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Die Marcelli-Schwestern

hier erhältlich:

EINE MARCELLI GEHT AUFS GANZE
Willkommen auf dem Weingut der Marcellis. Hier feiert man guten Wein, gutes Essen - und die Liebe.

Wein, Weiber und … das Versprechen, mit dem nächsten Mann ins Bett zu gehen, der ihr über den Weg läuft. So endete Francescas Mädelsabend mit ihren Schwestern. Dumm nur, dass die sich am nächsten Morgen noch an alles erinnern und sie beim Wort nehmen. Gut hingegen, dass der nächste Mann, der Francesca über den Weg läuft, ausgerechnet Sam ist. Der Sex mit ihm ist alles andere als belanglos, und sie stürzen sich Hals über Kopf in eine heiße Affäre. Die Zeit ohne Verpflichtungen endet jedoch jäh, als mit einem Mal Sams Tochter aus erster Ehe vor seiner Tür steht und bei ihm wohnen will - und Francesca zeitgleich entdeckt, dass sie und Sam mehr verbindet, als sie geahnt hatten.

EINE MARCELLI WEIß WAS SIE WILL
Dieser alte Sturkopf! Brenna Marcelli ist fürchterlich wütend. Ihr Großvater lässt nicht zu, dass sie das Weingut der Familie übernimmt. Er legt ihr Steine in den Weg, wo er nur kann. Dabei wissen seit jeher alle, dass in ihren Adern kein Blut, sondern Wein fließt. Doch ihre Sturheit kann es mit seiner aufnehmen. Ob es allerdings wirklich klug ist, sich zu diesem Zweck mit Nic Giovanni zusammenzutun? Er ist Brennas Jugendliebe. Der Mann, der einmal geschworen hat, die Dynastie der Marcellis zu zerstören. Und in dessen Nähe Brenna keinen klaren Gedanken fassen kann. Nein, klug ist das sicher nicht. Aber es fühlt sich unglaublich gut an.

EINE MARCELLI GIBT NICHT NACH
Dieser Zach Stryker ist aber auch ein... ein... Katie fehlen die Worte. Was zum einen daran liegt, dass der Stararchitekt so umwerfend aussieht, dass ihr jedes Mal der Atem stockt. Zum anderen daran, dass er vor nichts zurückschreckt, um die Hochzeit zwischen seinem achtzehnjährigen Sohn und Katies jüngerer Schwester zu verhindern. Er will dafür sorgen, dass Katies Firma pleitegeht, wenn die Partyplanerin nicht tut, was er sagt. Doch da hat er die Rechnung ohne das berühmte Marcelli-Temperament gemacht. Nur weil im Wein ein wenig Korken schwimmt, schüttet man nicht gleich die ganze Flasche weg. Und wenn sich ein Mann störrisch zeigt, hat er es noch nicht mit Katie Marcelli aufgenommen!


  • Erscheinungstag: 01.01.2018
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 1040
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955768430
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Susan Mallery

Die Marcelli-Schwestern

Susan Mallery

Eine Marcelli geht aufs Ganze

Roman

Aus dem Amerikanischen von Ivonne Senn

 

 

 

 

 

 

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

The Sassy One

Copyright © 2003 by Susan Macias Redmond

erschienen bei Pocket Books, New York

Published by arrangement with

Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Corbis, Düsseldorf;

Thinkstock/Getty Images, München; pecher & soiron, Köln

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95576-407-4

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1. KAPITEL

Francesca Marcelli war erst seit zwanzig Minuten schwanger, und schon tat ihr der Rücken weh.

„Für meinen Geschmack ist das etwas zu realistisch“, murmelte sie und justierte die Gurte, die den künstlichen Achtmonatsbauch an Ort und Stelle hielten. Die Größe des Bauchs war wirklich beängstigend – Francesca konnte weder ihre Füße sehen, noch fand sie eine bequeme Sitzposition –, und das Gewicht war der reine Horror. Es fühlte sich an, als hätte sie sich einen Babyelefanten umgeschnallt. Wer immer dieses Teil erfunden hatte, musste einen seltsamen Sinn für Humor haben. Ihr Rücken bettelte um Erbarmen, und dank des Drucks auf ihre Blase hatte sie nur noch einen Gedanken, nämlich die nächstbeste Toilette aufzusuchen.

„Alles für den guten Zweck“, murmelte sie.

Francesca verlagerte das Gewicht, um den schmerzenden Rücken etwas zu entlasten, und stützte sich auf den schweren Wagen, den sie in den Lastenaufzug des sechs Stockwerke hohen Bankgebäudes manövrierte. Als die Türen sich öffneten, schob sie den überladenen Wagen in den Flur hinaus. Die aufgestapelten Kartons schwankten gefährlich und drohten, jeden Moment auf den mit Teppich ausgelegten Boden zu fallen.

Es war kurz nach fünf an einem Freitagnachmittag. Um sie herum eilten Dutzende von Angestellten in Richtung der Personenfahrstühle, um endlich ins Wochenende zu kommen. Francesca schob ihre Brille auf der Nase hoch und strich sich das Kleid glatt. Sie trug das hässlichste Umstandskleid, das sie hatte finden können. Der übergroße Kragen ließ ihre Schultern und ihren Kopf unnatürlich schmal aussehen. Der in Pink- und Rosatönen gehaltene Blumendruck schien ihr alle Farbe aus dem Gesicht zu saugen. Sie hatte sich ein wenig Puder ins Haar gekämmt, um ihm einen mausbraunen Schimmer zu geben, und ihr Make-up hatte sie nur dazu benutzt, um sich einen müden, erschöpften und unattraktiven Anstrich zu verleihen.

Sie schaute auf die Uhr, dann straffte sie die Schultern und machte sich auf den Weg.

„Showtime“, flüsterte sie, obwohl niemand in der Nähe war, der sie hätte hören können.

Drei Männer aus dem Versicherungsmaklerbüro am Ende des Flurs gingen an ihr vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Francesca schob den Wagen mit den Päckchen und Paketen weiter gegen den Strom der ihr entgegenkommenden Menschen. Zwei Frauen in grauen Anzügen schenkten ihr ein mitfühlendes Lächeln. Ihnen folgten ein Mann und eine Frau, beide mit teuer aussehenden Aktentaschen in der Hand. Die Frau schaute, der Mann nicht.

Zu ihrer rechten Seite ging ein weiterer Flur ab. Francesca stemmte sich gegen den Wagen, um ihn um die Kurve zu bugsieren. Mehrere Pakete fielen herunter. Ein Mann ging an ihr vorbei, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. Ein Mädchen im Collegealter blieb lange genug stehen, um Francesca beim Aufheben der Kartons zu helfen, dann lief sie auf den Fahrstuhl zu und rief: „Wartet auf mich!“

Fünf Minuten später hatte Francesca ihr Ziel erreicht: ein Büro, das sie in der vorangegangenen Woche ausgespäht hatte. Sie hatte es ausgewählt, weil die Firma vor Kurzem geschlossen worden war. Hier stand sie nun, hochschwanger, verloren, mit mehr als einem Dutzend Päckchen auf dem überladenen Wagen, die sie anliefern sollte, und niemand da, um sie entgegenzunehmen. Wenn sie Schauspielerin gewesen wäre, hätte sie jetzt noch eine Träne aus dem Augenwinkel gedrückt.

Die Regeln besagten, dass sie nicht aktiv um Hilfe bitten durfte. Sie musste ihr angeboten werden. Also würde sie die geforderten dreißig Minuten warten, in Gedanken mitzählen, wer sie ignorierte, wer lächelte und wer stehen blieb, um ihr Hilfe anzubieten.

Hier in dem Gebäude arbeiteten nur hoch bezahlte Kräfte mit erlesenem Geschmack und wenig Zeit. Sie hegte keine große Hoffnung, dass irgendjemand ihr helfen würde. Ihrer Erfahrung nach …

„Sie sehe aus, als hätten Sie sich verlaufen.“

Francesca wirbelte herum. Neben ihrem Wagen stand ein großer Mann. Ein großer, gut aussehender Mann in einem dunkelblauen, Macht ausstrahlenden Anzug.

„Hey“, sagte sie als Einleitung für ihre vorbereitete Rede, in der sie ihm erklären würde, dass sie diese Pakete an die nicht mehr existierende Firma ausliefern musste. Nur leider konnte sie sich an nichts mehr von dem erinnern, was sie sagen sollte.

Der Mann wartete geduldig. Er hatte dunkelblonde Haare und braune Augen, die beinah golden aussahen. Sein intensiver Blick erinnerte sie an die Art, mit der Jäger ihre Beute belauerten. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie an Gazellen dachte, die von Löwen gerissen wurden. Unglücklicherweise ähnelte sie in ihrer momentanen Verfassung eher einem Wasserbüffel als einer Gazelle.

Er wirkte selbstbewusst, wichtig und mächtig. Nicht gerade die Art Mann, von der man erwartete, dass sie stehen blieb, um einer unattraktiven Schwangeren in Not zu helfen. Männer wie er schickten ihre Assistenten, um sich um die unangenehmen Dinge des Lebens zu kümmern.

„Sprechen Sie Englisch?“ Er betonte jedes Wort sehr deutlich.

„Was? Oh, natürlich.“ Sie atmete tief ein. Was war nur mit ihr los? Sie hätte ihren akuten mentalen Schluckauf ja gern auf eine Lebensmittelvergiftung geschoben, doch leider hatte sie an diesem Tag noch nichts gegessen. „Ich bin, äh …“ Francesca räusperte sich. Ihr Gehirn schien wieder zu arbeiten, und ihr fiel endlich wieder ein, was sie sagen sollte.

„Hallo. Ich bin Francesca. Ich soll diese Pakete hier abliefern, aber da scheint es ein Problem zu geben.“ Sie zeigte auf die geschlossene Bürotür.

Der Mann schaute erst auf die Kartons, die alle sorgfältig an die nicht mehr existente Firma adressiert waren, und dann zu der Tür, auf der ein handgeschriebener Zettel verriet, dass „Mal-com und White Data Tech“ hier nicht mehr zu finden war.

„Die Lieferung hier abzugeben war der letzte Auftrag, den mein Chef mir erteilt hat, bevor er die Stadt verließ“, sagte sie. „Wenn ich sie nicht ausliefere, wird er mich umbringen.“

Francesca bemühte sich, verzweifelt auszusehen. Dazu musste sie nur an ihren Kontostand und die bald fällig werdende Stromrechnung denken. Irgendwann würde sie die Früchte ihres Hochschulstudiums ernten, aber solange sie noch nicht promoviert hatte und keinen Doktortitel benutzen konnte, schien sie zu einem Leben in Armut verdammt.

„Da werden Sie wohl seine Wut riskieren müssen“, sagte der Mann ruhig. „Diese Kartons gehen heute nirgendwo mehr hin. Die Firma existiert nicht mehr. Nach allem, was ich gehört habe, haben die Gesellschafter die Stadt mit den letzten paar Dollar, die noch übrig waren, fluchtartig verlassen und ihre Angestellten ohne Bezahlung, aber dafür mit einer ganzen Reihe verärgerter Kunden zurückgelassen. Wie heißen Sie noch mal?“

„Francesca Marcelli.“

Er lächelte sie an. Als würde er sich wirklich freuen, sie kennenzulernen. Ein echtes Lächeln, das bis zu seinen Augen reichte, wo es kleine Fältchen in die Winkel zeichnete. Mit einem Mal wurden ihre Handflächen ganz feucht. So viel Spaß hatte sie seit Tagen nicht gehabt.

Ihr Retter stellte sich als Sam Reese vor.

„Kommen Sie, ich bringe Sie erst mal aus diesem Flur heraus, und dann überlegen wir, was wir tun können.“

Wir? Sie waren jetzt ein Wir?

Sam schnappte sich den Wagen und schob ihn mit einer Leichtigkeit den Flur hinunter, die Francesca neidisch machte. Na gut, er musste sich auch keine Sorgen machen, dass sein falscher Schwangerschaftsbauch ihn behinderte. Langsam ging sie hinter ihm her und fragte sich, was er wohl als Nächstes tun würde. Wie weit würde Sam die Sache treiben? In Situationen, wie dieser hier – die eindeutig kein Notfall war – stellten die Menschen ihre Hilfe meistens an dem Punkt ein, an dem es für sie unbequem wurde.

„Einfach da hindurch!“ Er zeigte auf eine gläserne Doppeltür.

Bevor Francesca den Namen der Firma lesen konnte, wurde eine der Türen geöffnet und ein großer Mann trat auf den Flur. Unwillkürlich blieb sie stehen und starrte ihn an.

Der Mann musste mindestens zwei Meter groß sein. Er war gebaut wie ein Berg, hatte einen kräftigen Hals und Schultern, die breit genug waren, um ein paar Wohnwagen abzustützen. Mit seiner dunklen Haut, dem stechenden Blick und dem festen, vollkommen ernsten Mund sah er gefährlich und ziemlich Angst einflößend aus.

„Sam“, sagte der Mann und ließ seinen Blick zwischen ihrem Retter und ihr hin- und hergleiten. „Gibt es ein Problem?“

„Vielleicht ja.“ Sam warf ihr einen Blick zu. „Ms Marcelli versuchte, bei ‚Malcom und White‘ eine Lieferung abzugeben.“

„Die haben letzte Woche dichtgemacht.“

„Ja, das habe ich Ms Marcelli bereits erklärt.“ Er zeigte auf den beladenen Wagen. „Bring den bitte rein, Jason, und lagere die Kartons in einem unserer Konferenzräume.“ Er wandte sich wieder Francesca zu. „Wenn Ihr Chef erwartet, dass diese Lieferung bezahlt wird, muss ich Sie enttäuschen. Das wird nicht passieren. Zumindest nicht im Moment. Aber kommen Sie doch erst mal rein, dann können wir alles Weitere in Ruhe bereden.“

Francesca wurde in ein exklusives Büro mit einer in Grau und Burgunderrot eingerichteten Sitzecke geführt. Eine attraktive Frau Anfang vierzig saß am Empfangstresen. Sie sprach gerade in ihr Headset, als sie an ihr vorbeigingen, und nickte Sam nur kurz zu.

„Ich kann versuchen, Malcom und White aufzutreiben“, erklärte Sam, während sie einen langen Flur mit elegant gerahmten Bildern und schmalen, an den Wänden stehenden Beistelltischchen entlanggingen. „Ich habe schon lange nach einem Grund gesucht, um sie aufzuscheuchen.“

Er klang entschlossen, als hätte er mit den verschwunde-nen Geschäftsleuten noch eine persönliche Rechnung offen. Francesca ging hinter ihm, hin- und hergerissen zwischen der Frage, wieso es Sam Reese etwas ausmachte, wenn eine Firma in diesem Gebäude schloss, und dem Gedanken, in was für eine Situation sie sich hier gerade hineingeritten hatte. Sie kamen an mehreren großen Konferenzräumen vorbei, die aussahen wie Klassenzimmer, und an einigen Büros, in denen große Tische, Computer und Aktenschränke standen. Also die typische Büroeinrichtung, die keinerlei Rückschlüsse auf die Art der Geschäfte zuließ, die hier getätigt wurden.

Am Ende des Flurs bogen sie nach links ab, dann wieder nach rechts, bevor sie vor einem großen, offenen Foyer stehen blieben, in dem ein weiterer großer Schreibtisch mit Computer stand. Dahinter saß ein gut angezogener Mann in einem Sakko.

„Jack, das ist Ms Marcelli.“

Der junge Mann, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt und gebaut wie ein Footballspieler, erhob sich. „Schön, Sie kennenzulernen, Ma’am.“

Francesca trat näher, um ihm die Hand zu schütteln. Dabei rutschte ihr die Handtasche am Arm herunter und fiel zu Boden.

„Hups.“ Schnell beugte sie sich vor, um sie aufzuheben.

Als sie sich wieder aufrichtete, wich ihr alles Blut aus dem Kopf. Der Raum fing an, sich zu drehen, und sie spürte, wie sie ins Schwanken geriet. Für den Bruchteil einer Sekunde fürchtete sie, ohnmächtig zu werden.

Einen halben Herzschlag später umfing sie ein starker Arm um die Taille und hielt sie fest. „Ms Marcelli? Geht es Ihnen gut? Ist etwas mit dem Baby nicht in Ordnung?“

Baby? Was … oh, das Baby.

Francesca schüttelte leicht den Kopf. Ihr Gleichgewichtssinn war so weit zurückgekehrt, dass sie sich bewusst war, sehr nah neben Sam zu stehen. Nah genug, um die unglaublich langen Wimpern zu erkennen, die seine Augen umrahmten. Wo sie gerade davon sprach – sie schaute genauer hin. Aus dieser Nähe hatten sie eine wirklich ungewöhnliche Farbe. Hellbraun mit goldenen Sprenkeln. Überirdische Augen. Katzenaugen.

Katzenaugen an einem mächtigen Mann. Sie spürte seine Wärme und seine Kraft. Irgendwie hatte sie immer angenommen, Führungskräfte wären unter dem teuren Stoff ihrer Maßanzüge vollkommen verweichlicht. Da hatte sie sich wohl gründlich geirrt.

„Ms Marcelli?“

Sam Reese klang angespannt. Sie schüttelte noch einmal den Kopf und versuchte, sich aus Sams Griff zu lösen. Als er sie nicht freigab, schenkte sie ihm ein kleines Lächeln.

„Mir geht es gut.“

„Sie sind beinahe ohnmächtig geworden.“

„Ich weiß. Ich habe heute nicht genügend gegessen. Das passiert mir manchmal. Die Arbeit lenkt mich so ab, und dann sinkt mein Blutzuckerspiegel.“

„Das ist bestimmt nicht gut für das Kind.“

Da es kein Kind gab, war ihr seine Sorge ein wenig unangenehm.

„Mir geht es gut“, wiederholte sie. „Wirklich.“

Langsam löste er seinen Arm von ihrer Taille. „Jack bring Ms Marcelli bitte eine Tasse Kräutertee. In der Kaffeeküche haben wir eine kleine Auswahl. Und schau doch bitte auch nach, ob wir von unserem Meeting noch ein Sandwich übrig haben.“

Francesca überlegte, erneut zu protestieren, aber bevor sie wusste, was sie sagen konnte, ohne ihre Tarnung auffliegen zu lassen, wurde sie schon in ein Büro von der Größe Utahs geführt.

Die vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster boten auf der einen Seite einen Ausblick über Santa Barbara und die Berge, auf der anderen Seite sah man die Stadt und das Meer am Horizont. Geschmackvolle Bilder hingen an den nicht mit Fenstern versehenen Wänden. Zwei große Sofas bildeten in einer Ecke einen netten Rückzugsort für vertrauliche Gespräche. Zwischen ihnen und dem Schreibtisch war so viel Platz, dass man einen Kickbox-Kurs hätte abhalten können.

Sam ließ sie auf dem Sofa Platz nehmen und setzte sich dann neben sie. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er ihre Hand in seine genommen und fühlte ihren Puls am Handgelenk.

„Ihr Herz rast. Soll ich Ihren Arzt anrufen?“

Sie ging immer zum studentischen Gesundheitsdienst, wenn sie etwas brauchte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, das freundliche Geplauder mit der Arzthelferin dort war nicht das Gleiche, wie einen eigenen Arzt zu haben.

Allerdings musste sie zugeben, dass es sehr angenehm war, von einem attraktiven Mann die Hand gehalten zu bekommen. Er war warm und geduldig und unglaublich sexy. Hätte sie nicht ausgesehen wie etwas, das eine streunende Katze angeschleppt hatte, hätte sie vielleicht versucht, mit ihm zu flirten, und schlagfertige Kommentare zum Besten gegeben. Vorausgesetzt, ihr wären irgendwelche schlagfertigen Kommentare eingefallen.

„Nein danke, das ist nicht nötig.“ Widerstrebend entzog sie ihm die Hand. „Mit mir ist alles in Ordnung. Ich habe sowieso schon viel zu viel Ihrer Zeit in Anspruch genommen.“

Sie wollte aufstehen, doch Sam hielt sie davon ab, indem er sie durchdringend ansah.

„Trinken Sie einen Tee“, sagte er. „Danach fühlen Sie sich besser.“

Beides klang wie ein Befehl.

Bevor sie widersprechen konnte, kam Jack mit einem Tablett herein. Auf dem standen eine Tasse mit dampfendem Tee und ein Teller mit einem eingepackten Sandwich.

„Wir hatten nur noch Pute“, sagte er entschuldigend, als er das Tablett auf den gläsernen Kaffeetisch stellte.

Das leichte Schuldgefühl, das Francesca bis jetzt verspürt hatte, pumpte sich zu doppelter Größe auf. „Also, Sie waren wirklich nett – Sie alle beide. Aber es gibt keinen Grund, mich so zu bemuttern.“

Die Männer ignorierten sie. „Geh an den Computer“, sagte Sam zu seinem Assistenten. „Sieh nach, ob du entweder Malcom oder White irgendwo aufspüren kannst. Du findest den Ordner am üblichen Platz.“ Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Francesca zu. „Sie haben gesagt, Ihr Boss wäre für den Rest des Tages außer Haus. Wie können Sie mit ihm in Verbindung treten? Ich möchte ihn gerne darüber informieren, dass die Pakete nicht ausgeliefert werden können. Außerdem werde ich veranlassen, dass sie zu ihm zurückgeschickt werden.“ Sein ernster Gesichtsausdruck wurde ein wenig weicher. „Er hätte niemals zulassen dürfen, dass Sie sich alleine darum kümmern.“

„Das macht mir nichts aus“, sagte sie schwach. Sie spürte, wie der Boden unter ihr zu Treibsand wurde. In wenigen Sekunden wäre sie so tief darin versunken, dass niemand sie je wiederfinden würde. „Und ich kann ihn nicht erreichen. Er ist auf dem Weg zum, äh, Flughafen. Um, äh, wegzufliegen.“

Innerlich zuckte sie zusammen. Es war ihr noch nie leichtgefallen zu lügen. Aber auf dem Weg zum Flughafen, um wegzufliegen? Warum sollte man sonst zum Flughafen fahren?

Francesca seufzte. Irgendwie war dieses Experiment außer Kontrolle geraten. Gemäß ihrer bisherigen Forschungen hätte Sam nicht stehen bleiben dürfen, um ihr zu helfen, und schon gar nicht hätte er es so weit treiben sollen. Dieser Mann brachte ihre ganzen bisher gesammelten Daten durcheinander.

„Welche Fluggesellschaft? Welcher Flug?“ Er nahm ein schmales, ledergebundenes Notizbuch aus seiner Tasche.

Francesca wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. „Sie werden ihn nicht finden.“

„Versuchen wir es wenigstens.“

Oh-oh. Jetzt ging es wirklich zu weit. Sie warf Jack einen Hilfe suchenden Blick zu, den er entweder nicht verstand oder einfach ignorierte. Jason, der große, starke Mann von vorhin, steckte seinen Kopf zur Tür herein, um Sam darüber zu informieren, dass er die Pakete in Konferenzraum 2 gelagert hatte. Jack verschwand mit Jason und schloss die Tür hinter ihnen. Damit war Francesca auf einmal sehr allein mit einem Mann, der offensichtlich in der Lage war, das Universum nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.

„Also, Ms Marcelli, der Flug Ihres Chefs? Sein Name wäre auch sehr hilfreich.“

„Bitte nennen Sie mich doch Francesca.“ Sie griff nach ihrem Tee. Ihr knurrte der Magen, aber sie weigerte sich, das Sandwich anzurühren. Nicht, solange sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hier war. „Können Sie wirklich jemanden anrufen, der in einem Flugzeug sitzt?“

„Wenn es nötig ist. Es wäre allerdings einfacher, ihn vor seinem Abflug zu erreichen. Fliegt er von Los Angeles oder vom Geschäftsfliegerzentrum in Santa Barbara?“

Francesca dachte an all die Male, die sie bereits ähnliche Experimente durchgeführt hatte, um herauszufinden, ob fremde Menschen sich die Mühe machten, stehen zu bleiben und ihr zu helfen. Sie hatte nette alte Damen getroffen, die ihr anboten, sie in ihrem Auto mitzunehmen. Sogar ein Schulkind, das ihr bei der Suche nach ihrem entlaufenen Hund helfen wollte. Aber niemals war jemand so weit gegangen wie Sam Reese.

Sie atmete tief ein. „Sie waren großartig“, sagte sie. „Wirklich unglaublich. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“

Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht. Sie bedauerte ihre mausbraunen Haare und die übergroße Brille, ganz zu schweigen von dem absichtlich unschmeichelhaft aufgetragenen Make-up. Erfolgreiche, umwerfende Männer wie er waren an der Uni selten. Warum hatte sie sich an diesem Tag nicht für ihr sexy Bikergirl-Outfit entschieden, anstatt als hässliche Schwangere herumzulaufen?

Sam wartete geduldig. Als wenn er alle Zeit der Welt hätte und an Menschen gewöhnt war, die ihm nur widerstrebend die gewünschten Informationen gaben.

„Wenn Sie nicht wollen, dass ich Ihren Boss aufspüre, ist das Ihre Entscheidung“, sagte er. „Aber bitte essen Sie doch etwas. Wenn schon nicht für Sie selbst, dann wenigstens für das Baby.“

Sie wünschte, er würde aufhören, ihre Schwangerschaft zu erwähnen. Okay, in all den Jahren, in denen sie so etwas schon machte, hatte sie kein einziges Mal ihre Tarnung aufdecken müssen. Doch jetzt wurde sie von Schuldgefühlen überwältigt. Schuldgefühle, gepaart mit einer mehr als nur oberflächlichen Anziehungskraft eines gut aussehenden Mannes.

