×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Bridgerton - Neues von Lady Whistledown«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Bridgerton - Neues von Lady Whistledown« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Bridgerton - Neues von Lady Whistledown

Als Buch hier erhältlich:

hier erhältlich:

Willkommen zurück bei den BRIDGERTONS

Der Valentinsball

Susannah Ballister war die beliebteste Debütantin Londons. Es ist eine Schande, wie Clive Mann-Formsby sie fallen ließ. Ob sein Bruder David, der Earl of Renminster, nun lautere Absichten verfolgt? Man möchte es der jungen Dame wünschen.

Der erste Kuss

Lady Mathilda Howard schien beim letzten Ball von Peter Thompson durchaus angetan zu sein. Doch aus welchen Gründen er ihr den Hof macht, bleibt abzuwarten. Der Verfasserin ist zu Ohren gekommen, er könnte ein Mitgiftjäger sein, der jetzt dringend eine gute Partie braucht.

Ihre Lady Whistledown, die wie immer verspricht, über die neusten Ereignisse zu berichten.


  • Erscheinungstag: 21.07.2022
  • Aus der Serie: Bridgerton
  • Bandnummer: 9
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365000649

Leseprobe

Für Karen, Suzie und Mia – was für eine Chuzpe!

Und auch für Paul,
obwohl er drauf und dran war,
meinen Laptop vom Balkon zu werfen.
(Der Computer konnte nichts dafür, Liebling.)

PROLOG

Im Mai lernte Susannah Ballister den Mann ihrer Träume kennen.

Es gibt derart viel von Lady Trowbridges Ball in Hampstead zu berichten, dass die Verfasserin gar nicht weiß, wie sie alles in einer einzigen Kolumne unterbringen soll. Doch der erstaunlichste – und so mancher würde sagen, auch romantischste – Moment des Abends ereignete sich, als der Ehrenwerte Clive Mann-Formsby, Bruder des notorisch rätselhaften Earls of Renminster, Miss Susannah Ballister zum Tanz aufforderte.

Mit ihrem dunklen Haar und den ebenfalls dunklen Augen gilt Miss Ballister zwar als eine der etwas exotischeren Schönheiten des ton, wurde aber nie zu den Juwelen allererster Güte gezählt – bis Mr. Mann-Formsby sie zum Walzer führte und dann für den Rest des Abends nicht von ihrer Seite wich.

Natürlich hatte Miss Ballister bereits erklecklich viele Verehrer, doch keiner dieser Gentlemen war von so perfektem Aussehen und so heiratswürdig wie Mr. Mann-Formsby, der üblicherweise auf Schritt und Tritt eine Spur von Seufzern, schmachtenden Blicken und gebrochenen Herzen hinterlässt.

LADY WHISTLEDOWNS GESELLSCHAFTSKOLUMNE,
17. MAI 1813

Im Juni war ihr Leben so perfekt, wie es nur sein konnte.

Auf dem Shelbourne-Ball Ende vergangener Woche setzten Mr. Mann-Formsby und Miss Ballister ihre Herrschaft als das Goldene Paar der feinen Gesellschaft fort – zumindest so golden, wie man es sich angesichts von Miss Ballisters doch recht dunkelbrauner Haarpracht vorzustellen vermag. Immerhin sorgt Mr. Mann-Formsbys goldblondes Haar für einen mehr als adäquaten Ausgleich, und man muss ehrlich einräumen, auch wenn die Verfasserin nicht zu sentimentalen Ausbrüchen neigt, dass die Welt in Anwesenheit dieser beiden ein wenig aufregender erscheint. Die Lichter funkeln heller, die Musik klingt anmutiger und die Luft beginnt förmlich zu schimmern.

Und damit muss die Verfasserin diese Kolumne beschließen. Eine derartige Aufwallung von Romantik weckt bei ihr das Bedürfnis, nach draußen zu gehen, damit der Regen ihre normalerweise verdrießliche Verfassung wiederherstellt.

LADY WHISTLEDOWNS GESELLSCHAFTSKOLUMNE,
16. JUNI 1813

Im Juli begann Susannah, sich einen Ring an ihrem Finger auszumalen …

Vergangenen Donnerstag wurde Mr. Mann-Formsby beim Betreten des exklusivsten Juweliergeschäfts gesichtet. Da wird man gewiss nicht mehr lange auf das Läuten der Hochzeitsglocken warten müssen. Und könnte irgendjemand aufrichtig behaupten, nicht zu wissen, wer die künftige Braut sein wird?

LADY WHISTLEDOWNS GESELLSCHAFTSKOLUMNE,
26. JULI 1813

Und dann kam der August.

Für gewöhnlich lassen sich die Schwächen und Affären der Gesellschaft mit geradezu atemberaubend langweiliger Leichtigkeit vorhersagen, doch hin und wieder geschieht etwas, das selbst erfahrene Beobachter wie die Verfasserin verblüfft und verwirrt.

Mr. Clive Mann-Formsby hat einer jungen Dame einen Heiratsantrag gemacht.

Aber nicht Miss Susannah Ballister.

Stattdessen bat Mr. Mann-Formsby, nachdem er Miss Ballister eine komplette Saison lang ziemlich öffentlich den Hof gemacht hat, Miss Harriet Snowe seine Frau zu werden. Und nach der kürzlich erfolgten Anzeige in der London Times hat sie den Antrag angenommen.

Wie Miss Ballister diese Entwicklung der Ereignisse aufgenommen hat, ist nicht bekannt.

LADY WHISTLEDOWNS GESELLSCHAFTSKOLUMNE,
18. AUGUST 1813

Und ging recht schmerzhaft in den September über.

Wie die Verfasserin erfuhr, hat Miss Susannah Ballister die Stadt verlassen und sich für den Rest des Jahres auf den Landsitz ihrer Familie in Sussex zurückgezogen.

Was die Verfasserin ihr nicht verübeln kann.

LADY WHISTLEDOWNS GESELLSCHAFTSKOLUMNE,
3. SEPTEMBER 1813

1. KAPITEL

Wie die Verfasserin erfuhr, haben der Ehrenwerte Clive Mann-Formsby und Miss Harriet Snowe vergangenen Monat auf dem Stammsitz des Earls of Renminster, Mr. Mann-Formsbys älterem Bruder, den Bund der Ehe geschlossen.

