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Habe Mutter, brauche Vater

"Nur noch dreizehn Jahre. dann kann ich endlich wieder Sex haben." Elissa hat sich geschworen, ihr Liebesleben so lange zurückzustellen, bis ihre Tochter Zoe volljährig ist. Die Kleine ist da allerdings ganz anderer Meinung, denn Walker Buchanan, der nette Mieter aus der Wohnung über ihnen, ist genau der Mann, den sie sich immer als Vater gewünscht hat. Nur leider glaubt Walkers herrschsüchtige Großmutter, dass sie da auch noch ein Wörtchen mitzureden hat.


  • Erscheinungstag: 23.01.2019
  • Aus der Serie: Die Buchanans
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955769796
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es ist leider eine unbestreitbare Tatsache, dass eine Frau für gewisse Fälle einfach einen Mann braucht … oder zumindest die Kraft zwei starker Oberarme. Pech für Elissa Towers, dass gerade jetzt so ein Fall vorlag.

„Irgendwie habe ich das Gefühl, es lässt dich kalt, wie viel ich zu erledigen habe und dass Zoe am Nachmittag zu einer Geburtstagsparty will. Das ist wichtig für eine Fünfjährige. Ich will nicht, dass sie diese Party verpasst“, murmelte Elissa, während sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf den Kreuzschlüssel stemmte.

Sie jammerte ständig über die fünf Kilo, die sie seit mindestens drei Jahren zu viel auf den Hüften hatte. Man sollte meinen, dass sie sich momentan als nützlich erweisen würden – sozusagen als Hebelkraft. So konnte man sich täuschen.

„Beweg dich!“, schrie sie die Mutter am Rad ihres platten Reifens an. Nichts. Die Mutter gab keinen Millimeter nach.

Sie feuerte den Kreuzschlüssel auf den feuchten Boden in der Hauseinfahrt und fluchte.

Sie war selbst schuld. Als sie das letzte Mal bemerkt hatte, dass der Reifen Luft verlor, war sie zu Randys Bremsen- und Reifencenter gefahren, wo Randy höchstpersönlich das Loch geflickt hatte. Sie hatte in einem erstaunlich sauberen Warteraum gesessen, in Klatschmagazinen geblättert – ein seltenes Vergnügen – und keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass er die Radmuttern mit einer dieser verdammten Maschinen anzog. Sie bat ihn sonst immer, sie von Hand festzuziehen, damit sie den Reifen beim nächsten Platten selbst abmontieren konnte.

„Brauchen Sie Hilfe?“

Die Frage kam aus dem Nichts und erschreckte sie so sehr, dass sie das Gleichgewicht verlor und sich mitten in eine Pfütze setzte. Sie spürte, wie ihre Jeans und ihr Slip das Wasser aufsogen. Na toll. Wenn sie jetzt aufstand, würde es so aussehen, als hätte sie sich in die Hose gemacht. Warum konnte ihr Samstag nicht mit einer unerwarteten Steuerrückzahlung und einer Schachtel Konfekt beginnen, die ein Unbekannter ihr vor die Tür gelegt hatte?

Sie warf einen Blick auf den Mann, der nun neben ihr stand. Zwar hatte sie ihn nicht kommen hören, aber als sie an ihm hochsah – hoch und immer höher –, bis sich ihre Blicke trafen, erkannte sie ihren Nachbarn, der kürzlich über ihr eingezogen war. Er war ein paar Jahre älter als sie selbst, braun gebrannt, gut aussehend und – soweit man es auf den ersten Blick feststellen konnte – perfekt gebaut. Nicht unbedingt der Typ Mann, der sich eine Wohnung in dieser etwas schäbigen Gegend nahm.

Sie rappelte sich auf, wischte sich die Jeans ab und stöhnte, als sie den feuchten Fleck auf ihrem Hinterteil spürte.

„Hi“, sagte sie lächelnd und trat vorsichtig einen Schritt zurück. „Sie sind, äh …“

Verflucht, Mrs. Ford, ihre Nachbarin, hatte ihr gesagt, wie er hieß. Und auch, dass er kürzlich seinen Dienst bei der Army quittiert hatte, zurückgezogen lebte und offenbar arbeitslos war. Keine Kombination, bei der sie sich sonderlich wohlfühlte.

„Walker Buchanan. Ich wohne über Ihnen.“

Allein. Er hatte nie Besuch und verließ seine Wohnung nur selten. Na toll. Klasse. Aber sie war gut erzogen, also lächelte sie höflich und sagte: „Hallo, ich bin Elissa Towers.“

In jeder anderen Situation hätte sie einen besseren Ausweg aus ihrem Dilemma gefunden, aber diese Radmutter bekäme sie auf keinen Fall allein locker. Und sie konnte schlecht hier einfach stehen bleiben und die Reifen-Götter um Hilfe anflehen.

Sie deutete auf den Reifen. „Wenn Sie einen Augenblick Ihre männlichen Kräfte unter Beweis stellen könnten, wäre das fantastisch.“

„Meine männlichen Kräfte?“ Um seine Mundwinkel zuckte es.

„Sie sind ein Mann, und das hier ist eine Männersache. Passt doch perfekt.“

Er verschränkte seine beeindruckend muskulösen Arme vor seiner ebenso beeindruckenden Brust. „Wo sind bloß all die Frauen hin, die unabhängig und gleichberechtigt sein wollen?“

Aha, hinter diesen dunklen Augen steckte also ein Gehirn, und vielleicht gab es da auch so etwas wie Humor. Das war gut. Die Nachbarn von Serienmördern sagten immer, der Typ wäre total hilfsbereit und freundlich gewesen. Elissa war sich nicht sicher, ob man Walker als freundlich bezeichnen konnte, was sie auf eine merkwürdige Weise beruhigte.

„Tja, wir hätten wohl zuerst unseren Oberkörper trainieren sollen. Außerdem haben Sie sich angeboten zu helfen.“

„Stimmt.“

Er hob den Kreuzschlüssel auf, hockte sich neben den Reifen und lockerte die erste Schraube mit einer einzigen Bewegung. Elissa sah ihm frustriert zu und fühlte sich unfähig. Die anderen drei Schrauben folgten im Nu.

„Danke“, sagte sie und lächelte ihn an. „Alles andere schaffe ich allein.“

„Wenn ich schon mal dabei bin“, erklärte er, „kann ich den Reservereifen auch gleich montieren. Dauert nur ein paar Sekunden.“

Dachte er zumindest.

„Tja, Sie werden lachen“, sagte sie, „aber ich habe keinen Reservereifen. Er ist so furchtbar groß und wuchtig und zieht mit seinem Gewicht das Auto nach unten.“

Er richtete sich auf. „Sie brauchen aber einen.“

Das wusste sie selbst, aber warum erklärte er ihr das? „Danke für den Tipp, aber da ich keinen habe, bringt er mir leider nicht sehr viel.“

„Was werden Sie jetzt tun?“

„Ich sag erst mal Danke.“ Sie schaute demonstrativ zur Treppe, die zu seiner Wohnung führte. Da er sich nicht von der Stelle rührte, fügte sie hinzu: „Ich möchte Sie nicht länger aufhalten.“

Sein Blick wanderte von ihr zu dem großen Trolley, der neben ihr in der Einfahrt stand. Er verzog missbilligend den Mund.

„Sie werden diesen Reifen auf keinen Fall allein irgendwohin schleppen“, sagte er bestimmend.

Eindeutig nicht freundlich, dachte sie. „Ich schleppe nicht, ich ziehe. Außerdem mache ich das nicht zum ersten Mal. Meine Werkstatt ist keinen Kilometer entfernt. Ich gehe hin, Randy flickt den Reifen, und ich gehe wieder nach Hause. Das ist ganz einfach. Und obendrein ein gesunder Spaziergang. Also danke für Ihre Hilfe und einen schönen Tag noch.“

Sie griff nach dem Reifen, doch er trat dazwischen.

„Ich nehme ihn“, sagte er.

„Nein danke. Wie gesagt, ich schaffe das schon.“

Er war mindestens fünfzehn Zentimeter größer und bestimmt gut dreißig Kilo schwerer als sie – jedes Gramm davon Muskelmasse. Als sich sein Blick verfinsterte und er sie grimmig ansah, hatte sie das Gefühl, er wolle sie einschüchtern. Es gelang ihm gar nicht schlecht, aber das wollte sie ihn nicht merken lassen. Sie war hart. Sie war entschlossen. Sie war …

„Mommy, kann ich einen Toast haben?“

Perfektes Timing.

Sie drehte sich zu ihrer Tochter um, die in der Wohnungstür stand. „Sicher, Zoe. Warte, ich helfe dir. Ich bin gleich da.“

Zoe lächelte. „Okay, Mommy.“ Die äußere Tür mit dem Fliegengitter fiel krachend zu.