„Ich bin nicht schwanger.“

Sein Blick ruhte weiter auf ihrem Gesicht. Ein Punkt für ihn. Sie nahm die Brille ab und warf sie auf den Tisch. Es war eine kleine Geste der Eitelkeit, aber unter diesen Umständen – mit dem hässlichsten Kleid der Welt, praktischen Schuhen und einer wenig schmeichelhaften Frisur – war sie einfach unumgänglich.

„Ich studiere Sozialpsychologie und beobachte, wie Menschen unter verschiedenen Umständen reagieren. In meiner Arbeit versuche ich zu erkennen, ob die gesellschaftliche Stellung, die Erscheinung oder das Geschlecht das Verhalten beeinflussen.“

Sam steckte sein Notizbuch zurück in die Jackentasche und sah Francesca fragend an. „Halten viel beschäftigte Leute, die es kaum erwarten können, endlich ins Wochenende zu kommen, an einem Freitagnachmittag inne, um einer schwangeren Frau zu helfen?“

„Genau.“

Seine Augen verengten sich ein wenig, als er Francesca genauer musterte. „Was ist in den Kisten?“

Sie räusperte sich. „Altpapier.“

„Sie haben sie absichtlich an eine Firma adressiert, die es nicht mehr gibt?“

„Ja.“

Nun fiel sein Blick auf ihren dicken Bauch. „Und das?“

„Eine Krankheit.“

Er riss erschrocken die Augen auf.

Sie lachte leise. „Ich mache nur Witze. Das ist eine Vorrichtung, um eine Schwangerschaft zu simulieren. Ich habe mir den Bauch von einem Umstandsmodengeschäft geliehen. Frauen benutzen ihn, um zu sehen, wie ihre Kleidung aussehen wird, wenn der Bauch an Umfang zunimmt.“

Kopfschüttelnd nahm er ihre Brille in die Hand und schaute durch die Gläser. „Fensterglas.“

Er lächelte. Ein ansteckendes, umwerfendes Lächeln, das in Francesca den Wunsch weckte, ihre praktischen Schuhe gegen ein paar rote High Heels einzutauschen.

„Ich bin normalerweise nicht leicht zu täuschen, Francesca. Ehrlich gesagt kann ich mich nicht erinnern, wann das zuletzt jemandem gelungen ist. Sie sind sehr beeindruckend. Und der Ohnmachtsanfall hat dem Ganzen noch den besonderen Kick gegeben.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Der Teil war nicht gespielt. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen, und das verträgt mein Blutzucker nicht so gut.“

Er zeigte auf ihren dicken Bauch. „Sie verbringen Ihren Tag in diesem Aufzug – und das nur aus wissenschaftlichen Gründen?“

„Ich verkleide mich nicht immer als Schwangere. Manchmal bin ich im Rollstuhl unterwegs, manchmal tätowiert und ganz in Leder.“

Er lehnte sich auf dem Sofa zurück. „Das sorgt bestimmt für Verkehrsstaus.“

„Kommt ganz drauf an, wo ich bin.“ Lächelnd streckte sie die Hand nach ihrer Teetasse aus. „Es gibt Dutzende von Studien über den Effekt, den das Aussehen auf das Verhalten hat. Wussten Sie, dass einem attraktiven Menschen öfter geholfen wird als einem unattraktiven?“

„Männer sind sehr visuelle Kreaturen.“

„Aber das gilt nicht nur für Männer. Frauen reagieren genauso. Ich studiere …“ Sie unterbrach sich und stellte ihre Teetasse wieder ab. „Tut mir leid, ich gerate ins Plaudern. Meine Studien faszinieren mich.“

„Das kann ich gut verstehen. Wo werden Sie morgen sein? Wenn Ihr Kostüm schwarzes Leder beinhaltet, schauen Sie gerne noch einmal vorbei.“

Sie lachte. „Eigentlich sollte ich die Forschungsphase schon längst abgeschlossen haben. Mein Projekt für diesen Sommer ist das Schreiben meiner Dissertation. Aber der Gedanke daran, die ganze Zeit vor dem Computer zu verbringen, macht mich ganz kribbelig, also schiebe ich es vor mir her.“

„Was soll ich mit den Kartons machen?“

„Oh, die nehme ich wieder mit. Ich muss ja auch den Wagen zurückbringen. Den habe ich mir vom Hausmeister geliehen.“

„Also bekommt er die volle Punktzahl für Hilfsbereitschaft einer schwangeren Lady gegenüber?“

„Absolut.“

„Und ich?“

Sam hat eine großartige Stimme, dachte Francesca. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Tief, volltönend, verführerisch.

„Sie bekommen Bonuspunkte“, erklärte sie.

„Gut zu wissen.“ Er streckte die Hand nach ihr aus. „Wie wäre es, wenn ich Ihnen die Punkte lasse und Sie mir stattdessen heute Abend zum Dinner Gesellschaft leisten?“

Unter normalen Umständen hätte Francesca die Einladung niemals angenommen. Sie kannte Sam Reese ja gar nicht. Gut, er war sehr ansprechend, aber war das wirklich so wichtig?

„Dumme Frage“, murmelte sie und manövrierte ihren Truck durch den frühabendlichen Berufsverkehr in Santa Barbara. Es war Anfang Juni, und die Touristensaison war in vollem Gange. Auf den Bürgersteigen drängten sich die Menschen, die Restaurants waren voll besetzt, und der Verkehr bewegte sich in Schrittgeschwindigkeit über die State Street.

„Ansprechend zu sein ist natürlich wichtig.“

Genau wie diese Katzenaugen, das verlockende Lächeln und die Leichtigkeit, mit der sie sich mit ihm unterhalten konnte. Aber der wahre Grund, weshalb sie einem Date mit Sam Reese zugestimmt hatte, war, dass sie Sex haben musste. Denn ein Versprechen war ein Versprechen.

Beim Gedanken daran, wie Sam reagiert hätte, wenn sie ihm dieses kleine Detail gestanden hätte, musste sie grinsen. Hätte er versucht, sich so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen, oder angefangen, sein Hemd aufzuknöpfen? Sie würde gerne das Letztere glauben, aber sie hatte zu Hause in den Spiegel geschaut und den lauten Schrei nicht vor Entzücken ausgestoßen. Nein, der Mann wäre um sein Leben gerannt.

Eine heiße Dusche mit dreimaligem Einschäumen der Haare, um den Puder herauszuwaschen, ein schneller Kleiderwechsel und ein Hauch Make-up – und schon war sie bereit, ihn vielleicht nicht gerade umzuhauen, aber ihm zumindest ein wenig den Kopf zu verdrehen. Was nicht sonderlich schwer sein sollte, bedachte man, wie furchtbar sie vorher ausgesehen hatte.

Nun war sie also auf dem Weg, Sam Reese den Kopf zu verdrehen und zu schauen, was sie in Hinsicht auf ihr Versprechen erreichen konnte … das Versprechen, mit dem erstbesten attraktiven Mann, der ihren Weg kreuzte, ins Bett zu gehen.

2. KAPITEL

In dem Moment, als Francesca feststellte, dass das Parken am Restaurant teurer war als ein durchschnittliches Menü bei McDonald’s, wusste sie, dass sie nicht mehr in Kansas war. Sie lächelte den surferblonden Parkwächter strahlend an, der ihren zehn Jahre alten Pick-up angeekelt musterte, bevor er kopfschüttelnd die Schlüssel entgegennahm. Nur zu gut konnte sie sich vorstellen, was der Kerl getan hätte, wenn sie immer noch schwanger und, na ja, hässlich gewesen wäre. Ohne Zweifel hätte er sie an einen Tisch ganz hinten im Restaurant verbannt.

Francesca schob die Gedanken an den Parkwächter beiseite und konzentrierte sich stattdessen auf den schönen Abend. Die Sonne hing tief am Himmel und warf ihre goldenen Strahlen in den Innenhof, der zum Eingang des Restaurants führte. Sie, Francesca, würde mit einem sehr netten Mann zu Abend essen, der ihr unter Umständen dabei helfen würde, eine Vereinbarung zu erfüllen, die sie mit ihren Schwestern getroffen hatte.

Zwei Monate zuvor, nach zu viel Wein und viel zu vielen Keksen, hatte sie Katie und Brenna versprochen, sie würde es mit dem ersten normalen Singlemann treiben, den sie traf. Das wäre das Ende ihres selbst auferlegten dreijährigen Zölibats. Ihre Bereitschaft, sich auf etwas einzulassen, was so vollkommen untypisch für sie war, hatte mehr mit dem Mangel an Romantik und Spaß in ihrem Leben zu tun als mit der Herausforderung selbst. Sie wollte keine feste Beziehung. Das hatte sie hinter sich. Aber ein attraktiver Mann und eine warme Sommernacht … das war eine ganz andere Sache.

In den letzten dreiundsechzig Tagen war ihr nicht ein einziger geeigneter Kandidat begegnet – was einiges über den Status ihres gesellschaftlichen Lebens aussagte.

Dann war Sam aufgetaucht. Er hatte sie gerettet, hatte ihren Puls schneller schlagen lassen und sie zum Abendessen eingeladen. Sie musste nicht erst im Kaffeesatz lesen, um die Zeichen zu erkennen, vor allem wenn sie in Großbuchstaben und kursiv geschrieben waren.

„Was ist so lustig?“

Die weiche, nach rotem Wein und dunkler Schokolade klingende Stimme ließ sie zusammenzucken. Langsam drehte sie sich um und sah Sam neben einem glänzenden silberfarbenen Wagen stehen. Sie konnte die Marke nicht erkennen, aber ohne Zweifel war es ein sehr teures Auto.

„Wie machen Sie das nur?“, fragte sie. „Das ist schon das zweite Mal, dass Sie sich heimlich an mich herangeschlichen haben.“

Er ließ den Blick über ihr Gesicht gleiten … was ein zutiefst verstörendes Gefühl ihn ihr weckte. Er war über eins neunzig groß. Sie war eins neunundsiebzig und hatte hohe Absätze an, aber trotzdem musste sie ihren Kopf leicht in den Nacken legen, um ihm in die Augen schauen zu können.

„Mich anzuschleichen ist mein Beruf. Sie sehen übrigens bezaubernd aus.“

Überrascht schaute sie an dem schlichten schwarzen Kleid herunter, das sie zuvor schnell übergezogen hatte. Sie hatte es aus einem Impuls heraus von einem Typen erstanden, der auf dem Campus aus seinem Lieferwagen heraus Klamotten verkaufte. Da das Label herausgeschnitten war und es auch kein Preisschild gegeben hatte, vermutete sie, die Aktion war nicht ganz legal gewesen. Aber es hatte kaum etwas gekostet, und sie fühlte sich in dem Kleid einfach elegant und weltgewandt. Zwei Gefühle, die sie in dieser Nacht gut gebrauchen konnte.

Sie streckte die Arme aus, zog den Bauch ein und drehte sich einmal langsam um die eigene Achse. „Die Wunder der modernen Medizin.“

„War es ein Junge oder ein Mädchen?“, erkundigte er sich grinsend.

„Es war mehr ein Sack Bohnen unbestimmten Geschlechts.“

Sie kam vor ihm zum Stehen und warf sich die Haare über die Schulter – eine Geste, die sie bereits mit vierzehn Jahren perfektioniert, aber seit viel zu langer Zeit nicht mehr eingesetzt hatte.

Das machte Spaß. Vielleicht hatte sie sich in ihrem Zölibat zu voreilig bequem eingerichtet. Die Bewunderung in den Augen eines Mannes zu sehen hatte einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf das Selbstbewusstsein.

Sam nahm ihre Hand und legte sie sich in die Armbeuge.

„Wollen wir?“ Er deutete auf den offenen Innenhof des Restaurants.

„Warum nicht?“

Warum nicht? Nun, zum einen war da dieses merkwürdige Gefühl in ihrem Magen. Sam war so … geschmeidig. Die Männer in ihrem Bekanntenkreis kleideten sich nicht wie aus der GQ und benahmen sich auch nicht wie James Bond. Die Jungen auf der Universität waren mehr für Jeans und Taco Bell zu haben.

Na gut. Sie hatte gesagt, sie würde sich wieder in den Strom des Lebens stürzen, und der schnellste Weg dahin war ein Kopfsprung. Wenn ihr Plan danebenging, würde sie einfach zurück ans Ufer paddeln und ihren nassen Hintern aus dem Wasser hieven.

Bei diesem Bild musste sie lächeln.

Als sie das Restaurant betraten, krallte Francesca ihre Finger in den weichen Stoff von Sams Jackett und spürte andeutungsweise die darunter liegenden Muskeln. Oh ja, er war sehr maskulin. Sehr überhaupt nicht in ihr Leben passend. Sehr irgendetwas, das sie gerne näher erkunden würde.

Sie kamen an den Empfang, wo die Gästemanagerin Sam lächelnd begrüßte. „Guten Abend, Mr Reese. Darf ich Sie zu Ihrem Tisch führen?“

„Ein Mann mit einem eigenen Tisch“, murmelte Francesca. „Wow. Wenn man hier oft genug herkommt, erhält man dann auch andere Teile der Einrichtung?“

„Sicher. Letztes Jahr habe ich einen Stuhl und ein Sideboard bekommen.“

Sie lächelte. „Ich bin beeindruckt, dass Sie wissen, was ein Sideboard ist.“

„Ich bin ein sehr beeindruckender Typ.“

Sam legte seine Hand auf ihre und drückte sie sanft. Der leichte Druck, ganz zu schweigen von der Hitze seiner Berührung, ließ Francesca beinahe stolpern.

„Sie sind also sehr selbstbewusst“, merkte sie an, als sie ihren Tisch erreichten, der in einer lauschigen Nische stand. Einige große Topfpflanzen vermittelten eine gewisse Privatsphäre.

Sam ließ ihre Hand los und zog einen Stuhl für Francesca hervor. Als sie sich setzte, überlegte sie, wann das jemals jemand für sie getan hatte. Die Antwort war leicht.

Nie.

Sam ging um den Tisch herum und setzte sich ihr gegenüber. Die Gästemanagerin legte die Speisekarten auf den Tisch und ging.

„Immer.“

„Und was ist, wenn Sie sich nicht sicher sind? Täuschen Sie die Selbstsicherheit dann vor?“

Er beugte sich zu ihr. „Ich muss niemals etwas vortäuschen.“

„Man könnte meinen, diese ganze Prahlerei diene nur dazu, etwas zu verbergen.“

„Dann läge man falsch.“

Sie lachte. „Na gut. Ich merke schon, bei Ihnen muss ich auf der Hut sein. Ich bin froh, Psychologie studiert zu haben.“

„Das wird Ihnen nicht helfen.“

„Das sagen Sie nur, weil Sie kein Profi sind.“

„Und ob ich das bin.“

Der Kellner kam mit der Weinkarte. Sam wartete, bis er wieder gegangen war, bevor er die Karte zur Hand nahm. „Kennen Sie sich mit Wein aus?“

Francesca überlegte kurz. „Nicht so gut wie meine Schwester, aber ich werfe gern einen Blick in die Karte.“

Sam beobachtete, wie Francesca langsam durch die Karte blätterte. Ihre langen dunklen Haare wogten bei jeder Bewegung und fingen das gedämpfte Licht ein. Die tiefbraune Farbe erinnerte in nichts mehr an das Mausbraun von zuvor.

Francesca hatte die Brille, den Schwangerschaftsbauch und die wenig schmeichelhaften Klamotten abgelegt. Stattdessen trug sie nun ein schwarzes Kleid, das sich an ihre schlanken Kurven schmiegte und ihre langen, attraktiven Beine zeigte. Ihre Haut hatte einen hellen Olivton, der in diesem Licht beinahe leuchtend wirkte. Haselnussfarbene Augen – mit einem Stich ins Grüne – weiteten sich, als sie einen Eintrag las. Sie hatte einen Mund, der einen Mann in arge Schwierigkeiten bringen konnte, und Sam stellte fest, dass er gern herausfinden würde, was sie wohl anzubieten hätte.

Auf dem Weg zum Restaurant hatte er sich für die dumme Idee gescholten, diese Frau zum Dinner einzuladen. Anfangs hatte er ihr seine Hilfe angeboten, weil sie sie zu benötigen schien und er einfach nicht anders konnte.

Doch dann hatte er sie näher angeschaut und … Möglichkeiten in ihr gesehen.

Sie klappte die Karte zu und reichte sie ihm.

„Irgendetwas dabei, das Ihnen zusagt?“, fragte er.

„Ich überlasse Ihnen die Auswahl.“

„Ist das ein Test?“

„Vielleicht.“ Sie wandte sich der Speisekarte zu. „Können Sie etwas empfehlen?“

„Ja. Alles.“

„Wissen Sie schon, was Sie wollen?“

Er wartete, bis sie aufschaute, bevor er antwortete. „Ich weiß genau, was ich will.“

Die Worte erzielten die erhoffte Reaktion. Ihre Augen weiteten sich, und um ihren Mund, der zu sagen, schien: „Nimm mich, ich gehöre ganz dir“, zuckte es.

„Ein Punkt für Sie.“ Sie lächelte.

„Oh, zählen wir mit?“

„Ich denke, das werde ich wohl müssen.“

„Was bekommt der Sieger?“

„Was hätten Sie denn gerne?“ Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, hob sie abwehrend die Hand. „Tun Sie bitte so, als hätte ich das nicht gesagt.“

Er lachte leise. „Geht Ihnen das alles etwa zu schnell?“

„Ein wenig. Ich werde nicht fragen, ob es für Sie dasselbe ist. Ich schätze, ich weiß die Antwort schon.“

„Das war wenigstens ehrlich. Was würden Sie denn gerne essen?“

„Ich bin mir nicht sicher.“

„Sind Sie Vegetarierin?“

Sie runzelte die Stirn. „Nein. Wie kommen Sie darauf?“

„Hauptfach Psychologie. Eine gefühlsduselige Grenzwissenschaft. Das zieht viele Vegetarier an.“

Sie lachte auf. „Wie gut, dass Sie kein Mensch sind, der in Stereotypen denkt.“

„Das ist nicht mein Stil.“

„Ich frage lieber nicht, was dann Ihr Stil ist.“

„Ich würde es Ihnen mit Freuden verraten.“

„Darauf wette ich. Also, was werden Sie bestellen?“, fragte sie.

„Ein Steak.“

„Das ist aber ziemlich klischeehaft.“

„Ich kann nicht anders.“

Der Kellner trat an den Tisch und stellte ihnen die Tagesgerichte vor. Francesca entschied sich für ein überbackenes Hühnchengericht und Sam blieb bei seinem Steak. Dazu bestellte er eine Flasche Cabernet von Wild Sea Vineyards, einem örtlichen Weingut.

„Interessante Wahl“, bemerkte Francesca. „Der Wein, meine ich.“

„Der ist von hier, aus Kalifornien.“

„Ich weiß.“ Sie neigte den Kopf, in ihren braunen Augen spiegelten sich Emotionen, die er nicht deuten konnte. „Also, Sam Reese, warum haben Sie mich zum Abendessen eingeladen?“

„Das ist leicht zu beantworten. Sie haben mich reingelegt. Das passiert nicht sehr häufig. Ich war beeindruckt.“

„Von meiner Verkleidung?“

„Ja. Ich hätte Sie durchschauen müssen, hab ich aber nicht. Als Sie beinahe in Ohnmacht gefallen wären, hatte ich Angst, dass Sie Ihr Baby gleich dort im Büro bekommen würden.“

„Es wäre eine Schande, so einen schönen Teppich zu ruinieren.“ Sie lächelte. „Ich war ziemlich unattraktiv. Es überrascht mich, dass Sie nicht schreiend weggelaufen sind.“

Der Kellner kehrte zurück und zeigte Sam die Weinflasche. Als Sam nickte, entkorkte er die Flasche und goss einen kleinen Schluck in Sams Glas. Sam probierte.

„Sehr schön.“

Francesca wartete, bis der Kellner gegangen war, bevor sie den Wein ebenfalls probierte.

„Schmeckt er Ihnen?“, wollte Sam wissen.

„Wie Sie schon sagten, er ist sehr schön.“

Irgendetwas schwang in ihrer Stimme mit. Etwas, das er nicht deuten konnte. Klang sie amüsiert? Genervt? Beides?

„Warum haben Sie meine Einladung überhaupt angenommen?“, nahm er den Faden ihrer Unterhaltung wieder auf.

„Weil ich es wollte.“

Gute Antwort, dachte er und ließ seinen Blick zu ihrem sinnlichen Mund wandern.

„Erzählen Sie mir, was Sie beruflich machen“, bat sie. „Ich habe zwar ein schönes Büro mit vielen Zimmern gesehen, aber keine Hinweise auf Ihre Tätigkeit entdecken können.“

„Ich bin der Leiter von ‚Security International‘. Wir haben unseren Hauptsitz hier in Santa Barbara, operieren jedoch auf der ganzen Welt.“

„Was für eine Art von Security?“

„Personenschutz. Wir stellen Bodyguards, sowohl für Teilzeitprojekte als auch als Vollzeitangestellte. Außerdem haben wir eine Abteilung für Sicherheitsberatung und bilden die Bodyguards anderer Leute aus.“

Überrascht sah sie ihn an. „Wie in dem Film?“

Er wusste, was sie meinte. „Meine Leute werden gefeuert, wenn sie mit ihren Kunden ins Bett gehen.“

„Das ist aber sehr streng.“

„Sie werden dafür bezahlt, wachsam zu sein, und nicht dafür, sich flachlegen zu lassen.“

„Haben Sie irgendwelche berühmten Kunden?“

„Ja.“

Sie wartete einen Moment, dann lachte sie. „Sie werden mir wohl keine Namen verraten, was?“

„Nicht einmal einen Buchstaben.“

„Der riesige Kerl aus Ihrem Büro, Jason. Ist er einer Ihrer Bodyguards?“

Sam nickte.

„Er ist nicht gerade jemand, der sich unauffällig unter die Leute mischen kann.“

„Manchmal ist das genau das, was ein Kunde will.“

„Sind alle Ihre Bodyguards bewaffnet?“

„Sicher.“

„Sie auch?“

Er lächelte träge. „Vor allem ich.“

Sie nahm ihr Weinglas in die Hand. „Sogar jetzt?“

„Wollen Sie es sehen?“

Francesca würde darauf wetten, dass Sam in seinem ganzen Leben nicht länger als fünfzehn Minuten am Stück ohne eine Frau in seiner Nähe verbracht hatte. Ihre Aussage war eindeutig gewesen: Sie würde sich dem ersten geeigneten, attraktiven Mann an den Hals werfen, der ihren Weg kreuzte. Insgeheim hatte sie erwartet, dass es nervenaufreibend und irgendwie peinlich würde. Auf keinen Fall hätte sie gedacht, dass sie als Landei es mit einem aus der Profiliga zu tun bekäme.

„Ich bin nicht sicher, ob Sie das Personal hier verschrecken sollten.“ Sie schaute sich um. „Immerhin ist das hier eines der besseren Restaurants der Gegend, da sieht man so etwas bestimmt nicht gerne.“

Sie nippte an ihrem Wein, der gar nicht einmal so schlecht war – was sie ihrer Schwester aber niemals erzählen würde.

„Haben Sie Angst?“, fragte er. „Sie ist gesichert.“

Tz tz tz, als ob sie über eine Pistole sprechen würden. „Ich habe keine Angst. Ich bin lediglich vorsichtig und vernünftig.“ Sie stellte das Glas ab. „Wie lange sind Sie schon im Security-Bereich tätig?“

„Mein ganzes Leben. Die Firma ist von meinem Großvater gegründet worden.“

Mit Familienkonzernen kannte sie sich aus. „Haben Sie irgendwelche Geschwister, mit denen Sie die Verantwortung teilen?“

„Nein.“ Er zuckte mit den Schultern. „Mein Vater starb, als ich noch ein Kind war. Meine Mutter ist ihm vor ein paar Jahren gefolgt, aber wir haben uns nie nahegestanden. Jetzt gibt es nur noch meinen Großvater und mich.“

Der Kellner kam und servierte ihnen die Salate. Francesca betrachtete das kunstvolle Arrangement aus grünem Salat, Apfelspalten, Blauschimmelkäse und Walnüssen. In ihrem Kopf wirbelten die verschiedenen Möglichkeiten umher.

Verheiratet? Nein. Auf keinen Fall. So viel Pech durfte sie nicht haben. Es konnte nicht sein, dass der erste Kerl, den sie seit über drei Jahren anziehend fand, eine …

„Sie sind nicht verheiratet, oder?“, platzte es aus ihr heraus.

Sam hielt mitten in der Bewegung inne, die Gabel schwebte vor seinen Lippen in der Luft. Dann senkte er die Hand.

