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Neue Liebe in Sunshine Valley

Was ist schlimmer als niemals den richtigen Mann zu treffen? Ihn bereits zu kennen und jeden Tag mit ihm zusammenzuarbeiten, ohne dass er Notiz von einem nimmt. Brooke könnte verzweifeln: Ihr attraktiver Chef Declan ist auf beiden Augen blind und kennt nur seine Arbeit. Bis ein Roadtrip entlang der amerikanischen Westküste alles verändert und Brooke ihrem Chef beizubringen versucht, dass das Leben aus mehr als nur Arbeit besteht.

Was sie nicht ahnt: Declan ist für Brookes Reize durchaus empfänglich …

"Candis Terry zu lesen, ist ein absolutes Vergnügen. Ich habe gelacht, geseufzst und mich verliebt."

Jill Shalvis, NYT-Bestsellerautorin

"Candis Terry schreibt über die große Liebe, die wir alle suchen. Und sie gibt dir den Glaube an eben diese Liebe zurück."

A Tasty Read Book Reviews, goodread

"Wenn Sie nach einer romantischen Geschichte mit einer frechen, selbstbewussten Heldin und einem sexy Helden suchen, kann ich die Serien von Candis Terry definitiv empfehlen. Ein charmantes, leichtfüßiges und witziges Lesevergnügen."

Fictionfare


  • Erscheinungstag: 11.09.2017
  • Aus der Serie: Sunshine Valley
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 352
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955766832
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Dieser Roman ist für meine Leserinnen und Leser. Danke, dass ihr meine Bücher aufschlagt und meine Fantasiewelt in euer Leben lasst.

1. Kapitel

Declan Kincades Problem mit der Freizeit war, dass er einfach keine Zeit dafür fand.

Vom Fenster seines Büros in einem Hochhaus in Newport Beach aus betrachtete er den Sonnenuntergang, der sich auf den Wellen des Ozeans spiegelte. Unten am Strand packten die Sonnenanbeter wie beim Wachwechsel ihre Handtücher, Sonnencremes und Sonnenschirme zusammen und gingen nach Hause, während die Einheimischen sich ihre Surfbretter schnappten, um Strand und Wellen zu genießen. Auch wenn sich der Himmel im Juni häufig bedeckt zeigte, war der Frühsommer für die Südkalifornier die ideale Zeit, sich am Strand zu vergnügen, ehe Horden von Feriengästen die Strände und Bars bevölkerten.

Declan hatte im Grunde keine Ahnung, wie man sich heutzutage vergnügte. Genau genommen hatte er sich nicht mehr richtig amüsiert, seit … verdammt, er konnte sich nicht einmal erinnern. Er hatte die letzten acht Jahre fast nonstop an seiner Karriere gebastelt und seine Finanz- und Investmentberatung hier in Südkalifornien aufgebaut. Und als hätte er nicht ohnehin zu viel zu tun, dachte er seit einer Weile über eine Zweigniederlassung in Chicago nach.

Er wollte sich nicht beschweren, aber … in letzter Zeit spürte er, dass die viele Arbeit ihren Tribut forderte. Er war jetzt 33 Jahre alt, und es kam ihm vor, als wäre seine Jugend vergangen, ohne dass er irgendwelche bedeutsamen Erfahrungen gemacht hatte. Der tragische Tod der Eltern vor einigen Monaten hatte ihm vor Augen geführt, dass das Leben verdammt schnell zu Ende sein konnte und man das Beste daraus machen sollte, ehe es zu spät war. Aber es war schwierig, solchen Gedanken auch Taten folgen zu lassen.

Mit den Händen in den Taschen seiner maßgeschneiderten Hose trat er noch näher an das Fenster heran und wippte auf seinen teuren, schwarzen Oxfords auf und ab. Wie schön wäre es, jetzt am Newport Pier entlangzuschlendern und die frische Seeluft einzuatmen. Er stellte sich vor, wie die Wellen gegen die mächtigen Pfeiler der Seebrücke krachten und er zusah, wie die Fischer ihren Tagesfang einbrachten, während die Möwen kreischend über ihnen kreisten und auf Abfälle hofften. Er stellte sich vor, wie er in eine der Austernbars einkehrte, um ein kühles Bier zu trinken und die Ruhe zu genießen, während die letzten Bikini-Schönheiten zu ihren Autos gingen. Stattdessen würde er auch diesen Abend in seinen schlichten weißen Büroräumen verbringen und einen Geschäftstermin wahrnehmen, der in … Er blickte auf seine Citizen-Signature-Uhr am Handgelenk … vier Minuten beginnen sollte.

Es genügte ihm nicht mehr, sich das Leben nur vorzustellen. Er hatte einen Punkt erreicht, an dem er mehr brauchte. Etwas … anderes. Er musste am Leben teilnehmen und es nicht nur von der Seitenlinie aus beobachten. Das Problem war, er hatte vergessen, wie das ging.

Die Leute am Strand, die er von hier oben sehen konnte, kämpften bestimmt auch täglich mit Problemen, und doch hatten sie einen Weg gefunden, Spaß und Verantwortung so in Einklang zu bringen, dass sie das Leben genießen konnten.

Wann hatte er aufgehört, das zu versuchen?

Ihm war immer alles schwerergefallen als seinen vier Brüdern. Bevor er in der siebten Klasse erfahren hatte, dass er Legastheniker war, waren die Schuljahre ziemlich schwierig für ihn gewesen. Frustrierend. Während Jordan, sein Zwillingsbruder, die Hausaufgaben in Windeseile erledigt hatte, damit er nach draußen stürmen und spielen konnte, hatte Dec stundenlang am Küchentisch gesessen und mit jedem Wort, jeder Zahl gekämpft.

Damals hatte er das Gefühl gehabt, anders zu sein, ein Außenseiter, obwohl er körperlich gesehen durchaus mit seinem Bruder mithalten, wenn ihn nicht sogar übertrumpfen konnte. Vielleicht hatte er sich schon damals unbewusst von denen zurückgezogen, die ihm eigentlich am nächsten standen. Hatte Abstand zu den Menschen gehalten, denen er so gern ähneln wollte. Die nicht so hart daran arbeiten mussten, einfach nur … normal zu sein.

Nachdem er auf Legasthenie getestet worden war, hatte man ihm eine Lernmethode beigebracht, die ihm weiterhalf. Er war nicht von Natur aus superschlau. Er musste hart daran arbeiten, sich und allen anderen zu beweisen, dass seine Lernbehinderung ihn nicht sein ganzes Leben lang einschränken würde. Diese Herausforderung hatte ihn zu dem Mann gemacht, der er heute war. Ein erfolgreicher Geschäftsmann, der in Herzensangelegenheiten hinterherhinkte.

Wenn er müde war, hatte er auch jetzt noch Probleme mit dem Schreiben, aber er hatte gelernt, sich durchzubeißen. Sein Leben lang hatte er hart arbeiten müssen, wirklich hart, um dazuzugehören. Trotzdem war es ihm nie so richtig gelungen. Als Ersatz dafür hatte er sich auf Job und Karriere fokussiert.

Das war seine Art der Genugtuung.

Seine Belohnung.

Schon früh war ihm klar: Wenn er sich und allen anderen beweisen wollte, dass er mithalten konnte, dann musste er auf dem Gebiet Erfolg haben, das ihn am meisten herausforderte. Nur war ihm nicht bewusst gewesen, dass er dabei alle anderen wichtigen Dinge im Leben vernachlässigen würde.

Hinter ihm wurde die Bürotür geöffnet.

„Sie sind da. Bist du bereit?“

Er drehte sich um, statt einfach nur zu nicken. Während der letzten vier Jahre hatte er diese leicht raue weibliche Stimme wohl eine Million Mal gehört, doch erst in letzter Zeit ließ sie seine Fantasie in verbotene Gefilde abdriften. Grund dafür war die Bemerkung, die sein Zwillingsbruder neulich über Decs Assistentin gemacht hatte.

Sie ist verdammt heiß.

Nicht dass Declan die üppige Sanduhrfigur, die langen Beine und die dunklen braunen Augen von Brooke Hastings vorher nicht bemerkt hätte.

Natürlich hatte er das.

Seine Libido funktionierte einwandfrei.

Es war auch nicht so, dass ihr fröhliches Naturell ihn nicht manchmal zum Lachen gebracht hätte, selbst in Situationen, die eigentlich zum Haareraufen waren. Und es war auch nicht so, dass er ihren hohen IQ nicht zu schätzen wusste oder ihre Fähigkeit, ihm geschäftlich den Arsch zu retten. Aber Brooke war seine Assistentin, der Mensch, der seine Karriere in der Spur hielt. Und selbst wenn sein seit Kurzem verlobter Bruder das Vergnügen über die Arbeit stellte, wusste Dec, dass es ein großer Fehler wäre, beides miteinander zu vermischen.