Elissa drehte sich nach Walker um und musste feststellen, dass dieser Kerl den Moment ihrer Unaufmerksamkeit dazu genutzt hatte, mit ihrem Reifen zu seinem äußerst teuren und in dieser Wohngegend äußerst deplatzierten Geländewagen zu marschieren.

„Sie können den Reifen nicht nehmen“, sagte sie, während sie ihm nachlief. „Er gehört mir.“

„Ich stehle ihn ja nicht“, antwortete er beinahe gelangweilt. „Ich bringe ihn zur Reparatur. Wohin gehen Sie normalerweise?“

„Das werde ich Ihnen nicht sagen.“ Ha! Das sollte genügen, um ihn zu stoppen.

„Gut. Dann fahre ich dahin, wohin ich will.“ Er legte den Reifen in den Wagen und warf die Heckklappe zu.

„Warten Sie! Halt!“ Wann genau hatte sie die Kontrolle über das Geschehen verloren?

Er drehte sich zu ihr um. „Haben Sie wirklich Angst, dass ich mit Ihrem Reifen verschwinde?“

„Nein, natürlich nicht. Nur, ich …“

Er wartete geduldig.

„Ich kenne Sie doch gar nicht“, fuhr sie ihn an. „Ich erledige meinen Kram selbst. Und ich möchte nicht in Ihrer Schuld stehen.“

Es überraschte sie, dass er nickte. „Das kann ich nachvollziehen. Wohin soll ich also den Reifen bringen?“

Er gab offensichtlich nicht nach. „Randys Bremsen- und Reifencenter.“ Sie beschrieb ihm den Weg. „Aber warten Sie hier einen Moment. Ich gebe Ihnen ein Paar Ohrringe mit.“

„Für Randy?“ Er zog die Augenbrauen hoch.

„Für Randys Schwester. Sie hat Geburtstag.“ Sie holte tief Luft, weil sie es nur ungern erklärte. „Damit bezahle ich Randy.“

Sie erwartete, dass Walker etwas erwidern oder zumindest einen weiteren seiner schlauen Kommentare dazu abgeben würde. Stattdessen zuckte er nur mit den Achseln.

„Holen Sie sie.“

Die Fahrt zu Randys Bremsen- und Reifencenter dauerte drei Minuten. Als Walker seinen Wagen abstellte, sah er einen kleinen älteren Mann mit Bierbauch, der ihn bereits erwartete.

Randy persönlich, dachte Walker und stieg aus.

„Sie haben Elissas Reifen?“, fragte der Mann.

„Hinten.“

Randy begutachtete Walkers BMW X5. „Nehme an, Sie wollen den verkaufen“, sagte er.

„Bis jetzt habe ich noch nicht daran gedacht. Aber vielleicht irgendwann.“

„Nicht schlecht, Ihre Reifen.“ Randy ging um den Wagen herum und öffnete die Heckklappe. Als er Elissas Reifen sah, stöhnte er auf. „Was ist los mit dem Mädchen? Wo sie arbeitet, ist gerade eine Baustelle. Ich schwöre, sie findet jeden Nagel, der da auf der Straße rumliegt. Und er landet immer in diesem einen Reifen. Er besteht schon aus mehr Flicken als Gummi.“

Auch aus mehr Flicken als Profil, dachte Walker, als er den abgefahrenen Reifen betrachtete. „Sie sollte ihn austauschen.“

Randy sah ihn an. „So, meinen Sie? Tja, aber das Geld wächst nun mal nicht auf Bäumen. Hey, die Zeiten sind für uns alle nicht leicht, oder? Haben Sie meine Ohrringe mit?“

Walker zog das kleine Kuvert aus der Brusttasche seines Hemds und reichte es ihm. Randy schaute hinein und pfiff anerkennend. „Sehr schön. Janice wird begeistert sein. Okay, geben Sie mir zehn Minuten, ich mach den Reifen fertig.“

Erst hatte Walker seiner Nachbarin gar nicht helfen wollen. Er hatte die Wohnung kurzfristig gemietet, um in Ruhe und ungestört überlegen zu können, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen wollte. Er kannte keinen seiner neuen Nachbarn, und so sollte es eigentlich auch bleiben.

Abegesehen von einer kurzen, aber erstaunlich effektiven Befragung durch die alte Dame, die unter ihm wohnte, hatte er fast sechs Wochen lang mit niemandem dort Kontakt gehabt. Bis er Elissas Kampf mit den Radmuttern beobachtet hatte.

Er hatte vorgehabt, sie zu ignorieren. Aber es war ihm nicht gelungen – ein Charakterfehler, an dem er arbeiten musste. Und jetzt – angesichts dieses glatten Reifens, der höchstwahrscheinlich platzen würde, sobald sie mit Tempo 100 über die Autobahn fuhr – merkte er, dass er nicht einfach so tun konnte, als ginge es ihn nichts an.

„Geben Sie mir einen neuen“, brummte er.

Randy zog die buschigen Augenbrauen hoch. „Sie kaufen Elissa einen Reifen?“

Walker nickte. Das Beste wäre, er würde beide Hinterreifen austauschen. Aber er hatte nur den einen dabei.

Der ältere Mann baute sich vor ihm auf. „Woher kennen Sie eigentlich Elissa und Zoe?“

Zoe? Walker stutzte. Dann erinnerte er sich an das Kind, das er gesehen hatte. Elissas Tochter.

Er war dem Kerl eigentlich keine Erklärung schuldig. Dennoch hörte er sich sagen: „Ich wohne über ihr.“

Randys Blick verfinsterte sich. „Elissa ist eine Freundin von mir. Machen Sie ihr keine Schwierigkeiten.“

Walker war klar, dass er es mit dem alten Mann selbst nach einer durchzechten Nacht aufnehmen konnte und danach immer noch fit genug wäre, eineinhalb Kilometer unter vier Minuten zu laufen. Randys Drohgebaren wirkte also beinahe lächerlich – wenn es nicht so aufrichtig gewesen wäre. Der Mann mochte Elissa und sorgte sich um sie.

„Ich tue ihr nur einen Gefallen“, sagte Walker ruhig. „Wir sind Nachbarn, weiter nichts.“

„Na gut, dann ist es okay. Elissa hat nämlich schon genug hinter sich. Sie hat es nicht verdient, dass jemand ihr Probleme macht.“

„Das sehe ich genauso.“

Walker hatte keinen blassen Schimmer, wovon die Rede war – aber Hauptsache, sie unterhielten sich nun wieder halbwegs friedlich miteinander. Randy hob den platten Reifen auf und trug ihn zur Werkstatt.

„Ich habe ein paar gute Reifen, die auf jeden Fall um einiges sicherer sind als dieser hier. Und weil es für Elissa ist, mache ich Ihnen einen guten Preis.“

„Vielen Dank.“

Randy schaute ihn von der Seite an. „Ich werfe ein bisschen Dreck drauf. Vielleicht merkt sie dann nichts.“

Walker erinnerte sich, wie empfindlich sie wegen des fehlenden Reservereifens reagiert hatte. „Vermutlich keine schlechte Idee“, sagte er.

„Nicht so fest, Liebes“, sagte Mrs. Ford ruhig, während sie einen Schluck Kaffee nahm. „Das ist schlecht für die Masse.“

Elissa klatschte das Nudelholz auf den Teig. Sie wusste, dass ihre Nachbarin recht hatte. „Ich kann nicht anders. Ich ärgere mich. Hält er mich wirklich für so dämlich? Glaubt er, ich merke nicht, dass er meinen alten Reifen durch einen neuen ausgetauscht hat? Sind alle Männer so? Glauben die etwa, dass Frauen keinen blassen Schimmer von Reifen haben? Oder hält er nur mich für blöd?“

„Ich bin sicher, er wollte einfach nur helfen.“

„Wer ist er, dass er mir helfen will? Ich kenne ihn doch überhaupt nicht. Wie lange wohnt er hier? Einen Monat? Wir hatten vorher nicht einmal miteinander geredet. Und jetzt kauft er mir plötzlich einen Autoreifen? Was soll der Blödsinn?“

„Ich finde es romantisch.“

Elissa musste sich sehr beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen. Sie mochte die alte Dame sehr, aber, Himmel, Mrs. Ford würde es wahrscheinlich auch romantisch finden, Gras wachsen zu sehen.

„Er hat einfach über meinen Kopf hinweg Entscheidungen getroffen. Wer weiß, was er dafür im Gegenzug erwartet.“ Was immer er auch erwartete, er würde es nicht bekommen, sagte sich Elissa.

Mrs. Ford schüttelte den Kopf. „Da liegst du falsch, Elissa. Walker ist ein sehr netter Mann. Ein Ex-Marine. Er hat gesehen, dass du Hilfe brauchst, und er hat geholfen.“

Genau das hatte Elissa am meisten geärgert. Hilfsbedürftig zu sein. Es wäre schön, wenigstens ein einziges Mal etwas für schlechte Zeiten oder einen platten Reifen auf der hohen Kante zu haben.

