Aussehen.

»Ist dies das richtige Haus?«, fragte sie.

Brett lachte und blickte sie im Rückspiegel an. »Das will ich doch hoffen, denn sonst würde es ganz schnell peinlich.«

Sie begriff, dass er scherzte; dennoch war sie verblüfft. »Das … das muss ein Irrtum sein. Ich meine, ich hatte nicht den Eindruck, dass Mr. Besson so wohnt.«

Jetzt begriff er anscheinend. Er bog in die geschwungene Einfahrt und passierte einen schwarzen SUV und einen anderen eleganten Wagen, auch in so einem hatte sie noch nie gesessen. »Ihnen wird alles klar werden, wenn Sie Mr. de Vincent kennenlernen.«

»Mr. de Vincent? Ich habe mit einem Mr. Besson gesprochen«, sagte sie und klammerte sich an die Sitzkante. Ihre Gedanken überschlugen sich. Der Name de Vincent kam ihr vage bekannt vor. Der Grund lag ihr auf der Zunge. »Verzeihung, aber wem gehört dieses Haus?«

Einen Moment lang dachte sie, er würde nicht antworten. »Dies ist der Familiensitz der de Vincents. Für sie werden Sie arbeiten.« Er hielt den Wagen an und drehte sich zu ihr um. »Sie haben mit Mr. Besson gesprochen, weil die de Vincents … nun ja, sie leben sehr zurückgezogen und schätzen ein gewisses Maß an Diskretion, wenn es um Privatangelegenheiten geht.«

Sie hatte eine Menge Vertraulichkeitserklärungen unterschrieben, mit denen sie sich verpflichtet hatte, Stillschweigen zu wahren, was die Familie und ihren Patienten betraf; bei Verstoß drohten ihr hohe Geldstrafen. Gleichzeitig hatte die Agentur ihr versichert, dass solche Vorkehrungen üblich waren. Die meisten Familien, die sich eine private Krankenschwester leisten konnten, hatten ein Image zu schützen, und außerdem hatte sie nicht …

Nun fiel es ihr ein.

Und sie bekam einen Schock, sowie ihr bewusst wurde, warum ihr der Name de Vincent bekannt vorkam.

O mein Gott, sie wusste, wer die de Vincents waren!

Jeder wusste es.

Wie erstarrt hockte sie auf dem Rücksitz und umfasste die Kopflehne vor sich so fest, dass ihr die Fingerknöchel wehtaten. Die de Vincents waren eine der reichsten Familien der USA, und zwar reich im Sinne von: Sie besaßen geradezu lachhaft viel Geld. Ein Vermögen, wie es sich Julia und 99,9 Prozent der übrigen Bevölkerung nicht einmal vorstellen konnten.

Und das war nicht der einzige Grund, weshalb sie schon von ihnen gehört hatte. Sie las selten Klatschmagazine, doch hin und wieder sah sie sich eines im Supermarkt an, und dort stand praktisch immer etwas über einen der Brüder, zumeist über den Ältesten.

Apropos …

Sie ließ die Kopflehne los, griff nach ihrer Tasche auf der Rückbank und zog die zusammengerollte Zeitschrift heraus, die sie sich am Flughafen in Philadelphia gekauft hatte. Hastig blätterte sie zu dem Artikel, den sie vorhin erst gelesen hatte.

Begehrtester Junggeselle mit reicher Erbin verlobt.

Den Text hatte sie eher überflogen, während sie wie gebannt auf das Foto des ältesten Bruders, Devlin, und dessen Verlobter gestarrt hatte. Wer konnte es ihr verdenken? Er war groß, dunkelhaarig und umwerfend, und sie war eine zarte, blonde Schönheit. Solche Paare sah man nie im wirklichen Leben, nur in Zeitschriften oder Filmen.

Ihr Herz pochte wild. Dies war nicht real. Das konnte es nicht sein.

Die de Vincents wurden als die Kennedys der Südstaaten bezeichnet, alter amerikanischer Geldadel. Zumindest nannte die Klatschpresse sie so, wenn sie über ihre Rolle in der Politik und ihre Skandale berichtete. Von Letzteren gab es nicht wenige, denn die Söhne … Wie waren noch die Spitznamen? Es gab drei, wenn Julia es richtig erinnerte. Und ihre Spitznamen waren irgendwie morbide und bizarr, passend zu ihrem wilden, fast unglaublichen Verhalten. Julia schlug das Herz bis zum Hals. Jetzt wusste sie es wieder.

Lucifer.

Demon.

Devil.

