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Die Snow-Crystal-Trilogie

WINTERZAUBER WIDER WILLEN

Dezember - und Kayla Green hat nur einen Weihnachtswunsch: dass das "Fest der Liebe" möglichst schnell vorbeigeht! Schlitten, Rentiere und dieser bärtige alte Mann im roten Mantel sind ihr ungefähr so angenehm wie Zahnschmerzen. Da kommt der PR-Expertin der Auftrag von Jackson O’Neil sehr gelegen. Als der Hotelier sie bittet, die Feiertage im malerischen Snow Crystal zu verbringen und dort eine Kampagne für das Skiresort seiner Familie zu entwickeln, kann Kayla nicht Nein sagen. Immerhin ist Jackson ihr Auftraggeber und dazu äußerst attraktiv! Und die luxuriöse Blockhütte, in der er sie einquartiert, entpuppt sich zum Glück als lamettafreie Zone. Doch schon das erste Treffen mit Jacksons Familie bringt die Weihnachtshasserin ganz schön in Bedrängnis …

SOMMERZAUBER WIDER WILLEN

Erleben Sie einen unvergesslichen Sommer in Snow Crystal!

Stippvisite in Snow Crystal? Lieber würde Sean O’Neil sich freiwillig selbst den Blinddarm rausnehmen! Keine zehn Pferde bringen den ehrgeizigen Chirurgen normalerweise in die Einöde in den Bergen. Doch wegen eines Notfalls hat er zugestimmt, im Hotel seiner Familie mit anzupacken. Dort erwarten ihn jede Menge Erinnerungen … und die französische Küchenchefin Élise Philippe. Ihre Lippen sind noch immer so weich und süß wie Madeleines. Aber das heißt nicht, dass sich wiederholen wird, was letzten Sommer zwischen ihnen war. Denn eines will Sean auf keinen Fall: sich einfangen lassen und in der Wildnis versauern. Auch wenn Élises Küsse noch so verführerisch nach Crème Brulée schmecken …

WEIHNACHTSZAUBER WIDER WILLEN

Als Skifahrer war er unschlagbar - aber als Dad ist Taylor O’Neil weit von einer Goldmedaille entfernt. Um seiner 13-jährigen Tochter zu beweisen, wie sehr er sie liebt, will er ihr das schönste Weihnachtsfest aller Zeiten bereiten. Das Snow Crystal Skiresort seiner Familie bildet dafür schon mal die perfekte Postkartenidylle. Doch bei den restlichen Details braucht er Unterstützung. Wer könnte ihm besser beibringen, was zum Fest der Liebe gehört, als eine Lehrerin? Gut, seine alte Schulfreundin Brenna ist genau genommen Skilehrerin, dennoch scheint sie auch den Slalom weihnachtlicher Bräuche perfekt zu beherrschen. Der guten alten Tradition des Kusses unterm Mistelzweig kann Taylor jedenfalls schnell etwas abgewinnen …


  • Erscheinungstag: 13.11.2017
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 988
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955768331
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Sarah Morgan

Die Snow-Crystal-Trilogie

 

Sarah Morgan

Winterzauber wider Willen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Judith Heisig

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Sleigh Bells In The Snow

Copyright © 2013 by Sarah Morgan

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Bettina Lahrs

Titelabbildung: New Division

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN eBook 978-3-95649-371-3

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Kayla Green stellte die Lautstärke ihrer Lieblings-Playlist höher, um die weihnachtliche Musik und das Gelächter zu übertönen, die trotz der geschlossenen Bürotür an ihre Ohren drangen.

War sie eigentlich der einzige Mensch auf Erden, der diese Jahreszeit hasste?

Es musste doch jemanden da draußen geben, dem es ebenso ging wie ihr, oder?

Jemanden, der Weihnachten kein bisschen fröhlich oder stimmungsvoll fand.

Jemanden, der wusste, dass Misteln giftig waren.

Trübsinnig beobachtete sie die taumelnden Schneeflocken hinter den bodentiefen Glasfenstern, die zwei Wände ihres riesigen Eckbüros bildeten. Sie hatte ausdrücklich nicht von weißer Weihnacht geträumt, aber wie es aussah, würde sie wohl eine bekommen.

Tief unter ihr in den Straßen von Manhattan drängten sich die Touristen, die ganz wild waren auf New Yorks festliche Attraktionen. Ein riesiger Tannenbaum blinkte vor dem Rockefeller Center, und in der Ferne glitzerte der Hudson wie ein silbergrau schimmerndes Band im winterlichen Licht.

Kayla wandte ihren Blick von dem Schnee, dem Baum und den glitzernden Wolkenkratzern ab und konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm.

Kurz darauf öffnete sich die Tür, und Tony, ihr Kollege im Bereich Entertainment und Sports erschien mit zwei Gläsern Champagner.

Kayla nahm die Ohrstöpsel heraus. „Wer zum Teufel sucht da draußen eigentlich die Musik aus?“

„Gefällt sie dir nicht?“ Der oberste Knopf seines Hemdes war geöffnet, und das Glitzern in seinen Augen deutete darauf hin, dass dies nicht sein erstes Glas Champagner war. „Versteckst du dich deshalb in deinem Büro?“

„Ich suche nach innerer Ruhe, doch ich würde mich auch schon mit äußerer Ruhe zufriedengeben. Wenn du also auf dem Weg nach draußen die Tür schließen würdest, wäre das großartig.“

„Komm schon, Kayla. Wir feiern das beste Jahr, das wir je hatten. Es ist eine britische Tradition, dass man sich dabei betrinkt, schreckliche Karaoke-Lieder singt und mit seinen Kollegen flirtet.“

„Wer hat dir das denn erzählt?“

„Ich habe Bridget Jones gesehen.“

„Ach so.“ Die Musik verursachte ihr Kopfschmerzen. Es war immer dasselbe in dieser Jahreszeit. Das knotige Angstgefühl in ihrem Bauch. Das schmerzhafte Ziehen in ihrer Brust, das bis zum 26. Dezember nicht weichen wollte. „Tony, möchtest du etwas? Denn ich würde gerne weiterarbeiten.“

„Es ist unsere Bürofeier. Du kannst heute Abend nicht so lange arbeiten.“

Wenn es nach ihr ging, war es der perfekte Abend, um lange zu arbeiten.

„Hast du A Christmas Carol gesehen? Oder das Buch gelesen?”

Er stellte das Glas Champagner vor ihr auf den Schreibtisch. „Ich schätze, in diesem Szenario bist du nicht Tiny Tim, was dich entweder zu Scrooge oder zu einem der Geister macht.“

„Ich bin Scrooge, aber ohne das geschmacklose Nachthemd.“ Ohne das Glas Champagner zu beachten, blickte Kayla in Richtung Tür. „Ist Melinda da draußen?“

„Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, bezirzte sie den CEO von Adventure Travel, der dich schon den ganzen Abend sucht, um dir persönlich für das unglaubliche Jahr zu danken, das seine Firma erlebt hat. Die Buchungen sind um zweihundert Prozent gestiegen, seit du ihren Account übernommen hast. Und nicht nur das, du hast sein Bild auf das Cover des Time Magazine gebracht.“ Er hob das Glas, und sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Bis du nach New York kamst, war ich der Goldjunge. Brett gab mir immer Tipps, wie ich nach ganz oben komme. Ich war bestens darauf vorbereitet, der jüngste Vizepräsident zu werden, den diese Firma je ernannt hat.“

In ihrem Kopf begann eine Alarmglocke zu klingeln. „Tony …“

„Nun geht diese Auszeichnung vermutlich an dich.“

„Du bist noch immer der Goldjunge. Wir arbeiten in verschiedenen Bereichen. Können wir morgen darüber sprechen?“ Kayla kramte in ihrer Tasche nach einem Bericht und wünschte sich, sie könnte hineinspringen, sie zumachen und bis Januar darin bleiben. „Ich bin wirklich beschäftigt.“

„Zu beschäftigt, um mein angeschlagenes Ego aufzubauen?“ Sie beäugte den Champagner. „Meine Überzeugung war immer, dass die Menschen für ihr Ego selbst verantwortlich sein sollten.“

Er lachte verächtlich. „Bei jedem anderen hätte ich eine Anspielung in diesem Satz vermutet, aber du machst keine Anspielungen, nicht wahr? Du hast keine Zeit dafür. Genauso wie du keine Zeit für Partys hast oder für einen Drink auf dem Heimweg nach der Arbeit. Du hast für nichts Zeit, außer für die Arbeit. Für Kayla Green, Associate Vice President des Bereichs Hotels & Tourismus, geht es immer nur um das nächste Geschäft. Weißt du eigentlich, dass wir eine Wette im Büro laufen haben, ob du mit deinem Telefon ins Bett gehst?“

„Natürlich gehe ich mit meinem Telefon ins Bett. Du etwa nicht?“

„Nein. Manchmal gehe ich mit einem Menschen ins Bett, Kayla. Einer scharfen nackten Frau. Manchmal vergesse ich die Arbeit und stürze mich in eine Nacht voll unglaublichem Sex.“ Seine Augen ruhten auf ihr, und die Botschaft war unmissverständlich. Kayla wünschte, sie hätte ihre Bürotür abgeschlossen.

„Tony …“

„Ich mache mich hier vermutlich zum totalen Idioten, aber …“

Bitte nicht.“ Da sie vielleicht gleich beide Hände brauchen würde, entschied sich Kayla, die Suche nach der Akte aufzugeben. „Geh zurück zu der Feier.“

„Du bist die verführerischste Frau, der ich je begegnet bin.“

Oh verdammt.

„Tony …“

„Ich muss zugeben, dass ich mir vorgenommen hatte, dich zu hassen, als du von London hierherkamst und direkt zum Associate Vice President ernannt wurdest. Aber mit deiner süßen britischen Art hast du uns alle bezaubert, und Brett hast du mit deinem geschäftlichen Killerinstinkt bezaubert.“ Er beugte sich vor. „Und du hast mich bezaubert.“

Kayla blickte auf das Glas in seiner Hand. „Wie viele davon hattest du schon?“

„Vor ein paar Tagen habe ich dich im Konferenzraum bei einer Präsentation für einen Kunden beobachtet. Du hast nie stillgestanden.“

„Ich kann besser denken, wenn ich mich bewege.“

„Ja, du läufst da herum in diesem engen kleinen Bleistiftrock, der deinen Hintern betont, und in diesen himmelhohen High Heels, die unendlich lange Beine machen, und die ganze Zeit, die du da herumliefst, dachte ich: ‚Kayla Green hat den schärfsten Verstand im Geschäft, aber sie hat auch fantastische Beine …‘“

„Tony …“

„… und sie hat nicht nur fantastische Beine, sondern auch noch unglaubliche grüne Augen, die einen Mann aus tausend Schritten Entfernung töten können.“

Sie starrte ihn eindringlich an und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Es funktioniert nicht. Du lebst schließlich immer noch, insofern musst du mit deiner Einschätzung falschliegen. Und jetzt geh zurück zu der Feier.“

„Lass uns hier abhauen, Green. Gehen wir zu mir. Nur du und ich und mein riesengroßes Bett.“

„Tony …“ Sie versuchte, ihrer Stimme den richtigen Tonfall zu geben. Bestimmt, sachlich und eindeutig nicht interessiert. „Ich verstehe, wie viel Mut es dich gekostet hat, mir deine Gefühle ehrlich mitzuteilen, und ich werde ebenso offen sein.“ Na ja, nicht ganz, aber so nah an offen, wie sie überhaupt konnte. „Mal abgesehen von dem Umstand, dass ich niemals etwas mit einem Kollegen anfangen würde, weil es unprofessionell wäre, bin ich wirklich schlecht in Beziehungen.“

„Du kannst gar nicht in irgendwas schlecht sein. Ich hörte, wie Brett diese Woche einem Kunden erzählte, dass du ein Superstar bist.“ Eine bittere Schärfe schlich sich in seine Stimme, und sie seufzte.

„Geht es hier darum? Um Wettbewerb? Als Brett dir Tipps gegeben hat, wie du es allen zeigen kannst, hat er vermutlich nicht gemeint, dass du das wörtlich nehmen sollst.“

„Heißer, schmutziger Sex, Kayla, und nur heute Nacht.“ Er hob das Glas. „Ein Morgen gibt es nicht.“

Soweit es sie betraf, konnte das Morgen gar nicht früh genug kommen. „Gute Nacht, Tony.“

„Ich würde dich deine E-Mails vergessen lassen.“

„Kein Mann hat mich je meine E-Mails vergessen lassen.“ Der Gedanke an diese traurige Tatsache verbesserte ihre Stimmung keineswegs. „Du bist betrunken, und du wirst diese Szene morgen früh bereuen.“

Er setzte sich auf ihren Schreibtisch, direkt auf einen Stapel von Rechnungen, die sie noch abzeichnen musste. „Weißt du, ich dachte immer, ich würde hart arbeiten, aber dann traf ich dich. Kayla Green, PR-Genie, das allen immer einen Schritt voraus ist.“

Sie zog an den Rechnungen. „Mein nächster Schritt wird ein Tritt in deinen Hintern sein, wenn du nicht von meinen Rechnungen aufstehst.“

„Hintern? Ich dachte, ihr Briten sagt Arsch dazu.“

„Hintern, Arsch – nenn ihn, wie du willst, aber nimm ihn von meinem Schreibtisch. Und jetzt geh nach Hause, bevor du etwas sagst, das du zu jemandem, der wichtig ist, besser nicht sagen solltest.“ Sie war schon drauf und dran, aufzustehen und ihn mit Körpereinsatz hinauszuwerfen, sah aber zu ihrer Erleichterung, dass die Tür sich öffnete und Stacy, ihre persönliche Assistentin, hereinkam.

Ihr Blick fiel auf das leere Glas in Tonys Hand. „Äh, Tony – Brett sucht dich. Eine neue Chance für ein Geschäft. Er sagt, du bist der Richtige, das in die Hand zu nehmen.“

„Tatsächlich? In dem Fall …“ Tony nahm Kaylas unberührtes Glas und schlenderte zur Tür. „Das Geschäft geht immer vor, nicht wahr? Auf jeden Fall vor das Vergnügen.“

Stacy sah ihm erstaunt nach. „Was ist denn in den gefahren?“

„Offenbar zwei Flaschen Champagner.“ Kayla stützte den Kopf in die Hände und starrte ausdruckslos auf den Bildschirm. „Hat Brett ihn wirklich gesucht?“

„Nein, aber du sahst aus, als würdest du ihn gleich schlagen, und ich wollte nicht, dass du Weihnachten im Gefängnis verbringst. Das Essen dort soll furchtbar sein.“

„Du bist wirklich einmalig und hast dir einen fetten Bonus verdient.“

„Du hast mir bereits einen fetten Bonus gezahlt. Ich habe mir dieses Top spendiert.“ Stacy drehte sich wie eine Ballerina, und schwarze Pailletten glitzerten im Licht. „Was meinst du?“

„Es ist toll. Aber komm damit Tentakel-Tony nicht zu nah.“

„Ich finde ihn süß.“ Stacy errötete. „Tut mir leid. Wolltest du gar nicht wissen.“

„Du findest ihn attraktiv?“ Kayla starrte zur Tür, durch die Tony vor wenigen Minuten verschwunden war, und fragte sich, was mit ihr nicht stimmte. „Ernsthaft?“

„Jede tut das. Außer dir natürlich, aber das liegt daran, dass du zu viel arbeitest, um es zu bemerken. Warum kommst du nicht mit zur Feier?“

„Alle werden über ihre Weihnachtspläne sprechen. Ich bin gut in Gesprächen über die Arbeit, aber völlig verloren, wenn es um Kinder, Haustiere und Großmütter geht.“

„Apropos Arbeit, wir haben einen potenziellen neuen Kunden. Der Typ kommt morgen zu einem ersten Gespräch. Brett möchte dich bei dem Meeting dabeihaben.“

Der Themenwechsel verbesserte ihre Laune sofort. „Was für ein Typ?“

„Jackson O’Neil.“

„Jackson O’Neil.“ Sie kramte in ihrem Hirn. „Der CEO von Snowdrift Leisure. Denen gehört eine Handvoll Luxushotels, die sich auf Wintersport spezialisiert haben. Die meisten befinden sich in Europa. Zermatt, Klosters, Chamonix. Eindrucksvolle Bilanz. Sehr erfolgreich. Was ist mit ihm?“

Stacy starrte sie mit offenem Mund an. „Woher weißt du all dieses Zeug?“

„Damit beschäftige ich mich, wenn andere Menschen ihr Privatleben führen.“ Kayla tippte Jackson O’Neil in die Suchmaschine. „Sollen wir für sie tätig werden? Ich könnte mit jemandem im Londoner Büro sprechen.“

„Es geht nicht um das Europageschäft. Und auch nicht um Snowdrift Leisure. Er ist vor achtzehn Monaten in der Firma etwas kürzergetreten, um in die USA zurückzukehren und sich auf den Familienbetrieb zu konzentrieren.“

„Tatsächlich? Wie konnte mir das entgehen?“ Kayla betrachtete die Bilder, die auf dem Bildschirm auftauchten. Jackson O’Neil war mindestens zwei Jahrzehnte jünger, als sie erwartet hatte. Statt der üblichen Porträts zeigte ihn ein Bild, wie er auf Skiern eine scheinbar senkrechte Piste hinunterfuhr. Sie musste den Kopf neigen, um ihn richtig zu sehen. „Ist das Photoshop?“

Stacy sah ihr über die Schulter und stieß einen anerkennenden Laut aus. „Der Kerl ist wirklich heiß. Ich wette, er trinkt Wodka Martini, geschüttelt, und nicht gerührt. Das ist kein Photoshop. Alle drei O’Neil-Brüder sind Skifahrer. Tyler O’Neil gehörte zum US-Skiteam, bis er sich verletzte. Sie stürzen sich ständig von irgendwelchen Klippen oder so herunter.“

„Dann sollte ich wohl besser nicht erwähnen, dass mir auf der Aussichtsplattform des Empire State Building schwindlig wird.“ Kayla klickte das Bild weg. „Snowdrift Leisure ist eine rasch wachsende erfolgreiche Firma. Warum konzentriert er sich nicht darauf?“

„Wegen der Familie. Den O’Neils gehört das Snow Crystal Resort and Spa in Vermont.“

Familie. Die zerstörerischste Kraft, die die Menschheit kannte. „Ich habe nie davon gehört.“

„Ich schätze, das ist der Grund, warum er uns um Hilfe bittet.“

„Wenn er das Familienunternehmen leiten will, warum hat er das dann nicht von Anfang an getan, statt seine eigene Firma zu gründen?“ Sie klickte sich durch die Homepage von Snow Crystal und begutachtete die Bilder. Ein riesiges Hotel im Alpenstil und kleine Blockhütten, die sich im Wald versteckten. Ein lächelndes Paar in einem von Pferden gezogenen Schlitten. Lachende Familien, die auf einem gefrorenen See Schlittschuh liefen. Rasch klickte sie sich zu den Bildern der Blockhütten zurück. „Vielleicht liebt er Herausforderungen.“

„Er wird es dir zweifellos verraten, wenn ihr euch kennenlernt. Er hat ausdrücklich nach dir gefragt. Er hat gesehen, was du für Adventure Travel geleistet hast.“

Kayla starrte auf die Cottages und dachte, wie friedlich sie wirkten. „Schreiben sie den Auftrag aus?“

„Brett glaubt, dass der Auftrag uns gehört, wenn du Jackson O’Neil morgen überzeugen kannst.“

„Dann sollten wir wohl besser zusehen, dass wir ihn beeindrucken.“

„Ich bin sicher, dass dir das gelingt.“ Stacy zögerte. „Bist du jemals Ski gefahren?“

„Nicht wirklich. Ich meine, ich habe niemals auf einem Paar Skier gestanden, aber immerhin bin ich letzte Woche auf dem Schnee draußen vor Bloomingdales herumgerutscht. Ich hatte das Gefühl, mein Magen dreht sich um. Skifahren muss sich ähnlich anfühlen.“

Stacy lachte. „Meine Eltern sind mit mir nach Vermont gefahren, als ich klein war. Ich kann mich nur noch an Eis erinnern. Selbst die Bäume waren gefroren.“

„Das trifft sich gut, ich liebe Eis.“

„Tatsächlich?“

„Und wie. Idealerweise gestoßen in einer Margarita oder in Schwanenform als Mittelpunkt eines Buffets, aber wenn es sein muss, werde ich auch mit Eis unter meinen Füßen fertig. Es wird alles gut laufen, Stacy. Schließlich helfe ich ihnen nur, den Laden bekannt zu machen, und verbringe dort nicht meine Ferien. Musste ich etwa einen Löwen umarmen, als ich an dieser Afrikasache arbeitete? Nein, musste ich nicht.“ Kayla verspürte die gewohnte Erregung, die sie angesichts einer neuen Auftragschance immer ergriff. Ihre Weihnachtsängste legten sich ein wenig, nun, da sie einen gewichtigen und allgemein respektierten Grund hatte, sich in Arbeit zu vergraben. Damit würde sie die heikle Zeit überstehen, wie sie es immer tat, und niemand würde etwas von ihrem Elend bemerken. „Sei so gut und besorg mir so viel Material wie möglich über Snow Crystal und die O’Neils, vor allem über Jackson. Ich möchte wissen, warum er sich aus seinem höchst erfolgreichen Unternehmen zurückgezogen hat, um nach Hause zurückzukehren und einen alten Kasten zu führen, den ich nicht einmal auf der Landkarte finden kann.“

„Ich werde es dir morgen als Erstes auf den Tisch legen.“ Flott und effizient machte sich Stacy eine Notiz. „Vielleicht solltest du danach mal Pause machen, Kayla. Du vergisst dauernd, dass Weihnachten ist!“

„Das vergesse ich nicht.“

Seit fünfzehn Jahren versuchte sie, es zu vergessen. Aber es gab kein Vergessen.

Wann auch immer sie ihr Apartment oder das Büro verließ, ging sie mit gesenktem Kopf, um den Blick auf glitzernden Fensterschmuck und funkelnde Lichter zu vermeiden, doch nichts half.

Stacy ordnete den Stapel Rechnungen. „Bist du sicher, dass du uns nicht doch bei unserem Teamausflug zum Weihnachtsmann begleiten willst?“

Kayla hatte das Gefühl, als würde ihr jemand durch den Bauch sägen.

Sie zog die Schublade auf, holte die Magentabletten heraus und steckte zwei in den Mund. Sie fragte sich, ob sie wohl bis nach Weihnachten außer Gefecht wäre, wenn sie einfach die ganze Schachtel nahm. „Ich kann nicht, tut mir leid, aber danke für die Einladung.“

„Es gibt dort Weihnachtsbäume und Elfen …“

„Oh Gott, du Ärmste.“

„Warum Ärmste? Ich liebe Weihnachten.“ Stacy blickte sie verwirrt an. „Du etwa nicht?“

„Ich vergöttere Weihnachten. Ich bin völlig am Boden zerstört, dass ich euch nicht begleiten kann. Ich meinte ich Ärmste, nicht du Ärmste.“ Ihr Kiefer schmerzte vor Anstrengung, so etwas wie ein Lächeln hinzubekommen. „Denkt an mich, während ihr mit den Elfen tanzt.“

„Vielleicht solltest du trotzdem mitkommen und mit dem Weihnachtsmann reden. Du könntest ihm deinen Wunschzettel geben: Lieber Santa, bitte bring mir den Snow-Crystal-Auftrag zusammen mit einem ordentlichen Budget. Und wenn du schon dabei bist, hätte ich gerne auch noch Jackson O’Neil nackt. Das Geschenkpapier kannst du dir sparen.“

Alles, was sie sich zu Weihnachten wünschte, war, dass es möglichst schnell vorüberging.

Die aufflackernden Erinnerungen trafen sie wie ein Schlag. Kayla stand abrupt auf und ging zum Fenster. Doch alles, was sie da draußen sah, hatte mit Weihnachten zu tun. Sie ging zurück an ihren Schreibtisch, setzte sich und schwor sich im Stillen, nächstes Jahr eine Reise in die Antarktis zu buchen. Wale beobachten. Wale feierten kein Weihnachten, oder?

Als das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte, atmete sie erleichtert auf. Gott sei Dank.

Stacy wurde sofort wieder geschäftlich und griff über den Schreibtisch nach dem Hörer, doch Kayla winkte ab.

„Ich nehme das. Ich erwarte einen Anruf des CEO von Extreme Explore. Mir wäre es allerdings lieber, wenn der Mann nicht taub werden würde von diesen Weihnachtsglocken oder Schlittenglocken oder was für Glocken auch immer da draußen bimmeln. Insofern wäre es toll, wenn du die Tür hinter dir zumachst, wenn du wieder zurück zur Feier gehst. Danke, Stacy. Und falls irgendjemand fragt, ich bin nicht da, und du hast auch keine Ahnung, wo ich bin.“ Kayla wartete, bis Stacy die Tür hinter sich schloss, stöhnte dann entnervt auf und ließ ihre Stirn auf die Tischplatte sinken. „Beschissenes, elendes, grauenhaftes Weihnachten. Bitte geh dieses Jahr rasch vorüber, weil ich ansonsten noch das letzte Stückchen Eis aus Vermont brauche für all die Drinks, die ich trinken werde.“ Sie setzte sich auf, atmete tief durch, strich sich das Haar aus dem Gesicht und nahm den Hörer. „Oliver?“ Da sie nicht wollte, dass er die Verzweiflung in ihrer Stimme hörte, setzte sie wieder ihr Lächeln auf. Gott sei Dank war dies keine Videokonferenz. „Hier ist Kayla. Schön, Sie zu hören. Wie geht es Ihnen? Ich habe Ihre Geschäftspläne für das nächste Jahr durchgearbeitet. Aufregend!“

Mit dem hier, dachte sie, wurde sie fertig.

Kein Weihnachten. Kein Weihnachtsmann. Keine Erinnerungen.

Nur Arbeit.

Wenn sie den Kopf einzog und sich voll darauf konzentrierte, den O’Neil-Auftrag zu ergattern, wären die schrecklichen Feiertage bald überstanden.

„Was für ein verdammter Unsinn ist das denn?“ Walter O’Neil war achtzig Jahre alt, ließ seine Faust aber mit der Energie eines halb so alten Mannes auf den Küchentisch niedersausen. Sein Enkel Jackson saß im Sessel und biss sich auf die Zunge, um nicht aus der Haut zu fahren.

Jedes Treffen verlief gleich.

Bei jeder Auseinandersetzung kamen sie auf dasselbe Thema zurück.

Dies war der Grund, warum er nicht mit seiner Familie hatte arbeiten wollen. Es war nichts Berufliches, sondern etwas Persönliches. Es gab keinen Raum, um zu agieren. Jeder Anflug einer guten Idee wurde im Keim erstickt. Er hatte sein eigenes Unternehmen aus dem Nichts erfolgreich aufgebaut, und nun kam er sich wie ein Teenager vor, der am Wochenende im Familienbetrieb aushalf.

„Das nennt man Public Relations, Gramps.“

„Das nennt man Geldverschwendung. Ich hätte das nicht getan und dein Vater auch nicht.“

Das war ein Schlag unter die Gürtellinie. Jackson wechselte einen raschen Blick mit seinem Bruder, doch bevor einer von beiden antworten konnte, ertönte ein lautes Klirren. Seine Großmutter starrte bestürzt auf die Scherben am Boden.

Der Welpe winselte und kroch Rettung suchend unter den Tisch.

„Grams …“ Jackson sprang sofort auf, doch seine Mutter war vor ihm bei seiner Großmutter.

„Macht nichts, Alice, ich mochte diesen Teller sowieso nie. Hässliches Ding. Ich räume die Scherben fort.“

„Normalerweise bin ich nicht so tollpatschig.“

„Du hast den ganzen Vormittag gebacken. Du musst erschöpft sein.“ Sie warf ihrem Schwiegervater einen vorwurfsvollen Blick zu, den dieser ungerührt erwiderte.

„Was? Willst du damit andeuten, dass ich nicht über Michael sprechen darf? Wollen wir alle so tun, als ob wir nicht wissen, was hier gerade geschieht? Kehren wir sein Andenken wie Krümel unter den Teppich?“

Jackson wusste nicht, was schlimmer war – mit ansehen zu müssen, wie seine sonst so quirlige Großmutter ganz kleinlaut wurde, oder der Schatten, der sich über das Gesicht seiner Mutter legte.

„Ich brauche Hilfe beim Dekorieren der Lebkuchenmänner.“ Sie schmeichelte und beruhigte und sorgte dafür, dass jeder sich wohlfühlte, wobei sie die düstere Stimmung ihres Schwiegervaters ignorierte. Innerhalb von Sekunden hatte sie Alice vor ein Blech mit frischen Lebkuchenmännern und verschiedenen Schüsseln mit gefärbtem Zuckerguss gesetzt.