Um die winterlichen Festlichkeiten zu genießen, ist das frisch verheiratete Paar mittlerweile nach London zurückgekehrt. Ebenso Miss Susannah Ballister, die von Mr. Mann-Formsby recht beharrlich umworben wurde, wie jeder weiß, der während der zurückliegenden Saison auch nur einen Fuß nach London gesetzt hat.

Die Verfasserin kann sich lebhaft vorstellen, dass nun quer durch die Stadt Gastgeberinnen hektisch ihre Einladungslisten sichten. Denn es empfiehlt sich gewiss nicht, die Mann-Formsbys und die Ballisters zu denselben Anlässen zu bitten. Draußen ist es ohnehin schon frostig genug – ein Zusammentreffen von Clive und Harriet und Susannah dürfte mit Sicherheit zu arktischen Temperaturen führen.

LADY WHISTLEDOWNS GESELLSCHAFTSKOLUMNE,
21. JANUAR 1814

Gemäß Lord Middlethorpe, der soeben seine Taschenuhr konsultierte, war es exakt sechs Minuten nach elf Uhr abends, und Susannah Ballister wusste genau, dass es sich um einen Donnerstag handelte und man den siebenundzwanzigsten Januar des Jahres achtzehnhundertvierzehn schrieb.

Und in exakt diesem Moment – um präzise sechs nach elf am Donnerstag, dem siebenundzwanzigsten Januar 1814 – wünschte Susannah Ballister sich drei Dinge, von denen sich keines erfüllte.

Der erste Wunsch konnte unmöglich wahr werden. Sie wünschte, dass irgendeine geheimnisvolle und wohltätige Magie sie aus dem Ballsaal, in dem sie sich momentan aufhielt, verschwinden ließe und sie sich stattdessen in ihrem warmen, gemütlichen Bett im Stadthaus ihrer Familie am Portman Square wiederfände. Oder noch besser, in ihrem warmen gemütlichen Bett auf dem Landsitz in Sussex, weit, weit weg von London und, viel wichtiger, sämtlichen Bewohnern Londons.

Susannah ging sogar so weit, die Augen zu schließen und in der wundervollen Fantasie zu schwelgen, dass sie ganz woanders wäre, wenn sie sie wieder öffnete. Doch wenig überraschend blieb sie genau dort, wo sie war, verborgen in einer leicht abgedunkelten Ecke von Lady Worths Ballsaal, mit einem Glas lauwarmen Tee in der Hand, den sie auf gar keinen Fall zu trinken beabsichtigte.

Nachdem sie sich mit der Tatsache arrangiert hatte, dass sie sich weder durch übernatürliche noch durch gewöhnliche Methoden absentieren konnte (Susannah durfte den Ball nicht verlassen, bevor ihre Eltern bereit waren, den Abend zu beenden, und es sah ganz so aus, als würden bis dahin mindestens noch drei Stunden vergehen), wünschte sie, dass stattdessen Clive Mann-Formsby und seine frisch angetraute Harriet, die neben einem Tisch mit Schokoladenkuchen Hof hielten, verschwänden.

Das schien immerhin im Bereich des Möglichen zu liegen. Schließlich waren die beiden im Vollbesitz ihrer körperlichen Kräfte; sie konnten einfach ihre Füße heben und davongehen. Was Susannahs Lebensqualität deutlich erhöhen würde, denn dann könnte sie zumindest versuchen, den Abend zu genießen, ohne dabei ständig in das Gesicht des Mannes starren zu müssen, der sie so öffentlich gedemütigt hatte.

Und sich ein Stück Schokoladenkuchen holen.

Clive und Harriet erweckten jedoch ganz den Eindruck, als amüsierten sie sich prächtig, tatsächlich sogar ebenso prächtig wie ihre Eltern, was bedeutete, dass sie alle miteinander noch mehrere Stunden hier sein würden.

Was für eine Qual. Was für eine unerträgliche Qual.

Aber es gab drei Wünsche, nicht wahr? Bekamen die Heldinnen im Märchen nicht immer drei Wünsche gewährt? Wenn sie schon in einer dunklen Ecke herumlungern und sich alberne Dinge wünschen musste, weil es sonst nicht viel zu tun gab, dann würde sie zumindest das volle ihr zustehende Kontingent ausschöpfen.

»Ich wünschte«, presste Susannah durch zusammengebissene Zähne hervor, »es wäre nicht so verflixt kalt.«

»Amen«, sagte der ältliche Lord Middlethorpe, von dem Susannah völlig vergessen hatte, dass er neben ihr stand. Sie schenkte ihm ein Lächeln, doch er war gerade damit beschäftigt, irgendein alkoholisches Getränk zu sich zu nehmen, das unverheirateten Damen verboten war. Daher widmeten sie sich beide erneut der Aufgabe, einander höflich zu ignorieren.

Sie musterte ihren Tee, auf dem sich vermutlich jeden Moment eine Eisschicht bilden würde. Wegen der frostigen Witterung hatte die Gastgeberin die traditionelle Limonade durch heißen Tee ersetzt, doch der war nicht lange heiß geblieben, und wenn man sich wie Susannah in einer verborgenen Ecke des Ballsaals herumdrückte, kam kein Dienstbote vorbei, um unerwünschte Gläser oder Tassen abzuräumen.

Susannah zitterte. Sie konnte sich an keinen kälteren Winter erinnern, niemand konnte das. Perverserweise waren die eisigen Temperaturen sogar der Grund für ihre frühe Rückkehr in die Stadt. Der gesamte ton war im gänzlich unmodischen Monat Januar nach London geströmt, erpicht aufs Schlittenfahren und Schlittschuhlaufen und den anstehenden Frostjahrmarkt auf der Themse.