6. Kapitel

Laut gähnend fuhr Lucian sich mit den Fingern durchs Haar und ließ die Hand auf seinen Oberschenkel sinken, während Troy sich darauf konzentrierte, Dev von der anderen Seite des Schreibtisches aus anzustieren.

Selbstverständlich saßen sie nicht im Arbeitszimmer ihres Vaters.

Livie hatte einen professionellen Reinigungsdienst kommen lassen, sobald das Zimmer freigegeben worden war. Sämtliche Spuren dessen, was dort geschehen war, waren weggeschrubbt gewesen, als Lucian am frühen Morgen nach Hause kam. Ein Tag, und Lawrence’ Arbeitszimmer war nur ein weiterer abgesperrter Ort im Haus, als könne man das Geschehene wegschließen und vergessen wie böse Erinnerungen.

Alles Geschäftliche wurde nun von Devs Büro aus dirigiert, das er sich vor mehreren Jahren im zweiten Stock hatte ausbauen lassen. Es handelte sich um das Eckzimmer mit Blick auf den überwucherten Rosengarten, um den sich ihre Mutter früher gekümmert hatte.

Bei diesem spontanen Meeting fehlte nur Gabe, er war kurz nach Lucians Rückkehr verschwunden – wahrscheinlich zu seinem Lagerhaus. Lucian bezweifelte, dass sie ihn heute noch wiedersehen würden.

Und Lucian war nur aus einem Grund da, der nichts mit seinem verstorbenen Vater oder Troys Anwesenheit zu tun hatte. Er wartete ziemlich ungeduldig auf eine sehr wichtige Ankunft.

Er hatte keinen Schimmer, was passieren würde, doch zum ersten Mal seit wer weiß wie lange war er tatsächlich nervös vor Vorfreude. Er wusste, wann das Flugzeug landen sollte, also müsste es jeden Moment so weit sein.

In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte es einige »Premieren« für ihn gegeben.

»Du siehst beschissen aus«, bemerkte Troy mit Blick zu ihm.

Lucian zuckte nur mit der Schulter. Was sollte er sagen? Letzte Nacht hatte er nicht besonders viel Schlaf bekommen.

»Ich denke, ihr wisst, wieso ich hier bin«, begann Troy. »Und mir ist klar, dass ihr eine Menge um die Ohren habt, aber ich konnte nicht mehr warten.«

Dev lehnte sich in dem Ledersessel zurück und verschränkte lose die Arme. »Das verstehe ich, doch an dem, was wir in der Nacht des Vorfalls besprochen haben, hat sich nichts geändert.«

Lucian schloss die Augen, rückte auf seinem Stuhl hin und her und rieb sich die Brauen mit seinen Zeigefingern. So sehr er Troy auch mochte, musste der verschwinden.

»Tja, also das Problem ist, dass der Chief einen Furz quersitzen hat und dringend diese Ermittlung vorantreiben will. Wahrscheinlich hat es mit der Horde von Anwälten zu tun, die nur Stunden, nachdem euer Vater tot aufgefunden wurde, beim Revier aufkreuzte.« Er tippte mit einer Hand auf den aufgeräumten, blank polierten Schreibtisch. »Und ich glaube, er sagte etwas in Richtung ›Die de Vincents mögen die Welt beherrschen, aber ganz sicher nicht meine Dienststelle‹.«

»Interessant«, antwortete Dev in einem Tonfall, der keinen Funken Interesse erkennen ließ.

»Das hört nicht einfach auf.«

»Der Chief darf denken, was immer er will, aber was geschehen ist, scheint mir ziemlich klar.« Dev griff nach seinem Glas. »Er hat sich erhängt.«

»Es gibt Kratzer an seinem Hals, als hätte er versucht, den Gürtel abzureißen«, stellte Troy klar. »Und das ist ein wenig verdächtig. Ich behaupte nicht, dass er es sich anders überlegt haben könnte, aber es ist ungewöhnlich. Die Autopsie wird heute noch vorgenommen. Auch wenn ich nicht andeuten will, dass sie irgendwas ergibt, würde ich tippen, dass wir hinterher mehr Fragen als Antworten haben. Und das ist für den Chief in dieser Situation wie Weihnachten.«

Dev trank einen Schluck und kippte das Handgelenk leicht, als er sein Glas wieder hinstellte, sodass die braune Flüssigkeit darin schwappte. »Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll.«

»Natürlich nicht«, murmelte Troy trocken. »Ich versuche, euch zu helfen, Leute.«

»Wissen wir«, mischte sich Lucian mit einem warnenden Blick zu seinem Bruder ein.