Francesca wappnete sich gegen einen Witz oder eine schneidende Bemerkung. Doch sein Gesichtsausdruck wurde einfach nur sehr ernst. „Wenn ich verheiratet wäre oder in einer festen Beziehung leben würde, hätte ich Sie nicht eingeladen.“

Erleichterung vermischte sich mit dem Geschmack des zart schmelzenden Käses. „Gut zu wissen.“

„Und Sie? Irgendwelche aktuellen oder ehemaligen Mr Marcellis im Umlauf?“

„Nein. Marcelli ist mein Mädchenname. Ich war vor vielen Jahren schon einmal verheiratet. Mein Mann ist jedoch gestorben.“

„Das tut mir leid. Sie müssen sehr jung geheiratet haben.“

„Mit achtzehn. Nach den verqueren Erwartungen meiner Familie war das genau das richtige Alter.“ Sie spießte ein Apfelstück auf. „Ich stamme aus einer italienisch-irischen Familie. Sehr groß, sehr traditionsbewusst. Wir sollen jung heiraten und uns reichlich vermehren.“

„Haben Sie Kinder?“

Sie unterdrückte ein Lächeln. „Nicht, dass ich wüsste.“

Er lachte. „Meine Ehe hat unter keinem guten Stern gestanden. Ich war gerade einmal zweiundzwanzig, frisch aus dem College und allein in Europa. Wir haben nicht einmal unseren ersten Hochzeitstag gemeinsam erlebt.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wir waren beide zu jung. Zum Glück hatten wir auch keine Kinder. Eine Scheidung ist für sie immer schwer.“

„Das stimmt.“

Er nahm sein Glas. „Schluss mit den ernsten Themen. Haben Sie vor, mich später zu verführen?“

Gut, dass Francesca gerade nichts getrunken hatte, sie hätte den Wein sonst quer über den Tisch gespuckt. Mal abgesehen von den Versprechen und Plänen, die sie in Gegenwart ihrer Schwestern geschmiedet hatte, war das hier immer noch ein erstes Date. Sie hatte vielleicht vor, sich kopfüber ins Ungewisse zu stürzen, aber doch nicht innerhalb der ersten Stunde.

Sie war sich ziemlich sicher, dass Sam sie bloß aufzog, aber nur für den Fall, dass in der Frage ein Hauch Wahrheit steckte, entschied sie sich für die reifste und vernünftigste Reaktion, die ihr einfiel.

Sie ignorierte die Frage.

„Ist Ihre Firma schon immer in Santa Barbara ansässig gewesen?“

Sam lachte leise. „Feigling.“

„Ha, ha. Und jetzt gehen Sie doch bitte liebenswürdigerweise auf den Themenwechsel ein.“

„Okay. Mein Großvater hat eine Zeit lang eine Zweigstelle in Los Angeles unterhalten, aber das Hauptquartier war immer hier.“

Sie sprachen darüber, wie sich die Stadt in den letzten zehn Jahren verändert hatte, dass Prominente den Schutz eines Bodyguards einerseits wollten und ihm andererseits oftmals unnötigerweise die Arbeit schwer machten, und über die verschiedenen Experimente, die Francesca während ihrer Forschung durchgeführt hatte.

Sam war fast fertig mit seinem Steak, als sein Blick auf ihr beinahe noch volles Glas fiel.

„Schmeckt Ihnen der Wein nicht?“

Sie berührte den Stiel ihres Glases. „Doch, er ist gut.“

„Francesca. Was verschweigen Sie mir?“

„Ich bin kein großer Freund des Wild Sea-Weinguts.“

„Warum nicht?“

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Haben Sie heute noch was vor?“

Vorhaben? Mit ihm? Na ja, wo er es gerade erwähnte …

Sie schob den Gedanken energisch beiseite. „Nein, eigentlich nicht.“

„Nun, ich kann mir auch keinen Ort vorstellen, an dem ich lieber wäre“, sagte er. „Also erzählen Sie mir die Geschichte.“

„Na gut.“ Das war wenigstens ein unverfängliches Thema ohne Doppeldeutigkeiten und ohne jeglichen Anflug von sexueller Spannung.

„Im Jahr 1923 kamen die beiden Freunde Antonio Marcelli und Salvatore Giovanni gemeinsam aus Italien nach Amerika. Als zweitgeborene Söhne hatten sie beide keinerlei Hoffnung, die Familienbetriebe zu Hause zu erben. Aber sie schworen ihren Eltern, dass sie in Amerika großen Erfolg haben würden. Sie ließen sich in Kalifornien nieder und kümmerten sich sorgfältig um die Schätze, die sie mitgebracht hatten.“ Sie legte eine kleine Pause ein und lächelte. „Weinreben.“

Sam lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Diese Frau barg eine Überraschung nach der anderen in sich. „Francesca Marcelli? Von den Marcelli-Weinen?“

„Genau die.“

Er deutete auf die Flasche, die auf dem Tisch stand. „Und der stammt von der Familie Giovanni, nehme ich an.“

„Stimmt genau. Die jungfräuliche Erde, die windumtosten Hügel, das milde Klima – das alles war perfekt, um Wein anzubauen. Antonio und Salvatore kauften aneinandergrenzende Grundstücke. Sie teilten sich die Arbeit, feierten ihre Erfolge und stießen gemeinsam mit ihrer ersten Ernte an. Als die Zeit gekommen war, kehrten sie nach Italien zurück, um zu heiraten, und kamen mit ihren Frauen wieder hierher nach Kalifornien. Das sollte der Anfang eines glücklichen und erfüllten Lebens sein. Wild Sea Vineyards und Marcelli Wines waren geboren. Antonio und Salvatore bekamen je einen Sohn und zwei Töchter.“

Sie machte eine Pause und trank einen Schluck Wasser. Sam beugte sich vor. „Sie haben diese Geschichte während Ihrer Kindheit oft gehört.“

„So ungefähr eintausend Mal.“

„Ihre Stimme verändert sich, wenn Sie über Ihre Familiengeschichte sprechen.“ Doch es war nicht nur ihre Stimme, die sich veränderte. Ihr Blick ging an ihm vorbei direkt in die Vergangenheit.

„Meine Großmutter spricht oft über die alten Zeiten. Ich schätze, ich wiederhole nur, was sie sagt.“

Sie atmete tief ein und fuhr fort: „Die Ereignisse im Europa der späten 1930er-Jahre bereiteten den beiden Freunden Kummer. Mit der deutschen Besetzung von Frankreich und den Drohungen gegen Italien während des Zweiten Weltkriegs gingen große Sorgen um den Zustand der Weinstöcke daheim einher. Würden Generationen gesunder Reben zerstört werden? Antonio und Salvatore reisten nach Europa, wo ihnen Freunde Ableger der Weinstöcke anboten. Sie fuhren weiter durch die Länder und sammelten immer mehr Ableger von den berühmtesten Weingütern Frankreichs und Italiens. Dann kehrten sie heim, um diese Ableger mit ihren stärksten Rebstöcken zu veredeln. Was auch immer in Europa geschähe, in Amerika würde die Tradition fortgesetzt.“

„Mir ist bereits aufgefallen, dass die Wild Sea-Weine einen etwas europäischen Geschmack haben“, warf Sam ein. „Aber auf die Marcelli-Weine trifft das meiner Meinung nach nicht zu.“

„Ich weiß.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Niemand weiß genau, was passiert ist oder warum. Anfangs entwickelten sich beide Weinberge gut, aber nach einer gewissen Zeit gingen die Reben auf dem Grundstück der Marcellis ein. Antonio beschuldigte Salvatore, sein Land verflucht oder seine Rebstöcke vergiftet zu haben. Die beiden Männer hatten einen großen Streit, der dazu führte, dass die Freundschaft zwischen ihnen und ihren Familien zerbrach. Bis zum heutigen Tag sind Marcelli Wines und Wild Sea Vineyards Erzfeinde.“

Die Geschichte gefiel ihm, aber irgendwie gefiel ihm alles, was Francesca zu erzählen hatte.

„Gab es auch Blutvergießen?“, wollte er wissen.

„Nein, das ist nicht unser Stil.“ Sie lächelte. „Wir sind mehr die Typen für hitzige Diskussionen. Mein Großvater, Antonios Sohn, hat das meiste Interesse daran, die Fehde aufrechtzuerhalten. Meine Eltern waren an diesem alten Streit nie besonders interessiert, und meine Schwester und ich stehen dem Ganzen relativ neutral gegenüber.“

„Wer leitet Wild Sea heute?“

„Salvatores Urenkel Nicholas.“ Sie berührte die Flasche mit ihren Fingerspitzen. „Ihr Geschäft floriert, seitdem sie die neuen europäischen Reben anbauen. Wir führen zwar ein erfolgreiches Unternehmen, doch sie besitzen ein internationales Konglomerat.“

„Wie kommt es, dass Sie Psychologie studieren und nicht Weinwirtschaft?“

„Grandpa Lorenzo sagt, der Weinanbau muss mit Leidenschaft betrieben werden. Doch die konnte ich nie aufbringen. Meiner Schwester Brenna hingegen liegt es im Blut.“

Der Kellner räumte ihre Teller ab. Dankend lehnte Francesca ein Dessert ab. Sam reichte dem Kellner seine Kreditkarte.

„Vielen Dank fürs Essen“, sagte Francesca, als sie wieder allein waren. „Ich habe den Abend sehr genossen.“

„Ich auch.“ Sam lächelte. „Ich würde Sie gerne wiedersehen.“

Ein heißes Kribbeln breitete sich in ihrer Magengegend aus. „Ich Sie auch.“

„Wie wäre es mit morgen Abend? Außer Sie haben schon andere Pläne.“

Sie nahm an, dass sie so tun sollte, als wäre sie viel gefragt. Das behauptete ihre kleine Schwester Mia zumindest immer. Doch Francesca war noch nie sonderlich gut darin gewesen, Anweisungen zu befolgen.

„Morgen passt mir gut.“

Sam zog eine Visitenkarte aus seiner Sakkotasche und schrieb etwas auf die Rückseite. „Meine Privatnummer“, sagte er und reichte ihr die Karte. Dann nahm er eine weitere Karte zur Hand. „Und Ihre?“

Sie diktierte ihm die Nummer. Dann schaute sie sich die Vorderseite seiner Visitenkarte an. Ihr Blick blieb an dem Titel hängen, der unter seinem Namen stand.

Präsident und CEO.

„Sie leiten die Firma.“ Sie versuchte, nicht in Panik zu verfallen. Natürlich tat er das, das hatte er doch schon gesagt. Würde das jetzt alles ändern?

„Ja, bereits seit ein paar Jahren.“

Sie hob den Kopf und schaute ihn an. „Wie alt sind Sie?“

„Vierunddreißig.“

In diesem Augenblick wurden sie vom Kellner unterbrochen, der Sam seine Kreditkarte zurückgab und ihm den Beleg zum Unterschreiben reichte.

Nachdem Sam seine Unterschrift getätigt hatte, warf er Francesca einen Blick zu. „Habe ich es geschafft, sie zu Wild Sea-Weinen überlaufen zu lassen?“

Sie lachte leise. „Wohl kaum. Ich bin nicht sicher, ob ich jemals zuvor einen Wild Sea-Cabernet getrunken habe. Er war ehrlich gesagt ziemlich gut. Allerdings werde ich das meinem Großvater gegenüber niemals zugeben.“

„Er würde Sie vermutlich aus seinem Testament streichen.“

„Oder mich aus der Familie verstoßen.“

Sam steckte die Quittung in seine Sakkotasche, dann stand er auf und stellte sich hinter Francescas Stuhl. Als sie sich erhob, zog er den Stuhl, ganz Gentleman, nach hinten und stützte sie mit einer Hand am unteren Rücken ab.

Sie spürte die Wärme seiner Handfläche und Finger durch den Stoff bis auf die Haut und musste den Impuls unterdrücken, näher an ihn heranzurücken.

Der Parkplatzwächter, der aussah wie ein Surfer, empfing sie am Ausgang. Er salutierte kurz vor Sam und zeigte dann die Straße hinunter. Francesca schaute in die entsprechende Richtung und sah ihren Truck direkt hinter einer glänzenden silberfarbenen Limousine stehen. Sam hielt seine freie Hand auf, und der Parkplatzwächter ließ die beiden Autoschlüssel hineinfallen.

„Er wird uns unsere Autos nicht bringen?“, fragte sie verwirrt.

Sam reichte ihr den Truckschlüssel und steckte den anderen in seine Tasche.

„Ich habe veranlasst, dass unsere Autos dort hinten geparkt werden.“

„Warum?“

„Das ist etwas geschützter als hier vor dem Restaurant. Ich möchte schließlich keine Zuschauer, wenn ich Ihnen einen Gutenachtkuss gebe.“

3. KAPITEL

Francesca sagte sich, dass es sehr positiv war, wenn ein Mann derart vorausschauend handelte. Stattdessen fühlte sie sich mit einem Mal unsicher, nervös, tollpatschig und ein kleines bisschen kribbelig. Diese seltsame Mischung aus Besorgnis und Vorfreude vertrug sich nicht sonderlich gut mit ihrem überbackenen Hühnchen.

Die Hand, die auf ihrem unteren Rücken ruhte, dirigierte sie langsam die Straße hinunter. Zwischen ihrem Truck und seiner Limousine blieb Sam stehen. Francesca musste zugeben, dass es hier wirklich sehr geschützt war. Und ruhig. Sehr ruhig. Die Stimmen der Gäste aus dem Restaurant waren nur noch als gedämpftes Murmeln zu vernehmen. Irgendwo erklang Musik aus einem Radio. Die Nacht war warm und klar. Alles war perfekt – bis auf ihr plötzliches Bedürfnis, sich zu übergeben.

Was sich im Gespräch mit ihren Schwestern vernünftig, ja sogar nach Spaß angehört hatte, nämlich Sex mit einem völlig Fremden zu haben, kam ihr nun vollkommen verrückt vor. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Wenn sie einen Kopfsprung ins kalte Wasser machte, würde sie lediglich nass – und vielleicht sogar von der Brandung mitgerissen. Gut, Swimmingpools hatten normalerweise keine Brandung, aber trotzdem. Sie waren …

Sam umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen, beugte sich vor und küsste sie. Einfach so. Da sie ihre Handtasche in der einen und ihre Autoschlüssel in der anderen Hand hielt, konnte sie nicht mehr tun, als ihre Hände ein wenig hin und her zu drehen. Sehr attraktiv. Wenn sie nur ein kleines bisschen …

Nerven, die schon zu lange untätig gewesen waren, erwachten mit einem Jubelschrei zum Leben. Die intellektuelle Wahrnehmung dessen, was sie tat, machte den Gefühlen Platz, die sie schlagartig durchströmten. Sam küsste sie. Seine warmen, festen Lippen strichen über ihre, bewegten sich langsam, erkundeten, berührten sie. Sie spürte, wie die Wärme, die er ausstrahlte, sich auf sie übertrug. Seine langen Finger strichen über ihre Wangen, dann ließ er seine Hände auf ihre Schultern sinken. Sie fühlte sich gleichzeitig schwach und so lebendig wie nie. Nichts auf der Welt hätte sie jetzt dazu bringen können, sich zu bewegen. Sie wollte, dass dieser Kuss nie endete.

Sam neigte den Kopf und intensivierte den Kuss. Ein Kribbeln erfasste ihren gesamten Körper und ließ ihr Herz schneller schlagen. Zum ersten Mal seit Jahren erinnerte sie sich daran, dass ihre Brüste auf so köstliche Weise empfindlich waren. Ihre Haut kribbelte in Erwartung seiner Berührung. Von Leidenschaft übermannt, erkannte sie, dass sie sich nach dieser Art der Intimität seit gefühlten drei Lebenszeiten gesehnt hatte.

Zärtlich strich er mit der Zunge über ihre Unterlippe. Ein Schauer lief über ihren Rücken und löschte das letzte bisschen gesunden Menschenverstand aus, das sie bis dahin noch besessen hatte. Sie hob eine Hand – die mit den Autoschlüsseln – und schlang ihren Arm um seinen Hals, wozu sie sich auf Zehenspitzen stellen musste. Sam reagierte, indem er sie näher an sich zog, sodass sie sich überall berührten.

Seine Härte an ihrer Weichheit. Sie hatte diese Worte schon tausend Mal gehört und in Büchern gelesen, aber niemals zuvor hatten sie so viel Sinn ergeben. Jeder Teil von ihm war hart, fest und unnachgiebig. Ihre Kurven passten sich ihm an. Sie fühlte sich weich und sehr weiblich. Sie fühlte sich sicher. Als er erneut über ihre Unterlippe leckte, öffnete sie den Mund, um ihn einzulassen.

Bei der ersten Berührung ihrer Zungen fühlte sie sich, als könnte sie fliegen. Bei der zweiten loderte ein Feuer in ihr auf, das sie zu verschlingen drohte. Eine Hitze ohne Flammen, die sie an den Rand des Wahnsinns trieb. Diese Gefühle waren vollkommen neu für sie. Irgendetwas musste sie in der Vergangenheit beim Küssen falsch gemacht haben – oder sie machte dieses Mal irgendetwas sehr richtig.

Sie wollte mehr. Sie wollte alles. Sie wollte, dass er sie küsste, bis sie nicht mehr denken, nicht mehr atmen, gar nichts mehr tun konnte, außer zu fühlen, zu wollen und sich zu verzehren.

Seufzend versuchte sie, sich näher an ihn zu drängen. Als das nicht möglich war, begann sie, seinen Kuss zu erwidern. In genau dem Moment trat Sam einen Schritt zurück und zwang sie so, ihren Arm um seinen Hals zu lösen.

„Straße“, stieß Sam heiser aus und machte noch einen Schritt rückwärts.

Fragend sah Francesca ihn an. „Straße?“

Seine goldbraunen Augen wirkten dunkler als zuvor und gleichzeitig strahlender. Seine Lippen waren feucht, was ihn extrem sexy aussehen ließ. Verlangen packte sie.

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Wir stehen auf der Straße.“

Okay. Und wieso genau war das wichtig?

Dann wurde sie sich langsam ihrer Umgebung bewusst. Sie schaute sich um und sah, dass mehrere Häuser und Autos in der Nähe standen. Menschen gingen mit ihren Hunden Gassi oder kamen aus dem Restaurant.

„Ich schätze, du hast recht …“ Sie verstummte, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Einzugestehen, dass sie von der Leidenschaft übermannt worden war, wäre peinlich – wenn nicht ihm, dann ganz gewiss ihr.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er.

In Ordnung? Ihr ging es ganz hervorragend. Ihr ging es sogar so gut, dass sie eine Opernarie hätte anstimmen können.

Doch sie schenkte ihm lediglich ein kühles, selbstsicheres Lächeln, das ausdrücken sollte, dass sie so etwas andauernd tat. „Oh ja, alles gut.“

Dann drehte sie sich um und ging zur Fahrertür ihres Trucks. Die Weltgewandtheit, die sie bis eben noch so gut vorgetäuscht hatte, fiel in sich zusammen, als sie das Schloss verfehlte und den Schlüssel beinahe durchs Türblech gestoßen hätte.

Sie spürte, dass sie errötete. „Hups“, murmelte sie.

„Francesca?“

Sie schaute über die Schulter und sah Sam hinter sich stehen.

„Ich rufe dich morgen Nachmittag an, damit wir eine Zeit für morgen Abend vereinbaren können. Wirst du zu Hause sein?“

Zu Hause? Sie würde vermutlich zusammengerollt auf dem Sofa liegen und den besten Kuss seit Kelly McGillis und Tom Cruise in Top Gun in allen Einzelheiten nacherleben. „Klar. Ich muss ja an meiner Dissertation arbeiten.“

„Dann bis morgen.“

Sie nickte und kletterte in den Truck. Sam kam näher.

„Danke für den heutigen Abend“, sagte er und drückte vorsichtig die Tür ins Schloss.

Sie wollte auch etwas Nettes oder wenigstens etwas Cleveres sagen. Aber in ihrem Kopf herrschte noch immer das reinste Chaos. Also begnügte sie sich mit einem Winken, startete dann den Motor und lenkte den Wagen auf die Straße.

Auf der nächsten Kreuzung fing sie an, ein flottes Lied von Toscanini zu summen.

In dieser Nacht schlief Francesca nur wenig und wachte beim ersten Sonnenstrahl am Morgen auf. Deshalb brauchte sie auch eine halbe Kanne Kaffee, um ihr Gehirn einigermaßen in Schwung zu bringen.

Als sie wieder in der Lage war, in ganzen Sätzen zu denken, räumte sie den Stapel Bücher vom Küchentisch, schnappte sich ein Blatt Papier und fing an, ihre To-do-Liste zu erstellen.

Zuerst kamen die üblichen Aufgaben wie Wäsche waschen, Lebensmittel einkaufen – bei ihrem Budget immer eine Herausforderung – und staubsaugen. Dann die grobe Struktur für ihre Dissertation erstellen – etwas, das sie schon vor zehn Tagen hätte tun sollen, aber immer wieder aufgeschoben hatte. Und schließlich der feste Entschluss, nicht an Sam zu denken, an ihr gestriges Date, ihr heutiges Date und den versprochenen Anruf.

Ihr war ein wenig schwindelig. Sie fühlte sich lebendig und völlig im Einklang mit dem Universum. In ihrem Unterleib machte sich ein deutliches Kribbeln bemerkbar. Ihre Weiblichkeit, die sich im Winterschlaf befunden hatte, bevor sie Sam begegnet war, tanzte aus Vorfreude auf künftige Aktivitäten Salsa.

Du weißt doch noch gar nicht, ob er wirklich mit dir schlafen will, rief sie sich streng zur Ordnung, während sie sich die vierte Tasse Kaffee eingoss. Ein Kuss macht noch keine körperliche Beziehung.

Stimmt. Aber es war ein umwerfender Kuss gewesen. Einer, der einen nationalen Feiertag verdient hatte oder wenigstens eine eigene Briefmarke.

Sie dachte daran, wie Sam sie an sich gezogen und die Führung übernommen hatte. An das Gefühl von seinen Lippen auf ihren. An seinen Geschmack, die Hitze, die …

Ein Klopfen unterbrach ihre Gedanken. Widerstrebend verbannte Francesca den nicht jugendfreien Film aus ihrem Kopf und ging zur Tür. Als sie sie öffnete, stand sie Mia, ihrer jüngsten Schwester, gegenüber.

„Ich wollte mich nur verabschieden.“ Mia trat ein. „Hast du einen Kaffee? Und irgendetwas zum Frühstück? Ich bin am Verhungern.“

Francesca lachte. „Bist du sicher, dass das alles ist, was du brauchst? Wie wäre es mit Geld? Willst du ein Darlehen?“

Mia umarmte sie. „Auf gar keinen Fall. Du bist doch pleite.“

Mit dieser fröhlichen Bemerkung machte sie sich auf den Weg in die Küche.

Francesca folgte ihr und lehnte sich gegen den Türrahmen. Mia goss sich einen Becher Kaffee ein und fügte einen großzügigen Schuss Milch dazu. Sie nahm einen Schluck, stellte die Tasse dann auf die Arbeitsfläche und öffnete den Gefrierschrank.

„Hat Brenna keine Donuts hiergelassen?“, fragte sie, während sie sich durch ein paar Tupperdosen mit gefrorenen Vorspeisen wühlte – Ravioli, die Grandma Tessa geschickt hatte – und auf eine Notfallportion Ben & Jerry’s stieß.

„Ich glaube nicht.“ Francesca schüttelte den Kopf.

Mia hielt ihr einen in Folie gewickelten Behälter hin. „Guckst du denn so etwas gar nicht nach? Ich meine, Brenna hat nach der Trennung von Jeff beinahe einen Monat bei dir gewohnt. Ist es dir da nicht mal in den Sinn gekommen, dass sie ein paar Donuts eingefroren hat?“

„Ehrlich gesagt nein.“

„Für jemanden mit einem Studienabschluss in Psychologie weißt du erstaunlich wenig über deinen Zwilling.“

Francesca lachte. „Ich dachte, sie hätte die Donuts mitgenommen.“

„Hm-mh.“

Mia wickelte die Krispy Kremes aus und ließ sie auf ein Haushaltstuch gleiten. Dann packte sie sie in die Mikrowelle und wählte das Auftauprogramm für fünfzehn Sekunden.

Summend und wackelnd erwachte das alte Gerät zum Leben. Mia runzelte die Stirn.

„Ist das noch sicher? Oder werden wir uns jetzt radioaktive Verbrennungen zuziehen?“

„Ich denke nicht, dass Mikrowellen Radioaktivität freisetzen.“

Mia wollte das Risiko lieber nicht eingehen und trat einen Schritt zurück. Francesca grinste.

Als die Uhr piepte, zog Mia das Haushaltstuch heraus und trug es zum Tisch. „Komm“, sagte sie. „Ich teile mit dir.“

„Das will ich doch hoffen. Wenn Brenna Essen im Haus zurückgelassen hat, gehört es rechtlich gesehen mir.“

Mia schnappte sich ihren Kaffee und zog sich einen Stuhl heran. Trotz der relativ frühen Stunde an einem Samstagvormittag sah sie wach und erholt aus. Ihre Augen waren klar und strahlten. Ihr dunkles Haar hatte frische honigfarbene Strähnen, und ausnahmsweise trug sie einmal nicht so übertrieben viel Make-up, dass sie den Neid eines Las-Vegas-Showgirls auf sich gezogen hätte.

Francesca setzte sich ihr gegenüber und nahm sich einen der dampfenden Donuts.

„Wo ist dein Gesicht?“, fragte sie.