Bittere Kälte und eisige Winde waren Susannahs Ansicht nach verteufelt dumme Anlässe für gesellschaftliche Vergnügungen, aber es war nicht ihre Entscheidung, und so saß sie jetzt hier fest, konfrontiert mit all den Menschen, denen es im vergangenen Sommer so viel Vergnügen bereitet hatte, ihrer sozialen Vernichtung beizuwohnen. Sie hatte nicht nach London reisen wollen, doch ihre Familie bestand darauf, mit der Begründung, sie und ihre Schwester Letitia könnten es sich nicht erlauben, diese unerwartete Wintersaison des ton zu verpassen.

Eigentlich war sie davon ausgegangen, eine Gnadenfrist bis mindestens zum Frühjahr zu haben, bevor sie zurückkehren und sich den Leuten stellen musste. Sie hatte längst nicht genug Zeit gehabt zu üben, mit hocherhobenem Haupt ihren Spruch aufzusagen. »Nun ja, Mr. Mann-Formsby und ich haben festgestellt, dass wir nicht zueinanderpassen.«

Und sie musste in der Tat eine sehr gute Schauspielerin sein, um das glaubwürdig darzubieten, wo doch jedem klar war, dass Clive sie fallen gelassen hatte wie eine heiße Kartoffel, als Harriet Snows reiche Verwandtschaft am Horizont aufgetaucht war.

Dabei brauchte Clive das Geld nicht mal. Du liebe Güte, sein älterer Bruder war der Earl of Renminster und reich wie Krösus, das wusste jeder.

Doch er hatte Harriet gewählt, und sie, Susannah, war öffentlich bloßgestellt. Noch jetzt, sechs Monate später, redeten die Leute darüber. Sogar Lady Whistledown hatte sich bemüßigt gefühlt, es in ihrem Artikel zu erwähnen.

Seufzend ließ Susannah sich an die Wand sinken, in der Hoffnung, dass niemand ihre nachlässige Haltung mitbekam. Vermutlich konnte sie es Lady Whistledown nicht mal verübeln. Die mysteriöse Klatsch-Kolumnistin wiederholte einfach nur, was alle anderen sagten. Allein in dieser Woche hatte Susannah an den Nachmittagen vierzehn Besucher empfangen, von denen keiner so höflich gewesen war, davon abzusehen, Clive und Harriet zu erwähnen.

Glaubten sie wirklich, dass ihr etwas daran lag, über das Erscheinen der beiden beim Hauskonzert der Smythe-Smiths zu hören? Als ob sie wissen wollte, was Harriet bei dieser Gelegenheit trug oder dass Clive während des Vortrags in ihr Ohr geflüstert hatte.

Das bedeutete überhaupt nichts. Clive legte auf Hauskonzerten immer entsetzliche Manieren an den Tag. Susannah konnte sich an kein einziges erinnern, bei dem er die innere Stärke gezeigt hätte, während der Aufführung den Mund zu halten.

Die Klatschtanten waren jedoch nicht mal die unangenehmsten Besucherinnen. Nein, dieser Titel war den gutmeinenden Seelen vorbehalten, die sie offenbar nicht anders als mit mitleidigem Blick anschauen konnten. Dabei handelte es sich normalerweise um dieselben Frauen, die einen verwitweten Neffen in Shropshire oder Somerset oder einer anderen gottverlassenen Grafschaft hatten, der eine Frau suchte, und würde sie ihn nicht gerne kennenlernen wollen? Allerdings nicht diese Woche, da war er nicht abkömmlich, weil er sechs seiner acht Söhne nach Eton bringen musste.

Plötzlich und unerwartet kämpfte Susannah gegen Tränen an. Sie war gerade erst einundzwanzig geworden. Sie war nicht verzweifelt.

Und sie wollte nicht bemitleidet werden.

Auf einmal kam es ihr unerlässlich vor, den Ballsaal zu verlassen. Sie wollte nicht hier sein, wollte nicht Clive und Harriet anstarren wie ein jämmerlicher Voyeur. Ihre Familie beabsichtigte nicht, jetzt zu gehen, aber sie würde doch gewiss irgendeinen ruhigen Raum finden, in den sie sich für ein paar Minuten zurückziehen konnte. Wenn sie sich schon versteckte, dann sollte sie es richtig tun. Hier in einer Ecke herumzustehen, war entsetzlich. Mindestens drei Leute hatten bereits in ihre Richtung geschaut und hinter vorgehaltener Hand getuschelt.

Sie hatte sich nie für einen Feigling gehalten, aber auch nicht für eine Närrin, und nur eine Närrin würde sich freiwillig einer solchen Quälerei aussetzen.

Energisch stellte sie ihre Teetasse auf einer Fensterbank ab und entschuldigte sich bei Lord Middlethorpe, obwohl sie in der knappen Dreiviertelstunde, die sie hier nun nebeneinander ausharrten, kaum sechs Worte miteinander gesprochen hatten. Sie umrundete den Ballsaal und bewegte sich unauffällig auf die Flügeltür zu, die zur Eingangshalle führte. Da sie schon einmal hier gewesen war, damals, als sie dank ihrer Verbindung zu Clive als populärste junge Dame der Stadt galt, wusste sie, dass es am hinteren Ende der Halle einen Rückzugsraum für Damen gab.

Kurz bevor sie ihr Ziel erreichte, stolperte sie jedoch und fand sich Auge in Auge mit … oh verflixt, wie hieß sie doch gleich? Braunes Haar, etwas pummelig … ach ja. Penelope. Penelope irgendwas. Ein Mädchen, mit dem sie bislang vielleicht ein Dutzend Worte gewechselt hatte. Zwar waren sie im selben Jahr in die Gesellschaft eingeführt worden, aber sie hätten genauso gut in verschiedenen Welten leben können, so selten kreuzten sich ihre Wege. Nachdem Clive sie mit seiner Aufmerksamkeit beehrt hatte, war sie das Stadtgespräch gewesen, und Penelope … nun, Susannah war sich nicht sicher, was Penelope gewesen war. Vermutlich ein Mauerblümchen.

»Gehen Sie da lieber nicht raus«, sagte Penelope leise und mied ihren Blick auf diese typische Weise, die nur sehr schüchterne Menschen an sich haben.

Überrascht starrte Susannah sie an.

