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Romantischer Frühling mit Susan Mallery (3in1)

GRACIE IN LOVE

Gracie Landon ist 28 Jahre alt und zum ersten Mal so richtig verliebt. Allerdings ausgerechnet in Riley Whitefield - derselbe Riley, dem sie als 14-Jährige in blinder Teenagerverknalltheit nachgestellt hat. Und zwar so sehr, dass die ganze Stadt sich darüber amüsierte. Keinesfalls möchte Gracie wieder zum Gesprächsstoff von Los Lobos werden und bemüht sich, Riley so gut es geht aus dem Weg zu gehen.Als allerdings jemand versucht, Gracies mühsam aufgebauten Ruf als Hochzeitstorten-Konditorin zu zerstören, ist es ausgerechnet Riley, der ihr zu Hilfe eilt. Und Gracie stellt fest: Es ist einfach, sich den Mann seiner Träume aus dem Kopf zu schlagen - aber nur solange, bis man ihm wieder gegenübersteht …

SCHÖNES LEBEN NOCH!

"Auf Nimmerwiedersehen!" Die Worte von damals klingen Jill noch in den Ohren, als sie das Ortschild von Los Lobos wiedersieht. Ein untreuer Ehemann und ein verlorener Job lassen ihr allerdings keine andere Wahl, als an den Ort ihrer Kindheit zurückzukehren. Genau die gleiche Idee hatte auch MacKenzie Kendrick, ihre erste große Liebe. Der ehemalige Undercover-Cop ist vollkommen ausgelaugt und hofft, in dem verschlafenen Nest wieder zu Kräften zu kommen. Doch so verschlafen ist Los Lobos gar nicht. Ehe sie sich versehen, haben Jill und Mac mehr Drama in ihrem Leben als zu Großstadtzeiten. Mafiabosse, Sozialarbeiter, wütende Expartner und eine ziemlich aufgeweckte Achtjährige sorgen dafür, dass das zarte Pflänzchen der Liebe zwischen ihnen erst einmal starke Wurzeln ausbilden muss, bevor es richtig erblühen kann.

JÄGERIN DES VERLORENEN SCHÄTZCHENS

Was haben Journalismus und Archäologie gemeinsam? Wenn man tief genug gräbt, kann man auf wahre Schätze stoßen.

Chloe Wright glaubt nicht an Magie oder geheimnisvolle Rituale. Aus Neugier folgt sie dennoch der "albernen" Familientradition und schlüpft an ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag in das Nachthemd ihrer Urahnin. Die Legende besagt, so würde sie in der Nacht von ihrem zukünftigen Ehemann träumen. Und tatsächlich - der charismatische Fremde, der ihr im Traum begegnete, steht am nächsten Tag überraschend vor ihr. Doch Chloe hat nicht vor, ihr Herz leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Zumal ihr "Traummann" Arizona Smith nicht plant, länger in der Stadt zu bleiben. Als gute Journalistin muss Chloe trotzdem gründlich recherchieren … mit vollem Körpereinsatz! Sie kann den attraktiven Archäologen kurzfristig halten, aber kann sie ihn auch dauerhaft an sich binden?


  • Erscheinungstag: 16.03.2020
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 1008
  • ISBN/Artikelnummer: 9783745752229
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Susan Mallery

Romantischer Frühling mit Susan Mallery (3in1)

1. KAPITEL

Gracie? Gracie Landon, bist du das?“ Erwischt – und keine Chance zu entkommen. Gracie Landon stand im Vorgarten ihrer Mutter, in der einen Hand die Zeitung, in der anderen die Kaffeetasse, und starrte verzweifelt in Richtung Haustür – ihrer einzigen Rettung.

Theoretisch könnte sie einfach lossprinten, aber das wäre extrem unhöflich. Das konnte sie der über achtzigjährigen Nachbarin Eunice Baxter nicht antun. Und außerdem war sie gut erzogen.

Also schüttelte sie kurz den Schopf, damit ihr die noch vom Schlaf verwuschelten Strähnen nicht ins Gesicht hingen, und schlurfte in den Tweetie-Bird-Hausschuhen ihrer kleinen Schwester hinüber zum niedrigen Gartenzaun, der das Grundstück ihrer Familie von dem von Eunice Baxter trennte.

„Guten Morgen, Mrs. Baxter“, begrüßte sie die alte Dame, in der Hoffnung, dass ihr Missmut nicht auffiel. „Richtig, ich bin es. Gracie.“

„Du liebe Güte, das gibt es doch nicht! Ich habe dich so lange nicht mehr gesehen, aber ich würde dich immer und überall wiedererkennen, glaub mir. Wie lange ist das jetzt her?“

„Vierzehn Jahre.“ Ihr halbes Leben. Und sie hatte so sehr gehofft, die Leute hätten sie vergessen.

„Das kommt hin. Gut siehst du aus! Damals, als du weggegangen bist, warst du wirklich ein schrecklich hässliches Kind, das muss ich dir mal sagen. Selbst deine arme Mutter hatte Sorge, dass du niemals hübsch werden würdest. Aber jetzt bist du es – und so strahlend schön wie ein Fotomodel!“

Gracie wollte nicht unbedingt an ihre „Hässliche-Entlein-Zeit“ erinnert werden – diese Phase hatte bei ihr volle sechs Jahre gedauert. Also erwiderte sie nur: „Danke schön“ und schickte sich an, wieder ins Haus zu gehen.

Eunice schüttelte ihre Dauerwellenlocken. „Ich habe letztens erst mit meiner Freundin Wilma über dich gesprochen. Wir finden, dass ihr jungen Dinger von heute gar nicht mehr wisst, was richtige Liebe ist. So, wie man das in all den Filmen immer sieht. Oder wie es bei dir war, damals mit Riley Whitefield.“

Oh Gott, Hilfe! Bitte nicht auch noch das Thema Riley Whitefield! Alles, nur das nicht! Konnte ihre Vergangenheit als krankhaft verliebte Teenager-Stalkerin nicht irgendwann einmal begraben werden?

„Als Liebe kann man das eigentlich nicht bezeichnen“, stellte Gracie fest und fragte sich einmal mehr, warum sie überhaupt nach all der Zeit wieder hierher zurückgekehrt war. Aber der Grund war ja klar – die Hochzeit ihrer kleinen Schwester.

„Du warst das Abbild wahrer Liebe“, widersprach Eunice ihr. „Darauf solltest du stolz sein. Du hast diesen Jungen von ganzem Herzen geliebt und hattest keine Angst, das auch zu zeigen. Dazu braucht es eine Menge Mut.“

Oder Idiotie, dachte Gracie und lächelte schwach. Der arme Riley. Sie hatte ihm damals das Leben wirklich zur Hölle gemacht.

„Und als dieser eine Reporter in der Zeitung einen Artikel über dich schrieb, erfuhren alle von eurer Geschichte“, fuhr Eunice fort. „Du warst richtig berühmt.“

„Wohl eher berüchtigt“, murmelte Gracie und erinnerte sich an den demütigenden Morgen, als sie beim Frühstück in der Zeitung über ihre Liebe zu Riley lesen musste.

„Wilmas Lieblingsaktion von dir war, als du Türen und Fenster am Haus seiner Freundin zugenagelt hast, damit sie nicht zu ihrer Verabredung mit ihm gehen konnte. Das war nicht schlecht. Mich hat aber noch mehr beeindruckt, als du dich gleich da drüben einfach vor sein Auto gelegt hast.“ Eunice deutete auf die Straße vor ihrem Haus.

„Ich habe alles mit angesehen. Du hast ihm gesagt, du liebst ihn zu sehr, um ertragen zu können, dass er Pam heiratet. Und wenn er die Verlobung mit ihr nicht auflöst, könnte er dich genauso gut gleich überfahren und deinem Elend ein Ende setzen.“

Gracie hielt ein genervtes Stöhnen zurück. „Ja, das kam echt gut.“

Warum durften alle anderen die peinlichen Schandtaten ihrer Jugend vergessen, aber über ihre Aktionen wurde immer noch geredet?

„Ich schätze, ich sollte mich endlich mal bei Riley entschuldigen.“

„Er ist ja auch wieder hier“, eröffnete Eunice ihr freudestrahlend. „Wusstest du das?“

Nachdem es ihr jeder sofort mitgeteilt hatte, dem sie in den letzten Tagen in der Stadt begegnet war – ja, sie wusste es. „Ach, wirklich?“

Die alte Dame zwinkerte. „Und er ist wieder solo. Wie sieht’s bei dir aus, Gracie? Gibt es jemanden in deinem Leben?“

„Nein. Aber ich habe im Job viel zu tun und bin damit ...“

Eunice nickte wissend. „Das kann nur Schicksal sein. Ganz eindeutig. Das Schicksal hat euch beide wieder zusammengeführt, um euch eine zweite Chance zu geben.“

Gracie würde lieber nackt auf einem Ameisenhaufen festgekettet werden, als jemals wieder in ihrem Leben etwas mit Riley Whitefield zu tun zu haben. Auf weitere Demütigungen konnte sie verzichten. Und er würde bestimmt auch einiges darum geben, ihr niemals wieder zu begegnen.

„Das ist nett, dass Sie das denken. Aber ich glaube nicht...“

„Vielleicht mag er dich immer noch“, unterbrach Eunice sie.

Gracie lachte. „Mrs. Baxter, ich war das Grauen für ihn! Selbst heute noch würde er schreiend davonrennen, wenn er mich zu Gesicht bekäme!“ Und wer konnte es ihm verdenken?

„Manchmal muss man einem Mann einen kleinen Schubs geben.“

„Und manchmal muss man einen Mann auch in Ruhe lassen.

Und genau das hatte sie vor. Kein Hinterherlaufen mehr. Im Gegenteil, sie würde sämtliche Veranstaltungen meiden, auf denen sie Riley begegnen könnte. Und falls sie doch zufällig aufeinandertreffen sollten, würde sie sich ihm gegenüber kühl, distanziert und höflich geben. Wer weiß, vielleicht würde sie ihn nicht einmal erkennen. Und was immer sie damals auch für Riley empfunden hatte – dieses Gefühl gab es nicht mehr. Aus und vorbei. Sie war schon lange über ihn weg.

Außerdem war sie inzwischen eine andere. Kultiviert. Reif. Garantiert keine Stalkerin mehr.

„Was war los?“, fragte Vivian, als Gracie endlich wieder in der Landonschen Küche erschien. „Hat dir Mrs. Baxter ein Gespräch aufgezwungen?“

„Oh ja.“ Gracie legte die Zeitung auf die Anrichte und nahm einen großen Schluck Kaffee aus ihrer Tasse. „Ich sag’s dir. Es kommt mir vor, als hätte ich die Stadt erst vor vierzehn Tagen verlassen, nicht vor vierzehn Jahren.“

„Alte Menschen haben ein anderes Verhältnis zur Zeit“, stellte Vivian fest und schüttelte ihre rotblonde Lockenpracht. Sie gähnte. „Außerdem stehen sie viel zu früh auf. Mom hat auch schon vor sieben das Haus verlassen.“

„Hat sie nicht was von einer besonderen Schnäppchen-Aktion im Laden erzählt?“ Gracie setzte sich auf einen Barhocker und stellte ihre Tasse ab. „Bei der du helfen solltest?“

„Ich weiß, ich weiß.“ Vivian streckte sich. „Ich bin selbst schuld. Was suche ich mir auch ein Brautkleid für dreitausend Dollar aus? Ich hatte die Wahl zwischen: mein Budget mit dem Kleid total zu überziehen und dafür meinen Gästen nichts zu essen anbieten zu können oder Sklavendienste zu tun.“ Sie grinste. „Immerhin bekomme ich eine grandiose Hochzeitstorte gratis.“

„Hast du ein Glück.“

Als Schwester der Braut hatte Gracie angeboten, für die Feier eines ihrer Tortenmeisterwerke beizusteuern. Ein schneller Blick auf den Wandkalender verriet ihr, dass die Hochzeit in genau fünf Wochen stattfinden sollte. Wäre sie schlauer gewesen, hätte sie sich bis kurz vor der Hochzeit ferngehalten, wäre erst in letzter Minute mit der Torte aufgetaucht, hätte nett mit den anderen gefeiert und wäre dann sofort wieder verschwunden. Doch die hektischen Anrufe ihrer Mutter und ihrer Schwestern Vivian und Alexis hatten bei Gracie Gewissensbisse hervorgerufen. Also hatte sie sich breitschlagen lassen, schon früher zu kommen und bei der Hochzeitsplanung zu helfen.

Zur Belohnung durfte sie nun alle vorbestellten Torten in einem seltsamen Ofen backen, dem sie nicht so recht traute. Und dann wurde sie auch noch von alten Damen gequält, die unbedingt immer noch über Gracies längst vergangenes, fragwürdiges Liebesleben reden mussten.

„Schön ist anders“, murmelte Gracie vor sich hin.

Vivian grinste. „Hat Mrs. Baxter vielleicht erwähnt, dass Riley Whitefield wieder in der Stadt ist?“

Gracie warf ihr einen wütenden Blick zu. „Wolltest du nicht gehen?“

Lachend lief Vivian die Treppe hoch.

Gracie sah zu, wie ihre Schwester oben verschwand, dann schnappte sie sich die Zeitung und freute sich auf einen geruhsamen Morgen. Am Nachmittag würde sie in das kleine Haus umziehen, das sie für ihren sechswöchigen Aufenthalt in der Stadt gemietet hatte. Aber bis dahin konnte sie es ruhig angehen lassen.

Leider riss in diesem Moment jemand die hintere Eingangstür auf.

„Oh, gut. Du bist schon auf.“ Gracies drei Jahre ältere Schwester Alexis kam herein und sah sich um. „Wo ist Vivian?

„Sie macht sich fertig, um in den Haushaltswarenladen zu fahren.“

Alexis runzelte die Stirn. „Ich dachte, sie wäre schon längst weg. Fing der Straßenverkauf nicht um acht an?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Gracie.

Immerhin war sie erst seit zwei Tagen wieder zu Hause und musste sich noch zurechtfinden. Während Alexis und Vivian hier aufgewachsen waren, hatte sie mit vierzehn die Stadt verlassen und war seitdem nie wieder hier gewesen.

Alexis goss sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich auf den Hocker neben Gracie.

„Ich muss dir etwas sagen“, eröffnete ihre Schwester ihr mit leiser, leicht zitternder Stimme. „Aber weder Vivian noch Mom dürfen etwas davon erfahren. Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen machen, jetzt, in dem ganzen Hochzeitsstress.“

„In Ordnung“, willigte Gracie ein und fragte sich, was die Geheimniskrämerei zu bedeuten hatte. Aber es schien etwas Ernstes dahinterzustecken, wie sie dem Verhalten ihrer Schwester entnahm.

„Es geht um Zeke“, eröffnete ihr Alexis und presste die Lippen aufeinander. „Scheiße, ich wollte doch nicht heulen!“

Gracie wurde unruhig. Zeke und Alexis waren seit fünf Jahren verheiratet – allem Vernehmen nach glücklich.

Alexis holte tief Luft und sagte dann: „Ich glaube, er betrügt mich.“

„Was? Das kann nicht sein! Er ist verrückt nach dir!“

„Das dachte ich auch.“ Alexis wischte sich über die Augen. „Aber ...“ Sie unterbrach sich, als von oben klopfende Geräusche zu hören waren. „Er verschwindet jeden Abend und kommt nicht vor drei oder vier Uhr morgens nach Hause. Und wenn ich ihn frage, was los ist, sagt er, er ist in Sachen Wahlkampf unterwegs. Aber das glaube ich ihm nicht.“

Sorgfältig faltete Gracie die Zeitung zusammen. „Welcher Wahlkampf? Ist Zeke nicht im Versicherungsgeschäft?“

„Ja, aber er ist der Wahlkampfmanager für Riley Whitefield bei den Bürgermeisterwahlen. Ich dachte, das wüsstest du.“

Gracie war mehr als überrascht. „Seit wann das denn?“

„Seit ein paar Monaten schon. Riley hat Zeke angeheuert, weil ...“

Schritte donnerten geräuschvoll die Treppe herunter. Sekunden später stand Vivian in der Küche.

„Hey, Alexis“, sagte sie und flocht ihre langen Haare zu einem Zopf. „Willst du nicht heute für mich in den Laden gehen?“

„Nicht wirklich.“

Vivian grinste. „Man kann ja mal fragen. Dann bin ich jetzt weg zur Sklavenarbeit, um mir mein Traum-Hochzeitskleid leisten zu können. Amüsiert euch nicht allzu sehr in meiner Abwesenheit!“

Die Hintertür knallte ins Schloss, und kurz darauf hörte man, wie ein Motor startete. Erst erfolglos, dann sprang er an.

Alexis ging hinüber zum Fenster über der Spüle und schaute hinaus. „Sie ist weg. Wo waren wir stehen geblieben?“

„Du hattest mir gerade eröffnet, dass dein Mann jetzt für Riley Whitefield arbeitet. Und wie kam es dazu?“

„Nach dem Studium hat Zeke zwei Jahre für einen Senator aus Arizona gearbeitet.“ Ihre Sorge legte sich ein wenig, und lächelnd sah sie Gracie an. „Ich war damals am Arizona State College, und er ...“ Alexis schüttelte den Kopf. „Mein Gott, wie ewig ist das her. Ich fasse es nicht, dass er mir so etwas antun kann. Ich liebe ihn doch so sehr. Ich dachte ...“ Ihre Stimme brach. „Was soll ich denn jetzt bloß machen?“

Gracie hatte das Gefühl, in einer dieser Rummelplatzattraktionen zu sein, einem Haus voller Zerrspiegel, in dem nichts so war, wie es schien, und man zwangsläufig die Orientierung verlor.

Natürlich, Alexis und Vivian waren ihre Schwestern. Ihre Verwandtschaft war nicht zu übersehen, sie hatten alle lange blonde Haare – Alexis mit einem Stich ins Weiße, Vivian ins Rote und Gracie ins Goldene -, blaue Augen und in etwa dieselbe Statur. Aber ansonsten gab es kaum Gemeinsamkeiten. Gracie hatte ihre Schwestern seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, nur über die Entfernung Kontakt gehabt. Sie wusste einfach nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte, wie sie plötzlich die Beraterin ihrer Schwester in privaten Dingen sein konnte.

„Du weißt doch gar nicht sicher, ob wirklich eine andere Frau dahintersteckt“, wagte sie einen Kommentar. „Vielleicht arbeitet er wirklich für die Kampagne.“

„Stimmt, das weiß ich nicht. Aber ich werde es herausfinden.“ Alexis ging einen Schritt auf sie zu.

Ein ungutes Gefühl machte sich in Gracie breit. „Tut mir leid, wenn ich frage, aber: Wie willst du das anstellen?“

„Indem ich seine Aktivitäten überprüfe. Heute Abend ist angeblich so ein Treffen mit Riley. Und ich werde da sein.“

„Das ist keine besonders gute Idee“, gab Gracie zu bedenken und griff nach ihrer Kaffeetasse. „Glaub mir. Ich weiß, wovon ich rede. Meine persönliche Riley-Erfahrung.“

„Nichts wird mich davon abhalten“, sagte Alexis trotzig, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Und du musst mir helfen.“

Gracie stellte ihre Tasse ab. „Auf keinen Fall, Alexis. Das geht nicht. Das kannst du vergessen. Das ist doch Irrsinn!“

Wieder flössen Tränen über die Wange ihrer Schwester. Alexis sah auf einmal aus wie der personifizierte Schmerz, was Gracies Ratlosigkeit noch verstärkte. Dennoch versuchte sie, Alexis von ihrer Idee abzubringen.

„Das wird in einer Katastrophe enden“, bekräftigte sie ihre Worte mit überzeugender Stimme. „Und ich mache dabei nicht mit.“

„Ich verstehe“, erwiderte Alexis, während ein Zittern ihre Mundwinkel vibrieren ließ.

„Gut. Denn das musst du alleine durchziehen.“

Ein paar Stunden später schlich Gracie mit ihrer Schwester an einer akkurat geschnittenen Hecke entlang, die zur Villa der Familie Whitefield gehörte, dem Zuhause unzähliger Generationen wohlhabender Whitefields. Inzwischen war Riley hier eingezogen.

„Das ist doch Wahnsinn“, flüsterte Gracie ihrer Schwester zu, als diese nur ein paar Meter von einem der Hinterfenster entfernt in die Hocke ging. „Ich habe damit aufgehört, Riley zu verfolgen, als ich vierzehn war. Und jetzt fange ich wieder damit an!“

„Du verfolgst nicht Riley, sondern Zeke. Das ist ein Unterschied.“

„Aber wenn Riley uns erwischt, wird er das anders sehen.“

„Wir lassen uns nicht erwischen. Hast du deine Kamera dabei?“

Gracie hielt ihre alte, zuverlässige Polaroidkamera hoch.

In der kleinen Linse spiegelte sich das Licht der Straßenlaterne.

„Bist du bereit?“, fragte Alexis. „Das Fenster der Bibliothek ist um die Ecke. Von da solltest du sie gut vor die Linse bekommen.“

„Warum machst du das Bild nicht selbst?“, wollte Gracie wissen, deren Beine plötzlich schwer wie Blei waren.

„Weil ich hier stehen bleibe, um zu sehen, ob irgendein Flittchen über den Hintereingang das Haus verlässt.“

„Warum sollte Zeke sich mit seiner Affäre ausgerechnet hier treffen und nicht in einem Motel?“

„Das wäre dumm, denn ich kümmere mich um die Rechnungen. Außerdem hat Zeke auch schon mal einem Kumpel seine Studentenbude für ein Têteà-Tête zur Verfügung gestellt, und dasselbe tut eben Riley jetzt für Zeke. Oder glaubst du im Ernst, dass so ein Treffen wegen einer Wahlkampagne bis zwei Uhr morgens dauert?“

Auf eine sehr verquaste neurotische Art war an dieser Argumentation sogar etwas dran. Gracie kroch näher ans Haus heran. Trotzdem war es Irrsinn, sich auf ein Privatgrundstück zu schleichen und durch ein Fenster Beweisfotos machen zu wollen.

„Wir wissen doch nicht mal, ob sie überhaupt in der Bibliothek sind“, flüsterte sie ihrer Schwester zu.

„Zeke hat mir aber gesagt, dass sie sich immer da treffen. Wenn es also wirklich ein Treffen gibt, dann muss er dort sein.“

„Kann ich nicht einfach durch das Fenster gucken und dir berichten, was ich sehe?“

„Ich will einen Beweis.“

Was Gracie wollte, stand offensichtlich nicht zur Debatte. Gegen ihre eigensinnige Schwester war sie einfach machtlos. Sie musste ihr helfen, ob sie wollte oder nicht. Sie würde jetzt die Bilder machen, und dann könnten sie verschwinden. Es brachte nichts, herumzuhocken und zu streiten.

„Es geht los“, sagte Gracie also und kroch noch näher auf das Haus zu.

Das Gebüsch unter dem Fenster war dichter, als es zunächst erschien. Sie zerkratzten sich die nackten Arme und blieben mit ihren Klamotten hängen. Außerdem stellte sich heraus, dass das Fenster der Bibliothek ziemlich hoch oben war. Gracie musste also die Kamera über den Kopf halten und blind den Auslöser drücken – ohne zu wissen, was oder wer in dem Zimmer war. Nur mit überaus viel Glück wäre überhaupt jemand auf dem Bild zu sehen.