Trotzdem war Brooke im Laufe der Zeit sehr viel mehr geworden als nur eine Angestellte. Sie war der Grund, warum er jeden Morgen aufstand und zur Arbeit kam. Und seit ein paar Wochen sah er in ihr all das, was er immer gewollt hatte, aber niemals haben konnte.

„Dec?“ Brooke legte den Kopf leicht zur Seite. Ihr honigblondes Haar fiel ihr dabei wie ein Wasserfall auf die Schulter, die unter einer weißen Seidenbluse verborgen war. „Alles in Ordnung?“

Verdammt, nein, nichts war in Ordnung.

Obwohl er wusste, dass es falsch war, stellte er sich vor, wie sich dieses weiche, glänzende Haar an seinen Händen anfühlen würde, wenn er sie an sich reißen und ihr diesen verführerischen, eng anliegenden Rock über die Hüften schieben würde. Er stellte sich vor, ihren warmen, weichen Körper zu berühren, und wie wunderbar es wäre, sie die ganze Nacht in den Armen zu halten. Und er überlegte, wie herrlich es wäre, ihr Lachen zu hören, wann immer er wollte, oder wenn sie ihn noch öfter mit diesen süßen Grübchen anstrahlte.

Er musste diesen Gedanken Einhalt gebieten, die sich wie eine schlechte Eigenschaft eingeschlichen hatten, ehe sie zu einem echten Problem wurden. Brooke war viel zu wichtig für ihn, als dass er die gute Arbeitsbeziehung, die sie während der vergangenen vier Jahre aufgebaut hatten, aufs Spiel setzen würde.

„Dec? Bist du bereit für das Treffen mit den Flavios?“ Declan musste blinzeln, um seine Augen von den üppigen Kurven loszureißen, die Brookes schlichte Bluse aussehen ließen wie etwas, das entfernt werden musste.

Langsam.

Knopf für Knopf.

Mit den Zähnen.

Verdammt.

„Ja.“ Er holte tief Luft, aber auch das half nicht gegen die verführerischen Bilder, die sein Kopfkino lieferte. „Bring sie rein.“

„Bist du sicher?“ Noch einmal neigte sie den Kopf und sah ihn an, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank. In letzter Zeit hatte sie ihn öfter so gemustert.

„Ja, alles gut. Machen wir uns an die Arbeit.“

Ehe sie in die Lobby verschwand, um die Klienten zu holen, schenkte sie ihm ein Lächeln, das ihre perfekten Grübchen zur Geltung brachte. Seit vier verdammten Jahren sah er diese Grübchen Tag für Tag. Wieso verspürte er jetzt auf einmal das dringende Bedürfnis, seine Lippen daraufzupressen, um anschließend mit der Zunge langsam über ihren langen, zarten Hals zu gleiten?

Bisher war er nie auf die Idee gekommen, er könne eine masochistische Ader haben, aber angesichts dieser abwegigen Gedanken war es durchaus möglich.

Ehe er weiter darüber nachgrübeln konnte, wurden James und Josh Flavio von Brooke in sein Büro geführt. Das Vater-Sohn-Duo brauchte eine Investment-Beratung, da die beiden planten, ein Strandrestaurant im Karibik-Stil zu errichten. Es sollte ein weiterer Baustein in ihrem wachsenden Gastronomie-Unternehmen werden.

„Meine Herren.“ Declan streckte die Hand aus. „Willkommen.“

Nachdem sie die üblichen Begrüßungsfloskeln ausgetauscht hatten, deutete Declan zur Konferenzecke. Die Männer nahmen Platz und Dec beobachtete, wie Brooke sich auf einen Lederstuhl am Ende des Granittisches setzte und die Beine übereinanderschlug.

Ihre nackten, gebräunten, weichen und wohlgeformten Beine.

Die schwarzen Sandalen mit den hohen Absätzen hätten auch zu einer Domina gepasst und machten ihn echt an. Was nicht heißen sollte, dass er auf dieses Fifty Shades of Grey – Zeug stand, aber er hätte absolut nichts dagegen, Brooke in einem kleinen schwarzen Teil aus Spitze und Leder zu sehen.

Als sie den Aktenordner auf dem Tisch öffnete, bemerkte er einmal mehr ihre schlanken Finger und den hellrosa Nagellack. Letzte Woche hatten ihre Nägel in einem Tiffany-Blau gestrahlt. Die Woche davor waren sie blutrot gewesen. Und in der letzten Nacht hatten diese bunten Fingerspitzen die Hauptrolle in einem Traum gespielt, aus dem er heiß, verschwitzt und ziemlich geil aufgewacht war.

Ein filigraner, weißgoldener Ring zierte ihre rechte Hand und ein silbernes Armband mit einem kleinen Talisman, auf dem Furchtlos stand, ihr linkes Handgelenk.

Von vielen gemeinsamen Geschäftsessen und Mittagspausen wusste er, dass sie ihr Sandwich lieber mit Hühnersalat als mit Ei aß, Steak am liebsten halb durchgebraten mochte und Caesar Salad einem Gartensalat vorzog. Er wusste, dass sie mit dem rechten Fuß zu einer Musik in ihrem Kopf wippte, wenn sie die Beine übereinanderschlug. Und wenn sie besonders konzentriert war, tippte sie sich mit dem Stift gegen die weichen Lippen. Außerdem wusste er, dass sie sich, wenn abends alle anderen außer ihm schon Feierabend gemacht hatten, die Schuhe von den Füßen streifte und barfuß weiterarbeitete.

Was er nicht wusste, war, was sie furchtlos machte, wie der Talisman an ihrem Armband behauptete.

Extremsport? Das Überwinden von Ängsten? Risikobereitschaft? Warum wusste er das nicht? Und warum fragte er sich das ausgerechnet jetzt? Schließlich gab es weitaus wichtigere Dinge, über die er nachdenken musste. Er hatte Klienten an seinem Konferenztisch sitzen, die darauf warteten, dass er sich in das Finanzgenie verwandelte, dem sie viel Geld bezahlten. Außerdem waren seine Eltern vor nicht einmal drei Monaten gestorben, und er kämpfte mit seinen Brüdern darum, das Weingut der Familie am Laufen zu halten. Und er steckte knietief in den Plänen, ein Büro in Chicago zu eröffnen.

Und was machte er? Statt sein Augenmerk auf das Wesentliche zu richten, verschlang er seine Assistentin mit Blicken, als wäre sie ein köstliches Fünf-Sterne-Gericht.

Zur Hölle mit seinem verdammten Zwillingsbruder.

Das war alles Jordans Schuld.

Vier Jahre lang hatte Declan sich auf die Arbeit konzentriert und die Finger von Brooke gelassen. Aber das weiterhin durchzuhalten fiel ihm von Tag zu Tag schwerer.

Abgesehen von der Tatsache, dass er ohne Brooke verloren wäre, wusste er eigentlich nicht viel über sie. Was tat sie zum Beispiel in ihrer Freizeit, wo war sie geboren, wie war sie aufgewachsen? Er wusste nicht, ob sie allein lebte, einen Mitbewohner hatte oder mit ihrem Freund zusammenlebte. Verflixt, er wusste nicht einmal, ob sie einen Freund hatte.

„Soll ich Protokoll schreiben?“

Aus seinen Tagträumen gerissen, hob Dec ruckartig den Kopf. „Was?“

Brooke verzog die Lippen zu einem koketten Lächeln. Okay, vielleicht war es auch nur ein ganz normales Lächeln. Aber zu dem, was er gerade gedacht hatte, passte kokett besser.

„Ich habe gefragt, ob ich Protokoll schreiben soll.“

„Meine Herren?“ Er blickte zu den beiden Männern am Tisch. „Was meinen Sie?“

„Josh kann sich Notizen machen“, sagte der Vater.

„Ich übernehme das gerne für Sie.“ Brooke lächelte. „Dann können Sie sich auf das Gespräch konzentrieren.“

„Das wäre nett“, antwortete Mr. Flavio.

„Wollen wir dann beginnen?“ In diesem Moment machte Dec den Fehler, noch einmal zu Brooke zu schauen. Als sie nach ihrem Laptop griff, erhaschte er einen Blick auf den Ansatz ihrer Brüste, der sich zwischen den geöffneten Blusenknöpfen abzeichnete. Und als sie dann auch noch mit der Zungenspitze über ihre Unterlippe glitt, entglitt ihm alles. Er konnte nur noch daran denken, wie gern er diese Lippen küssen würde.

