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Soundtrack unserer Sehnsucht

hier erhältlich:

Egal, wie viele Groupies er hatte, wie heiß die Partys mit ihnen waren - Rockstar Vaughan Hurley hat nie die einzige Frau vergessen, die er wirklich geliebt hat: Kelly, seine Exfrau. Trotzdem hat er nie seinen verdammten Stolz überwunden, um sie zurückzugewinnen. Doch jetzt läuft ihm die Zeit davon, denn Kelly will wieder heiraten. Und Vaughan hat nur eine Chance, das zu verhindern: Er muss sie an den wilden Takt ihrer Leidenschaft erinnern …

"Die perfekte Mischung aus heißer Rockstar-Fantasie und romantischer Lovestory."

Kirkus Reviews


  • Erscheinungstag: 12.09.2016
  • Aus der Serie: Rockstars
  • Bandnummer: 3
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956499425
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lauren Dane

Soundtrack unserer Sehnsucht

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Maike Müller

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:
Back to You

Copyright © 2015 by Lauren Dane

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: büropecher, Köln

Redaktion: Laura Oehlke

Titelabbildung: Harlequin; Veremeev / Thinkstock

ISBN eBook 978-3-95649-942-5

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

1. KAPITEL

Kellys erster Impuls war, so zu tun, als hätte sie Ross nicht richtig verstanden. Doch das wäre eine Lüge gewesen, und sie hasste es zu lügen. Trotzdem wusste sie nicht, was sie antworten sollte.

Sie war dreiunddreißig Jahre alt. Sie hatte zwei wunderbare Kinder, stand erfolgreich im Berufsleben, und der Mann, mit dem sie sich vorstellen konnte, ein gemeinsames Leben aufzubauen, hatte sie soeben gebeten, seine Frau zu werden. Nur ein bisschen weniger romantisch als gedacht, eher nach dem Motto: Wir übernachten nun schon seit einem Jahr beieinander. Vielleicht sollten wir heiraten. Das wäre doch für alle gut und würde eine Menge Kosten sparen, findest du nicht auch?

Konnte sie überhaupt etwas anderes als Ja sagen? Es spielte keine Rolle, dass Ross nicht Vaughan war. Zugegeben, eigentlich spielte es eine große Rolle, dass er nicht der Mann war, der ihr Herz in so viele Einzelteile zerbrochen hatte, dass sie nicht sicher gewesen war, ob sie jemals darüber hinwegkäme.

Acht Jahre waren vergangen, seit sie ihren damaligen Mann, den Vater ihrer Kinder, hatte verlassen müssen. Ja, sie hatte gewartet. Darauf, dass er begriff, wie fantastisch sie war, und dass sie gemeinsam eine wunderbare, glückliche Familie sein könnten. Wenn er doch nur endlich mal was auf die Reihe bekäme!

Viele Tränen und unzählige einsame Nächte später hatte sie nur eines gelernt: Sosehr sie sich auch das Gegenteil wünschte – Vaughan Hurley war alles andere als eine gute Partie.

Schlimmer noch, Kelly war sich nicht sicher, ob er es jemals sein würde. Sie wollte nicht länger darauf vertrauen, dass er endlich erwachsen werden und sich zu einem Mann entwickeln würde, der ihre Liebe verdient hatte. Was hätte sie schon tun sollen? Für immer Single bleiben? Auf etwas warten, das womöglich niemals eintreten würde? Nein, sie hatte das Alleinsein satt. Sie wollte heiraten. Jeden Tag nach Hause kommen, wo jemand auf sie wartete.

Ross war ein guter Mann. Und ganz gewiss würde er ein guter Ehemann sein. Sie hatte kein Recht, zu erwarten, dass es andauernd zwischen ihnen knisterte. Sie liebte ihn. Gemeinsam konnten sie ein gutes Leben führen. Er war genau das, was sie brauchte.

Sie musste aufhören zu warten. Zeit, nach vorn zu blicken. Sie sah die Güte in seinen braunen Augen. Sicherheit – das war es, was er ausstrahlte. „Also gut. Ja, ich will“, schien eine fremde Stimme zu sagen. Doch Kelly nahm die Worte weder zurück, noch relativierte sie sie.

Ross lächelte und schloss sie fest in die Arme.