Aber genau in diesem Moment sah tatsächlich eine Gestalt aus dem Fenster.

„Dann wollen wir mal“, murmelte Gracie, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte auf den Auslöser.

Ein greller Blitz durchzuckte den dunklen Garten. Im selben Moment ließ sich Gracie fluchend auf die Knie fallen. Verdammt! Wieso hatte sie nicht daran gedacht, den Blitz auszuschalten?

„Vermutlich weil ich mit der Kamera normalerweise Fotos von Hochzeitstorten mache und nicht von Leuten, denen ich hinterherspioniere“, murmelte sie, sprang dann auf und rannte zum Wagen.

Keine Spur von Alexis. Jetzt nur noch so schnell wie möglich weg von hier, bevor ...

„Stehen bleiben!“

Der harsche Befehl wurde begleitet von einem unangenehmen Gefühl zwischen ihren Schulterblättern, gegen die etwas Hartes, Pistolenartiges gedrückt wurde. Gracie erstarrte.

„Was machen Sie hier? Falls Sie etwas stehlen wollten, sind Sie ziemlich unprofessionell. Oder schießen Sie immer zuerst Leuchtraketen ab?“

„Normalerweise nicht“, gab Gracie stockend zu. „Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Aber ich kann das alles erklären. Wirklich.“

Noch während sie sprach, drehte Gracie sich um. Dann erkannte sie den Mann, der die Waffe auf sie gerichtet hatte – und er erkannte sie.

Beide erschraken. Gracie wünschte nur noch, die Erde würde sich vor ihr auftun und sie verschlingen. Wäre ihm gerade ein Gespenst begegnet, sein Blick hätte nicht erstaunter sein können.

„Herr im Himmel“, entfuhr es Riley Whitefield. „Gracie Landon, das bist doch bitte nicht du?“

2. KAPITEL

Da sich die Erde offensichtlich nicht auftun wollte, beschwor Gracie einen großen fleischfressenden Dinosaurier auf die Bildfläche, der sie mit Haut und Haaren verschlingen würde. Ein paar Außerirdische, die sie in ihr Raumschiff zerren würden, waren ebenfalls denkbar, damit sie nicht hier stehen und Riley anstarren müsste, der wirklich unglaublich gut aussah. Selbst medizinische Experimente der Außerirdischen würde sie klaglos über sich ergehen lassen.

Gracie hatte Riley seit dem Sommer, in dem sie vierzehn Jahre alt geworden war, nicht mehr gesehen. Er war damals achtzehn, in der eigenartigen, aber spannenden Phase zwischen Schuljungem und erwachsenem Mann. Inzwischen war er ein stattlicher Kerl und immer noch gefährlich sexy. Doch sein Blick erweckte in ihr lediglich den Wunsch, auf der Stelle sterben zu wollen.

„Ich kann alles erklären“, presste Gracie hervor und fragte sich gleichzeitig, ob das wirklich stimmte. Wie sollte sie ihn davon überzeugen, dass sie nicht mehr die verrückte Stalkerin von früher war, die man erst vor Kurzem aus einer medizinischen Einrichtung entlassen hatte?

„Gracie Landon?“, wiederholte er.

Seine Waffe war jetzt nicht mehr direkt auf sie gerichtet. Immerhin etwas.

„Es ist wirklich nicht so, wie du denkst“, begann sie eine Erklärung und wich zurück. Es wäre vielleicht besser für beide, wenn sie einfach im Dunkel der Nacht verschwände. Und wo war überhaupt ihre Schwester? Typisch, dass Alexis sich aus dem Staub machte, kaum dass es brenzlig wurde. Sie hatte es schon immer Gracie überlassen, die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

„Du bist also nicht um mein Haus geschlichen und hast Fotos gemacht?“, fragte Riley.

„Na ja. Schon. Aber dabei ging es nicht um dich. Also, theoretisch.“

Die Farbe seiner Augen erinnerte sie an einen mitternächtlichen Sturm – so hatte sie es jedenfalls als Teenager beschrieben. Sie hatte seinen Augen und seinem Mund ein wirklich schlechtes Haiku gewidmet. Sie hatte sich vorgestellt, wie er sie küssen würde, wenn er endlich begriff, dass sie beide zusammengehörten. Sogar seine diversen Freundinnen – wenn er mit ihnen Schluss gemacht hatte – bekamen ihre selbst geschriebenen Gedichte zugeschickt, um ihr Mitleid zum Ausdruck zu bringen.

Ja, liebe Jenny, nur ich kann verstehen,

Wie magisch es ist, ihm gegenüberzustehen.

Gracie legte eine Hand auf ihren Magen, der zu rebellieren begann. Wieso fielen ihr plötzlich diese Zeilen ein, die vor Ewigkeiten entstanden waren, wo sie sich morgens meistens nicht einmal daran erinnern konnte, wo sie am Vorabend den Autoschlüssel hingelegt hatte?

„Mit mir stimmt wirklich etwas nicht“, murmelte sie.

„Das glaube ich auch“, stimmte Riley ihr zu.

Sie sah ihn an. „Danke. Das macht die Situation auch nicht gerade besser. Wenn ich kurz etwas zu den Umständen sagen darf: Ich bin nicht deinetwegen hier. Es geht um meinen Schwager Zeke. Angeblich wollte er sich heute Abend mit dir treffen, wegen deines Bürgermeisterwahlkampfs. Jetzt weißt du Bescheid.“ Sie schwenkte die Kamera vor Rileys Gesicht.

Er runzelte die Stirn. „Du stellst deinem Schwager nach?“

„Wie bitte?“, rief Gracie empört. „Nein! Natürlich nicht. Igitt! Meine Schwester Alexis hat mich gebeten ...“ Sie unterbrach sich, drehte sich um und wollte gehen – falls ihre Schwester nicht schon mit dem Wagen abgehauen war. „Vergiss es einfach.“

„Moment mal. Nicht so schnell.“ Riley packte sie am Arm. „Du kannst nicht einfach auf mein Grundstück spazieren, Fotos machen und dann mir nichts, dir nichts wieder gehen. Woher soll ich wissen, ob du nicht vielleicht auch einen Sprengsatz an meinem Wagen angebracht hast?“

Wutentbrannt riss Gracie sich los und baute sich vor ihm auf. „Ich habe dich niemals körperlich angegriffen“, bemerkte sie so ruhig wie möglich, obwohl sie am liebsten schreiend davongelaufen wäre. Das war alles so unfair! „Als ich in dich verknallt war, wollte ich immer nur verhindern, dass du dich mit deinen Freundinnen triffst. Aber dabei ist nie jemand zu Schaden gekommen.“

„Du hast dich vor mein Auto geworfen und mich angefleht, dich zu überfahren!“

Gracie wurde rot vor Scham. Warum musste sie jeder an die Vergangenheit erinnern? Wieso trampelten immer noch alle darauf herum?

„Da ging es um mich, damit hätte ich nicht dich verletzt.“ Sie keuchte. Sei friedlich, ermahnte sie sich. Jetzt könnte sie das Mittel gegen Sodbrennen gebrauchen. „Es tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Ich bereue es, dass ich mich von meiner Schwester habe überreden lassen hierherzukommen. Ich wusste von Anfang an, dass das keine gute Idee ist. Es wird nicht wieder vorkommen. Egal, welche Probleme sie mit Zeke hat, ich werde mich nie wieder einmischen. Nie wieder.“

Riley sah sie fragend an. „Probleme mit Zeke?“

„Das geht dich nichts an.“

„Ich denke, es geht mich sehr wohl etwas an. Schließlich wurden auf meinem Grundstück Fotos gemacht.“

Tja. Das war ein Argument. Keine gutes, aber immerhin. „Es ist so: Zeke benimmt sich in letzter Zeit reichlich seltsam. Er kommt superspät nach Hause und sagt nicht, wo er war. Er schiebt alles auf den Wahlkampf, aber Alexis glaubt, in Wirklichkeit hat er eine Affäre.“

Riley stieß einen Fluch aus und packte sie wieder am Arm. „Na gut. Dann komm mal mit.“

„Lass mich los!“

Ohne auf Gracie zu achten, zog er sie mit sich.

„Wohin gehen wir?“

„Ins Haus. Wir müssen reden. Wenn mein Wahlkampfmanager eine Affäre hat, muss ich das wissen.“

„Ich glaube nicht, dass er eine Affäre hat. Dafür ist er gar nicht der Typ. Um wie viel Uhr war das Meeting heute Abend denn zu Ende?“

Abrupt blieb Riley auf der vorderen Veranda stehen. Die Außenbeleuchtung setzte sein Äußeres perfekt ins Licht: die dunklen Augen, die hohen Wangenknochen und ein Mund, der das Zeug dazu hatte, sogar anständige Frauen schmutzige Dinge tun zu lassen. Er trug immer noch einen Ohrring, aber es war nicht mehr der kleine goldene Ring, an den sie sich erinnerte. Jetzt war es ein kleiner Brillant.

„Wir hatten heute Abend kein Meeting“, antwortete Riley tonlos. „Ich habe Zeke seit drei Tagen nicht mehr gesehen.“

Gracie fühlte sich plötzlich sehr unwohl. Sie befreite sich aus Rileys Griff und rieb sich erneut den Magen. „Das klingt irgendwie gar nicht gut.“

„Das finde ich auch. Bitte komm mit rein. Ich möchte die Geschichte von vorne hören. Erzähl mir alles, was du über Zeke und seine Affäre weißt.“

„Wie gesagt: Ich weiß nicht, ob er überhaupt eine Affäre hat. Vielleicht ist alles ja nur eine Uberreaktion meiner Schwester.“

„Ist das denn ihre Art?“, wollte Riley wissen, als er die Haustür öffnete und Gracie aufforderte hineinzugehen.

„Eigentlich nicht. Obwohl, vielleicht. Ich lebe in L. A., ich habe nicht wirklich viel mit ihr zu tun.“

Als Gracie das Haus betreten hatte, blieb sie in der Eingangshalle stehen. Das alte Haus war riesig und verfügte über wunderbare hohe Decken. Sie war umgeben von einer Unmenge an antiken Holzschnitzereien, Möbeln, Nippes und Kunstobjekten. Es war das reinste Museum.

„Wow. Das ist ja cool“, sagte sie bewundernd, während sie sich umsah. „Ich glaube, mein ganzes Haus würde in diese Eingangshalle passen.“

„Ja, die Villa ist riesig. Ich zeige dir die Bibliothek.“

Wieder nahm er sie am Arm und zerrte an ihr. Im Vorbeigehen konnte sie einen Blick ins Esszimmer und den Salon oder das Wohnzimmer werfen, dann standen sie in der Bibliothek. Riley ließ sie los und ging hinüber zu einer Bar neben dem Fenster. Nachdem er die Schrotflinte auf den Tisch gelegt hatte, goss er in zwei Gläser etwas, das wie Scotch aussah. Gracie stellte ihre Polaroidkamera ab.

„Nur fürs Protokoll“, meinte sie und rieb ihren Arm. „Früher hast du Frauen nicht misshandelt.“

Ein wütender Blick traf sie, dann reichte er ihr eines der beiden Gläser. „Ich traue dir nicht.“

„Es ist vierzehn Jahre her, Riley. Lass doch die Vergangenheit einfach ruhen.“

„Ich hatte mit der Vergangenheit keinerlei Probleme, bis du gerade hier aufgetaucht bist. Damals hast du mich zwei Jahre lang verfolgt und belästigt. Es stand sogar in der Zeitung. Die ‚Gracie-Chroniken‘.“

Gracie schämte sich. „Ja. Aber diese Zeitungsartikel sind nun wirklich nicht auf meinem Mist gewachsen. Können wir uns jetzt vielleicht wieder aktuelleren Ereignissen zuwenden? Wie zum Beispiel Zeke?“

„Wieso kommt Alexis darauf, dass er eine Affäre hat?“

„Weil er immer so spät nach Hause kommt und ihr nicht sagen will, wo er war.“

„Und wie lange geht das schon?“

„Seit etwa sechs Wochen. Zuerst glaubte sie ihm das mit der Bürgermeisterkampagne, aber dann kam er immer später und noch später nach Hause. Und als er ihr dann nicht einmal sagen wollte, was los ist ...“ Gracie unterbrach sich und sah Riley an. „Wieso kandidierst du eigentlich für den Bürgermeisterposten? Ich wusste gar nicht, dass du politisch so engagiert bist.“

Riley ignorierte ihre Frage und deutete auf ihren Drink. „Willst du lieber was anderes?“

Gracie roch an der Flüssigkeit und stellte dann das Glas auf den Tisch. „Nein, alles gut. Es ist nur so, dass sich bei Stress sofort mein Magen meldet.“ Sie holte ihr Mittel gegen Sodbrennen aus der Hosentasche und steckte sich zwei Tabletten in den Mund. „Das ist echt ein tolles Zimmer.“

Tatsächlich waren die Bücherregale dreieinhalb Meter hoch und vollgestopft mit den verschiedensten literarischen Werken. Er wagte nicht, ihr zu sagen, dass die Bibliothek einer der wenigen Räume in dem viel zu großen Haus war, in dem er sich wohlfühlte.

„Erzähl mir mehr über Zeke“, bat er sie.

„Oder du mir.“ Sie ging hinüber zu dem Ledersofa, das gegenüber des kunstvoll verzierten Kamins stand, und ließ sich hineinfallen. „Er ist dein Wahlkampfleiter. Hat er eine Affäre?“

„Wenn ich das wüsste.“ Riley lehnte sich gegen die Schreibtischkante. „Er spricht die ganze Zeit immer nur von Alexis. Ich dachte eigentlich, er vergöttert sie.“

„Aber eure Meetings dauern nicht bis drei Uhr morgens.“

Riley lächelte. „Ich kandidiere für das Bürgermeisteramt, nicht für die Präsidentschaft.“

„Genau das ist es. Tja. Ich schätze, ich muss Alexis sagen, dass ihr Mann heute Abend nicht hier war. Das wird sie nicht gerne hören.“

Und Riley gefiel es auch nicht. Die Wahl war in fünf Wochen, er konnte sich keinen Skandal leisten. Es lief gerade gut für ihn in Los Lobos.

Er stellte seinen Drink hin und zog das Bild aus der Polaroidkamera, machte die Schutzfolie ab und betrachtete es.

Es zeigte die Decke der Bibliothek und ein paar Bücherregale – sonst nichts.

„Du bist nicht gerade eine gute Fotografin.“

Sie rollte mit den Augen. „Stell dir vor, das will ich auch gar nicht sein. Obwohl dich das vielleicht überrascht, bin ich weder Privatermittlerin geworden, noch bin ich beim Geheimdienst. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit Hochzeitstorten.“

Gracie war verärgert und empört, aber sie schämte sich auch. Sie spürte, wie sie wieder rot anlief und ihre Unterlippe zu zittern begann. Sie sah beinahe so aus wie früher, als sie noch ein Teenager gewesen war. Große blaue Augen, lange goldblonde Haare, allerdings mehr weibliche Formen. Doch ihre Entschlossenheit war dieselbe – die hatte ihm damals höllisch Angst gemacht.

„Es tut mir leid.“ Endlich war es draußen. „Die Sache jetzt. Und die Sache damals. Du weißt schon.“

„Meinst du damit auch das Juckpulver in meinen Boxershorts?“

„Ja. Auch das. Ich ...“ Sie beugte sich nach vorn und kritzelte mit den Fingern verlegen ein Muster auf den niedrigen Couchtisch. „Wenn ich heute daran zurückdenke, kann ich kaum glauben, was ich dir damals zugemutet habe. Das war wirklich schrecklich.“

„Die Leute hier reden immer noch davon.“

Sie setzte sich wieder gerade hin und sah ihn an. „Wem sagst du das? Bei allen anderen ist es egal, was früher einmal war. Nur bei mir nicht. Klar. Ich bin ja auch eine Legende. Und ich muss dir sagen, das kotzt mich an.“

In seinen Gedanken tauchte der Nachmittag vor dem Abschlussball auf, als sie ihm Abführmittel ins Essen gemixt hatte. „Du warst ziemlich kreativ damals.“

„Ich war eine Bedrohung. Dabei wollte ich nur ...“ Wieder wurde sie knallrot. „Wir wissen beide, was ich wollte.“

„Und, hast du einen Freund?“

Sie schüttelte den Kopf. „Hin und wieder. Aber keinen werde ich jemals mit nach Los Lobos bringen.“

„Du willst also nicht, dass deine Typen erfahren, wie du mir mal ein Stinktier ins Auto gesetzt und es stundenlang nicht mehr rausgelassen hast?“

Jetzt war wohl die Zeit der Aufarbeitung gekommen. „Ich habe die Reinigung bezahlt.“

„Mein Auto war danach nicht mehr zu gebrauchen. Ich musste es verkaufen.“ Er prostete ihr zu. „Und du warst versessen darauf, Pam und mich auseinanderzubringen.“ Gemessen an dem, was später geschehen war, hätte er Gracies Warnungen besser ernst genommen.

Gracies wissender Gesichtsausdruck vermittelte ihm den Eindruck, sie teilte seine Einschätzung. Aber sie ersparte sich einen Kommentar und fragte nur: „Was jetzt?“

„Ich finde heraus, was mit Zeke los ist. Im Moment kann ich keinen Skandal gebrauchen. Kannst du deine Schwester vielleicht so lange beruhigen, bis ich konkrete Informationen habe?“

„Denk dran, du bist mir was schuldig“, gab er zu bedenken, als er ihr Zögern bemerkte.

Gracie erschauderte. „Ich weiß. In Ordnung. Ich werde tun, was ich kann. Aber mehr als ein paar Tage Aufschub kann ich dir nicht versprechen. Alexis ist eine wild entschlossene Frau mit einer Mission.“

„Und wir alle wissen, was passiert, wenn eine Landon sich etwas in den Kopf gesetzt hat.“

„Genauso ist es.“ Gracie stand auf und sah Riley an. „Es tut mir wirklich sehr leid. Ich weiß, meine Entschuldigung kommt etwa vierzehn Jahre zu spät, aber sie kommt von Herzen. Ich wollte dir nie das Leben zur Hölle machen.“

„Das ist sehr nett.“

„Soll ich dir meine Handynummer dalassen, damit du mich wegen Zeke informieren kannst, oder willst du lieber direkt Alexis anrufen?“

Riley kannte Alexis überhaupt nicht. „Deine Nummer.“

Er reichte ihr ein Stück Papier. Schnell schrieb sie die Nummer auf und gab ihm den Zettel zurück.

„Oh. Meine Kamera“, fiel ihr ein.

„Wie lange bleibst du hier?“, wollte er wissen, während er Gracie die Kamera reichte.

„Nur ein paar Wochen. Meine jüngere Schwester Vivian heiratet. Ich helfe bei den Vorbereitungen und mache die Hochzeitstorte für sie. Ich habe mir am Stadtrand ein Häuschen gemietet. Ich brauche eine eigene Küche, um meine anderen Aufträge zu erledigen.“

„Ich melde mich.“

Gracie nickte und drehte die Kamera in den Händen, als wollte sie noch etwas hinzufügen. Riley schaute sie erwartungsvoll an, doch sie zuckte nur die Schultern und ging dann hinaus in den Flur.

Er begleitete sie bis zur Haustür. Als sie draußen stand, drehte sie sich noch einmal zu ihm um.

„Mit Pam habe ich damals recht gehabt“, stellte sie fest.

„Ich hätte auf dich hören sollen.“

Lächelnd schaute sie ihn an. „Meinst du das im Ernst?“

„Auf jeden Fall. Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn, Gracie. Gute Nacht.“

Riley schloss die Tür, blieb aber dahinter stehen. Plötzlich hörte er einen dumpfen Knall – als hätte sie gegen die Tür getreten.

„Das war ein Tiefschlag, Riley“, hörte er sie rufen. „Ein echter Tiefschlag!“

Trotz allem, was er an diesem Abend erfahren hatte, und obwohl viel Arbeit auf ihn wartete, ging er grinsend zurück in die Bibliothek.

Gracie kochte vor Wut, als sie Rileys Anwesen verließ. „Er ist das blinde Huhn“, murmelte sie vor sich hin. „Das mit Pam war kein Zufallstreffer. Ich wusste, wie sie drauf ist. So viel zum Thema Dankbarkeit. Hätte er gleich auf mich gehört, hätte er sie gar nicht erst geheiratet. Aber nein.“

Sie stampfte mit dem Fuß auf, dann blieb sie auf dem Bürgersteig stehen. Keine Spur von Alexis noch von ihrem Wagen. Na super. Los Lobos war zwar keine Großstadt, aber den Weg von der Villa der Whitefields bis zum Haus ihrer Eltern konnte man durchaus als eine kleine Wanderung bezeichnen.

Gracie wandte sich nach links und marschierte los. Die Luft war angenehm frisch und roch ein bisschen salzig. Obwohl sie so lange nicht mehr hier gewesen war, fühlte sie sich in der Stadt immer noch zu Hause. Sie mochte die Nähe des Meeres und die ruhigen Wohngebiete. In L. A. lebte sie zwar auch in einem Vorort, aber dort war es trotzdem wesentlich lauter als hier.

An der Ecke drehte sie sich noch einmal um. Riley stammte zwar aus bescheidenen Verhältnissen, aber das Leben eines reichen Mannes passte zu ihm. Sie lächelte, als sie die Straße überquerte. Und er sah immer noch so gut aus! Offensichtlich hatte sie schon mit dreizehn einen guten Geschmack in Bezug auf Männer gehabt. Eigentlich war Riley sogar noch unwiderstehlicher geworden. Mit seinem stets leicht nachdenklichen Blick und seinen feinen Zügen sah er aus wie ein gefallener Engel. Ein Engel mit Brillantohrring.

Obwohl es ihr peinlich gewesen war, ihn wiederzusehen, hatte sie auch etwas anderes gespürt. So etwas wie Anziehungskraft. Irgendwie hatte es bei ihr gefunkt. Aber das war sicherlich so einseitig wie damals in ihren Teenagertagen. Sie sollte sich hüten, sich Hoffnungen zu machen. Die Zeiten der Stalkerin waren ein für alle Mal vorbei.

Plötzlich hielt ein Wagen neben ihr. Es war Alexis’ Toyota Camry. Im selben Moment ließ ihre Schwester die Scheibe herunter.

„Du bist entkommen“, sagte sie leise. „Gott sei Dank. Steig ein!“

„Was soll das heißen, ich bin entkommen?“, polterte Grace los, als sie eingestiegen war. „Hast du vielleicht gedacht, Riley würde mich gefangen nehmen und Informationen aus mir herausfoltern?“

„Woher soll ich das wissen? Ich hatte ja keine Ahnung, dass der Blitz von deiner Kamera so laut und auffällig ist.“

Gracie betrachtete ihre alte Polaroid. „Ich auch nicht. Vielleicht nicht das beste Modell für einen Undercover-Einsatz.“ Sie wandte sich wieder ihrer Schwester zu. „Im Übrigen hast du mich hängen lassen. Was sollte das denn eigentlich?“

Alexis umklammerte das Steuer. „Tut mir leid. Ich konnte es nicht riskieren, erwischt zu werden.“

„Ach so! Aber ich, oder was? Hast du vielleicht eine Ahnung, was Riley dachte, als er mich vor seinem Fenster herumschleichen sah?“

„Nichts, was er nicht schon tausendmal vorher gedacht hat.“

Ihre Schwester konnte ganz schön gemein sein. „Ich möchte dich daran erinnern, dass seitdem vierzehn Jahre vergangen sind und ich inzwischen erwachsen bin.“ Gracie seufzte. „Aber egal. Ich habe die Information, die du haben wolltest.“

„Was meinst du damit?“

„Ich habe Riley nach Zeke gefragt.“

„Wie bitte? Oh nein!“

Alexis stieg unvermittelt in die Eisen, und Gracie war froh, dass sie sich sofort angeschnallt hatte.