»Tut ihr das?« Troys Blick blieb auf Dev gerichtet. »Ich muss alles wissen, damit ich vorbereitet bin.«

»Du weißt alles«, antwortete Dev gelassen.

Lucian wurde wütend. Tatsache war, dass Troy einen Dreck wusste, und aus purer Loyalität zu ihnen würde er seine Marke riskieren. Derweil hockte Dev hinter seinem Schreibtisch und pfiff darauf, was es für den Polizisten bedeutete.

Ganz sicher hatte Troy keine Ahnung, wer im Obergeschoss war. Dev hatte alles getan, um das zu verheimlichen, und Lucian hatte sich einverstanden erklärt, weil er die Alternative inakzeptabel fand.

Wie ein Geist erschien Richard an der Tür. Sein Gesichtsausdruck verriet Lucian, dass der lang ersehnte Moment endlich da war. Er setzte sich auf und sämtliche Anzeichen von Müdigkeit waren verschwunden.

»Verzeiht die Störung«, sagte Richard, der die Hände auf dem Rücken verschränkt hatte, »aber du hast ein Meeting, zu dem du dich nicht verspäten darfst, Dev.«

»Entschuldige, Troy, aber ich muss gehen. Genau wie mein Bruder.« Dev stand auf und richtete seine Manschetten. »Können wir das hier später fortsetzen?«

Für einen Moment saß Troy perplex da, bevor er sich kopfschüttelnd erhob. »Erwartet nicht, dass sich das von selbst erledigt«, warnte er die beiden Brüder. »So wird es diesmal nicht sein.«

Dev neigte den Kopf. »Selbstverständlich nicht.«

Troy wandte sich zur Tür, blieb jedoch vor Lucian stehen. »Mach deinem Dickschädel von Bruder klar, wie ernst die Sache werden kann.«

Lucian nickte, auch wenn er vermutete, dass es Dev durchaus klar war.

»Bis später«, murmelte Troy.

Richard begleitete ihn nach draußen, um sicherzugehen, dass der Polizist sich nicht in Bereiche des Hauses verirrte, in denen er nichts zu suchen hatte. Lucian war schon halb bei der Tür, als Dev ihn bremste.

»Wo warst du gestern?«

Lucian hob eine Schulter an und senkte sie wieder. »Nirgends.«

»Demnach war es ein geradezu grotesk überflüssiger Ausflug.« Dev kam um seinen Schreibtisch herum. »Hast du mal überlegt, wie das aussieht, wenn du am Morgen nach dem tragischen Selbstmord unseres Vaters verschwindest?«

Lucian grinste zynisch. »Ich glaube nicht, dass irgendwer etwas anderes erwartet hätte.«

»Und darauf bist du auch noch stolz?«

»Meistens ja«, antwortete Lucian.

Dev seufzte und ließ endlich von seinen Manschetten ab. »Mir ist immer noch nicht wohl bei der Sache.«

Lucians Genick verspannte sich, als er sich zu seinem Bruder umwandte. Er wusste genau, was sein Bruder meinte. »Dir ist bei gar nichts wohl. Warum sollte es hierbei anders sein?«

Dev verschränkte die Arme vor der Brust. »Du weißt, was ich meine. Nach dem, was gerade passiert ist, holen wir jemanden ins Haus? Das ist gefährlich.«

»Wir hatten die Entscheidung getroffen, bevor das mit unserem Vater geschah.« Er hielt dem Blick seines älteren Bruders stand. »Aber verrate mir, was daran so gefährlich ist, Dev? Verheimlichst du irgendwas und sorgst dich, jemand könnte es herausfinden?«

Dev zuckte nicht mal mit der Wimper. »Du weißt, wovon ich rede.«

Lucian begriff, was er andeutete, ohne dass Dev Einzelheiten nennen musste. »Nun, ich dachte, du hättest gesagt, unser Vater hatte Probleme mit dem, was seinem Bruder gerade widerfährt«, erinnerte er ihn.

Dev schwieg.