„Ich will ihm nichts schuldig sein.“

„Du willst niemandem etwas schuldig sein. Du bist eine unabhängige Frau. Aber er ist ein Mann, meine Liebe. Männer helfen Frauen nun mal gern.“

Mrs. Ford war fast neunzig, sehr klein und gehörte zu den Frauen, die noch immer Taschentücher mit Spitzenborte verwendeten. Sie war in einer Zeit aufgewachsen, in der sich Männer um die Mühen des Lebens kümmerten, während man von Frauen hauptsächlich erwartete, dass sie gut kochten und hübsch dabei aussahen. Die Tatsache, dass so ein Leben viele Frauen in den Alkohol oder Wahnsinn getrieben hatte, war nur eine unerfreuliche Randerscheinung, über die die feine Gesellschaft kein Wort verlor.

„Ich habe Randy angerufen“, sagte Elissa, während sie den Teig vorsichtig in die Form legte und am Rand festdrückte. „Er hat mir gesagt, dass der Reifen vierzig Dollar gekostet hat. Aber gutmütig, wie er ist, hat er mich sicher angelogen. Bestimmt hat er fünfzig gekostet.“

Sie hatte genau zweiundsechzig Dollar in ihrer Geldbörse, wovon sie den Großteil für die Lebensmittel brauchte, die sie heute Nachmittag kaufen musste. Auf ihrem Konto war derzeit Ebbe, aber in zwei Tagen würde sie ja ihr Gehalt bekommen.

„Wenn ich mir einen neuen Reifen leisten könnte, hätte ich mir selber einen gekauft“, grummelte sie.

„Es ist jedenfalls ein nützlicheres Geschenk als Blumen“, warf Mrs. Ford ein. „Oder Schokolade.“

Elissa lächelte. „Glaub mir, Walker will nichts von mir.“

„Woher willst du das wissen?“

Elissa war sich ziemlich sicher. Er hatte bloß geholfen, weil … weil … Sie runzelte die Stirn. In Wahrheit wusste sie es nicht. Vielleicht, weil sie bei ihrem Kampf mit den störrischen Radmuttern sein Mitleid erregt hatte.

Sie rollte den zweiten Teig aus. Die Blaubeeren waren lächerlich billig gewesen. Sie hatte kurz am Obststand angehalten, nachdem sie Zoe zur Geburtstagsparty gebracht hatte. Bis sie ihre Tochter wieder abholen musste, hatte sie gerade so viel Zeit, um die Böden für drei Obstkuchen vorzubereiten.

„Ich mache die Kuchen fertig, wenn ich vom Einkaufen zurück bin“, sagte Elissa mehr zu sich selbst als zu ihrer Nachbarin. „Vielleicht sollte ich ihm einen vorbeibringen …“

Mrs. Ford lächelte. „Ausgezeichnete Idee. Stell dir vor, wie beeindruckt er sein wird, wenn er eine Kostprobe deiner Kochkünste bekommt.“

Elissa stöhnte. „ Kann es sein, dass du eine ziemliche Kupplerin bist?“

„Eine Frau in deinem Alter so ganz allein? Das ist doch nicht normal.“

„Ich bin gern ein bisschen schrullig. Es hilft mir, am Boden zu bleiben.“

Mrs. Ford schüttelte den Kopf und trank ihren Kaffee aus. Sie stellte die Tasse auf den Tisch und stand langsam auf. „Ich muss gehen. Auf QVC fängt gleich ‚Schön mit Tova‘ an. Mein Parfüm von ‚Tova‘ geht langsam zur Neige, ich muss wieder welches bestellen.“

„Ist in Ordnung, geh ruhig“, sagte Elissa.

Mrs. Ford ging zur Tür, die ihre beiden Wohnungen verband. Dann blieb sie stehen. „Meine Einkaufsliste habe ich dir gegeben, oder?“

Elissa nickte. „Ja, sie ist in meiner Geldbörse. Ich bring dir alles vorbei, wenn ich wieder da bin.“

Die alte Dame lächelte. „Du bist ein gutes Kind, Elissa. Was würde ich bloß ohne dich tun?“

„Und ich erst ohne dich?“

Mrs. Ford ging in ihre eigene Küche und machte die Tür hinter sich zu.

Elissa war anfangs ein wenig verwundert gewesen, dass es eine Verbindungstür zwischen ihrer eigenen Wohnung und der ihrer Nachbarin gab. Aber das hatte sich rasch geändert. Mrs. Ford mochte zwar schon sehr betagt und etwas altmodisch sein, aber sie war klug, fürsorglich und ganz vernarrt in Zoe. Sie hatten sich alle drei rasch angefreundet, und Elissa und Mrs. Ford hatten ihren Alltag so organisiert, dass ihnen beiden geholfen war.

Mrs. Ford machte Zoe morgens fertig für den Kindergarten und richtete ihr das Frühstück. Elissa besorgte die Einkäufe für ihre Nachbarin, fuhr sie zu Arztterminen und sah regelmäßig nach ihr. Nicht dass Mrs. Ford besonders viel Zeit zu Hause verbrachte. Sie war sehr engagiert im Seniorenzentrum, und einer ihrer vielen Bekannten war garantiert immer dazu bereit, sie abzuholen – sei es nun, um Bridge zu spielen, sich alte Fotos anzusehen oder um einen Ausflug in ein Spielcasino zu machen.

„ So wie sie möchte ich auch mal sein, wenn ich groß bin“, sagte Elissa, während sie die drei Kuchenformen zum Herd trug.

Vorher musste ihr allerdings erst einfallen, woher sie das Geld nehmen sollte, um den neuen Reifen zu bezahlen, und was sie ihrem Nachbarn sagen würde, damit er verstand, dass sie niemals, unter keinen Umständen, an ihm interessiert sein würde.

Niemals, jede Wette. Nicht einmal, wenn er nackt bei ihr auftauchte. Obwohl, ehrlich gesagt, wenn er so vor ihr stünde, würde sie wahrscheinlich schon einen Blick riskieren. Immerhin hatte sie seit Jahren keinen nackten Mann mehr zu Gesicht bekommen. Und er sah überdurchschnittlich gut aus.

„Ich brauche keinen Mann“, murmelte Elissa und schaltete am Herd die Uhr für die Backzeit ein. „Mir geht’s gut. Ich habe alles im Griff. Nur noch dreizehn Jahre, bis Zoe erwachsen ist und aufs College geht. Dann kann ich wieder Sex haben. Und bis dahin habe ich keusche Gedanken und bin eine gute Mutter.“

Wahrscheinlich würde sie trotzdem an ihren Nachbarn denken und sich vorstellen, wie er nackt aussah. Sollte sie jemals doch ein Mann in Versuchung führen, hätte sie nichts dagegen, wenn er es wäre.

Zoe war um acht Uhr im Bett und schlief eine halbe Stunde später bereits tief und fest. Elissa schnappte einen der Blaubeerkuchen und ihre letzten fünf Dollar und ging hinauf zu Walker.

Trotz der absoluten Stille in der Wohnung über ihr wusste sie, dass er da sein musste, denn sein Wagen stand vor dem Haus. Sie hatte auch nicht gesehen, dass ihn jemand abgeholt hätte. Es war nicht so, dass sie auf der Lauer gelegen hätte. Keineswegs. Vielleicht hatte sie ein Auge auf das Kommen und Gehen in ihrer Nachbarschaft gehabt – aber nur, weil Wachsamkeit eine Bürgerpflicht war. Die Tatsache, dass sie sich ziemlich sicher war, Walker allein anzutreffen, war lediglich eine Begleiterscheinung ihrer Aufmerksamkeit zum Wohle der gesamten Nachbarschaft.

Nicht dass es sie interessierte, ob er sich mit einer Frau traf. Aber samt Kuchen und fünf Dollar bei ihm aufzutauchen war merkwürdig genug, dass es schon ihm allein – ohne eine zweite anwesende Person – schwer zu erklären sein würde. Obwohl vermutlich keine Frau, mit der sich Walker traf, sie als besondere Konkurrenz empfinden würde. Elissa wusste genau, wie sie aussah – wie das nette Mädchen von nebenan. Es machte ihr nichts aus. Aufgrund ihres Aussehens neigten ihre Kunden eher dazu, sie zu beschützen, als aggressiv zu sein, und das machte das Leben ein gutes Stück einfacher.

„Genug gezögert?“, fragte sie sich und zwang sich dazu, sich wieder auf die aktuelle Situation zu konzentrieren. Nämlich darauf, dass sie bereits oben auf der Treppe zu Walkers Wohnung angelangt war und einen halben Meter vor seiner Tür stand. Falls er sie kommen gehört hatte, könnte er sie jetzt beobachten und würde sich wahrscheinlich fragen, warum sie immer noch nicht anklopfte.

Also klopfte sie und wartete. Dann ging die Tür auf, und da stand er. Direkt vor ihr.