„Sag mal, spinnst du? Ich habe ihn gefragt, und er konnte etwas zu der Sache sagen. Was ist so schlimm daran?“

„Weil das eine Privatangelegenheit ist“, giftete Alexis sie an. „Ich will nicht, dass jemand davon erfährt. Das ist Familiensache und geht niemanden etwas an! Aber es war klar, dass du das nicht verstehst.“

Gracie erschrak. Was sollte diese Anschuldigung?

„Du hast mich da reingezogen“, erinnerte sie ihre Schwester. „Ich bin nur mitgekommen, um dir zu helfen.“

„Ja, ich weiß. Es tut mir leid. Es ist nur ...“ Alexis seufzte. „Was hat er gesagt?“

„Er hat den Eindruck, dass Zeke dich liebt und bewundert. Nur gab es heute Abend kein Meeting.“ Sollte sie ihrer Schwester auch erzählen, dass Riley sich Zeke vorknöpfen wollte?

„Sonst noch was?“

Gracie zögerte.

Alexis hielt vor dem Haus der Familie Landon und stellte den Motor ab. „Jetzt sag schon“, bohrte sie nach.

„Riley will Zeke fragen, was er macht und wo er hingeht.“

Alexis ließ ihren Kopf aufs Lenkrad sinken und stöhnte. „Sag mir bitte, dass das ein Witz ist.“

„Nein, ist es nicht. Aber es ist auch keine so schlechte Idee. Denn du selbst willst deinen Mann ja nicht fragen, und irgendjemand muss die Wahrheit herausfinden. Wenn du erst weißt, dass da nichts läuft, wirst du dich gleich viel besser fühlen.“ Gracie legte ihrer Schwester die Hand auf den Arm. „Oder du redest doch noch mal selbst mit Zeke.“

Alexis öffnete die Fahrertür. „Du verstehst das nicht. Das ist alles nicht so einfach. Vielleicht will ich ja auch lieber gar nicht wissen, was er macht. Denn wenn er eine andere hat ...“ Sie schluckte. „Ich will ihn nicht verlassen. Aber dann müsste ich es tun.“

Im Grunde genommen hatte Gracie überhaupt keine Lust auf diese – oder jede andere – Unterhaltung. Sie war erst seit ein paar Tagen wieder in Los Lobos, und schon jetzt erschien ihr eine einwöchige Wurzelbehandlung beim Zahnarzt als durchaus erstrebenswerter.

„Warte doch erst mal ab, was dabei herauskommt“, beschwichtigte sie ihre Schwester.

„Gute Idee. Das mache ich. Kommst du noch mit rein?“ Alexis wandte sich in Richtung Haus.

Am liebsten wäre Gracie in ihr Häuschen geflüchtet, aber sie nickte pflichtbewusst und stieg aus. Drinnen würde sie kurz Hallo sagen und dann so schnell wie möglich wieder verschwinden. Eine gute Begründung hatte sie auch: Sie musste noch auspacken. Doch in Wirklichkeit brauchte sie einfach Abstand. Das war echt zu viel Familie auf einmal.

Gemeinsam mit ihrer Schwester ging sie zum Haus. Als Alexis die Tür aufschloss, hörte man von drinnen Geschrei.

„Das klingt nicht gut.“

„Klingt nach Vivian.“ Alexis schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, die Hochzeit wird nicht schon wieder abgesagt.“

„Wie? Abgesagt?“ Noch bevor Gracie weiter fragen konnte, war Alexis im Haus verschwunden. Gracie folgte ihr.

Vivian stand, die Hände in den Hüften, mitten im Wohnzimmer. Die Mascara war von den Tränen ganz verschmiert, ihre Mundwinkel hingen voller Verzweiflung nach unten.

Ihre Mutter saß auf dem Sofa, vor sich auf dem Tisch mehrere Hochzeitsmagazine.

Als sie Gracie und Alexis sah, schniefte ihre Schwester. „Ich hasse Tom“, erklärte sie trotzig. „Er ist egoistisch und gemein, und ich werde ihn nicht heiraten.“

„Natürlich wirst du ihn heiraten“, beruhigte Alexis sie. „Ihr habt euch nur gestritten. Worum ging es denn diesmal?“

„Um seinen Junggesellenabschied“, schluchzte Vivian. „Er hat gesagt, ich dürfte nicht mitkommen. Aber wenn ich nicht mitgehe, weiß ich doch gar nicht, was er macht. Die Filme und das Saufen und so, das ist mir alles egal. Aber ich will nicht, dass es Stripperinnen gibt.“

„Hat er das denn vor?“, fragte Alexis.

Vivian bekam einen Schluckauf. „Er sagt, das geht mich nichts an. Bis wir verheiratet wären, müsste er nicht das machen, was ich ihm sage.“

Gracie wollte nur eins: weg. Ob sie sich einfach entschuldigen und sich verziehen sollte, oder sollte sie nur auf die Toilette gehen? Doch zu ihrem eigenen Erstaunen mischte sie sich auch noch in die Diskussion ein.

„Hast du schon mal versucht, ihm klarzumachen, dass es dir nicht darum geht, ihn zu bevormunden, sondern dass du beim Junggesellenabschied nur dabei sein willst, um sicher sein zu können, dass ihr voll Liebe und Vertrauen in euren neuen Lebensabschnitt starten könnt? Ich habe noch nie kapiert, warum man vor seiner Hochzeit noch einmal so dermaßen auf die Pauke hauen muss, dass man am Ende vielleicht sogar seine Beziehung riskiert, weil man etwas Dummes tut.“

Alle starrten sie an. Alexis schüttelte maßregelnd den Kopf, und ihre Mutter erhob sich, um sich um die von neuen Heulkrämpfen geschüttelte Vivian zu kümmern.

„Das bedeutet dann wohl: nein“, murmelte Gracie und kam sich noch deplatzierter vor als vorher.

„Das wird schon“, tröstete ihre Mutter Vivian und nahm sie in den Arm. „Morgen früh sprichst du mit Tom noch einmal darüber, und dann sieht alles gleich ganz anders aus.“

„Vermutlich hast du recht“, nuschelte Vivian gegen die Schulter ihrer Mutter. „Ich will ja nur, dass er mich liebt.“

„Natürlich willst du das. Schon gut. Alles kommt wieder in Ordnung.“

Gracie deutete auf die Tür. „Dann lass ich euch mal allein. Ich bin weg.“

„Gute Idee“, gab ihre Mutter ihr mit auf den Weg.

Nein, sie war für diese Situation nicht verantwortlich, beruhigte sie sich selbst und trat hinaus in die Nacht. Dann fuhr sie zu ihrem vorübergehenden neuen Haus und freute sich auf die Ruhe, die sie erwartete.

Hier, in ihrer Küche, ging es ihr gleich viel besser.

Ihre Spezial-Backformen passten nicht in die Schränke, deshalb hatte sie sie einfach in die Regale gestellt. Den Terminplan hatte sie an den Kühlschrank geheftet, daneben prangte ein Artikel aus der Zeitschrift People mit dem Titel „Was ist Grace’s Geheimnis?“.

Sie betrachtete den Artikel und das Bild einer beliebten Sitcom-Darstellerin, die ihren Mann gerade mit einem Stück von Gracies selbstgemachter Hochzeitstorte fütterte. Die zweite Seite des Artikels zeigte Fotos der diversen Tortenkreationen und ein Bild von Gracie beim Dekorieren einer Torte.

Das war ihre Welt. Ihr eigenes Haus in Torrance, ihre Aufträge, ihre perfekt ausgestattete Küche mit Südfenster und den drei Backöfen samt integrierten Abkühlgittern. In dieser Welt verstand sie alles – und konnte einfach nur sie selbst sein, nicht Gracie, die Schwester, oder Gracie, die Tochter. Dort gehörte sie hin, dort kam sie sich nicht vor wie ein Eindringling.

War es am Ende doch ein Fehler gewesen, wieder zurück nach Los Lobos zu gehen? Wie dem auch sei. Sie war jetzt erst mal hier, und damit musste sie sich abfinden.

„Es ist ja nur für ein paar Wochen“, ermunterte Gracie sich selbst. Und danach konnte sie einfach wieder verschwinden und nie mehr zurückkehren.

3. KAPITEL

Um Punkt zwölf betrat Gracie Bill’s Mexican Grill, wo sie mit ihrer Freundin Jill verabredet war. Die saß schon da und winkte ihr zu.

„Du bist ja echt überpünktlich“, sagte Gracie zur Begrüßung.

Jill stand auf und umarmte sie. „Ich weiß. Das ist meine Krankheit. Vielleicht sollte ich es mal mit einem Zwölf-Punkte-Ratgeber versuchen.“

Gracie löste sich aus der Umarmung ihrer Freundin und betrachtete sie. „Du siehst toll aus“, stellte sie fest. „Kenne ich den Designer?“

Die Freundin wackelte mit den Hüften und drehte sich langsam einmal um die eigene Achse, um ihre maßgeschneiderte Bluse und die schicke Nadelstreifenhose angemessen bewundern zu lassen. Dann setzte sie sich wieder hin.

„Armani. Das sind noch die Klamotten aus meiner Kanzleizeit in der großen Stadt. Meine Assistentin Tina zieht mich schon immer damit auf, dass ich für Los Lobos viel zu schick bin. Aber wenn ich die Sachen nicht einmal im Job anziehen kann, wann denn sonst?“

Gracie setzte sich neben Jill und befühlte den Ärmel von ihrer Seidenbluse. „Jedenfalls nicht, um das Bad sauber zu machen.“

„So ist es.“ Jill grinste. „Ich freue mich so, dich zu sehen. Wir haben uns ewig nicht getroffen! Bestimmt fünf Monate oder so.“

„Ja, das kommt hin. Das letzte Mal auf deiner Hochzeit in Carmel, obwohl du damals weit mehr Interesse an deinem Gatten gezeigt hast als an mir. Und das trotz der Tatsache, dass ich dir eine phänomenale Hochzeitstorte gemacht habe. Was sollte das also? Ich bin deine älteste und beste Freundin, und er ist nur ein Mann.“

Jill lachte. „Da hast du recht! Er ist nur ein Mann, aber ein toller, wunderbarer, gut aussehender ...“

Als die Bedienung an den Tisch trat, unterbrach sie ihre Lobeshymne, um ihre Getränkebestellung aufzugeben. Gracie bestellte eine Light-Limonade, Jill einen Eistee.

Meine Freundin hat sich verändert, dachte Gracie. In den letzten paar Jahren war Jill ganz groß in Sachen Karriere unterwegs gewesen, bei einer renommierten Anwaltskanzlei in San Francisco. Sie hatte spießige Hosenanzüge getragen, ihre tollen Locken zu einem gruseligen Knoten zusammengebunden und ewig lange Tage im Büro verbracht. Und jetzt ...

Gracie musste lächeln. Mit einem Mal wirkte ihre Freundin weicher, femininer, zufriedener. Ihre lange Mähne trug sie offen, die Augenringe waren verschwunden, und sie strahlte einfach.

„Das Eheleben bekommt dir“, stellte Gracie fest.

„Ich liebe es. Mac ist so wunderbar. Zuerst hatte ich ja Bedenken wegen Emily und der Stiefmutterrolle. Aber Emily ist wirklich süß und hat viel Geduld mit mir. Es stört mich nur, dass ich sie mit ihrer Mom teilen muss. Ich hätte gar nichts dagegen, sie die ganze Zeit um mich zu haben.“

„Wow. Das hört sich gut an.“

„Ja, und so fühle ich mich auch. Ich liebe die beiden sehr.“

Gracie ergriff Jills linke Hand und bewunderte ihren Ring, der aus einem beeindruckenden Solitär, umgeben von kleineren Diamanten, bestand.

„Ich mag Männer, die sich von einem großen Stein nicht einschüchtern lassen“, sagte Gracie grinsend.

„Mac weiß, wie man’s macht“, gab Jill zu. „In vielerlei Hinsicht.“

Mit einer abwehrenden Geste offenbarte Gracie ihre Gefühle. „Wenn du jetzt über Sex reden möchtest, weigere ich mich zuzuhören. Ich freue mich für dich über deinen tollen Mann und deine perfekte Stieftochter. Ich gönne dir auch einen Hund – aber von Sex will ich nichts hören.“

Jill tätschelte ihre Hand. „Weil du keinen hast?“

„Genau so ist es. David und ich haben vor drei Monaten Schluss gemacht, und seitdem hatte ich noch keine Lust, mich wieder auf die Jagd zu begeben.“

Die Kellnerin kehrte mit den Getränken zurück. Dazu stellte sie Chips und Dips auf den Tisch und fragte, ob die Damen bestellen wollten.

„Was kannst du empfehlen?“, fragte Gracie ihre Freundin.

„Der Taco-Salat hier ist großartig“, antwortete Jill.

„Gut, dann nehme ich den.“ Gegen das unausweichliche Sodbrennen hinterher hatte sie ja ihre Tabletten dabei.

„Und ich auch“, sagte Jill zu der Bedienung. „Danke.“ Dann wandte sie sich wieder ihrer Freundin zu. „Ich dachte, du kamst gut mit David aus. Was ist denn passiert?“

„Keine Ahnung. Nichts. Alles. Er war toll, aber ...“ Gracie seufzte. „Es prickelte nicht mehr. Aber das hätte ich gern. Ist das denn zu viel verlangt? Es muss ja kein loderndes Feuer sein, aber so ein bisschen Glut wäre schon schön. Weißt du, ich will Herzklopfen haben, wenn ich weiß, dass ich meinen Partner gleich sehe. Die Zeit mit ihm will ich wunderbar oder atemberaubend finden, nicht einfach nur nett oder sehr angenehm. David war sehr angenehm. Wir haben uns gut verstanden. Wir haben uns nie gestritten. Es passierte einfach nichts. Wie soll ich es mit einem Mann ernst meinen, wenn ich nicht mal merke, ob er da ist oder nicht?“

„Trotz deiner früheren Leidenschaft für einen Mann, dessen Namen wir nicht nennen, liegen dramatische Szenen dir eigentlich fern“, pflichtete Jill ihr bei.

„Vielleicht ist ja gerade das mein Problem. Vielleicht habe ich solche Angst, wieder zur Stalkerin zu mutieren, dass ich mich nicht mehr richtig auf einen Partner einlassen kann.“

Gracie nahm ihr Glas. „Aber dramatische Szenen sind schon mein Ding, ich muss nur wollen.“

Jill lächelte. „Das weiß ich.“

Gar keine schlechte Idee! Doch eigentlich war Gracie klar, dass sie in ihrem Leben Routine bevorzugte. Überraschungen liebte sie, wenn es um Geschenke ging, aber alles andere sollte doch möglichst überschaubar sein. Das könnte eine Erklärung dafür sein, dass alle ihre letzten Beziehungen ziemlich langweilig gewesen waren.

Außerdem ... „Ich glaube, die Hysteriegene hat in unserer Familie alle Vivian abgekriegt. Gestern hat sie sich mit Tom wegen seines Junggesellenabschieds total in die Haare gekriegt und wollte sogar schon die Hochzeit abblasen!“

Jill riss die Augen auf. „Würde sie das durchziehen?“

„Ich habe keine Ahnung. Aber wenn ja, werde ich echt sauer. Schließlich bin ich extra wegen ihrer Hochzeit hergekommen und habe für sechs Wochen ein Haus gemietet. Und das, obwohl ich bis über beide Ohren voll mit Aufträgen bin.“

„Ich dachte, du wohnst bei deiner Mutter“, sagte Jill. „Oder taugt ihr Backofen nichts?“

„Ich brauche nicht nur einen Backofen, sondern auch einen Kühlschrank und einen Gefrierschrank. Und Platz, um die Torten zu dekorieren und meine ganze Ausstattung unterzubringen. Außerdem arbeite ich oft bis in die Nacht hinein. Die eigentliche Torte ist ja nicht das Problem. Was so lange dauert, sind die verschiedenen Dekorationen.“

Gracie ließ unerwähnt, dass sie sich im Haus ihrer Mutter nicht wohlfühlte. Sie war so lange nicht dort gewesen, es war einfach nicht mehr ihr Zuhause. Sie hatte sich zwar bemüht, sich, so gut es ging, anzupassen, aber es war ihr bisher nicht wirklich gelungen.

„Ist es nicht seltsam für dich, wieder hier zu sein?“, wollte Jill wissen.

„Ja und nein. Ich bin eine andere als damals, aber das scheint keiner zu bemerken. Für die Leute hier bin ich immer noch die alte Gracie Landon – und verliebt in Riley Whitefield.“

Jill nahm ihr Glas. „Du weißt ja sicher, dass er auch wieder hier ist.“

Gracie sah sie genervt an. „Jetzt fang du nicht auch noch an. Die Nachbarin meiner Mutter, mein Vermieter, der Mann im Lebensmittelladen und irgendeine mir unbekannte Frau auf der Straße haben mich schon mit dieser Neuigkeit versorgt. Es ist irgendwie gruselig – beinahe wie in Twilight Zone.“

„Das liegt sicher an den Zeitungsartikeln von damals“, vermutete Jill. „Sogar Menschen, die dich gar nicht kannten, litten bei deiner Liebesgeschichte mit.“

„Wem sagst du das.“

„Bist du ihm schon begegnet?“

Gracie zögerte. Sie wusste nicht, wie sie Jill von der Begebenheit erzählen sollte, ohne Alexis’ Eheprobleme zu erwähnen.

„Also ja!“ Jill beugte sich näher zu ihr. „Ich will alles wissen! Fang vorne an, und sprich schön langsam.“

Gracie seufzte und nahm sich ein paar Chips. „Du darfst aber niemandem etwas davon sagen“, schwor sie ihre Freundin ein und nahm einen Bissen. „Ich habe etwas für Alexis überprüft. Aber ich kann dir nicht sagen, worum es geht.“

„Also bist du ihm zufällig im Laden begegnet, oder was?“

„Nein, so kann man das nicht sagen. Ich lungerte vor seinem Haus herum.“

Ungläubig sah Jill sah sie an. „Du machst Witze! Du hast ihn verfolgt?“

„Nein. Ich habe jemand anderen verfolgt. Aber Riley hat mich erwischt. Es war furchtbar! Es war ganz schrecklich, und ich vermute, er erwägt ein Kontaktverbot gegen mich zu erwirken.“

Jill griff in die Chipsschale. „Und, was denkst du? Er sieht immer noch super aus, oder nicht?“

„Oh ja. So grüblerischgefährlich.“

„Und sexy“, fügte Jill hinzu. „Ich liebe diesen Ohrring. Ich habe versucht, Mac zu überreden, auch einen zu tragen, aber irgendwie ignoriert er mich diesbezüglich.“

„Ja. Der Ohrring hat was.“

„Und sein Hintern! Der Mann hat einfach einen fabelhaften Hintern.“

„Ich hatte leider keine Gelegenheit, darauf zu achten, aber beim nächsten Mal denke ich dran.“

Jill bewarf sie mit einem Chipsstückchen. „Jetzt hör aber auf! Tu nicht so von oben herab! Wir reden von Riley! Ich nehme dir nicht ab, dass du mit ihm in einem Zimmer stehen kannst und nichts dabei empfindest!“

„Doch, ich fühle Erniedrigung und das brennende Verlangen, woanders zu sein.“

„Das meine ich nicht. Jetzt komm schon, Gracie. Es muss eine gewisse Anziehungskraft zwischen euch geben.“

Und wenn es so wäre, würde ich es niemals zugeben, dachte Gracie. Das war ihr zu gefährlich und könnte sie ganz schnell ganz blöd aussehen lassen. Abgesehen davon war diese Anziehung sicher nur einseitig. „Er gehört in meine Vergangenheit, und da bleibt er auch. Meinst du vielleicht, ich bin stolz auf das, was ich ihm damals angetan habe? Ich hasse es, dass mich immer noch alle Leute darauf ansprechen. Schon allein deswegen werde ich garantiert nicht noch Öl ins Feuer gießen. Was macht er überhaupt hier? Wieso will er Bürgermeister werden? Was steckt dahinter?“

Über Jills formale Antwort war Gracie ziemlich verblüfft. „Ich kann dazu nur das sagen, was öffentlich bekannt ist.“

Gracie starrte ihre Freundin fassungslos an. „Du bist seine Anwältin?“

„Ich regle ein paar Angelegenheiten für ihn.“

Immer noch verdattert, hakte Gracie nach. „Wie lange bleibt er in der Stadt?“

„Das kommt darauf an.“

„Du bist ja nicht gerade sehr hilfreich.“ Sie nahm einen Schluck von ihrer Limonade. „Du weißt aber schon, warum er für das Bürgermeisteramt kandidiert?“

„Natürlich.“

„Und, sagst du es mir?“

„Nein.“

„Es macht echt keinen Spaß mit dir, weißt du das?“

Jill langte nach den Chips. „Ich weiß. Aber ich darf nichts sagen.“ Sie sah Gracie verschlagen an. „Aber wenn du ihm das nächste Mal begegnest, wenn du vor seinem Haus rumlungerst, kannst du ihn ja selbst fragen.“

„Nicht für Geld und gute Worte! Ich will nie wieder etwas mit Riley zu tun haben! Diese Demütigung könnte ich nicht ertragen.“

„Ich verstehe. Solange du dir sicher bist, dass er nicht doch der Richtige ist ...“

Gracie sah ihre Freundin an und lachte. „Und wenn er der Richtige wäre, würde ich ins Kloster gehen!“

Franklin Yardley stand auf Uhren. Seine beachtliche Sammlung bewahrte er in einer speziell angefertigten Schublade in seiner Kommode auf. Jeden Morgen wählte er einen zu Anzug und Krawatte passenden Zeitmesser aus. Am liebsten mochte er die Fabrikate von Omega, doch er besaß auch drei Rolex-Uhren. Das erwartete man schließlich von einem Mann in seiner Position.

„Es geht immer um die Wahrnehmung“, rief er sich selbst in Erinnerung und betrachtete die Omega, die halb von seiner Hemdsmanschette mit eingesticktem Monogramm bedeckt war.

Als er jetzt in dem Katalog eines Juweliers blätterte, ging es ihm jedoch nicht um eine neue Uhr für seine Sammlung. Bei den Damenuhren stoppte er. Heute suchte Franklin etwas für eine ganz besondere Person.

Eine schlichte, aber elegante Movado stach ihm ins Auge.

„Die ist perfekt.“

Die Uhr war edel genug, um die betreffende Dame zu beeindrucken, aber nicht so auffällig, dass jeder sie gleich bemerkte.