Er wusste, seit wann er Brooke in einem anderen Licht sah, aber er verstand nicht, warum er seine erotischen Gedanken nicht unter Kontrolle bringen konnte. Bisher war er stets die Selbstbeherrschung in Person gewesen. Es war auch keine Ewigkeit her, dass er zuletzt Sex gehabt hatte. Und selbst wenn dies der Fall wäre, gab es andere Frauen, die dieses Bedürfnis befriedigen konnten.

Nur eins war in diesem ganzen Durcheinander sicher. Sobald er zurück zum Weingut fuhr, würde er seinen Bruder verprügeln – einen Schlag für jeden verrückten Gedanken, den er Dec in den Kopf gepflanzt hatte.

Irgendwas machte ihm zu schaffen.

Brooke schrieb Protokoll, während Declan die Besprechung auf die übliche kluge, professionelle Art führte, die er beherrschte, seit sie sich erinnern konnte.

So war er: cool, selbstbewusst und richtig gut in allem, was er tat. Erst in letzter Zeit schien er oft abgelenkt. Gereizt. Manchmal sogar schlecht gelaunt. Früher hatte er sie nie angemotzt, doch in den letzten Wochen war das zu seiner bevorzugten Art der Kommunikation geworden. Die Fragen und Sorgen der Flavios nahm er ernst, erteilte hervorragende Finanzratschläge. Aber auch jetzt war da etwas in dem Blick aus den tiefblauen Augen, das sie verwirrte.

Sie arbeitete jetzt so lange mit ihm zusammen, dass sie spürte, wenn etwas nicht in Ordnung war. Wenn er die Brauen zusammenzog und sich die Spannung in kleinen Fältchen an seinen Augenwinkeln zeigte. Früher aber hatte dieser Blick nie ihr gegolten. So intensiv hatte er sie nicht angesehen.

Hatte sie etwas falsch gemacht?

Vielleicht hätte sie sich letzte Woche doch lieber nicht krank melden sollen, als ihr so übel gewesen war. Dummerweise war das Sandwich aus dem kleinen Laden um die Ecke schlecht gewesen. Sie fehlte nie im Büro, aber dieses Mal hing sie mit dem Kopf über der Schüssel; es ging einfach nicht anders. Ihr übereilter Griff ins Kühlregal und die Missachtung des Verfallsdatums hatten dazu geführt, dass sie eine wichtige Besprechung versäumt hatte. Als sie am nächsten Tag wieder zur Arbeit gekommen war, schien Dec auf Distanz gegangen zu sein.

Vielleicht dachte er, sie hätte Läuse oder sei ansteckend. Oder vielleicht war er mit ihrer Arbeit nicht mehr zufrieden.

Nein. Das konnte nicht sein.

Sie analysierte nicht nur Dokumente, bereitete Berichte vor und beaufsichtigte die Sekretärinnen, sondern kümmerte sich auch um Geschenke für neugeborene Babys oder verdiente Kollegen. Sie war ein unverzichtbarer Teil des Teams. Als Assistentin des Geschäftsführers war sie weit mehr als ein Tippse, die nur Nachrichten entgegennahm und Termine organisierte. Sie sorgte dafür, dass Decs Tage und Termine reibungslos abliefen. Und sie hatte dazu beigetragen, dass sein Unternehmen einer der Top-Finanzdienstleister in Südkalifornien geworden war. Noch nie hatte sie von ihm Kritik oder gar eine schlechte Beurteilung bekommen.

Trotzdem, Arbeitnehmer ahnten ja selten, wann das Beil niedersausen würde. Vor allem, wenn sie glaubten, einen guten Job gemacht zu haben.

War sie kurz davor, gefeuert zu werden?

Bitte nicht. Sie hatte gerade einen Tauchurlaub in Costa Rica gebucht. Da konnte sie es sich nicht leisten, ihren Job zu verlieren. Andererseits gab es dafür ohnehin keinen richtigen Zeitpunkt.

Eine an sie gerichtete Frage ihres Chefs zwang sie, ihre Sorgen fürs Erste beiseitezuschieben und das zu tun, wofür der Mann sie bezahlte.

Während sich die Besprechung mit den Flavios hinzog, mühte Brooke sich, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Mit jeder Sekunde wurde sie nervöser, weil sie sich fragte, was in Decs vielschichtigem Gehirn vor sich ging. Dass sie sich so ablenken ließ, machte ihr Angst. Bisher hatte sie sich noch nie während der Arbeitszeit ablenken lassen.

Moment. Wenn sie ehrlich war, entsprach das nicht ganz der Wahrheit.

Sie ließ sich häufig von ihrem Chef – ihrem fantastischen Chef – ablenken, diesem stets perfekten Gentleman. Der nie andere Absichten hatte erkennen lassen als die, gute Arbeit zu leisten. Er hatte ihr nie einen Blick zugeworfen, der über das Berufliche hinausging. Hatte nie unanständige Witze gerissen oder einen Annäherungsversuch gewagt.

Obwohl sie durchaus offen dafür gewesen wäre.

Er arbeitete zu hart, und ja, er schien ein wenig steif und reserviert, aber das rief in ihr nur den Wunsch hervor, ihn näher kennenzulernen. Um herauszufinden, welche Knöpfe man bei ihm drücken musste, damit er ein bisschen lockerer wurde. Er zeigte eine derartige Leidenschaft für die Finanzwelt und seine Firma, dass er bestimmt auch außerhalb der Büromauern zu Leidenschaft fähig war. Oder war das nur Wunschdenken?

Ein schrecklicher Gedanke schoss ihr durch den Kopf.

Was, wenn ihre Verliebtheit zu offenkundig gewesen war? Wenn er sich unwohl fühlte, weil sie sich manchmal zu sehnsüchtigen Blicken in seine Richtung hinreißen ließ? So wie jetzt. Wie entspannt er auf seinem Stuhl saß, wie selbstbewusst und mächtig er wirkte! Was, wenn ihr gänzlich unbeabsichtigt die Fantasien von seidenen Laken ins Gesicht geschrieben standen?

Nein. Das konnte nicht sein. Es war ja nicht so, dass sie angefangen hätte zu sabbern. Sie war immer vorsichtig gewesen.

Hoffentlich.

Vielleicht.

Sie blickte von der Tastatur auf und sah zu, wie er die Besprechung zu Ende brachte. Es lag mehr an seinem Verstand, dass er die Geschäftstermine stets mit so viel Präsenz beherrschte, als daran, dass er mit seinen fast schwarzen Haaren und den blauen Augen so gut aussah. Er war geschickt und clever, und die Flavios sogen jedes seiner Worte so auf, als wäre er eine Art Finanz-Halbgott. Brooke vergötterte ihn ebenfalls, aber für sie war er eher eine Art sexy Superhero, auch wenn sie ihn nie anders als im Anzug zu Gesicht bekommen hatte. Die dunkelblaue Krawatte, die er heute trug, passte perfekt zu seiner Augenfarbe. Er hatte wirklich erstaunliche Augen. Vor allem, wenn er lächelte. Was, genau genommen, nicht allzu häufig vorkam.

Ohne dass sie es wollte, meldete sich ihr furchtloses Alter Ego. Wie wäre es wohl, wenn sie ihm ein befriedigtes Lächeln auf diese sinnlichen Lippen zaubern könnte? Oder wenn sie ihn mit dieser blauen Seidenkrawatte fesseln würde. Was für ein Lächeln konnte sie ihm wohl entlocken, wenn sie dann seinen Körper erkundete? Mit der Zunge?

Ein kleiner Seufzer entschlüpfte ihr, und Dec bedachte sie mit einem düsteren Blick.

Oh ja.

Es bestand kein Zweifel mehr. Irgendetwas war definitiv nicht in Ordnung.

Als die Männer aufstanden und damit das Ende der Besprechung andeuteten, klickte Brooke auf ihrem Laptop auf Drucken. Perfektes Timing. So lief sie nicht Gefahr, ihre unangemessenen Gedanken in noch gefährlicheres Fahrwasser zu lenken.

„Ich hole das Protokoll schnell aus dem Drucker.“ Sie stand auf und spürte sofort Decs hitzigen, missbilligenden Blick.

Ihre Hände zitterten, als sie die Seiten aus dem Drucker nahm, und sie überlegte, ob sie wohl die Vorauszahlung zurückbekam, die sie für den Urlaub hatte leisten müssen. Sie hätte das Kleingedruckte genauer lesen sollen. Welch Glück, dass sie noch nicht den kompletten Preis bezahlt hatte. Sie hatte zwar einiges gespart, sodass kein allzu großes Loch in ihr Konto gerissen wurde, aber damit wollte sie eigentlich ihre eigenen beruflichen Träume und Sehnsüchte verwirklichen. Auch wenn sie gern für Dec arbeitete, wollte sie nicht für immer seine Assistentin bleiben. Egal, wie sehr er ihr Blut in Wallung brachte.