»Im Rückzugsraum befindet sich ein Dutzend junger Damen«, fügte Penelope hinzu.

Das genügte als Erklärung. Der einzige Ort, an dem Susannah noch weniger sein wollte als hier im Ballsaal, war ein Zimmer voller schnatternder, tratschender junger Damen, die allesamt annehmen würden, dass sie sich vor Clive und Harriet dorthin geflüchtet hatte.

Was natürlich stimmte, aber das hieß noch lange nicht, dass jeder es wissen musste.

»Danke«, flüsterte sie und war verblüfft von der freundlichen Geste. Vergangenen Sommer hatte sie nicht einen einzigen Gedanken für das jüngere Mädchen übriggehabt, und nun rettete Penelope sie vor einer demütigenden und schmerzlichen Erfahrung. Spontan ergriff sie die Hand der anderen und drückte sie. »Vielen Dank.«

Plötzlich wünschte sie, sie hätte Mädchen wie Penelope mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als sie selbst noch als einflussreiches Mitglied des ton betrachtet wurde. Inzwischen wusste sie, wie es war, am Rand des Ballsaals herumzustehen – nämlich überhaupt nicht spaßig.

Doch bevor sie etwas sagen konnte, murmelte Penelope scheu einen Abschiedsgruß und ging davon, sie ihrem Schicksal überlassend.

Da sie sich nach wie vor mitten im Gedränge befand, wo sie absolut nicht zu bleiben gedachte, setzte Susannah sich wieder in Bewegung. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie wollte, schob sich aber trotzdem weiter, um sich einen zielstrebigen Anschein zu geben.

Susannah war eine Anhängerin der Auffassung, dass eine Person immer so wirken sollte, als wüsste sie, was sie tat, auch wenn das nicht der Fall war. Genau genommen hatte Clive ihr diese Einstellung vermittelt. Das war eins der wenigen guten Dinge, die sie durch sein Werben erlangt hatte.

Allerdings achtete sie in all ihrer zielgerichteten Entschlossenheit nicht wirklich auf ihre Umgebung, weshalb sie völlig überrascht war, seine Stimme zu vernehmen.

»Miss Ballister.«

Nein, nicht Clive. Noch schlimmer. Clives älterer Bruder, der Earl of Renminster. In seiner ganzen dunkelhaarigen, grünäugigen Pracht.

Er hatte sie nie gemocht. Natürlich war er stets höflich gewesen, aber schließlich war er jedem gegenüber höflich. Seine Missbilligung hatte sie dennoch stets gespürt – seine offenkundige Überzeugung, dass sie nicht gut genug für seinen Bruder war.

Vermutlich war er nun glücklich. Clive war wohlbehalten mit Harriet verheiratet, und Susannah Ballister würde den heiligen Stammbaum der Mann-Formsbys niemals beflecken.

»Mylord.« Sie versuchte, so höflich und selbstsicher zu klingen wie er. Was um alles in der Welt konnte er von ihr wollen? Es gab absolut keinen Grund für ihn, sie anzusprechen, genauso gut hätte er sie an sich vorbeigehen lassen können, ohne ihre Gegenwart zur Kenntnis zu nehmen. Das wäre ihm nicht mal als Unhöflichkeit ausgelegt worden, denn sie hatte sich so schnell wie möglich durch den überfüllten Saal geschoben, eindeutig in Eile, irgendwo anders hinzukommen.

Er lächelte sie an, falls man das so nennen wollte – das Lächeln erreichte nie seine Augen.

»Miss Ballister, wie ist es Ihnen ergangen?«

Einen Moment lang konnte sie nichts anderes tun, als ihn stumm anzustarren. Normalerweise zählte der Earl nicht zu den Leuten, die eine Frage äußerten – es sei denn, er wollte tatsächlich eine Antwort hören, und warum sollte er sich ernsthaft für ihr Wohlergehen interessieren?

»Miss Ballister?«, wiederholte er leicht belustigt.

»Sehr gut, vielen Dank«, brachte sie schließlich heraus, auch wenn sie beide wussten, dass das weit von der Wahrheit entfernt war.

Einen langen Moment musterte er sie aufmerksam, fast, als wollte er sie studieren, als suchte er nach etwas, das sie sich nicht mal ansatzweise vorstellen konnte.

»Mylord?«, fragte sie schließlich, weil sie das zwingende Gefühl hatte, irgendjemand sollte dieses Schweigen brechen.

Er fuhr leicht zusammen, als hätte ihre Stimme ihn aus einer Art Trance gerissen.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er geschmeidig. »Würden sie gern tanzen?«

Wieder verschlug es Susannah die Sprache. »Tanzen«, wiederholte sie dann einigermaßen verärgert über ihre Unfähigkeit, eine geistreichere Erwiderung zu formulieren.

»In der Tat«, murmelte er.

Sie nahm seine ausgestreckte Hand – unter derart vielen neugierigen Blicken blieb ihr wohl kaum etwas anderes übrig – und gestattete ihm, sie aufs Parkett zu führen. Er war groß, sogar noch größer als Clive, der sie um eine gute Haupteslänge überragte, und strahlte eine eigenartige Reserviertheit aus, wirkte beinahe zu kontrolliert, falls so etwas überhaupt möglich war. Während sie beobachtete, wie er sich durch die Menge bewegte, schoss ihr der seltsame Gedanke durch den Kopf, dass seine berühmte eiserne Selbstbeherrschung eines Tages zerbrechen würde.

Und erst dann käme der wahre Earl of Renminster zum Vorschein.

David Mann-Formsby hatte seit Monaten nicht mehr an Susannah Ballister gedacht, nicht, seit sein Bruder beschlossen hatte, Harriet Snowe zu heiraten statt der dunkelhaarigen Schönheit, die momentan in seinen Armen Walzer tanzte. Sobald er ihrer ansichtig geworden war, hatten sich jedoch winzige Gewissensbisse bemerkbar gemacht. Während er verfolgte, wie sie zielstrebig durch den Saal schritt, als hätte sie es eilig, irgendwohin zu gelangen, wo doch jedem, der sich die Mühe machte, sie etwas länger als eine Sekunde anzuschauen, ihre angespannte Miene aufgefallen wäre und der Schmerz in ihren Augen, war ihm wieder eingefallen, wie schäbig der ton sie nach Clives Entscheidung, Harriet zu heiraten, behandelt hatte.