Er notierte sich die Adresse des Juweliers und sah dann in seinen Kalender. Er musste erst die zwölfhundert Dollar organisieren, die die Uhr kostete, denn er konnte sie nicht einfach so mit seiner Kreditkarte bezahlen. Seine Frau Sandra hatte in ihrem Leben noch keinen einzigen Tag wirklich gearbeitet, kontrollierte aber jeden einzelnen Cent seiner Ausgaben. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass die Tochter eines Self-Made-Millionärs sich nicht um Banalitäten wie Ausgaben und Budgets kümmern würde, aber da hatte er sich geirrt. Sandra hatte das Vermögen in die Ehe eingebracht und war der Ansicht, die Entscheidung über Geldausgaben lägen allein in ihrem Aufgabenbereich.

Doch nach inzwischen achtundzwanzig Jahren Ehe hatte sich Frank daran gewöhnt, dass sie ihn kurzhielt. Er wusste, wie er ihre strenge Buchhaltung umgehen konnte.

Oft machte sie Bemerkungen über die schönen Dinge, die er sich gönnte, doch er lieferte ihr nie eine Erklärung über deren Herkunft. Nicht einmal wenn sie ihm ins Gesicht sagte, sie würde ihm nicht trauen. In Wirklichkeit interessierte es ihn ohnehin nicht, was seine Frau dachte – sie würde ihn niemals verlassen, und auf Partys konnte man sich gut mit ihr schmücken. Das reichte ihm.

Franklin ließ den Uhrenkatalog in seine Tumi-Lederak-tentasche gleiten und schloss dann die unterste Schreibtisch-Schublade auf. Unter dem Siegel der Stadt und anderen wichtigen Dokumenten lag ein Scheckbuch. Es gehörte zu dem heimlichen Konto, das er sich eingerichtet hatte. Ihm kam dieses Geld immer wie sein privates Spielgeld vor. Jetzt steckte er das Scheckbuch zu dem Katalog in die Tasche und drückte dann einen Knopf, um seine Assistentin zu rufen.

Kurz darauf öffnete sich die Tür zu seinem Büro, und Holly kam herein. Sie stammte aus San Diego, war groß, blond und süße vierundzwanzig – und entsprach dem klassischen Surfer-Schönheitsideal. Doch Holly punktete nicht nur mit ihren blauen Augen und den hohen Wangenknochen, sondern auch mit ihrer außergewöhnlichen Intelligenz.

„Hier sind die Zahlen, um die Sie mich gebeten hatten“, sagte sie und legte einen Ordner auf den Schreibtisch.

In Wirklichkeit galt sein Interesse ihr. Er war gespannt, wie sie auf die Uhr reagieren würde, die er ihr noch diese Woche zu überreichen gedachte.

„Es sieht nicht gut aus“, fügte sie hinzu. „Riley Whitefield legt in den Umfragen zu. Die Menschen fangen an, ihm zuzuhören.“ Sie legte die Stirn in Falten. „Man rät uns, die Probleme deutlicher anzusprechen. Sie sollten ein paar Reden mehr halten.“

Frank vergötterte Holly. Die Art, wie sie sprach, wie sie sich Gedanken machte, sich einbrachte, „wir“ sagte – als wären sie ein Team.

„Und welches Problem ist das dringendste?“, fragte er.

Erfreut sah sie ihn an. „Sind Sie ernsthaft an meiner Meinung interessiert?“

„Selbstverständlich. Sie sind meine Verbindung zu den Menschen von Los Lobos. Ihnen erzählt man Dinge, die ich nie zu Ohren bekäme.“

„So habe ich das noch gar nicht gesehen. Als Bürgermeister ist man wohl doch immer ein bisschen außen vor.“

„Schließen Sie doch die Tür, und wir machen ein kleines Brainstorming bezüglich der relevanten Themen“, schlug Franklin vor.

Holly tat wie ihr geheißen und nahm dann ihm gegenüber Platz. „Steuern sind immer ein gutes Thema“, legte sie los. „Aber mit öffentlichen Anleihen werden wir keine Stimmen gewinnen.“

„Was sind Whitefiels Themen?“

„Der Bebauungsplan. Mehr Geld für Schulen. Und die Frage: Wie locken wir auch im Winter Touristen an?“

„Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich noch mehr Touristen hier haben will“, sagte Franklin.

Da musste Holly ihm recht geben. „Ja, sie nerven. Aber sie spülen eine Menge Geld in unsere Kassen.“

„Scheint, als hätten wir also unser Thema gefunden.“ Franklin hielt inne, als ob er sich einen Moment besinnen müsste, dabei hatte er schon längst eine Entscheidung gefällt. „Ich gehe nicht davon aus ...“, begann er.

Holly beugte sich mit eifrigem Gesichtsausdruck nach vorn. Ihre prallen, jungen Brüste wogten ihm unter ihrer Bluse sacht entgegen.

„Ich frage mich, ob Sie mir ein paar Entwürfe für Reden ausarbeiten könnten.“

Enthusiastisch sprang die junge Frau auf und sah ihren Chef an. „Im Ernst? Das würden Sie mir zutrauen?“

„Ich glaube, Sie machen das hervorragend. Sie sind intelligent und ehrgeizig, und Sie haben Talent. Also, wie sieht’s aus: Wären Sie interessiert?“

„Auf jeden Fall. Ich kann Ihnen bis Ende der Woche zwei Entwürfe vorlegen. Reicht das?“

„Natürlich.“ Irgendwie hatte Franklin Yardley das Gefühl, dass er an ihren „Entwürfen“ nichts mehr würde ändern müssen. Er erhob sich. „Vielen Dank, Holly Das bedeutet mir sehr viel.“

„Und ich freue mich sehr, dass Sie mir diese Gelegenheit eröffnen.“

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Für eine Frau wie Sie würde ein Mann vieles tun.“

Mit einem verführerischen Lächeln ging sie auf ihn zu. Wenige Zentimeter vor ihm blieb sie stehen und machte sich an ihrem Rockbund zu schaffen.

„Für einen Mann wie Sie würde eine Frau auch fast alles tun.

Ihr Rock glitt zu Boden. Franklin konnte den Blick nicht von ihr abwenden und dankte stumm dem Himmel.

Holly trug kein Höschen.

Gracie stellte den Kuchen aufs Abkühlgitter und löste den Boden aus der Form. Ihn perfekt hinzukriegen war bei dem launischen Ofen, mit dem sie es hier zu tun hatte, eine echte Herausforderung. Es war eben nicht ihr eigener Ofen. Sie zählte bis fünf, dann hob sie den Kuchenboden, der sich noch auf dem Blech befand, in einer souveränen Bewegung an. Jetzt durfte nichts schiefgehen.

Problemlos rutschte der goldbraune Kuchen auf das bereitgestellte Gitter.

„Ich liebe es, wenn alles glattgeht“, sagte Gracie grinsend zu sich selbst, während sie die verschiedenen Kuchenschichten betrachtete, die das Grundgerüst für eine recht einfache, aber doch elegante Torte für die Hochzeitsfeier bilden würden.

Der Artikel in People und mehrere lobende Kritiken im Hochzeitsspecial der Zeitschrift In Style hatten dafür gesorgt, dass ihre kleine Firma sehr gut zu tun hatte. Aus ihr unerklärlichen Gründen galten ihre Hochzeitstorten bei Promis inzwischen als absolutes Muss. Fast schon wie ein Hochzeitskleid von Vera Wang.

„Ich will mich gar nicht beschweren“, stellte sie fest, während sie hinüber zum Kühlschrank ging, in dem sie die kleinen Zuckergusslilien für die Dekoration der Torte aufbewahrte. Insgesamt dreihundertfünfzig Stück. Wirklich brauchen würde sie etwa dreihundertdreißig, der Rest war Ersatz für den Fall, dass ihr ein paar Stücke zerbrachen.

Das Design – ein Kunstwerk in Weiß und Gold – war einer Torte, die sie auf einem Renaissancegemälde entdeckt hatte, nachempfunden. Die zukünftige Braut, eine bekannte Filmschauspielerin, liebte altmodische Dinge. Und Gracie war froh, dass die Dekoration einmal nicht aus den üblichen Blümchen, Täubchen und Herzchen bestand.

Sie ging hinüber zur Anrichte, auf der weitere bereits vorbereitete Dekorationselemente lagen, als ihr Mobiltelefon klingelte. Einen Moment lang hatte sie Herzklopfen, als würde jemand ganz Besonderes anrufen. Aber diesen Jemand gab es nicht.

Außer vielleicht ... Riley.

Ein kurzer Blick aufs Display verriet ihr jedoch, dass es ihre Mutter war – oder zumindest jemand aus dem Laden.

Ihr Herzschlag normalisierte sich, und sie nahm das Gespräch an.

„Gracie am Apparat“.

„Hallo, ich bin’s, deine Mutter. Ich wollte dich nur an unser Treffen heute Abend erinnern. Du kommst doch, oder? Es ist noch so viel zu tun für Vivians großen Tag! Ich hoffe, du bringst ein paar tolle Ideen mit, bei der ganzen Erfahrung, die du mit Hochzeiten hast!“

Gracie erinnerte sich wieder an den Vorabend und wie Alexis sie gemaßregelt hatte. Einmal mehr kam sie sich wie ein unerwünschter Eindringling vor.

„Findet die Hochzeit nun also doch statt?“, fragte sie. „Gestern war Vivian doch so sauer.“

Ihre Mutter seufzte. „Ach, das passiert im Moment ständig. Einmal pro Woche mindestens. Sie ist so flatterhaft und impulsiv, keine gute Mischung. Aber wenn sie erst mal verheiratet ist, legt sich auch das.“

Gracie war zwar der Auffassung, dass sich das besser schon vorher legen sollte, aber sie sagte nichts.

„Na klar, ich bin da. Soll ich was mitbringen?“

„Nur Geduld. Die wirst du brauchen.“ Ihre Mutter nannte Zeit und Ort, an dem sie sich trafen, und entschuldigte sich dann. Sie hatte Kundschaft zu bedienen.

Nach dem Gespräch legte Gracie das Handy auf die Anrichte. Sie hatte bei dem Gedanken hierherzukommen ein gewisses Unbehagen gefühlt, das sie aber nicht genau hätte beschreiben können. Jetzt, wo sie hier war, konnte sie ganz leicht all die Punkte nennen, die ihr Missbehagen bereiteten – in verschiedene Kategorien unterteilt.

Zum einen war da Riley. Nicht nur, dass die ganze Stadt sich lebhaft an alles zu erinnern schien, was damals vorgefallen war. Nein, es ging auch um ihre eigene Reaktion auf ihn. So lange hatte sie ihn nicht mehr gesehen, dass seine Anziehungskraft eigentlich erloschen sein musste. Aber das stimmte nicht. Dann war da ihre Familie. Sie erinnerte sich gut daran, wie oft sie sich mit ihren Schwestern gestritten hatte, aber auch, wie schön es mit ihnen gewesen war. Jetzt waren ihr Alexis und Vivian fremd. Untereinander waren die beiden aber sehr vertraut. Sie fühlte sich außen vor, und das gefiel ihr nicht. Und schließlich war da noch ihre Mutter. Sie spürte ihr gegenüber eine unterschwellige Spannung, eine gewisse Hilflosigkeit, aber sie wusste nicht, warum. Weil sie so lange weg gewesen war? Oder war da noch etwas anderes, das sie bis jetzt noch nicht mitbekommen hatte?

Sie wandte sich wieder ihrer Torte zu und kräuselte die Nase. In diesem Moment wünschte sie sich, sie würde mit etwas anderem ihren Lebensunterhalt verdienen als mit Torten – und das kam nicht häufig vor. Manchmal wäre es schön, einen Job zu haben, bei dem einem nicht so viel Zeit zum Grübeln blieb. Sie brauchte wirklich Zerstreuung. Und zwar nicht zu knapp.

Riley saß auf einem Ledersessel, den sein Onkel sich eigens hatte anfertigen lassen. Donovan Whitefield hatte die Führung der Familienbank an seinem fünfunddreißigsten Geburtstag übernommen und bis zu seinem Tod zweiundvierzig Jahre später keinen Tag gefehlt. Er war ein sturer und schwieriger Zeitgenosse gewesen, ein Mann, der niemals Urlaub machte und anderen ihre Fehler und Schwächen nicht verzieh.

Jedenfalls hatte man das Riley erzählt. Er selbst hatte seinen Onkel nie kennengelernt. Sie hatten zwar fünf Jahre in derselben Stadt gelebt, und doch hatten sich ihre Pfade niemals gekreuzt.

Riley drehte sich in dem Stuhl um und betrachtete das große Porträt an der Wand gegenüber der Tür. Das Büro seines Onkels strahlte Würde und Eleganz aus und war einem Bankdirektor absolut angemessen. Dazu passte auch das Gemälde, auf dem Donovan Whitefield verewigt worden war, wie er hinter seinem Schreibtisch saß und in die Ferne schaute, als ob er dort die Zukunft sähe.

Das Bild war so scheußlich, dass Riley es am liebsten sofort abgehängt und verbrannt hätte. Aber das ging nicht. Noch nicht. Erst wenn er die Wahl gewonnen hatte und all das hier ihm gehörte. Bis dahin musste er gute Miene zum bösen Spiel machen und das Büro mit diesem griesgrämigen alten Gespenst teilen.

Es klopfte kurz, dann schwang die schwere Holztür auf.

„Guten Morgen, Mr. Whitefield“, sagte seine Sekretärin.

Riley schüttelte den Kopf. „Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass Sie nicht immer anklopfen müssen. Ich tue hier drin nichts Heimliches – oder Unheimliches.“

Diane Evans, eine Frau in den Sechzigern, verzog keine Miene.

„Selbstverständlich, Sir“, teilte sie ihm in einem Tonfall mit, der keinen Zweifel daran ließ, dass sie auch beim nächsten Mal wieder anklopfen würde. Und so würde sie es halten bis zum Tag ihrer Pensionierung.

Riley wusste, dass er sich nicht beschweren durfte. Diane war eine ruhige, effiziente Kraft. Und sie wusste alles über die Bank. Ohne ihren Rat hätte er schon so manches Mal blöd dagestanden. Er besaß vielleicht die Gabe, selbst mitten in einem schweren Sturm Erdölvorkommen im Südchinesischen Meer aufzuspüren, aber die Welt der Finanzinstitute war ein Buch mit sieben Siegeln für ihn.

Diane hatte ihn sicher durch die letzten sieben Monate geleitet, ohne dass ihr dabei auch nur eine einzige graue Haarsträhne verrutscht wäre.

„Es hat schon wieder jemand angerufen wegen der geplanten Kinderabteilung im Krankenhaus“, informierte sie ihn mit monotoner Stimme und völlig regungslosen Gesichtszügen. Und das, obwohl sie über diese Angelegenheit bereits dreimal gesprochen hatten und Riley sich dreimal geweigert hatte, dafür Geld zu spenden, und zwar mit dem Hinweis, er wolle von diesem Thema nichts mehr hören.

Er bedeutete ihr, hereinzukommen und auf der anderen Seite des Schreibtischs Platz zu nehmen. Lautlos trat sie in ihren Gesundheitsschuhen näher, dann ließ sie sich auf der Kante des mit Ledersitz bespannten Holzstuhls nieder. Den Rücken hielt sie perfekt gerade, die Schultern aufrecht, und ihr Tweed-Anzug umfing sie wie eine hässliche Ritterrüstung.

„Sie hatten versprochen, darüber nachzudenken, Sir“, erinnerte sie ihn.

„Ist ja lustig. Nach meiner Erinnerung hatte ich Ihnen gesagt, eher friert die Hölle zu, als dass ich auch nur einen Penny für den Donovan-Whitefield-Gedächtnis-Trakt spende.“

In Dianes Hand tauchten wie durch Zauberei ein Notizblock und ein Stift auf. „Vielleicht schildere ich Ihnen die Zwangslage der Kommune noch einmal“, begann sie.

„Vielleicht lassen Sie mich endlich damit in Ruhe“, erwiderte Riley.

Sie sah ihn an, ohne ihre feierliche Miene zu verändern. Sie zog weder eine Augenbraue hoch, noch ließ sie die Mundwinkel sinken. Dennoch spürte er ihre Missbilligung überdeutlich.

„Es geht hier um Kinder, Mr. Whitefield“, erläuterte sie. „Kinder von hier, die nicht mehr nach L. A. gebracht werden müssten, wenn es in unserem Krankenhaus eine Kinderabteilung gäbe.“

Eigentlich war er Diane etwas schuldig. Sie blieb immer länger, wenn er sie darum bat, sie hatte ihm mehrfach den Hals gerettet, und sie war ihm vor allen Dingen noch nie mit seinem Onkel gekommen.

„Ich denke darüber nach“, seufzte er. „Unter der Voraussetzung, dass Sie aufhören anzuklopfen und mich Mr. Whitefield zu nennen.“

Diane erhob sich. „Wie Sie wünschen ...“ Sie zögerte einen Moment, dann presste sie hervor: „Riley. Ich werde das Komitee also wissen lassen, dass Sie eine Spende in Erwägung ziehen. Außerdem sind hier die Berichte, um die Sie gebeten hatten. Und Mr. Bridges möchte Sie sprechen. Er wartet draußen.“

Obwohl ihn die Spende etwa fünfzehn Millionen Dollar kosten würde, verspürte Riley doch zumindest so etwas wie einen Teilsieg. Wer hätte gedacht, dass er mit seiner Sekretärin handeln und gewinnen würde?

Drei Minuten später stand Zeke Bridges vor ihm. Er war ein großer, sympathischer Mann, den eine Aura von Seriosität umgab. Er war der Typ, dem man sofort eine Versicherung abkaufen würde – deshalb hatte Riley ihn zu seinem Wahlkampfleiter gemacht. Außerdem mochten die meisten Leute Zeke, und er brachte Erfahrung in politischer Arbeit mit.

„Unsere Werte steigen“, eröffnete Zeke ihm, als er sich in den Stuhl fallen ließ, auf dem gerade noch Diane gesessen hatte. „Und zwar nicht zu knapp. Wir holen jeden Tag gegenüber Yardley auf. Die Zeitungsanzeigen haben richtig was gebracht. Der alte Mann muss langsam Angst bekommen. Das bedeutet natürlich, dass wir bald mit Gegenwind zu rechnen haben, aber ich werde die Zahlen im Blick behalten, damit wir sofort erfahren, wann seine Werte wieder aufholen.“

Riley grinste. „Ihr macht Umfragen? Zeke, wir sind hier in Los Lobos, und es geht um die Bürgermeisterwahl, nicht um das Präsidentenamt.“

„Mach dich ruhig über mich lustig. Aber ich sage dir eins: Im Wahlkampf geht es nur um die richtigen Informationen. Und die müssen wir zu unserem Vorteil nutzen.“

„Wenn du das sagst. Du bist ja schließlich der Experte, und darum bezahle ich dich auch so fürstlich.“

„Denk dran – es sind nur noch wenige Wochen bis zur Wahl. Jedes Ereignis zählt. Natürlich liegen wir im Moment vorn, aber nur eine kleine Unachtsamkeit, und schon kann’s das gewesen sein. Yardley ist ein populärer Bürgermeister, und die Menschen haben im Allgemeinen etwas gegen Veränderung.“

„Ich sage dir meine volle Kooperation zu“, sagte Riley. Er musste diese Wahl gewinnen – und zwar aus siebenundneunzig Millionen Gründen, von denen Zeke nichts wusste.

Zeke legte ihm das Programm für die kommenden Wochen vor. Es würde ein paar öffentliche Auftritte geben und die Aufzeichnung von ein paar Wahlwerbespots für den lokalen Fernsehsender. Riley erklärte sich mit allem einverstanden und lehnte sich dann in seinem Stuhl zurück.

„Da wäre noch etwas.“

„Klar. Um was geht’s?“

„Was du in deiner freien Zeit machst, ist deine Sache. Außer es beschädigt in irgendeiner Weise meinen Wahlkampf.“

Zeke sah ihn fragend an. „Wovon redest du?“

„Von deinem Doppelleben. Du verschwindest jeden Abend für mehrere Stunden, ohne deiner Frau zu sagen, wohin du gehst. Wie gesagt, das ist deine Sache. Aber neulich war sie bei mir und wollte wissen, ob du da bist. Du hattest ihr gesagt, wir hätten ein Meeting. Und seitdem ist es auch meine Sache.“

Zeke schluckte. „Das tut mir leid, Riley. Aber ich ...“

Mit einer Handbewegung brachte Riley ihn zum Schweigen. „Es gibt kein ‚es tut mir leid‘. Es gibt nur diesen einen Wahlkampf. Und deshalb frage ich dich jetzt: Tust du irgendetwas, was negative Auswirkungen auf meine Bürgermeisterkandidatur haben könnte? Und bevor du mir antwortest, denk daran, dass Los Lobos eine kleine Stadt ist. Wenn die Leute herausfinden, dass mein Wahlkampfleiter seine Frau betrügt, dann wäre das eine sehr negative Auswirkung.“

„Ich betrüge Alexis nicht! Das würde ich niemals tun! Was ich mache, hat nichts mit dir oder dem Wahlkampf zu tun.“

„Und was ist es dann?“

Schnell drehte Zeke sich um. „Das muss ich dir nicht sagen.“

„Und wenn ich die Information benötige, um dich weiter beschäftigen zu können?“

Sein Angestellter sah ihn direkt an. „Dann wirst du mich feuern müssen. Denn ich habe nicht vor, dir zu sagen, was ich tue. Es hat weder etwas mit dir noch etwas mit Alexis zu tun. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Reicht das?“

Es wäre nicht sinnvoll, sich so kurz vor der Wahl auf einen neuen Wahlkampfleiter einzulassen. Außerdem wollte Riley ihn nicht feuern.

„Wenn du es mir nicht sagst, dann sag es wenigstens deiner Frau“, riet Riley ihm. „Sie macht sich Gedanken. Wenn du den Eindruck erweckst, du hättest eine Affäre, ist das nicht gerade ein Liebesbeweis.“

„Einverstanden. Ich werde ihr die Sache erklären.“

„Und ihr sagen, was du treibst?“

Zeke schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht tun. Noch nicht. Aber es ist nichts Schlimmes, das musst du mir glauben.“

Vor langer Zeit schon hatte Riley gelernt, niemandem zu trauen. Er mochte Zeke zwar sehr, aber eine Ausnahme konnte er auch für ihn nicht machen.

„Wenn das, was du tust, irgendwelche negativen Auswirkungen auf den Wahlkampf hat, werde ich dich nicht nur rausschmeißen, ich werde dich vernichten“, stellte er deshalb klar. „Haben wir uns verstanden?“

„Klar.“ Zeke wandte sich dem Porträt zu. „Ich weiß, dass du deinen Onkel nie kennengelernt hast. Ich aber. Du hörst es vermutlich nicht gerne, aber ich muss dir sagen, du bist ihm sehr ähnlich.“

Das war nur wirklich das Letzte, was Riley hören wollte. „Vielen Dank für die Information“, erwiderte er trocken. „Wir sprechen uns später.“

Nachdem Zeke seine Papiere eingesammelt und das Büro verlassen hatte, starrte Riley lange auf die geschlossene Tür. Er hoffte, das Problem wäre damit geklärt, aber seine innere Stimme sagte ihm etwas anderes. Zeke hatte etwas vor, und Riley wollte wissen, was es war.

Er nahm den Telefonhörer ab und holte ein Stück Papier aus seiner Hemdtasche.

„Gracie am Apparat“, meldete sich eine weibliche Stimme nach zweimaligem Klingeln.

Riley grinste. Wer hätte gedacht, dass er eines Tages freiwillig Gracie Landon anrufen würde?!