„Ich dachte, dies sollte ein Familientreffen werden, kein Familienstreit“, meldete sich Tyler vom anderen Ende des Tisches ungeduldig zu Wort.

„Streit?“ Alice sah besorgt zu Elizabeth. „Ist dies denn ein Streit?“

„Natürlich nicht. Es soll nur jeder zu Wort kommen.“

„Familien müssen zusammenhalten.“

„Wir sind zusammen, Alice. Aus diesem Grund ist es so laut und unruhig.“

„Wenn das so ist, dann ziehe ich mich mit Vergnügen zurück.“ Tyler war schon halb aufgestanden, doch Jackson warf ihm einen warnenden Blick zu.

„Bleib sitzen. Wir sind hier noch nicht fertig.“

„Ich bin fertig.“ Tyler hasste jede Form von Autorität. Er hielt Jacksons Blick stand, doch als er sah, wie sein Bruder angriffslustig das Kinn vorschob, ließ er sich wieder auf den Stuhl fallen. „Kann mir jemand sagen, warum ich überhaupt nach Hause gekommen bin?“

„Weil du eine Tochter hast“, blaffte Walter. „Und Verantwortung. Es kommt der Tag im Leben eines Mannes, wenn er mehr tun muss, als die Pisten hinunterzurasen und Frauen aufzureißen.“

„Du warst derjenige, der mir beigebracht hat, die Pisten hinunterzurasen. Du hast mir die Gene gegeben und die Ski, und du hast mir gezeigt, was ich mit beidem tun muss.“

Jackson fragte sich, wie zum Teufel er diesen Laden hier zum Laufen bringen sollte, wenn sein „Personal“ mehr seelische Bürden mit sich rumschleppte, als man am Flughafen Gepäck fand.

„Wir sollten beim Geschäftlichen bleiben.“ Sein Ton brachte ihm die Aufmerksamkeit ein, die er brauchte. „Tyler, du hilfst Brenna bei der Erstellung des Programms für die Winteraktivitäten.“ Und da lauert schon ein weiteres Problem, dachte er. Er hatte den Eindruck, dass Brenna nicht allzu erfreut war, Tyler in Snow Crystal wiederzusehen, und er war ziemlich sicher, dass er den Grund dafür kannte.

Er sah zu, wie seine Mutter eine Schüssel mit weißem Zuckerguss auf den Tisch stellte und seiner Großmutter ein Messer reichte.

Nun, da Alice beschäftigt war, widmete sich Elizabeth O’Neil dem zerbrochenen Porzellan auf dem Boden.

Jackson fühlte sich, als müsste er barfuß über die Scherben balancieren.

„Ich habe vor, dieses Geschäft hier anzukurbeln, doch dafür muss ich einige Veränderungen vornehmen.“

Sein Großvater sah ihn finster an. „Es lief durchaus gut, als ich es führte und als dein Vater es führte.“

Nein, das tat es nicht. Die bittere Wahrheit über die Situation der Firma lag ihm bereits auf der Zunge, doch dann sah er, wie seine Mutter den Besen umklammerte, sodass ihre Fingerknöchel ganz weiß wurden. Wusste sie, welch ein Chaos sein Vater hinterlassen hatte?

Er hätte es ihnen direkt sagen und gar nicht erst versuchen sollen, sie zu schützen, dachte er. Wenn er von vornherein Klartext geredet hätte, wären sie jetzt vielleicht nicht gegen ihn.

Jackson sah seinen Großvater an. „Ich bin nach Hause gekommen, um den Betrieb zu übernehmen.“

„Niemand hat dich darum gebeten.“

Elizabeth straffte die Schultern. „Ich habe ihn darum gebeten.“

„Wir brauchen ihn hier nicht.“ Walter schlug mit der Faust auf den Tisch. „Er hätte dort bleiben sollen, wo er war, und seine neumodische Firma leiten und den dicken Chef markieren. Ich hätte den Betrieb hier leiten können.“

„Du bist achtzig Jahre alt, Walter. Du solltest es langsamer angehen lassen und dir nicht noch mehr aufbürden. Schluck doch bitte einmal deinen Stolz hinunter und nimm die Hilfe an, die dir angeboten wird.“ Elizabeth klaubte die Porzellanscherben auf. „Du solltest dankbar sein, dass Jackson nach Hause gekommen ist.“

„Ich bin nicht dankbar! Ein Unternehmen ist dazu da, um Geld zu machen. Doch er gibt es nur aus.“

Jackson blieb ruhig und bemühte sich, den aufsteigenden Ärger zurückzuhalten. „Das nennt man eine Investition.“

„Das nennt man Geldverschwendung.“

„Es ist mein verdammtes Geld.“

„Kein Fluchen in meiner Küche, Jackson O’Neil.“

„Und warum zur Hölle nicht?“ Tyler war so unruhig wie ein eingesperrtes Wildtier. Jackson wusste, dass sein Bruder sich hier drinnen gefangen fühlte und dieses Gefühl fast so sehr hasste wie jede Form von Autorität. Alles, was er je gewollt hatte, war Ski fahren, und das so schnell, wie es menschenmöglich war. Seit der Verletzung, die seine Skifahrerkarriere beendet hatte, litt er an starken Stimmungsschwankungen.

„Provozier deinen Großvater nicht, Tyler.“ Seine Mutter warf die Scherben in eine Mülltüte. „Ich mache erst einmal Tee.“

Er stand kurz davor zu sagen, dass sie nicht Tee, sondern Teamarbeit brauchten, doch dann erinnerte sich Jackson daran, dass seine Mutter immer Tee kochte und alle möglichen Sachen backte, wenn sie gestresst war. Und sie war seit achtzehn Monaten gestresst. „Tee wäre großartig, Mom.“

„Wenn du von mir erwartest, hier sitzen zu bleiben, brauche ich etwas verdammt Stärkeres als Tee.“ Tyler holte sich ein weiteres Bier aus dem Kühlschrank und warf auch seinem Bruder eines zu.

Jackson fing die Dose mit einer Hand auf. Er wusste, dass Tyler die ganze Situation trotz seiner äußeren Gleichgültigkeit ebenso wenig gefiel wie ihm. Es bedrückte ihn, dass sie diesen Ort verlieren konnten. Es ging ihm auf die Nerven, dass sein Großvater sich weigerte, die Dinge loszulassen.

Jackson fragte sich, ob es falsch von ihm gewesen war, nach Hause zu kommen.

Doch dann sah er das faltige, ängstliche Gesicht seiner Großmutter, die sich verbissen auf die Verzierung der Lebkuchenmänner konzentrierte, und die besorgte Miene seiner Mutter und wusste, dass er auf keinen Fall hätte fortbleiben können.

Sein Großvater wollte ihn vielleicht nicht hier haben, doch er wurde zweifellos gebraucht.

Er sah zu, wie seine Mutter herumwuselte und Trost darin fand, sich um andere Menschen zu kümmern. Sie stellte ein Blech mit frisch gebackenen Zimtsternen in die Mitte des riesigen Pinientisches und sah nach dem Brot, das im Ofen buk.

Der Duft rief Erinnerungen an seine Kindheit wach. Die große freundliche Küche war immer ein Teil seines Lebens gewesen. Nun war sie das, was einem Konferenzraum am nächsten kam, und seine anstrengende, nervige und liebenswerte Familie war sein Geschäftsführungsteam. Zwei Senioren in den Achtzigern, eine trauernde Witwe, ein draufgängerischer Bruder und ein überdrehter Welpe mit Erziehungsbedarf.

Beam mich hoch, Scotty.

Seine Mutter stellte einen dampfenden Becher neben sein Bier, und er verspürte einen kurzen Anflug von Schuldgefühl, weil er sich gerade heftig in sein altes Büro zurückwünschte, zu seinem erfahrenen Team, wo er sich ausschließlich auf die Arbeit konzentrieren konnte. Diese Zeit schien so lange zurückzuliegen. Sein Leben hatte sich verändert. Und im Moment war er nicht sicher, ob zum Besseren.

„Die Veränderungen, die wir vornehmen, werden etwas bewegen, doch wir müssen den Leuten von diesen Veränderungen erzählen. Dafür engagiere ich eine PR-Agentur, die ich aus meiner Tasche bezahle.“ Angesichts der finanziellen Lage von Snow Crystal blieb ihm auch gar nichts anderes übrig. „Wenn ich also Geld verschwende, dann höchstens mein eigenes.“

Sein Großvater schnaubte abfällig. „Wenn du dein eigenes Geld wegwerfen möchtest, bist du sogar noch dümmer, als ich dachte.“

„Ich engagiere Experten.“

„Du meinst Außenstehende.“ Walter rümpfte die Nase. „Und vielleicht solltest du auch mit deinem anderen Bruder sprechen, bevor du hier Entscheidungen über das Familienunternehmen triffst.“

„Sean ist nicht hier.“

„Weil er so vernünftig ist, die Leitung anderen zu überlassen. Ich sage nur, dass er wissen sollte, was hier vor sich geht, das ist alles.“

„Er kommt Weihnachten nach Hause. Dann spreche ich mit ihm.“ Jackson beugte sich vor. „Ich brauche jemanden, der Snow Crystal die Aufmerksamkeit verschaffen kann, die es verdient. Wir müssen die Buchungszahlen verbessern. Wir brauchen belegte Betten.“

„Geht es darum, dass du hier etwas beweisen willst? Denn das hast du bereits getan mit deiner großspurigen Art, deiner modernen Firma und deinen neumodischen Autos.“

Veränderung, dachte Jackson. Sie hassen Veränderung.

Alles, was sein Großvater verstand, waren klare Worte. Na gut, dann würde er eben klare Worte bekommen.

„Wenn wir die Dinge so lassen, wie sie sind, verlieren wir das Unternehmen.“

Seine Großmutter kleckerte eine Lache Zuckerguss auf den Tisch, seine Mutter wurde blass, und die blauen Augen seines Großvaters blitzten in seinem zerfurchten Gesicht wütend auf.

„Dieser Ort ist seit vier Generationen im Besitz unserer Familie.“

„Und ich versuche ihn der Familie auch für die nächsten vier Generationen zu erhalten.“

„Indem du ein Vermögen für eine schicke New Yorker Agentur ausgibst, die Vermont nicht einmal auf der Landkarte finden kann? Was verstehen die schon von unserem Geschäft?“

„Eine Menge. Sie haben eine Abteilung, die sich auf Hotels und Tourismus spezialisiert hat, und die Frau, die sie leitet, weiß, was sie tut. Hast du schon einmal von Adventure Travel gehört?“ Jackson beugte sich auf seinem Stuhl noch weiter vor. „Sie standen vor dem Untergang, als Kayla Green den Kunden übernahm. Ihr gelang es, dass das Unternehmen in allen anvisierten Schlüsselmedien erwähnt wurde.“

„Ach, Fachchinesisch“, brummte Walter. „Wer ist sie denn? Eine Zauberin?“

„Sie ist PR-Spezialistin. Eine der Besten auf ihrem Gebiet. Sie hat Medienkontakte, von denen wir anderen nur träumen können.“

„Sie ist nicht die Einzige mit Medienkontakten.“ Walter O’Neil schnaubte demonstrativ, um zu zeigen, was genau er von Kayla Greens Fähigkeiten hielt. „Ich gehe seit zwanzig Jahren mit Max Rogers, dem Herausgeber der Snow Crystal Post, zum Bowling. Wenn ich einen Artikel in der Zeitung haben möchte, bitte ich ihn darum.“

Die Snow Crystal Post.

Jackson wusste nicht, ob er lachen oder ein Loch in den Tisch hauen sollte.

Seinem Großvater die Geschäftsführung von Snow Crystal abzunehmen war ungefähr so, als würde man versuchen, einem hungrigen Löwen ein Stück frisches Fleisch aus dem Maul zu reißen.

„Die Lokalpresse ist großartig, doch wir brauchen vor allem Aufmerksamkeit von den nationalen und internationalen Medien …“ Er wollte eigentlich noch „soziale Medien“ hinzufügen, entschied sich aber, damit gar nicht erst anzufangen. „PR beinhaltet mehr, als mit der Presse zu sprechen, und wir müssen größer denken als die Snow Crystal Post.“

„Größer ist nicht immer besser.“

„Nein, aber klein kann pleite bedeuten. Wir müssen expandieren.“

„Du hörst dich an, als ob wir eine Fabrik sind!“

„Keine Fabrik, ein Unternehmen. Ein Unternehmen, Gramps.“ Jackson rieb sich mit den Fingerspitzen die Stirn, um seinen Kopfschmerz zu lindern. Er war daran gewöhnt, irgendwo hereinzukommen und dafür zu sorgen, dass die Arbeit gemacht wurde. Aber das galt jetzt nicht mehr. Nicht bei seiner eigenen Familie, denn hier ging es darum, Gefühle zu berücksichtigen.

Doch langsam wurde ihm klar, dass sie nur auf harte Fakten reagieren würden. „Es ist wichtig, dass ihr erfahrt, wie die Dinge im Moment stehen …“

Seine Mutter schob ihm einen Teller hin. „Nimm einen Lebkuchenmann.“

Jackson starrte düster auf die lächelnden Lebkuchenmännchen. Sie würden nicht so verdammt fröhlich aussehen, wenn sie wüssten, wie schwarz die Zukunft für das Familienunternehmen war.

„Mom …“

„Du bringst das schon in Ordnung, Jackson. Du wirst tun, was richtig ist. Übrigens, Walter …“ Ihr Ton war beiläufig. „Warst du schon beim Arzt wegen dieser Schmerzen in deiner Brust? Ich kann dich heute gern rüberfahren.“

Walter verzog mürrisch das Gesicht. „Ich habe mir beim Holzhacken einen Muskel verspannt. Es ist nichts.“

„Er will einfach nicht hören.“ Alice tauchte ein Messer in die Schüssel mit Zuckerguss. „Ich sage ihm immer wieder, dass er es beim Sex ruhiger angehen lassen sollte, doch er ignoriert mich.“

„Guter Gott, Grams!“ Tyler rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Seine Großmutter blickte von dem Lebkuchenmann in ihrer Hand auf. Etwas vom alten Feuer flackerte in ihren Augen.

„Achte auf deine Sprache! Und was ist überhaupt los mit dir? Glaubst du etwa, Sex ist nur etwas für die Jungen? Du hast Sex, Tyler O’Neil. Jede Menge sogar, wenn man den Gerüchten glauben darf.“

„Ja, aber ich rede nicht mit meiner Großmutter darüber.“ Tyler erhob sich. „Ich bin dann mal weg. Ich kann nur ein gewisses Maß an Familie an einem einzigen Tag ertragen. Höchste Zeit, die Pisten hinunterzurasen und Frauen hinterherzujagen.“

Da er wusste, dass Tyler nicht Teil seines Problems war, ließ Jackson ihn ohne Widerspruch ziehen.

Er fing den Blick seiner Mutter auf und las die Botschaft in ihren Augen.

Sie warnte ihn davor, den Druck auf seinen Großvater weiter zu vergrößern.

Die Tür schlug hinter Tyler zu, und seine Großmutter verzog das Gesicht. „Er war als Junge wild, und er ist als Mann wild.“

„Er ist nicht wild.“ Elizabeth füllte Milch in ein hübsches gepunktetes Kännchen. „Er hat einfach seit seiner Verletzung noch nicht seinen Platz in der Welt gefunden. Er wird sich mit der Zeit fangen, vor allem jetzt, da er Jess zu Hause hat.“

Jackson dachte, dass seine Mutter ebenso gut von sich selbst sprechen könnte. Seit dem Tod seines Vaters hatte sie ihren Platz in der Welt nicht gefunden. Die Wunde war so frisch wie immer, und Elizabeth taumelte herum wie ein Vogel mit gebrochenem Flügel.

Der Kuchenduft lockte den Welpen unter dem Tisch hervor. Er schaute hoffnungsvoll zu Jackson hoch und wedelte so stark mit dem Schwanz, dass der ganze Körper wackelte.

„Maple, Süße.“ Elizabeth hob die kleine Hündin hoch. „Sie mag dieses ganze Geschrei nicht.“

Walter schnaubte. „Gib ihr etwas zu fressen. Ich sehe sie gerne fressen. Sie war nur Haut und Knochen, als sie zu uns kam.“

Jackson schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, befand er sich noch immer in der Küche. Noch immer in einem „Meeting“, bei dem die Hälfte der im Raum Anwesenden aus Lebkuchen bestand oder vier Pfoten hatte.

„Mom …“

„Hast du vielleicht eine Minute, um den Karton mit der Weihnachtsbaumdekoration herunterzuholen? Alice und ich müssen die Sachen sortieren.“

Jackson verkniff sich den Hinweis, dass er seit seiner Ankunft in Snow Crystal nicht eine einzige freie Minute hatte. Er steckte bis zum Hals in Arbeit – mit Krediten, Businessplänen, Angestellten, die ihren Job nicht richtig machten, und Abrechnungen, die nicht stimmten. Es gab Tage, an denen er im Stehen aß, und Nächte, in denen er angezogen auf dem Bett lag, weil er zu müde war, sich zu entkleiden.

„Wir sind vom Thema abgekommen. Du musst lernen, ein Meeting auf Kurs zu halten, Jackson.“ Sein Großvater griff nach einem Keks. „Also, was weiß diese Frau aus New York eigentlich von unserem Betrieb? Ich wette, sie hat noch nie einen Zuckerahornbaum gesehen, geschweige denn einen ganzen verdammten Wald davon.“

„Ich lade sie nicht ein, um die Bäume anzubohren, Gramps.“

Sein Großvater stieß ein abfälliges Ächzen aus. „Sie hat vermutlich noch niemals einen wirklich guten Ahornsirup probiert. So habe ich deine Großmutter kennengelernt. Sie kam, um eine Flasche von unserem Ahornsirup zu kaufen.“ Er biss einem Lebkuchenmann den Kopf ab und zwinkerte Alice zu. „Sie fand mich so süß, dass sie nie wieder ging.“

Während er zusah, wie seine Großeltern liebevolle Blicke tauschten, überlegte Jackson, dass es wohl zu Kayla Greens geringsten Problemen zählte, keinen Ahornsirup probiert zu haben. „Wenn du dich damit besser fühlst, werde ich ihr eine Flasche geben. Doch das ist nicht unser Hauptgeschäft, sondern ein Hobby.“

„Hobby? Die O’Neils sind in dieser Gegend berühmt für die hohe Qualität ihres Ahornsirups – das ist seit über einhundert Jahren eine Familientradition. Hier kommen Touristen her, um zu sehen, was wir tun, und du nennst das ein Hobby?“

„Wie viele Touristen?“ Jackson ignorierte den Lebkuchenmann auf dem Teller vor ihm. „Was glaubst du denn, wie viele Touristen letztes Jahr hierherkamen? Weil ich dir nämlich sagen muss, dass es nicht genug waren, um diesen Ort weiter zu unterhalten.“

„Dann hättest du vielleicht nicht so viel Geld ausgeben sollen, um diese schicken Hütten zu bauen und das Haupthaus neu zu möblieren. Brauchen wir einen Spa-Bereich? Brauchen wir einen Pool? Musst du eine französische Köchin im Restaurant beschäftigen? Alles nur Verschwendung.“ Sein Großvater war jetzt knallrot im Gesicht, und Jackson erhob sich voller Sorge. Er wusste, wie sehr sie einander verletzten. Doch er wusste auch, dass Snow Crystal Resort untergehen würde, wenn sie der Zukunft nicht bald ins Gesicht sahen.

Und das würde er nicht zulassen.

„Ich werde tun, was getan werden muss. Und du wirst mir vertrauen müssen.“

„Dann bist du jetzt also Alleinherrscher.“ Doch die Stimme seines Großvaters war brüchig, und Jackson sah etwas in den Augen des alten Mannes, das ihn innehalten ließ.

Dies war der Mann, der ihm beibrachte, wie man einen Stock zum Bogen schnitzte, wie man an einem Bach einen Damm baute und einen Fisch mit bloßen Händen fing. Dieser Mann hatte ihn aus dem tiefen Schnee gezogen, wenn es ihn von den Skiern riss, und dieser Mann hatte ihm gezeigt, wie man die Dicke des Eises auf dem See testete, damit man nicht einbrach.

Und dies war der Mann, der seinen Sohn verloren hatte.

Jackson lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Ich bin kein Alleinherrscher, aber es führt kein Weg daran vorbei, dass wir dringend etwas ändern müssen. Wir gehören nun mal zu einer Wirtschaftsbranche, die stagniert. Wir müssen uns von der Masse abheben. Wir müssen etwas Besonderes anbieten.“

„Snow Crystal Resort ist etwas Besonderes.“

„Es heißt jetzt Snow Crystal Resort and Spa, und ausnahmsweise sind wir uns darin einig: Es ist etwas Besonderes.“

Die Augen seines Großvaters schimmerten verdächtig. „Warum müssen wir denn dann die Dinge verändern?“

„Weil die Leute nichts davon wissen, dass wir etwas Besonderes sind, Gramps. Doch sie werden es erfahren.“ Der Welpe schnüffelte an seinem Knöchel, und Jackson beugte sich hinunter, um sein weiches Fell zu streicheln. „Ich fliege morgen nach New York, um Kayla Green zu treffen.“

„Ich kapiere immer noch nicht, was ein Mädchen aus Manhattan davon verstehen soll, wie man ein Resort wie unseres leitet.“

„Sie ist nicht aus Manhattan. Sie ist Britin.“

Die Miene seiner Mutter hellte sich auf. „Sie wird sich in diesen Ort verlieben. Mir ging es so. Vom alten England nach Neuengland.“

Walter runzelte die Stirn. „Du lebst hier schon so lange, dass ich dich nie als Britin gesehen habe. Herrje, ich wette, diese Kayla hat noch nie einen Elch gesehen!“

„Muss sie einen Elch sehen, um ihren Auftrag zu erledigen?“ Doch in seinem Kopf keimte eine Idee. Nicht unbedingt ein Kompromiss, aber doch eine Lösung, die funktionieren könnte. „Wenn ich Kayla Green überreden kann, hierherzukommen und aus erster Hand zu erfahren, was genau wir hier in Snow Crystal anbieten, wirst du ihr dann zuhören?“

„Hängt davon ab. In ein paar Stunden wird sie nicht allzu viel zu sehen bekommen, oder?“

Jackson stand auf. „Sie kann eine Woche lang bleiben. Gott weiß, dass wir genug leer stehende Cottages haben.“

„Niemals wird Miss New York oder Miss London oder wo zum Teufel sie auch herkommt, bereit sein, mitten im Vermonter Winter eine Woche in unserer Wildnis zu verbringen.“

Insgeheim stimmte Jackson ihm zu, doch er wollte noch keine Niederlage eingestehen.

„Ich bringe sie hierher, und du wirst ihr zuhören.“

„Ich höre ihr zu, wenn sie etwas sagt, das es wert ist, ihr zuzuhören.“

„Einverstanden.“ Er warf sein Jackett über, während seine Mutter ihn besorgt ansah. „Bleib zum Essen. Du arbeitest so hart. Ich wette, du hattest keine Zeit zum Einkaufen.“

„Er hätte eben nicht ausziehen sollen.“ Sein Großvater schnippte mit den Fingern, um die Aufmerksamkeit des Hündchens auf sich zu ziehen. „Er hätte nicht das ganze Geld dafür ausgeben sollen, diese heruntergekommene alte Scheune in sein schickes Zuhause zu verwandeln, wo wir doch all diese leeren Zimmer haben.“

„Ich habe den Wert dieser heruntergekommenen alten Scheune verdreifacht.“ Und außerdem mit dieser Maßnahme dafür gesorgt, dass er nicht verrückt wurde. Jackson verstaute den Tablet-Computer in seiner Tasche und dachte, dass das Hightech-Teil ihm hier so wenig nützte, dass es ebenso gut aus Lebkuchenteig bestehen könnte. „Kein Essen, danke. Ich muss noch ein paar Zahlen für die Leute von Innovation zusammenstellen. Ich verbringe den Abend bei mir.“

„Das tust du immer“, murrte seine Großmutter. Jackson schüttelte resigniert den Kopf und trat aus der warmen gemütlichen Küche in die kalte Winterluft hinaus.

Die dicke Schneeschicht unter seinen Schuhen knirschte, und er blieb stehen, um den Frieden und die Ruhe einzuatmen, zusammen mit dem Duft nach Holzfeuer.

Zu Hause.

Manchmal erstickend, manchmal tröstlich. Ihm wurde klar, dass er es lange gemieden hatte. Dass er länger fortgeblieben war, als er es hätte tun sollen, weil es ihn eine Zeit lang mehr erstickt als getröstet hatte.

Er hatte den Ort mit achtzehn Jahren verlassen, angetrieben von dem brennenden Wunsch, sich selbst zu beweisen. Warum in Snow Crystal gefangen bleiben, wenn die weite Welt dort draußen jede Menge Möglichkeiten und Gelegenheiten bot? Die Begeisterung und Aufregung, etwas Neues zu erschaffen, etwas, das seins war, beflügelten ihn geradezu. Er war lange auf dieser Welle geritten – bis zu jenem Anruf. Er kam mitten in der Nacht, wie alle schlimmen Anrufe, und hatte sein Leben für immer verändert.

Wo wäre er jetzt, wenn sein Vater nicht gestorben wäre? Würde er sein Unternehmen in Europa weiter ausbauen? Oder hätte er gerade ein heißes Date mit einer Frau?

Oder würde er den Rebellen geben wie sein Bruder?

Er hörte ein Winseln und senkte den Blick auf den Boden, wo Maple sich an seine Knöchel drängte. Ihr Fell war voller Schnee, und sie sah irgendwie verschmitzt aus.

„Du solltest nicht hier draußen sein.“ Jackson hob das Knäuel hoch. Unter dem lockigen Fell spürte er das Zittern des kleinen Körpers. Die Hündin war zart und fragil, ein kleiner Spielzeugpudel mit dem Herz einer Löwin. Jackson erinnerte sich, wie er und Tyler sie verlassen im Wald gefunden hatten, ein Fellbündel, kaum noch am Leben. Sie brachten sie nach Hause und päppelten sie wieder auf. „Ich wette, es gibt Tage, an denen du dir wünschst, du wärst nicht ausgerechnet in meiner Familie gelandet.“

Seine Mutter öffnete die Tür und war sichtlich erleichtert, als sie Maple sah. „Sie ist dir gefolgt.“ Sie nahm ihm das Hündchen ab, zog es an sich und überschüttete es mit all ihrer Liebe, während Jackson ihr dabei zusah und spürte, wie das Gewicht der Verantwortung auf ihm lastete.

„Mom …“

„Er braucht dich, Jackson. Früher oder später wird er das erkennen. Dein Vater hat Fehler gemacht, aber dein Großvater schafft es im Moment nicht, sich das einzugestehen. Er kann es nicht ertragen, wenn Michaels Andenken getrübt wird.“

Und sie konnte es ebenso wenig ertragen. Das verrieten ihm die Schatten in ihren Augen.

Er wusste, wie sehr sie seinen Vater geliebt hatte. Die Anspannung in Jacksons Schultern wurde immer größer. „Ich versuche, die Arbeit zu erledigen, ohne ihn zu verletzen.“

Sie zögerte. „Du fragst dich vermutlich, warum du überhaupt zurückgekommen bist.“

„Nein, das frage ich mich nicht.“

Irgendwie musste er einen Weg finden, aus dem, womit sie sich identifizierten, etwas zu machen, mit dem auch er sich identifizieren konnte. Und er musste seinem Großvater dabei das Gefühl geben, als ob die ganze Sache seine Idee gewesen wäre.

Er musste retten, was seine Familie aufgebaut hatte.

Kayla Green mochte im Laufe ihrer Karriere mit einigen der härtesten und erfolgreichsten Unternehmen gearbeitet haben, doch nichts, nichts kam auch nur im Entferntesten an die Herausforderung heran, mit dem O’Neil-Clan zurechtzukommen.

Er konnte nur hoffen, dass sie Lebkuchenmänner mochte.

2. KAPITEL

Angie von der Washington Post hat angerufen. Ich sagte ihr, du würdest zurückrufen. Und ich habe diese Medienlisten hier vervollständigt.“ Stacy beugte sich über ihren Schreibtisch, und Kayla bekam fast keine Luft mehr.