Mia rümpfte die Nase. „Mom hat mich gebeten, während meiner Zeit in D. C. nicht wie eine Schlampe auszusehen. Das waren ihre exakten Worte. Sehe ich für dich wie eine Schlampe aus?“

Francesca musterte die hübschen Gesichtszüge, die runden Wangen und den zu einem Grinsen verzogenen Mund ihrer Schwester. „Heute nicht.“

Mia knüllte das Haushaltstuch zusammen und warf es nach ihr. „Katie macht mir wegen meines Make-ups auch ständig die Hölle heiß. Ich denke, das liegt daran, dass ihr alle schon so alt seid. Ihr seid nur neidisch.“

„Ja, ich bin sicher, daran liegt’s.“

Mia schluckte das letzte Stück Donut hinunter und griff nach dem nächsten. „Mein Flug geht morgen ganz früh. Mom und Dad fahren mich heute Nachmittag nach L. A., und ich übernachte im Airport Hotel. Videokanal und Zimmerservice. Hast du Lust mitzukommen? Das geht auf sie. Und sag nicht, dass du nicht schnorrst. Das hier ist etwas anderes.“

Francesca war mehr wegen ihrer Verabredung besorgt als darüber, ihren Eltern auf der Tasche zu liegen. „Ich weiß, dass es etwas anderes ist.“

Mia verdrehte die Augen. „Du bist so stur. Mom und Dad würden dir nur zu gerne finanziell aushelfen. Warum lässt du sie nicht? Ich bin auf dem College und mir helfen sie auch. Soll ich mich deswegen schuldig fühlen?“

Es war eine vertraute Diskussion. „Natürlich nicht. Mia, du bist achtzehn, du bist begabt, und natürlich wollen unsere Eltern dir dein Studium finanzieren.“

„Na und, dann bist du eben alt. Das heißt doch aber nicht, dass sie dir nicht helfen würden.“

„Ich werde den Teil mit dem ‚alt‘ ignorieren“, gab Francesca zurück. „Ich war verheiratet. Ich habe schon allein gelebt. Es war meine Entscheidung, noch einmal aufs College zu gehen, nachdem Todd gestorben ist. Für mich ist es wichtig, das selbst zu bezahlen. Ich will unabhängig sein – das ist auch einer der Gründe, warum ich meinen Mädchennamen wieder angenommen habe.“

„Man würde meinen, der alte Furzkopf hätte dir wenigstens ein paar Dollar hinterlassen“, grummelte Mia.

„Ja, das würde man“, stimmte Francesca zu. „Aber das hat er nicht und mir geht es gut.“

Mia schaute sich in der winzigen Küche um. „Wenn du meinst.“

„Ja, meine ich. Und jetzt lass uns über dich sprechen. Bist du schon aufgeregt wegen Washington?“

Mia rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. „D. C. ist so riesig. Ich wünschte immer noch, ich könnte meinen Sprachkurs in Japan machen, aber das hier ist fast genauso gut. Ich nehme an, wenn ich gerade nicht studiere, hänge ich ein wenig am Capitol ab und schnappe mir ein paar schnuckelige Kongressmitarbeiter.“ Sie trank einen Schluck Kaffee. „Ich meine, immerhin muss ich mich von einem gebrochenen Herzen erholen.“

Francesca schüttelte den Kopf. Mia hatte zwar erst vor Kurzem ihre Verlobung gelöst, aber ein gebrochenes Herz war weit und breit nicht in Sicht.

„Du scheinst die Erholungsphase schon abgeschlossen zu haben“, stellte sie fest.

„Ja, kann sein. Was bedeutet, es war die richtige Entscheidung, David nicht zu heiraten, oder? Und, was hast du heute noch so vor?“

„Das Übliche. Erledigungen.“ Sie zeigte auf die angefangene Liste, die auf dem Tisch lag.

Mia nahm sie in die Hand.

Genau zwei Sekunden später bemerkte Francesca ihren Fehler. Mia brauchte noch fünf Sekunden länger. Ihr Mund öffnete sich, sie stieß einen verächtlichen Laut aus und lachte dann erstickt auf.

„Du musst dein Diaphragma überprüfen? Irgendwie fürchte ich, dass du damit nicht die medizinische Bezeichnung fürs Zwerchfell meinst.“

Das ist mir nicht peinlich, das ist mir nicht peinlich, redete Francesca sich gut zu. Sie griff über den Tisch, um sich die Liste zu schnappen, doch Mia hielt sie außer Reichweite.

„Oh nein. Auf keinen Fall. Erst erzählst du mir, was es damit auf sich hat. Dann gebe ich sie dir zurück.“

„Meinetwegen. Ist keine große Sache.“ Sie nahm einen Donut in die Hand und biss ab.

Mia starrte sie an. „Das reicht mir nicht. Ich will Einzelheiten. Fang am Anfang an und sprich schön langsam.“

Francesca nahm an, dass es keinen Sinn hatte, das Unausweichliche hinauszuzögern. Mia hatte den typischen Dickkopf aller Marcelli-Schwestern. „Als ich mit Todd verheiratet war, habe ich die Pille nicht vertragen. Also habe ich angefangen, ein Diaphragma zu tragen. In den letzten Jahren gab es nur ein oder zwei Mal Anlass, es zu entstauben, und deshalb habe ich mich gefragt, ob es hier noch irgendwo herumfliegt.“

Mia ließ die Liste sinken und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Du bist so eine Lügnerin.“

Francesca nickte. „Ich weiß. Ich habe nur überprüfen wollen, ob ich inzwischen besser geworden bin. Was meinst du?“

„Kein Stück. Also los spuck’s endlich aus.“

„Nachdem Brenna wieder bei mir ausgezogen ist, haben sie, Katie und ich uns getroffen und geredet. Besser gesagt, wir haben Wein getrunken und zu viele Kekse gegessen, aber das ist eine andere Geschichte.“

Mia zog eine Schnute. „Verdammt, wieso bin ich bei den wirklich lustigen Sachen nie dabei? Ihr hängt immer zusammen rum und ladet mich nie ein. Ich hasse das. Das liegt nur daran, dass du und Brenna Zwillinge seid und Katie lediglich ein Jahr älter ist. Ich bin nur das Anhängsel.“

„Tut mir leid, Mia. Das war keine Absicht. Und nur fürs Protokoll: Wir lieben dich über alles. Du bist kein Anhängsel.“

„Okay, vielleicht nicht. Aber das macht es nicht weniger doof. Also erzähl mir, was passiert ist.“

Francesca trank noch einen Schluck Kaffee. „Wir haben über die Jungen gesprochen, die wir in der Highschool mochten, mit denen wir aber nicht geschlafen haben. Und wir sprachen über Jeff, Todd und Zach. Brenna und Katie haben mich dann damit aufgezogen, dass ich seit drei Jahren kein Date mehr hatte.“

„Oder Sex“, ergänzte Mia.

„Das auch, ja. Na ja, ich hab an diesem Tag mehr oder weniger versprochen, mit dem erstbesten normalen Typen ins Bett zu gehen, den ich treffe.“

Mia riss die Augen auf. „Also willst du jetzt einfach auf gut Glück durch die Nachbarschaft streifen?“

„Nein. Ich habe gestern jemanden kennengelernt. Ich habe gearbeitet und …“

Mia stöhnte und legte die Stirn auf die Tischplatte. „Bitte. Sag mir nicht, du warst das tätowierte Bikergirl. Bitte.“

„Nein, war ich nicht. Ich war schwanger.“

Mia richtete sich auf und schluckte sichtlich. „Das ist eklig. Er hat eine Schwangere um eine Verabredung gebeten? Was stimmt nicht mit ihm?“

„Nach allem, was ich bisher weiß, ist mit ihm alles in Ordnung. Er hat mir geholfen. Wir sind in sein Büro gegangen, wo ich schließlich solche Schuldgefühle bekam, dass ich ihm die Wahrheit erzählt habe.“

„Wie hat er das denn geschafft?“

Francesca zuckte mit den Schultern. „Er war einfach sehr nett.“

„Wow. Nett. Das muss echt schmerzhaft gewesen sein. Sag mir wenigstens, dass er gut aussieht.“

„Oh ja. Wirklich gut.“ Sie griff nach ihrer Tasche und holte Sams Visitenkarte heraus, um sie Mia zu geben.

Ihre Schwester nahm sie und las. „Präsident und CEO? Okay, ich nehme den Kommentar zurück, dass er eklig ist.“ Sie legte die Karte auf den Tisch. „Wenn du jetzt erst nach deinem Diaphragma suchst, nehme ich an, dass ihr es gestern Abend nicht getan habt.“

Francesca war schockiert. „Ich habe beim ersten Date keinen Sex.“

Mia wirkte nicht sonderlich beeindruckt. „Das weißt du doch gar nicht. Um das herauszufinden, müsstest du erst mal wieder anfangen auszugehen.“

„Guter Punkt. Okay. Nein, wir haben es nicht getan. Wir haben uns nur geküsst.“

„Und?“

„Es war eine religiöse Erfahrung.“

Mia kicherte. „Gut so, Schwester.“ Sie neigte den Kopf. „Lass mich raten. Er ist der Grund, warum du mich nicht für eine Nacht mit Filmen und Zimmerservice nach Los Angeles begleiten kannst?“

„Richtig. Wir sind verabredet.“

„Ich bin stolz auf dich.“ Mia stand auf und streckte sich. „So, dann lass uns mal dein Diaphragma suchen. Ich will sehen, wie so etwas aussieht, und du solltest den Umgang damit noch mal üben. Denn für mich klingt das ganz so, als würde heute jemand noch großes Glück haben.“

Francesca folgte ihr ins Schlafzimmer. „Ich dachte, Männer haben Glück und Frauen lassen einen ran.“

„Wie auch immer.“ Mia ließ sich aufs Bett fallen. „Los fang an zu suchen.“

Francesca ging zu ihrer Kommode, zog aber keine der Schubladen auf. Sie hatte das Diaphragma aus einem Impuls heraus auf die Liste geschrieben. Sie hatte doch nicht wirklich vor, mit Sam zu schlafen, oder? Als sie Todd geheiratet hatte, war sie noch Jungfrau gewesen, und nach seinem Tod hatte es für sie keinen Sex mehr gegeben. Das hatte verschiedene Gründe gehabt, von denen die meisten sich hervorragend als Thema für ihre Dissertation eignen würden.

Ja, sie hatte es ihren Schwestern versprochen, und, ja, das Versprechen zu halten war der einzige Weg, wieder aufs Dating-Karussell aufzuspringen, aber trotzdem. Sex mit einem Fremden? Sie rief sich in Erinnerung, dass einfacher Sex immer noch besser war als eine komplizierte Beziehung.

Mia stöhnte. „Ich höre förmlich, wie du es dir selbst ausredest. Komm schon, Francesca, das wird lustig.“

„Das weißt du doch gar nicht.“

„Doch weiß ich sehr wohl.“ Sie drehte sich auf den Bauch. „Vertrau mir. Ein Leben mit Sex ist ziemlich aufregend.“

„Ich kann nicht glauben, dass ich mir zu diesem Thema Ratschläge von meiner achtzehnjährigen Schwester anhören muss.“

„Und ich kann nicht glauben, dass meine siebenundzwanzigjährige Schwester diese Ratschläge braucht. So, und jetzt fang endlich an zu suchen.“

Francesca musste nicht suchen. Sie wusste genau, wo das fragliche Objekt war. Stirnrunzelnd zog sie die oberste Schublade auf und räumte einen Stapel Socken beiseite. Der schmale blaue Kasten lag in der hintersten Ecke.

Als sie ihn aus der Schublade nahm, setzte Mia sich auf. „Wie funktioniert das Ding?“

„Es bildet eine Sperre gegen eindringende Spermien“, erklärte Francesca. „Man verteilt erst ein Gel darauf, dann klappt man es auf die Hälfte zusammen und führt es ein.“

Zweifelnd schaute Mia drein.

Francesca öffnete das Kästchen und nahm das Diaphragma heraus. Mia sah es sich genau an.

„Bist du sicher, dass du die Pille nicht verträgst?“, wollte sie wissen.

„Ich weiß nicht. Damals habe ich sehr heftig darauf reagiert. Das Problem ist, selbst wenn ich sie inzwischen vertrage, müsste ich warten, bis ich einen Termin beim Arzt bekomme, um sie mir verschreiben zu lassen.“

„Ja, und dann musst du warten, bis deine Regel einsetzt. Mist.“ Sie stupste gegen das Diaphragma. „Ich schätze, das könnte schon funktionieren, aber ich muss dir sagen, es einzusetzen wird ein echter Stimmungskiller.“

Über den Teil hatte Francesca noch gar nicht nachgedacht. „Hm. Da hast du recht. Ich nehme an, ich kann es einsetzen, bevor ich das Haus verlasse, aber das kommt mir so … unanständig vor. Als wenn ich fest davon ausgehe, dass etwas passiert.“

Es gibt so vieles zu bedenken, dachte sie auf dem Weg ins Badezimmer, wo sie das Diaphragma unter den Wasserhahn hielt und abspülte.

Mia folgte ihr. „Und tust du das nicht?“

Francesca lachte. „Ich will es zumindest nicht zugeben.“ Sie mochte Sam. Der gestrige Abend war schön gewesen. Und der Kuss – nun ja, sie hatte bereits ausreichend Zeit damit verbracht, ihn in Gedanken nachzuerleben. War sie bereit, den nächsten Schritt zu gehen? Würde sie …

„Das ist bestimmt nicht richtig“, unterbrach Mia ihre Gedanken.

Francesca schaute sich das Diaphragma an. Sie hatte es mit Wasser gefüllt, das jetzt langsam in der Mitte heraustropfte. Panik erfasste sie.

„Nein“, murmelte sie. „Es darf kein Loch haben.“

„Wie alt ist das Ding denn?“

„Ich habe es im ersten Jahr meiner Ehe bekommen.“

Mia schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass so etwas neun Jahre lang halten soll, Schwesterherz.“

Francesca schüttete das Wasser aus und hielt das Diaphragma gegen das Licht. Tatsächlich, da waren drei kleine Löcher. „Na toll. Da entschließe ich mich endlich, mein Zölibat aufzugeben, und das ist der Dank dafür.“

„Ist doch nicht so schlimm“, meinte Mia. „Der Mann sollte sowieso ein Kondom benutzen. Achte nur drauf, dass er es wirklich tut. Oder besser noch zwei übereinander.“

Francesca warf das Diaphragma ins Waschbecken und ließ sich auf den Badewannenrand sinken. „Das ist einfach nicht fair.“

Mia hockte sich neben sie. „Ist doch keine große Sache. Wirklich nicht. Kondome sind sehr sicher. Und wenn du dir zu große Sorgen machst, dann schlaf einfach nicht mit ihm. Das löst das Problem auch. Am Montag kannst du dann zum Gesundheitszentrum auf dem Campus gehen und dort mit jemandem sprechen. Vielleicht kannst du etwas Zeitgemäßeres auf dem Verhütungssektor ausprobieren.“

Francescas Laune besserte sich. „Gute Idee. Ich muss ja nicht mit Sam schlafen. Ich kann einfach Nein sagen.“

„Noch nicht“, sagte Grandpa Lorenzo, als sie durch Reihen von Cabernet Sauvignon gingen. „Noch nicht“ bedeutete, der Wein hatte noch nicht angefangen zu reifen.

Brenna Marcelli nahm die erbsengroßen grünen Trauben kaum wahr. Stattdessen erfüllte eine sanft abfallende Landschaft ihren Geist. Eine Landschaft, die inmitten einer kühlen Meeresbrise lag, eingebettet zwischen Hügeln, die das frühe Morgen- und das späte Nachmittagslicht abhielten. Ein Ort, auf dem morgens dichter Nebel lag. Perfekte Bedingungen für den qualitativ hochwertigen Pinot Noir, der dort wuchs. Perfekt und vielleicht auch zu verkaufen.

Sie war bereits zwei Mal daran vorbeigefahren, hatte aber nicht die Nerven besessen anzuhalten. Denn beim Anblick des Landes würde sie nur wieder anfangen, von anderthalb Hektar perfektem Land zu träumen, die sie nie besitzen würde. Sie hatte nicht das Geld und wusste, dass es zwecklos war, ihren Großvater zum Kauf des Weinbergs überreden zu wollen.

Vermutlich ist es ganz gut so, dachte sie grimmig. Warum mehr Land kaufen, wenn es Gerüchte gab, dass ihr Großvater Marcelli Wines verkaufen wollte? Die Gerüchte hielten sich nun schon eine ganze Weile sehr hartnäckig.

„Wann beginnt die Flaschenabfüllung?“, fragte er und hockte sich vor eine Gruppe junger Trauben, die noch nicht zu reifen begonnen hatten. Der Cabernet wurde immer als Letzter gepflückt.

„Mitte der Woche“, sagte sie. „Zu dem Termin haben wir auch die Helfer gebucht.“

„Bist du bereit?“

Brenna dachte an den umfangreichen Prozess der Flaschenabfüllung. Die verschiedenen Maschinen waren durch Förderbänder miteinander verbunden, die sich durch die Halle wanden wie eine Schlange, die Rumba tanzt. Die Flaschen klirrten und klangen, wurden mit Druckluft gesäubert, gefüllt, verkorkt und mit einem Etikett versehen. Ein mechanischer Tanz, der in Brenna jedes Mal den Wunsch nach mehr Zeit und Händen weckte, um die Flaschen einzeln per Hand abzufüllen.

Sie hasste die Flaschenabfüllung. Sie wusste, dass der Wein von der schnellen und brutalen Reise aus den ruhigen Fässern in die rüttelnden Flaschen unweigerlich verletzt oder mit Luft versetzt wurde. Tausend Dinge konnten schiefgehen. Sie würde zwar ein paar Mal am Tag nach dem Rechten sehen, hatte aber ansonsten vor, sich von dem Prozess so weit wie möglich fernzuhalten.

„Der Chardonnay ist fast so weit“, sagte sie. „Wir kriegen alles rechtzeitig fertig.“

Die helle Sonne sorgte dafür, dass Brenna ihre Baseballkappe tiefer in die Stirn zog und blinzelnd über den sich meilenweit in alle Richtungen streckenden Weinberg schaute. Der Geruch der Erde vermischte sich mit dem Duft der Trauben. Der Geruch war nicht so intensiv wie im Herbst, wenn allein ein Gang durch die Rebstöcke einen schon ganz schwindelig machen konnte. Aber in ihm lag das Versprechen auf eine gute Ernte und einen hervorragenden Wein.

Das hier ist mein Zuhause, dachte sie zufrieden. Dieses Land, diese Weinstöcke befanden sich innerhalb der Grenzen der einzigen Welt, die sie je geliebt hatte. Doch sie hatte erst zurückkommen müssen, um das zu erkennen.

Inzwischen wusste sie, dass sie niemals hätte gehen dürfen. Die vermeintlich sichere Wahl, die sie getroffen hatte, war ein Fehler gewesen, für den sie in den letzten neun Jahren wieder und wieder bezahlt hatte. Den ultimativen Preis würde sie zahlen, wenn ihr Großvater das Weingut verkaufte. Falls er es verkaufte.

Brenna konnte keine Bestätigung für die Gerüchte finden, aber da so viele davon kursierten, nahm sie an, dass sie einen Funken Wahrheit enthielten.

„Die Leute reden“, fing sie an. „Über das Weingut. Ich habe sie darüber sprechen hören, dass du überlegst, es zu verkaufen.“

Ihr Großvater nahm eine Handvoll Erde auf und ließ sie durch seine Finger rieseln. Dann rieb er ein paar Blätter zwischen den Fingerspitzen, richtete sich auf und blinzelte in die Sonne.

„Ein guter Tag“, sagte er. „Eine gute Saison.“

Sie schwieg. Ihr Herz schien in ihrer Brust eingefroren zu sein. Trotz der nachmittäglichen Hitze war ihr eiskalt.

Endlich drehte er sich zu ihr um. „Du hast mich das schon einmal gefragt, und ich habe dir darauf geantwortet. Ich verkaufe nicht.“

Sie betrachtete sein wettergegerbtes Gesicht. Er war ein strenger Mann, der seine Familie nach überholten Leitsätzen und mit strenger Disziplin führte, aber er würde sie niemals anlügen.

Unendliche Erleichterung durchströmte sie. Ihr Herz fing wieder an, normal zu schlagen. Sie atmete tief ein und wieder aus. Solange sie den Weinberg hatte, gab es einen Grund zu leben. Es war egal, dass ihr Privatleben den Bach hinuntergegangen war und sie mit siebenundzwanzig Jahren wieder zu Hause hatte einziehen müssen. Die Reben waren ihr Ein und Alles. Sie …

„Noch nicht“, fügte Grandpa hinzu. „Aber vielleicht bald.“

Brenna starrte ihn an. „Nein“, hauchte sie. Verkaufen? Marcelli Wines? Ihre Brust schmerzte, als wenn ihr jemand ein Messer hineingestochen hätte. „Das kannst du nicht machen. Dieses Land befindet sich seit über siebzig Jahren in Familienbesitz. Warum würdest du all das, wofür wir gearbeitet haben, einem Fremden überlassen?“

„Ich bin alt.“

„Ich nicht. Ich bin hier und ich arbeite hart.“

Seine dunklen Augen verengten sich. „Ja, im Moment. Aber wie lange noch?“

Sie hatten diese Unterhaltung schon unzählige Male geführt. Die Ungerechtigkeit brannte wie Feuer in ihr. Ihr ganzes Leben lang hatte man ihr eingebläut, dass es ihre Pflicht war, zu heiraten, sobald sie achtzehn würde. Was sie auch getan hatte. Diese Beziehung hatte sie von dem Weingut weggeführt, das sie so sehr liebte.

Wütend drehte sie sich um und ging davon. Ihr Körper schmerzte, aber der Schmerz war nichts im Gegensatz zu der Leere, die in ihrer Seele brannte.

Ihr Großvater gab ihr die Schuld daran, dass sie das Weingut verlassen hatte. Nach all den Jahren, in denen er ihr gesagt hatte, sie solle heiraten, bestrafte er sie nun für ihren Gehorsam. Schlimmer noch, Brenna hatte seinen Vorwürfen nichts entgegenzusetzen. Sie wusste nicht, warum sie die Weinberge aufgegeben hatte, um dieses Arschloch von mittlerweile Exmann zu heiraten, der bereits mitten in den Vorbereitungen für die Hochzeit mit Ehefrau Nummer zwei steckte.

Ihr brannten die Augen, doch sie weinte nicht. Keine Träne würde sie wegen Jeff vergießen. Nicht mehr. Sie hatte den Hass, das Bedauern und die Rachegelüste hinter sich gelassen. Jetzt wollte sie einfach nur, dass dieses Kapitel ihres Lebens endgültig abgeschlossen war. Sollte er doch wieder heiraten. Wenn es nach ihr ginge, konnte er noch ein Dutzend Mal vor den Traualtar treten. Solange sie ihre Weinstöcke hatte …

Sie stieg auf eine kleine Anhöhe und schaute über das Land. Sie war dazu geboren und aufgezogen worden, diese Reben zu hegen. Und doch hatte sie alldem den Rücken gekehrt. Wenn sie doch nur …

Das helle Sonnenlicht ließ sie die Augen zusammenkneifen. In der Ferne, auf dem angrenzenden Land der Giovannis, sah sie eine Bewegung. War das Nic? Sie war zu weit entfernt, um es mit Bestimmtheit sagen zu können.

Wenn sie doch nur was? Wenn sie doch nur auf ihr Herz gehört hätte, anstatt den einfachen Weg zu wählen und Jeff zu heiraten? Dann stünden die Dinge zwischen ihr und ihrem Großvater heute ebenfalls nicht viel besser. Es gab kein Wenn sie doch nur … Es gab das Hier und Jetzt und die Tatsache, dass sie endlich alles gefunden hatte, was sie wollte, nur um es in dem Augenblick wieder zu verlieren, wenn ihr Großvater das Weingut wirklich verkaufte.

Sie hatte ihre Lektion gelernt. Unglücklicherweise war diese Einsicht etwas zu spät gekommen. Welche Bedeutung hatte es jetzt noch, dass sie nie wieder einem Mann ihr Herz und ihre Seele anvertrauen würde? Ohne Marcelli Wines war sie nichts.

4. KAPITEL

Francesca war noch nicht oft in Montecito gewesen, einem Viertel östlich von Santa Barbara, in dem die besser Betuchten lebten. Sie schaute kurz auf die Wegbeschreibung, die sie sich aufgeschrieben hatte, dann wieder zurück auf die Straßenschilder. Was würde sie tun, wenn sie sich verfuhr? Die Polizei würde ihren Truck ohne Frage beschlagnahmen, weil er so gar nicht in diese vornehme Gegend passte. In diesem Viertel fuhren sogar die Hausmädchen einen Volvo.

Francesca unterdrückte ein Lachen, als sie an die Panik dachte, die Sams Anruf in ihr ausgelöst hatte. Er hatte ein Barbecue auf seiner Terrasse vorgeschlagen – oder, wie er es nannte, in Montecitos bester Grillküche. Sofort war ihr durch den Kopf geschossen, dass sie über keine funktionierende Empfängnisverhütung verfügte und aus diesem Grund diese Einladung unmöglich annehmen konnte. Dann war ihr der Gedanke ziemlich verlockend erschienen, woraufhin sie im nächsten Moment von einer betäubenden Angst gepackt worden war. Offensichtlich sollte sie öfter ausgehen. Erst als Sam seine Haushälterin erwähnte, die in seinem Haus wohnte und als Anstandsdame fungieren würde, hatte sie seinem Vorschlag zugestimmt.