Lucian ballte die Fäuste. »Es ist ausgeschlossen, dass sie mit dem zu tun hatte, was mit Lawrence passiert ist, falls er es nicht selbst war. Du hast gesehen, in welcher Verfassung sie ist, und gehört, was der Arzt gesagt hat. Gott allein weiß, wo sie gewesen oder was mit ihr geschehen ist, und dich interessiert bloß, was die Leute von uns denken.«

»Du hast keinen Schimmer, was mich interessiert, aber lass mich dir eines erklären. Ja, ich sorge mich darum, was die Leute denken, denn was glaubst du wohl, werden Troy oder dieser verfluchte Chief meinen, wenn sie mitbekommen, dass sie wieder da ist – dass sie auftauchte, kurz bevor unser Vater unter verdächtigen Umständen zu Tode kam?«

Kopfschüttelnd sah Lucian ihn an. »Tu nicht so, als wärst du um sie besorgt. Mir machst du nichts vor. Dir geht es nicht darum, unsere Schwester zu beschützen.«

»Kennst du mich besser?« Devs blaugrüne Augen, von derselben Farbe wie Lucians, glühten förmlich. »Glaubst du, mich so gut zu kennen? Dass ich nicht versuche, sie zu schützen?«

Lucian grinste abfällig. »Ja, bedaure, ich kann das nicht für voll nehmen, nachdem du sie in ein Krankenhaus weit weg verfrachten wolltest, sie einsperren und vergessen.«

Ein Muskel in Devs Wange zuckte: das erste echte Anzeichen eines Gefühls. »Würde ich sie wegsperren und vergessen wollen, hätte ich genau das getan.«

Das würde Lucian unter keinen Umständen zulassen. »Was ist deine Sorge? Du hast die Krankenschwester doch gründlich überprüft, oder nicht?« Obwohl Dev es ihm nicht erzählt hatte, war Lucian sicher, dass Dev sie niemals ohne umfassende Überprüfung ins Haus lassen würde. »Wahrscheinlich weißt du sogar, was sie letzten Monat zum Abendessen hatte. Du hast sie durchgecheckt.«

»Habe ich«, erwiderte Dev knurrend.

Lucian trat so dicht an ihn heran, dass seine Schuhe die teuren Slipper seines Bruders streiften. Sie waren beinahe identisch mit denen, die ihr Vater in der Nacht trug, in der sie ihn am Ventilator baumelnd gefunden hatten. »Also, ich frage noch mal, warum bist du so besorgt?«

Dev sah ihn stumm an.

»Jungs«, rief Richard hinter ihnen. »Euer Gast wartet.«

Beide strahlten eine Anspannung aus, die den gesamten Raum ausfüllte. Keiner von ihnen rührte sich. Schließlich trat Dev zurück und sagte: »Hast du nichts zu tun? Zum Beispiel jemanden zu vögeln?«

Ein beinahe grausames Lächeln umspielte Lucians Mund. »Nein, im Moment nicht.«

»Ein Jammer«, sagte Devlin und schritt an ihm vorbei.

Auf keinen Fall würde Lucian zulassen, dass Dev als Erster jenes Zimmer betrat, und genauso wenig würde Dev dieses Gespräch allein führen. Wer wusste, was Dev über ihre Schwester sagte?

Maddie brauchte jemanden, der mitfühlend war, der Geduld aufbrachte und ihr ernsthaft helfen wollte, wieder gesund zu werden, solange sie zu ergründen versuchten, was mit ihr geschehen war. Lucian würde nicht dulden, dass Dev das gefährdete.

Vor allem nicht, seit er verblüfft feststellen musste, dass sein Bruder tatsächlich jemanden mit den nötigen Eigenschaften angeheuert hatte.

»Wo ist sie?«, fragte Lucian.

»Sie wartet im unteren Salon«, antwortete Richard.

Da sein Bruder gemessenen Tempos ging, überholte Lucian ihn und Richard leicht und war bereits auf der Treppe nach unten, bevor Dev sie oben erreicht hatte.

Er machte große Schritte, bei denen seine lächerlich teuren Stefano-Bemer-Schuhe keinerlei Geräusch auf dem Parkett verursachten, und begab sich zu demselben Zimmer, in dem er Richard und Livie die Nachricht vom Ableben seines Vaters mitgeteilt hatte. Als er sich dem offenen Türbogen näherte, blieb er abrupt stehen.

Für einen Sekundenbruchteil wurde ihm klar, dass dieser Moment einen Einschnitt darstellen, die Zeit in eine Phase vor ihm und eine nach ihm unterteilen würde. Ungefähr so hatte er auch gestern Abend empfunden, als er in die kleine Bar trat und erstmals die Krankenschwester sah, die Dev eingestellt hatte.

Sie wiederzusehen wäre wie ein zweites erstes Mal.

Lucian hatte keine Ahnung, was er erwartet hatte, als er Miss Julia Hughes zum ersten Mal sah. Jemanden Älteres? Möglicherweise eine Matrone? Wer weiß? Jedenfalls war er nun genauso schockstarr wie gestern Abend.