Dec hatte ihr Mut gemacht, an sich selbst zu glauben. Er bezahlte sie gut, gab ihr hervorragende Finanz-Tipps, und da sie sich ein Haus mit ihrem besten Freund teilte, war auch ihre Miete nicht astronomisch hoch. Sie war auf dem besten Weg in eine glorreiche Zukunft. Aber ohne den Job wären ihre Ersparnisse schnell dahin, und ihr Traum, eines Tages selbst ein Unternehmen zu leiten, würde sich ebenfalls in Luft auflösen. Zudem wäre sie wirklich traurig, wenn sie nicht länger jeden Tag ins Büro kommen und Dec hinter seinem großen, eleganten schwarzen Schreibtisch sehen könnte.

Während ihr all das durch den Kopf schwirrte, holte sie tief Luft, klopfte die Seiten mit dem Protokoll zu einem ordentlichen Stapel zusammen und ging in Decs Büro zurück. Er schenkte ihr einen düsteren Blick. So wie es aussah, würde ihr Arbeitstag nicht halb so gut enden, wie er begonnen hatte.

Vor allem, weil sie heute Morgen beim Aufwachen noch einen Job hatte.

Brooke schob eine Kopie des Gesprächsprotokolls in einen Umschlag und reichte ihn Mr. Flavio. Die andere Kopie behielt sie in der Hand, um sie abzuheften, ehe sie nach Hause ging, wahrscheinlich joblos und mit gebrochenem Herzen. Oder bildete sie sich das alles nur ein? Vielleicht galten Decs böse Blicke gar nicht ihr. Vielleicht stand er einfach nur zu sehr unter Druck, und sie befand sich zufällig in der Schusslinie.

„Meine Herren“, sagte sie. „Wenn so weit alles geklärt ist, bringe ich Sie gern zur Tür.“

Die beiden Flavios schüttelten Dec die Hand und folgten Brooke hinaus.

„Brooke?“ Sie drehte sich zu ihrem Chef um und sah, dass er die Lippen zu einer grimmigen Linie zusammengepresst hatte. „Sobald du die Herren Flavio hinausbegleitet hast, komm doch bitte wieder in mein Büro.“

„Natürlich.“

Auf dem Weg zurück in Decs Zimmer klopfte ihr Herz wie das eines verängstigten Hasen. Mit dem Protokoll in der Hand klopfte sie an seine Tür.

„Herein.“ Decs knappe Antwort war für sie Beweis genug, dass sie tatsächlich Grund zur Sorge hatte.

Obwohl alle Kollegen bereits Feierabend gemacht hatten, schloss sie die Tür hinter sich. Das miese Karma musste nicht unbedingt nach draußen dringen. Es machte auch keinen Sinn, darauf zu warten, dass das Beil niedersank. Es war an der Zeit, die Sache und die Frage nach ihrem Job selbst in die zitternde Hand zu nehmen.

Der Mann, der über ihre unmittelbare Zukunft entscheiden würde, starrte mit angespannten Schultern, die sich deutlich unter seinem Hugo-Boss-Anzug abzeichneten, hinunter auf den Strand. Mit keiner Regung ließ er erkennen, dass er ihre Rückkehr registriert hatte.

Jetzt reichte es.

„Willst du mich feuern?“

Er fuhr mit dem Kopf herum und starrte sie mit seinen blauen Augen an. „Was?“

„Willst du mich entlassen?“ Sie umklammerte das Protokoll fester, stemmte die Hände in die Hüften und hob das Kinn. „Falls ja, werde ich kämpfen. So einfach lasse ich mich nicht um meinen Job bringen. Ich habe hart gearbeitet. Und du würdest lange suchen, ehe du jemanden findest, dem die Firma so am Herzen liegt wie mir.“

„Wovon redest du?“ Er trat vom Fenster weg und machte einen Schritt auf sie zu, bis er zurückzuckte, als hätte ihn eine Hitzewelle getroffen. „Ich will dich nicht feuern.“

Sie blinzelte. „Nicht?“

„Nein, wieso sollte ich?“

Erleichtert ließ Brooke die Hände sinken. „Wieso schaust du mich dann die ganze Zeit so böse an?“

„Was mache ich?“

„Du schaust mich böse an.“ Sie nickte. „Jetzt zum Beispiel.“

„Natürlich schaue ich dich böse an. Oder eher beunruhigt. Weil ich glaube, dass du verrückt geworden bist. Oder in der Mittagspause ein Gläschen zu viel hattest.“

Sie schnappte nach Luft. „Ich trinke nicht während der Arbeitszeit.“

„Vielleicht solltest du das mal. Das würde dich ein bisschen lockerer machen.“

„Das sagt der Richtige.“

Schon wieder dieser Blick. „Willst du sagen, ich sei zu verkrampft?“

War dem Mann etwa nicht klar, dass verkrampft sein zweiter Vorname war?

„Jedenfalls habe ich mich während der ganzen Besprechung gefragt, warum du mich feuern willst.“

„Das ist nicht dein Ernst.“

„Mein voller Ernst.“

„Ist es so schwierig, für mich zu arbeiten?“

„Hin und wieder bringst du mich tatsächlich fast so weit, dass ich mich zum Lunch betrinke.“ Sie versuchte witzig zu klingen, was ihr aber nicht wirklich gelang. „Aber ich hatte schon schlimmere Chefs. Immerhin erwartest du nicht, dass ich die Klos putze.“

„Ich glaube, das steht nicht in deiner Jobbeschreibung.“

„Gut. Denn da hätte ich definitiv die Grenze gezogen.“

„Wie kommst du bloß darauf, dass ich dich feuern will?“ Er ging zurück zum Schreibtisch. Seine großen Hände glitten über die Lehne seines Chefsessels und krallten sich in das Leder. „Es sei denn, es gäbe einen Grund, den ich nicht kenne.“

Sie schnalzte kurz mit der Zunge. „So misstrauisch, Boss?“

„Sollte ich?“

„Vertraust du mir oder nicht?“

Er zögerte, und eigentlich wollte Brooke seine Antwort gar nicht hören. Wie skeptisch er sie ansah! Vertrauen war bei ihrem Chef sicher nicht die ausgeprägteste Eigenschaft. Bevor sich sein Argwohn wie eine dunkle Wolke im Raum ausbreitete, machte sie einen Versuch, die Stimmung ein wenig aufzuheitern.

„Vielleicht hast du recht“, sagte sie. „Vielleicht war das alles nur ein Trick, um eine Gehaltserhöhung auszuhandeln.“

„Die solltest du auf jeden Fall einfordern.“ Er schien zu erkennen, dass sie Spaß machte, und zeigte es mit einem kleinen Lächeln. „Perfektes Timing.“

Ein köstlicher Schauer rieselte ihr über den Rücken. Doch nicht sein Lächeln war schuld daran. Vielmehr wurde dieses lustvolle Empfinden von dem Blick hervorgerufen, den er langsam über ihren Körper wandern ließ. So, als würde er überlegen, ob er eine Probefahrt mit einem schnittigen Sportwagen unternehmen sollte.

Bildete sie sich schon wieder etwas ein?

Da sie sowieso schon mit dem Feuer spielte, wagte sie sich einen Schritt weiter vor.

„Ich werde nicht betteln, das tue ich nie.“ Sie beobachtete ihn, als sie hinzufügte: „Jedenfalls fast nie.“

Sein Gesichtsausdruck blieb zwar angespannt, aber seine Augen glänzten auf einmal gefährlich heißblütig. Als er sich räusperte und die Hand ausstreckte, fragte Brooke sich, wie weit sie noch gehen konnte.

„Ist das das Protokoll?“ Er nickte kurz.

„Oh.“ Sie blickte hinab, als sie die Hand ausstreckte, um ihm die Papiere zu reichen. „Hätte ich fast vergessen.“ Wahrscheinlich würde sie für diese kleine Notlüge in die Hölle kommen. Oder vielleicht bescherte ihr auch das, was sie jetzt vorhatte, ein Ticket nach unten.

Sie öffnete die Finger ein wenig und ließ wie aus Versehen ein paar Seiten auf den Boden fallen. Als sie sich bückte, um sie aufzuheben, sah sie zu, dass sie Dec möglichst tiefe Einblicke gewährte. Zu ihrem schamlosen Entzücken folgte sein Blick jeder ihrer Bewegungen … glitt über sie wie warmer Honig, der über ihren Kurven zu schmelzen schien.