Er sah toll aus. Sein T-Shirt spannte sich über die breiten Schultern und seine muskulöse Brust. Keine Frage, diese Muskeln waren der Grund, weshalb er die Radmuttern bezwungen hatte, ohne ins Schwitzen zu kommen. Seine Jeans waren alt, ausgebeult und ausgebleicht. Er sah Elissa mit seinen dunklen Augen an, ohne eine Miene zu verziehen. Doch sein Blick wirkte nicht wie der eines Furcht einflößenden Axtmörders. Eher distanziert und vorsichtig.

„Hi“, sagte sie, als er weiter nur stumm dastand. „Ich, äh, habe einen Kuchen gebacken.“ Sie hielt ihm das Tablett hin. „Mit Blaubeeren“, fügte sie hinzu, für den Fall, dass Zweifel bezüglich der Obstsorte der Grund dafür waren, dass er ihr das Ding nicht aus der Hand nahm.

„Sie haben mir einen Kuchen gebacken …“, sagte er leise. In seiner Stimme lag der Hauch einer Frage – deutlicher konnte man allerdings heraushören, dass er sie offenbar für verrückt hielt. Es ärgerte sie. Nicht sie war diejenige, die die Regeln gebrochen hatte.

„Ja, einen Kuchen.“ Sie streckte ihm das Tablett immer noch entgegen. Als er es ihr endlich aus der Hand nahm, hielt sie ihm eine zerknitterte Fünfdollarnote vor die Nase.

„Sie bezahlen mich, damit ich Ihren Kuchen esse?“

„Natürlich nicht. Ich bezahle Sie …“ Sie brach ab und holte tief Luft. Innerhalb von zwei Minuten war ihre Stimmung von Dankbarkeit in Ärger umgeschlagen. „Sie haben mir einen Reifen gekauft. Dachten Sie wirklich, mir würde der glänzende neue Gummi nicht auffallen? Schätzen Sie nur mich so ein oder Frauen im Allgemeinen? Wenn ich ein Mann wäre, hätten Sie das nicht getan.“

„Sie hätten meine Hilfe nicht gebraucht, wenn Sie ein Mann wären.“

„Kann sein.“ Es war sogar sehr wahrscheinlich. Aber darum ging es nicht. „Sie haben den Reifen heimlich montiert. Und Sie haben ihn sogar mit Dreck bespritzt, damit er nicht so neu aussieht. Nur damit Sie es wissen – ich finde das alles ziemlich merkwürdig.“

Er lächelte. Nur ganz leicht, aber irgendwie ließ ihn das Lächeln offener und zugänglicher erscheinen. „Das war Randys Idee.“

„Das sieht ihm ähnlich.“

Er trat einen Schritt zurück. „Möchten Sie hereinkommen oder lieber hier zwischen Tür und Angel mit mir darüber reden?“

„Hier ist es schon okay. Ich komme ja nicht, um mit Ihnen zu plaudern.“

Das Lächeln verschwand. „Elissa, ich habe Sie schon verstanden. Es ist Ihnen nicht recht, dass ich einen Reifen gekauft habe. Aber Ihrer war so oft geflickt, dass es gefährlich war. Ich hätte mich nicht darum kümmern sollen, aber ich konnte nicht anders. Entschuldigen werde ich mich dafür nicht. Ich habe nichts damit bezweckt und will auch nichts dafür.“ Er sah auf den Kuchen. „Außer den hier. Der riecht gut.“

Es gefiel ihr, dass er ihren Reifen nicht gegen sie verwendete. Himmel, wie oft in ihrem Leben hatte sie das schon behaupten können?

„Ich weiß, dass Sie es gut gemeint haben“, sagte sie nach einigem Zögern. „Aber Sie haben nicht das Recht, sich in mein Leben einzumischen. Ich habe Randy angerufen, um herauszufinden, was der Reifen gekostet hat. Bestimmt hat er mir eine Summe genannt, die zehn Dollar unter dem Preis liegt, daher werde ich Ihnen fünfzig Dollar zurückzahlen. Es wird eine Weile dauern, aber der Kuchen soll zeigen, dass ich es ernst meine – und hier ist die erste Rückzahlung.“

Er betrachtete den zerknitterten Geldschein. „Ich will Ihr Geld nicht.“

„Und ich will Ihnen nichts schulden.“ Sie mochte nicht gerade viel Geld haben, aber sie bezahlte ihre Rechnungen rechtzeitig und überzog ihr Konto nie – außer in Notfällen, wenn es um Kopf und Kragen ging.

„Sie sind stur“, sagte er.

„Vielen Dank. Ich habe hart daran gearbeitet, so zu werden.“

„Was, wenn ich Ihnen nun sage, dass mir das Geld egal ist?“, fragte er.

Was sollte denn das nun wieder heißen? Hatte er so viel davon? Sie seufzte bei dem Gedanken. Im nächsten Leben würde sie ganz bestimmt auch reich sein. Der Wunsch stand ganz oben auf ihrer Liste. Aber in diesem Leben …

„Aber mir ist es nicht egal“, erwiderte sie.

„Na gut. Aber Sie brauchen es mir nicht bar zurückzuzahlen. Wir vereinbaren einen Tauschhandel.“

Kalte Wut stieg in ihr auf. Hier war sie also – die Wahrheit. Hinter diesem attraktiven Gesicht steckte ein abscheulicher, gemeiner, herzloser Dreckskerl. Er war genau wie fast alle Männer auf dieser Welt.

Natürlich. Warum überraschte sie das überhaupt? Sie hatte sich kurz zu Walker hingezogen gefühlt, und aufgrund ihres reichen Erfahrungsschatzes wusste sie, dass schon deshalb etwas mit ihm nicht stimmen konnte. Sie hatte mit einem schweren Charakterfehler gerechnet. Aber so etwas hatte sie nicht erwartet.

„Nicht einmal, wenn Sie der letzte männliche Überlebende nach einem Atomkrieg wären“, zischte sie. „Sie glauben doch nicht im Ernst, ich lasse mich auf so etwas ein …“ Am liebsten hätte sie ihm eine geklebt. „Es war ein Reifen. Es ist nicht so, als hätten Sie mir eine Niere gespendet.“

Er besaß tatsächlich die Frechheit, sie anzulächeln. „Sie würden mit mir schlafen, wenn ich Ihnen eine Niere spenden würde?“

„Sie wissen, wie es gemeint ist. Mir reicht’s. Ich schicke Ihnen das restliche Geld per Post.“

Sie drehte sich um und wollte gehen. Doch plötzlich stand er zwischen ihr und der Treppe. Wie um alles in der Welt war er so schnell dahin gekommen?

Seine dunklen Augen suchten ihre. Aus seinem Gesicht war aller Humor gewichen.

„Abendessen“, sagte er leise. „Ich habe von ein paar Abendessen geredet. Sie kochen jeden Abend, das rieche ich hier oben. Ich lebe seit Wochen nur von Tiefkühlkost und den übrig gebliebenen Menüs meiner Schwägerin. Das war es, was ich mit Handel gemeint habe. Und nur das.“

Obwohl er sie nicht berührte, spürte sie seine Nähe. Er war so viel größer als sie – eigentlich hätte sie Angst haben müssen. Gut, sie war ein bisschen nervös, aber das war etwas anderes.

Abendessen also … tja, das klang plausibel. Je länger sie darüber nachdachte, desto vernünftiger erschien ihr dieser Handel. Denn wer würde Sex erwarten, nur weil er einen billigen Reifen gekauft hatte?

„Tut mir leid“, sagte sie und senkte den Blick. „Ich dachte, Sie …“

„Das habe ich schon kapiert. Aber das wollte ich nicht. Ich würde niemals …“

Was würde er niemals? Mit ihr schlafen wollen? Nicht dass sie zurzeit diesbezüglich aktiv wäre oder es in naher und auch fernerer Zukunft vorhatte – aber warum war das für ihn so abwegig? Sie mochte nichts Außergewöhnliches sein, aber sie war ziemlich hübsch. Und intelligent. Und auf Intelligenz kam es doch an, oder?

Vielleicht hatte er eine Freundin. Vielleicht war er verlobt. Vielleicht war er schwul.

Über den letzten Gedanken musste sie schmunzeln. Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass Walker schwul war.

„Beginnen wir noch mal von vorn“, sagte er. „Ich habe den Reifen gekauft, weil ich der Meinung war, dass Ihrer keinen weiteren Flicken mehr verträgt. Randy hat ihn mir für fünfundvierzig Dollar verkauft. Ich nehme den Kuchen und das Geld an. Sie können sich mit der Rückzahlung so viel Zeit lassen, wie Sie wollen. Vergessen Sie, was ich wegen des Abendessens gesagt habe, okay? Das mit dem Geld ist in Ordnung.“

Er machte alles richtig. Warum also hatte sie das Bedürfnis, mit ihm zu streiten?

„Einverstanden“, sagte sie.

„Dann haben wir eine Abmachung.“

Er nahm das Kuchentablett in die linke Hand und streckte ihr seine rechte entgegen, damit sie es mit einem Handschlag besiegeln konnten.