Auf der viktorianischen Couch und gänzlich ahnungslos, was seine Anwesenheit betraf, saß die Frau, in der er keine zwölf Stunden zuvor seine Finger gehabt hatte.

Sie war … Mist, sie war wunderschön.

Schön auf eine Weise, wie man es heute nicht mehr oft sah. Eine Schönheit aus vergangenen Epochen.

Ihr dunkelbraunes Haar war zu einem ordentlichen Knoten aufgesteckt, aus dem nur eine Strähne weich über ihre Wange fiel. Es war dieselbe Strähne, die er gestern Abend nach hinten gestrichen hatte. Immer noch wünschte er sich, ihr Haar offen zu sehen, um zu erfahren, ob er mit seiner Vermutung richtig lag. Er wusste einfach, dass es lang und dick sein musste.

Ihr Gesicht hatte eine perfekte Herzform. Zarte Brauen bogen sich über Augen, von denen er wusste, dass sie einen warmen Whiskey-Ton hatten. Eine kecke Nase und hohe Wangenknochen, die noch hübscher waren, wenn sich ihre Wangen röteten, und ihr Mund … o Mann, dieser Mund war ein Kunstwerk. Lippen so voll, dass ein Mann sein Leben gäbe für die Ehre, sie zu kosten oder zu erfahren, wie sie sich an seinem Mund oder um seinen Schwanz anfühlten.

Ja, er dachte sich einen unglaublichen Schrott zusammen.

Und dabei hatte er sie nicht mal gekostet.

Wie beim ersten Mal, als er sie gesehen hatte, konnte er sich ihr Gesicht auf Leinwand gebannt vorstellen. Leicht wäre es nicht. Er wusste, dass sich eine Menge Emotionen in diesen Zügen spiegelten, und die in Farbe festzuhalten, war stets schwierig. Schon das minimale Stirnrunzeln wäre schwer wiederzugeben.

Es wäre eine Herausforderung.

Eine Ehre.

Obwohl sie steif auf der Sofakante hockte, wusste er, dass sie einen traumhaften Körper hatte. Wohlgerundet, weich und seidig an all den Stellen, die er erforschen wollte.

Es ging ein Summen durch seine Adern, als er sie ansah, und Hitze verbrannte ihn von innen nach außen. Flammen, die ihn verschlingen würden, und was für ein Brennen das wäre!

Miss Julia Hughes war eine überaus angenehme Überraschung gewesen.

Im Gegensatz zu seinem Bruder war Lucian ein zupackender Typ. Er hatte keinen Privatdetektiv engagiert, sondern die Feldforschung selbst übernommen. Der Sinn und Zweck seiner Reise nach Philadelphia war der gewesen, sie aufzuspüren, da er online nichts über sie finden konnte. Also ging er zu ihrer Arbeitsstelle und gab vor, die Unterbringung eines Angehörigen dort zu erwägen. Er brauchte bloß zu lächeln und wenige blumige Worte zu sagen, schon bekam er einige Informationen über sie von ihrer alten Chefin.

Ausgezeichnete Mitarbeiterin.

Beliebt bei Kollegen und Patienten.

Sie würde sehr fehlen.

Und während er dort war, hatte er mitbekommen, dass die freundliche Blondine von der Party sprach. Reines Glück hatte ihn zur richtigen Zeit an den richtigen Ort geführt, ohne gesehen zu werden. Er war in der Absicht in die Bar gegangen, sie in ein Gespräch zu verwickeln, einen Eindruck von ihr zu bekommen und, ganz ehrlich, sonst nichts.

Aber dann sah er sie.

Dann redete er mit ihr.

Und dann wollte er sie.

Ihm wurde vage bewusst, dass sein Bruder ihn erreicht hatte. Zwar wusste er, dass er wegsehen sollte, aber er konnte es nicht und wollte es nicht.

»Lucian«, warnte Dev ihn.

Dieser ignorierte seinen Bruder, während er näher an den Türbogen herantrat. Als er sie gestern Abend erblickte, hatte er völlig primitiv auf sie reagiert, was schon sehr lange nicht mehr beim Anblick einer Frau vorgekommen war. Zu lange.

»Ich meine es ernst.« Devs leise Worte klangen gereizt. »Denk nicht mal dran.«

Er wünschte, sein Bruder würde die Klappe halten und ihn seine Krankenschwester in Ruhe angaffen lassen. »Woher willst du wissen, was ich denke?«

»Das fragst du?«, konterte Dev raunend. »Dich interessieren nur zwei Sachen, und eine davon ist, dir den Rest deines Gehirns wegzuvögeln.«

Lucian sah ihn an und zog eine Braue hoch, denn widersprechen konnte er ihm nicht. »Und was ist das andere, das mich interessiert? Verrate es mir, wenn du doch anscheinend mehr über mich weißt als ich.«

Sein Bruder runzelte die Stirn. »Der Grund, aus dem sie hier ist.«

»Stimmt«, murmelte er, denn auch dem konnte er nicht widersprechen.