Knapp fünf Minuten später fand sie die richtige Straße und das richtige Haus. Besser gesagt, die richtige Einfahrt. Die schmale Straße wurde zu beiden Seiten von hohen Zäunen und mächtigen Toren gesäumt. Einige standen offen, andere waren fest verschlossen. Francesca bog in Sams Einfahrt, ließ ihr Fenster herunter und drückte den Knopf auf der Gegensprechanlage.

Einige Sekunden vergingen, dann hörte sie eine vertraute Stimme: „Hallo, Francesca. Schön, dass du da bist.“

Bei Sams Worten flatterte ihr Herz wie ein Schmetterling. Mit einem Mal war ihr ein wenig schwindelig, aber trotz ihrer Nervosität freute sie sich, ihn zu sehen. „Hey, Sam.“

„Komm rein.“

Die breiten Flügel des schmiedeeisernen Tors schwangen auf, sodass Francesca aufs Grundstück fahren konnte. Nach ein paar Hundert Metern bog sie um eine kleine Kurve und hielt vor einem alten zweistöckigen Haus, das in den 1920er-Jahren erbaut worden war. Die Fassade im Tudorstil passte hervorragend zu dem parkähnlichen Garten, der sich auf beiden Seiten des Hauses erstreckte.

In der Sicherheitsbranche scheint man gut zu verdienen, dachte sie, als sie ausstieg und über den Kies zur Haustür ging. Trotz Sams eleganter Büroräume und seines Titels als CEO hatte sie bisher nicht über ihre finanziellen Unterschiede nachgedacht. Das Vermögen ihrer Familie könnte vielleicht mit seinem mithalten, aber sie persönlich besaß keinen Penny. Marcelli Wines gehörte einzig und allein ihrem Großvater.

Nervös schaute sie an dem schlichten Sommerkleid hinunter, das sie trug. Sie hatte sich die Zeit genommen, ihre Haare auf Wickler zu drehen, sodass sie ihr jetzt in weichen Wellen über die Schultern fielen, und sie hatte sich auch ein wenig geschminkt. Doch ansonsten hatte sie nichts getan, um jemandem den Atem zu rauben. Lustig, wie sehr sie sich wünschte, dass es ihr bei Sam trotzdem gelingen möge.

Die Haustür wurde geöffnet, noch bevor Francesca klopfen konnte.

„Hallo.“ Mehr sagte sie nicht, sondern schaute sich ihren Gastgeber erst einmal genauer an. Was eine gute Eingebung war, denn nachdem sie ihn angesehen hatte, hätte sie nicht einmal mehr dieses kleine Wort herausgebracht.

Sie hatte sich ihn in einem Anzug vorgestellt – was natürlich nicht hieß, dass sie den gesamten Tag damit verbracht hatte, von ihm zu träumen.

Doch er trug keinen Anzug, sondern ein rotes Polohemd, eine ausgeblichene Jeans und keine Schuhe. Dieser Anblick seiner nackten Füße schockierte sie irgendwie – beinahe so, als wäre sie in sein Schlafzimmer geplatzt und hätte ihn aus Versehen nackt gesehen. Es sind doch nur Füße, ermahnte sie sich. Große Füße.

Sie unterdrückte ein Lächeln, als ihr einfiel, was ihre Schwester Brenna zu diesem Thema sagen würde.

„Danke, dass du gekommen bist.“ Sam lächelte sie an.

Sie verlor sich auf der Stelle in diesen sandfarbenen Augen, die sie schon am Vorabend bewundert hatte. Sein dunkelblondes Haar war zerwühlt, als wenn er mit den Händen hindurchgefahren wäre. Was war an leicht zerzausten Männern nur so anziehend? Warum kam er ihr jetzt so viel gefährlicher vor als bisher?

„Danke für die Einladung.“ Sie schaute an ihm vorbei ins Foyer. „Das ist also die großartige Grillhütte, ja?“

Er lachte. „Das Grillen selbst findet auf der Terrasse hinter dem Haus statt. Nächsten Monat wird darüber ein Artikel in Food and Spirits, dem Gourmetmagazin, erscheinen.“

„Danach werden sie dir die Bude einrennen. Ich bin froh, dass ich noch vor dem großen Ansturm einen Platz bekommen habe.“

„Für dich hätte ich immer ein Plätzchen.“

„Du meinst, im Laufe der Zeit könnte ich mir meinen eigenen Tisch verdienen?“

„Vielleicht sogar einen Stuhl, wenn du brav bist.“

Das war der Moment, in dem eine weltgewandte, erfahrene Frau beteuern würde, dass sie immer brav sei. Die Worte lagen Francesca auf der Zunge, aber sie hielt sie zurück. Sich kopfüber ins Wasser zu stürzen war eine Sache, aber eine olympiareife Vorstellung zu versprechen, wenn man nicht mehr als paddeln konnte, wäre sicher nicht klug.

„Komm, ich gebe dir die kleine Führung“, sagte er. „Dann lernst du auch Elena kennen, damit du weißt, dass ich nicht gelogen habe. Danach gehen wir nach draußen auf die Terrasse, wo ich dich mit meinen Grillkünsten höllisch beeindrucken werde.“

Seine leise Stimme strich wie warmer Samt über ihre Haut. Sie wollte ihm näher sein, wollte sich strecken, bis alle Anspannung aus ihrem Körper verschwunden war, und sich dann an ihn schmiegen.

Er machte einen Schritt und blieb dann stehen. „Zieh ruhig die Schuhe aus, wenn du magst.“

Francesca zögerte eine Sekunde, dann schlüpfte sie aus ihren Sandalen und ließ ihre Tasche neben ihnen auf den Boden fallen. Irgendwie fand sie den Gedanken, dass sie beide nun barfuß waren, ein wenig skandalös, aber schließlich spielte sie jetzt mit den großen Jungs.

Sie folgte Sam durch den mit Holzdielen ausgelegten Flur und erhaschte dabei Blicke in ein großes Wohnzimmer, eine Bibliothek, ein Büro und ein Esszimmer.

„Du hast ein ganz schön großes Haus“, sagte sie. „Langsam verstehe ich, warum du eine Haushälterin hast, die hier wohnt.“

Sam lächelte. „Das war nicht immer so. Früher hatte ich eine Zugehfrau, die mehrmals die Woche kam. Mein Großvater wohnt nur ein paar Meilen von hier entfernt. Er wird auch nicht jünger und braucht inzwischen mehr Hilfe als früher – was er allerdings niemals zugeben würde. Ich wollte ihm jemanden besorgen, aber dickköpfig, wie er ist, hat er sich geweigert. Also habe ich meine Taktik geändert und mich darüber beklagt, dass ich gerne jemanden in Vollzeit einstellen würde, aber nicht genug zu tun hätte. Er hat so getan, als würde er mir glauben. Elena verbringt die meiste Zeit bei ihm, hat aber hier eine kleine Einliegerwohnung. Es ist ein Spiel, das mein Großvater und ich spielen, aber es funktioniert.“

Sie durchquerten die Küche und kamen in einen kleinen Flur im hinteren Teil des Hauses. Sam klopfte an eine geschlossene Tür.

„Elena? Francesca ist da.“

Eine kleine rothaarige Frau Anfang fünfzig öffnete die Tür. Sie trug eine Jogginghose und ein T-Shirt.

„Elena, das ist Francesca. Francesca, Elena führt hier den Haushalt. Ohne sie wären mein Großvater und ich vollkommen verloren.“

„Sehr erfreut, Sie kennenzulernen“, sagte Francesca.

„Gleichfalls.“ Elena grinste ihren Arbeitgeber an. „Okay, ich stimme zu. Für sie hat sich das Warten gelohnt.“

Sam seufzte. „Du solltest doch nichts sagen, was mich in Verlegenheit bringen kann.“

Elena lächelte noch breiter. „Ich? Was habe ich denn gesagt? Hab ich auch nur ein Wort über einen Mann verloren, der schon viel zu lange alleine lebt und nur eine alte Frau zur Gesellschaft hat? Nein. Keine Silbe. Habe ich gesagt, es ist an der Zeit, dass er sich eine gute Frau sucht? Nein. Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten. Dafür werde ich schließlich bezahlt. Mein Mund ist fest verschlossen.“

„Wo wir gerade von verschlossen reden, ich schließe jetzt diese Tür. Bist du sicher, dass ich dir kein Steak mitgrillen soll?“

„Ja. Rotes Fleisch bringt einen um.“

„Aber ohne ist das Leben nicht lebenswert.“

„Du musst mehr Gemüse essen.“

„Gute Nacht, Elena.“ Er zog die Tür ins Schloss.

„Gute Nacht“, rief sie. „Macht euch einen schönen Abend.“

Sam schüttelte den Kopf und ging den Flur entlang voran. „Sie macht mich noch verrückt.“

„Du betest sie an.“

„Stimmt. Gabriel kann ein echter Griesgram sein, aber sie kommt wunderbar mit ihm zurecht. Wie du vielleicht bemerkt hast, teilt sie so gut aus, wie sie einsteckt. Er findet sie großartig, auch wenn er eher eine Handvoll Würmer essen würde, als es zuzugeben.“

Francesca schaute sich in den großzügigen Räumen um, an denen sie auf dem Weg durchs Haus vorbeikamen. „Vermietest du auch Zimmer?“

„Platz genug hätte ich. Wenn das Security-Geschäft einmal nicht mehr läuft, werde ich darüber nachdenken.“ Sie waren wieder in der Küche angekommen.

Francesca erhaschte nur einen Blick auf gebeizte Fronten und eine gekachelte Arbeitsfläche. Eine große Glastür führte zur Terrasse hinaus, von der aus man in der Ferne das Meer sehen konnte. Doch Sams Worte spukten ihr immer noch im Kopf herum, sodass sie den Ausblick gar nicht recht genießen konnte. Sehr nett, dachte sie. Zu nett. Wenn Sam wirklich so war, wie er im Moment wirkte, wieso war er dann nicht verheiratet und hatte sechs Kinder?

„Woran denkst du?“ Er trat einen Schritt näher und schaute sie fragend an.

„An nichts Bestimmtes. Ich versuche nur, das alles auf mich wirken zu lassen.“

„Ah, du erkundest die Umgebung?“ Er kam noch näher.

„Genau.“ Und ihn. Ob er nun so fehlerlos war, wie er wirkte, oder nicht – sie hätte nichts dagegen, ihn genauer zu erkunden.

„Du siehst wunderschön aus“, sagte er.

„Du bist aber auch nicht schlecht.“

Er grinste. „Gefällt dir mein Freizeitlook für Führungskräfte?“

„Ja, der ist nicht übel.“

Er lachte leise, dann trat er vor sie und legte seine Hände an ihre Taille. Sie hatte eine knappe halbe Sekunde, um sich vorzubereiten, bevor er sich vorbeugte und sie küsste.

Die leichte Berührung seiner Lippen zog sie wie magisch an. Ihr Körper erwachte zum Leben. Sie berührte seine Schultern und spürte seine Kraft und Wärme.

Ihr wurde heiß, ihre Beine zitterten. Mit einem Seufzer ließ sie sich gegen ihn sinken. Wie gut das tat.

Seine Hände strichen zärtlich über ihren Rücken, seine Zunge glitt über ihre Unterlippe. Sie kam gar nicht auf die Idee, zu protestieren oder sich Gedanken darüber zu machen, dass sie in einer Küche standen. Die Arbeitsflächen und Tische boten viele Möglichkeiten, doch wofür, das konnte sie schon nicht mehr sagen, als seine Zunge ihre Lippen teilte und ihr die Sinne schwanden.

Sie hatte das Gefühl, dass die erotische Spannung zwischen ihnen die Luft um sie herum zum Knistern brachte. Er roch so gut – männlich, frisch, sexy. Und er schmeckte noch viel besser. Ihre Zungen umtanzten einander, liebkosten und erkundeten einander. Sam ließ die Hände tiefer gleiten und umfasste ihren Po. Instinktiv drückte sie den Rücken durch und brachte so ihren Bauch mit seiner Erektion in Berührung. Der Beweis seiner Erregung war aufregend und beängstigend zugleich.

Er löste sich von ihr und schaute sie an. Funken tanzten in seinen goldbraunen Augen.

„Du bist genau die Art Frau, vor der mein Großvater mich immer gewarnt hat. Die Art, die einen Mann wie mich in Schwierigkeiten bringt.“

Seine Hände lagen wieder auf ihrer Taille. Das Gefühl gefiel ihr. „Wie, um alles in der Welt, sollte ich dich in Schwierigkeiten bringen?“

„Oh, da fielen mir tausend Wege ein.“

Ihr auch, aber sie war noch nicht bereit, zu vergleichen, ob sie mit seinen übereinstimmten.

Sie musterte sein Gesicht und genoss, wie er sie anschaute. Als wenn ihm gefiel, was er sah. Sie bewegten sich nicht, berührten sich nicht außer an den Stellen, wo ihre Hände ruhten. Eigentlich sollte der Augenblick weder besonders noch vertraut sein, und doch war er beides.

Die Sehnsucht in ihrem Inneren wuchs. Das Gefühl saß ganz tief in ihrem Unterleib und strahlte in die Oberschenkel aus. Ihr Körper fühlte sich so schwer an, ihr Schoß war heiß und feucht. Und das alles nur von einem einzigen Kuss.

Sie wollte es nicht wissen. Na gut, vielleicht wollte sie es doch.

„Was denkst du?“, fragte er.

„Nichts, was ich dir erzählen würde.“

Er lachte. „Das klingt vielversprechend. Komm. Wir machen eine Flasche Wein auf und setzen uns nach draußen. Während wir auf das Meer schauen, kannst du mir von deinem Tag erzählen.“

Er ließ sie los und ging zum Tresen. Sie sah ihn an und merkte, dass sie überhaupt nicht in ihrem Element war. Im Gegensatz zu Sam. Er wusste offensichtlich, was er tat. Wenn sie nicht auf-passte, würde er sie noch an diesem Abend nach allen Regeln der Kunst verführen.

Sie ging zu ihm und lehnte sich gegen die Arbeitsfläche. Beim Anblick des vertrauten Etiketts musste sie lächeln.

„Ich sehe, ich habe dich bekehrt.“ Beinah andächtig berührte sie die Flasche von Marcelli Wines.

„Das war nicht schwer.“

Er entkorkte den Wein und goss ihnen beiden je ein Glas Merlot ein. Dann ging er voran auf die Terrasse. Die Nachmittagssonne hatte den Holzboden und die Korbstühle angewärmt. Als Francesca sich gesetzt hatte, zog Sam eine Ottomane so heran, dass sie zwischen ihren beiden Stühlen stand.

„Auf laue Sommernächte“, sagte er und hob sein Glas.

Sie stieß mit ihm an und trank dann einen Schluck. Sommernächte. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals eine solche wie diese erlebt zu haben. Es blieb noch ungefähr eine Stunde, bis die Sonne untergehen würde. Der einmalige Ausblick über den Ozean, der sich in der Ferne erstreckte. Ein gut aussehender Mann an ihrer Seite, der ihre Haut kribbeln und ihr Herz schneller schlagen ließ. Dieser Abend hatte das Potenzial, zum Abend der Woche gewählt zu werden.

„Erzähl mir von deinem Tag“, bat er, während er es sich gemütlich machte und seine Füße auf die Ottomane legte. Francesca hatte ihre Beine bereits ausgestreckt, sodass ihre Fersen auf dem weißen Korbgeflecht ruhten. Ihre nackten Zehen, die Nähe, die zwanglose Stimmung, all das gab ihr das Gefühl, schon tausend Mal mit ihm hier gesessen zu haben. Es war befremdlich und zugleich sehr schön.

„Meine Schwester Mia hat mich heute besucht“, fing sie an. „Sie fliegt morgen ganz früh nach Washington, D. C. Mia ist achtzehn, geht auf die UCLA und ist superklug. Sie studiert Politikwissenschaften und wird vermutlich irgendwann die Weltherrschaft übernehmen. Und als ob das noch nicht genug wäre, ist sie auch noch ein Sprachgenie. Diesen Sommer belegt sie einen sechswöchigen Japanischkurs.“

Interessiert schaute Sam sie an. „Hast du noch mehr Geschwister?“

Francesca dachte an ihre Familie. „Wie viel Angst soll ich dir machen?“

„Deine Familiengeschichte kenne ich ja bereits. Ist die Gegenwart noch einschüchternder?“

„Das musst du mir sagen.“ Sie nippte an ihrem Wein. „Meine Großeltern väterlicherseits, meine andere Großmutter und meine Eltern leben alle in einer Hacienda oben in den Weinbergen. Ich habe eine Schwester, Katie, die ein Jahr älter ist, und eine Zwillingsschwester namens Brenna. Mia ist das Baby – sie ist neun Jahre jünger als ich.“

Sam wirkte beeindruckt. „Ich werde mich ab sofort nicht mehr über Gabriel beschweren.“

„Stimmt, das solltest du lieber lassen. Grandma Tessa, die Mutter meines Vaters, ist eine Italienerin, wie sie im Buche steht. Für sie gibt es im Leben nichts, das nicht mit einem Teller Pasta behoben werden kann. Mary-Margaret O’Shea ist die Mutter meiner Mutter. Wir nennen sie Grammy M. Sie ist Irin, winzig klein, aber mit eisernem Willen. Wir sind irisch-italienisch und katholisch. Die Familie ist laut, sprunghaft und hat immer einen Rosenkranz zur Hand.“

Er lächelte. „Du liebst sie. Das höre ich an deiner Stimme.“

„Stimmt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, in einer kleinen Familie aufzuwachsen.“

„Das hat seine Vor- und Nachteile.“ Er stellte sein Weinglas neben seinem Stuhl auf den Boden. „Aber jetzt werde ich dich erst mal mit meinen kulinarischen Fähigkeiten bezaubern.“

„Wirklich?“

„Aber sicher. Die Kartoffeln backen bereits im Ofen. Elena hat vorhin einen Salat gemacht, und ich werde jetzt die Steaks auf den Grill werfen.“

Sie lachte. „Ich bin so beeindruckt, dass ich kaum noch atmen kann. Wirst du die Kartoffeln tatsächlich selbst aus dem Ofen holen?“

„Auf jeden Fall. Du kannst mir aber auch gerne helfen, wenn du dich dann besser fühlst.“

„Das ist beinahe zu viel des Guten. Ich wette, gleich erzählst du mir noch, dass du Milch in eine Schale mit Müsli kippen und einen Toaster bedienen kannst.“

„Wie hast du das nur erraten?“ Er stand auf. „Komm. Schau zu und staune.“

Sie stellte ihr Weinglas ebenfalls beiseite und erhob sich. „So viel zum Thema, dass du Elena für deinen Großvater angestellt hast. Du klingst, als wenn du auch eine Haushälterin brauchst.“

„Auf gar keinen Fall. Ich kann so gut Essen beim Lieferservice bestellen wie kein Zweiter hier im Ort.“

„Ich schätze, ich sollte mich nicht über dich lustig machen. Ich kann selber nicht sonderlich gut kochen. Obwohl, meine aufgewärmten Dosenravioli sind. ein wahrer Gaumenschmaus.“

„Das ist doch schon mal was.“ Er nahm ihre Hand, und Francesca ließ sich von ihm nach drinnen führen. Sie fühlte sich gut. Besser als gut. Ihr ganzer Körper kribbelte. In Sams Gegenwart war sie auf neue und aufregende Weise lebendig. Ihr gefiel es, wie sie miteinander scherzten und lachten. Bislang hatte es noch kein unangenehmes Schweigen oder peinliche Gesprächspausen gegeben. Diese Dating-Sache fing langsam an, ihr richtig Spaß zu machen.

Sie gingen ins Fernsehzimmer, wo Sam Francescas Hand losließ und sich an einer beeindruckenden Stereoanlage zu schaffen machte.

„Gibt es einen Musikstil, den du besonders magst?“, wollte er wissen.

„Eigentlich nicht.“

Er ging einen Stapel CDs durch, und sie wanderte im Zimmer umher. Ein großes gepolstertes Sofa stand gegenüber von einem Flachbildfernseher, der von zwei riesigen Lautsprechern flankiert wurde. Links davon befand sich die Anlage, um die Sam sich gerade kümmerte, rechts führte eine Doppeltür hinaus auf die Terrasse.

Francesca ging nach rechts, wo in offenen Regalen Bücher und Fotos standen. Einige zeigten Sam mit einem älteren Mann – seinem Großvater, wie sie annahm. Ein paar waren in fernen Ländern aufgenommen, und auf keinem Foto waren seine Eltern zu sehen. Und auch keine Frauen, was, wie sie hoffte, ein gutes Zeichen war.

Auf dem Couchtisch lagen einige Zeitschriften. Times, Fortune, Car and Driver. Typisch Mann. Sie lächelte.

Während sie sich weiter umsah, erfüllten sanfte Klänge den Raum.

Sam berührte sie an der Schulter, damit sie sich zu ihm umdrehte. Er trat näher und legte ihr die Hände auf die Hüfte.

„Tanz mit mir“, bat er.

Mit einem Mal fühlte sie sich unbeholfen. „Hier? Im Fernsehzimmer?“

„Wäre es dir in der Küche lieber?“

„Nein. Ich habe nur …“

Er wartete ihre Erklärung nicht ab, und sie hatte das Gefühl, dass er sowieso nicht sonderlich gerne wartete. Ganz langsam begann er, sich im Takt der Musik zu bewegen, wobei er sie mit jedem Schritt näher zu sich heranzog. Sie gab sich dem Rhythmus hin und hob die Arme, damit sie die Hände hinter seinem Nacken verschränken konnte.

Sein ruhiger Blick, das Gefühl seines Körpers an meinem – es gibt prägende Momente im Leben, dachte sie verträumt, und magische. Dieser Tanz, dieser Abend, dieser Mann fielen definitiv in die letzte Kategorie. Wenn sie wirklich mit dem Gedanken spielte, sich auf eine Entdeckungsreise zu den Möglichkeiten, die das Leben bot, zu begeben, war er definitiv der richtige Begleiter dafür.

Er beugte sich vor und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. Dieses Mal konnte sie das drängende Gefühl in ihrem Inneren sofort einordnen. Es war pures Verlangen.

Sie überließ sich ganz diesem Gefühl und dem Kuss. Seine Zunge neckte kurz ihre Unterlippe, bevor sie ihren Mund er-oberte. Francesca hieß Sam willkommen, drängte sich an ihn. Die Welt um sie herum verschwamm und schien sich schließlich völlig aufzulösen, als Francesca sich in der Leidenschaft des Augenblicks verlor.

Sams Kuss war zärtlich und verführerisch. Immer und immer wieder trafen sich ihre Zungen, umspielten einander, neckten sich, bis Francesca sich einfach nur noch ergeben wollte. Ihre Körper bewegten sich wie von selbst zum Rhythmus der Musik – ein steter erotischer Takt, der mit dem Schlag ihres Herzens harmonierte.

Hunger erfüllte sie, pulsierend, treibend und fordernd. Kein Hunger auf das versprochene Essen, sondern auf diesen Mann. Ihre Schwestern hatten sie damit aufgezogen, dass es schon zu lange her war, aber sie hatte ihnen nicht wirklich geglaubt. Nicht bis zu diesem Augenblick, in dem sie sich leer und unterernährt fühlte. Sie wollte überall berührt werden und ihn im Gegenzug überall berühren. Sie wollte feuchte Hitze und wogende Hingabe spüren. Sie wollte sich diesem Moment ergeben, diesem Mann, und dann die nächsten achtundvierzig Stunden in einem sinnlichen Nebel verbringen.

Das Ziehen zwischen ihren Beinen wurde stärker, ihr Slip war schon ganz feucht. Ihre Brüste spannten, als ihre Brustwarzen hart wurden. Ihre Kleidung schien plötzlich zu klein. Ihr ganzer Körper schmerzte.

Zu küssen reicht mir nicht, dachte sie. Sie versuchte, das wachsende Begehren zu unterdrücken, doch es gelang ihr nicht. Noch enger drängte sie sich an Sam, rieb sich an ihm, wollte Spannung und Nähe und Lust empfinden. Ihr Denken setzte aus, und der Instinkt übernahm die Kontrolle. Ihr Hunger wuchs und brannte wie rasend in ihr. Seine unerwartete Kraft hätte ihr Angst machen sollen, doch das tat sie nicht. Nicht mit einem Mann wie Sam.

Er unterbrach den Kuss und schaute sie an. Leidenschaft zeichnete sich auf seinen Zügen ab. Sein Atem ging so schnell und schwer wie ihrer.

„Was für ein Kuss“, murmelte er heiser.

Wortlos starrte sie ihn an.

Er fluchte. „Francesca, hast du eigentlich irgendeine Ahnung, was deine Augen mir gerade vermitteln? Wenn du nicht willst, dass sie Ja sagen, dann halt dich besser zurück.“

Sie wartete, ob ihr gesunder Menschenverstand wieder übernehmen würde. Doch nichts passierte.

„Ich schätze, ich habe nichts zu sagen“, flüsterte sie.

Er fuhr mit dem Daumen über ihre Lippen. „Du bist ein wahr gewordener Traum, weißt du das?“

Sie? Ein Traum? Das Kompliment funktionierte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.

Sam reagierte mit einem Stöhnen, das sie bis ins Mark erschütterte. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und vertiefte den Kuss. Irgendwann hörten sie auf zu tanzen, doch es machte ihr nichts aus. Nichts war mehr wichtig außer dem Feuer in ihrem Inneren und dem Mann in ihren Armen.