Dec hatte sie noch nie so angesehen, und es gefiel ihr weitaus besser als die Blicke der letzten Zeit. Auch wenn er nicht vorhatte, sie zu entlassen, wusste sie immer noch nicht, was mit ihm los war.

Der Mann verstand sich gut darin, seinen weichen Kern zu verstecken, doch Brooke war ebenso gut darin, winzige Details wahrzunehmen. Es waren die kleinen Taten, die zeigten, dass er ein großes Herz hatte. Die überraschende Zahlung eines Bonus an Andrea aus der Personalabteilung zum Beispiel, als ihr Mann sich das Bein auf der Baustelle gebrochen hatte, drei Monate nicht arbeiten und somit nichts zum Familieneinkommen beitragen konnte. Oder Decs Engagement für verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen.

Aber wie weit durfte sie sich auf die persönliche Schiene begeben, ehe er entweder Gas gab oder auf die Bremse trat?

War sie bereit, alles zu riskieren, um es herauszufinden?

„Tut mir leid.“ Als sie ihm die aufgesammelten Protokoll-Seiten reichte, berührten sich ihre Finger, und seine Augen leuchteten wieder auf.

Das war zwar noch kein Beweis, dass er mehr in ihnen beiden sah als Chef und Angestellte, aber es kam ihr vor, als würden sie direkt an der Klippe stehen. Genug Grund, nicht gleich aufzugeben.

Nachdem Dec kurz auf das Protokoll geblickt und es dann auf den Schreibtisch gelegt hatte, fragte sie: „Da der Gang zum Arbeitsamt für mich nun doch nicht ansteht, frage ich mich, weshalb du mich eigentlich sprechen wolltest?“

Er sah auf und war wieder ganz der alte Declan Kincade, der nichts als Arbeit im Sinn hatte.

„Ich weiß, dass es eine Belastung für dich war, hier die Stellung zu halten und mich zu vertreten, nachdem meine Eltern gestorben waren. Dafür wollte ich mich bedanken.“

„Das brauchst du nicht.“ Sie fragte sich, ob er ahnte, wie sehr der Schmerz sich in seinem schönen Gesicht spiegelte, wenn er vom Verlust seiner Eltern sprach. Oder wie sehr sie sich wünschte, ihm diesen Schmerz abnehmen zu können, damit er wieder lächelte. „Das alles war für dich und deine Familie sicher schwer.“

„Es war nicht einfach. Und es wird auch noch nicht besser. Ryan meint, ich müsste so schnell wie möglich hochkommen.“

Brooke kannte zwar keine Details, aber sie hatte gespürt, dass in Decs Familie weit mehr vor sich ging als bei Todesfällen üblich. Sie war froh gewesen, ihn unterstützen zu können. Und sie würde auch weiterhin alles tun, um es für ihn leichter zu machen. Plötzlich kam sie sich albern und lächerlich vor, weil sie nur an sich und ihren Job gedacht hatte und daran, wie er sie ansah. Dabei galt seine Sorge einzig seinen Geschwistern und dem Familienerbe.

„Wie kann ich helfen?“, fragte sie.

„Wir haben für die nächsten zwei Wochen ziemlich viele Termine im Kalender. Darunter einige, die wir schon mal verschieben mussten, weil ich bei meiner Familie war. Es wäre mir gar nicht recht, wenn ich sie schon wieder absagen müsste.“

„Ich bin sicher, dass deine Klienten Verständnis haben.“

„Darauf möchte ich es nicht ankommen lassen. Es wäre nicht fair, wenn sie ihre Finanzplanung wegen meiner Problemchen aufschieben müssten.“

„Aber es sind doch keine Problemchen, Dec. Und wer das nicht versteht, ist vielleicht nicht die Art von Klient, die du wirklich brauchst.“

„Ich wünschte, es wäre so einfach. Aber wir brauchen jeden einzelnen Klienten, wenn wir die Zweigstelle in Chicago eröffnen wollen.“

„Vielleicht ist es kein guter Zeitpunkt, das Projekt in Angriff zu nehmen, wenn du schon so viel anderes auf dem Zettel hast.“

„Das verstehst du nicht.“

Oh doch.

Sie wusste, dass dies für ihn die ideale Ablenkung war. Er brauchte etwas anderes, auf das er sich konzentrieren konnte. Etwas, das ihn von seinen Problemen und der Trauer um seine Eltern ablenkte.

Wie gern hätte sie selbst für seine Zerstreuung gesorgt, ihn dazu gebracht, dass er all seine Energie auf sie richtete. Aber sie verstand, was er meinte. Schließlich litt sie mit ihm. Und weil die winzige Möglichkeit bestand, dass sie vermutlich, höchstwahrscheinlich, auf jeden Fall und definitiv in ihn verliebt war, wollte sie in jeglicher Hinsicht für ihn da sein.

„Im Moment versuche ich einen Weg zu finden, wie ich meine Termine wahrnehmen und gleichzeitig bei meiner Familie sein kann.“ Sowohl seine Stimme als auch der angespannte Kiefer verrieten, unter welchem Stress er stand.

„Na ja …“ Eine Sekunde lang dachte sie über ihre Idee nach, ehe sie sie aussprach: „Ich könnte mitkommen.“

„Nein. Nicht nötig.“

Seine spontane Ablehnung tat weh, hielt sie aber nicht davon ab, einen weiteren Vorstoß zu wagen.

„Warum nicht? Wir könnten wie gewohnt arbeiten, während du dich zwischendurch um deine Familie kümmerst. Es wäre viel einfacher, als wenn du mich ständig anrufen und mit mir absprechen müsstest. Ich könnte Telefonkonferenzen per Skype mit deinen Klienten planen, damit du die Termine nicht verschieben musst. Ich wäre vor Ort und könnte mich wie gewohnt um alles kümmern.“

Eine ganze Weile schwieg er, schien über ihren Vorschlag nachzudenken. „Ich kann nicht von dir verlangen, dass du das tust.“

Das für mich sprach er nicht aus, doch sie hörte die Worte laut und deutlich.

Wie konnte sie diesem Mann begreiflich machen, dass sie alles für ihn tun würde, ohne allzu verzweifelt und aufdringlich zu wirken?

„Verlangen nicht. Aber ich biete es dir an. In meiner Jobbeschreibung steht nicht, dass ich nur hier im Büro arbeiten muss, oder?“

„Ich bezweifle, dass ich eine derartige Klausel in den Vertrag geschrieben habe.“

„Wenn es dort Internet gibt, brauche ich nur meinen Laptop und ein Telefon, und schon sind wir im Geschäft.“

Er musterte sie und wog ganz offensichtlich Pro und Kontra gegeneinander ab, obwohl er das Ganze für eine Schnapsidee hielt.

„Komm schon, Dec. Es ergibt doch total Sinn.“

Zu ihrer Erleichterung gab er nach. „Wenn du sicher bist, dass es sich nicht mit deinen Terminen überschneidet.“

„Deine Termine sind meine Termine“, sagte sie lässig. „Was macht es da für einen Unterschied, wo ich mich darum kümmere?“

Seine Schultern entspannten sich ein wenig. „Also gut. Könntest du noch die Flüge buchen, bevor du nach Hause gehst?“

„Kein Problem.“ Sie ging zu ihrem Laptop, der noch immer auf dem Konferenztisch stand, und öffnete ihren Browser. „Wann soll es losgehen?“

„So bald wie möglich.“

Sie klickte sich durch die Websites einiger Fluglinien, doch alle Flüge waren in den nächsten Tagen ausgebucht.

„Abgesehen von der Möglichkeit, per Standby zu fliegen oder einen Jet zu chartern, ist für die nächsten 48 Stunden nichts zu machen.“

„Überrascht mich nicht.“ Wieder ging er von seinem Schreibtisch zum Fenster und starrte mit den Händen in den Taschen nach draußen.

„Eine Idee hätte ich noch.“

Er drehte sich zu ihr um. „Und die wäre?“

„Wir fahren mit dem Auto.“

„Mit dem Auto?“ Ganz offensichtlich hielt er den Vorschlag für völlig aberwitzig.

„Sicher. Wie bewegst du dich normalerweise vor Ort fort?“

„Ich nehme mir einen Mietwagen.“

„Na also …“ Schnell checkte sie die Fahrtzeit und die Entfernung zu dem kleinen Ort Vancouver, der direkt an Portland angrenzte. „Wir würden ungefähr 15 Stunden brauchen. Du kannst natürlich auch deine Zeit damit verschwenden, am Flughafen auf einen Standby-Platz zu warten, oder ein Vermögen für ein gemietetes Charterflugzeug ausgeben. Du brauchst aber sowieso einen Wagen, wenn du angekommen bist, also ist es schneller, ökonomischer und eine vernünftige Alternative, wenn du selber fährst.“

Er verharrte völlig ausdruckslos und schweigend vor dem Fenster.