„Riley hier. Ich habe gerade mit Zeke gesprochen.“

„Und?“

Er berichtete, wie das Gespräch gelaufen war.

„Damit wird er Alexis aber nicht beruhigen können“, stellte Gracie fest.

„Mich auch nicht. Ich werde ihm heute Abend folgen und feststellen, wohin er geht.“

„Ich möchte mitkommen.“

Sein erster Impuls war, Nein zu sagen. Aber dann erinnerte er sich, mit wem er es zu tun hatte. Die Gracie, die er kannte, würde ihm mit Sicherheit folgen, wenn er ablehnte. Und das würde garantiert auffallen.

„In Ordnung. Ich komme um halb sieben bei dir vorbei. Wohnst du in eurem alten Haus?“

„Nein, ich habe ein Haus gemietet.“ Sie nannte ihm die Adresse. „Wie aufregend“, sagte sie. „Ich habe noch nie jemanden observiert.“

„Na, dann ist das doch die perfekte Gelegenheit, deine Stalker-Kenntnisse zu erweitern.“

4. KAPITEL

Gracie war sich nicht sicher, was sie für die Observation anziehen sollte. Im Film sah man immer, dass solche Leute dunkle Kleidung trugen und irrsinnige Mengen kalten Kaffee in sich hineinschütteten. Aber sie konnte um diese Uhrzeit unmöglich Kaffee trinken – ihr Schlaf wäre dahin, und außerdem bekäme sie Sodbrennen. Koffein war Gift für ihren empfindlichen Magen und hätte stundenlange Schmerzen zur Folge. Außerdem war sie sowieso schon nervös.

„Zuerst die Klamotten, dann die Getränke“, sagte sie zu sich selbst, als sie vor ihrem geöffneten Kleiderschrank stand.

Für die Zeit in Los Lobos hatte sie nur das Nötigste eingepackt, denn ihr Subaru war schon bis oben hin vollgestopft gewesen mit Backutensilien, Dekorationsmaterialien und Abkühlgittern. Schließlich waren es nur zwei kleine Koffer voll mit Klamotten, die sie im Auto noch verstauen konnte. Aber sie hätte unmöglich bereits beim Packen ahnen können, dass sie sich gemeinsam mit 007 Riley als Bond-Girl betätigen müsste!

„Schwarz muss sein“, murmelte Gracie, als sie ihre Hosen begutachtete. Sie entschied sich für eine schwarze Dockers-Jeans. Irgendwo hatte sie auch noch ein schwarzes T-Shirt. Das musste reichen.

Sie fand das T-Shirt in einer Schublade. Allerdings prangte auf der Vorderseite ein Logo, auf dem die Silhouette einer Braut und eines Bräutigams samt dem Schriftzug 2004 Bride on the Beach zu sehen war, einer Veranstaltung, die sie vor einiger Zeit besucht hatte.

Gracie betrachtete das Logo und schlüpfte in das T-Shirt. Mit einem Blick in den Spiegel stellte sie fest, dass man ihre blonden Haare sofort sehen würde. Zum Glück besaß sie eine alte Dodgers-Baseballkappe. Sie war zwar blau, und das passte nicht wirklich zu Schwarz, aber sie war ja schließlich nicht unterwegs zu einer Modenschau. Außerdem würde es Riley wahrscheinlich sowieso nicht auffallen, was sie trug.

Riley. Allein sein Name sorgte für die Vervierfachung ihres Herzschlags. Sie musste sich dringend überlegen, wie sie diese Reaktion auf ihn unterbinden könnte, denn es ging einzig und allein um Zeke. Und ohne diesen Grund würde Riley vermutlich lieber feiwillig einen Abend mit einem Massenmörder verbringen als mit ihr. Sie sollte sich also besser gar nicht erst an den Gedanken gewöhnen, ihn attraktiv zu finden.

Schließlich schlüpfte sie noch in ein Paar Sandalen und ging nach unten. Der Wetterbericht hatte recht behalten, es hatte leicht zu regnen begonnen. Also schnappte sie sich noch ihre Windjacke und legte Handtasche und Schlüssel zurecht.

Kurz darauf näherten sich Autoscheinwerfer. Er war da.

Gracie wusste nicht, ob sie bei dem Wetter sofort zu seinem Wagen rennen oder im Regen ausharren sollte. Letztendlich beschloss sie, im Haus zu warten, bis er an die Tür kam und klopfte.

„Hallo“, begrüßte sie ihn beim Offnen der Tür. Gut, dass sie ihn nicht sofort angesehen hatte; womöglich hätte sie keinen Ton mehr herausbekommen.

Meine Güte, der Mann sah so unglaublich gut aus, schoss es ihr augenblicklich durch den Kopf. Wie sie war auch er ganz in Schwarz gekleidet, doch auf seinem T-Shirt prangte kein albernes Logo. Stattdessen zeichneten sich seine gut definierten Muskeln und seine schlanke Taille darunter ab. Regentropfen funkelten in seinem glatten Haar.

„Fertig?“, fragte er und wischte sich die Nässe von den nackten Armen. „Ah, du hast eine Jacke dabei. Das ist gut, es regnet nämlich ziemlich stark.“

Irgendwie brachte Gracie keinen Ton heraus. Außerdem war sie komplett erstarrt, und ihre Füße waren im Fußboden festgewachsen. Sie konnte sich nicht bewegen. In ein paar Hundert Jahren würde ein Archäologenteam sie finden und ihren immer noch aufrecht stehenden Körper ins Naturkundemuseum transportieren. Auf der Tafel neben ihr würde man nachlesen können, dass ihre Haltung bis heute auch für die Forscher ein Rätsel darstellte.

Gracie zwang sich, tief einzuatmen und etwas zu sagen. „Nehmen wir deinen Wagen?“

„Das wäre mir recht.“

Kein Problem. Sie fühlte sich momentan ohnehin nicht imstande zu fahren. Wahrscheinlich funktionierten im Augenblick nur die einfachsten Abläufe in ihrem Körper. Sie war nämlich nicht nur überwältigt von ihrer Reaktion auf Riley, sondern auch davon, wie unfair sie das fand. Sie war so lange weg gewesen und hatte sich ein neues Leben aufgebaut. Wie konnte es sein, dass sie sich nach nur ein paar Tagen in der alten Heimat sofort wieder zum Trottel machte?

Die Frage blieb unbeantwortet. Gracie schnappte sich Schlüssel und Handtasche, schaltete das Licht im Wohnzimmer aus und trat hinaus in die kühle, feuchte Abendluft.

Riley ging vor ihr her zu seinem Wagen, einem eleganten silbernen Mercedes, der innen noch neu und nach teurem Leder roch. Gracie nahm auf dem Beifahrersitz Platz und versuchte nicht darüber nachzudenken, wie lange sie jetzt auf engstem Raum neben diesem Mann sitzen würde.

„Warum wohnst du eigentlich nicht bei deiner Mutter?“, begann Riley ein Gespräch.

„Ich hatte es zuerst überlegt, aber für meine Arbeit brauche ich viel Platz. Außerdem bin ich eine Nachteule, und bei manchen Leuten kommt es nicht gut an, wenn nachts um drei noch in der Küche rumort wird.“

Riley fuhr die Einfahrt hinunter und sah sie an. „Ach ja. Du machst irgendwas mit Kuchen, oder?“

„Hochzeitstorten. Sehr aufwendig. Ich mache auch hin und wieder Torten für andere Gelegenheiten, aber die meisten Leute wollen so viel Geld meistens nur für ihre Hochzeit ausgeben.“

„Wie teuer ist denn so eine Torte?“

Gracie zuckte die Schultern. „Momentan arbeite ich an einer Torte für eine Braut-Party, die ziemlich aufwendig verziert ist und für fünfzig Personen reicht. Dafür nehme ich tausend.“

Der Wagen kam leicht ins Schlingern. „Tausend Dollar?“

„Ich finde es relativ praktisch, meine Preise in der hier üblichen Landeswährung anzugeben, das spart Verwirrung.“

„Für einen Kuchen?“

„Für eine einzigartige Torte.“

„Aber trotzdem.“

Gracie lächelte. Diese Reaktion kannte sie. Aber wer wirklich etwas Besonderes wollte, ein echtes Einzelstück, der war bereit, den Preis zu bezahlen.

„Und wie viele Torten machst du im Jahr?“, fragte er weiter.

„Keine hundert. Natürlich sind die Hochzeitstorten teurer, aber dafür brauche ich auch länger. Es läuft gut, aber reich werden kann man damit nicht. Dazu müsste ich expandieren, was ich eigentlich nicht will. Ich habe gern alles selbst in der Hand.“

Sie fuhren durch Los Lobos. „Weißt du, wo Zeke wohnt?“, fragte Gracie.

„Ja, ich war schon ein paar Mal bei ihm.“

„Und ich kenne sein Nummernschild.“ Sie suchte in ihrer Handtasche nach dem Zettel, auf dem Alexis die Nummer notiert hatte.

Riley deutete auf die Windschutzscheibe. „Wenn der Regen noch stärker wird, können wir es aus größerer Entfernung sowieso nicht mehr entziffern.“

Er bog in eine Seitenstraße ein und verlangsamte die Geschwindigkeit. Gracie hatte Alexis und Zeke erst einmal besucht, seit sie wieder in Los Lobos war, daher versuchte sie, sich an den Hausnummern zu orientieren.

Riley schaltete die Scheinwerfer aus und ließ den Wagen auf der anderen Straßenseite zum Stehen kommen. Er deutete auf ein Auto. „Das ist Zekes SUV.“

Es war nicht einfach, den Wagen durch die verregnete Scheibe hindurch auszumachen. „Der Schwarze?“

„Dunkelblau. Aber bei dem Wetter sieht alles schwarz aus.“

„Okay.“ Gracie lehnte sich im Sitz zurück. „Und jetzt?“

„Jetzt warten wir.“

Das war ja wohl klar. Daraus bestanden Beschattungen – aus Warten. Doch sich nun in dieser Situation zu befinden war für Gracie eine echte Herausforderung. Zum einen machte Riley sie nervös, zum anderen fand sie es wirklich anstrengend, einfach still sitzen zu bleiben. Er dagegen saß bewegungslos da und beobachtete das Haus. Sie rutschte in einem fort in ihrem Sitz herum, spielte an ihrer Jacke und zupfte an ihrer Dodgers-Baseballkappe.

„Kannst du nicht mal stillhalten?“ Obwohl er den Blick nicht vom Haus abwendete, konnte Gracie ihm seine Ungeduld anmerken.

„Ich bin doch ganz still. Es ist nur so ungemütlich.“ Sie setzte sich gerade hin. „Mir wird ja öfter mal gesagt, dass ich ein Zappelphilipp bin, aber ich verstehe einfach nicht, wie jemand da rumsitzen kann wie ein Kloß. Das ist doch nicht normal. So was ist ...“

„Da“, unterbrach Riley sie und streckte den Finger aus.

Zeke kam aus dem Haus und lief im Eiltempo zu seinem SUV. Instinktiv sank Gracie tiefer in den Sitz und nahm die Hände vors Gesicht.

„Ich bezweifle, dass er dich durch den Regen hindurch erkennen kann“, bemerkte Riley ironisch.

„Reine Vorsichtsmaßnahme“, verteidigte Gracie sich. „Und sprich nicht so laut!“

Riley grinste. „Du nimmst die Sache echt ein bisschen zu ernst.“ Er ließ den Motor an und wartete, bis Zeke davongefahren war. Dann folgte er ihm.

Auch wenn Riley das übertrieben fand – Gracie sank noch tiefer in ihren Sitz, bis auch ihr klar war, dass Zeke ahnungslos in seinem Auto vor ihnen in Richtung Freeway fuhr.

„Wohin fährt er wohl?“, spekulierte sie und richtete sich wieder auf. „Was hat er vor? Wenn keine andere Frau dahintersteckt, sind die Möglichkeiten unendlich!“

„Bitte zähl sie nicht auf“, kam es von Riley.

Sie sah ihn an. „Das hatte ich nicht vor.“

„Das weiß man bei dir nie.“

So weit, wie es ihr mit angelegtem Gurt möglich war, wendete sie sich zu Riley um und erwiderte gereizt: „Entschuldige bitte, aber du kennst mich doch gar nicht. Deine Eindrücke und Vermutungen gründen offensichtlich auf der Zeit, als ich gerade mal vierzehn war, und auf dem Quatsch, der damals über mich in der Zeitung stand. Bis gestern hast du nie ein Wort mit mir gewechselt oder Zeit in meiner Nähe verbracht.“

„Ich habe mit dir geredet, nachdem du dich vor mein Auto geworfen hattest und mir androhtest, dich umzubringen, falls ich Pam heiraten würde.“

Unweigerlich wurden Gracies Wangen warm und dann heiß. Nur gut, dass es im Wagen dunkel war. „Das kann man ja wohl kaum als eine Unterhaltung bezeichnen. Ich habe etwas gesagt, und du bist wieder eingestiegen und davongerauscht.“

„Stimmt. Du willst damit wohl andeuten, ich soll dir eine Chance geben.“

„Du solltest mich nicht gleich verurteilen, das möchte ich sagen. Lern mich doch erst mal kennen.“ Doch vielleicht wollte er gerade das gar nicht? Schnell zeigte sie auf den Wagen vor ihnen: „Jetzt biegt er auf den Freeway ab.“

„Das sehe ich.“

Riley beschleunigte sanft und hielt mit Zekes Tempo mit. Als sie auf dem Freeway waren, ließ seine Anspannung etwas nach. Leider fuhr in diesem Augenblick ein anderer Geländewagen genau zwischen sie und Zeke, sodass sein Wagen aus ihrem Blickfeld geriet.

„Von den Dingern gibt’s echt zu viele“, bemerkte Gracie und sah aus dem Seitenfenster.

Tatsächlich waren sie plötzlich von mehreren Geländewagen umzingelt, als ob sich eine höhere Macht ihrer bemächtigen wollte.

„Wir haben ja sein Kennzeichen“, meinte Riley. „Für den Fall, dass wir ihn für eine Weile aus den Augen verlieren.“

Gracie hielt einen Zettel hoch. „Hier steht die Nummer drauf.“ Der nächste SUV drängte sich dazwischen. „Vielleicht hätten wir so ein Zielsuchgerät an seinem Wagen anbringen sollen. Dann brauchten wir nur dem roten Punkt zu folgen, den wir auf unserem Display sehen.“

Sie spürte Rileys Blick auf sich.

„Was?“, fragte sie genervt. „Ich kenne das auch nur aus dem Kino. Natürlich besitze ich selbst nicht so ein Ding und spioniere damit auch niemanden aus.“

„Dir ist alles zuzutrauen.“

Demonstrativ wandte Gracie sich von Riley ab. „Genau das hatte ich eben gemeint. Du verurteilst mich schon wieder, obwohl ich nur einen vernünftigen Vorschlag gemacht habe und sonst nichts.“

„Du findest es also vernünftig, einen Sender am Wagen einer anderen Person anzubringen? Das ist illegal!“

„Was soll denn daran illegal sein?“

„Sei froh, dass es so stark regnet und ich mich so auf die Straße konzentrieren muss. Sonst würde ich jetzt mit Sicherheit aus Verzweiflung meinen Kopf gegen das Lenkrad schlagen.“

Ernsthaft erstaunt sah sie ihn an. „Wieso? Was habe ich denn gemacht?“

Er gab ein resignierendes Wimmern von sich.

„Bist du eigentlich verheiratet?“, fragte er dann. „Muss ich Angst haben, dass vielleicht irgend so ein bulliger Kerl auftaucht und mich zusammenschlagen will?“

„Ich bin nicht verheiratet. Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass der Mann, den ich geheiratet hätte, mehr Verständnis für mich aufbringen würde.“ Ihr gefiel der leicht empörte Klang ihrer Stimme. Doch dann bekam sie einen Schreck. „Und was ist mit dir?“

„Ich bin auch nicht verheiratet. Pam hat mich von Langzeitbeziehungen geheilt. Seit der Sache mit ihr beschränke ich mich auf oberflächliche Affären.“

Gracie hätte ihn gern weiter ausgequetscht, doch in diesem Moment entdeckte sie etwas. „Ist das nicht sein Wagen, der dunkle Geländewagen da? Er fährt vom Freeway ab.“

Ein Schild zeigte Santa Barbara an.

„Was kann er denn bloß hier wollen?“, fragte sie sich laut.

„Wir wissen doch gar nicht, ob er es wirklich ist. Oder kannst du das Nummernschild erkennen?“

Sie kniff die Augen zusammen. „Nein. Wir müssen näher ran.

Riley versuchte es, aber hinter der Ausfahrt war eine Ampel. Er gab Gas, um nicht stehen bleiben zu müssen, und schoss über die Kreuzung. Aus dem Augenwinkel sahen sie, dass der andere Wagen nach links abgebogen war.

„Fahr, fahr, fahr!“, schrie Gracie.

„Ich fahre ja!“

Sie folgten dem Wagen durch ein Wohngebiet, wo er schließlich vor einem zweistöckigen Haus anhielt.

Gracie war verwirrt. Was wollte Zeke hier?

Die Haustür ging auf, und ein kleines Kind rannte nach draußen in den Regen. „Oh Gott. Er hat nicht nur eine Affäre, er hat eine zweite Familie! Das ist ja schlimmer als im Film!“

„Ich glaube, du irrst dich“, bemerkte Riley und deutete auf den Fahrer.

Der Mann war mittlerweile ausgestiegen und um den Geländewagen herumgegangen. Gracie entspannte sich sofort, als sie eine kleine, kurvenreiche Frau entdeckte, die sich jetzt bückte und das Kind hochhob.

„Oh. Das ist nicht Zeke“, stellte sie fest und verspürte ein Gefühl der Erleichterung. Aber sie kam sich auch ein bisschen dumm vor.

„Ach, wirklich?“ Riley war schon dabei, den Wagen zu wenden und in die Richtung zurückzufahren, aus der sie gekommen waren. „Ich hätte dich fahren lassen sollen. Dann hätten wir Zeke sicher nicht verloren. In Sachen Verfolgung bist du ja unser Profi.“

Erstaunt sah sie ihn an.

Jetzt grinste er auch noch so dämlich! „Im Ernst“, meinte er. „Aber lass uns Schluss machen für heute. Es ist fast halb acht, und ich habe noch nichts gegessen. Wollen wir auf dem Rückweg schnell irgendwo haltmachen?“

Wenn er sich auf der Stelle in einen Leopardenmenschen verwandelt hätte, wäre sie nicht überraschter gewesen.

„Du meinst ein Abendessen?“, wiederholte sie einfallslos, um sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen.

„So nennt man für gewöhnlich eine Mahlzeit um diese Uhrzeit. Wenn dir eine andere Bezeichnung lieber ist, ist das aber auch kein Problem.“

Ihr Magen krampfte sich zusammen – aber diesmal nicht wegen ihres Sodbrennens. Eigentlich hatte sie heute Abend damit gerechnet, wie üblich ihren Thunfischsalat zu essen, den sie an fünf von sieben Abenden zu sich nahm.

„Äh ... Ja. Warum nicht. Das wäre toll“, brachte sie schließlich heraus.

Am liebsten hätte sie das Fenster heruntergelassen und einen lauten Schrei in die Nacht losgelassen, aber sie gab sich mit einem breiten Lächeln und dem angenehmen Flattern in der Magengrube zufrieden. Dinner mit Riley. Das war doch ein super Abschluss für einen erfolgreichen Tag.

Riley wählte ein Restaurant am Wasser, das Gracie trotz des Regens viel zu romantisch fand. Hätte sie doch wenigstens etwas anderes an! Etwas, das sexy aussah und zum Flirten einlud ... Aber nein. Das ist ja keine Verabredung, fiel ihr ein, als sie zu einer Nische am Fenster geleitet wurden. Riley war außerdem diesbezüglich nicht an ihr interessiert.

Sie waren allenfalls, nun ja, so was wie Freunde? Ehemalige Bekannte, die sich für ein gemeinsames Projekt zusammengetan hatten – und zwar, um herauszufinden, was Zeke so trieb, wenn er stundenlang von zu Hause weg war.

„Warum fragt sie ihn eigentlich nicht einfach?“, sagte Gracie, als sie Platz genommen hatten.

Riley machte es sich in seinem Stuhl bequem und sah sie verwundert an. „Wie bitte?“

„Was? Oh, tut mir leid. Ich habe nur laut gedacht. Wegen meiner Schwester und ihrem Problem mit Zeke. Ich meine, warum fragt sie ihn denn nicht einfach, was er macht? Angeblich tut sie es nicht, weil sie es gar nicht wissen will. Aber das finde ich nicht in Ordnung. Ich müsste wissen, was los ist, dann hat man auch die Chance, mit einer Sache umgehen zu können. Diese Unsicherheit bringt doch überhaupt nichts. Oder was meinst du?“

Riley schüttelte den Kopf. „Ich hab den Faden verloren.“

„Ist ja auch egal.“ Sie nahm die Speisekarte, warf aber keinen Blick hinein, sondern starrte nach draußen in den Regen.

Tropfen trommelten gegen die Scheiben. Unten hörte man das aufgewühlte Meer rauschen. Die Lichter des Restaurants erhellten das Ufer schwach und verloren sich in der Dunkelheit.

„Was für eine tolle Nacht“, stellte Gracie fest.

Verwundert sah er sie an. „Soll das ein Witz sein?“

„Nein. Ich liebe dieses Wetter. Hallo?! Ich lebe in L. A. Wir bekommen gerade mal 300 Millimeter Regen im Jahr! Deshalb liebe ich es, wenn das Wetter mir mal was zu bieten hat!“

Er folgte ihrem Blick und sah aus dem Fenster. „Das ist gar nichts. Ich war mal während eines Taifuns auf einer Ölplattform. Das ist ein echtes Erlebnis.“

Am liebsten würde sie ihm tausend Fragen stellen! War er die ganze Zeit auf dieser Ölplattform gewesen? Wie hatte es ihn von Los Lobos dorthin verschlagen? Stattdessen sagte sie: „Ich dachte, bei Unwetter werden diese Ölbohrinseln evakuiert?“

„Ja, normalerweise schon. Aber wer kontrolliert, ob das auch wirklich getan wird? Ich habe für ein kleineres Unternehmen gearbeitet. Da waren alle ein bisschen verrückt.“

„Inklusive dir selbst?“

Er grinste. „Vor allem ich.“

Die Bedienung kam an ihren Tisch und nannte die Tagesgerichte.

„Möchtest du ein Glas Wein?“, fragte Riley.

„Gerne. Such du aus.“

„Was darf ich Ihnen bringen?“

Schnell überflog Gracie die Karte und entschied sich für gegrillten Lachs mit gemischtem Salat. Riley bestellte „Surf & Turf“ und orderte zu Gracies Überraschung eine Flasche australischen Shiraz.

„Ich hätte jetzt vermutet, du würdest französischen Wein bestellen“, erklärte sie.

„Ich trinke am liebsten Weine aus Australien und Spanien.“

„Hier in der Nähe gibt es übrigens auch ein hervorragendes Weinanbaugebiet. Das Santa Ynez Tal ist ein einziger großer Weinberg.“ Sie wollte noch hinzufügen, dass sie dort ja vielleicht mal eine Weinprobe machen könnten, ließ es aber doch bleiben.