„Ähm – nettes Parfum.“ Ihre Hand schloss sich um den großen Becher Cappuccino, den sie sich auf dem Weg zum Büro geholt hatte. Sie wickelte den Kaschmirschal ab und warf ihn über die Lehne ihres Stuhls. Die Schneeflocken, die sich darauf gesammelt hatten, schwebten zu Boden. „Es friert da draußen wie verrückt. Wenn ich gewusst hätte, dass New York im Winter so kalt ist, hätte ich die Versetzung nach L. A. beantragt.“ Während sie an ihrem Kaffee nippte, streifte sie mit den Füßen nacheinander die Stiefel ab, die sie für den kurzen Weg von ihrem Apartment zum Büro angezogen hatte, und holte ihre Schuhe aus der Schublade.

Durch die Glastür, die sie vom restlichen vierten Stock abtrennte, sah sie, wie zwei Kundenbetreuerinnen diskret ihr Make-up auffrischten. „Was ist los? Brett geht an die Decke, wenn er vorbeikommt und Lipgloss und Wimperntusche sieht.“

„Brett ist bei Jackson O’Neil. Sie warten im Konferenzraum auf dich.“

„Ist Jackson O’Neil der Grund für das Parfum und den plötzlichen Ansturm auf Kosmetika?“

„Der Mann ist verdammt heiß, Kayla.“

Kayla, die nur mit halbem Ohr zuhörte, nahm ihr Smartphone aus der Tasche und ging die neuen E-Mails durch, während sie in ihre Schuhe schlüpfte. „Hast du noch mehr Informationen über ihn bekommen?“

„Ja. Er ist unglaublich sexy und …“ Stacy errötete „…noch Single.“

„Ich meine über die Firma.“

„Ich habe dir alles, was ich finden konnte, heute Morgen zugemailt. Aber Kayla, er ist …“

„Irgendwie habe ich fünfzig E-Mails bekommen, seit ich mein Apartment verlassen habe. Wie ist das möglich? Ich habe den Posteingang doch um fünf Uhr in der Früh geleert.“ Kayla stellte ihren Kaffee ab, schob das Smartphone in ihre Tasche und holte den Stapel Notizen heraus, den sie um drei Uhr nachts erstellt hatte. „Als ich den Schnee gesehen habe, dachte ich, dass O’Neil absagen würde.“

„Er hat einen früheren Flug genommen, weil die Vorhersage so schlecht war und er diese Sache erledigt wissen will. Ich habe ihn aus dem Foyer abgeholt. Es ist mir gerade so eben gelungen, meine Würde zu bewahren und davon abzusehen, mich auf ihn zu stürzen.“

„Das würde dem Begriff ‚Full-Service-Agentur‘ sonst auch eine ganz neue Bedeutung verleihen.“ Grinsend fuhr sich Kayla mit der Hand durchs Haar und atmete dann tief durch. „Du solltest deinen Kopf unter kaltes Wasser halten.“

„Dein Posteingang ist das Pendant zu einer kalten Dusche. Ach, übrigens, das hier ist für dich gekommen. Es trägt den Vermerk ‚Persönlich‘, deswegen habe ich es nicht geöffnet. Ich schätze, es kommt von jemandem, der deine private Adresse nicht kennt.“ Stacy reichte ihr einen Umschlag, und Kayla erkannte die Handschrift ihrer Stiefmutter.

Ein kalter Schauer rieselte ihr den Rücken hinunter. Sie fühlte sich, als wäre sie nackt in einer Schneewehe gelandet.

„Danke.“ Sie stopfte den Umschlag rasch in ihre Handtasche und eilte aus dem Büro. Während sie die Treppe zum Foyer hinabging, dachte sie, dass sie den Umschlag lieber auf ihrem Schreibtisch hätte lassen sollen, statt ihn in ihre Tasche zu stecken. Sie konnte an nichts anderes denken, als dass er da war. Auch wenn er nicht mehr wog als ein paar Schneeflocken, fühlte sich ihre Tasche plötzlich schwer an.

Mitten auf der Treppe hielt sie inne, presste die Handflächen an ihre Rippen und atmete einige Male tief durch.

Das Einzige, was sie momentan beschäftigen sollte, waren Jackson O’Neil und das Snow Crystal Resort and Spa. Sie sollte nicht an ihre Stiefmutter denken, nicht zuletzt weil das dazu führte, dass sie auch an ihren Vater denken musste und dann unweigerlich an ihre Mutter.

Sie gönnte sich einen Moment, um aus dem Fenster auf die benachbarte Skyline von Midtown zu schauen, und rief sich in Erinnerung, wie hart sie gearbeitet hatte, um heute hier zu stehen. Dann ging sie weiter die Treppe hinunter und stieß die Tür zum Foyer auf.

Die New Yorker Büroräume von Innovation waren elegant und stilvoll, eingefasst von bodentiefen Fenstern, die einen atemberaubenden Blick auf Manhattans Wolkenkratzer boten. Heute hatte man den schicken Minimalismus allerdings durch eine festliche Dekoration ersetzt. Ein riesiger Weihnachtsbaum dominierte die Halle, und über der Tür zum Konferenzraum hatte jemand eine Lichterkette mit winzigen Sternen aufgehängt.

Jeder einzelne Mitarbeiter, von der Empfangsdame bis hin zu Brett selbst, schwelgte geradezu in dieser lächelnden, energiegeladenen Stimmung, die sich zwangsläufig zwischen Thanksgiving und Weihnachten einstellte.

Vielleicht war sie ja doch Scrooge, dachte Kayla finster, während ihre Absätze über den polierten Eichenboden klackerten und sie die Empfangsdame im Vorübergehen mit einem diskreten Winken grüßte. Vielleicht würde sie sich nächstes Jahr irgendwo ein Cottage mit Blick auf einen Wald und einen See mieten.

Vielleicht würde sie nächstes Jahr auch jemanden engagieren, um den Weihnachtsmann zu entführen.

Sie stieß die Tür auf, und Brett erhob sich.

„Hier ist sie! Der Star der Show. Kayla, darf ich dir Jackson O’Neil vorstellen. Jackson, das ist Kayla Green.“

Er stand mit dem Rücken zu ihr und bewunderte die Aussicht.

In diesen wenigen Sekundenbruchteilen entschied Kayla, dass Stacy übertrieben hatte. Sicher, das rabenschwarze Haar wirkte vielversprechend, und er schien größer und breiter zu sein als die durchschnittlichen Geschäftsmänner, denen sie in ihrem Arbeitsalltag begegnete. Dennoch konnte sie nichts an ihm entdecken, das die Berge von Kosmetik und all die Aufregung im vierten Stock erklären konnte.

Dann drehte er sich um.

Bei dem tiefschwarzen Haar hatte sie dunkle Augen erwartet, doch seine waren blau. Ein sehr intensives Blau, das geradezu glühte. Kayla verschlug es den Atem, denn wie sie nun sehr genau erkennen konnte, war nichts an diesem Mann durchschnittlich.

Es lag eine gewisse Strenge in seinen Gesichtszügen, eine Härte, die zu allem passte, was sie bei ihrer frühmorgendlichen Arbeitssitzung über ihn gelesen hatte. Vom kühnen Schwung seiner Augenbrauen bis zu dem Höcker auf seiner Nase strahlte er eine unmissverständliche Männlichkeit aus.

Die Augen unter den schweren Lidern erfassten und maßen sie mit einem kurzen Blick, und sie hatte das Gefühl, als ob ihr jemand den Boden unter den Füßen wegriss.

Sie dachte an Stacys Vorschlag, sich vom Weihnachtsmann einen nackten Jackson O’Neil zu wünschen.

Lieber Santa, du hast lange nichts mehr von mir gehört, aber …

„Miss Green.“ Seine Stimme war tief und kräftig. Kayla musste erst einmal den Schock verdauen, dass sie zum ersten Mal Stacys Männergeschmack teilte. Jackson kam auf sie zu und schüttelte ihr die Hand.

Die plötzliche körperliche Anziehung brachte sie aus dem Gleichgewicht.

„Schön, Sie kennenzulernen, Mr O’Neil.“

Für einen flüchtigen Moment kam ihr der Gedanke, dass dieser Mann vielleicht sogar das Zeug dazu hatte, sie ihre E-Mails vergessen zu lassen. Also ermahnte sie sich, dass vergessene E-Mails schlechte Arbeit zur Folge hätten, und das würde sie auf gar keinen Fall zulassen.

„Ich hoffe, Sie hatten einen guten Flug?“ Kayla wählte einen Stuhl, auf dem sie so viel Abstand zu diesen blauen Augen hatte, wie es in dieser Situation zu vertreten war. „Ich bin begeistert von der Möglichkeit einer Zusammenarbeit. Warum erzählen Sie uns nicht ein bisschen darüber, wie wir Ihnen Ihrer Meinung nach helfen können, Mr O’Neil.“

„Jackson.“

„Jackson.“ Es fühlte sich zu persönlich an. „Ich habe den Aufstieg von Snowdrift Leisure verfolgt.“

„Mein Fokus liegt derzeit auf Snow Crystal, dem Familienunternehmen. Es wurde ursprünglich von meinem Vater geführt.“

Und sein Vater war bei einem Autounfall in Neuseeland ums Leben gekommen. Sie hatte bei ihrer Recherche davon gelesen.

Sie überlegte noch, wie sie die Frage, die sich ihr aufdrängte, am taktvollsten stellen konnte, als er fragend eine Braue hob.

„Sie haben eine Frage?“ Er war geradezu schmerzhaft direkt. „Für mich ist der Erfolg dieses Projekts sehr wichtig. Wenn Sie also etwas wissen müssen, dann fragen Sie.“

„Ich möchte nicht taktlos sein.“

Seine Augen funkelten. „Sehe ich so aus, als ob ich empfindlich wäre?“

Er sah wie ein Mann aus, der einen Baum mit der bloßen Handkante fällen konnte. „Es wäre hilfreich zu verstehen, warum Sie sich jetzt und nicht früher in Ihrer Karriere dafür entschieden haben, den Familienbetrieb zu übernehmen.“

„Haben Sie jemals mit Familie gearbeitet?“

„Nein.“ In ihrem Magen bildete sich ein Knoten. „Nein, das habe ich nicht.“

„Gute Entscheidung. Bei einem Familienunternehmen sind noch ganz andere Dinge wichtig als der Blick auf die Zahlen. Die Sache als kompliziert zu bezeichnen würde die ganze Situation noch vereinfachen.“ Um seine Mundwinkel zuckte ein ironisches Lächeln, und Kayla ertappte sich dabei, wie sie den Schwung seiner Lippen betrachtete. Sie war sicher, dass Jackson O’Neil außergewöhnlich gut küsste.

Verärgert über sich und ihre Gedanken, klappte sie ihr Tablet auf.

Verdammte Stacy.

„Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist, sich auf eine Geschäftsstrategie zu einigen, wenn die involvierten Personen auch emotional beteiligt sind. Vielleicht könnten Sie die unterschiedlichen Zuständigkeiten innerhalb der Firma skizzieren?“

„Ich würde sie als flexibel bezeichnen.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Die Unternehmensstruktur, wenn man sie denn so nennen kann, ist formlos. Wenn jemand eine Idee hat, dann macht er den Mund auf, auch wenn das nicht unbedingt bedeutet, dass ihm jemand zuhört.“

Aber ihm hörten sie zu, dessen war sie sicher. Er strahlte unmissverständliche Macht und Autorität aus.

„Klingt charmant“, bemerkte Brett, während Kayla ihre Augen auf ihr Tablet gerichtet hielt.

Es klang eher nach Chaos.

Sie sah auf. „Erzählen Sie mir ein bisschen über Snow Crystal.“

„Den O’Neils gehört das Land um Snow Crystal seit vier Generationen. Mein Urgroßvater kaufte es wegen der Zuckerahornbäume und gründete eine Firma, die Ahornsirup produzierte. Sie gewannen ihn auf die traditionelle Art und Weise, indem sie die Bäume anbohrten und den Saft in einem Eimer auffingen. Meine Urgroßmutter half dabei. Sie begannen den Sirup und die Sirupkekse, die sie backte, zu verkaufen. Es kamen viele Touristen, um die Produktion zu besichtigen, deswegen haben sie angefangen, Übernachtungen anzubieten. Und von da an blühte das Geschäft.“ Seine Stimme war tief, mitreißend und selbstbewusst.

Er erzählte die Geschichte einer Familie, die zusammengehalten hatte, die hart gearbeitet hatte, um gemeinsam etwas aufzubauen. Eine Familie mit einer Vergangenheit und einer Zukunft.

Was verstand sie schon davon?

Nichts.

Sie rief sich innerlich zur Ordnung. Schließlich kaufte er ihre fachlichen Qualitäten und nicht ihre Herkunft. „Ich habe im Internet die Blockhütten gesehen.“

„Die habe ich als Erstes bauen lassen, als ich vor achtzehn Monaten wieder in die USA zurückkam. Sie sind aus wiederverwendetem Holz, haben Kamin und Whirlpool und bieten einen Blick auf den Wald. Wenn jemand dem Alltag entfliehen will, findet er hier den richtigen Ort.“

„Buchen Sie mich ein.“ Lächelnd notierte Kayla „romantische Zuflucht“ auf ihrem Tablet. „Und die anderen Räumlichkeiten?“

Er beschrieb das Resort und die Veränderungen, die er vorgenommen hatte.

Sie dachte an die Artikel, die sie mitten in der Nacht gelesen hatte, als sie keinen Schlaf fand. Als talentierter Skifahrer hatte er eine Firma für seinesgleichen gegründet. Die Beschreibungen seiner Person enthielten Begriffe wie fokussiert, schonungslos und visionär , und sein Erfolg mit Snowdrift Leisure ließ darauf schließen, dass diese Beschreibungen zutrafen.

Kayla dachte an das Foto, auf dem zu sehen war, wie er sich auf Skiern die Schneeschlucht hinabstürzte.

Die Szene, die sich vor ihrem geistigen Auge abspielte, lenkte sie vom Wesentlichen ab. Hastig stand sie auf und ging zum Fenster. „Ich habe noch ein paar Fragen – worin besteht Ihrer Meinung nach Ihr wichtigstes Angebot, Mr O’Neil?“ Abgesehen von umwerfenden blauen Augen und einem sexy Körper.

„Wir bieten die üblichen Wintersportarten an, außerdem Schlittschuhlaufen auf dem Eis und Ausflüge im Pferdeschlitten.“ Er schob einen Prospekt über den Tisch. „Trotz der neuen Cottages und des Ausbaus zum Spa verlieren wir Geld. Unsere Auslastung liegt unter vierzig Prozent. Der einzige Teil des Unternehmens, der derzeit Geld abwirft, ist das Restaurant.“

„Mit Snowdrift haben Sie den High-End-Bereich des Marktes anvisiert. Ihre Kunden hatten viel Geld und wenig Zeit, also haben Sie Ihnen alles abgenommen außer dem Urlaub selbst.“ Sie hielt inne und dachte nach. „Auf welche Zielgruppe haben Sie es hier abgesehen? Familien? Paare? Alleinreisende? Abenteurer?“ Weihnachtsflüchtlinge?

Seine Mundwinkel zuckten. „Im Moment nehmen wir jeden, den wir kriegen können, doch der Ort ist ideal für Familien. Wir hatten viel Spaß, als wir in Snow Crystal aufwuchsen. Und nun möchten wir, dass unsere Gäste Spaß haben.“

„Was sagt denn Ihre Familie dazu, dass Sie eine Agentur von außen hinzuziehen?“

„Sie sind skeptisch.“

„Und Sie glauben, Sie könnten sie überzeugen, unsere Ratschläge anzunehmen?“

„Es ist Ihr Job, sie zu überzeugen. Können Sie das?“

„Natürlich kann sie das. Kayla ist gut, sie kriegt alles hin“, schaltete Brett sich ein. „Ich bin sicher, dass sie ihr schon nach fünf Minuten aus der Hand fressen. Kein Problem.“

„Das ist gut, denn Essen ist ein wichtiger Familienzeitvertreib.“ Jacksons Blick richtete sich auf Kayla. „Ich habe mich an Sie gewandt, weil Sie die Beste sein sollen. Es ist von größter Wichtigkeit, dass Sie meine Familie von all Ihren Ratschlägen überzeugen können.“

„Ich verstehe.“ Kayla lehnte sich zurück und machte sich eine Notiz auf dem Tablet. „Es ist immer wichtig, die Unterstützung des gesamten Managements zu haben.“

„Das wird eine echte Herausforderung.“

Brett lächelte. „Herausforderungen verspeist Kayla am liebsten zum Frühstück. Zusammen mit einer Portion Schwierigkeiten als Beilage und dem Unmöglichen als Garnitur. Ist es nicht so, Kayla?“

Sie wünschte, Brett würde den Mund halten. „Wer ist in Ihren Augen die wichtigste Person, die überzeugt werden muss?“

„Mein Großvater.“ Die Antwort kam ohne Zögern. „Er ist in Snow Crystal geboren und hat dort sein ganzes Leben gewohnt und gearbeitet. Er möchte noch immer derjenige sein, der den Laden schmeißt. Und es ärgert ihn, dass es nicht so ist.“ Und du ärgerst dich darüber, dass er dich nicht in Ruhe weitermachen lässt, dachte Kayla.

„Also lässt er Ihnen keine freie Hand?“

„Mein Großvater lebt und atmet dieses Unternehmen. Sie wissen ja, wie das so ist mit Familie.“

Tief in sich spürte sie wieder diesen Knoten.

Nein, sie wusste nicht, wie das mit Familie war. Sie hatte keine Ahnung.

Kayla zwang sich zu einem Lächeln. „Dann sähen Sie es also gerne, wenn ich hochfliege und Ihre Familie kennenlerne?“

„Ich möchte mehr als das. Um meinen Großvater überhaupt von der Idee zu überzeugen, dass wir Hilfe von außen hinzuziehen, habe ich angekündigt, dass Sie einige Zeit bei uns verbringen. Dass Sie uns beweisen, dass Sie unser Geschäft verstehen.“

Die Tatsache, dass er das ohne Rücksprache mit der Agentur gemacht hatte, bestätigte ihren Verdacht, dass Jackson O’Neil ein Mann war, der das Wort Nein offenbar selten zu hören bekam.

Sie behielt ihr Lächeln bei. „Das ist ein großartiger Vorschlag.“

„Ich möchte, dass Sie für

eine Woche zu uns kommen.“ Eine Woche!

Sogar Brett wurde aus seiner geschäftsmäßigen Coolness gerissen. „Jackson …“

Eine Woche?

„Sie brauchen die Zeit, wenn Sie all das erleben wollen, was Snow Crystal zu bieten hat.“

Es war ein Test ihrer Einsatzbereitschaft.

Diese blauen Augen waren trügerisch und gefährlich, erkannte Kayla. An der Oberfläche wirkte Jackson O’Neil höflich und umgänglich, doch er war ein Mann, der wusste, was er wollte, und der seine Ziele ohne Scheu verfolgte. Sie hatte so eine Ahnung, dass er diese Augen ganz bewusst einsetzte, um seine Beute benommen zu machen, bevor er zuschlug.

„Eine Woche könnte schwierig werden.“

„Aber Sie lieben doch Schwierigkeiten, oder nicht?“ Er wehrte ihre Argumente mit der Steilvorlage ab, die Brett ihm geliefert hatte. „Sie werden einen Weg finden. Natürlich zahle ich für Ihre Zeit.“

Kayla konnte die Dollarzeichen in Bretts Augen geradezu rattern sehen.

Ihr Chef entspannte sich. „In dem Fall kein Problem.“

Sie widerstand der Versuchung, sich über den Schreibtisch zu werfen und Brett die Gurgel umzudrehen, bis die Worte „kein Problem“ nie wieder über seine Lippen kamen.

Wie um alles in der Welt sollte sie in ihrem vollgestopften Terminkalender eine ganze Woche finden, wenn sogar schon das Pinkeln im Voraus geplant werden musste? Ein Tag wäre schon eine reife Leistung, aber eine ganze Woche?

Sie suchte nach einer Antwort, die nicht lautete: Besorgen Sie mir eine Zeitmaschine, dann besorge ich Ihnen eine Woche. Schon öffnete sie den Mund, um eine Übernachtung im neuen Jahr anzubieten, da kam ihr ein Gedanke.

„Sagten Sie nicht, dass diese Luxushütten sehr abgeschieden liegen?“

„Ja.“

„So abgeschieden“, erkundigte sie sich beiläufig, „dass eine Person sich dort wie der einzige Mensch auf Erden fühlen kann?“

Seine blauen Augen bohrten sich in die ihren. „Das Einzige, was ein Gast zu sehen bekommt, während er im Whirlpool seiner Hütte liegt, sind die örtlichen Wildtiere. Weißwedelhirsche, Waschbären, Elche – gelegentlich ein Schwarzbär, auch wenn die sich um diese Jahreszeit in der Höhle aufhalten, insofern ist das unwahrscheinlich.“

„In der Höhle?“

„Bären halten zwar keinen durchgehenden Winterschlaf, bleiben aber in den Wintermonaten in ihrer Höhle.“

Wenn sie die Wahl zwischen dem Weihnachtsmann und einem Schwarzbär hatte, musste Kayla nicht lange überlegen – der Bär war ihr allemal lieber. Vor allem, wenn er schlief. Und was die anderen Wildtiere anging – vermutlich würden die Viecher nicht an ihre Tür klopfen und „fröhliche Weihnachten“ rufen. „Sie erwähnten einen Kamin …“

„Die Hütten sind wirklich komfortabel ausgestattet.“

Fasziniert von den Bildern, die sich vor ihrem geistigen Auge formten, legte sie den Kopf zur Seite. Ihre Stimmung hob sich, und dieses Mal kam ihr Lächeln von Herzen. „Sie haben recht, ich sollte am eigenen Leib erfahren, was Snow Crystal alles zu bieten hat. Eine Woche klingt vernünftig. Wenn über die Feiertage ein Cottage frei ist, komme ich.“

„Über die Feiertage?“ Seine dunklen Augenbrauen schossen in die Höhe. „Sie meinen über Weihnachten?“

„Wenn ich mich schon auf Schwierigkeiten stürze …“, sie grinste Brett an, „… dann möchte ich sie mit Cranberry-Soße serviert haben. Ihr Großvater braucht einen Beweis für mein Engagement … das wird hoffentlich genügen. Welch bessere Zeit gäbe es für mich, um den Zauber von Snow Crystal zu erleben? Das wird mir die einzigartige Gelegenheit verschaffen, einen ganzheitlichen Marketingplan zu erstellen, der dafür sorgt, dass Sie sich von der Masse abheben.“ Und es würde ihr zugleich die einzigartige Gelegenheit verschaffen, die Zeit des Jahres zu vermeiden, die sie am meisten hasste.

Gott sei Dank.

Eine abgeschiedene Blockhütte und ein Unternehmen, das von einer Familie betrieben wurde, die ihre Anwesenheit zu dieser Jahreszeit unpassend finden und sie unweigerlich in Ruhe lassen würde.

Perfekt. Oder zumindest wäre es das, wenn Jackson O’Neil endlich den Blick von ihr abwenden würde.

Er verunsicherte sie, und nicht nur, weil er so extrem gut aussah. Dichte dunkle Wimpern beschatteten blaue Augen, die viel zu viel sahen.

„Haben Sie keine Pläne für die Feiertage?“

Doch. Sie hatte den Plan, die ganze Sache zu umgehen. Einen Weg zu finden, die Feiertage in einer Santa-freien Gegend zu verbringen. Sie würde einfach dem Beispiel des Schwarzbären folgen, der offensichtlich eine hoch entwickelte Spezies darstellte.

„Meine Pläne, Mr O’Neil, bestehen darin, dafür zu sorgen, dass Sie nächstes Jahr um diese Zeit eine Warteliste von Kunden haben und Snow Crystal als das angesagte Resort für Winterspaß und Entspannung gilt. Zusammen werden wir Ihr Unternehmen an die Spitze bringen. Vielleicht sind Sie so freundlich, mir die abgelegenste Hütte, die Sie haben, zu reservieren. Ich werde mich besser konzentrieren können, wenn ich ein wenig Abstand zu den anderen Gästen habe.“ Um Himmels willen, er sah sie immer noch an. „Wenn Sie es natürlich vorziehen, bis zum nächsten Jahr zu warten …“

„Erzählen Sie mir etwas über sich.“

„Über mich?“ Die Frage traf sie unvorbereitet. „Ich habe in Oxford Englisch studiert und bin …“

„Nicht von Ihrem akademischen Hintergrund. Erzählen Sie mir etwas über sich.“

„Oh, ich arbeite bei Innovation seit …“

„Etwas Persönliches.“

Diesmal war es Kayla, die erstaunt dreinsah. „Persönliches?“ „

Was machen Sie, wenn Sie nicht arbeiten?“

Kayla erstarrte. Niemand hatte sie das jemals gefragt. Normalerweise ging es bei den Fragen um Prognosen, Strategien, Auflagenziffern – niemand hatte sie je gefragt, was sie tat, wenn sie nicht arbeitete. „Ich, äh, …“

„Das ist eine einfache Frage, Miss Green.“

Nein, das war verdammt noch mal keine einfache Frage. Sie entschied sich, sie so zu behandeln wie eine dieser Fragen in Vorstellungsgesprächen, wenn die Personalchefs sich nach den Schwächen erkundigten und man ihnen etwas servierte, das sie nicht als Schwäche ansehen würden, so etwas wie: Ich arbeite zu viel.

„Ich arbeite zu viel.“ Sie lächelte entschuldigend. „Da bleibt nicht viel freie Zeit. Im Moment konzentriere ich mich voll auf meine Karriere. Ich arbeite lieber, als irgendetwas anderes zu tun.“

Vor allem arbeitete sie lieber, als Weihnachten zu feiern.

„Und ihre Familie hat nichts dagegen, dass Sie über die Feiertage arbeiten?“

Warum fragte der Kerl nach ihrer Familie? Er wollte ihre Marketingfähigkeiten kaufen und sie nicht adoptieren. Kein Kunde hatte jemals nach ihrer Familie gefragt. Sie wollten alle nur hören, was sie für ihr Unternehmen tun konnte. Niemand hatte jemals das geringste Interesse für den Menschen hinter der Maschinerie gezeigt.

Mit einem zur schiefen Grimasse gefrorenen Lächeln suchte Kayla nach einer Antwort, die weder unhöflich noch eine Lüge war. „Sie haben nichts dagegen. Wir sind alle sehr beschäftigt.“ Voller Angst, dass er diese indifferente Erklärung durchschauen könnte, wandte sie den Blick ab und klappte ihr Tablet zu. „Ich werde die Woche damit verbringen, Snow Crystal zu erleben und alles in mich aufzunehmen. Dann ergänze ich die auf meinen Erfahrungen beruhenden Empfehlungen durch Anregungen von dem Team hier, und dann starten wir im neuen Jahr mit der Arbeit. Brett?“ Sie sah hilfesuchend zu ihrem Chef. Sie wusste, dass er viel zu scharf auf diesen Etat war, um darauf zu achten, ob sie mit dem Schneepflug über ihren Urlaub walzte.

„Klingt gut. Ich werde sogar den Eierpunsch bereitstellen.“ Zum ersten Mal war Kayla erleichtert darüber, dass Brett wie üblich vergaß, dass seine Angestellten auch ein Privatleben hatten. „Mach Tequila draus, und ich setze dich wieder auf meine Liste für die Weihnachtskarten.“

„Ist erledigt. Und du kannst ein Paar Schneestiefel auf die Spesenrechnung setzen.“

„Du bist so großzügig, Boss.“

„Kein Problem.“

Von jenseits des Tisches musterte Jackson O’Neil sie noch immer. Unter dem Maßanzug strahlte er eine raue Körperlichkeit aus, die es einer Frau fast unmöglich machte, diesen Blick zu ignorieren.

„Würden Sie sich selbst als einen Outdoor-Menschen bezeichnen, Kayla?“

Nicht in einer Million Jahren. „Ich verbringe nicht annähernd so viel Zeit in der freien Natur, wie ich das möchte …“ Sie legte Bedauern in ihre Stimme „Umso mehr freue ich mich über die Gelegenheit, diesen Mangel zu beheben. Und ich liebe Schnee. Ich liebe ihn.“ Vielleicht hätte sie das nur einmal sagen sollen. Vielleicht war zweimal übertrieben.