Sie legte ihre Hand in seine und nickte. „In Ordnung.“

Seine Finger waren warm und kräftig. Sie spürte ein leichtes Flattern in ihrem Bauch. Die unerwartete Reaktion ließ sie die Hand wegziehen und einen Schritt zurücktreten.

Die Gefahr hatte viele Gesichter. Diese spezielle war zu groß, zu stark und viel zu sexy für sie und ihren Seelenfrieden. Sie hatte immerhin noch dreizehn Jahre Zölibat vor sich. Mit Walker in ihrer Nähe würde es sich nicht gerade leichter durchhalten lassen.

Nicht dass sie sich nahe waren. Nein, so weit käme es noch.

„Ich, äh, sollte jetzt gehen“, murmelte sie und ging an ihm vorbei zur Treppe. „Lassen Sie sich den Kuchen schmecken.“

Sie eilte zurück in ihre Wohnung, schloss rasch hinter sich ab und lehnte sich dann an die Tür, bis ihr Herz aufhörte, wie verrückt zu klopfen.

Erst in diesem Augenblick bemerkte sie, dass sie die fünf Dollar, die sie ihm hatte geben wollen, immer noch in der Hand hielt. Unter gar keinen Umständen würde sie heute Abend noch einmal zu ihm nach oben gehen. Sie würde das Geld in seinen Briefkasten stecken.

Es war offensichtlich, dass sie um Walker einen großen Bogen machen musste. Oberflächlich betrachtet mochte er ein netter Mensch sein, aber eins wusste sie nach wie vor: Wenn sie sich zu einem Typen hingezogen fühlte, dann stimmte ganz sicher irgendetwas nicht mit ihm. Und im Moment konnte sie sich keine weitere Katastrophe mit einem Mann leisten. Sie bezahlte immer noch für die letzte.

Im wahrsten Sinn des Wortes.

2. KAPITEL

Walker kam gar nicht erst dazu, an die Haustür seines Bruders zu klopfen. Kaum hatte er die Hand gehoben, wurde die Tür aufgerissen, und eine beeindruckend schwangere Penny kam – nun ja, watschelte – ihm zur Begrüßung entgegen.

„Du hast einen Werkzeugkasten mit“, sagte sie, während sie ihn so fest umarmte, wie es ihr großer Bauch zuließ. „Sag mir, dass Werkzeug drin ist. Richtiges Werkzeug mit Griffen und Metall, mit dem man alles Mögliche zusammenschrauben kann.“

Er legte einen Arm um sie und hob den Kasten auf. „Ich habe meine Attrappen zu Hause gelassen. Als du mich gefragt hast, ob ich Werkzeug mitbringen kann, habe ich angenommen, du meinst das echte.“

„Danke“, hauchte sie. „Das habe ich gemeint. Ich liebe Cal. Er ist wunderbar, hinreißend und hat viele Talente, die ich nun taktvollerweise verschweige, weil ihr Brüder seid. Aber er ist handwerklich nicht so geschickt wie du.“

„Das habe ich gehört“, brummte Cal aus dem Flur. „Ich bin sogar sehr geschickt.“

„Natürlich, Liebling“, sagte Penny und drehte sich zu ihm um. Dann fragte sie Walker: „Macht es dir wirklich nichts aus, uns zu helfen?“

Er beugte sich hinunter, küsste sie auf die Wange und boxte seinen Bruder zur Begrüßung freundschaftlich in den Oberarm. „Das mach ich doch gern. Du bist schwanger und arbeitest trotzdem immer noch, und Cal hat als Leiter einer Firma alle Hände voll zu tun. Ich habe Zeit.“

Er folgte ihnen ins Wohnzimmer, wo sich jede Menge Kartons stapelten. Penny war kurz nach der Hochzeit Anfang Juli in Cals Haus eingezogen. Obwohl das bereits sechs Wochen zurücklag, hatte sie noch nicht allzu viel von ihren Sachen ausgepackt.

„Du hältst mich jetzt bestimmt für chaotisch“, rief ihm Penny über die Schulter hinweg zu. „Ich spüre das. Das Durcheinander verletzt dein militärisches Ehrgefühl und deinen Ordnungssinn, ich weiß. Aber denk, was du willst, das macht mir nichts!“

„Habe ich etwas gesagt?“, fragte Walker und grinste.

„Das war gar nicht notwendig.“

Sie strich sich eine ihrer langen kastanienbraunen Locken hinters Ohr und blieb in der Tür zur Küche stehen. „Der Rest des Hauses ist vielleicht chaotisch, aber die Küche ist perfekt.“

„Warum überrascht mich das nicht?“ Walker sah seinen Bruder an. „Für wie viele Kartons musstest du Platz schaffen?“

„Ich habe aufgehört zu zählen“, sagte Cal gelassen. „Beim fünfundzwanzigsten habe ich eingesehen, dass es keinen Sinn hat.“

Penny war Küchenchefin im „Waterfront“, einem der vier Restaurants von „Buchanan Enterprises“. Das Lokal war eigentlich ein Familienbetrieb, aber nur eines der Buchanan-Geschwister arbeitete dort.

„Ich brauche die richtige Ausrüstung“, sagte Penny und trat beiseite, damit Walker in die Küche gehen konnte. „Mit nichts kann man nichts Leckeres zaubern.“

„Das solltest du auf deine Visitenkarte drucken lassen“, sagte er, während sein Blick über die hellen Wände und die Töpfe und Pfannen wanderte, die über der Kücheninsel an einer Halterung hingen. Ohne die dunkelrote Farbe sah die Küche größer aus. Die Fliesen im Kochbereich leuchteten im Sonnenlicht, das großzügig durch die Fenster einfiel.

„Du hast alles verfliest, aber die Möbel für das Baby noch nicht aufgestellt?“, fragte er, ehe er merkte, wie unbedacht die Bemerkung war.

Cal sah ihn voller Mitleid an. „Selbst schuld, wenn du so etwas sagt.“

Pennys Blick verfinsterte sich. „Bist du sonst auch so kritisch? Hast du alles für das Essen vorbereitet, das ich heute für dich koche?“

„Er hat es nicht so gemeint“, sagte Cal und stellte sich zwischen die beiden. „Nicht jeder versteht, wie dein geniales Gehirn arbeitet.“ Er senkte die Stimme. „Walker hat Werkzeug mitgebracht, schon vergessen?“

Penny lachte. „Ich weiß, schon in Ordnung. Nur mach mir jetzt kein schlechtes Gewissen. Ich hab Rückenschmerzen.“

„Entschuldige bitte“, sagte Walker zu Penny. Er genoss das kleine Geplänkel sichtlich. Er hatte sich in Gesellschaft von Cal und Penny immer schon wohlgefühlt. Die beiden gaben ein gutes Paar ab, und Walker freute es sehr, dass sie wieder zusammengekommen waren. „Und wo ist das Zimmer für das Baby?“

„Da drüben“, sagte Penny und ging vor. „Wir sind vorige Woche mit Streichen fertig geworden. Na ja, Cal ist fertig geworden. Ich habe die Arbeit beaufsichtigt.“

„Aus der Entfernung“, erinnerte Cal sie.

Sie seufzte. „Stimmt, ich durfte die Farbdämpfe nicht einatmen. Wir haben auch schon die Gardinen aufgehängt. Jetzt fehlen nur noch die Möbel. Eigentlich ist alles da – der Kleiderschrank, die Wickelkommode, das Gitterbett – aber es ist noch verpackt.“

„In wunderschönen Kartons“, fügte Cal hinzu.

„Oh ja. Sie sind beeindruckend. Aber stell dir vor, wie toll es erst wäre, wenn wir wüssten, wohin wir die Sachen stellen sollen.“

Das Kinderzimmer lag auf der hinteren Seite des Hauses mit Blick auf den Garten. Mitten im Zimmer standen ein paar große Kartons. Die Wände waren in zartem Grün, die Zierleisten an der Decke weiß gestrichen. Hinter duftigen Gardinen waren die Jalousien halb geöffnet.

„Der Schaukelstuhl steht im Büro“, erklärte Penny. „Bevor hier nicht alles fertig ist, hat er gar keinen Platz. Ich habe auch einen großen Teppich, aber Cal meint, wir sollten noch damit warten, ihn auszulegen.“

„Wenn wir die Möbel aufgestellt haben, machen wir hier alles sauber, und dann legen wir den Teppich rein“, sagte Cal.

Walker nickte und stellte seinen Werkzeugkasten auf den Parkettboden. „Schauen wir mal, was du gekauft hast.“

Penny ging auf den Flur hinaus. „Ich koche jetzt das Mittagessen. Es gibt Crepes mit Meeresfrüchten, dazu eine leichte Soße, dann Pasta – ich weiß noch nicht genau, welcher Art – und als Nachtisch Schokoladentorte mit frischen Beeren.“

Walkers Magen knurrte. „Klingt toll.“ Er wartete, bis Penny außer Hörweite war. Dann sah er seinen Bruder an. „Isst du so was immer?“

Cal stöhnte. „Ich musste mich in einem Fitnesscenter anmelden.“

„Ist es die Anmeldegebühr wert?“

„Dafür, dass ich Pennys Kochkunst genießen darf? Darauf kannst du wetten.“

Sie sortierten die Kartons und beschlossen, mit der Kommode anzufangen.

