
Ein Weihnachtsmärchen in Montana
Ausgerechnet in Montana, das Chase nach einer Tragödie verließ, muss er nun die Feiertage verbringen. Doch als er die hochschwangere Lesley aus dem Schneesturm rettet, scheint ein Weihnachtswunder möglich.
Ausgerechnet in Montana, das Chase nach einer Tragödie verließ, muss er nun die Feiertage verbringen. Doch als er die hochschwangere Lesley aus dem Schneesturm rettet, scheint ein Weihnachtswunder möglich.
Ein Weihnachtsmärchen
in Montana
Aus dem Amerikanischen von
Sonja Sajlo-Lucich
Dezember
Minneapolis, Minnesota
I’m dreaming of a White Christmas …“
Was würde er jetzt nicht für ein eiskaltes Bier, seine staubigen Cowboystiefel und eine volle, verqualmte Bar geben, in der man auf dem Fernseher das Basketballspiel schauen oder sich fluchend über die Rinderpreise ereifern konnte. Alles untermalt von Musik von Garth Brooks oder Waylon Jennings, die aus den Lautsprechern an der Wand ertönte.
Und warum, zum Teufel, bin ich dann hier, wenn mich das alles nicht interessiert?
Er stellte das leere Glas auf einem silbernen Tablett ab, griff sich ein neues und stieß mit der Schulter eine der hohen Flügeltüren auf, die auf die überdachte Terrasse hinausführten. Die Luft war frisch und kalt, es roch nach Regen. Zwei Stockwerke tiefer fuhren Autos über die nassen Straßen und spritzten Pfützen auf. Das Brummen der Motoren war bis hier herauf zu hören, die Lichter der Stadt strahlten hell in der Dunkelheit, verliehen der Nacht eine festliche Atmosphäre. Unten an der Straßenecke läuteten ehrenamtliche Helfer mit Glocken und baten um Spenden.
„Habe ich doch richtig gesehen, dass du dich hier nach draußen verzogen hast.“
„Wie ist es dir gelungen, der Menge da drinnen zu entfliehen?“
„Hört sich irgendwie riskant an“, witzelte er.
„Möglich.“ Wieder lachte sie leise. „Du hast den gleichen Humor wie dein Vater.“
Chase nickte. „Ja, ich erinnere mich noch.“
„Ich finde, es hat sich gut gefügt“, meinte sie nachdenklich. „Zum Beispiel habe ich meinem Enkel Kyle, wenn du dich entsinnst, eine ziemlich große Ranch in Wyoming überlassen. Natürlich gab es dabei einen Haken – er musste ein halbes Jahr auf der Ranch leben, bevor sie ihm richtig gehörte. Ich bin sicher, dass er mich mehr als ein Mal heimlich verflucht hat. Immerhin ist er ein Stadtmensch, und ich habe ihn damit gezwungen, seinen Lebensstil zu ändern. Doch es hat funktioniert.“
„Ich möchte dir etwas Ähnliches vorschlagen.“
Chase glaubte nicht an Zufälle, aber das würde er jetzt nicht erwähnen.
„Freut mich, Sie kennenzulernen“, meinte Kelly verhalten lächelnd.
Darüber brauchte er gar nicht lange nachzudenken. Sein ganzes Leben schon arbeitete er darauf hin, irgendwann seine eigene Ranch zu besitzen, und dieses Angebot hier, wenn es denn tatsächlich ernst gemeint war, bot ihm eine einmalige Chance. Zudem war das Timing perfekt, kam genau zu dem Zeitpunkt, an dem er sich am Scheideweg befand. „Und ob, Ma’am.“ Er dehnte die Worte betont. „Ich wäre ja schön dumm, ein solches Angebot auszuschlagen.“ Um seine Zelte abzubrechen und weiterzuziehen, brauchte er nie lange. Von Fesseln gleich welcher Art ließ er sich nicht halten.
„Danke.“ Er streckte ihr die Hand hin.
Auf der hinteren Veranda zog Chase seine schweren Arbeitsstiefel an, setzte sich den Hut auf den Kopf, griff nach der Schaufel und lief in Richtung Scheune. Die seine Scheune werden würde, wenn es ihm innerhalb des nächsten Jahres gelang, die heruntergewirtschaftete Ranch in Montana in ein profitables Unternehmen zu verwandeln. Rambo rannte voraus, während der Schnee unablässig fiel. Eisige Flocken stachen in Chases Wangen, legten sich über Landschaft und Gebäude. Chase sorgte sich. Der Großteil seiner besten Tiere war sicher in den Stallungen und auf den Weiden in der Nähe des Wohnhauses untergebracht. Doch es gab noch genügend Vieh, das sich irgendwo auf dem zwanzigtausend Hektar umfassenden Land herumtrieb, welches sich bis in die umliegenden Hügel hinauf erstreckte bis hinunter zur Nachbarranch, auf der er aufgewachsen war. Mit zusammengekniffenen Augen sah er Richtung Norden, ob er das Haus der angrenzenden Ranch vielleicht durch den Schneesturm würde sehen können. Unmöglich. Er konnte ja kaum die Hand vor den Augen erkennen, geschweige denn ein Gebäude, das eine gute Viertelmeile entfernt war.