„Das höre ich gern.“ Diese hypnotischen blauen Augen ließen sie keine Sekunde außer Acht. „Dann fahren Sie Ski?“

Sie dachte an das Bild im Internet, auf dem er sich in eine tiefe, schneebedeckte Schlucht hinabstürzte, und beschloss, in diesem Punkt lieber nicht zu lügen. „Nicht wirklich, aber ich wollte es immer, sodass dies die perfekte Gelegenheit ist. Ich kann es kaum erwarten, auch wenn ich glaube, dass ich vermutlich die – äh – flacheren Pisten bevorzugen werde.“

Er hob amüsiert die Brauen. „Flache Pisten?“

„Nichts, was …“, sie deutete mit der Handkante ein steiles Gefälle an „… Angst macht.“

„Ach so.“ Er fuhr sich mit der Hand über das Kinn, und sie hatte den Eindruck, dass er kurz grinste. „Flache Pisten. Ich bewundere Ihren Einsatz.“ Geschmeidig erhob er sich. Ein Blick auf seine kräftigen Oberschenkel sagte ihr, dass dieser Mann keine flachen Pisten wählte.

Sie konnte nur hoffen, dass er ihren Einsatz auch dann noch bewunderte, wenn sie vor ihm im Schnee lag.

Etwas verspätet begriff Kayla, dass eine Woche in Snow Crystal bedeutete, dass sie eine Woche in der Gesellschaft von Jackson O’Neil verbringen würde, einem Mann, dessen Vorstellung von Spaß darin bestand, sich von einer Klippe hinunterzustürzen, um eine fast senkrechte Skipiste hinunterzurasen.

Vielleicht hätte sie hinsichtlich ihrer Unerfahrenheit doch ehrlicher sein sollen.

Vielleicht sollte sie sich schon jetzt ein Bett im Krankenhaus reservieren lassen.

Sie räumte ihre Unterlagen zusammen und setzte ihr zuversichtlichstes Geschäftslächeln auf. „Wir bei Innovation sind immer bereit, für unseren Kunden ein Stück weiter zu gehen.“ Vorzugsweise nicht abwärts und nicht auf Skiern, doch wenn dies die einzige Möglichkeit war, dann sollte es wohl so sein. „Schnell und konzentriert. Das ist unser Stil.“ Sie streckte die Hand aus und wünschte, sie hätte es nicht getan, als sich seine kräftigen, männlichen Finger darum schlossen.

Sie bemühte sich, nicht das Gesicht zu verziehen.

Der Kerl war stark genug, um einen Elch mit bloßen Händen umzubringen. Und obwohl sie ihre Lieblings-High-Heels anhatte, die ihr Selbstvertrauen gleich um dreihundert Prozent anhoben, war er größer als sie. Sein dunkles Haar glänzte unter dem kalten Licht des Konferenzraums, das eigentlich gnadenlos sein sollte, sein spektakulär gutes Aussehen aber nur noch mehr hervorhob.

„Lassen Sie mich wissen, wann Sie ankommen, und ich hole Sie am Flughafen ab.“ Er ließ ihre Hand los. „Wir tun, was wir können, um Ihnen ganz besondere Feiertage zu bereiten. Sie werden die Gelegenheit haben, eine Reihe unterschiedlicher Wintersportarten auszuprobieren, da Sie den Schnee ja – äh – so sehr lieben.“ Das mutwillige Glitzern in seinen Augen verriet ihr, dass er wohl schon vermutete, dass ihr einziger Kontakt mit Schnee bisher darin bestand, ihn durch das Bürofenster zu betrachten und ihn sich vom Mantel zu streifen.

Sie sagte sich, dass das keine Rolle spielte.

„Abgelegene Hütte, Kaminfeuer, Blick auf einen gefrorenen See …“ Kein Santa, keine Lichterketten im Schaufenster oder Weihnachtslieder aus der Konserve und vor allem keine Erinnerungen. „Perfekter geht es gar nicht. Kommen Sie gut nach Hause.“

Mit einem heimlichen Lächeln schloss Jackson seine Aktentasche und sah ihr nach, wie sie sich flink entfernte. Ihre unglaublichen Beine wurden von High Heels betont, die dermaßen hoch waren, dass man ihr eigentlich zusätzlichen Sauerstoff zuführen müsste. Ihr Haar wirkte weich und seidig und fiel in einem perfekt frisierten Vorhang aus blassem Gold auf ihre Schultern. Er hätte darauf wetten können, dass Kayla Green niemals im Leben einen Bad-Hair-Day hatte. Alles an ihr war absolut elegant und unter Kontrolle. Er fragte sich beiläufig, wie ihr Haar wohl nach einem Tag in den Bergen aussehen mochte.

Er fragte sich, wer sie hinter dieser polierten Oberfläche war.

„Ich hätte nicht erwartet, dass sie über die Feiertage zu uns herüberkommen kann.“ Er hatte auch nicht mit der starken körperlichen Anziehung gerechnet, doch das ließ er unerwähnt. Er hatte wahrhaftig schon genug Probleme in seinem Leben und brauchte ihnen nicht noch mehr hinzuzufügen. „Es gibt sicher nicht viele Menschen in ihrem Alter, die Weihnachten lieber in einem einsamen Cottage verbringen, egal wie luxuriös die Ausstattung ist.“

„Das ist Kayla. Wenn sie ein Projekt hat, dann verschreibt sie sich ihm zweihundertprozentig. Sie ist brillant und hat die besten Medienkontakte in der Branche. Das ist auch der Grund, warum ich sie vom Londoner Büro abgeworben habe. Die Frau ist ein Tiger.“

Darauf baute er. Er brauchte jemanden neben sich, der das Geschäft ernst nahm. Aber trotzdem …

„Hatte sie denn nicht vor, Weihnachten nach Hause zu fahren?“

Brett zuckte mit den Achseln. An eine solche Möglichkeit hatte er offenbar gar nicht gedacht. „Wenn dem so ist, wird sie es absagen. Snow Crystal hat oberste Priorität für uns, und sie ist die Frau, die sich darum kümmert.“

Gemeinsam gingen sie ins Foyer, wo Jackson innehielt und den langen fragenden Blick der hübschen Empfangsdame ignorierte.

„Entspannt sie sich denn niemals?“

„Ich bezahle sie nicht, damit sie sich entspannt.“ Brett setzte rasch ein Lächeln auf, als er Jacksons erhobene Augenbrauen bemerkte. „Sicher entspannt sie sich. Wenn sie schläft. Das ist die einzige Zeit, in der wir alle uns entspannen. Das bringt meine Frau zum Wahnsinn. Aber Kayla ist anpassungsfähig und würde alles für ihre Kunden tun. Wenn sie Ski fahren soll, wird sie Ski fahren. Wenn sie mit einem Bären ringen soll – wird sie mit einem Bären ringen. Kein Problem.“

Jackson schwieg. Wenn Kayla Green einen Bären sah, dann wäre ihr Kreischen bis nach New York zu hören, darauf würde er wetten.

In den letzten achtzehn Monaten hatte er an nichts anderes als Snow Crystal gedacht, doch plötzlich kreisten seine Gedanken darum, wie es wäre, Kayla in der abgeschiedenen Hütte weit weg von der Außenwelt Gesellschaft zu leisten. Sein Geist, der derzeit keine anderen Ventile für seine Kreativität hatte, malte sich aus, wie sie nackt und mit roten Wangen im Whirlpool saß und wie ihr seidiges blondes Haar sich im Dampf kräuselte.

Verdammt.

Da sah man, was für einen schlechten Einfluss seine Familie auf ihn hatte. Ein paar Monate in ihrer Gesellschaft, und er brachte den Begriff unprofessionell auf ein völlig neues Niveau.

„Du arbeitest über die Feiertage?“ Stacy starrte sie bestürzt an.

„Kayla, das ist doch Scheiße.“

Das ist ein Traum, der wahr wird. „Das ist schade, aber ich kann damit leben“, erwiderte Kayla fröhlich.

„Aber was ist mit Weihnachten?“

„Weihnachten fällt aus.“ Sie widerstand der Versuchung, quer durch ihr Büro zu tänzeln.

„Du gehst so tapfer damit um.“

„Ich bin sehr enttäuscht, aber es hat keinen Sinn, sich zu beklagen.“

„Das ist so gemein von Brett.“ Stacy war wütend. „Du solltest feiern. Spaß haben. Ich meine es nicht persönlich, aber wann hattest du zum letzten Mal ein Date?“

„Ein Date?“ Warum stellte heute eigentlich jeder so schwierige Fragen? „Äh – da war dieser Typ aus dem zwanzigsten Stock – ich habe mich ein paar Mal mit ihm getroffen.“

„Wenn du den Steuerberater meinst, mit dem hast du dich nur ein Mal getroffen.“

„Ich habe kein Talent für lange Beziehungen.“ Kayla steckte alles, was sie über Snow Crystal hatte, in ihre Tasche. „Hast du alle für das Meeting einbestellt?“

„Ja. Und Kayla, ein Date ist noch keine Beziehung.“

„Genau was ich sage.“

„Bist du sicher, dass du morgen nicht mitkommen möchtest? Wir treffen uns um sieben Uhr morgens unten am Rockefeller Center für die erste Schlittschuhrunde des Tages. Das ganze VIP-Programm. Mit heißer Schokolade und Skating-Betreuer. Wir fänden es großartig, wenn du dabei wärst.“

„Was zum Teufel ist ein Skating-Betreuer?“ Kayla griff nach der Flasche Wasser auf ihrem Tisch.

„Ich schätze mal, irgendein Typ oder ein Mädchen hilft uns beim Schlittschuhanziehen.“ Stacy zuckte die Achseln. „Und danach fahren wir ins Santaland bei Macy’s. Das ist dann die volle Weihnachtsdröhnung.“

Da kannst du mich auch gleich erschießen.

Kaylas Kiefer schmerzte schon von ihrem gefrorenen Lächeln. Sie überlegte, ob sie Jackson O’Neil anrufen und ihn fragen sollte, ob sie das Cottage schon früher haben konnte. Notfalls wäre sie sogar bereit, im Wald zu campen. „Tut mir leid, wenn das ungesellig wirkt, aber ich habe einfach die Zeit nicht.“ Sie lehnte sich in ihrem Schreibtischsessel zurück. Ihr Magen schmerzte, und in ihrem Kopf pochte es von all den Gedanken an Weihnachten.

„ Schlittschuhlaufen wäre aber eine gute Übung für Vermont.“

„Ich brauche keine Übung. Ich habe vor, ihre Kampagne von meinem komfortablen Blockhaus aus zu entwerfen.“

„Wird deine Familie nicht verärgert sein, dass du dieses Jahr nicht nach Hause kommst?“

„Sie werden das verstehen.“ Nun taten ihr nicht nur der Magen und der Kopf, sondern auch die Brust und der Hals weh. Verdammt. Sie hatte geglaubt, dass sie härter war. „Dank Jackson O’Neil habe ich jetzt so viel Arbeit, dass ich mich locker auch über die nächsten fünf Weihnachten damit beschäftigen könnte. Wenn es dir also nichts ausmacht …“

„Brett hätte fahren sollen.“

„Brett hat eine Frau und vier Kinder, auch wenn ich angesichts der Tatsache, dass er buchstäblich immer im Büro ist, keine Ahnung habe, wann er diese vier Kinder zeugen konnte. Aber wie auch immer, O’Neil hat nach mir gefragt – und er wird mich bekommen.“

Stacy hob die Augenbrauen, woraufhin Kayla die Augen verdrehte.

„Nicht auf diese Art. Er bekommt mein arbeitendes, professionelles Ich.“ Sie bemühte sich, nicht an seine blauen Augen oder die breiten Schultern zu denken.

„Gibt es noch eine andere Version von dir? Kayla, du solltest die Feiertage nicht allein verbringen.“

„Ich werde nicht allein sein. Es wird dort Elche geben, Waschbären und – und …“, sie durchstöberte fieberhaft ihr Hirn „… andere niedliche, pelzige Weihnachtstierchen.“

„Hast du eigentlich jemals einen Elch gesehen?“

„Nicht leibhaftig, nein.“ Gott sei Dank. „Aber ich bin sicher, dass sie bezaubernd sind. Warum fragst du?“

„Weil ein Elch kein niedliches pelziges Ding ist. Ich schau mal nach, dann weißt du, worauf du dich einlässt.“ Stacy beugte sich über Kaylas Schreibtisch, tippte etwas in ihre Tastatur, und eine Sekunde später erschien das Bild eines Elches, dessen knochiges, langes Gesicht den ganzen Bildschirm ausfüllte.“

„Guter Gott …“ Kayla wich unwillkürlich zurück. „Das ist das hässlichste Vieh, das ich je gesehen habe.“

„Womit die Beweisführung abgeschlossen ist.“ Stacy straffte sich. „Immer noch scharf darauf, die Feiertage tatsächlich dort zu verbringen?“

„Ich werde sie nicht mit einem Elch verbringen, so viel steht mal fest. Es wird ein Riesenspaß. Ich fand Kaminfeuer schon immer romantisch.“

„Nicht, wenn man allein ist.“

„Ich werde nicht allein sein. Ich nehme einen Stapel DVDs mit. Ich schenke mir selbst zu Weihnachten die DVD-Box ‚Der ultimative Horror‘“.

„Kayla, das ist schrecklich. Wer verbringt die Weihnachtstage damit, sich Horrorfilme anzusehen?“

„Ich.“ Sie griff nach einem Stapel Papiere, die sie heute Abend im Bett noch lesen wollte.

„Und was ist mit dem Essen?“

„Laut Brett ernähre ich mich von Arbeit, doch vermutlich werde ich zu Popcorn greifen.“

„Zu Weihnachten sollte man ein gutes Essen mit den Menschen teilen, die man liebt, und nicht Mikrowellen-Popcorn in sich hineinschaufeln.“

„Ich liebe Horrorfilme. Es wird mir eine Freude sein. Und jetzt klick bitte diesen Elch von meinem Bildschirm. Ich muss arbeiten und kann mich nicht konzentrieren, wenn dieses Ding mich anstarrt.“

3. KAPITEL

E r entdeckte sie, bevor sie ihn sah. Zielstrebig schritt sie durch den Flughafen. Ihr glänzendes blondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, der über ihren Nacken schwang und die Blicke der Männer um sie herum anzog. Sie trug einen langen Kaschmirmantel in einem hellen Karamellton, der zu dem Fellbesatz ihrer weichen schokoladenbraunen Lederstiefel passte. Sie hatte eine Laptoptasche über der Schulter und zog einen mittelgroßen Rollkoffer hinter sich her.

Inmitten der vielen Touristen in ihren bunten Skijacken wirkte sie wie eine Gazelle in einem Einkaufszentrum.

Jackson musterte den Kaschmirmantel und hoffte, dass sie irgendetwas Passenderes in den Koffer gepackt hatte.

Kayla Green mochte eine Expertin des Integrierten Marketings sein, doch ganz offensichtlich hatte sie keine Ahnung, wie man sich für Vermont im Dezember kleidet.

„Kayla!“

Als sie ihn erkannte, winkte sie ihm zu.

Und dann lächelte sie. Ihr Lächeln war so herzlich und aufrichtig, als ob sie sich wirklich freute, hier zu sein.

Es traf ihn mitten ins Herz und in den Bauch. Ein heißer Schauder durchfuhr ihn. Jeder Gedanke schien sich in Luft aufzulösen. Voll plötzlichem Begehren ging er ihr entgegen und ermahnte sich innerlich, dass er bereits genug Probleme hatte. „Sie hatten Glück. Die Maschine nach Ihrer muss in Newark bleiben.“ Überrascht, dass seine Stimme zumindest einigermaßen normal klang, griff er nach ihrem Koffer, den sie jedoch nur noch fester hielt.

„Ich schaff das schon, danke.“

„Okay.“ Jackson entschied, dass der Koffer ihr vielleicht eine Stütze sein konnte, wenn sie draußen im Schnee in ihren weichen Lederstiefeln ausrutschte. „Dann gehen wir mal.“

„Es ist sehr nett, dass Sie mich abholen.“ Sie war forsch und geschäftsmäßig, und er fragte sich, wie lange sie das aufrechterhalten konnte, wenn sie erst einmal seine Familie kennengelernt hatte. Die O’Neils hatten irgendwie das Talent, einem Menschen alles Professionelle zu nehmen.

„Es ist mir ein Vergnügen. Haben Sie übrigens auch irgendwas an Winterkleidung in Ihrem Koffer?“

Sie blickte an sich hinab. „Direkt vor Ihnen. Warmer Mantel. Stiefel. Schal. Was habe ich vergessen?“

Er wollte schon sagen, dass sie vermutlich bald ihre Finger und Zehen vergessen konnte, wenn sie sich nicht ein paar Lagen mehr anzog, doch dann dachte er, dass sie genug Grips hatte, um das sehr bald selbst zu merken. Sie war für Manhattan gekleidet und nicht für den Mount Mansfield.

„Sie sehen großartig aus.“ Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sah sie mehr als großartig aus. „Es könnte aber sein, dass Sie noch ein paar wärmere Schichten anziehen müssen. Der Schnee liegt im Moment ziemlich hoch. Wir hatten vor wenigen Tagen einen heftigen Sturm, und ein weiterer ist vorhergesagt.“

„Oh, das tut mir leid, was für ein Ärger.“

Ihre Bemerkung bestätigte alles, was er bereits über ihr Verhältnis zu Schnee vermutet hatte. „Wir sind ein Wintersport-Resort, Kayla. Schnee ist gut. Tatsächlich ist er existenziell.“

„Sicher ist er das.“ Sie wich seinem Blick nicht aus. „Das wusste ich. Ich meinte nur, was für ein Ärger, dass ich meine anderen Stiefel nicht mitgebracht habe.“

„Sie besitzen ein Paar, das keine zehn Zentimeter Absatz hat?“ Er bemühte sich, nicht auf ihre Beine zu schauen und dachte dann, ach was, zum Teufel. So etwas Gutes hatte er in Vermont schon seit Langem nicht mehr zu sehen gekriegt, und er wollte das Beste daraus machen.

„Ehrlich gesagt, nein. Aber das geht schon in Ordnung. Schließlich erarbeite ich eine PR-Strategie für Sie und mache keinen Abfahrtslauf.“

Er verkniff sich den Hinweis, dass es für sie auf jeden Fall abwärts ging, wenn diese Absätze auf Eis trafen. „Wir werden Ihnen etwas besorgen, wenn wir in Snow Crystal sind.“

Er schloss den Wagen auf und verstaute ihr Gepäck.

Als Kayla auf dem Beifahrersitz Platz nahm, teilte sich ihr Mantel vorne, sodass Jackson einen weiteren Blick auf diese unglaublichen Beine erhaschte.

Wieder packte ihn das Verlangen, und er gewann gerade erst seine Fassung zurück, als sie sich ihm zuwandte und ihr Lächeln ihn erneut umhaute.

Herrje.

Völlig erschlagen von diesem Lächeln, fragte sich Jackson, wie zum Teufel er sich auf die Worte konzentrieren sollte, die aus ihrem Mund kamen, wenn er ihn einfach nur küssen wollte.

Er ließ sich auf den Fahrersitz gleiten und versuchte, diese Lippen und diese Beine aus seinem Kopf zu verbannen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er sich das letzte Mal von einer Frau derart angezogen gefühlt hatte. In der letzten Zeit hatte er zu hart geschuftet, um überhaupt das Geschlecht der Menschen wahrzunehmen, mit denen er redete.

Aber nicht dieses Mal. Zum ersten Mal fragte er sich, ob Kayla Green seine Situation nicht eher verkomplizierte als sie zu vereinfachen. Verzweifelt suchte er Zuflucht zu einem neutralen Thema. „Haben Sie schon viel von den USA gesehen, seit Sie hier sind?“

„Ich reise viel herum, treffe Journalisten und Kunden, doch meistens sehe ich nur die Flughäfen und ein Hotel. Sie wissen ja, wie das ist.“ Sie machte es sich in ihrem Sitz bequem, und ihr Parfum betörte seine Sinne.

Jackson umklammerte das Steuerrad. Entweder das, oder er würde nach ihr greifen und sie auf seinen Schoß ziehen. Er war überrascht, wie sehr er sich wünschte, ihr Haar zu zerzausen und diesen weichen Mund zu erobern. Achtzehn Monate in Snow Crystal, und schon hatte er offenbar jeden Sinn für Professionalität verloren. „Dann waren Sie noch nie in Vermont?“

„Nein. Aber ich habe seit unserem letzten Treffen viel darüber gelesen. Sie sind hier geboren?“

Also kannte sie die Fakten über die Gegend, hatte aber kein Gefühl dafür. „Ja, meine Mutter ist Britin. Sie kam herüber, um in der Wintersaison im Hotel zu arbeiten, und lernte meinen Vater kennen. Sie heiratete ihn und blieb.“

„Die letzten achtzehn Monate müssen für Sie alle hart gewesen sein.“

„Sie quält sich noch immer.“ Er war zu dem Schluss gekommen, dass sie mit seinen Familienverhältnissen vertraut sein musste, um die speziellen Anforderungen des Unternehmens zu begreifen. „Meine Großeltern leben in Snow Crystal. Meine Mutter konzentriert alle Energie darauf, für sie zu sorgen und sicherzustellen, dass sie damit fertigwerden.“

„Und wie werden Sie damit fertig?“

Niemand hatte ihm je diese Frage gestellt. Er hatte sie sich nicht einmal selbst gestellt. Hatte es nicht gewagt.

„Ich komme gut zurecht.“ Er ignorierte die Anspannung in seinen Schultern. „Doch für meine Familie ist es hart.“

„Arbeitet Ihre Mutter im Unternehmen mit?“

„Sie hilft aus, wo sie gebraucht wird.“ Und das war natürlich ein Teil des Problems. Der Mangel an Struktur.

„Was muss ich noch über Ihre Familie wissen? Sie erwähnten einen Bruder?“

„Wir sind zu dritt. Es ist ein Wunder, dass meine Mutter einigermaßen normal geblieben ist, nach allem, was wir ihr in unserer Jugend zugemutet haben.“

„Drei Brüder.“ Etwas an der Art, wie sie das sagte, veranlasste ihn, sie anzusehen. Er wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan, weil da wieder ihr Mund war.

„Sie haben keine Geschwister?“

„Einzelkind. Sie sind der Älteste?“

„Ja.“ Die Verantwortung legte sich wie ein Gewicht auf seine Schultern. „Dann kommt Sean, dann Tyler, der mit seiner zwölfjährigen Tochter zusammenwohnt.“

„Er ist der Abfahrtsläufer – der sich nach einem Unfall vom Rennsport zurückgezogen hat. Er ist verheiratet?“

„Alleinerziehend. Jess’ Mutter befand irgendwann, dass Tyler kein Mann zum Heiraten ist, und heiratete stattdessen einen anderen.“ Es überraschte ihn selbst, wie viel Kränkungen man in einem kurzen Satz zusammenfassen konnte.

Kayla murmelte ein paar mitfühlende Worte, und Jackson erinnerte sich an jene Zeit, an den Jungen, der sein Bruder gewesen war, und er dachte an den Mann, der er heute war.

Er wollte nicht über den Sorgerechtsstreit reden. Oder über den Umstand, dass Janet niemals Jess haben wollte, sondern nur Tylers Geld und den Abglanz seiner Berühmtheit. „Das hat ihn schrecklich verletzt. Seitdem hatte er keine ernsthafte Beziehung mehr.“

„Nicht verwunderlich. Aber Jess wohnt jetzt bei ihm?“

„Sie ist seit einem Monat wieder bei uns.“ Es war eine überraschende Wende gewesen, und in ihm wallte Mitgefühl für seine Nichte auf. „Es ist kompliziert.“

„Beziehungen sind immer kompliziert.“

„Ihre auch?“

„Ich sorge dafür, dass meine einfach sind.“

„Was ist Ihr Geheimnis?“

„Ich habe keine.“ Sie sagte das leichthin und wechselte dann das Thema, sprach wieder über die Arbeit und löcherte ihn wegen Touristenzahlen, Hotels in der Gegend und Transportmöglichkeiten.

Sie hatte ihr Tablet aus der Tasche geholt und machte sich endlose Notizen, während sie sprachen.

In der Landschaft erhoben sich rote Scheunen und weiße Kirchtürme, und die späte Nachmittagssonne schickte ihre Strahlen über atemberaubend schöne Wälder mit beschneiten Wipfeln. Der Anblick traf ihn mitten ins Herz. Er hatte die Welt bereist, doch seiner Meinung nach gab es nichts Schöneres als das hier. In Erwartung einer Bemerkung von ihr blickte er zur Seite und sah, dass sie ihren Kopf über ihr Tablet gebeugt hatte und sich voll und ganz auf den Bildschirm konzentrierte.

„Sie verpassen den Sonnenuntergang.“

„Hmmm?“ Sie blickte auf, und ihre Miene veränderte sich. „Oh! Das ist ja umwerfend.“

Jackson begriff, dass ihr Mangel an Reaktion nichts mit Gleichgültigkeit zu tun hatte. Sie hatte es einfach nicht bemerkt. Aber nun fiel ihr bewundernder Blick auf die schneebedeckten Berge, die sich in der Ferne erhoben. „Ich verstehe jetzt, warum die Menschen hierherkommen. Es ist schön. Und entspannend.“

Jedenfalls für Menschen, die wussten, wie man sich entspannt, dachte Jackson. Aber Kayla Green gehörte eindeutig nicht zu dieser Gruppe.

Sie strahlte eine fast fiebrige Unruhe aus, und schon hatte sie den Kopf wieder gesenkt und ließ ihre Finger über die Tastatur fliegen, um sich Notizen zu machen.

Sie faszinierte ihn.

„Wo machen Sie normalerweise Urlaub?“

„Ich habe seit drei Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Ich habe kein Talent für Urlaub. Aber ich habe ein Talent zu wissen, was anderen Menschen Spaß macht …“ Sie lächelte ihm rasch zu. „Also machen Sie sich keine Sorgen über meine Fähigkeiten bezüglich dieses Jobs.“

Er fragte sich, was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass er seit dem Moment, in dem sie ins Auto gestiegen war, nicht mehr an die Arbeit gedacht hatte.

Sie fuhren durch Dörfer, über überdachte Brücken, vorbei an hübschen Schindelhäusern und kleinen Läden. Die Türen waren mit grünen Kränzen geschmückt, und in den Fenstern blinkten Lichterketten und Weihnachtsdekorationen.

Kayla blickte von ihrem Tablet immer wieder hoch zu den sanft geschwungenen Bergen, deren schneebedeckte Gipfel im Licht der untergehenden Sonne rosig schimmerten.

„Ist das Teil des Skigebiets?“

„Ja. Sehen Sie die Berge dort rechts?“ Er deutete in die Richtung. „Das ist Stowe, die Heimat der Front Four, die zu den steilsten und schwierigsten Abfahrten des Nordostens zählen. Und wir haben unseren Teil an steilen Pisten in den Bergen oberhalb von Snow Crystal. Man hat ihre Namen so gewählt, dass man es sich zweimal überlegt, ob man aus dem Lift steigt – Devil’s Gully, die Teufelsschlucht, und Scream, der Schrei, sind nur zwei Beispiele.“

„Schrei? Ja, schreien würde ich vermutlich.“ Sie wandte den Kopf, als sie an einem Verkehrsschild vorbeifuhren. „Elchwechsel? Woher wissen die Elche, dass sie dort rübergehen sollen?“

Jackson lachte. „Das ist eine Warnung für Autofahrer, dass in dieser Gegend oft Elche gesichtet werden. Vor allem nachts muss man vorsichtig sein. Elche haben lange Beine. Wenn Ihnen einer vors Auto läuft, ist es sehr wahrscheinlich, dass er durch die Windschutzscheibe fliegt. Und wenn das geschieht, kann es sein, dass Sie keine Gelegenheit mehr haben werden, die Geschichte zu erzählen.“

„Also das ist ein Umstand, den ich lieber nicht in der Marketingkampagne erwähnen würde.“

„Das könnte ein Fehler sein. Touristen halten gerne nach Elchen Ausschau.“

„Wirklich? Ich habe erst einen auf einem Bild gesehen. Wenn es nach mir geht, darf es dabei bleiben.“

Als sie sich Snow Crystal näherten, hob Jackson zu Kaylas Verwunderung immer wieder grüßend die Hand.

„Sie kennen die Leute alle?“

„Kleine Gemeinde. Jeder kennt hier jeden. Ich spreche natürlich nur von den Einheimischen. Über das Jahr steigt die Einwohnerzahl durch mehrere Tausend Touristen.“ Er bog vorsichtig in eine lange Straße ein, die sich durch den Wald Richtung See schlängelte. „Wo sind Sie aufgewachsen? Ich schätze mal nicht auf dem Lande.“

„In London.“ Das war eine dieser für sie so typischen kurzen Antworten, und Jackson fragte sich, ob sie nicht über sich selbst sprechen wollte oder ob sie bemüht war, sich immer auf den Kunden zu konzentrieren.