Er ließ die Hände auf ihre Schultern sinken, dann strich er an ihren Armen entlang und nahm ihre Hände. Während er sanfte Küsse auf ihren Wangen, ihrem Kinn, ihren Augenlidern verteilte, zog er sie mit sich aus dem Zimmer. Im Flur klammerten sie sich noch einmal kurz aneinander, bevor sie gemeinsam die breite Treppe nach oben liefen.

Im ersten Stock nahm Francesca kaum mehr wahr als den Holzfußboden, die Fenster und Türen, bevor Sam sie einen weiteren Korridor entlang mit sich zog. Am Ende des Flurs öffnete er eine Flügeltür und schloss sie fest hinter ihnen. Dann zog er Francesca an sich und berührte sie … überall.

Er streichelte ihren Rücken, ihre Hüften, ihren Po, ließ seine Hände über ihre Taille gleiten und unterbrach dabei nicht einmal den Kuss. Seine Zunge drängte sich mit so einer leidenschaftlichen Zärtlichkeit in ihren Mund, dass Francesca der Atem stockte.

Auch sie konnte ihre Hände nicht bei sich behalten. Diese breiten Schultern … Die harten Muskeln bildeten einen reiz-vollen Kontrast zu dem weichen Stoff seines Polohemds. Sie ließ die Finger über seine Brust zu seinem Rücken gleiten. Seine Hände näherten sich ihren Brüsten, während sie mit ihren seinem Po zustrebte. Im selben Moment erreichten sie ihr jeweiliges Ziel, und als sie die Finger an sein festes, muskulöses Hinterteil drückte, strichen seine sanft über ihre harten, empfindlichen Brustwarzen.

Sam und Francesca keuchten gleichzeitig auf.

Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal dort berührt worden war. Wie viele Jahre war es her, dass sie den Druck einer leidenschaftlichen Berührung auf ihrer gespannten, hungrigen Haut gefühlt hatte?

Sam umfasste ihre Brüste und unterbrach dann den Kuss, um sich hinunterzubeugen. Durch den Stoff von Kleid und BH hindurch spürte sie die Hitze seines Atems. Er biss so zärtlich zu, dass sie beinahe aufgeschrien hätte.

Ganz langsam öffnete er die Knöpfe an der Vorderseite ihres Kleides. Währenddessen zerrte sie das Hemd aus dem Bund seiner Jeans. Sie erinnerte sich vage daran, in der Vergangenheit im Bett eher schüchtern und zurückhaltend gewesen zu sein. Vermutlich würde sie das irgendwann auch wieder sein. Aber nicht jetzt. Nicht, wenn das Verlangen derart stark zwischen ihren Beinen pochte und sie feucht und bereit war. Sie wollte seine Hände auf ihrem Körper spüren – auf ihren Brüsten, zwischen ihren Schenkeln. Sie wollte überall von seinen Lippen berührt werden. Sie zitterte, sie bebte – brauchte ihn.

Er öffnete den letzten Knopf und schob ihr das Kleid von den Schultern. Sie hob die Arme und ließ es zu Boden fallen. Jetzt stand sie nur noch in BH und Slip vor ihm.

Staunend schaute Sam sie an und atmete tief ein. „Berauschend“, sagte er.

„Jetzt bin ich dran.“ Sie zupfte an seinem Polohemd. „Zieh das aus.“

Er grinste. „Jawohl, Ma’am.“

Schnell entledigte er sich seines Hemdes. Dann löste er den Gürtel und zog auch die Jeans aus.

Francesca nahm die gut ausgebildeten Muskeln in Augenschein, das feine blonde Haar auf seiner Brust, die schmale Taille und die Erektion, die sich mehr als deutlich unter seiner Boxershorts abzeichnete. Ihre Schwester hatte recht. Nicht die Nase, sondern die Füße verrieten, wie ein Mann gebaut war.

Dann konnte sie nicht mehr denken, weil er erneut anfing, sie zu berühren. Er erkundete ihre Schultern, ihre Rippen, ihren Rücken und öffnete den BH. Als der Hauch von Nichts zu Boden fiel, umfasste Sam ihre Brüste und küsste Francesca erneut.

Die Kombination war elektrisierend. Warme Finger, die sie liebkosten, während seine Lippen sie erneut verzauberten. Sie stöhnte, sie wand sich, wäre beinahe gleich hier und jetzt im Stehen gekommen.

Sie wollte ihm näher sein, wollte ihre Beine um ihn schlingen und ihn in sich spüren. Sie wollte betteln und schreien und nach mehr verlangen. Als er anfing, sich in Richtung Bett zu bewegen, stöhnte sie erleichtert auf.

Am Bett angekommen, zog Sam die Nachttischschublade auf und holte eine Packung mit Kondomen heraus. Der Anblick hätte Francesca eigentlich wieder zur Besinnung bringen müssen, doch sie war schon viel zu erregt, um sich jetzt noch zügeln zu können. Sie warf einen Blick auf die Packung und dankte Sam im Stillen für seine Voraussicht. Dann schlüpfte sie aus ihrem Slip und zwischen die Laken.

Sofort war er bei ihr. Sie umschlangen einander, nackt, hungrig, wild. Während er ihre empfindlichen Brüste küsste und mit der Zunge liebkoste, ließ er eine Hand zwischen ihre Beine gleiten.

Bei der ersten Berührung seiner Finger wäre sie beinahe explodiert. Ihr Hunger nach ihm war so groß, dass sie ihn am liebsten im Ganzen geschluckt hätte. Das Verlangen ließ sie erschauern.

„Mehr“, flüsterte sie und klammerte sich an ihn. „Berühr mich … ah, ja.“

Er hatte die alles entscheidende Stelle gefunden. Diesen einen kleinen Punkt, der so viel Vergnügen bereiten konnte. Sanft streichelte er ihn – perfekt. Sie ließ den Kopf ins Kissen sinken und atmete tief ein.

Es war zu gut. Es war zu lange her, und Sam wusste nur zu genau, was sie erbeben ließ.

Er umkreiste den empfindlichen Punkt, verlagerte sein Gewicht so, dass er sie mit seinem Daumen streicheln konnte, während er einen Finger in sie hineingleiten ließ.

Das war zu viel. Ihre Muskeln zogen sich zusammen und sie kam. Einfach so. Der Orgasmus brandete über sie hinweg und ließ sie zitternd, keuchend und stöhnend zurück. Ganz und gar verlor sie sich in dem wundervollen Gefühl.

Es war so viel besser, als sie es in Erinnerung hatte. Die Erlösung kam in sanften, warmen Wellen, die langsam abebbten. So gut konnte kein sterblicher Mann sein.

Als sie langsam wieder zu sich kam, öffnete sie erst ein Auge, dann das andere. Sam sah sowohl zufrieden als auch erstaunt aus. Sie musste grinsen.

„Es ist schon sehr lange her“, gab sie zu.

Er fuhr fort, sie sanft zu streicheln. „Und ich dachte, es läge daran, dass ich so umwerfend gut bin.“

„Das auch.“

Sie musterte seine Augen, die Art, wie sein blondes Haar ihm in die Stirn fiel. Die Vorspeise hatte sie gehabt, aber sie hatte immer noch Appetit auf den Hauptgang.

Entschlossen streckte sie die Hand aus und umfasste seine beeindruckende Erektion. Eine langsame Handbewegung ließ ihn aufstöhnen.

„Ich dachte, vielleicht machen wir mit ihm eine kleine Probefahrt“, sagte sie. „Was meinst du?“

„Eine Frau ganz nach meinem Geschmack.“

Er nahm sich ein Kondom und streifte es schnell über.

Francesca spürte, wie ihr Körper sich dehnte, als Sam in sie eindrang. Sie musste sich sehr zusammenreißen, um nicht beim ersten Stoß sofort wieder zu kommen. Als er ganz in ihr war, stützte er sich so ab, dass er sie anschauen konnte. Seine Pupillen waren geweitet.

„Halt dich meinetwegen nicht zurück“, sagte er leise. „Du bist so verdammt feucht und heiß, ich werde nicht lange an mich halten können.“

Lächelnd legte sie ihm die Hände auf den Rücken und streichelte ihn. „Wie stehst du zu Frauen, die im Bett schreien? Ich habe das zwar noch nie getan, aber ich habe das Gefühl, es könnte heute passieren.“

„Das wäre ein riesiges Kompliment für mich.“

„Oh, gut.“

Er fing an, sich zu bewegen. Sie schloss die Augen und überließ sich ganz dem Vergnügen, wieder und wieder von ihm ausgefüllt zu werden. Nach einigen Stößen wurde die Spannung unerträglich, und sie konnte sich nicht länger zurückhalten.

„Oh Sam“, presste sie hervor, dann gab sie sich ganz ihren Gefühlen hin. Sie drängte sich ihm entgegen, umfasste sein Hinterteil und zog ihn tiefer und tiefer in sich hinein.

Mächtige Kontraktionen durchzuckten sie. Sie keuchte, wand sich, ergab sich. Vielleicht schrie sie sogar.

Und ihr Orgasmus hörte nicht auf. Er erreichte seinen Höhepunkt, als Sam kurz innehielt und dann zitternd kam. Sein Körper spannte sich an, dann ließ er sich auf sie niedersinken.

Francesca lag unter ihm und öffnete langsam die Augen. Sie fühlte sich gut. Besser als gut. Als könnte sie Wunder vollbringen. Mit ihm zu schlafen war großartig gewesen. Umwerfend. Sie wollte es gleich noch einmal tun. Wollte …

In dem Moment drang die Wirklichkeit durch den dicken Nebel ihrer lüsternen Gedanken. In der einen Sekunde genoss sie noch das Nachglühen, das so hell war, dass sie aufpassen musste, sich keinen Sonnenbrand zu holen, und in der nächsten konnte sie kaum noch atmen. Panik erfasste sie.

Sam stützte sich auf seinen Armen ab und lächelte verlegen. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht zerquetschen.“

„Das hast du nicht.“ Sie unterdrückte den Drang, ihn fortzuschieben und wegzulaufen. Unglücklicherweise hatte sie ihre Gesichtszüge nicht so gut unter Kontrolle wie gedacht.

Fragend sah er sie an. „Was ist los?“

„Nichts.“ Sie schluckte, doch es führte kein Weg daran vorbei. Sie musste es ihm sagen. „Alles. Ich …“ Tief atmete sie ein. „Auf gar keinen Fall werde ich jemals wieder heiraten.“

5. KAPITEL

Geschockt richtete Sam sich weiter auf und setzte sich dann auf die Bettkante. Nachdem er sich des Kondoms entledigt hatte, drehte er sich zu Francesca um. Sie lag auf dem Rücken, die Lippen geschwollen, die Haut gerötet. Sie war wunderschön. Höllisch sexy. Und vermutlich verrückt. Verdammt.

Er hätte es besser wissen müssen, als so schnell mit ihr ins Bett zu gehen. Das hatte er doch schon vor beinahe zehn Jahren aufgegeben. Mittlerweile zog er es vor, eine Frau kennenzulernen, bevor er sie mit ins Schlafzimmer nahm – und das aus gutem Grund, wie er jetzt erkannte.

Francesca biss sich auf die Unterlippe. „Tut mir leid, das kam falsch rüber. Ich meine, ich weiß, dass du mir keinen Antrag gemacht hast oder so.“

„Okay.“ Das war zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

Er stand auf und hob ihren Slip, ihren BH und das Kleid auf und warf es ihr zu. Dann zog er seine Jeans an. Er schaute Francesca erst wieder an, nachdem sie in ihr Kleid geschlüpft und dabei war, die Knöpfe zu schließen.

Als sie damit fertig war, sank sie auf die Matratze. „Das war wirklich toll.“ Sie deutete in Richtung des Betts und dann auf ihn. „Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich mit einem Mann zusammen gewesen bin …“ Seufzend hielt sie inne. „Also haben meine Schwestern mir das Versprechen abgenommen …“ Sie verstummte.

Er war immer noch zu sehr auf der Hut, um sich dem Bett zu nähern. „Du hast gesagt, du willst nicht heiraten.“

Ihre Miene hellte sich auf. „Stimmt. Das will ich nicht.“ Sie lächelte. „Was ich damit meine, ist, dass ich nicht nach einem neuen Ehemann Ausschau halte.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin kein wirklicher Freund dieser ganzen romantischen Heiratsgeschichten. Ich war einmal verheiratet, und es hat mir nicht gefallen. Nach Todds Tod habe ich mich ein paar Mal verabredet, aber die Männer wollten immer mehr, als ich zu geben bereit war. Klingt das sehr schlimm?“

„Nein.“ Seine Anspannung löste sich ein wenig. „Glaubst du, weil ich mit dir geschlafen habe, möchte ich dich heiraten?“

Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. „Das klingt so schrecklich.“ Sie ließ die Hände sinken und schaute ihn an. „Es ist nur so, ich habe diese ganze Sache zwischen Männern und Frauen aufgegeben, weil es so anstrengend war. Meine Familie redet mir schon genügend Schuldgefühle ein. Sie wollten, dass meine Schwestern und ich sesshaft werden und Dutzende Kinder bekommen. Ich lebe mit dieser Schuld, bin aber nicht bereit, die Wünsche meiner Familie zu erfüllen. Ich habe mein Studium und nur noch wenige Jahre bis zum Anfang einer großartigen Karriere. Bis vor Kurzem hat mir das gereicht. Das Einzige, was mir fehlt, ist …“ Sie räusperte sich und verlagerte verlegen das Gewicht.

Er verstand sie sofort. „Sex“, sagte er grinsend.

„Ja, genau.“

Nun entspannte er sich wieder und entschuldigte sich in Gedanken dafür, sie für verrückt gehalten zu haben.

„Du willst keine Beziehung mit mir eingehen“, stellte er fest.

„Du bist sehr nett“, erklärte sie. „Ein echt toller Mann.“

Er lachte leise und trat näher ans Bett. „Sei ehrlich.“

„Okay. Ich will keine Herzen, Blumen oder ein ‚Bis ans Ende ihrer Tage‘.“

„Aha.“ Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. „Aber du hättest nichts gegen ein wenig Kitzeln und ein paar Klapse einzuwenden.“

Sie riss die Augen auf. „Ich glaube nicht, dass mir Schläge gefallen würden.“

„Und den Hintern versohlen?“

„Nur wenn ich es bei dir machen darf.“

Er grinste. „Niemals. Immerhin bin ich gern der dominante Part.“

Sie streckte die andere Hand nach ihm aus. „Tut mir leid, dass mir das mit dem Heiraten so rausgeplatzt ist. Der Sex war so gut, und dann habe ich Panik bekommen.“

„Ich auch. Ich dachte, du läufst gleich Amok.“

Sie lachte leise. „Nein. Ich war nur total überwältigt von meiner körperlichen Reaktion.“

Er berührte sanft ihr Gesicht. Wunderschön, sinnlich und nicht an einer festen Bindung interessiert. Und ehrlich. Die Eigenschaft, die ihm am wichtigsten war.

„Ich bin selber ein Freund der seriellen Monogamie“, gab er zu und legte seine Hand an ihre Wange. „Ohne jegliche Hochzeitspläne.“

„Ehrlich?“

„Ehrlich. Die Erfahrung, die ich mit der Ehe gemacht habe, hat mir auch nicht so gut gefallen.“

Sie atmete tief ein. „Okay. Auf die Gefahr hin, dass es zu schnell geht, aber wärst du bereit für eine monogame sexuelle Beziehung ohne emotionale Bindung?“

Das musste man ihn nicht zwei Mal fragen. Nicht, wenn die entsprechende Frau so aufregend war wie diese hier. „Auf jeden Fall.“

Francesca hatte gedacht, der eben erlebte Höhepunkt wäre auch der Höhepunkt ihrer Begegnung mit Sam, doch da war sie vielleicht ein wenig voreilig gewesen. War es wirklich möglich, alles zu haben, was sie wollte?

„Wir treffen uns, wann immer wir wollen“, sagte er. „Wir unterhalten uns gut, lachen viel und verbringen ausreichend Zeit im Bett. Wenn einer von uns beiden das Arrangement nicht mehr will, werden wir es beenden. Keine Erwartungen. Kein schlechtes Gewissen. Abgemacht?“

Sie fühlte sich verrucht. Aufregend. Gott würde sie dafür vermutlich bestrafen, und wenn ihre Großeltern es jemals herausfinden würden, wäre der Teufel los, aber das war es wert.

„Abgemacht.“

Als Francesca am nächsten Tag zum Brunch auf der Hacienda ihrer Familie erschien, fürchtete sie, alle würden sehen, was sie getan hatte. Sie fühlte sich umwerfend, ihre Haut glühte, und sie konnte einfach nicht aufhören zu grinsen.

Was nicht ihre Schuld war. Sam und sie hatten ihre Abmachung damit besiegelt, dass sie sich die ganze Nacht geliebt hatten. Um Mitternacht waren sie einmal kurz nach unten in die Küche geschlichen, um sich etwas zu essen zu holen, und hatten sich dann wieder in die stille, sinnliche Dunkelheit seines Schlafzimmers zurückgezogen.

Nur der Gedanke, dass ihre Großeltern vermutlich das FBI auf sie ansetzen würden, wenn sie nicht zum allwöchentlichen Familienbrunch auftauchte, brachte sie dazu, sich von Sam loszueisen. Leider konnte sie ihn nicht mitbringen. Wenn sie ihn ihrer Familie vorstellen würde, würden die Marcellis sofort die Hochzeitsglocken läuten hören, und das wollten sie schließlich beide nicht.

Francesca stieg aus ihrem Truck und ging zur Hintertür des großen, im spanischen Stil gehaltenen Hauses. Es war Anfang Juni, was bedeutete, alle Pflanzen waren saftig grün und wuchsen wie der Teufel. Dank der umstehenden hohen Bäume lag der hintere Teil des Hauses im Schatten. Der Gemüsegarten an der Garage saugte den Sonnenschein förmlich auf. In der Ferne rauschte der Wind durch unzählige Reihen von Rebstöcken und ließ die Blätter in der Brise tanzen.

Die Blüten an den Weinreben waren bereits vertrocknet und hatten den kleinen erbsengroßen Trauben Platz gemacht. Wenn Francesca die Zeichen, die sie auf dem Weg zur Hacienda gesehen hatte, richtig deutete, würde es ein sehr erfolgreiches Jahr für Marcelli Wines werden. Aber bis zur Ernte im Herbst blieb noch viel Zeit, und Brenna würde ihr, Francesca, bestimmt nur zu gern erzählen, was bis dahin noch alles schiefgehen konnte.

Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen. „Francesca!“

Sie schaute auf und lächelte, als sie Grandma Tessa mit ausgestreckten Armen auf der Treppe stehen sah. „Komm, Kind. Du hast uns gefehlt.“

Francesca rannte zum Haus und die drei Stufen hinauf, dann umarmte sie ihre Großmutter überschwänglich. „Wie geht es dir? Fühlst du dich gut?“

„Na ja, ich bin alt. Es ist nicht mehr alles so, wie es mal war, aber ich bin noch hier und das reicht mir.“ Sie ließ ihre Enkeltochter los und kniff ihr in die Wange. „Immer noch ein hübsches Mädchen. Aber du bist auch nicht mehr so jung. Du solltest wieder heiraten, Francesca. Es wird langsam Zeit, dass du ein paar bambini in die Welt setzt.“

Normalerweise fand Francesca den Druck der Familie, endlich für Nachwuchs zu sorgen, ermüdend, aber an diesem Tag konnte ihr nichts die gute Laune verderben. „Bevor ich zu alt bin, meinst du?“

„Singlefrauen über dreißig“, sagte ihre Großmutter wissend. „Ich habe gelesen, es ist wahrscheinlicher, dass sie von Aliens entführt werden, als dass sie noch einen Mann finden. Du hast nur noch drei Jahre, Francesca. Vergeude sie nicht.“

Francesca lachte. Ihr brannte die Wange von Grandma Tessas enthusiastischer Begrüßung, aber der Schmerz war so vertraut wie die Beschwörung, doch endlich zu heiraten und Kinder zu bekommen. Im Verlauf der letzten drei Jahre waren die Hinweise immer weniger subtil geworden. Die Verlobung ihrer Schwester hatte der Familie Auftrieb gegeben, und sie hatten den Druck erhöht.

Wenn sie Sam erwähnte, würden sie endlich aufhören, ihr in den Ohren zu liegen, sich einen vernünftigen Mann zu suchen. Natürlich würden sie ihn auch kennenlernen und herausfinden wollen, ob bereits ein Hochzeitsdatum festgelegt worden war. Sollten ihre Großmütter je von ihrer Abmachung mit Sam erfahren, würden sie sofort zu ihren Rosenkränzen eilen und Francescas Eltern zwingen, ein ernsthaftes Gespräch mit ihr zu führen. Also war es besser, einfach weiter mitzuspielen.

„Sprich mit ihr“, sagte Grandma Tessa, als sie die offene und luftige Küche betraten.

Grammy M – für den Rest der Welt Mary-Margaret O’Shea und Francescas Großmutter mütterlicherseits – schaute von dem Teig auf, den sie gerade auf der Granitarbeitsfläche ausrollte.

„Francesca! Mein liebes Mädchen.“ Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab.

Francesca beugte sich hinunter, um die winzige Frau zu umarmen – von der sie nicht in die Wange gekniffen wurde.

„Grandma Tessa will, dass ich wieder heirate“, sagte sie gespielt überrascht. „Was meinst du?“

Grammy M schüttelte den Kopf, sodass ihre weißen Locken auf und ab hüpften. „Du sollst die Älteren respektieren, junge Lady und dich nicht über sie lustig machen. Wir wollen, dass du glücklich bist.“

„Ihr wollt, dass ich schwanger bin.“ Francesca schnappte sich einen der Scones, die zum Abkühlen auf einem Gitter lagen.

„Verheiratet und schwanger“, korrigierte Grandma Tessa.

Grammy M grinste. Ihre blauen Augen funkelten. „Oh, ich weiß nicht, Tessa. Ich denke, wir könnten vielleicht einen Weg finden, Francesca zu verzeihen, sollte sie sich unverheiratet mit einem Braten in der Röhre wiederfinden.“

Francesca unterdrückte ein Lachen, versuchte aber gar nicht erst, sich in diese Unterhaltung einzubringen. Stattdessen brach sie den immer noch dampfenden Scone in der Mitte durch und biss ein kleines Stückchen ab. Die feste goldbraune Kruste bedeckte einen weichen, perfekt gebackenen, nach Orange schmeckenden Teig, der ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ, während er ihr auf der Zunge zerging.

„Unglaublich“, hauchte sie. „Grammy M, wir werden es noch einmal mit einer Scones-Backstunde probieren müssen. Ich will so etwas auch selber machen können.“

Ihre Großmutter warf ihr einen liebevollen Blick zu, bevor sie den Kopf schüttelte und sich wieder an ihren Teig machte.

„Du bist ein süßes Mädchen, aber in der Küche leider vollkommen unbegabt.“

„Ich habe vor ein paar Jahren mal einen Kurs im Tortendekorieren mitgemacht.“

„Dein Vater ist an seinem Stück beinahe erstickt“, erinnerte Grandma Tessa sie.

Francesca wusste, dass die beiden recht hatten. Wenn es ums Kochen oder Backen ging, war sie eine einzige Katastrophe, obwohl sie immer weiter Unterricht nahm. Vor allem da sie sich trotz ihres Diploms in Psychologie schuldig fühlte, weil sie die Erwartungen ihrer Familie in Bezug auf Ehe und Kinder nicht erfüllte. Also versuchte sie, sich wenigstens in den hausfraulichen Künsten weiterzubilden.

„Die Blumen auf der Torte waren hübsch.“

„Das waren sie“, stimmte Grammy M zu. „Und du machst ganz bezaubernde Rosen aus Radieschen.“

Francesca aß noch einen Bissen von ihrem Scone, dann ging sie zu dem Regal, das über dem Geschirrspüler hing, und nahm sich ein Glas. „Ist das eure Art, mir zu sagen, dass meine Backkünste zwar Stil, aber keine Substanz haben? Ich dachte daran, diesen Sommer einen Kochkurs für chinesisches Essen zu belegen.“

„Nein, es ist unsere Art, dir zu sagen: Wenn du das Herz eines Mannes gewinnen willst, komm vorher hier vorbei und hole dir ein paar Ravioli ab“, erwiderte Grandma Tessa fröhlich. „Ich habe immer welche im Gefrierschrank. Und dazu die gute Fleischsoße.“

Das Thema, wie man das Herz eines Mannes gewann, wollte Francesca nicht vertiefen. Daher fragte sie: „Ist Mia gut weggekommen?“

„Kurz bevor du eingetrudelt bist, hat sie angerufen, um zu sagen, dass sie gut in Washington angekommen ist“, sagte Grammy M. „Ich weiß, der Sprachkurs wird ihr Spaß machen, aber sie wird mir hier sehr fehlen.“

„Ich bin sicher, dass sie uns auch vermisst.“ Francesca erinnerte sich an Mias Plan, sich unter den Kongressmitarbeitern umzusehen. Unter diesen Umständen könnte es sein, dass ihre hübsche Schwester viel zu beschäftigt war, um Heimweh zu haben.

Francesca streckte die Hand nach einem weiteren Scone aus und erntete dafür einen Klaps von Grandma Tessa. „Brenna ist im Weinberg, also wirst du den Tisch allein decken müssen. Wasch dir aber erst die Hände.“

Francesca lachte. „Jawohl, Ma’am.“

Ihre Großmutter drehte sich zu ihr um. Ihre Augenbrauen zogen sich düster zusammen, als sie versuchte, böse zu gucken.