Dabei konnte sie nun wirklich nichts dafür.

Susannahs Familie war zwar vollkommen respektabel, aber weder adelig noch besonders vermögend. Und als Clive sie zugunsten von Harriet, deren Familienname so alt war wie ihre Mitgift groß, fallen ließ, spottete die Gesellschaft hinter ihrem Rücken über sie und lachte ihr vermutlich sogar direkt ins Gesicht. Man nannte sie habgierig, größenwahnsinnig, überambitioniert.

Mehr als eine der vornehmen Matronen – für gewöhnlich mit Töchtern gesegnet, die bei Weitem nicht so faszinierend und attraktiv wie Susannah Ballister waren – hatte sich zu der Bemerkung hinreißen lassen, dass die kleine Emporkömmlingin in ihre Schranken gewiesen worden sei, und wie hätte sie es auch nur wagen können, zu denken, der Bruder eines Earls würde ihr die Ehe antragen?

Ihm war das alles ziemlich widerlich vorgekommen, aber was hätte er tun können? Clive hatte seine Wahl getroffen, und seiner Meinung nach war es die richtige gewesen. Letztendlich würde Harriet die viel bessere Ehefrau für seinen Bruder abgeben.

Susannah war bei dem ganzen Skandal die unbeteiligte Dritte. Sie hatte nicht gewusst, dass Clive von Harriets Vater umworben wurde oder dass Clive der Ansicht war, die zierliche blauäugige Harriet sei tatsächlich eine ausnehmend erstrebenswerte Partie. Sein Bruder hätte es Susannah gegenüber erwähnen sollen, bevor er die Verlobungsanzeige schaltete. Und selbst wenn er zu feige war, sie im persönlichen Gespräch zu warnen, hätte er so klug sein müssen, die große Ankündigung nicht auf dem Ball der Mottrams zu machen, noch bevor die Anzeige in der Times erschienen war. Als Clive, das gefüllte Champagnerglas in der Hand, vor dem kleinen Orchester Position bezog und seine freudige Botschaft vom Stapel ließ, schaute keiner der Anwesenden Harriet an, die an seiner Seite stand.

Stattdessen war Susannah die eigentliche Attraktion gewesen, Susannah mit ihrem entsetzten Blick und ihrem vor Überraschung aufklappenden Mund. Susannah, die so hart um eine stolze, aufrechte Haltung rang, ehe sie fluchtartig den Saal verließ.

Ihre schockierte, verletzte Miene hatte David danach noch viele Wochen, sogar Monate verfolgt, bis sie schließlich über seinen täglichen Verpflichtungen und Aktivitäten langsam in Vergessenheit geriet.

Bis jetzt.

Bis er sie in dieser Ecke entdeckt hatte, wo sie vorgab, sich nicht darum zu scheren, dass Clive und Harriet von einer Schar Gratulanten umringt wurden. Sie war eine stolze Frau, das war ihm klar, doch Stolz konnte einen Menschen nur über eine gewisse Zeit tragen, danach wollte man der Situation einfach nur noch entkommen und allein sein.

Daher war er nicht überrascht gewesen, als sie sich endlich unauffällig Richtung Tür bewegte.

Zunächst wollte er sie an sich vorbeigehen lassen, vielleicht sogar ein paar Schritte zurücktreten, um ihr das Wissen zu ersparen, dass er ihren Rückzug bemerkte. Doch dann bewog ein seltsamer, unwiderstehlicher Impuls ihn, stattdessen auf sie zuzugehen. Was ihm zu schaffen machte, war nicht so sehr die Tatsache, dass sie in ein Mauerblümchen verwandelt worden war; es würde immer Mauerblümchen unter den jungen Damen des ton geben, und ein einzelner Mann konnte wenig dazu beitragen, etwas an dieser Situation zu ändern.

Er war jedoch durch und durch ein Mann-Formsby, und wenn es etwas gab, das er auf den Tod nicht ertrug, dann die Vorstellung, dass seine Familie jemandem Unrecht zufügte. Und es stand gänzlich außer Frage, dass sein Bruder dieser jungen Frau ein Leid angetan hatte. Er würde nicht so weit gehen zu sagen, dass Susannahs Leben ruiniert war, aber sie war zweifelsohne heftigem und unverdientem Kummer ausgesetzt worden.

Als Earl of Renminster – nein, als ein Mann-Formsby – war es seine Pflicht, diese Scharte wieder auszuwetzen.

Also bat er sie zum Tanz. Einen Tanz würde man bemerken. Man würde darüber reden. Und obgleich es nicht seiner Natur entsprach, sich selbst zu schmeicheln, wusste er doch, dass eine simple Aufforderung zum Tanz aus seinem Munde Wunder wirken würde, um Susannahs Beliebtheit wiederherzustellen.

Seine Bitte schien sie zu verblüffen, aber sie akzeptierte – was blieb ihr unter all den neugierigen Blicken auch anderes übrig.

Als er sie zur Mitte der Tanzfläche führte, schaute er ihr unverwandt ins Gesicht. Es war ihm nie schwergefallen nachzuvollziehen, warum Clive sich zu Susannah hingezogen gefühlt hatte. Sie war eine stille, dunkelhaarige Schönheit, die er weit faszinierender fand als das aktuelle in der Gesellschaft so populäre blonde, blauäugige Ideal. Ihr Teint war von einem hellen Porzellanton, ihre Brauen perfekt geschwungen und ihre Lippen himbeerrot. Er hatte gehört, dass es walisische Vorfahren in ihrer Familie gab, und konnte deren Einfluss klar erkennen.