Sie kamen an dem Schild vorbei, das Snow Crystal ankündigte, und sie deutete mit dem Kopf zur Seite. „Jemand hat einen Schneemann gebaut.“

„Lieblingsbeschäftigung der Kinder hier in der Gegend.“

„War es auch Ihre?“

„Ich habe am liebsten meinen Brüdern Schnee in den Nacken gestopft und bin dann blitzschnell davongelaufen, bevor sie sich rächen konnten. Wir waren eher destruktiv als konstruktiv.“

„Ich nehme an, das ist einfach so, wenn man drei Jungen hat. Erzählen Sie mir von Ihrem anderen Bruder.“

„Sean? Er ist orthopädischer Chirurg. Die Berufswahl ist mir zu verdanken …“ Er fuhr langsamer, da die Straße unebener wurde. „Als ich sieben war, brach ich mir beim Snowboarden den Arm. Ich bin auf einen Baum geprallt. Statt loszulaufen, um Hilfe zu holen, stand er da und starrte auf den herausstehenden Knochen.“

„Oh, bitte …“

„Ich schrie ihn an, Hilfe zu holen, doch Sean konnte nur daran denken, wie dieser Knochen wohl wieder unter die Haut gehen sollte. Er bestand darauf, mit mir ins Krankenhaus zu fahren, um es herauszufinden. Er studierte in Harvard und arbeitete dann eine Zeit in der Unfallklinik in Baltimore, um seiner Leidenschaft für komplizierte Brüche zu frönen, bevor er zur Sportmedizin wechselte. Im Moment arbeitet er in Boston. Wenn er nicht gerade im Arztkittel herumläuft, trägt er schicke Anzüge, trinkt guten Wein und trifft sich mit schönen Frauen.“

Dasselbe hatte er getan, erinnerte er sich. Es war noch gar nicht so lange her, dass er schicke Anzüge getragen, exzellente Weine in guten Restaurants getrunken und schöne Frauen gedatet hatte.

Inzwischen trug er nur selten einen Anzug, und abgesehen von einigen freundschaftlichen Abenden mit Brenna, die auf der Farm nebenan aufgewachsen und ihnen als Kind nachgelaufen war, hatte er niemanden gedatet. Seit achtzehn Monaten drehte sich sein ganzes Leben nur darum, das Unternehmen zu retten.

„Dann ist er nicht in den Schoß der Familie zurückgekehrt?“

„Nein, aber er wird über Weihnachten nach Hause kommen.“ Einem Impuls folgend, fuhr Jackson rechts ran und hielt an. „Hier ist eine meiner Lieblingsaussichten auf Snow Crystal. Von hier aus können Sie den See, den Berg und den Wald sehen. Wenn Sie im Sommer ganz frühmorgens oder spät am Abend hierherkommen, bekommen Sie manchmal einen Schwarzbären oder einen Elch zu Gesicht.“

„Danke für die Warnung.“

Er lächelte. „Das ist keine Warnung. Diese Wildtiere sind den Touristen wichtig. Haben Sie jemals einen Bären gesehen?“

„Nein. Und ehrlich gesagt, hoffe ich, dass das so bleibt. Ich glaube nicht, dass ein Bär mir liegen würde, auch wenn ich in meinem Job durchaus einigen Haien begegne.“ Ihre Augen glitzerten. „Gibt es außer Bären und Elchen irgendwelche anderen Wildtiere, von denen ich wissen sollte? Vielleicht irgendwas Kleineres und Freundlicheres, das einen nicht umbringt? Ein süßes Karnickel vielleicht?“

„Wenn Sie die Tiere in Ruhe lassen, lassen die Sie auch in Ruhe.“

„Ich werde sie in Ruhe lassen, da besteht kein Zweifel. Was interessiert die Touristen hier noch?“

„Die Aussicht.“ Er hatte sich immer für einen guten Menschenkenner gehalten, doch er fand es schwierig, sie einzuschätzen.

„Das habe ich mir schon notiert. Die Aussicht. Sehen Sie?“ Sie hielt ihm das Tablet entgegen. „Es steht auf der Liste, über ‚Elche‘.“

„Warum schauen Sie nicht einfach mal hin, statt es aufzuschreiben?“

„Auf einen Elch?“

„Auf die Aussicht. Steigen Sie aus dem Wagen.“

„Aussteigen. Sie meinen tatsächlich, nach draußen gehen und sich in den Schnee stellen?“ Sie sagte es so langsam, als hätte er sie gebeten, sich auszuziehen und im Kreis herumzulaufen. „Sie sind der Kunde, und wenn Sie es für nötig halten, werde ich natürlich …“ Mit einem tiefen Seufzer öffnete sie die Beifahrertür, keuchte auf und schlug sie wieder zu. „Oh Mist, da draußen ist es eiskalt.“

Der kurze Verlust der Selbstbeherrschung überzeugte ihn endgültig davon, dass er Kayla ohne ihre professionelle Vorsicht bevorzugte. „Wenn Sie die richtige Ausrüstung tragen, spüren Sie die Kälte gar nicht.“

„Nun, ich trage eindeutig die falsche Ausrüstung. Ich spürte sie bis auf die Knochen.“ Sie fröstelte. „Okay, ich schaffe das. Das ist eben das komplette Snow-Crystal-Erlebnis, mit Frostbeulen und allem.“ Vorsichtig öffnete sie die Tür und schwang ein Bein nach dem anderen aus dem Sitz, als bereitete sie sich darauf vor, in einen eiskalten Swimmingpool einzutauchen.

Jackson stieg aus und kam auf ihre Seite. Der Neuschnee knirschte unter seinen Schuhen. „Schließen Sie die Augen.“

Er konnte erkennen, wie sie das Risiko, ihm zu vertrauen, gegen den möglichen Nachteil abwog, sich mit einem Kunden zu streiten.

Sie schloss die Augen. „Wenn ich als Nächstes spüre, wie sich die Zähne eines Bären in meinen Arm graben, ziehe ich mich von dem Auftrag zurück. Ich verzichte auf das komplette Snow-Crystal-Erlebnis, wenn ich dafür zum Bärenfrühstück werde.“

Er legte ihr die Hände auf die Oberarme. „Keine Bären. Drehen Sie sich um.“ Ihr Haar streifte sein Kinn, und ihr Duft vermischte sich mit dem Geruch der Tannen und der eisigen Luft. Er entschied, dass Kayla Green ebenso gut roch wie sie aussah. „Und jetzt öffnen Sie die Augen. Sehen Sie durch die Bäume.“

„Was sehe ich da?“

„Den See.“

Sie schaute genau hin, während sich weiße Atemwölkchen vor ihrem Gesicht bildeten. „Ich – oh! Da laufen Leute Schlittschuh auf dem Eis.“

„Das Wetter ist in Vermont unberechenbar, aber Eis haben wir im Winter immer.“

„Man kann auf dem See Schlittschuh laufen?“ Sie klang sehnsüchtig. „Das ist märchenhaft.“

„Wollen Sie es versuchen?“

„So märchenhaft ist es auch wieder nicht. Ich glaube, ich bin eher eine Indoor-Schlittschuhläuferin. Aber ich verstehe, was andere daran so bezaubernd finden“, fügte sie rasch hinzu. „Ich setze es auf die Liste, direkt unter ‚Aussicht‘ und ‚Elche‘.“

„Schlittschuhlaufen macht Spaß.“ Er versuchte sich vorzustellen, wie die beherrschte, geschäftsmäßige Kayla Green auf den Hintern fiel, und entschied sich dann, keine weitere Zeit damit zu verschwenden, sich etwas auszumalen, das nur zu bald Realität werden würde. Auf keinen Fall konnte sie sich auf diesen eleganten und völlig unpraktischen schokobraunen Lederstiefeln lange aufrecht halten.

Als sie wieder im Wagen saßen, stellte er die Heizung höher und fuhr auf die Straße zurück. „Wenn Sie rechts zwischen den Bäume hindurchschauen, sehen Sie eine unserer Blockhütten.“

Sie wandte den Kopf, wobei ihr blonder Pferdeschwanz zur Seite schwang. „Ist das meine?“

„Nein. Sie wollten ja eine, die abgelegen ist.“ Hatte er sie falsch eingeschätzt? Warum sollte eine Singlefrau Weihnachten allein in einer einsamen Hütte verbringen wollen? „Sie können Ihre Meinung gern ändern, und wir bringen Sie näher am Haupthaus unter, wenn Sie das vorziehen.“

„Eine entlegene Hütte ist ganz mein Traum.“

Für eine aufgeweckte Frau in den Zwanzigern schien das ein merkwürdiger Traum zu sein.

Dann dachte er an das Leben, das sie führte, den ständigen Adrenalinrausch, der ihren Arbeitstag bestimmte. Vielleicht brauchte sie einfach eine Pause. Es gab etliche Tage, an denen eine abgelegene Hütte auch für ihn verführerisch klang.

„Ihre Hütte liegt am Rand unseres Resorts und grenzt an ein Überwinterungsgebiet für Wild, sodass Sie vermutlich Weißwedelhirsche zu Gesicht bekommen. Außerdem sehen Sie vielleicht Schneeschuhhasen, Füchse, Kojoten, Rotluchse und die skurrilen Stachelschweine.“ Er fuhr langsam, da der Weg immer enger wurde. „Ich lasse Sie erst einmal auspacken und sich einrichten, bevor Sie das restliche Team kennenlernen.“

Team. Fast hätte er gelacht. Sie waren kein Team, sondern ein Zirkus.

„Wohnen Sie bei Ihrer Familie?“

„Nein. Ich liebe sie, aber es gibt Grenzen. Ich habe mir die Scheune umgebaut.“ Damit er den Kopf gegen seine eigene Wand schlagen konnte, wenn sie ihn zur Verzweiflung trieben.

Er folgte weiter dem Waldweg, der an dem See vorbeiführte, und hielt vor einem rustikalen Holztor, das den Weg zum Cottage markierte.

„Von hier aus müssen wir laufen.“

Es war perfekt.

Kayla stieg aus und stand einen Moment nur da, um den Geruch des Waldes und die kühle Winterluft einzuatmen. Die Bäume ragten in die Höhe, ihre Zweige bogen sich unter der schweren Last des Schnees. Es dämmerte bereits, und die letzten Sonnenstrahlen glitzerten auf dem gefrorenen See und verbreiteten eine mystische, ätherische Stimmung. Alles war ruhig. Die Stille wurde nur gelegentlich von einem gedämpften Geräusch unterbrochen, wenn Schnee von den überladenen Zweigen zu Boden fiel.

Es kam ihr vor, als sei sie eine Million Meilen von Manhattan entfernt. Eine Million Meilen von ihrem Leben entfernt.

Eine Million Meilen von dem alles verschlingenden Weihnachtswahn entfernt.

Sie lächelte.

Sie könnte der einzige Mensch auf dem Planeten sein.

Dann hörte sie das Zuschlagen der Wagentür, und ihr fiel ein, dass sie nicht der einzige Mensch war.

Er war hier.

Die Anziehung, die sie empfand, verursachte einen Knoten in ihrem Magen und ließ ihr Herz schneller schlagen.

Sie hatte die ganze Fahrt über den Kopf gesenkt und versucht, nicht an den Mann auf dem Fahrersitz neben ihr zu denken. Nicht an seine starken Hände, die das Steuer umfassten, oder an seine muskulösen Schenkel, die den ihren so gefährlich nahe waren. Doch Jackson O’Neil war nicht leicht zu ignorieren. Und er hatte sie die ganze Zeit angesehen, als ob er herausfinden wollte, wer sich wirklich verbarg hinter dem Menschen, der sie vorgab zu sein.

Er machte sie kribbelig.

Im Bemühen um Normalität griff sie nach ihrem Telefon, doch er schüttelte den Kopf und stellte ihre Tasche neben sie.

„Der Empfang hier ist unbeständig. In der Hütte wird es besser. Ich lasse Sie ein paar Stunden allein, damit Sie alles Notwendige erledigen können. Danach hole ich Sie ab und bringe Sie zum Haupthaus. Ich werde mein Bestes geben, damit die Erfahrung so schmerzfrei wie möglich verläuft.“

Eine seltsame Bemerkung, dachte sie. Vielleicht glaubte er, dass sie ohne ein Team im Hintergrund nervös wäre. „Es ist ein Meeting. Ich habe schon jede Menge Meetings überstanden.“

„Dieses könnte ein bisschen anders sein.“

Anders macht die Dinge interessant. Ich freue mich darauf, Ihre Familie kennenzulernen und zum Geschäftlichen zu kommen.“ Sie betonte das Wort Geschäftlichen zu ihrem eigenen und zu seinem Wohl.

Sie wollte nicht, dass es hierbei um etwas anderes als Arbeit ging.

Was sie betraf, war diese Anziehung zwischen ihnen so unwillkommen wie der Weihnachtsmann.

Sie ermahnte sich, dass sie sie einfach nur ignorieren musste, und drehte sich um, um ihren Koffer zu ergreifen, doch er hielt ihn schon in der Hand.

„Dieser Weg kann vereist sein. Vielleicht wollen Sie lieber meine Hand halten.“

Was?

Sie war sicher, dass es einen großen Schritt hin zur dunklen Seite bedeuten würde, seine Hand zu nehmen, und presste angestrengt die Finger in ihre Handballen.

„Ich komme schon zurecht.“

„Wir kehren den Schnee zwar fort, doch es gibt immer ein paar vereiste Stellen.“

Sie würde lieber auf eine dieser eisigen Stellen treten als ihre Hand auf einen seiner Muskeln zu legen. Das war eine Grenze, die sie eindeutig nicht überschreiten wollte. „Ich habe eine gute Balance.“ Bemüht, möglichst souverän zu wirken, ordnete Kayla ihren Schal. „Ich mache Yoga und Pilates.“

„Eine gute Balance.“ Er musterte sie mit einem trägen Blick. „Freut mich, das zu hören.“ Er wandte sich ab, öffnete das Tor und trug ihren Koffer, als wiege er nichts. „Drinnen sollte es warm sein. Es müsste genügend Holzscheite für den Kamin geben, aber falls Sie mehr brauchen, lassen Sie es mich nur wissen.“

Kayla betrachtete seine breiten, muskulösen Schultern, die unter der warmen Winterjacke steckten.

Offenbar hatte er in seinem Leben schon jede Menge Holz gehackt.

Im Anzug hatte er sie verunsichert, doch in einem gewaltigen mentalen Kraftakt war es ihr gelungen, ihn zu all den anderen Anzugmännern, die sie im Arbeitsalltag traf, in eine Schublade zu stecken.

Jetzt hatte er sich aus dieser Schublade befreit.

Da er ihr den Rücken zukehrte, erlaubte sie sich einen intensiven, ganz und gar weiblichen Blick der Anerkennung.

Stacy hatte recht. Er war unglaublich heiß.

Und weil das Leben einem in den unpassendsten Momenten irgendwie immer das gab, was man am wenigsten brauchen konnte, drehte er sich ausgerechnet in diesem Moment um und fing ihren Blick auf. „Irgendwas nicht in Ordnung?“

„Ich genieße nur die Aussicht.“ In der Hoffnung, dass er nicht erriet, welche Aussicht sie gerade genossen hatte, senkte sie den Kopf und überholte ihn rasch. Zu rasch. Ihre Füße hatten kurzen Kontakt mit Eis. Einen schrecklichen Moment lang, in dem es ihr fast den Magen umdrehte, kämpfte sie mit dem Gleichgewicht, indem sie ihre Arme hubschrauberähnlich durch die Luft wirbelte. Doch der Kampf war vergebens; sie landete rücklings in dem tiefen Schnee neben dem Weg.

Kälte sickerte durch die weiche Wolle ihres nicht zugeknöpften Mantels, und Schnee umhüllte sie. Sie hatte ihn im Gesicht, auf ihrer Brust und in ihren Stiefeln. Schneeflocken kühlten ihren Nacken und befeuchteten ihr Haar, sodass sie das Gefühl hatte, bis auf die Knochen schockgefroren zu werden. In der allgemeinen Peinlichkeit ihres Sturzes war zudem ihr Bleistiftrock bis zu den Schenkeln hochgerutscht, sodass sie spürte, wie ihre Beine eiskalt wurden.

Von dem Schock und dem Schnee wie betäubt, lag Kayla da, während Jackson mit enervierend sicherem Schritt über den rutschigen Weg auf sie zukam.

Sie knirschte mit den Zähnen. „Wenn Sie ein ‚Ich hab’s Ihnen ja gesagt‘ auch nur ansatzweise murmeln, trete ich von dem Auftrag zurück.“

„Sie hätten meine Hand nehmen sollen.“

„Es hätte einen seltsamen Eindruck gemacht, mit einem Kunden Händchen zu halten.“

„Seltsamer als der Eindruck, den Sie machen, wenn Sie rücklings vor Ihrem Kunden liegen, mit einem Bein in Vermont und dem anderen in New Hampshire?“ Er lachte, und angesichts der Sinnlichkeit seines Mundes zog sich ihr Innerstes zusammen.

„Nun, ich führe gern mindestens ein Kundengespräch im Liegen. Das bricht das Eis, auch wenn es in diesem Fall vielleicht eher mein Kopf war, der das Eis gebrochen hat.“

„Ich habe Sie gewarnt.“ Sein Blick wanderte von ihrem Gesicht zu ihren Beinen, und der Ausdruck in seinen Augen gab ihr das Gefühl, als ob die Flamme eines Schweißbrenners über sie fuhr.

„Ich bevorzuge Schnee als Hintergrundbild auf meinem Bildschirm. Mittendrin zu liegen fühlt sich nicht so gut an.“ Verzweifelt versuchte sie, nicht zu lachen. Ihre Würde war bereits im Schnee begraben, da wollte sie es durch Kichern nicht noch schlimmer machen. Doch sie konnte nicht an sich halten. Ein glucksendes Lachen entfuhr ihr. So viel zum guten Eindruck. „Bin ich gefeuert?“

„Wenn ich Ihnen den Auftrag nicht schon gegeben hätte, würde ich es jetzt tun.“ Er ragte über ihr auf, ein Meter neunzig voll starker Muskeln und schierer Kraft.

„Weil Sie meine Beine gesehen haben?“

„Weil Sie gelacht haben.“ Seine Stimme war wie dunkler Samt, und jedes Bedürfnis zu lachen verschwand.

Ich darf lachen, aber wenn Sie lachen, nehme ich den nächsten Flug nach New York, und dann werden Sie niemals herausfinden, was ich mit diesem Ort gemacht hätte.“

„Kapiert.“ Er reichte ihr die Hand. „Wollen Sie Hilfe, um aufzustehen, oder möchten Sie dort noch eine Weile herumliegen?“

Sie scheute davor zurück, ihn zu berühren. Sie war es gewöhnt, sich selbstsicher zu fühlen. Alles unter Kontrolle zu haben. Im Moment traf nichts davon zu. „Sie wollten, dass ich das ganze Snow-Crystal-Erlebnis genieße, insofern möchte ich nichts übereilen. Abgesehen davon glaube ich, dass ich nicht aufstehen kann.“

Besorgt zog er die Brauen hoch. „Sind Sie verletzt?“

„Mein Stolz ist tödlich verwundet, und ich habe Frostbeulen an unaussprechlichen Stellen, aber nichts, worum man sich Sorgen machen muss. Ich nehme es von der positiven Seite – immerhin bin ich nicht in ein Bärennest gefallen.“

„Bären leben in einer Höhle, Kayla, sie haben kein Nest. Und derzeit schlafen sie die meiste Zeit, auch wenn ich davon ausgehe, dass sie rasch aufwachen würden, sollten Sie in ihre Höhle fallen.“

Mit klappernden Zähnen griff sie nach seiner Hand, doch der Schnee war so tief, dass sie nicht hoch genug reichte.

Mit einem unterdrückten Fluch beugte sich Jackson über sie. „Hören Sie auf, sich hin und her zu wälzen, oder die Bären werden Ihr geringstes Problem sein.“ Seine Stimme klang etwas heiser, und sein Blick hätte den Schnee um sie herum schmelzen können. Einen Augenblick sahen sie einander nur an, dann schob er die Hände unter ihre Arme und zog sie auf die Füße. Die Leichtigkeit, mit der er das tat, bestätigte ihren Verdacht, dass der Kerl in seiner spärlichen Freizeit vermutlich Baumstämme stemmte. Sie spürte die Kraft in seinen Armen, als er sie auf dem eisigen Weg stützte. Sie standen Zehenspitze an Zehenspitze, vor sich hatte sie die Bartstoppeln, die sein Kinn verdunkelten und ihn so gefährlich aussehen ließen. Wenn sie sich vorbeugte, würden ihre Lippen sein Kinn streifen, und von dort wäre es nur ein kurzer Weg zu seinem Mund.

Und sie würde darauf wetten, dass Jackson O’Neil genau wusste, was er mit diesem Mund tun musste.

Beunruhigt davon, wie gerne sie diese Theorie auf die Probe stellen würde, griff sie nach seinem Arm und spürte harte, unnachgiebige Muskeln.

Sie sah auf, und der Blick aus seinen strahlend blauen Augen bohrte sich in den ihren.

Sie waren von Wald und Weite umgeben, und doch standen sie dicht beieinander, so dicht, dass sie die Kraft seiner Schenkel durch den weichen Stoff ihres Mantels spürte. Ihr Magen fühlte sich flau an. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie erneut auf dem Eis ausgerutscht, nur dass sie diesmal Hitze und nicht Kälte umfing.

„Äh …“ Verwirrt von der schier übermächtigen Anziehungskraft, machte sich Kayla von ihm los und bemühte sich, nicht wegzurutschen. Sie fühlte sich aus dem Gleichgewicht gebracht, äußerlich wie innerlich. „Ich komme zurecht.“

„Wollen Sie es wirklich noch mal ohne Hilfe versuchen? Soweit ich das sehe, gibt es nicht einen Teil an Ihnen, der nicht völlig durchnässt ist.“

„Ich schaffe das. Ich bin ein willensstarker Mensch.“

„Sie sind außerdem ein durchnässter, frierender Mensch, und Ihre Stiefel sind für diesen Untergrund nicht geeignet.“ Wenn es nur ihre Stiefel wären, die nicht geeignet waren. „Ich schaffe das.“

„Genau. Deswegen sieht Ihr Pferdeschwanz auch aus wie eine Eisskulptur.“ Seine Stimme klang geduldig, und er streckte ihr die Hand hin. „Abgesehen von meinem Bruder sind Sie die Einzige, die bei diesem Projekt zu meinem Lager gehört, deshalb habe ich großes Interesse daran, dass Sie am Leben bleiben. Halten Sie sich fest, oder Sie liegen gleich wieder auf dem Rücken und machen einen Schneeengel.“

„Schneeengel?“ Sie ignorierte seine Hand und griff nach ihrem gefrorenen Pferdeschwanz, von dem noch mehr Schnee in ihren Nacken rieselte. Sie wollte gar nicht daran denken, wie sie aussah, doch von gepflegt konnte eindeutig keine Rede mehr sein. „Was ist ein Schneeengel?“

„Wenn man sich auf den Rücken legt und seine Arme und Beine so bewegt, dass man den Umriss eines Engels im Schnee bildet.“ Er sah sie neugierig an. „Haben Sie als Kind nie einen Schneeengel gemacht?“

Unter normalen Umständen wäre ihr das Lächeln vielleicht vergangen. Zu ihrem Glück war es durch die Kälte wie festgefroren. „Wir hatten nicht viel Schnee, als ich klein war. Ich bin in England aufgewachsen. Wenn dort Schnee fällt, ist das eine landesweite Nachricht wert.“

„Was ist mit Schneemännern? Haben Sie so einen mal gebaut?“

„Ich bevorzuge meine Männer warmblütig.“

„Ach, tatsächlich?“ Die Art, wie er sie ansah, gab ihr das Gefühl, als sähe er direkt in ihren Kopf und könnte ihre Gedanken lesen.

Ihre Zähne klapperten, auch wenn sie nicht wusste, ob es an Erinnerungen oder an ihrer näheren Bekanntschaft mit einer Schneewehe lag. „Ich glaube, ich muss aus meinen Klamotten raus.“

Das war die falsche Bemerkung.

Dieser verstörende Blick aus seinen blauen Augen hielt den ihren einen Moment fest und wanderte dann zu ihrem Mund, wo er verweilte.

Aus Frösteln wurde Hitze. „Ich meine den Mantel. Ich muss meinen Mantel ausziehen. Irgendwo zwischen meinem Hals und meinen Stiefeln geht gerade eine Lawine nieder. Kann sein, dass ich das Bergrettungsteam brauche. Haben Sie so etwas hier in der Gegend?“

„Aber ja. Mein Bruder ist dort freiwilliger Helfer. Werde ich vielleicht auch noch mal machen, wenn mir dieser Ort genug Zeit lässt.“ Jackson hob die Hand und strich ihr noch mehr Schnee aus dem Haar. „Ihre Haare kräuseln sich.“

„Immer nur eine gute Nachricht nach der anderen.“ Kayla zitterte. „Können wir hineingehen, damit ich duschen kann und einen weiteren Versuch starte, geschäftsmäßig aufzutreten?“

„Halten Sie sich an die markierten Wege, solange Sie hier sind, und treten Sie nicht in tiefen Schnee, wenn Sie nicht wissen, was sich darunter befindet. Dies ist ein Wald. Da gibt es Bäche, Flüsse, Seen, tiefes Wasser …“

„Ich werde nicht in tiefen Schnee treten.“

Aber sie hatte bereits das Gefühl, sich in tiefem Gewässer zu befinden.

Sie war nicht daran gewöhnt, sich so zu fühlen.

Wollte sich nicht so fühlen.

„Ich muss anderes Schuhwerk kaufen – damit haben Sie recht.“ Sie versuchte, die gefährliche Hitze tief in ihrem Inneren zu ignorieren. Und sie versuchte, besonders jene Stimmen in ihrem Kopf zu ignorieren, die ihr sagten, dass es eine sehr, sehr schlechte Idee gewesen war, hierherzukommen.

„Bleiben Sie stehen, während ich Ihren Koffer hole.“ Er war mit wenigen Schritten wieder zurück, in der einen Hand den Koffer, die andere streckte er ihr entgegen.

Dieses Mal ergriff sie sie.

Sie ging selten Hand in Hand mit einem Mann. Wenn sie sich mit jemandem verabredete, was selten vorkam, folgte sie einer vorgegebenen Routine. Dinner, dann nach Hause. Manchmal war es erst Kino, dann Dinner und dann nach Hause. Gelegentlich gab es Sex. Aber sie erwachte immer in ihrem eigenen Bett. Allein.

Sie wusste, dass sie kein Talent für Intimität hatte, und Händchenhalten war intim.

Glücklicherweise mussten sie nicht weit gehen.

Am Ende des Weges gab der Wald eine Lichtung frei, und dort stand das kleine Blockhaus so malerisch wie in einem Märchen. Die geschmackvolle Fassade aus Holz und Glas passte in den Wald, als hätte sie dort schon immer gestanden.

„Oh.“ Entzückt hielt Kayla inne. Sie vergaß, dass sie durchnässt und ihr kalt war. Sie vergaß, dass sie seine Hand hielt. „Das ist wie bei Hänsel und Gretel.“

„Lebkuchen haben wir, doch die Suche nach einer kannibalistischen Hexe könnte sich schwierig gestalten.“

„Es ist so idyllisch.“

„Da bin ich froh, dass Sie so denken. Lassen Sie uns hineingehen, bevor Sie festfrieren.“ Er hielt ihre Hand, bis sie die Eingangstür erreicht hatte. Dann löste er seinen Griff und suchte in seinen Taschen nach dem Schlüssel. „Bleiben Sie stehen und rühren Sie sich nicht.“

Trotz der Anweisung beugte Kayla sich hinunter und öffnete den Reißverschluss ihrer Stiefel. „Ich möchte nicht den ganzen Schnee hineintreten.“

„Auf Ihnen selbst ist mehr Schnee als an Ihren Schuhen.“ Er schob die Tür auf und reichte ihr die Schlüssel.