„Ich hab euch so lieb“, sagte Francesca aus einem Impuls heraus und zog die beiden Frauen an sich, bevor sie in das kleine Badezimmer ging, das sich im Flur unter der Treppe verbarg.

„Nimm das gute Porzellan“, rief Grandma Tessa ihr hinterher.

„Du bist schon sehr lange allein, meine Liebe.“ Francescas Mutter schaute sie sehr eindringlich an.

Colleen O’Shea Marcelli war eine zierliche, attraktive Frau mit dunklen Haaren und einem untrüglichen Gespür für Mode. Sogar bei diesem zwanglosen Familienbrunch sah sie aus, als würde sie gleich für ein Modemagazin posieren. Francesca war in ein ärmelloses Sommerkleid geschlüpft, weil es den Marcelli-Töchtern nicht erlaubt war, an Sonntagen zu den Mahlzeiten Shorts oder Hosen zu tragen. Während ihre Mutter in teuren Boutiquen einkaufte, die ausschließlich Designerstücke führten, zog Francesca die Kleiderständer mit den Sonderposten oder die abgelegte Kleidung von Brenna vor – der einzigen ihrer Schwestern, die einigermaßen die gleiche Größe hatte.

Auf der anderen Seite des großen Tisches sprachen Brenna und ihr Großvater über die kommende Ernte. Die Großmütter – von allen liebevoll Grands genannt – unterhielten sich darüber, welchen Film sie sich später im Kino anschauen wollten, und Francescas Vater, Marco Marcelli, nickte zu allem, was seine Frau sagte. Was bedeutete, dass sie ihren Angriff vorab geplant hatten.

„Fünf Jahre“, sagte ihre Mutter. „Francesca, die Hingabe, mit der du Todds Andenken in Ehren hältst, ist wirklich eine Auszeichnung für eure Ehe, aber du bist immer noch eine junge Frau. Willst du ihn für den Rest deines Lebens betrauern?“

Francesca überlegte, ob sie ihre Großmutter zitieren sollte, dass sie kurz davor stand, den Zenit ihres Lebens zu überschreiten – zumindest was den Heiratsmarkt anging.

Zum tausendsten Mal dachte sie daran, endlich die Karten auf den Tisch zu legen und zu gestehen, dass der Gedanke an eine Heirat für sie nichts Verlockendes hatte. Ihre Ehe mit Todd war eine Katastrophe gewesen. Der oberflächlich erfolgreiche Banker hatte keinerlei Interesse daran gehabt, einen wirklichen Menschen zur Frau zu nehmen. Ihm war es nur um ein schmückendes Beiwerk gegangen. Sein vorzeitiger Tod bei einem Autounfall hatte Francesca erkennen lassen, dass ihr verschwenderischer Lebensstil allein von Krediten, aber nicht von einem guten Einkommen finanziert worden war. Todd hatte sie mit hohen Schulden zurückgelassen, und sie war gezwungen gewesen, alles zu verkaufen. Am Ende war sie zwar nicht reicher, aber wesentlich klüger als zu Beginn ihrer Ehe gewesen.

Brenna hatte Jeff geheiratet und die nächsten neun Jahre ihres Lebens damit verbracht, ihn finanziell zu unterstützen, damit er ungestört sein Medizinstudium, die Praktika und Facharztausbildung durchziehen konnte. Sie hatte ihre wahre Liebe – den Weinanbau – aufgegeben, um Jeff eine gute Ehefrau zu sein. Und was war der Dank dafür gewesen? Jeff hatte sie für eine Jüngere fallen lassen. Ja, ihre Eltern waren glücklich verheiratet. Und die Ehe von Grandpa Lorenzo und Grandma Tessa überdauerte nun schon mehrere Generationen. Aber das reichte nicht, um Francesca zu überzeugen. Soweit es sie betraf, wurde Liebe absolut überschätzt, und sie hatte nicht die Absicht, jemals wieder vor den Traualtar zu treten.

Doch das konnten ihre Eltern nicht verstehen. Was bedeutete, dass sie mindestens zwei Mal im Monat eine Unterhaltung darüber führten, wieso sie sich nicht endlich einen netten Mann suchte und sesshaft wurde.

„Ich trauere nicht mehr wegen Todd“, gab sie ehrlich zurück und dachte an die letzte Nacht mit Sam. Trauer war das Letzte, was sie da im Sinn gehabt hatte. Da sie sich jedoch nicht erneut die immer gleiche Leier anhören wollte, entschied sie sich für einen neuen Ansatz.

Sie holte tief Luft. „Ihr habt recht. Ich sollte wirklich wieder anfangen auszugehen.“

Schweigen legte sich über den Tisch. Alle starrten sie an, sogar Brenna, die fragend die Augenbrauen hob und sich in gespielter Überraschung die Hand aufs Herz legte. Warnend sah Francesca sie an.

Grandpa Lorenzo, der trotz seiner über siebzig Jahre immer noch groß und eindrucksvoll war, schlug mit der Faust auf den Tisch. „Wurde langsam auch Zeit, dass du das einsiehst, junge Lady. Du bist die hübscheste von meinen Enkelinnen. Wenn ich an all die Jahre denke, die du damit vergeudet hast, aufs College zu gehen, wo du doch hättest heiraten und Kinder kriegen können.“

Francesca kannte seine Meinung, und doch taten die Worte auch nach all den Jahren immer noch weh.

In Brennas Augen blitzte Wut auf. Sie drehte sich zu ihrem Großvater um. „Irgendwann wirst du einsehen müssen, dass wir in einem neuen Jahrhundert leben, Grandpa. Frauen brauchen keine Männer mehr, um sich ganz zu fühlen. Wir kommen gut allein zurecht.“

„Wenn du dich ein wenig mehr um deinen Ehemann gekümmert hättest, hätte er dich vielleicht nicht verlassen“, gab der alte Mann zurück.

„Lorenzo!“ Grandma Tessa schaute Brenna mitfühlend an. „Wir wissen, dass du ein gutes Mädchen bist. Wir hätten dich niemals diesen Mann heiraten lassen dürfen. Du brauchst einen netten italienischen Jungen. Meine Cousine Marie hat einen Enkel, der in Chicago lebt.“

Brenna schüttelte den Kopf. „Nein, Grandma. Keine Verwandten oder Freunde von Verwandten. Ich bin noch nicht einmal offiziell geschieden. Gib mir ein wenig Zeit, okay?“

Grandma Tessa wirkte nicht so, als wollte sie freiwillig das Feld räumen. Francesca wusste genau, wie ihre Schwester sich jetzt fühlte. Obwohl sie ihre Familie liebte, konnte sie einem so richtig auf die Nerven gehen. Sie beschloss, die Atmosphäre aufzulockern, indem sie das Thema wechselte.

„Haben Katie und Zach schon einen Hochzeitstermin festgelegt?“

Diese Frage war ein voller Erfolg. Ihre Mutter erinnerte sie an das Familientreffen am Ende der Woche, auf dem das Ereignis geplant werden sollte. Die Grands fingen an, sich über das Menü zu streiten, und Grandpa Lorenzo warf ein paar Weinempfehlungen in die Runde.

Brenna nahm eine Flasche Chardonnay von Marcelli Wines und goss sich noch ein Glas ein. Dann hielt sie Francesca die Flasche hin.

„Für mich einen Doppelten“, murmelte sie so leise, dass nur Brenna sie hören konnte. Als Francescas Glas auch gefüllt war, prosteten sie einander zu.

„Darauf, dass wir diese Familie überleben“, flüsterte Brenna. „Möge Gott mich vor Maries Enkel schützen.“

„Internationalen Ölbrokern mit Familien, die Todesdrohungen erhalten, sollte es nicht gestattet sein, zum Vergnügen zu reisen“, sagte Sam erschöpft und warf eine Mappe auf seinen Schreibtisch.

Jason streckte die Hand aus und nahm die Papiere an sich. „Du machst Witze.“

„Keineswegs. Er hat gestern angerufen.“

Jason blätterte durch die Seiten und legte die Mappe dann auf Sams Schreibtisch zurück. „Afrika?“

„Eine Safari. Seine Tochter ist eine fanatische Tierliebhaberin. Die Reise ist Teil ihres Geburtstagsgeschenks.“

„Konnte er ihr nicht einfach ein Fahrrad kaufen?“

Sam grinste. „So läuft das nicht bei den Reichen und Mächtigen.“

„Dann eben einen Fahrradladen. Aber Afrika?“ Seine dunklen Augen verfinsterten sich. „Sie werden sich bestimmt nicht an die üblichen Touristenorte halten, oder? Reiche und mächtige Typen mögen das Besondere, stimmt’s?“

Sam nickte. „Genau. Wir reden hier von Camping in der Wildnis und dem Besuch von Eingeborenendörfern.“

„Ich hasse die Natur“, murmelte Jason. „Warum können sie nicht nach Monaco in den Urlaub fahren? Da würde es mir bestimmt hervorragend gefallen.“

„Ich schätze, dahin wirst du irgendwann einmal auf eigene Kosten fliegen müssen.“

Jason verzog das Gesicht. „Sag mir noch mal, warum ich mich freiwillig für diesen Job gemeldet habe.“

„Weil du die Herausforderung liebst. Willst du deine Meinung noch ändern?“

Jason nahm erneut die Mappe zur Hand. „Afrika. Das bedeutet Zecken und Blutegel. Ich hasse alles Schleimige.“

„Die gibt es nur im Dschungel. Du würdest hingegen in die Savanne reisen.“

„Großartig. Also muss ich mir nur Sorgen um Malaria machen.“

„Du wirst vielleicht einen Löwen sehen.“

Jasons Miene verfinsterte sich noch mehr. „Katzen hasse ich auch.“

Sam lachte. „Sie fliegen im September. So lange hast du Zeit, dir ein Team zusammenzustellen. Er lässt dir die freie Auswahl. Sein üblicher Bodyguard ist im Urlaub.“

„Ich wette, der hatte nur keine Lust auf Zecken.“ Jason seufzte. „Wenigstens muss ich mir keine Sorgen um irgendwelche europäischen Bodyguard-Flaschen in Anzügen machen.“ Energisch klappte er die Mappe zu. „Verdammt, ich muss mich impfen lassen, oder?“

„Im Anhang findest du eine entsprechende Liste.“

Bevor Jason sich weiter beschweren konnte, war das Geräusch ungewohnter Schritte auf dem Flur zu vernehmen. Schritt, klack, schlurf. Schritt, klack, schlurf.

„Du hast mir nicht gesagt, dass der alte Mann hier ist“, sagte Jason.

„Ich hab’s ja auch nicht gewusst. Heute ist Sonntag.“ Sein Großvater kam niemals am Wochenende ins Büro, ließ sich aber während der Woche regelmäßig blicken.

„Himmelherrgott, es ist Sonntag“, polterte Gabriel Reese vom Eingang zu Sams Büro. „Warum seid ihr nicht in der Kirche?“

Jason stand auf und nickte dem alten Mann zu. „Guten Tag, Sir.“

„Jason. Lässt mein Enkel dich am Sonntag arbeiten?“

„Ich hab mich freiwillig gemeldet.“

„Guter Mann. Ich war es, der Sam auf dich aufmerksam gemacht hat. Hat er dir das je erzählt?“

Jason grinste. „Ja, Sir.“

Sam deutete auf den zweiten Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Setz dich, Gabriel. Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?“

„Whiskey, aber bemüh dich nicht, mir zu sagen, dass es dafür noch zu früh am Tag ist. Ich warte, bis ich wieder zu Hause bin.“ Er stützte sich auf dem Gehstock ab und ließ sich langsam auf den Stuhl sinken. „Du warst immer ein guter Geschäftsmann, Samuel, aber eine echte Nervensäge, wenn es um meine Gesundheit geht.“

„Ich will nicht, dass du mir unter den Händen wegstirbst.“

„Ich habe nicht vor, unter irgendjemandes Händen zu sterben“, gab Gabriel zurück. „Wenn meine Zeit gekommen ist, werde ich allein in meinem Bett liegen, denn das ist die einzige Art, wie ein Mann sterben sollte.“

Sam stand auf und ging zu der Kaffeekanne, die auf einem Servierwagen in der Ecke stand. Er schenkte etwas ein, fügte reichlich Zucker und Milch dazu und brachte die Tasse zu seinem Großvater.

Gabriel nahm einen Schluck und musterte Jason, der sich endlich wieder gesetzt hatte. „Ich habe gehört, dass du nach Afrika gehst. Ich wünschte, ich wäre jung genug, um deinen Platz einzunehmen.“

„Ich auch“, sagte Jason düster.

Sam grinste. „Jason macht sich Sorgen um die Tierwelt. Schlangen, Blutegel und so.“

Gabriel nickte ernst. „Trockene Socken“, verkündete er. „Das ist der Schlüssel zu einer gesunden Safari. Oh, und reichlich Insektenspray.“

„Ach herrje, daran hab ich ja noch gar nicht gedacht. Insekten.“ Jason warf Sam einen Blick zu. „Wenn das vorbei ist, will ich einen Trip nach Monaco.“

„Ich werde sehen, was ich tun kann.“

Kopfschüttelnd stand Jason auf und verabschiedete sich von den beiden Männern. Als er gegangen war, lehnte Sam sich in seinem Stuhl zurück.

„Elenas Schwester hat heute Morgen angerufen. Sie ist hingefallen und hat sich die Hüfte gebrochen. Sie muss wohl operiert werden. Elena wird mindestens einen Monat bei ihr bleiben und sich um sie kümmern.“

Gabriel zuckte mit den Schultern. „Was interessiert’s mich? Sie ist deine Haushälterin.“

Sam ignorierte den Einwand. „Ich kann ohne Probleme jemanden besorgen, der sich um den Hausputz kümmert“, erklärte er dem alten Mann. „Jemanden fürs Kochen zu finden könnte sich als schwieriger erweisen.“

Gabriel schaute ihn finster an. „Ich habe mich sechzig Jahre lang alleine um mich gekümmert, Kleiner. Und das werde ich auch weiterhin tun, und zwar so lange, bis ich den Löffel abgebe.“

„Ich dachte, du würdest vielleicht gerne so lange zu mir ziehen, bis sie wieder da ist.“

„Nicht im Traum.“

Sam wusste, dass sein Großvater seine Entscheidung getroffen hatte und auch nicht mehr von ihr abrücken würde. „Wir könnten abends zusammen die Clubs unsicher machen und ein paar Mädels aufreißen.“

Um Gabriels Mundwinkel zuckte es. „Ich bin zu alt für Mädels.“ Er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Aber du nicht. Du arbeitest zu viel.“

„Das habe ich von dir gelernt.“

Gabriel stieß einen verächtlichen Laut aus. „Gute Antwort, aber da gibt es einen kleinen Unterschied. Ich hatte dich, der zu Hause auf mich wartete. Wen hast du? Eine Haushälterin mit großer Klappe, die nicht weiß, wo ihr Platz ist? Und nun noch nicht einmal mehr die. Du bist jetzt vierunddreißig.“

„Ich weiß.“

„Du brauchst eine Frau. Wann wirst du endlich wieder heiraten?“

„Wenn du es auch tust“, erwiderte er.

Der alte Mann lachte unterdrückt. „Ich habe noch einen Funken Leben in mir, Sam. Vielleicht finde ich ja eine, die mir gefällt. Was sagst du dann?“

„Genieß es.“

Jetzt lachte Gabriel laut auf und stemmte sich mithilfe seines Gehstocks vom Stuhl hoch. „Ich gehe jetzt nach Hause. Arbeite nicht mehr so lang.“

Sam dachte an Francescas Versprechen, spätestens um fünf Uhr bei ihm zu Hause zu sein. Die Vorfreude zauberte ein Grinsen auf sein Gesicht. „Keine Angst, werde ich nicht.“

Als Francesca dieses Mal vor Sams Haus vorfuhr, stand das Tor weit offen. Mit einer Mischung aus Nervosität und vorfreudiger Erregung fuhr sie aufs Grundstück und parkte vor dem beeindruckenden Haus.

Sie stellte den Motor ab und griff nach ihrer großen Tasche. Sam hatte sie gebeten, über Nacht zu bleiben, was bedeutete, dass sie eine Zahnbürste und Unterwäsche für den nächsten Morgen dabeihaben musste. Sie wollte zwar nicht gleich mit einem ganzen Koffer auftauchen, um Sam nicht zu verschrecken – das hatte sie in den letzten vierundzwanzig Stunden schon einmal getan –, aber ganz auf frische Sachen verzichten wollte sie auch nicht.

„Ich hätte niemals mein Cosmopolitan-Abo auslaufen lassen dürfen“, sagte sie sich, als sie aus dem Auto stieg. „Darin stehen immer Tipps, wie man mit solchen Situationen souverän umgeht.“

Die Haustür öffnete sich, bevor Francesca klopfen konnte. Sam grinste.

„Hey, Schönheit.“

„Selber hey.“

Sie schauten einander an. Sein Haar war zerzaust, seine Miene amüsiert. Sein Grinsen reichte beinahe von einem Ohr zum anderen. Er war ein Mann, der wusste, dass er schon sehr bald flachgelegt werden würde.

Sie nahm sein Hawaiihemd in Augenschein, die abgetragene Jeans, die bloßen Füße und dachte, dass er gut genug aussähe, um als Lexikonabbildung für den Begriff „Sünde“ herzuhalten. Sie war nicht sicher, was er sah, wenn er sie anschaute, aber es schien ihm gut genug zu gefallen, um sie an sich zu ziehen und sie leidenschaftlich zu küssen.

„Dieses Mal habe ich wirklich vor, dir etwas zum Abendessen zuzubereiten“, sagte er und ließ sie kurz los, nur um sie dann gleich wieder zu küssen. „Aber es könnte etwas später werden.“

„Bin ich vollkommen mit einverstanden.“

Er zog sie ins Haus und schloss die Tür hinter sich. „Wie wäre es mit einem Schluck Wein?“

„Sicher. Mach mich nur betrunken. Das ist so typisch.“

Er lachte leise. Dann legte er ihr einen Arm um die Schultern und geleitete sie zur Küche.

„Wie war dein Tag?“ Er schaute sie an, bevor er den Merlot vom Marcelli-Weingut öffnete.

„Gut. Ich war bei meiner Familie. Wir brunchen jeden Sonntag zusammen. Das ist so eine Art Pflichtveranstaltung, von der man nur befreit wird, wenn man nicht in der Stadt weilt. Sie machen mich verrückt, aber ich liebe sie. Wie war’s bei dir?“

Er goss den Wein in zwei Gläser. „Ich war arbeiten. Normalerweise mache ich sonntags frei, aber heute war ich irgendwie unruhig.“ Er hob die Augenbrauen. „Ich schätze, das ist deine Schuld.“

„Meine Schuld? Was hab ich denn getan?“

„Zum einen ist da dieses Geräusch, das du machst, wenn du …“

„Okay, schon klar“, unterbrach sie ihn, bevor er ins Detail gehen konnte. Sie hatte den ganzen Tag über versucht, nicht an die wilde Lust zu denken, die sie in Sams Bett gezeigt hatte … und in seiner Dusche. Sie hatte sich selbst immer als sexuell konservativ und nicht sonderlich leidenschaftlich eingestuft. Offensichtlich hatte sie sich geirrt.

Sie nahm ihr Weinglas in beide Hände und brachte einen Gedanken zur Sprache, der sie schon die ganze Zeit über störte. „Ich hoffe, wir haben Elena nicht belästigt. Das wäre mir wirklich peinlich.“

„Keine Sorge. Ihre Wohnung liegt im Erdgeschoss auf der anderen Seite des Hauses. Dort kann sie unmöglich etwas von uns gehört haben. Aber vielleicht beruhigt es dich, zu wissen, dass sie eine Weile nicht hier sein wird.“

„Wieso nicht?“

„Ihre Schwester ist hingefallen und hat sich die Hüfte gebrochen. Elena ist heute Morgen zu ihr geflogen und wird vermutlich den ganzen Monat über bei ihr bleiben.“ Er stellte sich vor sie. „Also sind wir beide ganz allein. Kein Erwachsener, der auf uns aufpasst.“

Je näher Sam ihr kam, desto mehr pochte Francescas Herz. Ihr Atem beschleunigte sich, und noch bevor er die Hand nach ihr ausstreckte, spannten sich ihre Muskeln erwartungsvoll an.

Sie stellte ihr Glas auf die Arbeitsfläche und streckte die Arme nach Sam aus. „Also können wir uns so richtig austoben?“

„Du hast es erfasst. Ich hatte vorhin schon eine recht lebhafte Fantasie, in der du, etwas Champagner und der Küchentresen drin vorkamen.“

Sie erschauerte vor Entzücken. „Das klingt gut …“

Schon war sein heißer Mund auf ihrem, und Francesca ergab sich dem leidenschaftlichen Kuss. Ihre Lippen öffneten sich, und sie ließ ihre Zunge um seine tanzen. Sofort schwollen ihre Brüste, ihr Höschen wurde feucht, und die Hitze ging ihr durch Mark und Bein.

Der Hunger meldete sich erneut. Trotz der unzähligen Vergnügungen, die sie in der vergangenen Nacht und an diesem Morgen genossen hatte, wollte sie ihn schon wieder. Wollte ihn berühren, ihn in sich spüren. Es war, als wenn sie nie zuvor wirklich Liebe gemacht hätte. Es war …

Das Telefonklingeln durchbrach die Stille in der Küche. Sam hob kaum den Kopf.

„Der Anrufbeantworter wird gleich rangehen“, murmelte er nur und zog weiter eine heiße Spur aus Küssen über ihren Hals.

„Was, wenn es eine deiner Frauen ist?“

Er lachte leise. „Ich habe im Moment keine Frau. Nein, das stimmt nicht. Ich habe ja dich.“

Er widmete sich wieder ihrem Mund. Das Telefon klingelte noch drei Mal, beim vierten Mal hörte sie Sams Stimme, die dem Anrufer erklärte, dass er bitte einen Namen und eine Nummer hinterlassen solle. Ein kurzer Piepton erklang.

„Verdammt, Sam, wenn du nicht in der Stadt bist …“ Die Frau seufzte schwer. „Hier ist noch mal Tanya. Ich habe dich bereits fünf Mal angerufen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Jetzt habe ich wohl keine andere Wahl. Du musst mich sofort zurückrufen. Es handelt sich um einen Notfall.“

Sie sagte ihre Nummer, aber Francesca hörte nicht mehr zu. Sam hatte sich von ihr zurückgezogen und wirkte seltsam angespannt.

„Das ist meine Exfrau“, sagte er. „Warum, zum Teufel, sollte sie mich anrufen?“ Ratlos schaute er Francesca an. „Ich habe ewig nichts mehr von ihr gehört. Das ist bestimmt zehn, zwölf Jahre her.“

Sie gab ihm einen kleinen Schubs in Richtung Telefon. „Sie sagt, dass es sich um einen Notfall handelt. Du solltest besser rangehen.“

Sam zögerte. Er wollte den Augenblick nicht ruinieren, aber dann fiel ihm auf, dass es dafür bereits zu spät war. Entschlossen griff er nach dem Hörer. „Tanya, ich bin’s, Sam. Was ist los?“

„Das wurde ja auch mal Zeit.“ Sie klang frustriert und ungeduldig. „Ich habe den halben Morgen damit verbracht, deine verdammte Nummer zu finden, und dann warst du nicht da.“

„Ja, freut mich auch, dich zu hören“, erwiderte er sarkastisch. „Ist schon lange her. Wie geht es dir?“

Sie atmete laut aus. „Okay, hab’s verstanden. Ich benehme mich wie eine Furie, und du hast keine Ahnung, weshalb.“

Weil das deine Art ist, dachte er grimmig.

„Die Sache ist die …“, fuhr sie fort. „Oh, verdammt noch mal. Ich weiß einfach nicht, wie ich es dir sagen soll. Es ist schon zu lange her. Daran ist nur deine Mutter schuld. Wenn sie …“

„Meine Mutter?“ Er unterbrach sie. Seine Mutter war vor beinahe acht Jahren gestorben. „Was hat sie damit zu tun?“

„Ach, sie hat sich doch immer in alles eingemischt. Ich hatte Pläne, Sam. Ich habe verdammt hart gearbeitet, und das wird mir jetzt niemand wegnehmen.“

„Tanya, ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“

Es klingelte an der Tür. Sam drehte sich in die Richtung und runzelte die Stirn. Er hatte das Tor geschlossen, nachdem Francesca eingetroffen war. Wie war dann jemand aufs Grundstück gelangt?

„Was war das?“, fragte Tanya. „Oh Gott, war das die Klingel?“

„Ja. Ich bin gleich wieder da.“

„Sam, warte.“ Tanyas Stimme wurde leise. „Ich lege auf. In ein paar Minuten wirst du mich zurückrufen wollen. Ich habe dir meine Nummer eben auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ich werde hier sein.“

Mit diesen Worten war die Leitung tot. Sam starrte den Hörer einige Sekunden lang an, dann legte er ihn auf die Gabel zurück. Es klingelte erneut.

Er drehte sich zu Francesca um. „Ich habe keine Ahnung, was hier los ist. Tanyas Gefasel hat überhaupt keinen Sinn ergeben. Warte kurz, ich muss nachschauen, wer da an der Tür ist.“

Sie lächelte. „Kein Problem. Geh nur.“

Sie sah so ruhig und zufrieden aus und viel zu sexy, als dass er Worte dafür hätte finden können. Er gab ihr einen schnellen Kuss und lächelte.