Aber als er wieder zu Julia sah, war seine Schwester – Gott vergebe ihm – das Letzte, woran er dachte.

Lucian wollte … er wollte sie malen.

Und er erinnerte sich nicht, wann er das zuletzt gewollt hatte. Diesen Drang hatte er schon seit Langem nicht mehr verspürt, jetzt juckte es ihm in den Fingern.

Zum ersten Mal seit, nun ja, überhaupt, sah er eine Frau und dachte an das, was seine Urgroßmutter einst über die Männer der de Vincent-Familie gesagt hatte. Vielleicht hatte sie gemeint, dass sie schnell und mit Haut und Haaren in Lust verfielen, ohne jede Vernunft, ohne zu zögern.

Denn, o ja, er verspürte eine unermessliche Lust. Letzte Nacht von ihr wegzugehen, war das Verrückteste und Untypischste gewesen, was er je getan hatte.

»Lucian«, wiederholte Dev. »Ich will, dass du sie in Ruhe lässt.«

»Dafür ist es zu spät«, erwiderte er.

Dev wurde stockstarr, sah ihn an, und dann weiteten sich seine Augen ein wenig. »Wo warst du gestern?«

Lucian zwinkerte seinem Bruder zu und ging ins Zimmer, ließ Dev mit seinen Sorgen auf dem Flur zurück, wo sie hingehörten.

Miss Hughes zuckte zusammen, als sie seine Schritte hörte, und endlich, endlich hob sie ihr Kinn und die Lider mit den dichten Wimpern. Er sah, wie sie große Augen machte, und die Verwirrung, die aus ihnen sprach, als sie ihn erkannte. Und als sich ihre unglaublichen Lippen ein wenig öffneten und sie leise einatmete, fuhr es ihm direkt in seinen Schwanz.

Er konnte nichts dagegen tun.

Lucian verneigte sich so vor ihr, dass jeder Adlige neidisch geworden wäre, und reichte ihr die Hand.

Ihre warmen braunen Augen richteten den Blick auf seine Hand, dann auf sein Gesicht. Gleichzeitig röteten sich ihre Wangen. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, wirkte vollkommen ungläubig.

Wie durch einen Tunnel hörte er seinen Bruder nochmals seinen Namen sagen, diesmal näher und mehr als dezent warnend. Aber das scherte ihn nicht. Schließlich war dies hier Devs Verschulden, denn was zum Teufel hatte sein Bruder sich dabei gedacht, sie anzuheuern? Nicht, dass er sich beschwerte, aber … im Ernst? Hatte Dev denn nie ein Foto von ihr gesehen, als er sie überprüfte, und sich überlegt, dass es vielleicht keine kluge Idee war?

Nun war es zu spät.

Er wusste, dass er sie letzte Nacht hätte haben können.

Er wollte sie immer noch.

Und Lucian bekam ausnahmslos immer, was er wollte.

Das konnte nicht wahr sein.

Dieser Gedanke ging Julia durch den Kopf, als sie beobachtete, wie Taylor sich vor ihr verbeugte. Es musste eine Art Traum sein. Vielleicht war sie noch in ihrem Apartment, in ihrem Bett. Oder sie war auf dem Flughafen gestürzt und hatte sich übel den Kopf angeschlagen. Unmöglich konnte Taylor hier sein.

Der Schock war so überwältigend, dass sie kaum registrierte, wie er ihre Hand nahm.

»Miss Hughes?«, fragte er mit jener tiefen Stimme, die ihr feine Schauer über den Rücken jagte.

Ihr Mund wurde trocken.

»Erlauben Sie, dass ich mich vorstellen?«, fuhr er fort und kräuselte dabei die Lippen ein wenig, was alles Mögliche bedeuten konnte.

Julia blinzelte langsam. Was zur Hölle …? Sie wusste, wer er war. Sehr gut. Ausgesprochen gut sogar, was indes nicht beantwortete, warum er hier war.

Sie öffnete den Mund und rang nach Luft, die ihre Lunge nicht zu erreichen schien. Bei dem Versuch aufzustehen musste sie feststellen, dass ihre Beine sich nicht bewegen wollten. Als doch etwas Sauerstoff in ihre Lunge gelangte, drohte er sie zu versengen. Dies hier durfte nicht wahr sein. Sie hatte Taylor eben erst in Pennsylvania gesehen, und er war … er war nur irgendein scharfer Typ gewesen, den sie in einer Bar kennengelernt hatte. Er konnte nicht hier, tausende Meilen weit weg, vor ihr stehen.