Kayla trat über die Schwelle und zog ihren Mantel aus, wobei eine halbe Tonne Schnee zu Boden fiel. „Ich mache alles schmutzig.“

„Dieser Ort ist extra für Menschen gemacht, die gerne draußen sind.“

„Und was ist mit den Menschen, die das Draußen mit sich hereinbringen?“ Kayla entschied, nicht zu erwähnen, dass sie sogar Schnee im BH hatte. „Bitte sagen Sie mir, dass diese Hütte eine Dusche und fließend heißes Wasser hat.“

„All das und noch mehr. Ich führe Sie herum.“

„Danke.“ Ihr wäre es lieber gewesen, er wäre gegangen, damit sich ihre Nerven erholen konnten. „Wo kann ich Stiefel kaufen?“

„Vielleicht hat Brenna noch etwas, das Ihnen passt. Falls nicht, haben wir im Resort einen kleinen Laden mit begrenztem Sortiment.“

„Wer ist Brenna?“

„Sie leitet unser Skiprogramm. Sie ist schon ihr ganzes Leben hier draußen. Wenn Sie ein Gefühl für diesen Ort bekommen wollen, ist sie die ideale Ansprechpartnerin.“

„Gut.“ Verwirrt von seinen blauen Augen, trat Kayla ein paar Schritte weiter in den Raum und sah sich zum ersten Mal richtig um. „Das gefällt mir.“

Das zwei Etagen hohe Wohnzimmer hatte eine Kathedraldecke. Die Glasfenster reichten bis zu den Dachsparren. In der Ecke des Raums führte eine eiserne Wendeltreppe hoch zu einer Schlafgalerie, wo das große Bett so ausgerichtet war, dass man eine maximale Aussicht auf den Wald und den See genoss.

„Das Hauptschlafzimmer ist unten, aber Sie können auf der Galerie liegen und den See und die Wildtiere beobachten. Sie kann auch als zweites Schlafzimmer benutzt werden, doch wir erlauben keine Kinder unter zwölf Jahren, da die Wendeltreppe der einzige Zugang ist. Die Galerie ist der perfekte Ort zum Schlafen.“

Oder ein perfekter Ort für Schlaflose. Wenn sie hier wach lag, hätte sie zumindest eine Aussicht.

Am liebsten würde Kayla die Treppe hinaufklettern, sich hinlegen und bis Januar nicht mehr aufstehen. Von dem Bett aus würde sie nichts anderes sehen als schneebedeckte Baumwipfel. Keine überdekorierten Schaufenster, keine festlich gestimmten Menschen beim Weihnachtseinkauf und vor allem keine glücklichen Familien.

„Ich verstehe nicht, warum das hier über die Feiertage leer steht. Sie sollten in der Lage sein, es zehnfach zu überbuchen.“

„Ich hoffe, dass wir das tun, wenn Sie erst einmal gezaubert haben.“ Kayla schritt die Länge des Wohnzimmers ab. „Wie Sie es gebaut haben – wie es entworfen wurde …“ Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute durch das Glas in den dämmrigen Wald. „Es ist, als wäre draußen drinnen. Als ob man Teil des Waldes und der Berge wäre. Man kann den Schnee förmlich spüren, aber ohne die Kälte.“

„Das war die Idee dahinter.“

„Es ist zauberhaft.“ Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie nass war und zitterte, ging Kayla über den Holzboden und nahm all die kleinen Details in sich auf – von dem Korb mit den grob gehackten Holzscheiten neben dem Kaminfeuer bis hin zu den fragilen Lichterketten, die von den Dachsparren bis zum Boden hingen und den Ort in eine Feenhöhle verwandelten.

Weich gepolsterte Sofas in einem dunklen Grün standen einander gegenüber, dazwischen lag ein Teppich. Hohe Bücherregale aus recyceltem Holz bedeckten eine ganze Wand.

Es war eine Mischung aus aufwendigem Luxus und gemütlicher Heimeligkeit.

„Paare“, murmelte Kayla vor sich hin, während sie auf die Tür zuging, hinter der sie das Schlafzimmer vermutete. Jackson stand währenddessen mitten im Raum, die Daumen in die Taschen seiner Jeans gehakt. „Es ist romantisch. An diesem Ort muss sich alles um Paare drehen.“

Dieser Verdacht bestätigte sich, als sie die Tür zum Schlafzimmer öffnete und das große Holzbett mit der Bettwäsche in den Farben des Waldes entdeckte. Tiefes Grün, dazu Cremefarben und Elemente von Silber, die wie reflektierende Kristalle leuchteten. Eine zweiflügelige Glastür führte auf die breite Terrasse, und lächelnd betrachtete sie den Whirlpool.

„Definitiv Paare.“

„So habe ich es geplant, aber wir scheinen für diese Zielgruppe nicht attraktiv zu sein.“

„Dann liegt es daran, dass sie nichts davon weiß. Doch sie wird davon erfahren.

Er lehnte sich gegen den Türrahmen. „Sie sind da sehr zuversichtlich.“

„Ich kenne meine Arbeit.“ Kayla ging zu der Glastür und schaute auf die Terrasse hinaus.

„Wenn Sie hierbleiben, können Sie im Whirlpool liegen, in den verschneiten Wald schauen und die Wildtiere auf dem See beobachten“, sagte er.

Sie konnte sich das nur allzu leicht vorstellen, konnte es sich mit ihm vorstellen – ein Gedanke, der sie erröten ließ. „Wie privat ist es hier? Gehen hier Menschen vorbei?“

„Nein. Dafür sorgt das Tor am Ende des Weges. Ich wollte, dass jedes Haus für sich ist.“

„Also könnte man nackt im Whirlpool liegen.“ Laut denkend, murmelte sie die Worte vor sich hin. Dann begriff sie, was sie gesagt hatte, und spürte die plötzliche Veränderung in der Stimmung.

„Ja.“ Er sagte es gedehnt und mit einer leichten Rauheit in der Stimme, die ihren Magen Purzelbäume schlagen und die Hitze in ihr hochschießen ließ. „Das könnte man.“

„Geben Sie mir etwas Zeit zum Nachdenken. Sobald ich etwas Nennenswertes an Ideen habe, komme ich auf Sie zu.“ Sie spürte, dass er sie beobachtete, und wusste, dass sie seinem Blick nicht würde ausweichen können, wenn sie sich jetzt umdrehte.

Sie blickte weiter hinaus auf den Wald und fühlte sich, als ob ihr Körper in Flammen stünde.

„Ich hole Sie hier um sechs Uhr ab.“ Seine Stimme klang heiser. „Das lässt Ihnen genug Zeit, um auszupacken und sich häuslich einzurichten, bevor Sie den Rest meiner Familie kennenlernen.“

„Ich kann hinüberlaufen. Das wird mir ein Gefühl für den Ort verschaffen.“ Und außerdem Zeit, um sich wieder zu besinnen. Und sich vielleicht zur Abkühlung nackt im Schnee zu wälzen. „Ich werde meine Stiefel trocknen, dann ist das kein Problem.“

„Sie meinen dieselben Stiefel, mit denen Sie ausgerutscht sind, um fast bewusstlos zu werden?“ Sie gingen zurück in den Wohnraum, wo Jackson nach seiner Jacke griff. „Wegen des Treffens heute Abend …“ Er streifte die Jacke über und zog den Reißverschluss hoch. „Es wird nicht leicht werden.“

„Das ist mein Job, kein Problem.“

Es war Jackson, der sie beunruhigte, nicht die Aussicht darauf, seine Familie zu treffen und über Geschäftliches zu sprechen.

Warum sollte es auch? Sie hatte schon skeptische CEOs überzeugt, die PR für reine Geldverschwendung hielten. Mit seinem Großvater würde sie mit geschlossenen Augen fertigwerden.

Und wenn sie das erledigt hatte, würde sie die ganze Woche mit Arbeit, einem Stapel Büchern und DVDs in ihrer Luxushütte verbringen.

Was konnte ein Workaholic mit Weihnachtsphobie sich Schöneres wünschen?

4. KAPITEL

D ann ist Superwoman also eingetroffen?“ Tyler schlenderte durch die Küche seines Bruders zum Kühlschrank und schnappte sich ein Bier. „Ich dachte, sie macht vielleicht sofort kehrt und fliegt direkt nach New York zurück, wenn sie erst sieht, womit sie es zu tun hat.“

„Sie weiß nicht, womit sie es zu tun hat, doch das wird sie bald erfahren. Mit Glück werden alle Flüge gestrichen und die Straßen gesperrt. Nimm dir doch bitte eins von meinen Bieren. Tu dir keinen Zwang an.“

„Tue ich auch nicht. Teil dieser Familie zu sein ist Grund genug, einen Mann zum Trinken zu bringen. Dann kannst du das verdammte Zeug zumindest bereitstellen.“ Tyler spähte in den Kühlschrank. „Das hier ist das letzte. Du musst zum Laden fahren.“

„Das ist eine Möglichkeit. Eine andere besteht darin, dass du aufhörst, mein Bier zu trinken und dir dein eigenes kaufst.“

„Mache ich zum Ersten des Monats.“ Tyler schlug die Kühlschranktür mit dem Ellenbogen zu. „Diese Woche verdiene ich wieder Geld. Ich gebe privaten Skiunterricht für so eine verwöhnte Teenie-Prinzessin, die sich mehr um ihr Haar sorgt als ums Kurvenfahren.“

„Gut zu wissen, dass du für deinen Lebensunterhalt arbeitest.“

„Ich werde diese Bemerkung nicht mit einer Antwort würdigen. Fährt deine Kayla denn Ski?“

„Ich bezweifle, dass sie jemals einen Ski aus der Nähe gesehen hat, und außerdem ist sie nicht meine Kayla.“ Jackson dachte daran, dass er sie beinahe geküsst hätte, als er sie aus dem tiefen Schnee zog. Er hatte ihren Körper in seinen Händen gespürt, weich und fraulich, und sie hatte sich von ihm ebenso angezogen gefühlt wie er von ihr.

Er hatte registriert, wie sie die Anziehung unterdrückt hatte. So wie er sie ebenfalls unterdrückt hatte, doch ihr war es besser gelungen. Sie hatte ihn abblitzen lassen. Elegant und raffiniert, doch die Distanz war spürbar gewesen. Was vermutlich nur gut war. Sein Leben war schon kompliziert genug.

Tyler hob fragend die Brauen. „Das war eine ganz beiläufige Bemerkung, doch nach deiner Miene zu urteilen, scheint sie einen Nerv getroffen zu haben. Dann ist sie also heiß?“

Jackson dachte an den Rock, der ihr bis zu den Schenkeln hochgerutscht war.

Heiß? Zum Teufel, ja.

„Unsere Beziehung ist rein professionell und bleibt auch professionell. Das gilt übrigens auch für deine Beziehung zu ihr.“

„Mit anderen Worten, du hast Mühe, die Finger von ihr zu lassen. Interessant.“

„Was ist daran interessant?“

„Weil du in den letzten achtzehn Monaten zu sehr mit dem Geschäft beschäftigt warst, um eine Frau auch nur zu bemerken.“

„Das stimmt nicht.“

Tyler ging zu der Kücheninsel in der Mitte des Raumes und zog sich mit dem Fuß einen Stuhl heran. „Sag mir den Namen der letzten Frau, mit der du ein Date hattest.“

„Brenna.“

„Was? Unsere Brenna?“ Die Stimme seines Bruders kippte fast. „Die Brenna, mit der wir aufgewachsen sind?“

„Dieselbe Brenna, die dir Schnee in die Hosen gestopft hat, als du zehn warst. Dieselbe Brenna, die unser Skiprogramm leitet.“ Jackson beobachtete, wie eine Schneeammer auf einem Zweig vor dem Fenster landete. Zwischen den Bäumen glitzerte der See im späten Sonnenlicht. Wenn es nur ein paar Grad wärmer wäre, hätte er sein Bier mit auf die Terrasse genommen, um zu sehen, wie die Sonne über dem See und den Bergen unterging. Plötzlich wurde ihm klar, dass der Sommer vorbei war und er keinerlei Zeit gehabt hatte, sich einmal hinzusetzen und den Sonnenuntergang zu genießen.

Nächstes Jahr, versprach er sich. Nächstes Jahr würde er das Tempo rausnehmen, damit er vor seiner Scheune sitzen und in der frischen Luft durchatmen konnte.

„Also, zum Teufel …“, stammelte Tyler, „habt ihr beide …“

„Was geht es dich an, wenn wir haben?“

„Das heißt, ihr habt es tatsächlich getan?“

Jackson wandte sich ärgerlich um. „Herrje, Tyler …“

„Ich schätze, ich habe dich und Brenna nie als Paar gesehen.“ Sein Bruder wirkte so erschüttert, dass Jackson Mitleid mit ihm hatte.

„Wir sind kein Paar. Der Funke sprang nicht über.“

„Warum zum Teufel habt ihr gedatet, wenn der Funke nicht übersprang?“

„Sagen wir einfach, dass unsere Arbeitsgespräche überhand nahmen, sodass wir sie an der Bar weiterführten und dann noch einige Male beim Dinner.“

„Aber ihr habt sie nicht im Bett weitergeführt?“

„Du willst wissen, mit wem ich ins Bett gehe?“

„Ich passe nur auf sie auf, das ist alles. Sie ist wie eine Schwester für mich.“

Jackson fragte sich, ob sein Bruder wirklich so ahnungslos sein konnte, was Brennas Gefühle anging. „Ty…“

„Und dann ist da noch der Punkt, dass wir zusammen arbeiten. Wenn ihr umeinander herumschleicht, muss ich das wissen.“

„Da ist kein Herumschleichen.“ Er entschied, dass es nicht seine Aufgabe war, etwas zu sagen.

„Übrigens denke ich, dass Kayla Green perfekt für dich wäre.“

„Du kennst sie doch gar nicht.“

„Offenbar ist sie klug, und du findest sie heiß.“

„Sie kann nicht Ski fahren.“

„Nein? Mit dir kann es auf der Piste sowieso niemand aufnehmen, da brauchst du nicht wirklich Gesellschaft. Aber wenn es dich stört, nimm sie halt mit zum Skifahren. Stell sie an eine steile Piste, und wenn du sie dann rettest, wird sie so dankbar sein, dass sie dich für einen Helden hält und mit dir ins Bett geht. Das funktioniert immer.“ Tyler hob sein Bier und trank einen Schluck.

„Meinst du das ernst?“ Jackson schüttelte den Kopf. „Wenn ich darüber nachdenke, möchte ich lieber keine Antwort darauf. Aber wie du ja schon angedeutet hast, machen persönliche Beziehungen zwischen Kollegen die Dinge kompliziert. Und es ist unprofessionell.“

„Zur Hölle mit der Professionalität, es ist Weihnachten. Die Leute machen verrückte Dinge zu Weihnachten.“

„Hier in der Gegend warten die Leute gar nicht auf Weihnachten, sondern machen die ganze Zeit verrückte Dinge.“ Jackson lehnte sich gegen den Schrank und widmete sich seinem Bier, während Tyler sich umsah.

„Es gefällt mir, was du hier draus gemacht hast.“ Entspannt, weil sie nicht länger über Brenna sprachen, musterte er die maßgefertigten Schränke.

„Freut mich, dass das mal jemand anerkennt. Gramps findet, dass ich Geld verschwendet habe.“

„Kommt billiger als die Therapeutenrechnungen, die du hättest zahlen müssen, wenn du bei ihnen eingezogen wärst. Ich überlege, ob ich etwas Ähnliches mit dem Seehaus machen soll.“

„Gute Idee, zumal du jetzt Jess bei dir hast. Wie läuft es denn?“

„Ich hätte gern eine Gebrauchsanweisung, wie man eine Frau behandelt.“

„Nach dem, was du gerade erzählt hast, hast du diese Gebrauchsanweisung bereits parat.“

„Aber nicht für die Teenager-Version.“

Die Stimmung veränderte sich, und Jackson stellte sein Bier zur Seite. „Stimmt etwas nicht?“ Die glänzenden Pfannen, die von den Holzbalken hingen, reflektierten die Lichtstrahlen, die schräg durch das Fenster fielen. Ihm wurde bewusst, dass er bislang noch nicht einmal etwas in diesen Pfannen gebraten hatte.

„Abgesehen von dem Umstand, dass ihre Mutter ein weiteres Kind bekam und sich entschied, dass Jess ihrer neuen Familie im Weg steht und dies der rechte Zeitpunkt wäre, sich an meine Existenz zu erinnern?“ Tylers Stimme wurde hart. „Was zum Teufel habe ich nur jemals in Janet Carpenter gesehen?“

„Du warst jung. Oberflächlich. Sie hatte einen eindrucksvollen Vorbau.“

„Das war das eine.“ Tyler starrte auf die Flasche in seiner Hand. „Und ich fühlte mich geschmeichelt. Ältere Frau und so. Ich dachte, es wäre Geburtstag und Weihnachten gleichzeitig, als sie mich in diese Scheune zog. Und alles, was mir diese Begegnung eingebracht hat, war Ärger.“

Jackson sah, wie die Schneeammer über den See davonflog. „Du hast Jess.“

„Ja …“ Tylers Stimme wurde weicher. „Ja, ich habe sie. Und sie ist das Beste. Du solltest sie auf Skiern sehen. Großartige Balance, keinerlei Angst. Und das macht mir Sorgen. Sie würde jedes Gelände hinunterfahren.“

„Du warst genauso.“

„Vielleicht war ich das, aber dennoch wünschte ich mir, dass sie vorsichtiger wäre. Sie hat den größten Teil ihres Lebens in Chicago verbracht. Sie kennt keine Berge.“

„Wenn du dir Sorgen machst, dann fahr mit ihr raus.“

„Um Janet etwas in die Hand zu geben, das sie gegen mich verwenden kann? Auf keinen Fall.“

„Herrje, Ty, sie hat das Kind praktisch weggeschickt. Sie ist wohl kaum in der Position, deine Fähigkeiten als Vater anzuzweifeln.“

„Vielleicht, aber das Risiko gehe ich nicht ein. Ich habe Jess endlich zurückbekommen und werde das nicht gefährden.“

Jackson wusste, dass sein Bruder immer noch darunter litt, dass man ihm das Sorgerecht nicht von Anfang an zugesprochen hatte. Es war eine schreckliche und abscheuliche Zeit gewesen, und er war einer der wenigen, die die Wahrheit kannten.

Vielleicht war es gar nicht so überraschend, dass Tyler Brennas Gefühle für ihn nicht bemerkt hatte. Er war nicht nur verletzt gewesen, die Sache hatte tiefe Narben hinterlassen.

„Hast du mit Jess darüber gesprochen?“

„Sie will nicht darüber sprechen.“ Tyler klang müde. „Ich habe sie sogar direkt gefragt, ob etwas nicht in Ordnung ist. Zum ersten Mal im Leben habe ich eine Frau gefragt, ob sie mir erzählen will, was sie nervt. Ich bin sogar lange genug bei ihr geblieben, dass sie antworten konnte.“

„Und hat sie das?“

„Sie hat mir einen Blick zugeworfen und gesagt, ich würde das nicht verstehen.“ Tyler starrte auf die Flasche in seiner Hand. „Dem wollte ich nicht widersprechen. Willst du die Wahrheit hören? Ich glaube nicht, dass sie hier sein will. Sie möchte zurück zu ihrer Mutter.“

„Sie war immer gerne hier.“

„Ein Besuch ist etwas anderes, als dort auf Dauer zu leben. Janet hat es hier gehasst.“

„Jess ist nicht ihre Mutter.“

„Aber sie hat lange genug bei Janet gelebt, und wir beide wissen, dass Janet mich hasst.“

Jackson widersprach nicht. Da er Janet Carpenter kannte, hielt er es für unwahrscheinlich, dass sie ihre Ansichten über Tyler zurückgehalten hatte. „Jess liebt dich, Tyler.“

„Tut sie das?“

„Ich weiß, dass sie das tut. Sie ist verwirrt.“

„Da ist sie nicht die Einzige.“

„Du betrittst die Welt eines Teenagers.“

„Beinhaltet diese Welt ständiges Türenknallen und endlose Stunden, die sie allein in ihrem Zimmer sitzt? Wenn ja, stecke ich schon mittendrin.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich dachte, Frauen wären der kommunikative Teil der Menschheit.“

„Vielleicht solltest du mit Mom darüber sprechen. Dass Jess zurück ist, gibt ihr zumindest etwas, worum sie sich kümmern kann.“

„Das sollte man meinen, aber Jess schließt sie ebenfalls aus. Sie hat sich über Nacht von einem süßen Kind in einen widerspenstigen Teenager verwandelt.“

„Gib ihr Zeit. Sie ist erst seit einem Monat wieder bei dir.“

„Dies war immer ihre Lieblingszeit im Jahr. Seit Janet sie mitgenommen hat, hat sie hier jedes Weihnachten verbracht. Was für eine Mutter muss man sein, um sein Kind Weihnachten nicht um sich haben zu wollen? Nicht, dass ich mich darüber beschweren will.“ In Tylers Stimme lag eine Schärfe, die nur zu hören war, wenn er über seine Exfrau sprach. „Aber normalerweise konnte ich Jess vor den Feiertagen gar nicht aus der Küche herausbekommen. Wenn sie nicht gerade Lebkuchenmänner verzierte, bastelte sie Schneeflocken oder schnitt Rentiere aus oder sang in höchsten Tönen ‚Jingle Bells‘. Als ich sie heute Morgen fragte, ob sie mit Grandma Kekse backen wollte, sagte sie, sie sei kein Baby mehr.“

„Das ist richtig. Zwölf. Mein Gott, wie konnte das so schnell geschehen?“

„Es ist geschehen, und jetzt will sie nichts anderes, als steile Pisten hinunterrasen. Glaubst du, dass sie eine Neigung zum Selbstmord hat?“ Ausnahmsweise lächelte Tyler nicht, versuchte nicht, die Dinge zu verharmlosen. Jackson griff nach seinem Bier.

„Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass du dich ein bisschen entspannen musst.“

„Das ist der Grund, warum ich dein Bier trinke.“ Tyler blickte auf die Uhr. „Um wie viel Uhr versammeln wir uns, um deinem Mädchen zuzuhören?“

„Wenn du damit Kayla meinst – ich hole sie um sechs von ihrer Hütte ab. Du musst nicht dabei sein.“

„Kein verrückter Elch könnte mich davon abhalten. Ich muss sehen, wie sie mit Gramps umgeht. Glaubst du, dass sie mit ihm fertigwird, oder wird er sie überrollen?“

Jackson konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand Kayla Green überrollte, doch er machte sich keine Illusionen. Sie würde all ihre Fähigkeiten brauchen, um Walter Montgomery O’Neil für sich zu gewinnen.

„Wir werden sehen, wie sie sich schlägt.“ Er griff zu seiner Jacke. „Ich habe vor, erst einmal das ‚Meeting‘ zu überstehen und sie dann als Entschädigung ins Restaurant einzuladen. Ich schätze, nach einer Stunde mit unserer Familie wird sie einen Drink brauchen. Vermutlich zehn Drinks.“

Tyler zog fragend die Brauen hoch. „Aber das ist kein Date, oder?“

„Das ist Arbeit.“ Ohne den Blick zu beachten, den sein Bruder ihm zuwarf, nahm Jackson seine Schlüssel. „Kauf Bier. Dann ist beim nächsten Mal auch wieder etwas in meinem Kühlschrank, wenn du ihn aufmachst.“

Es war nur ein Meeting.

Sie hatte schon Hunderte von Meetings absolviert, und dieses würde nicht anders sein.

Die heiße Dusche hatte ihre Lebensgeister geweckt. Energisch zog Kayla einen weiteren Bleistiftrock vom Bügel und legte ihn neben den schwarzen Kaschmirpullover auf ihr Bett. Schick und warm. Damit würde sie zeigen, wie praktisch sie sein konnte, wenn es nötig war.

Dann holte sie ihre schwarzen Lieblings-High-Heels aus dem Koffer. Sie würde in Stiefeln hinübergehen und vor Ort die Schuhe anziehen.

In ein Handtuch gewickelt und die Wangen noch immer gerötet von der Fönhitze, ging Kayla im Geiste ihre Vorbereitungen für das Meeting durch.

Sie waren skeptisch, also würde sie ihnen zeigen, was PR für sie bewirken konnte.

Sie gingen davon aus, dass sie nichts über ihr Unternehmen wusste, also würde sie ihnen beweisen, dass sie all die Statistiken und Fakten auswendig gelernt hatte. Dass sie Snow Crystal kannte.

Und schließlich würde sie ihnen zeigen, was sie für andere Kunden erreicht hatte.

Sie würde Jackson O’Neil zeigen, dass sie vielleicht nicht auf Eis gehen konnte, aber in Sachen Marketing absolut standfest und trittsicher war. Ihre Balance würde perfekt sein.

Sie fragte sich, warum er so besorgt schien wegen des Meetings.

Abgesehen von meinem Bruder sind Sie die Einzige, die bei diesem Projekt zu meinem Lager gehört, deshalb habe ich großes Interesse daran, dass Sie am Leben bleiben.

Die Ironie entging ihr nicht. Nie zuvor hatte sie die Familie eines Mannes kennengelernt. Nie hatte sie diesen Punkt in einer Beziehung erreicht, und nun sollte sie Grandma kennenlernen.

Kayla glättete ihr Haar, bis es keinerlei Anzeichen von ihrer Begegnung mit dem Schnee zeigte, lockerte den strengen schwarzen Pullover mit einem silbernen Schal mit Sternenmuster auf und legte silberne Ohrringe an, bevor sie ihr Spiegelbild im Display ihres Smartphones überprüfte.

Los, Kayla.

Als Jackson an die Tür pochte, fühlte sie sich für alles gewappnet, was sie ihr entgegenschleudern mochten.

Er parkte vor dem Haupthaus. Winzige Lichter hingen an der Dachrinne und in den Bäumen.

Es hätte schlimmer sein können, dachte sie. Immerhin gab es keine grinsenden Santas oder beleuchtete Rentiere mit blinkendem Geweih.

Jackson löste seinen Sicherheitsgurt. „Nervös?“

Ja, sie war nervös, doch ehrlich gesagt hatte das mehr mit dem Mann neben ihr als mit der Aussicht auf das Meeting zu tun. Er war nur gefahren, doch in ihrem Bauch hatte sich ein fester Knoten gebildet, und sie konnte an nichts anderes als Sex denken. Ihr Blick wanderte zu dem sinnlichen Schwung seiner Lippen. Rasch sah sie wieder fort.

Was zum Teufel war los mit ihr? Stacy hatte recht. Sie sollte öfter ausgehen. „Ich bin aufgeregt. Sie haben ein geschäftliches Problem zu lösen, und das ist genau mein Job.“ Nicht zu ihrem Job gehörte es allerdings, ihren Kunden anzustarren und darüber nachzudenken, wie es wäre, von ihm geküsst zu werden.

„Ich hoffe, Sie empfinden nach dem Meeting noch genauso.“ In dem Bestreben, seiner Nähe zu entkommen, schlüpfte Kayla rasch aus dem Wagen. Sie sah hinunter auf den Weg und schätzte ihre Chancen ab, es ohne Sturz bis zur Tür zu schaffen. „Ich würde dieses Mal Ihren Arm nehmen.“

„Gut zu wissen, dass Sie aus Fehlern lernen.“ Amüsiertheit schwang in seiner Stimme mit und noch etwas anderes, das rauer und gefährlicher klang und ihr zeigte, dass er genau das Gleiche fühlte wie sie selbst.

Ihr Blick traf den seinen, und das plötzliche Aufwallen von Anziehung verschlug ihr fast den Atem.

Es war, als hätte sie einen elektrischen Zaun berührt.

Sie nahm seinen Arm. „Als Erstes werde ich morgen passendes Schuhwerk besorgen.“

Sie hielt seinen Arm nur so lange wie nötig fest und hielt dann vor der Haustür, um ihre Stiefel auszuziehen und in die High Heels zu schlüpfen, die sie fast zehn Zentimeter größer machten.

Sie stopfte die Stiefel in ihre Tasche und fuhr sich übers Haar. „Ich bin fertig.“

Jackson starrte hinunter auf ihre Füße. Dann wanderte sein Blick ihre Beine entlang langsam nach oben und blieb schließlich an ihrem Mund hängen. Er hatte sie nicht berührt, doch plötzlich prickelten ihre Lippen und ihr Hals wurde trocken.

„Wir sollten …“

„Ja, wir sollten …“ Seine Stimme klang belegt. Dann runzelte er die Stirn und drehte sich um, um die Tür zu öffnen.

Glocken ertönten und brachen den Zauber. Kayla starrte auf das hübsche Glockengebinde, das unter einem glänzenden Kranz aus Wacholder und Fichte am Türgriff hing.

„Was sind das für Glocken?“

„Mein Vater hat meiner Mutter im Pferdeschlitten seinen Heiratsantrag gemacht. Sie hat die Glocken als Erinnerung aufbewahrt und hängt sie zu Weihnachten an die Tür.“

Na großartig. Genau, was sie brauchte. „Ihre Mutter liebt Weihnachten?“

„Ja. Sie dekoriert gerne für die Feiertage. Ich warne Sie vor – unser Baum ist normalerweise größer als der vorm Rockefeller Center.“

Kayla starrte finster auf die Glocken, während sie diese mehr als unwillkommene Neuigkeit verdaute.

Es war ja nur Deko, ermahnte sie sich selbst. Und zumindest ihr Cottage blieb eine weihnachtsfreie Zone.