„Wenn du nicht so lang hinterm Steuer sitzen willst, kann ich dich auch ablösen. Ich schwöre, ich habe noch nie einen Strafzettel kassiert.“

„Ich glaube dir, dass du gut fährst.“

„Wo liegt dann das Problem?“

„Dass es eine lange Zeit ist. Im Auto.“

„Hast du Angst, dich zu langweilen?“

„Nein.“

„Hast du Angst, dass du dir den Hintern platt sitzt?“

„Nein.“

„Ha!“ Sie zeigte auf ihn. „Du hast gelächelt.“

„Nein, habe ich nicht.“

„Hast du wohl.“

Sein Blick verdüsterte sich, als sei es eine Sünde, etwas lustig zu finden.

„Sei doch realistisch, Dec. Mit dem Auto zu fahren ist eine vernünftige Alternative.“ Sie hatte sich weit genug vorgewagt und hoffte, dass er nachgab. „Ich will, dass du alles hast, was du brauchst. Das ist mein einziges Ziel.“

Selbst wenn das, was er wirklich brauchte, ihm noch gar nicht in den Sinn gekommen war.

2. Kapitel

Für Decs Geschmack zeigte sich die Sonne am nächsten Morgen viel zu früh am Horizont, denn er hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Seine Laken waren zerwühlt, sein Kopf schmerzte angesichts böser Vorahnungen, fast so wie bei einem Kater nach billigem Whiskey.

Normalerweise war er ein Frühaufsteher. Selbst am Wochenende kochte er Kaffee und schaute die Finanznachrichten im Fernsehen an, noch ehe der Wecker klingelte.

Doch heute war kein normaler Tag.

Heute erwartete ihn ein Desaster, das er sich selbst eingebrockt hatte. Wie es Brooke gelungen war, ihn zu überreden, mit dem Auto nach Vancouver zu fahren, war ihm immer noch schleierhaft. Eine derartige Aufregung hatte er nicht mehr verspürt, seit … Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, seit wann.

Gestern Abend wollte er unbedingt noch eine neutrale Meinung dazu hören, ob seine Pläne völlig abwegig waren. Oder völlig irre. Seine Brüder waren meilenweit weg und mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, trotzdem brauchte er jemanden, der ihn ein wenig beruhigte. Denn das Gefühl, wer weiß was angerichtet zu haben, machte ihn ziemlich fertig.

Kaum war Brooke in ihrem kleinen roten Wagen vom Parkplatz gefahren, hatte er den Bruder angerufen, den er für den vernünftigsten hielt.

Die Unterhaltung mit Ryan begann mit dem üblichen Small Talk über Geschäft und Familie. Dec erfuhr, dass Ryans kleine Tochter Riley schlecht schlief, weil Albträume sie quälten. Jordan und seine Verlobte Lucy bereiteten ihre Hochzeit vor, indem sie Hochzeitstorten durchprobierten. Ethan räumte den alten Schuppen aus – anscheinend auf der Suche nach irgendwelchen Schätzen. Parker teilte seine Zeit zwischen langen Arbeitstagen in seinem Food Truck und seinen Pflichten auf dem Weingut auf. Und ihre kleine Schwester Nicole, die vor Kurzem die Highschool abgeschlossen hatte, überlegte, nach Nashville zu gehen, um eine Musikerkarriere zu starten.

Dec fand, dass es für Nicki der denkbar schlechteste Zeitpunkt war, eine derartig gravierende Entscheidung zu treffen. Ihr ganzes Leben war gerade auf den Kopf gestellt worden. Nicht nur, dass sie ihre Mutter verloren hatte, der sie sehr nahegestanden hatte. Sie war noch immer aufgewühlt wegen einer Bemerkung, die ihr Vater direkt vor seinem Tod gemacht hatte. Eine Bemerkung, die Nicki glauben ließ, dass er sie nicht geliebt hatte und sie womöglich gar nicht seine Tochter war.

Je länger die Unterhaltung mit Ryan dauerte, desto klarer wurde Dec, wie wichtig es war, nach Hause zu fahren. Selbst wenn er dafür 15 Stunden im Auto verbringen musste, Ellenbogen an Ellenbogen mit seiner umwerfenden, köstlich duftenden Assistentin.

Am Ende des Telefonats fragte er Ryan wie nebenbei, ob er wohl in die Hölle käme, wenn er Brooke auf diese lange Autofahrt mitnahm. Sein großer Bruder hatte gelacht und nach kurzem Zögern eine unerwartete Antwort gegeben.

„Brüderchen, ich habe deine Assistentin gesehen. Und glaub mir, sie wäre eine Reise in die Hölle wert.“

Bei Licht besehen war Dec sich dessen nicht mehr so sicher.

Die ganze Nacht hatte er mit sich gerungen, ob er den Trip absagen sollte, sich dann aber doch dagegen entschieden. Jetzt hielt er vor Brookes Haus in einem Vorort von Orange County, einem schlichten Haus mit gepflegtem Rasen im Vorgarten. Und in der Einfahrt stand – direkt neben Brookes Honda – ein riesiger schwarzer SUV.

Verdammte Scheiße.

Bequemerweise hatte er den Gedanken ignoriert, Brooke könne mit jemandem liiert sein, der ihre Reise mit einem anderen Mann nicht gutheißen würde. Noch dazu mit ihrem Chef. Keine Frage, Decs erste Reaktion auf ihren Plan hatte die Grenze zwischen Arbeit und Vergnügen klar überschritten. Aber egal, was sein Bruder dachte, Brooke war seine wertvollste Angestellte.

Schluss. Aus. Ende.

Egal, wie lange er im Wagen sitzen blieb und die Gründe durchging, warum das Ganze eine schlechte Idee war, er konnte die Sache jetzt nicht mehr stoppen. Er musste zu seiner Familie. Entscheidungen mussten getroffen werden. Seine Firma musste vorangebracht werden. Und dafür brauchte er seine Assistentin. Dass sie mit ihm reiste, war nichts anderes, als wenn er sie tagtäglich im Büro sah. Er konnte seine lüsternen Gedanken unter Kontrolle halten. Konnte sein Verlangen nach ihr im Zaum halten. Egal, wie gut sie aussah, wie wunderbar sie duftete oder wie köstlich sie schmecken mochte.

15 Stunden waren doch Peanuts.

Er würde das schaffen.

Ehe er noch Gefahr lief, einen auf Hulk Hogan zu machen und anzufangen zu grunzen, ging er zur Haustür und klingelte. Als ein Mann die Tür öffnete, war er nicht überrascht.

Der Fremde auf der anderen Seite der Türschwelle war wie Dec gut 1,80 Meter groß, hatte kurz geschorene Haare, wirkte sportlich und war ganz offensichtlich verärgert.

Einen Moment lang standen sich Dec und der Mann gegenüber und musterten sich, ehe Dec sich vorstellte. Dass der andere darauf nichts erwiderte, konnte Dec ihm nicht verübeln. Hätte er eine Frau, die irgendein Kerl auf eine lange Fahrt in einen anderen Bundesstaat mitnehmen wollte, hätte er ganz sicher auch etwas dagegen.

Genau genommen würde er Nein sagen.

„Brooke, Schätzchen, dein Chef ist hier“, sagte der Mann schließlich, als könne er bis in Decs Seele blicken und wüsste von all den nicht gerade professionellen Gedanken, die dort zu finden waren.

Mist. Reiß dich zusammen, ermahnte Dec sich.

Krampfhaft bemühte er sich um eine seriöse Miene und wartete darauf, dass Brooke zur Tür kam. Ohne ein weiteres Wort mit Dec zu wechseln, verschwand der andere Typ im Haus. Als Brooke auftauchte, wich Dec unweigerlich einen Schritt zurück und musste sich kurz festhalten, um an seinen guten Vorsätzen festzuhalten.

Vier Jahre lang war Brooke mit einer Professionalität im Büro aufgetreten, die zu ihren schmal geschnittenen Röcken und den schlichten Blusen passte. Heute Morgen aber sah sie aus, als wäre sie einem Countrymusik-Video entsprungen. Ihr honigblondes Haar war frisch gewaschen und leicht zerzaust. Es fiel ihr in langen, sexy Locken den Rücken hinunter, statt wie zumeist zu einem Knoten zusammengebunden zu sein. Ein eng anliegendes weißes Tanktop betonte ihre perfekten Brüste. Um ihre schlanke Taille hatte sie eine rot karierte Bluse geknotet. Die langen, gebräunten Beine steckten in abgeschnittenen Jeans, die Füße in graublauen Sneakers.