Das ist Riley, rief sie sich in Erinnerung. Das war kein normales Dinner mit einem Mann, den sie nett fand. Das hier war ... gefährlich.

„Also“, sagte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, „wie kommt man dazu, Hochzeitstorten zu kreieren?“

Gracie lächelte. „Bei mir hatte es mit dem Wunsch nach einem eigenen Transportmittel zu tun. Ich war sechzehn und wollte unbedingt ein Auto haben. Meine Tante und mein Onkel bestanden allerdings darauf, dass ich einen Anteil der Benzin – und Versicherungskosten übernehme – also musste ich mir einen Job suchen. Ein paar Straßen weiter gab es eine Bäckerei, bei der ich nach einer Stelle fragte. Ich fing Ende Mai dort an, mitten in der Hochsaison für Hochzeiten. Und das war meine Feuertaufe. Ich besaß offensichtlich ein gewisses Talent in der Herstellung und Dekoration von Torten. Also entschied ich mich, nicht aufs College zu gehen, sondern eine Konditorlehre zu machen. Und danach machte ich mich selbstständig.“

Nach kurzem Nachdenken fuhr sie fort: „Ich wollte die Sache aber richtig anpacken, daher belegte ich an der Abendschule noch ein paar Kurse in Buchhaltung und so was. Ich spiele in letzter Zeit mit dem Gedanken, mein Geschäft zu erweitern, denn ich kann es allein fast nicht mehr schaffen. Ein paar Aufträge musste ich sogar schon ablehnen. Aber ich weiß eben nicht, ob es dann tatsächlich für zwei Personen reicht.“

„Wie wäre es mit einer Teilzeitstelle?“

„Das wäre eine Überlegung wert.“

Sie waren praktisch allein im Restaurant, denn die übrigen Gäste saßen auf der anderen Seite des Gastraums. Der draußen tosende Sturm erzeugte ein gewisses Gefühl der Isolation. Der peitschende Regen und die flackernden Kerzen hatten wirklich etwas sehr Romantisches.

Jetzt einfach das Kinn in die Hände legen und Riley anhimmeln, dachte Gracie. So, wie sie es aus den albernen Teenie-Filmen ihrer Kindheit kannte. Das gedämpfte Licht schmeichelte ihm zusätzlich, es brachte sein markantes Gesicht noch besser zur Geltung. Doch da war mehr als nur sein Aussehen.

Damals, vor vielen Jahren, hatte sie ihn aus der Ferne geliebt, ohne ihn wirklich zu kennen. Sie hatten sich nicht ein einziges Mal miteinander unterhalten. Ihre eigenen Wunschvorstellungen und Fantasien begründeten ihre Verliebtheit. Umso spannender war es jetzt, festzustellen, dass er tatsächlich mehr als nur sympathisch war.

Die Bedienung brachte den Wein und einen Brotkorb.

„Hey, was soll das?“, fragte Gracie vorwurfsvoll, als Riley sich daranmachte, die Flasche zu öffnen.

„Ich mache die Flasche auf. Weißt du, man muss da einen Korken entfernen. Wenn man einfach den Flaschenhals abbricht, hat man überall Scherben. Nicht sehr angenehm.“

Haha. Gracie verdrehte die Augen. Ihre Augenfarbe wirkte in dem schwachen Licht auf ihn wie ein exotisches Lagunenblau.

Riley hätte sich ohrfeigen mögen. Hatte er eigentlich noch alle Tassen im Schrank? Lagunenblau? Woher hatte er das denn? Diese Frau ihm gegenüber war Gracie, die terroristische Stalkerin. Keine Frau, die er attraktiv fand. Okay, sie sah zwar ganz süß aus in ihrem engen schwarzen T-Shirt, aber sie war nicht sein Typ. Und zwar gleich aus einer ganzen Reihe von Gründen.

„Ich meine nicht den Wein“, erklärte Gracie und deutete auf den Brotkorb. „Ich meine das da. Der Tod.“

Fragend sah er sie an. „Das Brot ist tot?“

„So meine ich das nicht. Ist denen denn nicht klar, was ein paar Scheiben Brot mit Butter bei einer Frau alles anrichten können? Ich sage nur Hüfte und Oberschenkel, denn da landet das Brot am Ende. Es wandert auf direktem Weg vom Magen in die immer hungrigen Fettzellen, die dort gierig warten.“

„Du machst mir Angst.“

Sie leckte sich die Lippen. „Du bist ein Mann. Du weißt nicht, wie das ist, ein unstillbares Verlangen nach etwas zu haben, das absolut schlecht für dich ist. Dein männlicher Stoffwechsel erlaubt es dir, dich durch eine ganze Konditorei zu fressen, ohne dass du ein Gramm zunimmst.“

Er war zwar ein Mann, aber Verlangen kannte er trotzdem. Wenn sie noch einmal ihre Lippen leckte, würde er seine üblichen Regeln über Bord werfen und die Situation gnadenlos ausnutzen.

„Ach, was soll’s“, hörte er Gracie sagen, als sie sich ein Stück Brot nahm.

Er sah zu, wie sie sich die minimalst mögliche Menge Butter auf die Brotscheibe schmierte und dann hineinbiss. Sie schloss dabei die Augen, ihr Körper entspannte sich, und er hätte schwören können, dass sie sogar wohlig dabei stöhnte. Warum war ihm eigentlich plötzlich so heiß?

Als sie den Bissen heruntergeschluckt hatte, öffnete sie die Augen und lächelte. „Wunderbar.“

„Und was isst du sonst noch Verbotenes?“, wollte er wissen.

„Nur Brot. Ja gut, und Schokolade. Nach Junk Food habe ich aber kein Verlangen. Okay, heute Mittag war ich mit meiner Freundin Jill beim Mexikaner und habe da seit Monaten mal wieder Chips gegessen. Aber bei Brot mit Butter werde ich regelmäßig schwach ...“

Sie biss wieder in ihre Brotscheibe. Riley sah weg, denn ihr beim Essen zuzusehen machte ihn unglaublich an. Es war so erotisch. Brot. Wieso hatten Frauen immer irgendein Problem mit dem Essen?

„Und was ist mit deinen Torten?“, fragte er und achtete darauf, sie um Himmels willen nicht anzusehen.

„Da gehe ich nicht dran. Früher habe ich immer probiert. Vor zehn Pfund, sozusagen. Aber nachdem es mir gelungen ist, mein Geheimrezept zu perfektionieren, brauche ich nicht mehr zu probieren. Manchmal würde ich gerne mal von der einen oder anderen Füllung naschen, aber meistens bleibe ich stark. Und was ist mit dir?“

Er sah sie erleichtert an, endlich hatte sie das Brot aufgegessen. „Ich backe nicht.“

„Oh, du bist wirklich so lustig. Ich hatte dein Leben gemeint. Wie kommt man von Los Lobos auf eine Ölbohrstation? Und wieso kandidierst du jetzt hier für das Bürgermeisteramt?“

„Hat dir Jill das nicht gesagt?“

„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass meine beste und älteste Freundin mir etwas über einen ihrer Mandanten zutragen würde?!“

Riley griff nach der Weinflasche und lächelte. „Hast du sie etwa gefragt?“

Gracie erwiderte sein Lächeln. „Ich weiß, dass du in der Highschool viele Freundinnen hattest. Ich war auf derselben Schule. Hast du denn in dieser langen Zeit nichts über die Frauen gelernt? Natürlich habe ich sie gefragt!“

Er mochte ihre Offenheit und ihren Sinn für Humor. Damals hatte er nicht viele Gedanken an Gracie verschwendeter hatte sie sich nur ganz weit weg gewünscht. Niemals wäre ihm in den Sinn gekommen, dass er sie jemals sympathisch finden könnte.

„Ich trete als Bürgermeisterkandidat an, um den letzten Willen meines Onkels zu erfüllen.“

Gracie warf ihre blonde Mähne nach hinten und nahm ihr Glas in die Hand. „Das verstehe ich nicht. Er hat testamentarisch verfügt, dass du Bürgermeister werden sollst?“

„So etwas in der Art. Er hat mir alles hinterlassen: die Bank, das Haus, seinen Grundbesitz. Unter der Voraussetzung, dass ich durch eine erfolgreiche Kandidatur und die anschließende Wahl zum Bürgermeister beweise, eine respektable Person zu sein.“

„Und ich dachte, in meiner Familie haben alle einen Knall. Aber offensichtlich geht es um eine Menge Geld. Deswegen tust du es also.“

„Ohne die Bank ist sein Nachlass etwa siebenundneunzig Millionen Dollar wert.“

Als sie die Summe hörte, verschluckte sie sich an ihrem Wein und musste husten.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich und erhob sich von seinem Stuhl.

„Alles bestens“, beruhigte sie ihn krächzend. Wieder musste sie husten. Sie griff nach ihrem Wasserglas und trank einen Schluck.

„Wie groß ist das Vermögen, hast du gesagt? Siebenundneunzig Millionen Dollar?“

Er kicherte. „Ja. US-Dollar. Die landesübliche Währung.“

„Das ist eine unfassbare Menge Geld! Weißt du, was mir mein Onkel hinterlassen hat, den ich übrigens sehr geliebt habe? Ein Haus mit drei Zimmern, Küche und Bad in Torrance.“

„Aber ohne jede Bedingung.“

„Das stimmt. Aber für so viel Geld würde ich alles tun! Wow. Du wirst der reichste Bürgermeister in der Geschichte von Los Lobos sein. Und eine Amtszeit reicht vermutlich. Was hast du danach vor?“

„Das habe ich mir noch nicht überlegt.“

In Wirklichkeit hatte er nicht vor, nach der Wahl überhaupt in Los Lobos zu bleiben. Laut Testament musste er nur die Wahl gewinnen. Von einer Amtszeit war nicht die Rede.

Die Bedienung brachte den Salat. Als sie wieder gegangen war, sagte Gracie: „Du bist jetzt Bankdirektor. Ist das nicht komisch für dich?“

„Es ist mein erster Bürojob. In der Zeit, in der ich weg war, habe ich mich weitergebildet. Ich habe einen Abschluss in Finanzwissenschaft gemacht, das kommt mir zugute. Trotzdem bin ich immer kurz davor, einen Fauxpas zu begehen. Ohne meine Sekretärin Diane wäre ich verloren.“

Gracie grinste ihn wissend an. „Ach ja, Diane.“

„Die Frau ist ein echter Schatz. Sie ist jetzt Mitte sechzig, trägt immer Tweed-Kostüme und kommandiert mich ständig herum.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass du der Typ bist, der sich gerne von einer Frau herumkommandieren lässt.“

„Diane ist eben etwas ganz Besonderes.“

Das Licht verlieh Gracies Haar einen Schimmer von Gold. Riley gefiel es, dass sie so viel lachte und offensichtlich nicht alles bitterernst nahm. Und er konnte sich wunderbar ihren nackten Körper vorstellen. Der bloße Gedanke daran machte ihn verrückt ...

Aber diesen Gedanken in die Tat umzusetzen war völlig ausgeschlossen. Unter anderen Umständen vielleicht, dann hätte er die Regeln festgelegt. Aber nicht hier, in Los Lobos, wo jeder über den anderen Bescheid wusste und er noch dazu mitten im Wahlkampf steckte. Gracie war zwar hübsch, sexy und sehr charmant obendrein, aber schließlich ging es um siebenundneunzig Millionen Dollar. Mit der Aussicht auf diese Summe konnte er seine Triebe durchaus einmal im Zaum halten.

„Woran denkst du?“, fragte sie. „Du bist plötzlich so ernst.“

„Dass wir so etwas wie dieses Essen hier nie in Los Lobos machen könnten.“

Sie sah sich im Restaurant um. „Stimmt. Dann würden die Leute wochenlang über nichts anderes mehr reden. Und mein Leben, nein, unser beider Leben wäre die Hölle.“

„Obwohl ich der Gewinner bei der Sache wäre.“

„Wie meinst du das?“

Er lächelte. „Ich bin derjenige, der mit der Legende ausgeht. Mit der berüchtigten Gracie Landon, die es versteht, von ganzem Herzen zu lieben.“

Sie kniff die Augen zusammen, dann packte sie blitzschnell ein Stück Brot und warf es nach ihm. Riley lachte, als es gegen seine Brust prallte und dann auf den Boden fiel.

„Wenn du dich jetzt sehen könntest“, sagte er.

Mit ihrer Gabel spießte Gracie ein Salatblatt auf. „Pass lieber auf. Du hast ein sehr schönes Auto, und ich weiß immer noch, wo das Stinktier wohnt.“

Als sie in Gracies Einfahrt einbogen, lehnte sie sich gegen das Fenster und sah hinaus in den Nachthimmel.

„Wie schön, dass es immer noch regnet. Das ist die perfekte Nacht zum Backen.“

Riley machte den Motor aus. „Du fängst jetzt noch an zu backen?“

„Ja. Ich mag die nächtliche Ruhe. Da kann ich mich besser konzentrieren – und im Fernsehen laufen um diese Zeit die besten Werbesendungen. Du ahnst ja nicht, was es alles zu kaufen gibt! Ich kaufe zwar nie was, aber ich schau mir den Quatsch gern an.“

„Na klar. Ich wette, du hast eine komplette Sammlung von Moulinetten im Schrank!“

Ihr Kichern schlug in ihm eine ganz besondere Saite an. Er war schon viel zu lange nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen.

„Keine Moulinetten, tut mir leid. Aber wenn du ganz, ganz nett zu mir bist, backe ich dir vielleicht mal was. Als Dank dafür, dass du mir bei dieser Sache hilfst.“

„Zeke ist mein Wahlkampfmanager. Jetzt weißt du ja, was für mich auf dem Spiel steht. Logischerweise möchte ich nicht, dass mir jemand in die Quere kommt.“

„Gutes Argument. Morgen früh rufe ich Alexis an und sage ihr, dass wir immer noch nicht schlauer sind als vorher. Ich will versuchen, sie davon zu überzeugen, einfach mit ihm zu reden. Das ist immer noch das Vernünftigste.“

Er würde all sein Geld darauf verwetten, dass Gracie kein Parfüm benutzte, und doch schien ihr süßer Duft den ganzen Wagen zu erfüllen. Ausgerechnet Gracie war das Objekt seiner Begierde. Wer hätte das gedacht?

Schnell rief er sich wieder ihre gemeinsame Mission in Erinnerung und dachte daran, wie viel er schon mit einer einzigen Liebesnacht riskieren würde. Dann beugte er sich zu ihr hinüber. Sie erschrak.

„Dann wünsche ich dir noch eine schöne restliche Nacht“, sagte er und öffnete dabei vorsichtig ihre Tür. Ein kalter Wind wehte ins Wageninnere.

Sie zwinkerte. „Was? Ach ja, natürlich. Noch mal vielen Dank.“ Ein kurzes Lächeln, dann lief sie hoch zum Haus.

Er wartete noch, bis sie drinnen verschwunden war. Erst dann startete er den Wagen, doch es dauerte noch eine ganze Weile, bis er davonfuhr. In dieser Nacht konnte er bis weit nach Mitternacht nicht einschlafen, weil er die ganze Zeit an Gracie denken musste.

Das Schrillen des Weckers erzeugte in Gracie das schlagartige Bedürfnis, jemanden anschreien und beschimpfen zu müssen. Sie war erst gegen vier zu Bett gegangen und konnte unmöglich schon so früh aufstehen. Und sie selbst hatte den Wecker garantiert nicht gestellt, das wusste sie. Was also ...

Der Schlaf überkam sie noch einmal. Sie sah sich um, dann stellte sie fest, dass das schrille Geräusch nicht vom Wecker verursacht wurde, sondern vom Telefon. Sie griff nach ihrem Handy.

„Hallo?“

Ein lautes Schluchzen drang in ihr Ohr.

„Hallo? Wer ist denn da?“

„Ich bin’s, Alexis.“ Schluchzen. „Oh Gracie. Ich war gerade in seinem Büro, und da habe ich ihn gesehen. Mit ihr!“

„Was? Wen? Mit wem?“

„P-Pam. Zeke hat eine Affäre mit Pam Whitefield.“

5. KAPITEL

Becca Johnsons Hand zitterte, als sie ihre Unterschrift unter den Kreditantrag setzte. „Ich habe Angst“, sagte sie lächelnd.

„Jetzt gibt es kein Zurück mehr“, pflichtete Riley ihr bei. „Oder möchten Sie es sich lieber noch einmal überlegen?“

Erstaunt sah Becca ihn an. „Machen Sie Witze? Ihnen habe ich es zu verdanken, dass ich meine eigene Firma eröffnen kann. Davon habe ich immer geträumt. Seit meiner Scheidung bin ich finanziell ja nur knapp über die Runden gekommen.“ Ihr Lächeln verschwand. „Das hätte ich Ihnen nicht sagen dürfen.“

Er bemühte sich um eine aufmunternde Miene. „Die Kreditabteilung hat Ihre finanziellen Verhältnisse gewissenhaft geprüft. Ich denke nicht, dass uns Ihre Situation entgangen ist.“

„Okay. Ich meine, ich kann das Geld gut gebrauchen.“ Sie reichte ihm das Blatt Papier. „Und ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar.“

Becca Johnson war Mitte dreißig, geschieden, hatte zwei Kinder und wollte in ihrem Haus eine Tagesmutter-Einrichtung eröffnen. Den Kredit brauchte sie, um die Räumlichkeiten entsprechend einzurichten und sonstige Anlaufkosten meistern zu können. Die Kreditabteilung hatte sich nicht entschließen können, ihr den Kredit zu gewähren, und so hatte Riley die Entscheidung übernommen. Er gab der Frau eine Chance.

„Bei so wenig Eigenkapital dachte ich ...“ Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Ich sage besser gar nichts mehr. Nicht dass Sie in letzter Minute noch Ihre Meinung ändern.“

„Zu spät.“ Riley klopfte auf den Kreditvertrag, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. „Jetzt sind wir vertraglich gebunden. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihr neues Unternehmen.“

„Vielen Dank.“

Becca erhob sich und ging zur Tür. „Sie waren wirklich sehr freundlich, Mr. Whitefield. Alle anderen Banken in der Stadt haben abgelehnt. Ohne Sie hätte ich keine Chance.“

So viel Lob war Riley unangenehm. Er zuckte mit den Schultern. „Sie bezahlen Ihre Rechnungen immer pünktlich. Darauf legen wir Wert.“

Sie nickte, dann trat sie auf den Flur. Riley wandte sich wieder seinem Computerbildschirm zu. Die Tür schloss sich, doch er spürte, dass er nicht allein war. Selbst die Luft nahm Haltung an, wenn Diane einen Raum betrat. Er sah seine Sekretärin an.

Selbstverständlich trug sie ein Tweed-Kostüm. Heute war es grün, kombiniert mit einer gelben Bluse. Ihre Schuhe waren schwarz und schlicht. Mit ihrem Anblick konnte man kleine Kinder erschrecken.

„Hier ist der Kreditvertrag mit Becca Johnson“, sagte Riley und reichte Diane die Papiere. „Bitte kümmern Sie sich darum, dass das noch heute erledigt wird und das Geld morgen früh auf dem Konto der Kundin ist.“

Diane nahm die Papiere entgegen, schickte sich aber nicht an, das Büro zu verlassen.

„Gibt es sonst noch etwas?“, wollte er wissen.

Wütend sah sie ihn an. „In der Tat. Ihre Vierteljahresentwürfe sind alles andere als detailliert.“

„Ist das eine Kritik?“

„Nein. Das ist eine Tatsache.“ Ihr Blick fiel auf die Akte in ihrer Hand. „Seltsam, dass Miss Johnson meint, jetzt hätte sie die Chance, ihren größten Wunsch wahr zu machen. Sie müsste doch eigentlich wissen, dass sie einen Pakt mit dem Teufel eingegangen ist.“

Riley lehnte sich zurück. „Und ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass Sie mich mit meinem Vornamen ansprechen.“

Dianes missbilligende Miene änderte sich nicht. „Wie lange wird es dauern, bis sie aufgeben muss? Einen Monat? Werden Sie die Bank sofort nach der Wahl schließen, oder warten Sie noch das amtliche Endergebnis ab?“

Aha, sie hatte es herausgefunden. Riley fragte sich, ob es dieser Frau Befriedigung verschaffte, zu wissen, dass sie recht hatte.

„Dann werden alle Kredite gekündigt“, fuhr sie fort. „Jeder einzelne. Wissen Sie, wie viele Menschen das betrifft? Wie viele Firmen, wie viele Privathaushalte? Wollen Sie die ganze Stadt vernichten?“

Riley gab ihr keine Antwort. Sie sah ihn noch schärfer an.

„Ist Ihnen das völlig egal?“

„Absolut.“

„Das habe ich mir gedacht.“

Sie drehte sich auf dem Absatz um und verschwand.

Riley starrte auf die geschlossene Tür. Er weigerte sich, sich schuldig zu fühlen für das, was er vorhatte. Falls er die Wahl gewinnen würde, wäre die Bank Geschichte. Wenn nicht, würde sein Leben weitergehen wie bisher. Dann würde ein anderer die Leitung der Bank übernehmen.

Diane konnte ihm womöglich seine Chancen bei der Wahl verderben, aber sie würde es nie tun. Sie war noch von der alten Schule. Was in den firmeneigenen Wänden geschah, blieb auch dort.

Er schloss das gerade geöffnete Computerprogramm und loggte sich in die Datenbank ein. Dann gab er Dianes Namen ein und prüfte, ob sie vielleicht auch einen Kredit besaß. Tatsächlich, ein Kredit auf ein Haus. Per Saldo waren es nur noch ein paar tausend Dollar. Selbst wenn die Bank dichtmachen würde, hätte sie kein Problem. Also wieso regte sie sich so auf?

Eine Viertelstunde später hatte er sich zur Hälfte durch die wöchentlichen Kreditberichte gearbeitet. Da hämmerte es gegen die Tür. Riley wunderte sich. Das konnte nicht Diane sein, selbst wenn sie wütend auf ihn war – und das war sie.

„Herein“, rief er.

Die Tür ging auf, und Gracie schaute herein. „Hallo. Ich bin’s.“

„Das sehe ich.“

„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Welche willst du zuerst hören?“

„Warum kommst du nicht erst mal rein?“

„Gute Idee.“

Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging sie schnurstracks auf den Schreibtisch zu und stellte lächelnd eine rosafarbene Box darauf.

„Ich habe dir eine Torte gemacht.“

In ihrer Stimme schwangen Stolz und Verlegenheit mit, und ihre Wangen röteten sich. Oder vielleicht waren sie auch aus einem anderen Grund gerötet – da war Riley sich nicht sicher. Mit ihren offenen Haaren und dem kurzen figurbetonten Kleid wirkte sie ausgesprochen sexy. Er war auch nur ein Mann und hatte mit Sicherheit nichts dagegen, wenn eine attraktive Frau etwas Zeit mit ihm verbrachte – selbst wenn es sich bei dieser Frau um eine verrückte Exstalkerin handelte. Aber das war es nicht, was ihn reglos in seinem Stuhl verharren ließ.

Es war die Torte.

„Ich konnte letzte Nacht nicht schlafen, und nachdem ich eine Weile an meinen Dekorationen gearbeitet hatte, was mir wie ein Jahrhundert vorkam, entschloss ich mich, dir einen Kuchen zu backen. Eine weiße Torte, besser gesagt, mit Schokoladenfüllung. Die Glasur ...“

Sie plapperte weiter über die Glasur und wie unsicher sie sich mit der Gestaltung gewesen sei, aber er hörte ihr nicht zu. Nicht richtig.