„Wird nicht lange dauern“, versprach er. „Und dann nehme ich dich mit nach oben und sorge dafür, dass dir Hören und Sehen vergeht.“

„Versprochen?“

„Darauf kannst du wetten.“

Er ließ sie los und eilte zur Haustür. Ohne zu wissen, was ihn erwartete, öffnete er die Tür. Vor ihm stand ein Mädchen mit roten, lockigen Haaren, Sommersprossen und großen grünen Augen.

Verwundert schaute Sam zum Tor, das immer noch geschlossen war. „Wie bist du hier hereingekommen?“, wollte er wissen.

„Ich bin drübergeklettert.“ Die Rothaarige rückte ihren großen Rucksack zurecht. „Bist du Sam Reese?“

„Ja. Und wer bist du?“

Das Mädchen – er hatte keine Ahnung von Kindern, schätzte aber, dass es im frühen Teenageralter war – straffte die Schultern. „Ich bin Kelly Nash. Deine Tochter.“

6. KAPITEL

Sam starrte das Mädchen an. Das Mädchen starrte zurück. Keiner von beiden blinzelte.

Ich habe sie falsch verstanden, sagte er sich. Oder Tochter war zu einem dieser Wörter geworden, die mehrere Bedeutungen hatten. So wie krass eigentlich gut meinte.

„Wie bitte?“, fragte er.

Kelly schob sich an ihm vorbei und betrat das Haus. „Deine Tochter. Du weißt schon. Dein Kind, dein Nachkomme.“ Sie ließ ihren Rucksack auf den Boden fallen und schaute sich um. „Nett. Hat Tanya dich nicht angerufen? Ich meine, sie wusste immerhin, dass ich kommen würde.“

Sam schloss die Tür. Was, zum Teufel, war hier los?

„Tanya?“

Kelly schaute ihn an und verdrehte die Augen. „Tanya Nash. Deine Exfrau. Meine Mutter. Ich bin heute Morgen abgehauen. Ich nahm an, sie würde Kontakt mit dir aufnehmen und dir erklären, was los ist.“

„Ich war nicht zu Hause.“ Er sprach sehr langsam, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. „Sie hat mich eben gerade erst erwischt, als du geklingelt hast.“

„Oh. Lass mich raten. Sie hat gesagt, du sollst sie zurückrufen, und dann aufgelegt. Sie hat’s nicht so damit, Verantwortung zu übernehmen, weißt du? Ich habe Hunger. Hast du was zu essen im Haus?“

„Sam?“

Francesca betrat den Eingangsbereich. Sie lächelte. „Ist alles in Ordnung?“

Kelly warf ihr einen Blick zu und schaute dann Sam an. „Die neue Frau?“

Er schüttelte den Kopf. Das hier passierte gerade nicht wirklich. Seine Tochter? Mit Tanya? Er hatte seine Exfrau seit Jahren nicht gesehen. Sie waren geschieden. Sie hatte nie etwas darüber verlauten lassen, dass sie schwanger war. Und sie war weiß Gott nicht der Typ, der ein Kind allein aufzog.

„Wie alt bist du?“, fragte er Kelly.

„Zwölf.“ Sie seufzte. „Ja, ja, ich weiß. Genau der Zeitpunkt eurer Scheidung. Kann ich was dafür, dass du deine Hosen nicht anbehalten konntest? Glaubst du, ich habe das so gewollt? Aber ich hatte keine Wahl. Tanya muss außer Landes reisen, okay? Und sie nimmt mich nicht mit.“

Francescas Augen wurden ganz groß. „Du bist …“

„Sams kleines Mädchen“, erwiderte Kelly fröhlich. „Ich weiß. Es ist ein ganz besonderer Augenblick. Sieh mal, ich hatte seit dem Flugzeug nichts mehr zu essen. Das Geld für die Taxifahrt vom Flughafen hierher hat mein ganzes Geld verschlungen, also konnte ich nirgendwo anhalten und mir was zum Essen kaufen. Hast du was hier?“

Francesca sah so überrascht aus, wie Sam sich fühlte. Kelly starrte sie beide an und schüttelte dann den Kopf. „Okay. Während ihr zwei versucht, das hier auf die Reihe zu kriegen, besorge ich mir was zu essen. Und nur keine Hemmungen. Sprecht ruhig offen, während ich weg bin.“

Mit diesen Worten schlenderte sie den Flur hinunter und wandte sich instinktiv Richtung Küche.

Sam schaute ihr hinterher. Das passierte nicht wirklich. Das konnte nicht sein. Ein Kind? Eine Tochter?

Francesca ging zu ihm. „Du wirkst geschockt.“

„Du auch.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ein Kind. Sie kann nicht von mir sein. Tanya und ich …“ Er sah Francesca an. „Sie hätte der Scheidung niemals zugestimmt, wenn sie gewusst hätte, dass sie schwanger ist. Sie hätte etwas gesagt. Meine Güte, sie hat immer nach einem Schlupfloch gesucht. All die Jahre. Warum hat sie mich nicht wegen Unterhalt angesprochen?“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Natürlich nicht. Tut mir leid.“ Er fluchte unterdrückt. „Das ist verrückt. Ich muss Tanya zurückrufen.“

„Ich kann es kaum erwarten, ihre Geschichte zu hören.“

Er lächelte grimmig. „Scheint mir, als könnte ich deine Geschichte mit den verfeindeten Weinbauern noch toppen.“

Er machte sich auf in Richtung Küche. Francesca hielt ihn zurück.

„Ruf sie nicht von da aus an.“

„Warum nicht?“

„Weil ihr euch vermutlich streiten werdet, und das sollte Kelly nicht mit anhören.“

Verwirrt starrte Sam sie an. „Was?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin siebenundzwanzig und hasse es immer noch, meine Eltern streiten zu hören. Kindisch, ich weiß.“

„Eltern? Ich weiß ja nicht mal, ob sie mein Kind ist.“

„Aber sie könnte es sein“, wandte Francesca ein.

„Ich brauche einen Drink.“ Kopfschüttelnd setzte er den Weg in die Küche fort.

Kelly saß an dem Tresen und füllte sich die Reste der Enchiladas aus dem Kühlschrank auf einen Teller. Sie schaute ihn an.

„Die sehen gut aus. Vom Lieferservice?“

„Nein, meine Haushälterin hat sie gemacht.“

Kelly nickte. „Wohnt sie hier? Mom hat schon gesagt, dass du stinkreich bist. Ich schätze, sie hatte recht, was?“

Er ignorierte sie und ging zum Anrufbeantworter, wo er die Nachricht von Tanya abspielte. Er schrieb ihre Nummer auf und verließ dann steifen Schrittes die Küche. Francesca hatte recht. Er würde den Anruf von seinem Büro aus tätigen, wo er seiner wachsenden Frustration Luft machen könnte.

Francesca kam in dem Moment in die Küche, in dem Kelly den Teller in die Mikrowelle stellte. Das Mädchen studierte die verschiedenen Knöpfe und gab dann eine Zeit ein. Das Gerät summte kaum hörbar, als es anfing, das Essen aufzuwärmen.

„Also, wenn du nicht seine Frau bist, bist du wohl seine Freundin“, stellte Kelly fest. Sie setzte sich auf einen Barhocker.

„Sam und ich sind Freunde.“

„Oh, Freunde. Also habt ihr Sex, aber es ist nichts Ernstes, richtig?“

Francesca bemühte sich, keine Reaktion zu zeigen. Sams Tochter als frühreif zu bezeichnen wäre stark untertrieben. Trotzdem, ihre vorlaute Art war Francesca schmerzlich vertraut. Sie erinnerte sich noch daran, wie sie selbst eine tapfere Miene aufgesetzt hatte, um die Welt davon zu überzeugen, dass mit ihr alles in bester Ordnung war. Vielleicht gehörte das zum Erwachsenwerden dazu. Doch das machte es nicht weniger schmerzhaft.

Kelly lehnte sich zurück und stützte sich mit den Ellbogen hinter sich auf dem Tresen ab. Sie war hübsch. Schlank, mit großen Augen und wunderschönen roten Locken. Auf der Nase und den Wangen hatte sie Sommersprossen. Sie trug ein bauchfreies T-Shirt und eine tief sitzende Jeans. Beides sah sehr teuer aus.

„Freunde sind etwas anderes als ‚besondere Freunde‘“, erklärte Kelly. „‚Besondere Freunde‘ heißt, die Frau will heiraten, aber der Mann nicht. Er benutzt das Wort ‚besonders‘ nur, um sie hinzuhalten. Besonders ist es nur für sie, aber nicht für ihn. Er schaut sich derweil nach einer Besseren um, hat aber nicht den Mumm, sie zu verlassen, ohne eine Neue zu haben, mit der er ins Bett geht. Tanya sagt, die meisten Probleme zwischen Männern und Frauen entstehen dadurch, dass die Frauen zu schnell nachgeben. Sexuell gesehen, meine ich.“

„Ich verstehe.“ Francesca lehnte sich gegen die Arbeitsplatte. In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie wollte vor dem Kind nicht das Gleichgewicht verlieren. Sam hatte recht. Kelly war kein Kind. Für ihr Alter wirkte sie ausgesprochen reif.

In Gedanken ging sie Kellys Kommentare noch einmal durch. Ohne Zweifel hatte das Mädchen erhofft, eine Reaktion zu erzielen. Francesca entschloss sich zu einer weniger kontroversen Frage.

„Du nennst deine Mutter Tanya?“

„Klar.“ Kelly schob sich eine Locke aus der Stirn. „Sie lügt andauernd, was ihr Alter angeht. Die Hälfte der Kerle, mit denen sie ausgeht, weiß nicht mal, dass sie ein Kind hat. Nur für den Fall, dass uns mal jemand zusammen erwischt – beim Einkaufen oder so –, will sie, dass ich sie Tanya nenne. So kann sie behaupten, ich wäre das Kind ihrer viel älteren Schwester. Die Männer finden das immer total süß. Als wäre sie dadurch ein total mütterlicher Typ oder so.“ Kelly verdrehte die Augen. „Die meisten Männer sind so dumm.“

Okay, diese Unterhaltung war also auch nicht viel sicherer. „Wo wohnt ihr?“, fragte sie.

„In New York. Upper West Side. New York ist ziemlich cool. Ich wollte da nicht weg, aber Tanya wollte nicht, dass ich nach ihrem Umzug nach Europa alleine in unserer Wohnung bleibe. Ich glaube, Raoul weiß gar nichts von mir. Das ist so typisch. Ich meine, alle meine Kurse finden dort statt. Ich kann nicht glauben, wie viel ich versäumen werde, während ich hier bin. Santa Barbara ist nicht gerade eine große Stadt.“

Francescas Irritation wuchs von Minute zu Minute. „Du gehst im Sommer zur Schule?“

Die Mikrowelle piepte. Kelly glitt vom Hocker. „Ballett“, sagte sie ungeduldig. „Ich tanze.“

„Oh. Das ist schön.“

Kelly nahm den Teller mit dem dampfenden Essen heraus und trug ihn zum Tresen. „Das ist mehr als schön. Ich arbeite hart. Ich habe vor, professionelle Tänzerin zu werden. Aber ich habe im Internet auch eine Schule hier in der Nähe gefunden. Die Lehrerin war Tänzerin in verschiedenen internationalen Ensembles. Sam wird sie morgen früh anrufen und mir ein Vortanzen verschaffen müssen. Ich hätte das selber organisiert, aber ich habe ja erst gestern entschieden hierherzukommen.“

Francesca wünschte sich, das hier wäre ein Film, damit sie auf ‚Pause‘ drücken könnte. Sie brauchte ein paar Minuten, um das alles zu verdauen.

„Entschieden? Warum?“

Kelly fing an, die Schubladen zu öffnen. Schließlich fand sie diejenige mit dem Besteck und nahm sich eine Gabel. „Ich habe endlich den Namen meines Dads herausgefunden. Bis vor ein paar Monaten dachte ich, er wäre tot. Das hat Tanya mir zumindest immer erzählt. Dann habe ich einmal gehört, wie sie mit ihren Freundinnen über mich geredet hat.“ Kelly schaute sie an. „In dem Gespräch erwähnte sie Sam, also wusste ich, dass er noch lebte. Ich fing an, sie zu drängen, mir endlich zu erzählen, wer er ist. Gestern hatten wir einen riesigen Streit, und da ist es aus ihr herausgeplatzt. Nachdem ich den Namen wusste, habe ich gewartet, bis Tanya mit Raoul ausgegangen ist, und habe dann ihr Zeug durchwühlt. In irgendwelchen alten Ordnern habe ich diese Adresse gefunden.“

Das war das zweite Mal, dass Kelly den Namen Raoul erwähnte, und sosehr Francesca auch wissen wollte, wer das war, hatte sie doch noch eine drängendere Frage.

„Wie hast du es geschafft, auf eigene Faust hierherzukommen?“

Kelly nahm einen Bissen Enchiladas und fing an zu kauen. Nachdem sie heruntergeschluckt hatte, sagte sie: „Das war ganz leicht. Ich hab das Ticket im Internet gekauft. Ich habe diese Kreditkarte, mit der ich so ziemlich tun und lassen kann, was ich will. Das wird alles vom Erbe meiner Großmutter bezahlt, also ist es Tanya egal. Wie auch immer. Ich habe das Ticket gekauft, die Limousine organisiert, die mich hierher bringen sollte, und alles im Voraus bezahlt. Leider hatte ich das Trinkgeld vergessen, was echt ein Knaller ist. Ich schätze, Sam wird mich mit Bargeld versorgen müssen.“

Sie dachte einen Moment über das Problem nach, dann fuhr sie fort: „Tanya hat die Nacht bei Raoul verbracht, also war sie nicht zu Hause. Ich hab mir ein Taxi zum Flughafen genommen und bin ins Flugzeug gestiegen.“

„Na, so einfach wird das doch wohl kaum gewesen sein“, meinte Francesca.

„Doch, war es. Ich habe gewartet, bis der Flug bereit zum Boarden war, und bin dann zum Counter gegangen, um mich anzumelden. Sie sind erst mal total ausgeflippt und haben nach meinen Eltern gefragt. Ich habe gesagt, dass meine Mom noch den Wagen parkt. Warst du jemals am JFK? Hast du eine Ahnung, wie schrecklich hektisch es da ist? Die Bodenstewardess wusste genau, wenn sie warten würde, bis meine Mutter auftaucht, würde sie den Flug niemals pünktlich starten können. Oh, und ich habe ihnen ein falsches Alter genannt. Ich hab gesagt, ich wäre fünfzehn. Sie hat mir geglaubt. Also bin ich eingestiegen, und nun bin ich hier.“

Kelly klang ruhig und gefasst, aber Francesca fand trotzdem, dass eine Zwölfjährige nicht mutterseelenallein quer durchs Land fliegen sollte, um einen Vater zu suchen, den sie gar nicht kannte, nur weil ihre Mutter nach Europa ziehen wollte.

„Gibt es irgendwo auch was zu trinken?“ Kelly schielte auf die offene Flasche Merlot.

Francesca ging zum Kühlschrank. „Wie wäre es mit einem Glas Milch?“

Kelly verdrehte die Augen. „Prima. Kalzium ist gut für meine Knochen.“

„Wovon, zum Teufel, redest du da?“ Mit dem schnurlosen Telefon am Ohr tigerte Sam in seinem Büro auf und ab.

„Ich weiß nicht, wie deine Mutter von meiner Schwangerschaft erfahren hat“, sagte Tanya. „Ich schätze, sie hat meinen Arzt bestochen. Aber das ist nicht der Punkt. Was ich dir zu sagen versuche, ist, dass ich, zwei Wochen nachdem du und ich beschlossen hatten, uns scheiden zu lassen, und ich ausgezogen war, festgestellt habe, dass ich schwanger bin. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.“

Sam stieß einen verächtlichen Laut aus. Das stimmte auf gar keinen Fall. Tanya hätte bestimmt überschlagen, wie viel sie aus dem Baby herausschlagen könnte.

„Zwei Tage später ist deine Mutter aufgetaucht. Sie wusste von der Scheidung und von der Schwangerschaft. Sie wollte nicht, dass ich zu dir zurückkehre oder dir von dem Baby erzähle.“

Er lehnte sich gegen seinen Schreibtisch und rieb sich die Augen. „Sie wusste, ich hätte die Scheidung nie durchgezogen, wenn ich von der Schwangerschaft erfahren hätte.“

„Genau. Sie konnte es gar nicht abwarten, mich endlich aus deinem Leben verschwinden zu sehen. Selbst wenn das bedeutete, ihr eigenes Enkelkind aufzugeben.“

Sam wollte es nicht glauben, aber er kannte seine Mutter. Sie hatte ihr gesamtes Leben damit verbracht, Menschen und Ereignisse zu ihrem Vorteil zu manipulieren, inklusive ihm.

Was ihn direkt zur nächsten Frage brachte. „Wie viel?“

„Ist das nicht egal?“

„Nein, ist es nicht.“

„Na gut. Zweihundertfünfzigtausend im Voraus und fünftausend jeden Monat, bis sie achtzehn ist oder bei dir einzieht, was auch immer eher eintrifft. Dazu die Übernahme sämtlicher Ausgaben für sie. Im Gegenzug musste ich nach New York ziehen und versprechen, dass du niemals von Kelly erfahren würdest.“

Er war wie betäubt. „Und warum jetzt?“

„Weil ich mir in den letzten zwölf Jahren den Arsch aufgerissen habe, Sam. Ich war zwei Mal mit reichen Männern verheiratet, und ich habe mir weiß Gott jeden Cent meiner Abfindung verdient. Endlich habe ich finanzielle Sicherheit und bin bereit, mein Leben zu leben.“

„Und Kelly steht dir dabei im Weg?“

„Ich bin vierunddreißig. Das ist noch ein gutes Alter. Ich kann keine zwölfjährige Tochter haben.“ Sie zögerte. „Ich werde heiraten und nach Europa ziehen. Kelly kann nicht mit mir kommen. Ich wollte sie in ein Internat stecken, aber als ich ihr davon erzählt habe, ist sie ausgeflippt. Sie wollte alleine hier in der Wohnung bleiben. Sie tanzt Ballett, und das ist alles, was ihr etwas bedeutet. Ich nehme an, mit dem richtigen Personal … aber ich konnte das nicht riskieren. Es müsste nur mal ein Notfall eintreten, und Raoul würde von ihr erfahren.“

Sam fluchte. „Du heiratest einen Mann, der noch nicht mal weiß, dass du eine Tochter hast?“

„Ich habe ihm nie von ihr erzählt. Ich war sehr darauf bedacht, diese beiden Teile meines Lebens strikt voneinander zu trennen.“

Sam fragte sich, was er jemals in Tanya gesehen hatte. Dann erinnerte er sich. Er war zweiundzwanzig gewesen, frisch aus dem College und allein im Ausland. Tanya war wunderschön gewesen, charmant und der wahr gewordene Männertraum.

„Ich habe bei der Kanzlei deiner Mutter eine Nachricht hinterlassen, dass du jetzt das Sorgerecht für Kelly hast“, fuhr Tanya fort. „Sie werden den ganzen Papierkram erledigen. Ich habe mich die letzten zwölf Jahre um sie gekümmert, Sam. Jetzt bist du mal dran.“

„Damit verzichtest du auf das Geld“, sagte er sarkastisch.

„Ja, ich weiß. Ich kann es mir leisten. Und Kelly ist eigentlich ganz pflegeleicht. Schick’ sie in einen Tanzkurs und auf eine Privatschule, und du wirst kaum merken, dass sie da ist.“

Er konnte die Abgebrühtheit seiner Ex nicht fassen. „Sie ist deine Tochter.“

„Stell mich jetzt nicht als Rabenmutter dar“, erwiderte Tanya. „Kelly ging es gut. Ihr hat es an nichts gefehlt.“

„Außer an den Eltern.“

Tanya lachte. „Ja, genau. Weil du vor zwölf Jahren ja auch überglücklich gewesen wärst, wenn du herausgefunden hättest, dass wir ein Kind bekommen. Du hast mich gehasst, Sam. Du wolltest mich aus deinem Leben haben und warst gewillt, jeden Preis dafür zu zahlen. Hier kommt jetzt also der letzte Teil der Rechnung. Ich lasse ihre Sachen zusammenpacken und per Kurier zu euch schicken. Sie müssten Ende der Woche eintreffen.“

„Das ist alles?“, fragte er.

„Was soll da noch sein?“

„Willst du nicht mit Kelly reden?“

„Nein. Und ich bezweifle, dass sie mit mir reden will.“

Damit legte sie auf.

Langsam legte Sam das Telefon auf den Tisch. Dabei fiel sein Blick auf die Uhr. Es war noch keine zwanzig Minuten her, dass Kelly an der Tür geklingelt hatte. Zwanzig Minuten, in denen seine Welt vollkommen aus den Fugen geraten war.

Und nun?

Sam kam in die Küche, wo Kelly gerade den letzten Bissen Enchiladas herunterschluckte. Francesca stand mit einem Glas Wein in der Hand an der Spüle. Er konnte es ihr nicht verdenken, auch wenn er etwas Stärkeres bevorzugen würde.

„Ich habe mit deiner Mutter gesprochen“, sagte er.

Kelly legte die Gabel weg und wischte sich den Mund mit einer Papierserviette ab, bevor sie sich ihm zuwandte. Ihre großen grünen Augen verrieten keinerlei Emotionen.

Er betrachtete sie genauer, suchte nach Ähnlichkeiten. Hoffte, sie in den hohen Wangenknochen zu finden oder in der Form ihres Mundes. Ihm selbst sah sie überhaupt nicht ähnlich. Konnte es sein, dass seine Exfrau log?

Nein, diese Theorie verwarf er gleich wieder. Tanya mochte zwar auf das schnelle Geld aus sein, aber sie war nicht dumm. Warum sollte sie versuchen, ihm das Kind eines anderen unterzuschieben? Sie wusste, dass er nur einen Vaterschaftstest durchführen lassen müsste. Wäre er nicht der Vater, würde er Tanya aufspüren und Kelly zu ihr zurückbringen. Wenn Tanya aber tatsächlich mit einem Mann wegzog, der nichts von Kellys Existenz ahnte, würde sie nicht riskieren, dass Sam plötzlich mit ihrem Kind vor der Tür stünde.

„Hat sie dir von Raoul erzählt?“, fragte Kelly. „Sein Vater ist irgendein zweitklassiger Graf oder so. Totaler Quatsch. Aber Tanya steht eben auf Titel, und Raoul ist der einzige Erbe. Sein Dad ist ziemlich alt, aber Raoul ist erst fünfundzwanzig. Sie werden einen Teil des Jahres in Paris wohnen und den anderen in irgend so einem großen Haus, das Raoul in Südfrankreich besitzt.“

„Sie hat nur erwähnt, dass sie ins Ausland ziehen wird.“

„Und dass du mich jetzt am Hals hast.“

Sie sagte das beiläufig, als wenn es ihr nichts ausmachte. Sam versuchte, hinter ihre Fassade zu schauen. Machte es einem zwölfjährigen Mädchen wirklich nichts aus, einfach so von der Mutter verlassen zu werden? Doch Kelly erwiderte seinen Blick ruhig, sie blinzelte kaum und zeigte keinerlei Gefühlsregung.

„Sie hat mir erzählt, dass du Ballett tanzt.“ Er wollte auf den Teil, dass er sie jetzt „am Hals“ hatte, nicht näher eingehen.

„Offenbar gibt es hier in Santa Barbara eine angesehene Lehrerin“, schaltete Francesca sich ein. „Kelly hat ein wenig im Internet recherchiert.“

Kelly nickte. Ihre Locken hüpften. „Du wirst mir einen Termin zum Vortanzen verschaffen müssen. Ich habe meine Trainingssachen dabei, aber mehr auch nicht. Also muss ich wohl ein wenig shoppen gehen. Du kannst mich morgen früh an einer Mall rauslassen. Oder – kann ich nicht ein Taxi nehmen? Hier draußen gibt es doch Taxen, oder?“

Sam hob die Hand. „Ganz ruhig. Eines nach dem anderen. Deine Mutter hat veranlasst, dass deine Sachen hierher geschickt werden. Sie werden Ende der Woche da sein.“

Kelly verdrehte die Augen. „Und bis dahin soll ich was machen? Tanya hat nie erwähnt, dass du ein Geizhals bist.“

„Ich bin kein …“

Er schüttelte den Kopf. Garantiert würde er sich nicht mit ihr übers Klamottenkaufen streiten. Es gab wichtigere Themen. Zum Beispiel die Schule. Ach nein. Es war ja Juni. Die Sommerferien hatten längst angefangen. Mist. Das bedeutete, sie wäre den ganzen Tag zu Hause. Konnte er eine Zwölfjährige allein lassen, während er zur Arbeit ging?

Er dachte daran, dass sie allein von New York nach Santa Barbara geflogen war. Sie allein lassen? Es sah eher so aus, als würde er sie einschließen müssen.

„Wir haben noch eine ganze Menge zu besprechen“, stellte er fest.

Kelly zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst. Ich will einfach nur direkt mit einem Ballettkurs weitermachen. Du kannst doch morgen früh da anrufen, oder? Ich habe die Nummer im Rucksack.“

Der Ballettunterricht würde sie beschäftigen – was vermutlich eine gute Idee war. „Ja. Ich ruf gleich morgen an.“

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