»Ein Walzer«, sagte sie trocken, als das Streicherquartett zu spielen begann. »Was für ein Zufall.«

Er lachte leise über ihren Sarkasmus. Sie war nie besonders aufgeschlossen gewesen, aber stets direkt, eine Eigenschaft, die er bewunderte, vor allem in Kombination mit Intelligenz. Sie begannen zu tanzen, und dann, als er gerade beschloss, irgendeine dümmliche Bemerkung über das Wetter zu machen, damit man sah, dass sie sich wie zwei vernünftige Erwachsene unterhielten, kam sie ihm zuvor.

»Warum haben Sie mich zum Tanz aufgefordert?«

Einen Moment lang verschlug es ihm die Sprache. Direkt, in der Tat. »Braucht ein Gentleman einen Grund dafür?«, gab er zurück.

Sie verzog leicht den Mund. »Sie kamen mir nie wie ein Gentleman vor, der irgendetwas ohne Grund tut.«

Beiläufig hob er die Schultern. »Sie wirkten ziemlich allein in Ihrer Ecke.«

»Ich war dort mit Lord Middlethorpe«, erwiderte sie hochmütig.

Statt zu antworten hob er nur die Brauen, da sie beide wussten, dass der ältliche Lord Middlethorpe nicht unbedingt als Begleiter erster Wahl für eine Dame betrachtet wurde.

»Ich brauche Ihr Mitleid nicht«, murmelte sie.

»Selbstverständlich nicht«, stimmte er ihr zu.

Unmutig schaute sie zu ihm hoch. »Nun sind Sie herablassend.«

»Daran würde ich nicht im Traum denken«, erwiderte er aufrichtig.

»Was soll das hier dann?«

»Das hier?«, wiederholte er fragend.

»Mit mir zu tanzen?«

Am liebsten hätte er gelächelt, wollte aber nicht, dass sie dachte, er würde sie auslachen, und begnügte sich daher mit einem leichten Zucken der Mundwinkel. »Sie sind ziemlich argwöhnisch für eine Dame, die gerade Walzer tanzt.«

»Ein Walzer ist genau der richtige Zeitpunkt für eine Dame, um ganz besonders argwöhnisch zu sein.«

Seine nächsten Worte überraschten ihn selbst. »Eigentlich wollte ich mich entschuldigen.« Verlegen räusperte er sich. »Für das, was letzten Sommer passiert ist.«

»Wovon reden Sie?«, fragte sie in sorgfältig gemessenem Tonfall.

Er setzte eine Miene auf, von der er hoffte, dass sie freundlich wirkte. Es war kein Gesichtsausdruck, den er gewohnheitsmäßig zur Schau trug, daher konnte er nicht sicher sein, dass er es richtig hinbekam. Aber er gab sich immerhin alle Mühe, mitfühlend zu erscheinen. »Ich glaube, das wissen Sie.«

Mitten im Tanz versteifte sie sich, und er sah förmlich, wie ihr Rückgrat sich in Stahl verwandelte.

»Vielleicht schon«, erwiderte sie angespannt. »Aber ich vermag nicht zu erkennen, in welcher Form diese Angelegenheit Sie betrifft.«

»Möglicherweise geht es mich nichts an«, räumte er ein. »Nichtsdestotrotz hat es mir nicht gefallen, wie Sie nach Clives Verlobung von der Gesellschaft behandelt wurden.«

Ihr Gesicht war vollkommen ausdruckslos. »Meinen Sie den Tratsch?«, erkundigte sie sich. »Oder dass man mich rundheraus geschnitten hat? Oder womöglich die ausgemachten Lügen?«

Unbehaglich schluckte er. Ihm war nicht bewusst gewesen, wie unangenehm ihre Situation tatsächlich war. »Das alles«, sagte er leise. »Es hat nie in meiner Absicht gelegen …«

»In Ihrer Absicht?«, fiel sie ihm ins Wort.

In ihren Augen flackerte etwas, das auf aufsteigende Wut hindeutete.

»In Ihrer Absicht? Ich hatte den Eindruck, dass Clive seine eigenen Entscheidungen traf. Geben Sie hiermit also zu, dass Harriet Ihre Wahl war, nicht Clives?«

»Sie war seine Wahl«, entgegnete er fest.

»Und Ihre?«, hakte sie nach.

Es erschien ihm nicht sinnvoll – oder ehrenhaft – zu lügen. »Und meine.«

Sie presste die Lippen zusammen, schien sich einerseits bestätigt, andererseits aber auch ein wenig ernüchtert zu fühlen. Als ob sie seit Monaten auf diesen Moment gewartet hätte, der sich jedoch nun, da er eingetreten war, bei Weitem nicht so gut anfühlte wie in ihrer Vorstellung.

»Aber wenn er Sie geheiratet hätte«, fügte David ruhig hinzu, »dann wäre von meiner Seite kein Einspruch gekommen.«

Rasch schaute sie zu ihm hoch. »Bitte belügen Sie mich nicht«, flüsterte sie.

»Das tue ich nicht.« Er seufzte. »Irgendwann werden Sie für jemanden eine wunderbare Ehefrau sein, Miss Ballister. Daran hege ich keinerlei Zweifel.«

Sie antwortete nicht, doch ihre Augen schimmerten verdächtig, und eine Sekunde lang hätte er schwören können, dass ihre Lippen zitterten.

Ein merkwürdiges Gefühl regte sich bei ihm. Er konnte es nicht einordnen und wollte nicht mal daran denken, dass es seinen Ursprung irgendwo in der Nähe seines Herzens haben könnte, aber er ertrug es schlichtweg nicht, sie den Tränen so nahe zu sehen. Und doch gab es nichts, was er dagegen tun konnte. »Clive hätte Sie über seine Pläne informieren sollen, bevor er sie öffentlich verkündete«, bemerkte er schließlich.

»Ja.« Sie stieß ein kurzes, bitteres Lachen aus. »Das hätte er tun sollen.«

Er spürte, wie seine Hand, die an ihrer Taille lag, fester zugriff. Susannah machte es ihm wirklich nicht leicht, aber er hatte auch keinerlei Grund, das von ihr zu erwarten. Tatsächlich bewunderte er ihren Stolz, respektierte ihre gerade und aufrechte Haltung, die signalisierte, dass sie sich von der Gesellschaft nicht vorschreiben ließ, wie sie sich nach ihrer Schmach zu verhalten hatte.