Seine Mutter hatte ihm immer zu seinem Geburtstag einen Kuchen gebacken, natürlich, ansonsten waren ihre Backkünste nicht berauschend gewesen. Backen hatte ihr keinen Spaß gemacht, und ihm war es egal gewesen. Er war auch nicht der Typ, für den Frauen einen Kuchen buken.

„Willst du nicht mal aufmachen?“, forderte sie ihn jetzt ungeduldig auf.

„Natürlich.“

Er öffnete den Deckel und betrachtete den runden weißen Kuchen, der mit einem grinsenden Stinktier verziert war.

„Ich bin tief beeindruckt“, sagte er lachend.

„Gut. Männer stehen nicht auf Blümchen, und ich weiß nicht, welche Hobbys du hast. Da dachte ich, das Stinktier wäre lustig. Willst du mal probieren?“

Noch während sie die Frage stellte, ließ sie sich in den Ledersessel neben dem Schreibtisch sinken und begann, in ihrer riesigen Strohtasche zu kramen. Sie brachte ein gefährlich aussehendes Messer zum Vorschein und Pappteller in einer Plastiktüte.

„Ich fasse es nicht“, sagte er. „Du bist mit einem Messer unterwegs?“

„Natürlich.“ Sie nahm die schützende Papphülle von der Klinge. „Man weiß nie, wann einem ein Kuchen begegnet, den man probieren muss. Also, ich jedenfalls.“ Sie reichte ihm das Messer und begann wieder, in ihrer Tasche zu kramen. „Nur die Kuchengabeln habe ich vergessen.“

„Das kriegen wir schon hin. Möchtest du auch etwas?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich nehme gern ein Stück, falls du glaubst, ich wollte dich vergiften oder so was. Aber sonst nicht, danke. Du weißt doch, das Brot gestern Abend.“

„Das war doch nur eine Scheibe.“

„Du hast meine Oberschenkel heute Morgen nicht gesehen.“

Hätte er aber gerne. Sehr gerne sogar. Und den Rest auch.

Das war gefährliches Terrain. Er sollte sich lieber auf den Kuchen konzentrieren.

Er schnitt sich ein Stück ab und ließ es vorsichtig auf den Pappteller gleiten. Gracie sah nervös zu, wie er probierte.

Die Torte hatte genau die richtige Konsistenz. Und sie schmeckte köstlich – wonach, wusste er nicht. Die Schokoladencreme erinnerte an Mousse.

„Exzellent“, lobte er sie. „Das ist der beste Kuchen, den ich je gegessen habe.“

Sie entspannte sich sichtlich. „Gut. Ich habe ja lange genug an meinem Geheimrezept gebastelt, aber hin und wieder probiere ich es auch gern noch mal an einer unvoreingenommenen Person aus.“

„Du meinst also, ich würde es dir sagen, wenn mir dein Kuchen nicht schmecken würde?“

„Warum sollte es dir etwas ausmachen, meine Gefühle zu verletzen? Bei unserer gemeinsamen Vergangenheit?“

„Wohl wahr.“ Er nahm noch einen Bissen und stellte dann den Teller ab. „Der Kuchen war also die gute Nachricht. Was ist die schlechte?“

Gracie lehnte sich zurück und legte den Kopf in den Nacken. „Alexis. Sie hat mich heute Morgen, gefühlte Uhrzeit: vor Sonnenaufgang, angerufen, nur um mir mitzuteilen, Zeke hätte seine Aktentasche zu Hause vergessen. Also fuhr sie zu seinem Büro, um sie ihm zu bringen. Und bei der Vollendung ihrer guten Tat ertappte sie Zeke bei einem offensichtlich sehr vertraut wirkenden Gespräch mit ...“ Gracie legte eine Kunstpause ein, setzte sich gerade hin und sah ihn an. „Achtung, jetzt halt dich fest.“

„Ich halte.“

„Pam.“

Er brauchte eine Sekunde, um zu verstehen. „Pam, meine Exfrau?“

„Genau die.“ Gracie beugte sich vor und legte die Hände auf den Schreibtisch. „Hast du sie schon gesehen, seit du wieder hier bist?“

„Gesehen im Sinne von sie in der Stadt gesehen? Ja. Gesehen im Sinne von mit ihr gesprochen? Nein.“ Er musste ein Lächeln unterdrücken. „Macht dir das Sorgen?“

„Überhaupt nicht. Ich bin seit vierzehn Jahren über dich hinweg. Du kannst dich treffen, mit wem du willst. Das stört mich überhaupt nicht. Großes Indianerehrenwort.“

Wahrscheinlich hatte sie wirklich kein großes Interesse mehr an ihm, aber gestern Abend im Auto schien sie einem Kuss nicht abgeneigt.

„Wenn Zeke wirklich mit Pam schläft, wäre das für keinen von uns besonders gut“, stellte Riley fest. „Vor allem nicht für Zeke.“

„Also geht unsere Überwachungsmission weiter?“, fragte Gracie fröhlich.

„Oh ja. Nur diesmal verfolgen wir Pam.“

„Zumindest regnet es nicht mehr.“

„Das macht es uns zwar leichter, ihr zu folgen, aber ihr auch, uns zu entdecken.“

„So ist das Leben. Wieder um halb sieben?“

„Da wir keine Ahnung haben, was sie vorhat, ist diese Zeit so gut wie jede andere.“

„Ich werde bereit sein.“ Gracie stand auf. „Und ich nehme meine Kamera mit.“

Riley wehrte ab. „Das ist keine gute Idee.“

„Aber wir brauchen Beweise.“

„Hast du nicht was Kleines, Digitales?“

„Diese neue Technik ist nichts für mich.“

Gracie nahm das Messer und wischte es mit einer Serviette ab, die sie ebenfalls mitgebracht hatte. Nachdem sie das Messer verstaut und die Serviette in den Mülleimer befördert hatte, machte sie sich auf den Weg zur Tür.

„Bis später also.“

Sie winkte noch einmal kurz, dann war sie verschwunden. Es war fast, als hätte Riley eine Erscheinung gehabt.

Doch da klopfte es schon wieder, diesmal leise und respektvoll. Wäre Diane imstande, ihre Gefühle in ihr Klopfen zu legen, wäre es sicher ein mächtiges, wütendes Hämmern gewesen.

„Ja, Diane?“

Seine Sekretärin schlüpfte herein. „Ihr Meeting um dreizehn Uhr steht an, Sir.“

Er schob ihr die Tortenbox hin. „Dieser Kuchen ist köstlich. Probieren Sie mal.“

Ablehnend reckte sie das Kinn nach oben. „Nein danke.“

„Gracie hat ihn für mich gemacht. Gracie mag mich.“

Jetzt las er in Dianes Miene die Wut, die er an ihrem Klopfen vermisst hatte. „Das tut sie nur, weil sie Sie nicht kennt, Sir.“

„Das sind zu viele Details“, sagte Gracies Mutter und legte einen Stapel Ordner auf den Couchtisch. „Vivian, Schätzchen, zuerst sollten ein paar grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden. Bis Ende der Woche müssen wir uns für ein Menü entschieden haben.“

Gracie hockte auf einer Sofaecke und las die vielen Namen, die im Ordner „Gästeliste“ standen. „Wo findet das Essen denn statt?“

„Im Country Club“, erklärte Vivian freudestrahlend. „Ich will eine große Hochzeit mit vielen Blumen und vielen Gästen und großer Party.“

Gracie überschlug schnell im Kopf die Zahl der Gäste und die Pro-Person-Kosten für ein Menü. Sie räusperte sich. „Dann scheint der Laden ja gut zu laufen“, murmelte sie mehr zu sich selbst als zu den anderen.

Doch ihre Mutter hatte es natürlich gehört und warf ihr einen scharfen Blick zu. Gracie wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Durfte man nicht über dieses Thema reden, oder machte sich ihre Mutter auch Sorgen wegen der Kosten?

„Um wie viel Uhr ist denn die Hochzeit?“, wollte Gracie nun wissen.

„Um vier“, sagte Alexis, als sie mit einem Tablett voller Getränke und Plätzchen hereinkam. Sie stellte es auf dem Sofatisch ab und reichte jedem davon.

„Ich habe mal für eine Hochzeit gearbeitet, wo es statt eines richtigen Essens nur massenhaft Vorspeisen gab. Die Kellner liefen die ganze Zeit mit Tabletts herum, und es gab verschiedene Stationen mit leckeren Kleinigkeiten, zum Beispiel einen Schokoladenbrunnen und Mini-Sandwiches. Das kam gut an, und die Eltern der Braut sparten so eine Menge Geld,“ erzählte Gracie, während sie an ihrem Getränk nippte.

Ihre Mutter griff sich den Ordner mit der Aufschrift „Menü“ und schlug ihn auf. „Sind Vorspeisen nicht so teuer?“

„Sie können auch teuer sein, aber immer noch günstiger als ein komplettes Menü. Und die Leute hocken dann nicht so starr auf ihren Plätzen herum, sondern verteilen sich mehr. So kann man sich viel besser unterhalten, das mögen die Gäste. Man ist nicht den ganzen Abend an denselben Tisch gefesselt. Außerdem braucht man dann auch keine so aufwendige Tischdekoration. Bei einer Cocktailparty erwartet niemand elegante Stühle mit Hussen. Man serviert vielleicht einen Drink in den Farben der Braut, plus Bier und Wein.“

Vivian sah sie misstrauisch an. „Danke, dass du meine Hochzeit zu einem so tollen Erlebnis machen willst wie den Besuch in einem Shoppingcenter, Gracie. Weißt du, wie man auch Geld sparen könnte? Indem man den Gästen ein Lunchpaket mitgibt. Das wäre doch mal was ganz anderes!“

„Entschuldigung. Ich wollte nur helfen.“

„Das war aber keine Hilfe. Die Hochzeit ist in weniger als fünf Wochen, da werde ich doch jetzt nichts Grundsätzliches mehr ändern! Ich möchte ein großes Dinner. Ich möchte eine Band, und ich möchte tanzen. Die Idee mit dem Hochzeitsdrink ist allerdings gut. Ich werde mit Tom darüber sprechen.“

Alexis lächelte Gracie mitfühlend an. „Es ist kein Fehler, ein bisschen zu sparen“, wandte sie sich an Vivian.

„Wieso sollte ich? Du und Zeke, ihr habt es doch auch krachen lassen. Und da Gracie ja sowieso nie heiraten wird, können wir dieses Geld auch noch für mich ausgeben!“

Alexis schüttelte den Kopf. „Das verwöhnte Nesthäkchen. Wie immer.“

„Wie auch immer.“ Vivian nahm sich ein Plätzchen. „Ich bezahle immerhin mein Kleid selbst, schon vergessen?“

„Es ist schon in Ordnung“, schaltete sich ihre Mutter ein. „Es ist lieb, dass du das übernimmst. Lasst uns doch mal über die Kleider reden. Deins ist fertig, oder?“

„Es ist jetzt da, und ich habe nächste Woche die erste Anprobe.“ Vivian wandte sich Gracie zu. „Es ist so schön! Schulterfrei, mit Spitze und mit angesetztem Schoß. Die Kleider der Brautjungfern sind im selben Stil gehalten und genauso elegant, aber natürlich schlichter und schwarz mit weißem Rand. Ich kann gar nicht abwarten, bis du sie siehst.“

Vivian schien ihre Unverschämtheit von eben schon wieder vergessen zu haben, doch Gracie nicht. Die Gemeinheit hatte gesessen. Vielleicht lag es daran, dass sie sich über ihre Rolle in dieser Show selbst nicht im Klaren war. Trotz all ihrer Erfahrung mit Hochzeiten war sie bei der ihrer eigenen Schwester irgendwie außen vor. Wenn sie also nur aus Höflichkeit eingeladen worden war, dann brauchte sie sich ja auch weiter nicht einzubringen.

Trotzdem hätte sie gerne noch etwas zu dieser unachtsam dahingesagten Frechheit geäußert. Sie war gerade einmal achtundzwanzig, und das bedeutete ja nun nicht, dass das Leben und die Liebe für sie vorbei waren. Natürlich gab es im Moment niemand Besonderen in ihrem Leben, aber das konnte sich jederzeit ändern.

„Und Alexis’ Kleid hat einen passenden Bolero, das sieht so süß aus!“

Vivians Bemerkung von eben hatte sie wie Nadelstiche getroffen. Aber das war jetzt der Todesstoß.

Gracie trank einen Schluck Limo. „Es ist ja auch wichtig, dass die Trauzeugin etwas hervorsticht.“

„Genau.“ Vivian strahlte.

Alexis sagte irgendetwas über Blumen, ihre Mutter nahm den nächsten Ordner, und Gracie bemühte sich, nicht auszuflippen.

Es machte ihr nichts aus, dass Alexis als Trauzeugin fungierte. Die beiden waren zusammen groß geworden und sehr vertraut miteinander. Aber als Vivian das erste Mal von Heirat gesprochen hatte, sollten ihre Freundinnen noch die Trauzeuginnen sein, nicht ihre Schwestern. Doch offensichtlich zählte sie Gracie nicht dazu.

Andererseits konnte sie Vivian auch verstehen. Theoretisch war sie zwar ein Teil der Familie, aber in den letzten vierzehn Jahren hatte sie nichts mehr mit ihrer Familie zu tun gehabt. Vieles hatte sich verändert, die Menschen auch. Sie selbst hatte sich verändert. Das hier war nicht ihre Welt. Und trotzdem tat es weh, ausgeschlossen zu werden.

„Offensichtlich hast du alles im Griff“, sagte sie zu ihrer Schwester, nachdem das Thema Blumenschmuck abgeschlossen war. „Ich bin dann mal weg, ich muss noch backen.“

„Wann zeigst du mir denn erste Entwürfe für die Hochzeitstorte?“, fragte Vivian. „Sie soll riesig werden. Ganz, ganz groß muss sie sein und echt spektakulär. Und total verziert.

Eine solche Torte entsprach einem Gegenwert von mehreren Tausend Dollar und würde in der Herstellung mehrere Wochen dauern. Aber das interessierte Vivian natürlich nicht.

„Ich stelle dir in den nächsten Tagen etwas zusammen“, versprach Gracie und erhob sich.

„Ich bringe dich noch raus“, sagte Alexis und begleitete sie zur Haustür.

„Und?“, fragte sie, als sie allein waren. „Werdet ihr herausfinden, was da zwischen Zeke und Pam Whitefield läuft?“

„Ja. Riley und ich werden ihr heute Abend folgen. Dann wissen wir, was los ist.“

„Aber verliert sie nicht, so wie gestern Zeke.“

„Danke für den Hinweis. Darauf wäre ich von selbst nicht gekommen.“

Sie ging zu ihrem Wagen. Das Haus, in dem sie so viele Jahre gelebt hatte, sah aus wie immer. Und doch war alles anders. Und diese Veränderungen machten sie traurig.

Riley fuhr ihre Einfahrt hoch und sah, dass sie schon vor der Tür wartete. Die Sturmfront war weitergezogen, der Himmel war klar. Gut und schlecht für ihre Pläne. Es begann zu dämmern, und die Sterne und ein halbrunder Mond waren zu sehen.

Gracie winkte ihm zu. Er beobachtete sie, als sie auf seinen Wagen zuging. Etwas war anders an ihr, fiel ihm auf. Aber er konnte nicht sagen, was.

Es lag nicht an ihrer Kleidung. Sie trug eine dunkle Hose und ein langärmliges T-Shirt. Ihre langen blonden Haare hatte sie zu schicken Zöpfen geflochten, die neuerdings wieder in Mode zu sein schienen. Und sie hatte ihre verdammte Kamera dabei.

„Was ist los?“, begrüßte er sie.

„Hallo.“ Mit einem gezwungenen Lächeln setzte Gracie sich neben ihn ins Auto.

Er ließ den Motor ausgeschaltet. „Ich habe dich etwas gefragt. Das war ernst gemeint.“

„Was? Oh. Du meinst, was ist los mit mir?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Nichts. Alles in Ordnung.“

In Ordnung war sie heute Morgen gewesen. Da hatte sie ihm die Torte ins Büro gebracht, strahlend und fröhlich. Jetzt war sie ganz anders.

„Sicher?“, hakte er nach. Was war denn los mit ihm? Wieso interessierte er sich für Gracies Gefühlslage?

„Ich möchte nicht darüber reden.“ Ihr Lächeln verschwand. „Kannst du das akzeptieren?“

„Ja, klar.“

Riley startete den Wagen und setzte zurück.

„Wir fahren zuerst bei Pam vorbei und sehen nach, ob sie da ist. Wenn ja, bleiben wir dort und warten ab, ob sie noch ausgeht.“ Er sah sie an. „Einverstanden?“

„Super. Alexis hat mich vorhin netterweise darauf hingewiesen, dass wir Pam auf keinen Fall verlieren dürfen. Ist das nicht ein toller Plan?“

Auch ihre Stimme klang anders. Irgendwie klar, aber auch gebrochen. Er musste sich aufs Fahren konzentrieren und versuchte, an nichts anderes zu denken.

Eine Viertelstunde später waren sie in Pams Straße angekommen, und Riley drosselte das Tempo. Pams Haus war ganz hinten auf der Ecke, ein einfaches einstöckiges Gebäude mit großem Garten und Erkerfenstern.

„Sie ist zu Hause“, stellte Riley fest und deutete auf die Lichter, die im Haus brannten, und auf den weißen Lexus GS300, der in der Einfahrt geparkt war.

„Weißt du, warum sie hier ist?“, fragte Gracie. Seit sie losgefahren waren, sagte sie zum ersten Mal etwas.

„Weil sie hier wohnt?“

„Nein, ich meine, warum ist sie in Los Lobos? Ich dachte, sie wollte für immer in die Großstadt gehen.“

„Ich habe keine Ahnung.“ Es war ihm auch egal. Pam war Vergangenheit, und das sollte sie auch bleiben. Sie hatte ihn belogen, um ihn zur Heirat zu überreden. Kaum hatte er das erfahren, war er weg gewesen.

„Ich frage mich, warum sie mich überhaupt gebeten haben, bei dem Treffen dabei zu sein“, sagte Gracie urplötzlich und starrte das Haus an. „Offensichtlich ist meine Meinung sowieso nicht gefragt. Ich verstehe es einfach nicht. Mom kann unmöglich mit ihrem Laden so viel verdienen. Ich weiß, dass das Haus abbezahlt ist, okay. Aber Vivian tut so, als würde Geld keine Rolle spielen. Ein mehrgängiges Menü im Country Club? Das ist Wahnsinn!“

Eigentlich wollte er gar nicht nachfragen, es sollte ihn nicht interessieren, doch die Worte kamen wie von selbst. „Wovon redest du?“

Gracie seufzte. „Ach nichts, nur meine Schwester. Meine jüngere Schwester diesmal. Sie heiratet in ein paar Wochen, deshalb bin ich ja hier. Angeblich wurde meine Hilfe benötigt, aber das stimmt überhaupt nicht. Das heißt, natürlich will Vivian eine Hochzeitstorte von mir, eine große und reichlich verzierte. Die soll sie auch bekommen, aber sie hat keine Ahnung, was eine solche Torte an Arbeitszeit und Kosten bedeutet. Und dann diese ganze Hochzeitsfeier! Das ist ja alles so weit in Ordnung, aber ich weiß nicht, warum sie mich angelogen hat. Sie hätte mir doch einfach die Wahrheit sagen können. Alexis wird ihre einzige Trauzeugin sein, ich wurde nicht mal gefragt. Ach, was rege ich mich überhaupt auf.“

Ihre Verletzung war fast greifbar. Riley wünschte sich, sie trösten zu können, und legte ihr die Hand auf den Arm.

„Alles okay“, mehr fiel ihm allerdings nicht ein, und er kam sich vor wie ein Vollidiot. Woher sollte er beurteilen können, ob es okay war oder nicht?

Sie sah ihn an, und er bemerkte Tränen in ihren Augen. Irgendwie wirkte sie im Licht der Straßenbeleuchtung viel zerbrechlicher als sonst.

„Ich sage mir selbst schon die ganze Zeit, dass alles in Ordnung ist. Aber das ist reiner Selbstbetrug. Ich bin kein Teil dieser Familie mehr. Vivian und Alexis stehen sich sehr nahe. Gut, das muss ich akzeptieren. Es ist nur ...“

Sie schluckte heftig, holte tief Luft und atmete aus. „Das ist alles nicht meine Schuld. Meine Mutter hat mich damals weggeschickt. Ich hatte niemals vor, zu gehen.“

Riley fühlte sich unwohl und auch seltsam. Gracie so aufgelöst zu sehen irritierte ihn. Er wollte ihr gern helfen, das war neu. Aber all diese Gefühle – das gefiel ihm gar nicht.

„Wohin gehen?“, fragte er.

„Nach diesem schrecklichen Sommer.“ Sie sah ihn an. „Als du herausgefunden hattest, dass Pam gar nicht schwanger war, hast du sie verlassen. Aber du warst nicht der Einzige, der aus Los Lobos wegging. Ich auch. Aber weil man mich wegschickte.“

„Ja richtig, ich erinnere mich. Zu irgendwelchen Verwandten in Iowa, oder nicht?“

Beinahe musste sie lächeln. Er hätte sie gern auf die Mundwinkel geküsst, so ein Irrsinn! Stattdessen lehnte er sich gegen die Fahrertür.

„Zu meiner Großmutter. Ich wurde weggeschickt, damit ich dir nicht die Hochzeit ruiniere. Aber auch später kam ich nicht mehr zurück.“ Gracie starrte geradeaus. „Meine Mutter sagte mir ernsthafte Probleme nach, vermutlich weil mein Vater starb, als ich erst zwölf war. In diesem Alter sei man leicht zu begeistern, meinte sie, und als ihr dann nebenan eingezogen seid, hätte ich mich womöglich auf dich fixiert. Als du weg warst, durfte ich auch nicht nach Los Lobos zurückkehren. Man würde sich immer an die ganze Sache erinnern, und ich hätte es verdient, woanders noch einmal neu anzufangen. Eventuell mit professioneller Hilfe. Also schickte sie mich zu meiner Tante und meinem Onkel nach Torrance.“

Sie presste die Lippen aufeinander und blinzelte mehrmals. „Aber ich wollte nicht weg. Mir kam es vor wie eine unendliche Strafe. Ich wusste ja, dass das, was ich dir zugemutet habe, vollkommen bescheuert war. Eine Zeit lang ging ich zu einer Therapeutin. Sie half mir, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen. Doch selbst danach wollte mich meine Mutter nicht mehr hier haben. Also beschloss ich, nicht mehr nach Hause zurückzukehren. Und jetzt auf einmal bitten sie mich hierher. Nicht, dass sie mich vermisst haben, es geht nur um diese beschissene Hochzeit. Ich glaube, ich verliere meine Familie gerade ein zweites Mal.“

Es dauerte eine Weile, bis er ihre Tränen bemerkte, die lautlos ihre Wangen herunterrollten. Riley hatte Mitleid mit ihr, war aber gleichzeitig auch wütend. Er wusste, wie es war, wenn man dazu gezwungen wurde, etwas zu tun, was man selbst gar nicht wollte. Er hatte Pam vor vierzehn Jahren nur aus einem einzigen Grund geheiratet: weil seine Mutter ihm ein schlechtes Gewissen eingeredet hatte. Aber selbst wenn er sich damals nicht ihrem Willen gebeugt hätte, hätte sie ihn niemals weggeschickt.