Wenn er ihr Freund wäre, hätte er sie niemals in diesem Aufzug aus der Tür gelassen. Nicht, weil er ein Problem mit ihrem Look hätte oder jemals das Recht haben würde, ihr Kleidervorschriften zu machen. Nein, er wäre einfach nur zu sehr damit beschäftigt, ihr die Kleider vom Leib zu reißen, sie ins Schlafzimmer zu schleppen und sie zu lieben, bis die Sonne unterging. Brookes Typ hingegen tauchte nicht einmal mehr auf, während seine höllisch sexy Freundin Dec ein Lächeln zuwarf, bei dem ihre Grübchen aufblitzten.

„Ja, sieh mal einer an.“ Anerkennend ließ sie den Blick über ihn gleiten. „Ich habe dich noch nie in etwas anderem als Anzug mit Krawatte gesehen. Jeans und T-Shirt stehen dir. Bin ich froh, dass ich für die Fahrt Freizeitkleidung vorgeschlagen habe.“

Darüber war er auch froh. Aber aus ganz anderen Gründen.

„Komm noch mal kurz rein.“ Sie winkte ihn ins Haus. „Ich muss noch schnell meine Sachen holen. Dann können wir los.“

Dec trat in das Haus, das nett und ordentlich wirkte, ohne steril zu sein. Ein paar Grünpflanzen standen auf den Regalen, und einige hübsche Schwarz-Weiß-Fotos zierten die Wände. Schlichte schwarze Ledermöbel waren mit Blick auf den großen Flachbildschirm ausgerichtet.

Hier und da standen einige wenige Deko-Gegenstände, doch der Raum wirkte weder sonderlich feminin noch maskulin. Eher wie eine Kombination aus beidem.

Brookes Freund aber blieb verschwunden.

„Warte, ich helfe dir mit der Tasche“, sagte Dec und fragte sich, warum ihr Freund seine Hilfe nicht anbot.

„Oh, wie süß von dir. Aber ich schaffe das schon.“

Süß?

So hatte ihn wirklich noch nie jemand genannt.

In sich gekehrt, entschlossen, zurückhaltend und erfolgreich. Das ja. Aber süß? Im Leben nicht.

Er beobachtete, wie ihre Hüften hin und her schwangen, als sie den Flur entlangging.

Okay, sie war vergeben, und, ja, er war ihr Chef, aber das hieß ja noch lange nicht, dass er wegschauen musste, oder?

Schon einen Moment später kam sie zurück. Über ihrer Schulter baumelte eine Stofftasche in knalligem Orange, und sie zog mit einer Hand einen roten Rollkoffer hinter sich her. In der anderen hielt sie einen kleinen dreifarbigen Hund. Einen echten Hund, der Dec mit großen blauen Augen überrascht ansah. Kein Stofftier, mit dem sie nachts kuschelte. Aber sie hatte ja auch schon jemand anderen zum Kuscheln, auch wenn Dec darüber lieber nicht nachdenken wollte. Selbst wenn dieser namenlose Idiot es anscheinend nicht einmal für nötig hielt, aus seinem Versteck zu kommen, um sich von ihr zu verabschieden, als sie rief, dass sie losfahren würde.

Trotz ihres Protestes nahm Dec ihr Koffer und Tasche ab, sodass sie nur noch den Hund zu tragen brauchte, dem etwas aus dem Maul hing, das groß, haarig, grau und glitschig aussah.

„Wen haben wir denn hier?“ Dec nickte in Richtung Hund. „Und was ist das?“

„Das …“ Sie gab dem Hund lachend einen Kuss auf den Kopf. „Ist Moochie. Sie ist ein australischer Mini-Schäferhund, der das Mini in seinem Namen total vergisst, sobald er eine Katze sieht. Und das da ist ihr Lieblingsspielzeug. Das war mal ein Elefant, ehe sie ihm das gesamte Innenleben herausgebissen hat.“

Mit misstrauischem Blick schaute der Hund zu ihm auf.

„Sie wirkt verängstigt.“ Dec stellte Brookes Koffer in den Kofferraum des roten Infiniti-Q60-Cabrios.

„Das liegt nur an ihren hellen Augen. Sie wirkt immer so.“ Brooke nahm den Hund auf die Hüfte. „Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich sie mitnehme. Ich habe leider niemanden, der auf sie aufpassen könnte, und sie in eine Hundepension abzuschieben, bringe ich nicht übers Herz.“

„Was ist mit deinem Freund?“

„Meinem …“ Sie warf einen Blick über die Schulter zum Haus. „Kyle?“

Dec zuckte mit den Schultern. „Er hat sich nicht vorgestellt.“

„Kyle ist mein bester Freund und Mitbewohner. Nicht mein Freund. Genau genommen ist er sogar verlobt.“ Sie lachte leise. „Mit Marc.“

„Marc?“ Dec hob ruckartig den Kopf. „Das hätte ich nicht gedacht, so böse, wie er mich angestarrt hat. Ich dachte, er will dich beschützen.“

„Er sendet Männern keine Signale mehr aus, seit er Marc hat. Sie sind ein tolles Paar.“ Sie warf ihre Stofftasche auf den Rücksitz. „Und sein Beschützerinstinkt mir gegenüber ist auch nicht gerade ausgeprägt, weil er genau weiß, dass ich auf mich selbst aufpassen kann.“

Dec dachte an das Furchtlos – Armband und fragte sich, ob da ein Zusammenhang bestand. Als sie sich jedoch ins Auto beugte, hörte er mehr oder weniger auf zu denken, seine gesamte Aufmerksamkeit richtete sich auf den Anblick ihrer Hotpants.

„Du bist so eine toughe Lady?“

Sie stieg ein. „Es gibt eine Menge Dinge, die du nicht über mich weißt.“

Ganz offensichtlich.

„Ach, und übrigens, die Antwort lautet Nein.“

„Nein?“

„Nein, ich habe keinen festen Freund. Nur für den Fall, dass du dich das gefragt hast.“

Natürlich hatte er sich das gefragt. Er war schließlich ein Mann aus Fleisch und Blut.

„Also …“ Sie stellte ihre riesige Handtasche zwischen die Füße. „Beginnt jetzt offiziell der Arbeitstag? Soll ich meinen Laptop rausholen und mich an die Arbeit machen? Ich weiß nicht, wie es mit dem Internet klappt, aber ich habe auch noch ein paar andere Sachen zu erledigen.“

„Das lenkt mich zu sehr ab.“ Als wäre er nicht ohnehin schon total abgelenkt. „Ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren.“

„Wie schön. Dann brauche ich mich also nicht total professionell und langweilig zu geben, bis wir angekommen sind?“

War sie jemals langweilig?

„Du kannst dich zurücklehnen und entspannen.“

„Entspannen kann ich mich, wenn ich schlafe.“ Sie sah ihn grinsend an. „Jetzt möchte ich Spaß haben.“

Oh nein. Das würde es ihm noch schwerer machen, seine guten Vorsätze einzuhalten.

„Ehe wir auf den Freeway fahren, könnten wir doch noch kurz anhalten, um uns mit Getränken und Snacks einzudecken.“

„Wasser und Proteinriegel?“

„Ich dachte eher an Koffein und Pork Cracklings.“

„Ich weiß nicht mal, was das sein soll.“

„Du ahnst nicht, was dir bisher entgangen ist, Boss.“

„Verstopfte Arterien?“

Der Wind blies durch ihr Haar, als sie lachend den Kopf zurückwarf. „Ich wusste gar nicht, wie risikolos du lebst. Scheint, als könnte ich noch eine Menge über dich lernen.“

Ehe seine Gedanken eine gefährliche Richtung einschlagen konnten, entdeckte er einen Starbucks und lenkte den Wagen in die Drive-thru-Spur. Zusammen mit seinem einfachen schwarzen Kaffee bestellte er einen Latte macchiato für sie.

„Was, wenn ich etwas anderes gewollt hätte?“ Sie zog die Nase kraus.

„Wolltest du denn was anderes?“

„Nein.“ Sie sank ein wenig tiefer in den Beifahrersitz. „Ich wollte nur nicht, dass du denkst, ich wäre eins von diesen Mädchen.“

Er fuhr vor zum Drive-thru-Fenster und reichte seine Kreditkarte hinein. Kurz war er von dem abgelenkt, was die Frau im Fenster zu ihm sagte, dann aber hakte er nach. „Was für ein Mädchen?“

„Du weißt schon … berechenbar und langweilig.“

Himmel hilf, dachte er nur.

„Berechenbarkeit ist doch was Gutes“, sagte er, in der Hoffnung, wieder in sicheres Fahrwasser zu gelangen.