»Vielleicht solltest du atmen«, sagte er so leise, dass nur sie es hören konnte.

Reflexartig holte sie Luft, während ihr Sichtfeld am Rand verschwamm.

»So ist es besser.« Und lauter sagte er: »Ich bin Lucian Taylor de Vincent.«

O Hölle und Weltuntergang, er war Lucian de Vincent?

Warum zum Teufel hatte sie ihn gestern Abend nicht erkannt? Wobei, sie erinnerte sich nicht, wann sie zuletzt ein Bild von ihm in einem der Klatschmagazine gesehen hatte, und natürlich hätte sie niemals erwartet, dass ausgerechnet er in eine Bar in einem Nest marschierte, das förmlich »Walachei« schrie. Aber er war es, der jüngste Bruder – genannt …

»Lucifer«, platzte sie heraus.

Seine Augenbrauen bewegten sich ungefähr drei Zentimeter nach oben und sein Lächeln wurde breiter, enthüllte gerade weiße Zähne, und, o ja, es steigerte seine Anziehungskraft um ein Millionenfaches. »Demnach hast du von mir gehört? Ich fühle mich geschmeichelt«, sagte er neckend.

Geschmeichelt?

Julia öffnete erneut den Mund, doch in ihrer Kehle brannte eine ganze Lastwagenladung Schimpfwörter. Solche, die ihm die Schamesröte ins Gesicht treiben würden. Sie begann, ihre Hand zurückzuziehen, ehe sie ihn mit Kraftausdrücken bedachte, die er nie zuvor gehört haben dürfte.

Lucian hielt ihre Hand fest. »Es freut mich, Miss Hughes. Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug nach Louisiana?«

Sie starrte ihn an und spürte, dass sie kurz davor war, den Rest ihres Lebens wegen Mordes im Gefängnis zu verbringen. Und nicht wegen kaltblütigen Mordes. O nein, dies würde ein glühender, zorniger Mord. Um es noch schlimmer zu machen, ergaben plötzlich sehr viele Dinge einen Sinn. Nun begriff sie, warum er ihren Nachnamen kannte. Er hatte sie gestern Abend gezielt aufgegabelt, in ihrem Bundesstaat, tausende Meilen entfernt. Tausende Meilen. Er hatte sie dort aufgespürt, und wozu?

Darüber wollte sie nicht einmal nachdenken.

Verbitterung legte sich über ihre Wut, als ihr klar wurde, dass sie nunmehr die Antwort auf die Frage »Warum ich?« bekommen hatte. Gott, sie wollte lachen, nur fürchtete sie, es könnte damit enden, dass sie ihm ins Gesicht schrie.

Und er hielt nach wie vor ihre Hand, weigerte sich, sie freizugeben. Sprachlos vor Wut beobachtete sie, wie er ihre Hand an seinen Mund hob. Er küsste ihren Handrücken, drehte die Hand dann um und küsste auch die Innenfläche, wobei er nicht den Blick von ihr abwandte.

Blanker Zorn tobte in ihr, als sie ihn erbost anfunkelte, und vermengte sich mit der Hitze, die ihre Wangen rot färbte, weil sie sich allzu gut an das Gefühl erinnerte, an ihn gepresst zu sein. Ihr war noch sehr frisch im Gedächtnis, wie ebendiese Hand, die nun ihre hielt, sich zwischen ihren Schenkeln angefühlt hatte, und wie …

Ein Hauch feuchter Wärme wanderte von ihrer Handfläche hinauf und direkt durch ihren Körper hindurch. Hatte er …? Hatte er mit der Zunge …?

Er zwinkerte ihr zu, als er sich wieder aufrichtete, und hielt noch immer ihren Blick.

Ja, er hatte.

O mein Gott! Ein Dutzend Emotionen stürmten auf sie ein. Gekränkt, angewidert, zornig. Und weil irgendwas in ihrem blöden Körper ernstlich gestört und kaputt war, fühlte sie auch noch aufkeimende Erregung tief in ihrem Bauch. Sie war erregt, obwohl ihr Verstand nachgerade schrie »Unterdrücken, unterdrücken«, sie anbrüllte, augenblicklich aufzustehen, Taylor einen Hieb zu verpassen und zum Flughafen zurückzurasen, um ihren Hintern zurück nach Pennsylvania zu verfrachten.