Sie trat ins Haus und hielt überrascht inne, als sie die Einzelheiten des Raums und die vielen Menschen um den großen Tisch wahrnahm.

„Oh, ich … Das ist …“ Sie drehte sich verwirrt zu Jackson um.

„Dies ist die Küche.“

„Das ist richtig.“

„Die Küche führt zu Ihrem Konferenzraum?“

„Die Küche ist unser Konferenzraum.“ Er schloss die Tür gegen die Kälte, und Kayla verspürte einen Anflug von Panik, als sie sich zu ihrem Publikum umdrehte.

Sie hielten dieses Meeting in der Küche ab?

Sie blickte sich um und sah glänzende Töpfe und Pfannen. Über dem Herd hingen Sträuße mit getrockneten Kräutern. Die Oberflächen blitzten, doch dies war keine Vorführküche. Sie war bewohnt und wurde offenbar geliebt. Neben der Tür reihten sich die Stiefel in verschiedenen Größen, und die Regale waren mit Kochbüchern vollgestopft. Man konnte sich leicht vorstellen, wie die drei O’Neil-Jungs aus dem Schnee hereingelaufen kamen in der Hoffnung, ein paar frisch gebackene Kekse zu ergattern.

Eine Frau hievte einen großen blauen Schmortopf in den Ofen und schenkte ihnen ein einladendes Lächeln.

„Sie müssen Kayla sein. Wir haben so viel von Ihnen gehört. Ich bin Elizabeth O’Neil, Jacksons Mutter. Alice und Walter, seine Großeltern …“ Sie nickte mit dem Kopf in ihre Richtung. „Und Tyler, Jacksons Bruder. Jess stößt vielleicht später zu uns, aber das macht Ihnen sicher nichts aus. Jetzt kommen Sie erst einmal herein, ich nehme Ihnen den Mantel ab.“ Lächelnd kam sie mit ausgestreckten Armen auf Kayla zu.

Kayla trat rasch einen Schritt zurück, wobei sich der dünne Absatz ihrer Stilettos in Jacksons Fuß bohrte.

Er fluchte unterdrückt und griff nach ihrem Arm, um sie zu stützen. „Haben Sie eigentlich eine Lizenz für diese Waffe?“

Sie antwortete nicht. Voller Angst, dass sie umarmt werden könnte, streckte sie die Hand aus. „Freut mich, Sie kennenzulernen.“

Jackson ließ sie los. „Meine Mutter ist Britin, das haben Sie also gemeinsam.“ Er überspielte den etwas peinlichen Anfang. „Vor fünfunddreißig Jahren kam sie für eine Wintersaison hierher und ist dann nie wieder fortgegangen.“

„Warum sollte ich fortgehen? Ich habe nie etwas Schöneres als diesen Ort gesehen, und ich bin sicher, dass Kayla mir da zustimmen wird.“

Kayla war bereit, allem zuzustimmen, um diese Weihnachtshöhle so schnell wie möglich wieder verlassen zu können. „Absolut. Es ist überwältigend. Schön, Sie kennenzulernen, Mrs O’Neil.“

„Nennen Sie mich Elizabeth, Liebes. Wir sind nicht so formell.“ Mit herzlicher Freundlichkeit nahm sie Kayla den Mantel ab, um ihn aufzuhängen, und runzelte die Stirn. „Er ist ganz feucht. Schneit es wieder?“

„Nein, ich war gestürzt.“

„Du hast sie stürzen lassen?“ Elizabeth O’Neil sah ihren ältesten Sohn vorwurfsvoll an. „Hast du ihr nicht deinen Arm gereicht? Du solltest dich schämen, Jackson.“

„Es war mein Fehler“, sagte Kayla. „Ich bin es nicht gewöhnt, auf Eis zu gehen. Aber es wird nicht noch einmal vorkommen.“

Elizabeth nickte zustimmend. „Weil Sie sich beim nächsten Mal auf seinen Arm stützen.“

„Nein.“ Kayla hatte sich schon vorgenommen, jeden körperlichen Kontakt auf ein Minimum zu beschränken. „Das nächste Mal werde ich bessere Stiefel tragen. Darum werde ich mich morgen gleich als Erstes kümmern.“

Jacksons Großmutter gab einen mitfühlenden Laut von sich. „Wundert mich nicht, dass Sie gestürzt sind. Es ist so vereist. Seit meiner Hüftoperation habe ich im Winter Angst hinauszugehen, und was die Kälte angeht …“ Alice O’Neil musterte Kayla über den Tisch hinweg. „Tragen Sie Thermounterwäsche unter dem Pullover. Die Wolle sieht dünn aus. Und Ihr Rock ist ziemlich kurz. Wir möchten nicht, dass Sie sich eine Erkältung holen, während Sie hier sind. Jackson, du solltest Kayla mitnehmen, um Unterwäsche zu kaufen.“

Kayla spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. „Ich …“ Was sollte sie denn darauf erwidern? Sie war an Small Talk über das Wetter oder den Verkehr in Manhattan gewöhnt. Gelegentlich kamen Leute auf die Wirtschaft zu sprechen. Doch niemand erwähnte jemals Unterwäsche. „Mir ist warm, aber vielen Dank für Ihre Besorgnis.“ Sie fühlte sich wie ein von hungrigen Wölfen umkreistes Reh und warf Jackson einen verzweifelten Blick zu. „Soll ich mit meiner Präsentation beginnen?“

„Warum tragen junge Frauen eigentlich so viel Schwarz?“, mischte sich Walter O’Neil vom anderen Ende des Tischs aus ein. „Als ich jung war, trug man Schwarz nur bei Beerdigungen.“

„Ich liebe Farben. Sie würden in Grün sehr hübsch aussehen, Kayla.“ Alice streckte Kayla ein Knäuel Garn hin, das Kayla anstarrte, als ob man ihr eine Handgranate reichen würde.

Jacksons Bruder verzog sein Gesicht zu einem trägen, amüsierten Lächeln. „Wir sind sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Kayla. Und mir gefällt der Rock. Ändern Sie nichts daran, vor allem nicht an der Länge – außer Sie wollen ihn kürzen.“

„Ich sagte nicht, dass der Rock nicht hübsch ist“, erklärte Alice begriffsstutzig. „Ich sagte, er sei kurz, und bei einem Wetter wie diesem …“

„Ihr ist warm genug, Grams. Mach dir keine Gedanken.“ Jackson legte seine Hand in Kaylas Rücken und schob sie weiter in den Raum. „Und sie sieht hervorragend aus in Schwarz. Wenn ihr für einen Moment zuhören würdet, könntet ihr feststellen, dass sie auch in anderer Hinsicht hervorragend ist.“ Er zog einen Stuhl vor und bot ihn Kayla an, die sich dankbar setzte.

Den Small Talk hatten sie hinter sich, also konnte sie jetzt hoffentlich zum Geschäftlichen kommen.

„Ich bin wirklich begeistert, für Sie zu arbeiten.“ Sie glaubte, ein Schnauben von Walter O’Neil zu hören, doch als sie ihn ansah, reichte er Alice gerade ein frisches Knäuel Wolle. „Ich habe eine Präsentation vorbereitet, die Ihnen ein besseres Bild davon vermittelt, wie wir Ihrem Unternehmen helfen können.“ Sie zog ihren Laptop aus der Tasche. Allein die Berührung seiner glatten Oberfläche half ihr, sich zu entspannen. Als ob sie plötzlich einen vertrauten Freund in ihrer Tasche entdeckt hätte. „Ich fange mit ein paar Kampagnen an, die wir für andere Kunden erarbeitet haben.“

Als sie aufsah, bemerkte sie die Fotos, die an der Küchenwand hingen.

Da hielt ein gut aussehender Walter O’Neil eine Axt in den Händen. Das Bild musste vor mindestens vierzig Jahren aufgenommen worden sein. Daneben ein Bild von den Familienhunden. Ein anderes von den drei O’Neil-Jungen nach einer Schneeballschlacht. Da waren Tyler, der auf dem Podest eine Goldmedaille entgegennahm, und ein Mann, den sie nicht kannte – vermutlich der andere Bruder – bei seiner Graduiertenfeier. Es war eine bildhafte Dokumentation, wie die Zeit vergeht. Die Geschichte der O’Neils.

Jackson folgte ihrem Blick. „Meine Mutter liebt Fotos. Und sie liebt es, uns in Verlegenheit zu bringen, indem sie sie für alle sichtbar an die Wand hängt.“ Seine Stimme klang amüsiert, aber nicht nur. Da war noch etwas anderes. Liebe. Dieser Mann liebte seine Familie. Das war der Grund, warum er hier war und nicht Tausende von Meilen entfernt in Europa, wo er sein eigenes Unternehmen führte.

Kayla begriff, dass man ein Lächeln von ihr erwartete, und folgte dem pflichtschuldig.

„In der Küche verbringe ich nun mal die meiste Zeit.“ Elizabeth machte Feuer unter der Pfanne. „Warum sollte ich sie hier nicht hinhängen? Es macht mich glücklich, wenn ich Michael auf diesem Schlitten sehe. Und ich liebe das Bild von euch drei Jungen direkt nach der Schneeballschlacht. Schauen Sie sich ihre Gesichter an, Kayla – Sie sehen, was für Racker das waren. Sie liebten den Schnee. Sobald man ihnen irgendeine Piste zeigte, rasten meine Jungs auf Skiern hinunter. Egal, was sie unten erwartete. Sie konnten nicht miteinander spielen, ohne sich zu prügeln, aber sie konnten es auch nicht ertragen, getrennt zu sein. Ja, sie haben mich vorzeitig grau werden lassen.“ Doch sie strahlte dabei über das ganze Gesicht – eine Frau, die von der und für die Familie lebte.

Kayla, die sich vorkam wie ein Alien von einem anderen Planeten, suchte fieberhaft nach einer Entgegnung, die nicht „Lasst mich hier raus“ lautete. „Das sind hübsche Fotos.“ Sie spürte einen Kloß im Hals, der vor wenigen Minuten noch nicht da gewesen war.

Das lag an diesem verdammten Ort, dachte sie. Diese hübsche, gemütliche Küche, in der alles für Weihnachten vorbereitet war. Es gab Schalen mit Pinienzapfen und Vasen mit langen grünen Tannenzweigen aus dem Wald. Auf den Regalen flackerten Kerzen neben selbst gebastelten Dekorationen und Weihnachtskarten mit hingekritzelten Grußbotschaften.

Sie dachte an ihr Apartment in Manhattan. Glatt, schlicht und ohne den Anflug von Heimeligkeit. Keine Grußbotschaften.

„Kayla?“ Jacksons Stimme unterbrach ihre Gedanken. „Geht es Ihnen gut?“

„Ja.“ Doch das war eine Lüge. Es ging ihr nicht gut.

Sie ignorierte ihre Umgebung und versuchte ihren Laptop auf den Tisch zu legen, doch es gab nicht genug Platz.

„Nimm bitte das Strickzeug beiseite, Alice.“ Elizabeth O’Neil schob ein kleines Knäuel Wolle aus dem Weg. „Habt ihr Kaylas Computer gesehen? Er ist so klein. Ist die moderne Technik nicht einfach faszinierend?“

Kayla starrte gebannt auf die Reihen von Lebkuchenmännern, die auf ihre Verzierung warteten.

Eine lang verdrängte Erinnerung wurde wieder wach.

Trotz der Hitze in der Küche überlief sie ein Frösteln. Ihr war entsetzlich kalt.

„Sind Sie hungrig, Liebes?“ Alice legte vorsichtig einen Lebkuchenmann auf einen Teller und schob ihn ihr zu. „Sind sie nicht hübsch? Kosten Sie einen. Sie schmecken so gut, wie sie aussehen.“

„Nein, vielen Dank.“

Alice schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Ihr jungen Mädchen seid immer auf Diät, aber natürlich seid ihr aus dem Grund so schlank und hübsch.“

„Ich bin nicht auf Diät. Ich habe nur gerade keinen Hunger.“ Sie spürte ein flaues Gefühl im Magen.

Jacksons Großmutter beugte sich vor und tätschelte ihr über den Tisch hinweg die Hand. „Sie brauchen nicht nervös zu sein, Liebes. Wir sind so dankbar, dass Sie Ihre Feiertage opfern, um uns zu helfen.“

Diese Freundlichkeit gab ihr beinahe den Rest.

„Warum tun Sie das?“ Walter sah sie argwöhnisch an. „Warum sind Sie nicht zu Hause bei Ihrer Familie?“

Elizabeth blickte entrüstet. „Walter!“

„Ich frage mich nur, was für eine Art Mensch sich entscheidet, lieber zu arbeiten, als Weihnachten mit der Familie zu verbringen.“

Ein Mensch, der von seiner Familie nicht gewollt ist.

Kayla öffnete ihren Laptop. „Ich habe eine Präsentation für Sie vorbereitet. Ich hoffe, ich kann Ihnen damit einen Eindruck verschaffen, wie Innovation Ihrem Unternehmen helfen kann.“

„An diesem Ort geht es um Familien“, blaffte Walter. „Um Zusammenhalt und gemeinsame Erinnerungen. Was verstehen Sie davon?“

Nichts. Sie verstand nichts davon.

„Das reicht, Walter.“ Elizabeth knallte einen Teller vor ihn.

„Ich sehe nur einfach nicht, was eine Britin, die in Manhattan arbeitet, von unserem Geschäft verstehen kann, das ist alles. Sie ist eine Außenstehende.“

Das Wort traf sie wie ein Messerstich.

Sie verstand nichts von funktionierenden Familien, doch sie wusste nur zu gut, wie man sich als Außenstehende fühlte.

Einen Moment lang fühlte sie sich zurückversetzt in das Haus ihrer Stiefmutter, wo sie erstarrt hinter dem Weihnachtsbaum stand und niemand sie bemerkte.

Warum muss sie zu uns kommen, David? Ich wollte, dass nur wir vier zusammen sind. Warum kann sie nicht einfach zu ihrer verdammten Mutter gehen?

Es war, als hätte Walter einen losen Faden an ihrem Pullover gefunden und daran gezogen. Kayla spürte, wie sie ihre Schutzschicht verlor. Gefühle, die sie sorgfältig weggesperrt hatte, drängten hervor.

Voller Panik und Beklemmung wandte sie sich an Jackson. „Ich muss bitte meinen Laptop mit Ihrem Projektor verbinden.“ Dunkle, erschreckende Gefühle drängten in ihr hoch, und sie schob sie mühsam zurück, weil sie keine Macht über sie gewinnen sollten.

„Es gibt keinen Projektor.“

„Kein Projektor?“ Der Schock hätte nicht größer sein können, wenn er gesagt hätte, dass er ein Hotel gebaut und darin die Schlafzimmer vergessen hätte.

„Das steht auf unserer Prioritätenliste gerade nicht sehr weit oben.“ Eindringlich musterte er sie aus seinen blauen Augen. „Drehen Sie den Laptop einfach herum, und wir schauen auf den Bildschirm.“

„Kein Projektor.“ Kayla atmete tief ein, während sie überlegte, wie sie mit diesem neuesten Hindernis umgehen sollte. „Kein Projektor ist völlig in Ordnung.“

Alice legte einen frisch verzierten Lebkuchenmann auf das Blech. „Ich stelle immer fest, dass das Verzieren von Keksen mich entspannt. Gib Kayla ein Messer, Elizabeth, dann kann sie uns helfen.“

„Ich kann nicht kochen. Und ich habe noch niemals etwas mit Zuckerguss verziert.“ Mit bebenden Fingern drehte Kayla den Laptop herum und holte ihr Tablet aus der Tasche. „Sie sind offenbar beschäftigt, deswegen werde ich mich beeilen.“ Um ihretwillen, nicht derentwillen. Sie musste hier raus.

„Wenn sie noch nicht einmal etwas so Simples wie das Verzieren eines Lebkuchens hinbekommt“, murmelte Walter, „wie soll sie hier dann Besonderes leisten?“

Jackson presste die Kiefer zusammen. „Wenn du sie fragst, wird sie es dir sagen. Aus diesem Grund ist sie nämlich hier, aber bisher habt ihr sie ja nicht zu Wort kommen lassen. Und ich brauche sie nicht zum Kochen. Ich habe einen Koch eingestellt.“

„Obwohl wir bereits einen absolut guten Koch hatten, aber das wollen wir nicht noch einmal durchkauen.“ Walter starrte den Tisch hinunter auf Kayla. „Wir sind ganz Ohr. Zeigen Sie uns, was Sie können.“

Eine erwartungsvolle Stille machte sich im Raum breit.

Mit dem Gefühl, als ob alles in Zeitlupe geschah, sah Kayla erst Walter an, dann Elizabeth und schließlich Alice, die sorgfältig kleine Knöpfe auf den Mantel des Lebkuchenmanns dekorierte.

„Kayla?“ Jacksons Stimme klang sachlich. „Wir sind bereit für das, was Sie sagen.“

Sie hatte nichts zu sagen. In ihrem Kopf existierte nichts mehr außer der Vergangenheit.

Normalerweise war sie sehr beredt, doch die Panik hatte sämtliche Schaltkreise in ihrem Hirn lahmgelegt.

Dann erinnerte sie sich daran, dass ja alles auf dem Bildschirm war, doch der zeigte in die andere Richtung und sie konnte ihn nicht sehen. „Ich habe eine Präsentation vorbereitet, die unsere Erfahrung auf diesem Gebiet demonstriert.“

Alice blinzelte. „Ich brauche vielleicht meine andere Brille. Elizabeth, hast du meine andere Brille?“

„Sie ist in deiner Tasche, wo sie immer ist.“ Elizabeth reichte ihr die andere Brille, und Alice setzte sie auf, um sich dann vorzubeugen.

Kayla veränderte den Winkel des Laptops. „Von dem Moment, an dem wir morgens aufstehen, bis zu dem Moment, wenn wir zu Bett gehen, werden wir von Botschaften überschwemmt.“ Oh Gott, sie klang wie ein Roboter. Sie musste das lebendiger und persönlicher werden lassen. „Wir leben in einer schnelllebigen Welt, wo sich die Neuigkeiten im Minutentakt abwechseln. Die Herausforderung besteht darin, sich innerhalb dieses Lärms Gehör zu verschaffen.“

Alice sah verwirrt drein. „Hier gibt es eigentlich nicht viel Lärm, Liebes. Snow Crystal ist ein friedlicher Ort, nicht wahr, Elizabeth?“

„Nur nicht am Sonntagmorgen, wenn man die Kirchenglocken hört. Ich schwöre, es gibt Tage, an denen ich wünschte, wir hätten kein Geld für die Restaurierung gespendet.“ Elizabeth erhob sich und holte ein Blech mit gebackenen Kartoffeln aus dem Ofen. „Eines Tages werde ich das Glockenseil eigenhändig durchschneiden.“

Kayla spürte kurz Panik in sich aufsteigen. „Ich … ich meine den Lärm der Medien. Das ist eine Umschreibung für die Menge an Informationen, der wir täglich ausgesetzt sind durch Nachrichtensender, Social Media …“

„Social Media?“ Walter blickte sie verständnislos an, und Kayla umfasste die Tischkante, bis ihre Knöchel weiß wurden.

„Soziale Netzwerke spielen bei der Reiseplanung heute eine immer größere Rolle. Viele Unternehmen greifen das auf und betreiben heute ihre eigenen Blogs, Twitter-Accounts und Facebook-Seiten. Das ist eine Möglichkeit, mit den Kunden zu kommunizieren und die eigene Botschaft persönlicher zu gestalten. Wenn wir einen Marketingplan für Snow Crystal entwickeln, ist das einer der Punkte, die ich mir gern näher ansehen möchte.“

Die einzigen Geräusche im Raum waren das leichte Blubbern des Schmortopfs im Ofen und das leise Zischen des Wasserkessels.

Sie hatte sie zum Schweigen gebracht, doch es war kein interessiertes Schweigen. Es war ein amüsiertes Schweigen.

Zuckerguss tropfte von Alices Messer auf den Tisch wie Schnee, der von einem Zweig fiel.

Die ganze Familie starrte sie aus glasigen Augen an, und Kayla fühlte sich an jenen Tag im Haus ihres Vaters erinnert, als sie die Porzellankasserole hatte fallen lassen. Ihre Hände hatten gezittert und sie hatte sich so sehr bemüht, einen guten Eindruck zu machen, dass sie über die Teppichkante gestolpert war. Sie erinnerte sich noch immer an die erstarrte Miene ihrer Stiefmutter, als sich Fleischstücke und Rotweinsoße über den teuren cremefarbenen Teppich ergossen. Sie hätte sich unter den schrecklichen Blicken am liebsten in Luft aufgelöst. Hatte sich sehnlichst gewünscht, dass ihr Vater sie umarmte und ihr sagte, dass es nicht weiter schlimm sei.

Doch es war schlimm, weil man sie von vornherein nicht hatte dabeihaben wollen.

Sie war damals die Außenstehende gewesen, und sie war auch heute die Außenstehende.

Der einzige Mensch, der sie hier haben wollte, war Jackson, und er hatte darauf vertraut, dass sie seine Familie beeindrucken würde.

Falls sie noch eine Bestätigung gebraucht hätte, dass ihr genau das nicht gelungen war: Walter lieferte zuverlässig. „Das ist alles? Wenn ihr mich fragt, sind wir besser dran, wenn wir das Geld auf der Bank lassen.“

Kayla unternahm einen letzten verzweifelten Versuch, die Situation zu retten. „Warum sehen wir uns nicht einfach einige der Marketingkampagnen an, die wir für andere Unternehmen durchgeführt haben? Das wird Ihnen einen Eindruck davon verschaffen, was erreicht werden kann. Unsere Kampagne für Adventure Travel beispielsweise generierte über dreihundert Millionen Mediakontakte, inklusive Fernsehspots zur besten Sendezeit“

„Mediakontakte?“ Alice sah sie verständnislos an. „Was sind Mediakontakte?“

Walter starrte Jackson an. „Warum kümmern wir uns darum, was sie für andere Unternehmen getan hat? Will sie damit sagen, dass wir nicht einzigartig sind?“

Er sprach sie nicht einmal direkt an, dachte Kayla. Sie könnte ebenso gut nicht vorhanden sein.

„Das will ich damit nicht sagen.“

Dieses Mal wendete er sich direkt an sie. „Dann sagen Sie mir, was an Snow Crystal besonders ist.“

Eine schreckliche Stille entstand.

„Ich … ich weiß es noch nicht.“ Sie hatte Statistiken, doch darum ging es hier nicht. Zum ersten Mal wünschte sie sich, sie hätte ihr Team im Rücken. Sie würde sogar Brett willkommen heißen, wenn er „kein Problem“ sagte und sich zu allen möglichen nicht erreichbaren Zielen verpflichtete. „Aber das werde ich herausfinden. Aus diesem Grund bin ich hier. Ich will herausfinden, was an Snow Crystal so besonders ist.“

Jackson starrte sie ungläubig an, und ihre Wangen begannen zu brennen, weil sie wusste, dass sie in seinen Augen versagt hatte. Und in ihren. Zum ersten Mal überhaupt hatte sie in ihrem Job versagt. Auf keinen Fall, auf gar keinen Fall würde er ihr nach dieser erbärmlichen Vorstellung den Auftrag geben. Und sie konnte ihm keine Vorwürfe machen. Sie hätte sich den Auftrag auch nicht gegeben.

Walter schnaubte. „Dann sollten wir dieses Meeting vielleicht abhalten, wenn Sie das erledigt haben.“

„Das reicht.“ Jackson bewegte sich nicht auf seinem Stuhl, doch seine Stimme war fest. „Diese Familie mag manches sein, aber sie ist nicht unhöflich. Kayla ist eine Expertin in dem, was sie tut.“

Walters Miene blieb aufmüpfig. „Mag sein, aber sie ist keine Expertin, was Snow Crystal angeht. Das hat sie gerade zugegeben, und das kann kaum überraschen, oder? Sie ist eine Außenstehende. Wie kann eine Außenstehende mehr wissen als wir?“

„Wir brauchen jemanden, der draußen steht“, sagte Jackson kühl, „weil die Leute drinnen die Dinge zu lange auf die gleiche Art und Weise getan haben.“

„Weil es funktioniert hat. Du möchtest die Dinge um der Veränderung willen verändern.“

„Ich habe keine Ahnung, was dich so aufregt, Walter, aber du musst dich beruhigen, sonst bekommst du wieder Brustschmerzen.“ Mit einem tadelnden Blick zu ihrem Schwiegervater holte Elizabeth O’Neil den großen Schmortopf aus dem Ofen und stellte ihn in die Mitte des Tisches. „Und was Kayla angeht, so vergeht sie vermutlich vor Hunger, und niemand kann mit leerem Magen denken. Sie hatte eine lange Reise hierher, und Reisen macht die Menschen fast immer hungrig. Mögen Sie Schmorbraten, Kayla?“

Sie suchte nach einer Entschuldigung für ihre ungeschickte, ungenügende Vorstellung, doch es gab keine. Oder jedenfalls keine, die sie vorbringen konnte.

Kayla gelang es nicht, ihren Körper oder ihren Geist zu mobilisieren.

Sie starrte auf den Schmortopf, als wäre ein Raumschiff mitten auf dem Tisch gelandet. Dann stand sie auf, ungeschickt und verlegen.

Sie wollten sie nicht hier haben.

Jackson fasste ihren Arm, seine Finger waren wie Stahl.

Warum isst du nicht in deinem Zimmer, Kayla?

„Sie haben ein Familienessen. Ich störe.“ Sie schüttelte seinen Arm ab und stopfte das Tablet und den Laptop in ihre Tasche, ohne die Geräte vorher auszuschalten.

„Sie stören nicht.“ Elizabeth klang verwirrt. „Es gibt Schmorbraten. Elise, unsere französische Köchin, hat mir das Rezept gegeben. Es ist das perfekte Trostessen an einem verschneiten Tag, und davon haben wir hier viele. Ich gebe Ihnen das Rezept, dann können Sie es kochen, wenn Sie zurück in New York sind.“

Sie wünschte, sie wäre jetzt in New York, in ihrem seelenlosen, von Glas umgebenen Apartment und abgeschottet von der Außenwelt.

Hierherzukommen war eine dumme Idee gewesen. Sie war fortgelaufen, doch man konnte nicht vor dem davonlaufen, was in einem selbst war.

„Ich überlasse Sie Ihrem Essen.“ Kayla stolperte in Richtung Tür und griff nach ihrem Mantel. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.“ Ihren Mantel halb angezogen, riss sie die Tür auf.

Ein junges Mädchen stand draußen. Sie war blass und dünn und trug einen dicken Islandpullover. Auf ihrem Arm hatte sie einen Welpen.

„Ich habe sie draußen gefunden.“ Sie setzte den Welpen auf den Boden, wo das Tier sofort zu Kayla und um ihre Füße herum rannte. Dabei sprang es immer wieder hoch und hinterließ schmutzige Pfotenabdrücke auf dem schwarzen Wildleder ihrer Lieblingsschuhe.

„Ach, sie verdirbt Ihnen die schönen Schuhe, das tut mir so leid …“ Elizabeth fuchtelte mit der Kelle herum. „Ab in dein Körbchen, Maple.“

Maple kümmerte sich nicht darum, und Kayla hörte Jackson seufzen.

„Aus!“

Der Stimme der Autorität folgend, legte sich Maple auf den Bauch und starrte Kayla aus traurigen Augen an.

Kayla hätte wetten können, dass ihr eigener Blick sehr ähnlich war.

Ich stecke tiefer in der Scheiße als du.

Als die O’Neils sich alle auf den Welpen konzentrierten, nutzte sie den Moment zur Flucht.

„Kayla …“

„Alles bestens. Guten Appetit.“ Sie sah sich noch einmal rasch im Raum um und schoss dann zur Tür hinaus, die sie hinter sich zuwarf.

5. KAPITEL

Was zum Teufel war da eben geschehen?

Jackson schloss die Augen und ging innerlich sämtliche Schimpfwörter durch, die er kannte, während Maple aus ihrem Korb hüpfte und in Richtung Tür bellte, als wollte sie Kayla hinterherrufen.

Alle sprachen gleichzeitig.