Sie blickte ihn über ihre nackte Schulter an. „Auch Langeweile?“

Er schwieg eine Sekunde zu lange.

„Hätte ich nicht von dir gedacht. Ich weiß zwar nicht, was du in deiner Freizeit tust, aber du scheinst mir nicht die Art von Mann zu sein, die nur vor dem Fernseher sitzt und sich Wiederholungen von Two and a Half Men anschaut.“

„Die sich was anschaut?“

Sie lachte. „Guckst du überhaupt fern?“

„Natürlich.“

„Lass mich raten.“ Amüsiert drehte sie sich in ihrem Sitz herum, um ihn direkt anschauen zu können. „Once Upon a Time, Game of Thrones und Let’s Dance?“

„Eher CNN, Börsennachrichten und politische Talkrunden.“

„Wie langweilig.“

„Das Fernsehen sollte nur der Weiterbildung und Informationssammlung dienen.“

„Ich verspreche, ich verrate all den Pornostars nicht, dass du das gesagt hast. Andererseits …“ Sie hob eine Augenbraue. „Vielleicht fällt das ja auch unter Weiterbildung?“

Ehe er antworten konnte, fügte sie hinzu: „War nur ein Witz! Bitte sag mir, dass du wenigstens ab und zu zappst und bei Naked Survival – Ausgezogen in die Wildnis hängen bleibst.“

Nackt in der Wildnis. Was für eine Vorstellung.

„Das kenne ich sogar. Es ist eine von Parkers Lieblingsserien.“

„Und Parker ist Bruder Nummer …“

„Vier.“

„Ah, wenigstens einer, der es draufhat.“

Wenn sie meinte … Sendungen mit nackten Menschen im Dschungel sollten angeblich den Horizont der Zuschauer erweitern. Aber wenn Dec eine Frau nackt sehen wollte, dann wollte er auch derjenige sein, der sie auszog. Da dieser Gedanke ihn direkt zu seiner Reisegefährtin führte, wechselte er lieber schnell das Thema. Sonst würde diese Fahrt für ihn sehr viel länger werden, als ihm lieb war.

„Hat dein Fernsehgeschmack etwas mit deinem Furchtlos – Armband zu tun?“ Er reichte ihr ihren Latte.

„Ha!“ Sie stieß ein köstlich diabolisches Lachen aus, das den Körperteil hinter seinem Hosenschlitz in Aufregung versetzte. „Du hast ja keine Ahnung.“

Vielleicht nicht.

Aber er konnte es kaum erwarten, es herauszufinden.

Rein beruflich natürlich.

Brooke musste tief Luft holen, ehe sie an ihrem Kaffeebecher nippte. Nicht weil das Getränk so heiß war. Nicht weil sie gestern noch gedacht hatte, sie würde gefeuert werden. Sondern weil sie heute neben ihrem unglaublich fantastisch aussehenden Chef in einem sexy Cabrio saß und Gedanken nachhing, die so gar nichts mit ihrem Job zu tun hatten. Zum Beispiel, wie die Sonne sein fast schwarzes Haar glänzen ließ. Oder dass er mit der Ray-Ban-Sonnenbrille zum Niederknien aussah. Das hellblaue T-Shirt spannte sich perfekt über seine breiten Schultern und den kräftigen Brustkorb, und der Stoff schmiegte sich geschmeidig über ein, wie sie vermutete, äußerst ansehnliches Sixpack. Wie makellos die kurzen Ärmel seinen ausgeprägten Bizeps umspannten! Die eng anliegende Jeans betonte Körperteile, die ihre Fantasie und Neugier mehr als anregten. Sie wünschte, sie könnte ihm all diese Kleidungsstücke nacheinander ausziehen, um herauszufinden, ob er Boxershorts, einen engen Slip oder womöglich gar nichts darunter trug.

Sie wusste, dass er gerne laufen ging, da er schon an vielen Wohltätigkeits-Marathons teilgenommen hatte. Doch obwohl er groß und schlank war, besaß er nicht dieses hagere Aussehen, das so viele Läufer kennzeichnete. Andererseits sah er auch nicht aus wie die Typen aus der Muckibude. Dementsprechend war ihre Neugier geweckt, woher Dec wohl all diese herrlichen, geradezu nach Berührung schreienden Muskeln hatte und wie er sich fit hielt.

Aber sie schweifte ab.

Sie musste sich wieder darauf konzentrieren, die hilfsbereite Assistentin zu spielen, damit Dec Zeit für Wichtigeres hatte. Nur weil er sie einige Male interessiert gemustert hatte, bedeutete es nicht mehr, als dass ein Mann eine Frau ansah. Keine große Sache. All den abwegigen Gedanken, die ihr durch den Kopf schossen, musste sie dringend Einhalt gebieten.

So viel zur Theorie. Praktisch würde das wohl schwierig werden.

Er hatte etwas an sich, was sie nicht losließ. Wobei sie nicht wirklich etwas von ihm erwartete, weder eine Gehaltserhöhung noch eine Romanze oder sonst was, sie wollte ihn nur lächeln sehen. Lachen. Ihm beibringen, die Zügel auch mal locker zu lassen, statt sich selbst so an die Kandare zu nehmen. Sie wollte, dass er in seinem Leben nicht nur erfolgreich war, sondern auch Spaß hatte.

Sie hatte viel zu viele Jahre in einer Welt verbracht, in der Lächeln einer Sünde glich. Zu wissen, dass Dec vielleicht in einem ähnlichen Gefängnis lebte, brach ihr fast das Herz.

Als sie an einer Tankstelle in der Nähe des Freeways hielten, versuchte Brooke, sich zur Vernunft zu rufen und alle albernen Gedanken zur Seite zu schieben. Aber Decs angespannte Miene ließ sie eine 360-Grad-Wendung machen, sodass sie wieder dort landete, wo sie angefangen hatte.

Bei dem Entschluss, ihn zum Lächeln zu bringen.

Eine Einführung in die schönen Dinge des Lebens, in diesem Fall in die Welt der Snacks, stand als Erstes an.

Im Tankstellenshop sah Brooke, wie Dec die Augen aufriss. War er bisher immer nur bis zur Zapfsäule gekommen, wo er gleich mit Karte bezahlt hatte? Wahrscheinlich waren Speisekammer und Kühlschrank bei ihm mit gesunden, langweiligen Sachen wie Salat, Naturreis und geschmacklosem Proteinpulver bestückt.

Es war an der Zeit, seine Geschmackswelt ein bisschen auf den Kopf zu stellen.

„Wie ich sehe, bist du noch Jungfrau.“ Sie versuchte ernst zu bleiben.

Er fuhr zu ihr herum und sah sie an, als wäre sie völlig durchgedreht. „Wie bitte?“

„Entspann dich, Chef. Ich habe dich mit genügend Frauen ausgehen sehen, ich habe nicht diese Art von Jungfrau gemeint. Aber du bist wohl noch nie in einem derartigen Sündenpfuhl gewesen.“

Sein Blick wanderte über die endlosen Regalreihen mit Snacks und wirkte dabei, als hätte man ihn in einer fernen Galaxie ausgesetzt. „Ich hatte bisher noch nie Grund oder den Wunsch, so einen Laden zu betreten.“

„Hab ich mir gedacht. Keine Sorge, ich pass auf dich auf.“

„Ach ja?“

„Würde ich dich jemals auf Abwege locken?“

Sein Blick verriet ihr, dass er das durchaus für möglich hielt, es aber nicht ausprobieren wollte.

Natürlich hatte er recht.

„Als Erstes …“, sie ließ den Blick durch den Laden wandern, „… sollte ich erwähnen, dass die Sandwiches im Kühlregal zwar unschuldig aussehen, du dir aber unbedingt das Verfallsdatum anschauen solltest.“

„Sprichst du aus Erfahrung?“

„Frag nicht.“ Sie machte eine abwehrende Handbewegung. „Sollen wir?“

„Ich glaube, ich höre deinen Hund bellen.“

„Du fährst ein Cabrio, hast vor der Tür geparkt, und ich kann sie von hier aus sehen. Sie bellt nicht. Und wenn du aufhörst, Theater zu machen, dauert es nicht länger als eine Minute.“

„Sagte der Henker zum Todeskandidaten.“

„Ha. Der war gut.“ Sie legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander. „Wusstest du, dass man hier eine Mahlzeit zusammenstellen kann, in der die gesamte Ernährungspyramide enthalten ist?“

„Kann ich mir kaum vorstellen.“

„Stimmt aber.“ Sie führte ihn durch die erste Regalreihe. „Hier kannst du mit der Brotgruppe anfangen. Rice-Krispies, Donuts, Müsliriegel.“

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