Leider versank sie in diesem Blick aus seinen blaugrünen Augen fast – die Art Augen, die Art Blick, die nicht bloß Freuden versprach, von denen Julia bisher bestenfalls gehört hatte, sondern auch solche androhten, von denen man sich wahrscheinlich nie erholte.

Die Art, von der sie letzte Nacht eine Kostprobe bekommen hatte.

Julia würde ihn definitiv umbringen.

Ein neuer, leicht beängstigender Gedanke regte sich in ihr. War dies hier überhaupt ein richtiger Job? Wurde sie für etwas ganz anderes eingestellt? Denn nichts hiervon …

Ein Räuspern riss sie aus ihren Gedanken. Als wäre sie aus einer Trance erwacht, zerrte sie ihre Hand zurück und wurde von oben bis unten rot.

Noch ein Mann hatte das eindrucksvolle Zimmer betreten. Er schien das exakte Gegenteil von Lucian zu sein, in etwa gleich groß, aber etwas breiter und gekleidet, als würde er sich auf irgendeiner Chefetage bewegen, nicht in seinem Zuhause. Ihn umgab eine Aura absoluter Autorität, als Lucian beiseitetrat und sich neben Julia auf die Couch fallen ließ.

Es war keine sehr breite Couch.

Folglich drückte sein Knie gegen ihres.

»Ich bin Devlin de Vincent«, sagte der dunklere, ältere Mann. »Und ich entschuldige mich für das Benehmen meines Bruders. Er besitzt die Manieren eines unerzogenen Hundes.«

Ihr Blick schweifte zu Lucian, der sich arrogant neben ihr auf der Couch fläzte, die Schenkel gespreizt und einen Arm lässig auf den hölzernen Rahmen gelegt. Nun wurde sein Grinsen noch ein wenig breiter, und er sah sie mit halb gesenkten Lidern an.

»Und ich habe das Gefühl, dass ich mich für etwas entschuldigen sollte, von dem ich nichts weiß«, fuhr Devlin fort. Ihn nannten sie in der Klatschpresse »Devil«, Teufel. »Anscheinend seid ihr beiden euch schon begegnet.«

Und was sollte sie hierauf antworten? Oh, ja, Ihr Bruder tauchte gestern in einer kleinen Bar in einem anderen Bundesstaat auf und ließ den Abend mit seinen Fingern zwischen meinen Beinen ausklingen? Ach ja, und ich hatte keine Ahnung, dass Taylor sein zweiter Vorname war, an dem noch de Vincent dranhängt. Hmm, wohl eher nicht. Sie war so überfordert von der Situation, dass sie nicht mal die simpelsten Sätze zustande brachte.

»Wir sind uns gestern Abend kurz begegnet«, antwortete Lucian überraschend. »Tatsächlich haben wir über ihren Beruf und ihre Entscheidung für diesen Job geplaudert.«

Ihre Nasenflügel blähten sich spürbar, und sie ballte die Hände zu Fäusten. Das war nur teilweise wahr.

»Ach ja?« Devlin hätte kaum ungläubiger wirken können. »Dahin warst du also verschwunden?«

Julia ging auf, dass Devlin keinen Schimmer hatte, was Lucian getan hatte.

Und endlich – Gott sei Dank – hörte Lucian auf, sie anzustarren, und sah stattdessen zu seinem Bruder. »Hast du gedacht, ich lasse dich jemanden einstellen, ohne dass ich diejenige überprüfe?«

Sein Bruder kniff den Mund zusammen. »Dumm von mir.«

Julia schnappte nach Luft, als ihr wie mit einem Hammerschlag klar wurde, was hier ablief. Lucian hatte nach ihr gesucht, um sie abzuchecken, nicht, um mit ihr zu flirten. Er hatte gewusst, wer sie war, dass sie eingestellt worden war, um jemanden zu pflegen – sofern das tatsächlich der Grund war, aus dem sie hier war –, und hatte sie in der Bar aufgespürt, wo er …

Himmel, ihr wurde schlecht.

Nie wieder würde sie ihre scharfen Flügel ausbreiten und losfliegen.

Nein. Nein. Nein.

War der gestrige Abend ein Test gewesen? Um sie auf Moral und Anstand abzuklopfen? Falls ja, hatte sie grandios versagt. Doch was sagte es über Lucian aus, dass er so etwas tat? Nichts davon spielte mehr eine Rolle. Julia fühlte sich über Gebühr bloßgestellt und reingelegt, als wäre sie in eine perverse Falle getappt.

Nein.

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