„Sie schien verwirrt.“ Alice legte ihr Strickzeug in den Schoß. „Irgendetwas stimmte nicht.“

Elizabeth holte Teller aus dem Ofen. „Natürlich stimmte etwas nicht. Walter hat sie angeblafft, und außerdem hatte sie Hunger. Niemand kann sich konzentrieren, wenn er hungrig ist. Du musst ihr etwas zu essen bringen, Jackson. Und, Walter, du solltest etwas mehr Toleranz an den Tag legen, wenn wir einen Gast im Haus haben.“

„Sie war kein Gast. Sie war hier, um Dinge zu verändern, die keiner Veränderung bedürfen. Dinge, von denen sie nichts versteht.“ Walter deutete mit der Gabel auf Jackson. „Ich habe dir ja gesagt, dass es ein Fehler ist, jemanden aus New York anzuheuern.“

„Du hast ihr gar keine Chance gegeben.“ Jackson zügelte sein Temperament. Der Umstand, dass Kaylas Vorstellung nicht wie erwartet ausgefallen war, verstärkte sein Gefühl der Frustration noch. Sie hatte seinen Kampf noch schwerer gemacht, nicht leichter. „Wenn du sie hättest aussprechen lassen, hättest du vielleicht entdeckt, dass sie gut ist in ihrem Job.“ Auch wenn sie es nicht gewesen war. Nicht heute. Nicht, als es darauf ankam. Vor seinen Augen hatte sie die Fassung verloren, und er hatte keine Ahnung, warum.

Sicher, Walter war schwierig gewesen, aber gewiss nicht schwieriger als die Vorgesetzten, denen Kayla Green als Associate Vice President täglich berichten musste. Und trotzdem hatte diese offensive, selbstbewusste Frau, die ihren Chef wie Wachs zu formen wusste, sich von seinem achtzigjährigen Großvater überrollen lassen wie von einer Dampfwalze, die den Schnee von gestern plattmachte.

Und Walter war noch nicht fertig. „Es ist mir egal, auch wenn sie aus Alaska kommt. Wenn du all deine Ersparnisse in sie investierst, bist du ein noch größerer Narr, als ich dachte. Genauso gut könnte man einen Elch satteln, um das Kentucky Derby zu gewinnen.“

„Sie hat bessere Beine als jeder Elch, den ich je gesehen habe.“ Tylers Versuch, die Spannung abzubauen, bewirkte bei Jackson das genaue Gegenteil.

Er versuchte, nicht an diese Beine zu denken, so wie er nicht an ihren Mund und ihr glänzendes blondes Haar denken wollte. Vor allem wollte er nicht an den panischen Ausdruck in ihren Augen denken.

Was zum Teufel war mit ihr los gewesen?

Er hatte gewusst, dass es kein einfaches Meeting werden würde, doch selbst in seinen schlimmsten Träumen hatte er nicht erwartet, dass sie den Raum tatsächlich verlassen würde. Wenn er es nicht miterlebt hätte, würde er nicht glauben, dass eine kompetente Geschäftsfrau dermaßen die Fassung verlieren konnte.

Hatte er die unterschiedliche Wirkung eines schlichten, unpersönlichen Konferenzraums und der O’Neil-Küche unterschätzt?

Er sah zu seiner Großmutter, die unablässig strickte, mit einem Knäuel Wolle auf dem Boden und einigen weiteren, die auf dem Tisch lagen. Zu seiner Mutter, die in dem Schmortopf rührte, und zu seinem Großvater, der von seinem Lieblingsstuhl aus finster in Richtung Tischende starrte.

Jackson erhob sich, als seine Mutter ihm einen Teller hinstellte. „Ich werde nicht mitessen, danke. Ich muss mit ihr reden.“

„Mach dir nicht die Mühe“, grunzte Walter. „Sie hat nichts zu sagen, das es wert wäre, gehört zu werden.“

Diese Bemerkung brachte das Fass zum Überlaufen. „Das reicht jetzt.“ Er sah seinen Großvater überrascht blinzeln. „Es wäre hilfreich, wenn wir uns einmal, nur einmal, so verhielten, als ob wir auf derselben Seite stünden. Meinst du, ich mache das hier alles aus Spaß? Zu meiner eigenen Unterhaltung? Ich könnte mir aufregendere Dinge vorstellen, die mich nachts wach halten, als die finanzielle Lage von Snow Crystal.“

Walter kniff den Mund zusammen, doch sein Gesicht wurde um etliche Schattierungen blasser. „Dann solltest du das tun. Ich habe dieses Unternehmen geleitet, bevor du geboren warst. Ich kann es wieder führen, mit geschlossenen Augen. Und das möchte ich auch.“

„Ich weiß, dass du das möchtest. Und deine Augen sind geschlossen. Ebenso geschlossen wie dein Verstand“, presste Jackson zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus und ging zur Tür. „Wenn du diesen Ort nicht verlieren möchtest, ist es an der Zeit, dass du beides aufmachst. Und je eher du akzeptierst, dass ich die Geschäfte führe und dass ich weiß, was ich tue, desto eher sind wir wieder in der Gewinnzone.“ Mit diesen Worten ergriff er seinen Mantel, ging hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.

Walters Schultern sackten nach unten.

Elizabeth hatte ihr Essen nicht angerührt. „Ich habe ihn noch nie so wütend gesehen. Und sie wird in diesen hübschen Schuhen auf dem Eis ausrutschen.“

„Sie wird aufgeben“, murmelte Walter. „Dann kann er zumindest kein weiteres Geld mehr zum Fenster rauswerfen.“

„War das dein Plan?“ Alice sah von ihrer Strickarbeit hoch und sah ihren Mann eindringlich und ohne zu blinzeln an. „Jackson möchte sie aus einem bestimmten Grund hier haben. Vielleicht wird er dich überraschen, und vielleicht tut sie das auch.“

„Vielleicht habe ich ja nur sein Bestes im Sinn.“

„Vielleicht weißt du nicht immer, was das Beste ist, selbst wenn du es siehst, Walter O’Neil.“

„Ich habe dich geheiratet, oder nicht?“

Alice lächelte. „Was nur beweist, dass du eigentlich in der Lage sein solltest, das Beste zu erkennen. Also beherzige besser Jacksons Rat und mach deine Augen ein bisschen mehr auf.“

Sie hatte es vergeigt.

Kayla stapfte auf ihren High Heels durch den Schnee, obwohl sie wusste, dass sie anhalten und ihre Stiefel anziehen sollte. Doch sie wollte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die O’Neils legen. Ruinierte Schuhe waren im Moment ihr geringstes Problem.

Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie ein Meeting mit einem Kunden vergeigt.

Wie hatte das geschehen können?

Sie war gut in dem, was sie tat. Sie wusste, dass sie gut war, und dennoch hatte sie das Meeting nicht im Griff gehabt. Sie hatte die Kontrolle verloren.

Kälte kroch ihr die Beine hoch und unter ihren Rock. Ihre Füße waren eisig. Ihre Hände ebenso.

Die Laptoptasche stieß gegen ihre Hüfte, und sie umklammerte sie fester in der Angst, dass sie ausrutschen könnte und das Gerät zu Bruch ging.

Ihre Schmach war vollkommen, doch das Schlimmste waren all die anderen Gefühle. Die Gefühle, die sie schon lange nicht mehr verspürt hatte.

Mit den Jahren hatte sie gelernt, mit fast jeder Situation umzugehen, außer mit dieser hier.

Sie war hergekommen, um Weihnachten und Familien aus dem Weg zu gehen, und befand sich plötzlich mittendrin in beidem. Und die O’Neils waren nicht irgendeine Familie. Sie waren noch enger miteinander verflochten als alles, was Grandma Alice mit ihren Stricknadeln und den Wollknäueln produzierte.

In dem Moment, als sie in die warme, gemütliche Küche gekommen war, hatte sie gewusst, dass sie in Schwierigkeiten steckte. Die Küche in ihrem New Yorker Apartment war hochmodern, und sie betrat sie nur, um mitgebrachte Außer-Haus-Mahlzeiten aufzuwärmen oder sich einen Kaffee zu kochen. Doch die Küche der O’Neils bildete offensichtlich das Herzstück des Hauses. Mit dem leuchtend blauen Herd und dem riesigen geschrubbten Holztisch mit Stühlen für die ganze große Familie, erschien der Raum wie eine Werbeanzeige für Zusammenhalt. Die Wände ihre Apartments waren aus Glas und eröffneten den Blick auf die Wolkenkratzer von Midtown. Es gab keine Fotos. Keine Erinnerungsstücke. Nichts Persönliches. Die ganze Inneneinrichtung war von einer sterilen Eleganz, die keinerlei Hinweis auf den Charakter der Person gab, die dort wohnte.

An dem Heim der O’Neils war alles persönlich. Es war ein Ort, den sie gemeinsam geschaffen hatten. Ein Ort, der auf dem Fundament Tausender kostbarer und einzigartiger Erinnerungen ruhte, und diese Erinnerungen hatten sie verewigt und stellten sie stolz zur Schau. Die Ansammlung fröhlicher Familienmomente hatte das Tor zu ihrer inneren Geheimkammer aufgerissen und jegliche Konzentration verhindert. Ihr Fokus hatte sich ständig verschoben, bis die Grenzen zwischen dem Geschäftlichen und der Familie verschwammen und alles zu einem undefinierbaren Durcheinander wurde.

Und dann waren da die Gerüche. Oh Gott, die Gerüche. Zimt und Gewürze, frisch gebackene Kekse und der würzige Duft der Pinienzapfen. Die Erinnerung an Weihnachten war so mächtig gewesen, dass sie ihre ganze Willenskraft hatte aufbringen müssen, um sich nicht umzudrehen und fortzulaufen. Genau das hätte sie getan, wenn Jackson nicht hinter ihr gestanden hätte.

Kayla, die ihre Zehen nicht mehr spürte, rutschte kurz weg, konnte sich aber auf den Beinen halten.

„Kayla!“ Jacksons Stimme dröhnte durch die eisige Luft und ließ sie entnervt aufstöhnen.

Sie war nicht bereit, ihm entgegenzutreten. Sie würde zerbrechen wie einer dieser dünnen Eiszapfen, die von den vereisten Tannen hingen.

Er würde sie feuern, und sie müsste mit eingezogenem Schwanz nach New York zurückfahren und nicht nur Brett und ihren Kollegen entgegentreten, sondern auch dem ganzen Weihnachtstrubel in New York.

„Kayla!“ Dieses Mal klang seine Stimme näher, doch sie stapfte mit ihren eisigen Füßen in den durchnässten Schuhen weiter.

Panik stieg in ihr auf und schien in ihrer Brust einen Ball zu bilden, so groß und rund wie eine Weihnachtsbaumkugel.

Erst als sie das Geräusch des Motors hörte, stoppte sie.

Er hielt neben ihr an. Das Fenster stand offen, und sein Atem bildete Wölkchen in der eisigen Luft. „Steigen Sie ein.“

„Ich will wirklich nicht …“

„Jetzt.“

Sie dachte daran, zu widersprechen, doch ein Blick auf seine zusammengepressten Kiefer belehrte sie eines Besseren. Sie fragte sich, wie sie Jackson O’Neil jemals für freundlich und zugänglich hatte halten können.

Gerade jetzt wirkte er sehr grimmig und bedrohlich. Offensichtlich war er wütend auf sie, und das konnte sie ihm nicht zum Vorwurf machen. Sie war selbst wütend auf sich.

Wütend und beschämt. Dies war eine Million Mal schlimmer, als rücklings im Schnee zu landen. Hier ging es um ihren Job, und sie war nicht auf ein Scheitern vorbereitet gewesen. Sie flog schon so lange so weit oben, dass sie nicht einmal mehr daran dachte, mit den Flügeln zu schlagen. Es funktionierte einfach. Aber nicht heute Abend. Heute Abend war sie aus dem Himmel gefallen und auf den Boden gestürzt, und sie hatte keine Idee, was sie jetzt tun sollte.

Es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass sie mit dem Snow-Crystal-Meeting nicht fertigwerden würde. Doch nicht Snow Crystal hatte ihren Sturz verursacht, sondern die O’Neil-Familie. Großmutter, Großvater, Mutter, Nichte, Haustiere, Essen, Dekorationen, Fotos …

„Kayla …“ Er knirschte mit den Zähnen. „Steigen Sie in den verdammten Wagen.“

Zitternd wie ein Welpe, der in eine Schneewehe gefallen war, schob sich Kayla auf den Beifahrersitz.

Sie erwartete, dass er losfahren würde, doch stattdessen saß er mit fassungsloser Miene da.

„Was verdammt noch mal ist da eben geschehen?“

Sie verzog schmerzlich das Gesicht. Wieder eine Frage, die ihr ein Kunde noch niemals gestellt hatte. Zumindest konnte man Jackson O’Neil nicht vorwerfen, dass er nicht direkt zur Sache kam. Kein Das ist nicht ganz so gelaufen wie geplant oder Das hätte besser laufen können.

Als sie nicht antwortete, breitete er in einer hilfesuchenden Geste die Arme aus. „Man sagt, Sie sind die Beste. Sie bekehren CEOs, die nichts wissen, aber sich für Experten halten. Sie haben es geschafft, Kontakte zu verhärten, zynische Journalisten aufzubauen, die für die meisten PR-Leute nicht einmal den Hörer abheben. Laut Brett sind Sie die jüngste Associate Vice President, die Ihre Agentur je hatte. Sie haben all das erreicht und lassen sich dann von einem achtzigjährigen alten Mann einschüchtern? Worum geht es hier?“

Es ging um viel mehr als nur um den alten Mann. „Sie haben das Recht, wütend zu sein.“

„Ich bin nicht wütend. Ich bin verwirrt. Und ehrlich gesagt, auch enttäuscht.“

Das Wort war wie ein Schlag in den Magen. Noch nie hatte sie einen Kunden enttäuscht. Niemals.

„Jackson …“

„Ich will keine Entschuldigungen. Ich will die Wahrheit. Ich will wissen, was zum Teufel da schiefgelaufen ist? Was ist passiert? Lag es an den Menschen? Ich sagte Ihnen ja, dass es ein Familienunternehmen ist.“

„Ja, aber ich hatte nicht erwartet, dass sie so … so …“ So familiär sind. Das durfte sie nicht sagen. Es klang lächerlich. „Ich habe eine geschäftliche Besprechung erwartet. Und nicht dieses ganze Kochen und die Fotos und die ganzen Gespräche – diese persönlichen Dinge.“

„Ja, und? Zugegeben, es lenkt ein bisschen ab. Und manchmal nervt es“, fügte er hinzu. „Aber Sie sind Profi. Sie haben gesagt, es gäbe keine schwierigen Fragen, mit denen Sie nicht fertigwerden.“

„Ich meinte geschäftliche Fragen.“ Ihre Stimme wurde lauter. „Ich war nicht darauf vorbereitet, dass man mich fragt, ob ich Thermounterwäsche anhabe.“

„Ach herr…“ Er unterbrach sich und lehnte den Kopf gegen den Sitz. Sein Kiefer war angespannt. „Alice ist achtzig. Seit dem Tod meines Vaters sorgt sie sich wegen allem, von Unterkühlung bis Lawinen. Sie hätten einfach lächeln und sie ignorieren sollen. Sie hätten sie alle ignorieren und einfach sagen sollen, was Sie sagen wollten.“

„Ich konnte sie nicht ignorieren.“

„Warum? Es war doch offensichtlich, dass sie nichts von PR verstehen. Oder von Marketing. Sie erledigen die Dinge seit sechzig Jahren auf die gleiche Art und Weise und scheuen die Veränderung so sehr, dass sie lieber wie ein Stein untergehen, als etwas anderes zu versuchen. Sie haben Angst. Sind durcheinander. Sie sehen nicht ein, warum wir Geld investieren sollten, während wir rote Zahlen schreiben. Es lag an Ihnen, sie zu überzeugen. Das war Ihr Job.“

„Ja.“ Und sie hatte versagt. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, und sie fühlte die Panik weiter aufsteigen. Na großartig. Jetzt würde sie auch noch anfangen zu heulen. Etwas, das sie seit ihrem dreizehnten Lebensjahr nicht mehr getan hatte. „Ich werde Brett heute Abend anrufen und ihm sagen, er soll jemand anders auf den Auftrag ansetzen. Es ist zu spät, heute Abend zum Flughafen zu fahren, daher wüsste ich es zu schätzen, wenn ich die Nacht bleiben könnte und dann morgen abreise. Ich bezahle die Unterkunft selbstverständlich.“ Sie sah stur geradeaus. Direkt in den Schnee und die Dunkelheit. Sie fühlte sich völlig allein. Sogar die Arbeit, ihre liebste und vertrauteste Freundin, hatte sie verlassen.

„Abreisen? Sie wollen abreisen, nur weil Ihr Stolz verletzt ist? Herrje, wenn ich jedes Mal abhauen würde, wenn mein Großvater mich verletzt, wäre ich nie zu Hause.“

Kayla sah ihn verwirrt an. „Ich gehe nicht wegen meines Stolzes. Ich gehe, weil ich annehme, dass Sie das möchten.“

Wütende blaue Augen blitzten sie an. „Warum sollte ich das wollen? Wenn Sie heute Abend eine Sache gelernt haben, dann die, dass ich jede Hilfe brauche, die ich bekommen kann. Sie wollen abreisen und es mir allein überlassen, mit ihnen fertigzuwerden?“

Er wollte nicht, dass sie abreiste?

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Ich dachte … Ich nahm an, dass …“

„Sie reisen nicht ab. Und ich möchte niemand anderen für den Auftrag.“ Seine tiefe Stimme klang rau und bestimmt. „Ich will Kayla Green. Ich meine die echte Kayla Green, nicht die Frau, die heute hier aufgetaucht ist.“

Sie fragte sich, was er dazu sagen würde, dass genau die Frau, die er heute erlebt hatte, die echte Kayla Green war. „Das kann ich nicht, Jackson. Selbst wenn ich es wollte, werde ich Ihre Familie nicht überzeugen können. Nach dem, was geschehen ist, werden sie nichts von dem, was ich sage, ernst nehmen können. Ich war unprofessionell.“

Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie ein Meeting abgebrochen.

„Meine Großmutter hat die ganze Zeit gestrickt, meine Mutter hat gekocht und mein Bruder nur auf Ihre Beine gestarrt …“ Sein Ton wurde schärfer. „In Sachen Unprofessionalität haben wir Ihnen also einiges voraus. Mir ist das egal. Mir geht es darum, dass der Job erledigt wird. Wir sind einfach eine Familie, Kayla. Eine Familie in der Krise.“

„Ich weiß nicht, wie man mit einer Familie in der Krise umgeht.“ Sie hörte die Verzweiflung in ihrer Stimme und wusste, dass er sie ebenfalls wahrnahm, denn er runzelte die Stirn.

„Ich bitte Sie, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, das ist alles. Diese ganzen persönlichen Sachen müssen Sie herausfiltern. Sie verstehen das Geschäft nicht und helfen auf die einzige Art, die sie können … indem sie da sind.“

Indem sie da sind. Seine Worte bestätigten, was sie bereits wusste. Dass die O’Neils als Familie zusammenhielten, egal was das Leben ihnen an Hindernissen vorsetzte.

„Sie wollen meine Hilfe nicht.“

„Willkommen in meiner Welt. Mein Großvater lehnt alle Vorschläge ab, weil er glaubt, dass er es am besten weiß. Wenn es nach ihm ginge, würde er Snow Crystal noch immer führen. Ich gebe zu, er kann schwierig sein, aber Sie verspeisen Herausforderungen doch zum Frühstück, oder?“ Die süffisante Erinnerung an ihr Gespräch in New York ließ sie zusammenzucken. Wenn sie Brett das nächste Mal sah, würde sie sich beherrschen müssen, ihn nicht zu erwürgen.

„Ihr Großvater will mich nicht hier haben.“

Jackson presste die Lippen zusammen. „Er will auch mich nicht hier haben, aber das heißt nicht, dass ich gehe.“

„Das ist etwas anderes. Sie gehören zur Familie.“

„Was der Grund dafür ist, dass er mich ablehnt. Er sieht mich noch immer als den mageren Jungen, dem er das Skifahren beigebracht hat. Sie sind ein Profi und werden ihn deshalb dazu bringen, dass er Ihnen zuhört.“

„Bisher habe ich ihn nur davon überzeugt, dass es reine Geldverschwendung ist, jemanden wie mich zu beschäftigen.“ Sie begann zu zittern, weil die Kälte ihren Mantel durchdrang. „Sie haben mich da drin erlebt! Ich bin nicht die richtige Person dafür!“

„Ja, ich habe Sie da drin erlebt, aber ich habe Sie auch in Ihrem glänzenden Hauptquartier in New York erlebt. Ich habe keine Ahnung, was heute passiert ist, aber ich weiß, dass Sie die richtige Person sind. Ich habe gesehen, was Sie für andere Firmen geleistet haben. Ich habe gesehen, was Sie erreicht haben. Ich habe gesehen, mit wie viel Leidenschaft Sie Ihre Arbeit erledigen. Ich möchte, dass Sie diese Leidenschaft für Snow Crystal einsetzen.“

„Aber …“

„Wir stecken in Schwierigkeiten, Kayla.“ Er klang müde. „In ernsten Schwierigkeiten. Ich habe so viel hineingesteckt, wie ich konnte, doch wir sind an dem Punkt angelangt, an dem es sich auszahlen muss, weil wir es sonst verlieren.“

„Es verlieren?“ Sie musste die Worte erst begreifen. „Sie meinen, Sie verlieren das Unternehmen?“

„Ja. Nur, dass es nicht nur das Unternehmen ist, sondern zugleich ihr Zuhause. Seit Generationen ist Snow Crystal ihr Heim. Wenn wir zum Verkauf gezwungen sind, müssen Alice und Walter aus dem Haus ausziehen, in dem sie ihr ganzes Leben gewohnt haben, und auch meine Mutter muss ausziehen.“ Seine Hände umklammerten das Steuer so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Als mein Vater starb, bin ich zurückgekommen, um meine Familie zu unterstützen und ihnen bei der Unternehmensführung zu helfen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich die Firma retten muss. Ich hatte keine Ahnung, wie desolat die Lage war. Als ich anfing, mich durch die Zahlen zu kämpfen, wurde das zu einer Horrorstory.“

Sie starrte ihn an. „Wie schlimm?“

„Eine Mischung aus Stephen King und Hitchcock?“ Einer seiner Mundwinkel zuckte, und sie verspürte einen Anflug von Bewunderung, weil er unter so viel Druck seinen Sinn für Humor bewahrt hatte.

Sie verspürte einen unerklärlichen Drang, seine Hand zu nehmen und ihn zu trösten, was sie selbst verblüffte, da sie kein körperlicher Mensch war. Sie hatte es sich angewöhnt, Distanz zu halten. Sie baute keine Beziehungen auf.

Um sicherzustellen, dass sie nicht etwas so Impulsives tat, wie ihn zu berühren, umklammerte sie ihre Laptoptasche fester. „Hatten Sie keinen Verdacht?“

„Dazu hatte ich keinen Grund. Immer wenn ich fragte, wie die Dinge so laufen, sagte man mir, alles wäre bestens. Ich habe das nicht bezweifelt. Warum sollte ich? Das Unternehmen läuft seit Ewigkeiten.“

„Wissen Sie, was falsch gelaufen ist?“

„Mein Vater hat ein paar falsche Entscheidungen getroffen. Und dann waren da noch die Entscheidungen, die er hätte treffen sollen, aber nicht getroffen hat. Und die Auswirkungen dieser Entscheidungsschwäche sind verheerend.“

Kayla dachte an Alice, die schon ihr ganzes Leben an dem gleichen Tisch strickte. An Elizabeth, die hierhergekommen und nie wieder fortgegangen war.

Eine alte Wunde in ihr brach auf. „Wissen sie davon?“

„Sie wissen, dass die Dinge nicht gut stehen. Aber sie wissen nicht, wie schlecht es tatsächlich aussieht, oder sie wissen es, können der Wahrheit aber nicht ins Gesicht sehen. Sie haben Angst. Angst, etwas zu verändern, für den Fall, dass das Ganze zusammenbricht. Mein Großvater sucht jemanden, dem er die Schuld geben kann, und derzeit gibt er mir die Schuld, weil ich den Spa-Bereich und die Blockhütten bauen ließ. Weil ich Geld ausgegeben habe, obwohl wir jeden Dollar brauchen.“

„Aber diese Dinge machen Snow Crystal zu etwas Besonderem.“

„Sie verstehen das. Ich verstehe das. Aber sie verstehen das nicht, weil wir im Moment kaum Gäste haben und es daher so aussieht, als hätte ich unrecht. Ich sage meinem Großvater, dass es eine gute Investition war, und er sagt mir, ich soll ihm die Buchungszahlen zeigen.“

„Wenn sie nicht gebucht werden, liegt es daran, dass die Leute nichts davon wissen.“

„Dann sagen Sie mir, wie wir das ändern können.“ Sein Ton war dringlich. „Sagen Sie mir, was wir tun müssen, um die Auslastung zu erreichen, die Sie für Adventure Travel erzielt haben. Wenn das hier den Bach runtergeht, verliere ich alles, was meine Familie aufgebaut hat. Und das werde ich nicht zulassen, also sagen Sie mir nicht, dass Sie kneifen.“

Zu dem Stress kam noch Druck. Kayla fühlte sich, als würde sie durch Morast waten. „Ich … ich habe keine Erfahrung mit Familienunternehmen.“

„Aber Sie wissen, wie Sie Ihre Botschaft da draußen in dem Mediengetöse eindrucksvoll verkünden, also tun Sie es gefälligst auch.“ Er sah sie eindringlich an. „Ich brauche Sie, um das zu tun, was Sie am besten können, Kayla.“

Trotz des Schlamassels, den sie angerichtet hatte, wollte er noch immer ihre Hilfe.

Kayla rieb sich fröstelnd die Hände. Ihre Finger waren so kalt, dass sie sie kaum noch spürte.

Das würde bedeuten zu bleiben.

Das würde bedeuten, seine Familie näher kennenzulernen. Dieser Job konnte nicht erledigt werden, ohne eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Ohne sie zu verstehen. Ohne sie für sich zu gewinnen.

Wie zum Teufel sollte sie das tun?

Allein der Gedanke, zurück in diese Küche zu gehen und mit den O’Neils konfrontiert zu sein, weckte einen Fluchtimpuls in ihr. „Wenn ich bleibe, muss ich mit jedem Einzelnen reden. Es könnte einfacher sein, sie auf diese Weise für mich zu gewinnen.“

„Das ergibt Sinn. Einen nach dem anderen. Und Sie müssen mehr über Snow Crystal wissen. Einige Zeit als Touristin hier verbringen.“

„Gut.“ Sie schloss die Augen. Das war Wahnsinn. Sie sollte den Auftrag an jemand anderen übergeben. Jemanden, der Weihnachten und Familien liebte. Sie war nicht die richtige Person für den Job, doch Jackson hatte bereits sein Smartphone in der Hand und tippte etwas ein.

„Wir fangen gleich morgen an. Ich hole Sie um neun ab.“

„Ich bin ab fünf auf.“ Sie hatte das ohne nachzudenken gesagt und bemerkte, wie er fragend die Augenbrauen hob. „Ich bin ein Morgenmensch. Ich schlafe nie lange. Ich liege nicht gerne im Bett.“

Sein vielsagender Blick veränderte die Stimmung im Wagen. Kayla wandte rasch das Gesicht ab und fragte sich, wie inmitten von so viel Anspannung eine solche Anziehung existieren konnte.

Er war der attraktivste Mann, dem sie je begegnet war, und der Umstand, dass sie sich dessen immer noch bewusst war, machte ihr Angst. Wenn es um ihr Herz ging, waren ihre Instinkte so hoch entwickelt wie eine Antivirus-Software, die permanent nach einer möglichen Bedrohung Ausschau hielt und sie vernichtete, bevor sie irgendeinen Schaden anrichtete.

Im Moment sendeten diese Instinkte rote Alarmsignale.

„Um fünf ist es noch dunkel.“ Seine Stimme war rau. „Sagen wir um acht, und ich lade Sie zum Frühstück im Wald ein. Das Chocolate Shack macht die beste heiße Schokolade und die besten Ahornwaffeln in ganz Vermont.“

Das klang mehr nach einem Date als einem Geschäftstreffen, und sie verspürte eine gefährliche Hitze tief in ihren Eingeweiden.

Sie saß schweigend da, während Jackson den Motor anließ und den schneebedeckten Weg entlangfuhr, der zum fernen Ende des gefrorenen Sees und zu ihrer Hütte führte. Dann hielt er an und schaltete den Motor aus.

„Danke fürs Mitnehmen.“ In dem Bemühen, so schnell wie möglich zu flüchten, fasste sie nach dem Türgriff, doch er hielt sie an der Schulter zurück.

„Warten Sie. Sie haben noch nichts gegessen. Bringen Sie Ihren Laptop rein, und ich lade Sie zum Essen ein.“

„Nein danke. Ich gehe lieber zurück ins Cottage. Ich habe zu arbeiten.“

Der Gedanke, mit diesem Mann zu Abend zu essen, machte ihr Angst.

Und das wusste er.

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