Mit einem gewissen Erstaunen stellte er fest, dass sie eine wirklich bemerkenswerte Frau war.

»Das hätte er tun sollen«, sagte er, unwillkürlich ihre Worte wiederholend. »Aber er hat es nicht getan, und dafür muss ich um Entschuldigung bitten.«

Beinahe amüsiert legte sie den Kopf schräg. »Man sollte meinen, diese Entschuldigung würde besser wirken, wenn sie von Clive käme, finden Sie nicht?«

David lächelte freudlos. »In der Tat, aber ich nehme an, dass er das versäumt hat. Als ein Mann-Formsby betrachte ich es daher …«

Sie schnaubte leise, was er nicht amüsant fand.

»Als ein Mann-Formsby«, begann er erneut mit erhobener Stimme, die er sofort wieder senkte, als mehrere Tänzer in ihrer Nähe neugierig in seine Richtung schauten. »Als Oberhaupt der Familie Mann-Formsby«, korrigierte er sich, »ist es meine Pflicht, mich zu entschuldigen, wenn ein Familienmitglied sich unehrenhaft verhält.«

Er rechnete mit einer scharfen Erwiderung, und tatsächlich öffnete sie sofort den Mund, um etwas zu äußern, wobei in ihren Augen ein dunkles Feuer aufloderte, doch dann, mit einer Plötzlichkeit, die ihm den Atem raubte, schien sie ihre Meinung zu ändern.

»Vielen Dank«, sagte sie schließlich. »Ich akzeptiere Ihre Entschuldigung anstelle von Clives.«

Die stille Würde, die in ihrer Stimme mitschwang, weckte bei ihm den Wunsch, Susannah an sich zu ziehen und seine Finger mit ihren zu verschränken, statt einfach nur ihre Hand zu halten.

Falls er diese Empfindung näher erkunden wollte – und dessen war er keineswegs sicher –, war seine Chance dahin, denn das Orchester hatte die letzten Takte des Walzers gespielt, und ihm blieb nur, sich elegant zu verbeugen, während Susannah knickste.

»Danke für den Tanz, Mylord«, murmelte sie höflich, und damit war klar, dass ihre Konversation beendet war.

Als er ihr nachblickte, wie sie den Ballsaal verließ, vermutlich um dorthin zu gehen, wohin sie unterwegs gewesen war, als er sie abgefangen hatte, konnte er allerdings das Gefühl nicht abschütteln, dass er …

Er wollte mehr.

Mehr von ihren Worten, mehr von ihrer Unterhaltung.

Mehr von ihr.

Später an diesem Abend trugen sich zwei sehr seltsame Begebenheiten zu.

Die erste davon in Susannah Ballisters Schlafzimmer.

Sie konnte nicht einschlafen.

Für viele wäre das nicht besonders merkwürdig gewesen, doch Susannah hatte stets zu der Sorte Mensch gehört, die einschlummerten, sobald ihr Kopf das Kissen berührte. Diese Eigenschaft hatte ihre Schwester damals, als sie sich noch ein Zimmer teilten, verrückt gemacht. Letitia wollte immer wach bleiben und geflüsterte Unterhaltungen führen, zu denen Susannah jedoch nie mehr beizutragen hatte als leises Schnarchen.

Selbst in der ersten Zeit nach Clives Treuebruch schlief sie wie eine Tote. Schlaf war ihre einzige Zuflucht vor dem Schmerz und dem Tumult, der das Leben einer sitzen gelassenen Debütantin bestimmte.

Diesmal war es anders. Susannah lag auf dem Rücken (was schon für sich eine Merkwürdigkeit war, da sie es normalerweise vorzog, auf der Seite liegend zu schlafen), starrte an die Decke und fragte sich, seit wann der Riss im Putz so sehr einem Kaninchen ähnelte.

Oder vielmehr, das war es, worauf sie sich jedes Mal angelegentlich konzentrierte, wenn es ihr gelungen war, den Earl of Renminster nachdrücklich aus ihren Gedanken zu verbannen. Denn in Wahrheit kam sie nicht zur Ruhe, weil sie nicht aufhören konnte, im Geiste immer wieder ihre Unterhaltung auf der Tanzfläche zu rekapitulieren, jedes seiner Worte auseinanderzunehmen und das zittrige Gefühl zu ignorieren, das sie überkam, wenn sie sich sein leichtes, irgendwie ironisches Lächeln in Erinnerung rief.

Noch immer konnte sie kaum glauben, dass sie ihm die Stirn geboten hatte. Clive hatte ihn gern als »der alte Mann« bezeichnet und ihn bei verschiedenen Gelegenheiten steif, hochmütig, anmaßend, arrogant und verdammt lästig genannt. Das klang nicht besonders zugänglich, und sie hatte immer etwas Angst vor dem Earl gehabt.

Doch sie hatte ihm die Stirn geboten und ihren Stolz gewahrt.

Und nun konnte sie nicht einschlafen, weil sie ständig an ihn denken musste, aber das machte ihr nichts aus – im Gegenteil, sie genoss das aufgedrehte, beinahe schwindelerregende Prickeln, das sie wach hielt.

Es war schon so lange her, seit sie stolz auf sich gewesen war, dass sie ganz vergessen hatte, wie angenehm es sich anfühlte.

Die zweite seltsame Begebenheit trug sich am anderen Ende der Stadt zu, in Holborn, vor dem Domizil von Anne Miniver, die dort zwischen all den Advokaten und Barristern, die in den nahe gelegenen Anwaltskammern arbeiteten, ein ruhiges Leben führte. Auch wenn ihr eigener Beruf, wenn man es denn als solchen bezeichnen wollte, Mätresse war. Um genau zu sein, Mätresse des Earl of Renminster.

Miss Miniver war jedoch nicht gewahr, dass gerade etwas Seltsames vor sich ging. Tatsächlich war die einzige Person, die davon Notiz nahm, der Earl selbst, der seinen Kutscher angewiesen hatte, ihn direkt vom Ball der Worths zu Annes elegantem Stadthaus zu fahren. Doch als er die Stufen zum Eingang emporging und seine rechte Hand zum Türklopfer aus Messing ausstreckte, stellte er fest, dass er kein Interesse daran hatte, sie zu sehen. Das Verlangen war schlicht und ergreifend verschwunden.