„Danke, dass du uns hilfst“, sagte Cal, als er die Verpackung aufriss.

„Mach ich doch gern.“

„Bist du nicht selbst noch am Einrichten?“

Walker schüttelte den Kopf. „Es hat genau zwei Stunden gedauert, in meine Wohnung einzuziehen und alles auszupacken.“

„Du hattest einiges in einem Lager aufbewahrt, nicht wahr?“

„Nicht viel.“ Keine Möbel. Nur ein paar persönliche Dinge, die er nicht missen wollte. Er hatte ein Sofa, einen Fernseher und ein Bett kaufen müssen.

„Gefällt dir die Wohnung?“, fragte Cal.

„Momentan reicht sie mir.“

Cal zog die Gebrauchsanweisung aus dem Karton. „Warum eine Wohnung? Du hättest dir ein Haus kaufen können.“

„Ich weiß noch nicht genau, wo ich leben möchte“, erwiderte Walker. Ebenso wenig wusste er, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen sollte. Er hatte geglaubt, bis zu seiner Pensionierung bei den Marines zu bleiben. Aber eines Tages hatte er gemerkt, dass es Zeit war, zu gehen. „Es hat keinen Sinn, mir was Richtiges zu suchen, bevor ich mich nicht für einen Ort entschieden habe.“

„Du bleibst doch in Seattle, oder?“

„Das ist mein Plan.“ Wenn er überhaupt einen hatte …

„Hast du Lust, für mich zu arbeiten?“, fragte Cal. „Als Teilhaber der Firma bist du jederzeit willkommen.“

„Nein danke. Der Kaffee ist dein Ding.“

Vor einigen Jahren hatten Cal und seine Geschäftspartner das „Daily Grind“ gegründet. Aus den ersten drei Lokalen, mit denen sie begonnen hatten, war eine erfolgreiche Kette an der Westküste entstanden. Nun expandierten sie im ganzen Land. Walker hatte seine Ersparnisse in das Start-up-Unternehmen investiert. Das Risiko hatte sich gelohnt, und seine Aktien stiegen ständig. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, ihren genauen Wert auszurechnen, aber falls er sich einen Job suchte, musste er es nicht wegen des Geldes tun.

„Bist du immer noch auf der Suche nach Ashley?“, fragte Cal.

Walker zuckte mit den Achseln. „Ja, ich habe mich wieder mit drei Frauen getroffen. Die richtige Ashley war nicht dabei, aber ich werde sie schon noch finden.“

„Daran habe ich keinen Zweifel. Übrigens, Penny hat erzählt, dass der neue Geschäftsführer im ‚Waterfront‘ gekündigt hat.“

„Das war zu erwarten.“ Die Restaurants im Familienbesitz waren erfolgreich, aber Personal in Führungspositionen zu behalten war aussichtslos. Gloria Buchanan, Matriarchin der Familie und durch und durch ein Biest, vertrieb die fähigsten Leute. „Gloria lässt Penny in Ruhe, oder?“

„Ja, sie hat keine Chance.“ Cal grinste. „Ich habe ihren Arbeitsvertrag selbst aufgesetzt. Gloria darf ohne Erlaubnis keinen Fuß in die Küche setzen.“

Walker legte die Einzelteile der Kommode vor sich auf den Boden und öffnete seinen Werkzeugkasten. „Die Ehe bekommt dir gut.“

„Beim zweiten Mal haben wir es hingekriegt. Noch vor sechs Monaten hätte ich das nicht für möglich gehalten. Und wie steht’s bei dir?“

„ Ich glaube, ich möchte keinen zweiten Versuch mit Penny starten. Auch keinen ersten. Sie ist dein Mädchen.“

Sein Bruder boxte ihn in den Oberarm. „Du weißt schon, was ich meine. Du kannst nicht ewig allein bleiben.“

„Warum nicht? Ich brauche niemanden.“

„Wir brauchen alle jemanden. Nur manche gestehen es sich früher ein als andere. Das ist der Unterschied.“

„Ich hasse es“, sagte Elissa, während sie am Herd das Chili umrührte. „Ich will mich nicht unter Druck setzen lassen – auch nicht von meinen eigenen Schuldgefühlen. Es ist in jeder Hinsicht falsch.“

Es war alles Walkers Schuld, dachte sie und kippte den Brotteig aus der Rührschüssel in die eingefettete Backform. Dass sie geglaubt hatte, sie solle für den Reifen sozusagen in Naturalien bezahlen, war ihr immer noch peinlich. Seine Bemerkung, dass er den Duft ihres Essens mochte, hatte sie nicht vergessen. Mit dem Chili, das sie gerade kochte, wollte sie sich ausdrücklich bei ihm entschuldigen. Außerdem musste sie ihm noch die fünf Dollar geben, die er so geschickt verweigert hatte, als sie ihm den Kuchen brachte.

Zwanzig Minuten später klopfte sie an die Tür zwischen ihrer Wohnung und der von Mrs. Ford.

„Ich rieche das Chili“, sagte die alte Dame fröhlich. „Ich habe mein Prevacid gegen Sodbrennen schon eingenommen und könnte jetzt eine Portion vertragen.“

„Fein! Nimm schon mal Platz. Ich laufe schnell nach oben und sage Walker, dass das Essen fertig ist.“

Mrs. Ford zog die Augenbrauen hoch. Elissa seufzte.

„Es ist nicht so, wie du denkst. Ich muss ihm noch die erste Rate zahlen und möchte wiedergutmachen, dass ich … du weißt schon.“

Sie hatte ihrer Nachbarin alles über das peinliche Missverständnis erzählt. Mrs. Ford hatte es große Mühe bereitet, zu erklären, dass eine Dame mit einem Gentleman aus keinem anderen Grund ins Bett ging als aus Liebe oder aufgrund außerordentlich starker sexueller Anziehungskraft. Selbst eine gespendete Niere sei nicht Anlass genug. Als wüsste Elissa das nicht selbst.

„Chili ist eine gute Wahl“, sagte Mrs. Ford. „Ein Essen für Männer. Kein komisches Gemüse oder so ein Tofu-Schnickschnack. Ein ausgezeichneter Schachzug.“

„Es ist kein Schachzug.“

„Das sollte es aber sein, Elissa-Schatz. Er ist ein äußerst attraktiver Mann.“

Elissa öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen. Doch dann schwieg sie. Es hatte sowieso keinen Sinn, zu antworten.

„Ich bin gleich wieder da“, sagte sie. „Zoe, Essen ist fertig“, rief sie dann ins Wohnzimmer. „Wasch dir bitte die Hände.“

„Okay, Mommy.“

Und wieder einmal ging Elissa die Treppe hinauf. Oben angelangt, marschierte sie entschlossenen Schrittes zu seiner Tür und klopfte. Auf keinen Fall durfte sie ihn merken lassen, dass ihr das letzte Gespräch peinlich war. Abgesehen davon, dass sie für ihn gekocht hatte, würde sie so tun, als hätte es nie stattgefunden.

Er öffnete die Tür. „Hallo, Elissa.“

In den letzten drei oder vier Tagen hatte sie ganz vergessen, wie er aussah. Klar, sie hätte ihn bei einer polizeilichen Gegenüberstellung unter vielen anderen Männern als ihren Nachbarn identifizieren können, aber die Details waren ihr entfallen.

Sie hatte seine dunklen Augen vergessen, die alles beobachteten, aber nichts preisgaben. Oder dass er so stark, zuverlässig und vertrauenerweckend aussah. Oder seinen Mund, der entschlossen, aber auch faszinierend wirkte.

„HÜ Sie haben Ihr Geld nicht genommen.“ Sie streckte ihm den Fünfdollarschein so lange entgegen, bis er ihn schließlich nahm.

„Danke, das wäre wirklich nicht nötig …“

„Doch, es ist nötig“, fiel sie ihm ins Wort. „Damit ich nachts schlafen kann. Außerdem möchte ich mich für das Missverständnis neulich entschuldigen. Die Schlüsse, die ich gezogen habe, waren nicht sehr schmeichelhaft.“

„Ich kann mir schon vorstellen, wie es dazu kommen konnte.“

Sie fragte sich, ob er es ernst meinte oder nur höflich sein wollte. Und dann fragte sie sich, wie sich seine Haut wohl anfühlen würde, wenn sie seine Arme berührte. War sie rau oder zart? Ob die Muskeln überhaupt unter ihrer Hand nachgaben oder ob sie …

Sie zog in Gedanken die Notbremse und lächelte fröhlich, damit er nicht erriet, was sie gerade dachte. Meine Güte, was war bloß los mit ihr? Sie hatte schon jede Menge attraktive Männer gesehen. Und nicht nur im Fernsehen. Aber so hatte sie noch nie reagiert. Das war noch schlimmer als die Schuldgefühle. Was bedeutete, dass sie besser langsam zur Sache kommen sollte.