„Es tut mir so leid.“ Seine Worte waren ehrlich gemeint, aber sie kamen ihm hohl und unnütz vor.

Sie nickte, unfähig zu sprechen.

Riley streckte seine Hand nach ihr aus, ließ sie dann aber auf die Mittelkonsole sinken. Im Stillen verfluchte er sich dafür, dass er sich selbst überhaupt in diese Lage gebracht hatte. Dann beugte er sich zu Gracie hinüber und zog sie tröstend an sich.

Zuerst zögerte sie, doch dann lehnte sie sich an ihn. Er hatte sie in den letzten Tagen als starke Frau kennengelernt, doch als er sie jetzt so im Arm hielt, spürte er, dass auch sie eine schwache Seite hatte.

Ihr Körper fühlte sich warm an. Sie hielt sich an seinem Hemd fest, die Stirn hatte sie an seine Schulter gelegt. Riley konnte den süßen Duft ihres Körpers einatmen und dazu eine Spur Vanille, vermutlich vom Backen.

„Tut mir leid“, flüsterte Gracie zitternd. „Normalerweise kann ich mich zusammenreißen.“

„Das weiß ich.“

Und das meinte er auch so. Sie hatte aus dem Nichts ihr eigenes Geschäft aufgebaut. Dazu brauchte es viel Selbstdisziplin.

Er streichelte ihren Rücken und spürte ihr langes Haar auf seiner Hand. Sie setzte sich anders hin und schlang die Arme um ihn. Dann blickte sie mit Tränen in den Augen und geschwollenem Mund zu ihm auf. Der Drang, sie zu küssen, war mit einem Mal so stark, dass er ...

„Pam“, sagte er. Irgendetwas hatte sich draußen bewegt.

„Was?“

„Pam. Sie ist gerade in ihr Auto gestiegen.“

„Oh. Oh!“ Gracie richtete sich auf, fuhr sich noch einmal mit den Händen übers Gesicht und sah aus dem Fenster. „Wir müssen ihr folgen.“

„Bin schon dabei.“

Riley wartete noch, bis die junge Frau die Einfahrt verlassen hatte und sich langsam entfernte. Dann setzten auch sie sich in Bewegung. Beim nächsten Stoppschild holte er sie fast ein, daher folgte er in langsamerem Tempo, als sie Richtung Stadt fuhr.

„Wer weiß, wo sie hin will“, stellte Gracie fest. „Hoffentlich fährt sie nicht auf den Freeway. Es ist schon dunkel, und ich habe keine Lust, das Gleiche wie gestern zu erleben.“

„Wir werden sie nicht verlieren. Pam war nie eine aufmerksame Fahrerin, und daran wird sich wohl nichts geändert haben. Ich kann also ziemlich dicht an ihr dran bleiben.“

Sie fuhren durch Los Lobos und kamen ans Meer. Als Pam auf den Parkplatz eines kleinen Motels rollte, hielt Riley am Straßenrand vor dem einstöckigen Gebäude.

„Was will sie hier?“, wunderte sich Gracie.

Riley warf ihr einen eindeutigen Blick zu. Erschrocken sah sie ihn an.

„Nein! Du glaubst doch nicht, dass sie sich hier mit Zeke trifft? In einem Motel? Wie geschmacklos! Sie könnten sich doch bei ihr zu Hause treffen.“

„Aber jemand könnte sein Auto erkennen.“

„Na klar. Und hier würde es niemandem auffallen.“

Auch wieder wahr. Aber es musste ja einen Grund dafür geben, warum Pam hierhergekommen war.

„Wir müssen herausfinden, was sie da drin macht“, stellte Riley fest.

Gracie nickte. Sie stiegen aus und gingen an dem langen schmalen Gebäude entlang. Riley bemerkte, dass Gracie ihre Kamera dabeihatte. Es hatte wohl keinen Zweck, sie zu bitten, das Ding im Wagen zu lassen.

Sie bewegten sich langsam, vorsichtig, vermieden das Licht der Straßenbeleuchtung. Bevor sie die Lobby betraten, machten sie noch einmal halt. Pams Wagen stand am anderen Ende des Parkplatzes, von ihr selbst war nichts zu sehen.

„Sie muss in einem Zimmer sein“, flüsterte Gracie. „Wir müssen herausfinden, welches es ist.“

Riley überlegte kurz, ob er den Mann an der Rezeption bestechen sollte. Doch das war keine gute Idee in Anbetracht seiner Bürgermeisterkandidatur.

„Wir könnten versuchen, von außen durch die Fenster in die Zimmer hineinzuschauen“, schlug Gracie vor. „Bei den meisten sind die Vorhänge nicht zugezogen.“

„Pam ist aber sicher in einem von denen, wo die Vorhänge zugezogen sind.“

„Da könntest du recht haben.“

Noch bevor sie eine Entscheidung treffen konnten, hörten sie plötzlich einen lauten Knall, und alle Lichter gingen aus. Schlagartig war alles in Dunkelheit gehüllt.

„Nicht bewegen“, flüsterte Riley und nahm Gracie instinktiv an die Hand. „Lass uns zurück zum Wagen gehen. Bleib dicht bei mir.“

Seine Finger schlossen sich um ihre. Er spürte ihre andere Hand auf seinem Rücken.

„Geh vor“, sagte sie leise. „Ich ...“ Sie zog an seiner Hand. „Ich bin gleich hinter dir.“

Obwohl sie dringend verschwinden sollten, hätte Riley nichts lieber getan, als Gracie zu küssen. Doch der plötzliche Stromausfall verhieß nichts Gutes, und so tastete er sich langsam, Gracie im Schlepptau, in Richtung Auto.

„Da herum“, dirigierte er und bog um die Ecke.

Genau in diesem Moment explodierte die Nacht in einem hellen Blitz. Automatisch riss Riley den Arm hoch, wie um sich gegen einen Angriff zu verteidigen. Doch falls da jemand gewesen war, war dieser Jemand bereits wieder verschwunden. Man hörte sich entfernende Schritte, eine Autotür schlug zu. Gerade als die Lichter des Hotels wieder angingen, raste ein Wagen davon.

„Was war das denn?“, fragte Gracie.

„Ich glaube, jemand hat ein Foto von uns gemacht. Und was ich gerne wissen würde: Wer war das und wieso?“

6. KAPITEL

Ich war es jedenfalls nicht“, sagte Gracie und schwenkte ihre Polaroidkamera.

„Das ist mir klar“, stieß Riley ungeduldig hervor. „Der Blitz kam ja von der anderen Seite.“

Hatte er überhaupt bemerkt, dass sie immer noch Händchen hielten? Es fühlte sich gut an, wie seine Finger ihre umschlossen, warm und stark. Bei jeder anderen Begegnung mit einem attraktiven Mann hätte sie das aufregend gefunden. Doch mit Riley war das etwas anderes. Natürlich, er sah blendend aus und hatte eine enorme Anziehungskraft, aber sie wollte diese Situation keinesfalls überbewerten.

Sie fuhren zurück zu ihr. Riley folgte ihr unaufgefordert ins Haus, was sie unter normalen Umständen auch unter „spannend“ verbucht hätte.

„Ich wüsste wirklich gern, was das gerade war“, grübelte er weiter, als sie in die Küche ging und Kaffee aufsetzte. „Hat uns jemand in die Falle gelockt? Oder hat sich einfach nur jemand einen Spaß erlaubt, als er den Strom ausschaltete und dann Bilder machte?“

Gracie zauberte eine kleine Torte hervor, die der nicht unähnlich war, die sie Riley geschenkt hatte. Diese hier war allerdings unverziert. „Das klingt doch beides völlig absurd. Wer sollte uns denn hereinlegen?“

„Vielleicht hat uns Pam aus einem bestimmten Grund zu diesem Hotel geführt. Damit dieses Bild entstehen konnte. Aber wieso?“

Riley ging in der Küche auf und ab und blieb vor ihrem Terminplan stehen. „Was bedeutet das?“, fragte er und las dann laut vor. „Dreihundertsechzig Komma zwei Punkte. Siebzig Rosen aus Dekorfondant, siebzehn kleine, dreiundzwanzig mittelgroße, dreißig große.“

„Das sind die Dekostücke, die ich diese Woche für eine Torte herstellen muss.“ Sie ging ins Esszimmer und kam mit einer großen Mappe zurück, aus der sie eine Skizze der Torte hervorzog. „Es ist ein einfaches Modell. Eine dreistöckige Torte mit diesen kleinen Pünktchen überall und einem Kranz aus Rosen rund um jede Tortenstufe. Die Dekorationen mache ich immer zuerst fertig, sogar die Pünktchen.“ Sie lächelte. „Die Torte selbst ist schnell gebacken. Die meiste Arbeit macht die Verzierung.“

„Apropos“, sagte Riley lächelnd und ging hinüber zu der Arbeitsfläche, auf der der Kuchen stand, „ist der vielleicht für einen besonderen Anlass reserviert?“

„Messer sind in der Schublade.“ Mit dem Finger zeigte Gracie lächelnd darauf. „Bedien dich.“

Dann nahm sie zwei Teller, zwei Kaffeebecher und zwei Kuchengabeln aus dem Schrank.

„Du wirkst sehr ruhig“, stellte Riley fest, als sie etwas gegessen hatten. Sie saßen an dem kleinen Küchentisch.

„Wegen dem, was passiert ist?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Worüber soll man sich da groß aufregen? Trotzdem ist die Sache mit Pam seltsam. Warum ist sie zu diesem Motel gefahren? Sie hätte sich mit dem Typen doch bei sich zu Hause treffen können. Schließlich war es schon dunkel, und er hätte einfach in ihrer Garage parken können. Dann hätte keiner mitbekommen, dass er bei ihr war.“

„Vielleicht hat das alles gar nichts mit Zeke zu tun. Vielleicht hat Pam einfach mit ihm gesprochen, weil sie eine Versicherung braucht.“

„Versuch das mal Alexis beizubringen.“ Gracie seufzte.

Riley aß noch ein Stückchen Torte. „Wie machst du das nur?“, fragte er dann. „Ich habe noch nie so leckeren Kuchen gegessen.“

„Tut mir leid, Geschäftsgeheimnis. Außerdem kommst du mir sowieso nicht vor wie der große Kuchenfan.“

„Stimmt.“ Er deutete auf den Artikel aus der Zeitschrift People. „Du hast mir gar nicht gesagt, dass du berühmt bist.“

„Bin ich auch noch nicht. Aber langsam spricht es sich herum, und das ist schön. Das bedeutet zwar mehr Arbeit, aber noch schaffe ich es.“ Sie warf einen Blick auf ihren Terminplan. „Zurzeit jedenfalls.“

„Überlegst du immer noch, deine Firma zu vergrößern?“

„Ja, aber ich hatte noch keine Zeit, mir konkret Gedanken darüber zu machen. Es wäre bestimmt toll, weltweit Hochzeitstorten anzubieten. Aber dann fällt mir immer ein, wie gern ich mit meinen Kunden spreche und mir überlege, welche Torte am besten zu ihnen passt. Und die Torte mache ich natürlich auch am liebsten selbst. Will ich das wirklich aufgeben? Und wollen die Leute wirklich Torten von einer großen, anonymen Firma?“

„Von einem One-Woman-Betrieb bis zu einem multinationalen Konzern ist es aber ein sehr großer Sprung.“

„Ich weiß noch nicht, was ich mache.“

Er aß sein Stück Torte auf und trank einen Schluck Kaffee. Es dauerte einen Moment, bis Gracie es begriff. Da saß Riley Whitefield in ihrer Küche, sprach mit ihr und lächelte sie an. Nachdem sie ihn so viele Jahre angehimmelt und noch viel mehr Jahre überhaupt nicht mehr an ihn gedacht hatte, fühlte sich das total unwirklich an. Was würde die achtzigjährige Nachbarin ihrer Mutter wohl dazu sagen?

Gracie erschrak. „Vielleicht hättest du deinen Wagen auch besser in meine Garage gestellt.“

Er sah sie erstaunt an. „Machst du dir etwa Sorgen um deinen Ruf?“

„Auf jeden Fall. Das hier ist Los Lobos, und ich bin ich, und du ... Na, du weißt schon.“

„Wer ich bin, weiß ich schon ziemlich lange.“

Wie lustig er sein konnte, dachte Gracie. „Alles klar. Ich wollte damit nur sagen: Wenn die Leute mitbekommen, dass du bei mir bist ...“

„Dann fangen sie an zu reden.“

„Genau. Und das willst du doch sicher genauso wenig wie ich. Bei mir werden die Leute wieder mal nur an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln, aber du willst immerhin noch eine Wahl gewinnen.“

„Heißt das, du wirfst mich raus?“

Eigentlich machte er sich richtig gut in ihrer Küche. Ein hübscher Mann, stattlich. Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, zog sich ihr Magen wohlig zusammen. Hieß das, dass sie ihn attraktiv fand? Wenn ja, war das kein gutes Zeichen.

„Bringst du mich noch raus?“, fragte Riley freundlich. Als sie hinter ihm zur Haustür ging, warf sie schnell einen Blick auf seinen hübschen Hintern, den Jill neulich beim Mittagessen erwähnt hatte.

Vor der Tür blieb er stehen und sah sie an. „Irgendwie sind wir immer noch nicht schlauer. Was ist jetzt mit Zeke und Pam? Und wer hat uns fotografiert?“

„Angeblich landen hier ja immer wieder Außerirdische. Vielleicht waren die es.“

„Das muss es sein.“

Während er sprach, blickte er tief in ihre Augen. Gracie musste schlucken, konnte aber ihre Augen nicht abwenden – sie war von ihm gefangen wie ein kleines Tier von einem großen Raubtier. Doch sie ahnte, dass ihr wohl ein spannenderes Schicksal bevorstand als einer kleinen Feldmaus.

„Warst du eigentlich schon immer so hübsch?“, fragte er jetzt auch noch und legte ihr eine Hand auf die Wange. „Ich habe dich als klapperdürr und mit Zahnspange in Erinnerung.“

„Das war auch so. Es war meine ‚Hässliches-Entlein-Phase‘. Leider dauerte sie sechs lange, schmerzhafte Jahre.“

Seine Finger lagen warm und weich auf ihrer Haut. Ihr Herzschlag beschleunigte sich auf ein Tempo, das mehr zu einem Kolibri passte als zu einer achtundzwanzigjährigen Frau, die es noch dazu besser wissen müsste.

„Du hast mich immer beobachtet“, sagte er und kam näher. „Deine großen blauen Augen folgten jedem meiner Schritte. Weißt du, dass du mir damals eine Riesenangst eingejagt hast?“

„Das tut mir wirklich leid.“

„Entschuldigung angenommen“, murmelte er und küsste sie.

Ein Teil von Gracies Gehirn weigerte sich zu verstehen, was gerade passierte. Es konnte nicht sein, dass Riley in ihrem Flur stand und sie küsste. So funktionierte die Welt nicht. Doch sie spürte die sanfte Berührung seiner Lippen auf ihren und ein angenehmes Prickeln im ganzen Körper. Jetzt legte er beide Arme um sie und zog sie an sich.

Willenlos ließ sie es geschehen und schmiegte sich an ihn.

Vorhin im Auto, als sie so niedergeschlagen war, da hatte er sie auch schon in den Arm genommen, um sie zu trösten. Aber das hier war etwas anderes. Jetzt spürte sie seinen Körper ganz nah an ihrem, die Arme um seinen Nacken geschlungen, Brüste und Oberschenkel an ihn gedrängt. Sie wünschte, dieser Kuss würde nie enden.

Offensichtlich konnte er Gedanken lesen – oder er wünschte sich dasselbe wie sie -, denn er schien sich geradezu an ihr festzusaugen. Hitze übermannte sie, all ihre Zellen schienen in Flammen zu stehen. Sie atmete Rileys Geruch ein, spürte seine weiche Haut unter dem Hemd und seine starken Muskeln.

Als er ihre Unterlippe mit seiner Zunge liebkoste, wurde ihr schlagartig klar: Das muss Schicksal sein. Trotzdem kam es ihr wie Wahnsinn vor, als sie seinen Kuss erwiderte. Und dann schaltete sich ihr klar denkendes Gehirn ab.

Sein Kuss war selbstbewusst. Er war ein Mann, der wusste, wie man eine Frau befriedigen konnte. Gracie schmeckte den Kaffee und den Zuckerguss der Torte und noch etwas anderes, Köstliches. Jetzt ließ er seine Hände über ihren Rücken wandern und zog sie noch enger an sich. Am liebsten hätte sie angefangen zu schnurren wie ein Kätzchen.

Eine Hand glitt auf ihren Po und drückte ihn. Sie wollte mehr, mehr als nur diesen Kuss. Begierde wurde in ihr wach. Sie wurde feucht, wollte sich ihm hingeben. Genau in diesem Moment löste er sich jedoch von ihr.

„Das hatte was.“ Riley schien wirklich beeindruckt zu sein.

Er klang tatsächlich etwas atemlos – das gefiel ihr. Womöglich hatte auch ihn die Leidenschaft übermannt?

Noch einmal küsste er sie sanft, dann strich Riley ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. „Das war so nicht geplant“, stellte er fest.

„Du hast etwas geplant?“

„Immer.“

„Und wie sieht der Plan aus?“

„Verrätst du mir dein geheimes Kuchenrezept?“

„Nein. Ich verstehe. Also anders: Was kam dir in die Quere?“

Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie leidenschaftlich. Am liebsten wäre sie in seinen Händen zerschmolzen.

„Das“, gab er zu und ließ sie los. „Wir dürfen das nicht, Gracie. Ich halte mich an gewisse Spielregeln. Eine davon lautet: eine Frau schnell wieder vergessen. Wir beide wissen, dass das mit dir nicht geht.“

Sie legte die Hände auf seine Brust. „Beziehst du dich damit auf meine Vergangenheit? Hattest du nicht gesagt, das Thema wäre für dich abgehakt?“

„Nein, das hat nichts mit deiner Vergangenheit zu tun. Gute Nacht.“

Riley öffnete die Tür und ging davon. Volle drei Minuten blieb Gracie bewegungslos stehen und ließ ihre Unterhaltung Revue passieren ... und den Kuss. Dann schloss sie endlich die Tür und wirbelte wie eine Verrückte durch das kleine Wohnzimmer.

Wie hatte Sally Fields einmal bei der Oscar-Verleihung gesagt? „Er mochte sie. Er mochte sie wirklich.“

Nicht an den Kuss denken, sagte sie sich fast die ganze Nacht hindurch, schlafen konnte sie sowieso nicht. Das war gut, denn so schaffte sie es, alle Pünktchen und Rosen für die Hochzeitstorte anzufertigen. Das Beste war jedoch, dass sein Kuss noch viel wunderbarer gewesen war, als sie es sich damals in ihren kühnsten Träumen vorgestellt hatte. Aus ihren Träumereien wurde sie aufgeschreckt durch ein dumpfes Geräusch auf der Veranda. Die Zeitung war da. Der Morgen dämmerte schon. Erst jetzt bemerkte Gracie eine unglaubliche Müdigkeit.

Sie öffnete die Haustür, ordnete ihre Frisur und holte die Zeitung, die vorne auf der Veranda gelandet war. Schnell hob sie sie auf und ging wieder hinein. Sie entfernte die Plastikhülle und schlug die Zeitung auf.

Und da entfuhr ihr ein wütender Schrei – es war unglaublich. Das durfte doch nicht wahr sein! Unmöglich! Wie unfair, was sie da schwarz auf weiß lesen musste.

Auf der Titelseite der Los Lobos Daily News prangte ein – wenn auch leicht unscharfes – Foto von ihr und Riley, wie sie Hand in Hand mitten auf dem Parkplatz des Motels standen. Es sah so aus, als hätte man sie auf frischer Tat ertappt – was selbstverständlich an dem grellen Blitzlicht lag und nicht daran, dass man sie tatsächlich bei etwas Ungebührlichem erwischt hätte. Aber wer konnte das schon ahnen?

Noch schlimmer war die Überschrift: „Bürgermeisterkandidat im Liebesnest ertappt.“ Dazu der etwas kleiner gedruckte Hinweis auf die „Gracie-Chroniken“, die ab Seite neunzehn noch einmal zu lesen war.

Gracie rollte die Zeitung zusammen und schleuderte sie gegen die Wand. „Warum? Warum? Warum? Was soll das?“

Eine vernünftige Antwort darauf fiel ihr nicht ein, und das machte sie noch wütender. Wieder hellwach, lief sie durchs Haus und beschloss, unter die Dusche zu gehen.

Ein rascher Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es nicht einmal sieben war. Wann stand Riley auf? Da sie seine Telefonnummer nicht hatte, würde sie bei ihm vorbeifahren. Und zwar noch bevor er zur Bank aufbrach. Aber dann würde man ihr Auto vor seinem Haus sehen. Das war vielleicht doch keine so gute Idee. Nicht jetzt, wo ...

In diesem Moment klingelte ihr Handy. Wer rief denn um diese Uhrzeit an? Vorsichtshalber ließ sie es erst zweimal klingeln, bevor sie sich mit einem vorsichtigen „Hallo?“ meldete.

„Ich bin’s, Riley. Hab ich dich geweckt?“

„Nein. Ich war noch gar nicht im Bett.“

„Hast du schon die Zeitung gesehen?“, fragten sie beide gleichzeitig. Gracie sank auf einen Küchenstuhl.

„Ich fass es nicht“, stöhnte sie. „Das ist doch furchtbar. Was soll diese Nummer, und wer steckt dahinter?“

„Da fällt mir eine ganze Liste von Verdächtigen ein“, grummelte er. „Angefangen beim Bürgermeister, bis hin zu Pam.“

Sie brauchte einen Moment, um diese Information zu verarbeiten. „Ich gebe zu, Pam könnte etwas damit zu tun haben, denn sie hat uns ja zu diesem Motel gelockt. Aber wieso?“

„Ich habe keinen Schimmer. Vielleicht hasst sie mich. Und Bürgermeister Yardley ist wahrscheinlich sauer auf mich, weil ich in den Umfragen vorne liege. Obwohl sich das nach dem heutigen Tag wahrscheinlich ändern wird.“

Der Bürgermeister? Gracie kannte den Mann nicht. „Du meinst, dieser Yardley könnte Pam dazu bewegt haben, zu dem Motel zu fahren, den Strom abzuschalten und zu warten, bis wir in passender Pose auf diesem Parkplatz stehen? Das heißt, er müsste davon ausgegangen sein, dass wir ihr folgen, bei dem Motel aussteigen und Hand in Hand um das Gebäude herumgehen? Also stand schon ein Fotograf bereit, um ein kompromittierendes Bild von uns zu schießen?“

Erst hörte sie nichts von Riley, dann ein Kichern. „Vermutlich hast du recht. Das klingt doch äußerst unwahrscheinlich.“

„Viele andere Möglichkeiten bleiben wohl nicht.“ Sie nahm die Zeitung und legte sie vor sich auf den Tisch. „Ich kann das immer noch nicht glauben. Ich bin in einen Sexskandal verwickelt! Hast du eine Ahnung, wie meine Mutter reagieren wird, wenn sie das liest?“

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