Was für den Earl in der Tat äußerst seltsam war.

2. KAPITEL

Haben Sie gesehen, wie der Earl of Renminster gestern auf dem Ball der Worths mit Miss Susannah Ballister getanzt hat? Wenn nicht, ist das wirklich ein Jammer – denn dann waren Sie vermutlich die einzige Person, der diese Sensation entgangen ist. Der Walzer war das Gespräch des Abends.

Man kann nicht behaupten, dass die Unterhaltung, die die beiden bei dieser Gelegenheit führten, sehr freundlich wirkte. Tatsächlich konnte die Verfasserin blitzende Augen beobachten und sogar so etwas wie einen hitzigen Wortwechsel.

Der Earl zog sich kurz nach dem Walzer zurück, doch Miss Ballister blieb noch mehrere Stunden und wurde beim Tanzen mit zehn anderen Gentlemen gesehen, bevor sie den Ball in Begleitung ihrer Eltern und ihrer Schwester verließ.

Zehn Gentlemen. Jawohl, die Verfasserin hat sie gezählt. Und es wäre unmöglich gewesen, keinen Vergleich zu ziehen, da die Summe sämtlicher Tanzpartner von Miss Ballister vor der Aufforderung des Earls bei null gelegen hatte.

LADY WHISTLEDOWNS GESELLSCHAFTSKOLUMNE,
28. JANUAR 1814

Die Ballisters mussten sich zwar keine Gedanken ums Geld machen, aber man konnte sie auch nicht wirklich als vermögend bezeichnen. Normalerweise störte Susannah das nicht weiter. Es hatte ihr nie an irgendetwas gefehlt, und sie sah keinen Grund, drei Paar Ohrringe besitzen zu müssen, wenn ihr einziges Paar aus Perlen perfekt zu all ihren Kleidern passte. Nicht, dass sie ein weiteres Paar zurückgewiesen hätte, auf gar keinen Fall! Sie empfand nur keinerlei Bedürfnis, sich tagaus, tagein nach Juwelen zu verzehren, die sie nun mal nicht haben konnte.

Doch es gab eine Sache, die sie zu dem Wunsch bewog, ihre Familie möge älter, reicher oder von Adel sein – irgendetwas, das ihr mehr Einfluss verlieh.

Und das war das Theater.

Susannah liebte das Theater, liebte es, sich in den Geschichten anderer Leute zu verlieren, liebte einfach alles, vom Geruch über die Beleuchtung bis hin zu diesem kitzeligen Gefühl in den Handflächen beim Applaudieren. Es war fesselnder als Hauskonzerte und machte deutlich mehr Spaß als die Bälle und Tanzgesellschaften, die sie an drei von sieben Abenden der Woche besuchte.

Das Problem war jedoch, dass ihre Familie in keinem der Theater, die als angemessen für die feine Gesellschaft galten, eine Loge unterhielt. Und andere Plätze kamen für sie nicht infrage, da ihre Mutter darauf beharrte, dass anständige junge Damen nicht beim Pöbel saßen. Das wiederum bedeutete, dass Susannah nur dann in den Genuss kam, ein Theaterstück zu sehen, wenn sie von jemandem eingeladen wurde, der eine passende Loge innehatte.

Daher weinte sie fast vor Freude, als eine Nachricht von den Shelbournes eintraf, die sie einluden, sie an diesem Abend ins Theater zu begleiten, um Edmund Kean als Shylock in »Der Kaufmann von Venedig« zu sehen. Der Schauspieler hatte sein Rollendebüt erst vier Abende zuvor gegeben, und schon überschlug sich der gesamte ton vor Begeisterung. Man lobte seine Darbietung als großartig, waghalsig und unvergleichlich – alles wundervolle Worte, die bei Theaterliebhabern wie ihr den glühenden Wunsch weckten, sich diese Inszenierung nicht entgehen zu lassen.

Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass irgendwer sie in seine Loge bitten würde. Zu den großen Bällen und Partys wurde sie nur deshalb eingeladen, weil die Leute neugierig waren, wie sie auf Clives und Harriets Heirat reagierte. Einladungen zu kleineren geselligen Zusammenkünften blieben jedoch aus.

Bis zum Ball der Worths am Donnerstagabend.

Vermutlich sollte sie sich beim Earl bedanken. Er hatte mit ihr getanzt, daher wurde sie wieder als passender Umgang betrachtet. Sie war noch mindestens acht Mal aufgefordert worden, nachdem er gegangen war. Na schön, zehn Mal. Sie hatte gezählt. Zehn Männer hatten sie zum Tanz aufgefordert, das waren zehn mehr als in den gesamten drei Stunden, die sie bereits auf dem Ball gewesen war, bevor der Earl sie ansprach.

Im Grunde war es erschreckend, wie viel Einfluss ein einziger Mann auf die Gesellschaft ausüben konnte.

Susannah war sicher, dass Renminster der Grund für die heutige Einladung ihrer Verwandten war. Zwar glaubte sie nicht, dass die Shelbournes sie bewusst gemieden hatten – schließlich waren sie nur entfernt mit ihr verwandt, und sie kannte sie nicht besonders gut. Aber nachdem ihr Name am Freitag so prominent in Whistledowns Kolumne aufgetaucht war und sich ein freier Platz in ihrer Theater-Gesellschaft auftat, für den sie eine weitere Frau brauchten, um das richtige Geschlechterverhältnis herzustellen, war es ihnen gewiss ausgesprochen leichtgefallen, zu sagen: »Ach ja, was ist denn mit Cousine Susannah?«

Susannah war es vollkommen egal, wieso sie sich plötzlich an ihre Existenz erinnert hatten – sie würde Kean im »Kaufmann von Venedig« sehen!

»Ich werde bis in alle Ewigkeit neidisch sein«, verkündete ihre Schwester Letitia, als sie im Salon auf die Ankunft der Shelbournes warteten.

Autor