„Ich habe Chili gemacht“, sagte sie. „Sie hatten erwähnt, dass Sie es riechen, wenn ich koche, und dass Sie statt des Geldes gern ein Essen hätten. Ich bin damit einverstanden. Also habe ich Chili und Maisbrot gemacht. Kuchen ist auch da – aber davon haben Sie wahrscheinlich selbst noch genug. Von daher weiß ich jetzt also nicht, wie interessant der Blaubeerkuchen als Nachtisch ist. Obwohl … ich hab auch Eis. Es war im Angebot. Mit Schokostückchen. Zoe und ich stehen auf Schokolade.“

Als sie plötzlich merkte, dass sie plapperte, presste sie die Lippen fest aufeinander. Dann räusperte sie sich.

„Was ich sagen will … wir würden uns freuen, wenn Sie mitessen.“ Hmm, das klang merkwürdig. „Mrs. Ford ist auch da. Und ich zahle damit nur meine Schulden zurück. Ich will auch kein Date mit Ihnen oder so. Ich gehe nie aus. Mit niemandem. Sonst mache ich auch nichts. Ich habe keine Hintergedanken. Ich weiß, manche Männer denken, eine alleinstehende Frau hat immer irgendwelche Absichten. Bei mir ist das nicht so. Ich habe kein Interesse an einer Affäre oder dergleichen. Zoe ist noch klein, und außerdem habe ich genug andere Sorgen.“

Große Sorgen, dachte sie. Neil war über einen Meter achtzig und würde sie nie in Ruhe lassen.

„Sie wollen sagen, dass Sie nicht mit mir ausgehen oder Sex haben wollen“, fasste er zusammen.

„Genau“, stimmte sie zu, ehe ihr klar wurde, was sie gerade gesagt hatte.

„Gut zu wissen.“

Er sah sie immer noch an. Sein Gesichtsausdruck war unverändert. Sie wünschte, sie hätte das auch von ihrem eigenen sagen können. Aber davon konnte keine Rede sein. Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Es bestand kein Zweifel, dass sie knallrot geworden war. Vielleicht, weil der arme Mann mit keiner Silbe angedeutet hatte, dass er überhaupt an ihr interessiert war? Er hatte um ein Essen gebeten, nicht um wilden, hemmungslosen Sex.

„Oh Gott“, flüsterte sie. „Nicht dass ich denken würde, Sie hätten das im Sinn gehabt. Ich bin nur …“

Er hob die Hand, um sie zu unterbrechen. „Elissa, Sie können aufhören.“

„Gute Idee.“

„Ich habe schon verstanden, wie es gemeint war.“

„Gott sei Dank.“

„Ich habe auch verstanden, warum Sie es gesagt haben. Ihre Ehrlichkeit gefällt mir. Keine Sorge, ich werde keinen Annäherungsversuch starten.“

Eigentlich hätte sie sich darüber freuen sollen, doch sie war sich nicht sicher, ob er sie wirklich verstand oder ob er sich über sie lustig machte. Wenn sie nur im Boden versinken und den Tag noch einmal von vorn beginnen könnte …

Sie räusperte sich. „Möchten Sie Chili und Maisbrot?“

„Ja, aber ich komme mit und hole mir eine Portion. Ich möchte nicht beim Essen stören.“

„Sie meinen, Sie würden gern mitessen, aber nicht mit uns gemeinsam?“

„Ist das ein Problem?“

Eine Überraschung vielleicht, aber kein Problem. „Wie Sie möchten.“

„Okay. Ich hol mir schnell einen Teller und eine kleine Schüssel und komme dann runter.“

„Das ist doch nicht nötig. Bei mir gibt es Geschirr.“

„Aber auf die Art muss ich es Ihnen wohl nicht zurückgeben.“

Sie zuckte zusammen. Er macht sich eindeutig über mich lustig, dachte sie mürrisch. Doch wenn sie ehrlich war, hatte sie es verdient. Sie drehte sich um und ging zurück in ihre Wohnung.

Die Lösung ist ganz einfach, sagte sie sich. Sie würde einfach nicht mehr mit diesem Mann reden. Das würde die Chance erhöhen, sich nicht mehr zum Idioten zu machen. Außerdem konnte sie etwas Neues auf die Liste für ihr nächstes Leben setzen. Zusätzlich zu dem Geld hätte sie dann nämlich gern die Fähigkeit, eine Spur weniger direkt zu sein.

Wie jeden Tag läutete der Wecker morgens um vier Uhr. Elissa stand sofort auf. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass ihr Körper sich kooperativer zeigte, solange er wegen der unchristlichen Zeit noch unter Schock stand. Wenn sie die Schlummertaste drückte, bestand die Gefahr, dass sie nie aus dem Bett kam.

Sie duschte, wickelte sich danach ein Handtuch um den Kopf und schminkte sich dezent. Getönte Tagescreme, Wimperntusche, Lipgloss. Nachdem sie die Dienstkleidung für ihren „Eggs ’n’ Stuff-Job angezogen hatte, föhnte sie sich und band sich das noch leicht feuchte Haar rasch zu einem Pferdeschwanz zusammen. Um halb fünf ging sie in die Küche, wo es schon nach frischem Kaffee duftete.

Wer auch immer diese Timerfunktion erfunden hatte, er verdiente einen Preis oder zumindest, dass man einen Stern nach ihm oder ihr benannte. Als Elissa sich eine Tasse aus dem Schrank nahm, hörte sie, wie über ihr etwas auf den Boden krachte.

Das Geräusch war seltsam und extrem laut. Das Stöhnen, das ihm folgte, ließ sie erzittern.

Irgendetwas stimmte da oben nicht. Besser, sie ignorierte es. Aber leider krachte es ein zweites Mal, und das Stöhnen danach war noch lauter als vorher.

Was, wenn Walker hingefallen war und sich verletzt hatte? Er sah zwar ziemlich fit aus – aber vielleicht hatte er zu viel getrunken und war ausgerutscht?

Einerseits wollte sie sich nicht einmischen, andererseits konnte sie Zoe nicht allein lassen, bevor sie sich überzeugt hatte, dass im Haus alles in Ordnung war. Nachdem sie sich rasch vergewissert hatte, dass ihre Tochter friedlich schlief, holte sie ihren Baseballschläger aus dem Schrank im Flur und rannte nach oben.

Sie klopfte energisch an Walkers Tür. „Ich bin’s, Elissa!“, rief sie – für den Fall, dass er gerade eine kriegsbedingte, posttraumatische Halluzination hatte. Sie wollte nicht, dass er sie in seiner Verwirrung erschoss oder verstümmelte.

Als er nicht sofort öffnete, klopfte sie erneut. Diesmal noch energischer. Als ein weiteres lautes Krachen die frühmorgendliche Stille durchbrach, zuckte sie zusammen.

Endlich wurde die Tür geöffnet, und Walker stand in zerknitterter Pyjamahose vor ihr. Sein Oberkörper war nackt, sein Kinn brauchte dringend eine Rasur, und zum ersten Mal verbargen seine Augen nicht, was er dachte. Er amüsierte sich köstlich.

„So viel dazu, dass Sie nicht in mein Bett wollen“, sagte er.

Sie starrte ihn wütend an. „Ich habe lautes Krachen und Stöhnen gehört. Es ist halb fünf Uhr morgens. Was hätte ich da wohl denken sollen?“

Er wurde ernst. „Wirklich?“, fragte er.

„Warum sollte ich so was erfinden?“

Er deutete auf ihren Baseballschläger. „Wollten Sie mich damit verhauen oder verteidigen?“

„Das wusste ich nicht so genau.“

„Es ist schon lange her, dass mich jemand retten wollte.“ Um seinen Mund zuckte es, als hätte er größte Mühe, sich das Lachen zu verkneifen.

Haha. Wirklich wahnsinnig witzig. Sie konnte es nicht fassen, dass bei ihm alles in Ordnung war.

„Es geht Ihnen also gut“, murmelte sie. „Fein. Ich werde Sie nicht mehr belästigen.“

Als sie sich umdrehte und gehen wollte, packte er sie am Arm. Sie sah ihn an. Er wirkte nun völlig ernst.

„Es tut mir leid“, sagte er. Er sah so aus, als meinte er es ehrlich. „Ich habe schlecht geträumt und bin auf dem Boden aufgewacht. Wahrscheinlich habe ich um mich geschlagen, als ich aus dem Bett gefallen bin. Es war sehr nett von Ihnen, dass Sie sich Sorgen gemacht haben.“

Sie seufzte. „Nett, aber unnötig.“

„Mir passiert so schnell nichts.“

„Wenn Sie es sagen …“

„Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie mich beschützen wollten.“

Sie zog ihren Arm weg. „Jetzt machen Sie sich über mich lustig.“

„Ein bisschen.“

In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass ein halb nackter Mann sehr, sehr dicht vor ihr stand. Elissa spürte, wie die Hormone ihren Körper regelrecht überschwemmten und wie ihre Brustwarzen hart wurden. Oh Mann – und sie hatte noch nicht einmal ihren Kaffee gehabt.

„Ich brauche dringend Koffein“, murmelte sie.

„Ich auch.“

„Ich habe frischen Kaffee unten, und“, sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, „noch zwanzig Minuten Zeit, bevor ich losmuss. Sie können gern eine Tasse mittrinken.“

Sie rechnete damit, dass er dankend ablehnte. Doch zu ihrer Verblüffung sagte er: „Das wäre großartig“, und folgte ihr die Treppe hinunter.

Sie wollte ihn darauf hinweisen, dass er barfuß war und kein T-Shirt anhatte. Da es ihn aber offenbar nicht kümmerte, entschied sie, dass es besser war zu schweigen und einfach den Anblick zu genießen.

In der Küche stellte sie den Baseballschläger in die Ecke, holte eine zweite Tasse und reichte sie ihm. Er wartete, bis sie sich Kaffee eingeschenkt hatte, und nahm sich dann selbst welchen.

„Ich nehme an, Sie trinken ihn schwarz“, flüsterte sie, um Zoe nicht zu wecken, die nebenan schlief.

„Wie sonst – als ehemaliger Marine?“, antwortete er.

Sie lächelte und lehnte sich an die Küchentheke. „Haben Sie oft Albträume?“

„Sie kommen und gehen.“ Er nahm einen Schluck Kaffee, und sein Blick wurde ernst. „Es gibt Dinge, die kann man nicht vergessen.“

„Sind Sie deshalb ausgetreten?“, fragte sie. „Zu viele schlimme Erlebnisse?“

„Vielleicht.“

„Wir müssen nicht darüber reden“, sagte sie, da sie das Gefühl hatte, weitere Fragen würden nur neugierig wirken.

„Schon in Ordnung. Ich habe viel Zeit damit verbracht, nach Scharfschützen Ausschau zu halten und Bomben zu orten. Jetzt suchen sie mich manchmal heim.“

Auch Elissa hatte ihre Albträume. Doch sie waren nicht annähernd so brutal.

„Ich hoffe, ich habe Zoe nicht geweckt“, sagte er.

„Nein, keine Sorge. Ich habe nach ihr gesehen, bevor ich zu Ihnen hinaufgegangen bin. Sie würde nicht mal wach, wenn ein Tornado durchs Haus fegte. Als sie noch ein Baby war, habe ich oft Staub gesaugt, während sie geschlafen hat. Irgendwo hatte ich gelesen, dass es beruhigend auf Kinder wirkt, die tief schlafen. In ihrem Fall hat es jedenfalls funktioniert.“

Dies hier ist die merkwürdigste Unterhaltung der ganzen bisherigen Woche, dachte sie. Nie im Leben wäre sie auf die Idee gekommen, dass ein halb nackter, barfüßiger Walker um Viertel vor fünf Uhr morgens in ihrer Küche stehen, Kaffee trinken und sich mit ihr über ihre Tochter und seine Zeit bei den Marines unterhalten würde.

„Sie ist ein liebes Kind“, sagte er.

„Ja, das ist sie.“ Elissa zögerte. „Ist es eigenartig für Sie, wieder als Zivilist hier zu leben, mit einem Kind in der Nachbarschaft und allem?“

„Kinder gibt es überall. Aber Zoe kann hier wenigstens in Sicherheit aufwachsen. Das ist nicht überall so.“

Er klang so traurig, dass sie sich fragte, was er alles gesehen und erlebt hatte. Dann wurde ihr bewusst, dass sie es vielleicht gar nicht wirklich wissen wollte.

Sie bemerkte, dass seine Körperhaltung trotz der frühen Stunde perfekt war. Sogleich versuchte sie, ihre Schultern ein wenig zu straffen und aufrechter zu stehen.

„Tolles Huhn“, sagte er.

Es dauerte einen Moment, bis sie kapierte, dass er ihre Dienstkleidung meinte. Sie sah an sich hinunter und musste über die große Henne auf ihrer Schürze lachen. „Ich arbeite im ‚Eggs ’n’ Stuff‘, einem Fast-Food-Restaurant, wo man frühstücken und Mittag essen kann.“

„Ich kenne es.“

„Dann haben Sie also die Uniform erkannt. Frank, mein Chef, ist ein wunderbarer Mensch, aber wir haben es noch nicht geschafft, ihm das Hühner-Logo auszureden. Anscheinend gibt es das schon seit den Fünfzigerjahren. Aber wenigstens sind die Schuhe bequem.“ Sie streckte ihm einen Fuß entgegen, der in orthopädischen weißen Schnürstiefeletten steckte. „Ich warte nur darauf, dass diese Ungetüme in Mode kommen.“

„Seien Sie froh, Sie sind schließlich den ganzen Tag auf den Beinen.“

„Stimmt. Trotzdem könnte es nicht schaden, wenn sie eine Spur schicker wären. Allerdings nehme ich die Schuhe und das Huhn gern in Kauf. Ich bekomme jede Menge Trinkgeld, die Sozialleistungen sind wirklich gut, und wenn Zoe in die Schule kommt, kann ich vor ihr zu Hause sein.“

„Wer macht die Kleine morgens fertig für den Kindergarten?“

„Mrs. Ford.“

„Ich dachte, Ihr Exmann würde sich vielleicht um sie kümmern.“

Ganze zwei Sekunden lang überlegte sie, ob er gerade versuchte herauszubekommen, ob sie liiert war oder nicht. Dann erinnerte sie sich an ihren peinlichen Redeschwall vor ein paar Tagen, als sie ihm ins Gesicht gesagt hatte, dass sie kein Interesse an Bekanntschaften und Sex hätte. Dabei hatte der Ärmste gar nicht danach gefragt.

„Es gibt keinen Ex“, sagte sie leichthin.

„Wenn ich also einen Fremden sehe, der hinter einem Busch lauert, kann ich ihn mir schnappen und verhauen.“

„Ganz genau.“

Sie nahm einen letzten Schluck Kaffee und schaute auf die Uhr.

„Sie müssen los“, sagte Walker und stellte seine Tasse auf die Theke. „Tut mir leid, dass ich Sie aufgehalten habe. In Zukunft versuche ich, leiser zu sein, wenn ich schlecht träume. Danke für den Kaffee.“ Er nahm den Baseballschläger in die Hand. „Und dafür, dass Sie mich beschützen wollten.“

Sie seufzte. „Ich hasse es, wenn ich mich schon morgens zum Idioten mache.“

„So sollten Sie nicht denken. Ich finde, das war wirklich nett von Ihnen.“

Er stellte den Schläger wieder in die Ecke und ging.

Elissa spülte beide Tassen ab, sah ein letztes Mal nach Zoe, öffnete die Tür zur Wohnung von Mrs. Ford und ging zu ihrem Wagen.

Es war August, und die Sonne war bereits aufgegangen, was alle Vögel in der Nachbarschaft laut zwitschernd verkündeten. Elissa fuhr die menschenleere Straße entlang und dachte an Walker. Er war ein interessanter Mann. Kein Serienmörder. Von diesen Bedenken hatte sie sich mittlerweile verabschiedet. Aber er hatte seine Geheimnisse. Wie sie selbst auch.

3. KAPITEL

Dani Buchanan liebte alles an ihrem Job. Als Assistentin des Küchenchefs hatte sie die Aufgabe, die Bestellung der Lebensmittel zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass das Küchenpersonal pünktlich zum Dienst erschien. Außerdem war sie die Schnittstelle zwischen dem vorderen Bereich des Lokals, dem Speisesaal, und dem hinteren Bereich, der Küche. Abends koordinierte sie das Servicepersonal und sorgte dafür, dass die richtige Bestellung zur rechten Zeit an den entsprechenden Tisch kam.

Da Pennys Entbindungstermin näher rückte, verbrachte sie immer weniger Zeit im Restaurant, was für Dani mehr Verantwortung bedeutete. Doch statt es als Belastung zu empfinden, lebte Dani richtiggehend auf. Sie liebte die Herausforderungen ihrer Arbeit, bei der kein Tag wie der andere war. Sie genoss es, mit Köchen zusammenzuarbeiten, die kein Blatt vor den Mund nahmen und denen sie bewiesen hatte, dass sie nicht gleich bei jedem derben Witz errötete. In der Küche des „Waterfront“ war sie eine Angestellte wie jede andere. Nicht Pennys Schwägerin und keine der berühmten Buchanans. Sie wurde an dem gemessen, was sie leistete, und an nichts anderem.

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