Vaughan Hurley war endlich wieder zu Hause, nachdem er drei Monate mit seiner Band Sweet Hollow Ranch herumgetourt war. Zuvor hatten sie von morgens bis abends an dem neuen Album gefeilt. Eine weise Entscheidung, immerhin lief es für ihn beruflich extrem gut – die Band konnte gute Verkaufszahlen und eine außerordentlich erfolgreiche Tournee vorweisen. Allerdings ließ sich nicht leugnen, dass er sich geradezu in die Arbeit gestürzt hatte.

Damit war es jetzt vorbei. Er musste etwas erledigen. Etwas, vor dem er sich jahrelang gedrückt hatte. Vielleicht zu lange.

Und es hatte erst der Verlobung seiner Exfrau bedurft, damit er es sich endlich eingestand.

„Ich dachte, ich sollte dir sagen, dass Ross mir einen Heiratsantrag gemacht hat, den ich angenommen habe.“

Sein Herz verkrampfte sich, während er sich nach Kräften bemühte, nicht die Fassung zu verlieren. „Wann ist es denn so weit?“

„Wir haben noch kein Datum festgelegt, aber wahrscheinlich erst in einem Jahr.“ Sie sah ihn abwartend an.

Herrje, er würde sie anflehen müssen, das nicht zu tun.

„Ach so. Herzlichen Glückwunsch.“

Ein kurzes Nicken. „Danke. Viel Spaß auf eurer Tournee.“ Schon hatte sie kehrtgemacht und ihn auf ihrer Veranda stehen lassen. Wie ferngesteuert war er nach Hause gefahren.

In den letzten drei Monaten hatte Vaughan an kaum etwas anderes gedacht. Nicht nur an die Verlobung, sondern auch an diese absurde Stille und die Art, wie Kelly darauf zu warten schien, dass er etwas erwiderte, und einfach gegangen war, als er es nicht getan hatte.

Und nun stand er da, fühlte sich nach der Tournee wie aufgeputscht und vermisste etwas, das ihm erst bewusst geworden war, als er es verloren hatte.

Sie hatten zwei gemeinsame Töchter, die er vergötterte. Nach drei Monaten on the road, in denen er sie nicht hatte küssen oder umarmen können, vermisste er sie nun mehr denn je. Je älter die beiden wurden, desto schwerer fiel es ihm jedes Mal, sie zurückzulassen. Denn wenn er sie das nächste Mal sah – manchmal nur wenige Wochen später –, waren sie größer geworden und hatten viele neue Dinge erlebt, allesamt ohne ihn.

Dennoch war er überglücklich, dass sie seine Liebe erwiderten. Seine kleinen Mädchen, die nach ihrem Lieblings-Erdbeershampoo dufteten, sich an ihn kuschelten und ihm Gutenachtküsschen gaben. Wenn die beiden ihn so voller Vertrauen und Liebe ansahen, brach es ihm jedes Mal aufs Neue das Herz und gab ihm zugleich unendlich viel Kraft.

Er nahm den kurzen Weg und parkte am Bordstein vor dem Haus, in dem seine Exfrau ihre gemeinsamen Kinder großzog. Ihr Zuhause. Ein Ort, den er nur mit ihrer Erlaubnis betreten durfte.

All das war seine verfluchte Entscheidung gewesen. Die ganze Scheidung stand sinnbildlich dafür, dass man bereute, genau das bekommen zu haben, wonach man gefragt hatte.

Oben brannte noch Licht. Er hoffte, noch einen kurzen Blick auf die schlafenden Mädchen werfen und wenigstens die Geschenke abgeben zu können.

Und sie zu sehen.

Noch im Wagen zog er das Handy heraus und schrieb ihr eine Nachricht, dass er draußen stand. Doch sie antwortete ihm nicht. Stattdessen kam Kelly auf die Veranda und winkte ihn zu sich. Schon beim Aussteigen bemerkte er ihren besorgten Gesichtsausdruck.

Die Angst packte ihn, als er zu ihr rannte. „Was ist los?“

„Maddie. Sie hat ziemlich hohes Fieber und so starke Bauchkrämpfe, dass sie nicht mal mehr stehen kann. Ich wollte sie gerade in die Notaufnahme bringen. Kannst du mir helfen?“

Vaughan sah sie an – zum ersten Mal seit langer Zeit sah er sie richtig an. Sein Herz setzte immer noch einen Schlag aus, wenn er das tat, doch in diesem Augenblick war ganz klar, dass sie ihn brauchte. Er befreite sich aus seiner Starre und konzentrierte sich auf die Situation. „Ja. Klar, natürlich. Sag mir, was ich tun soll.“

Kelly zögerte einen Moment, leckte sich über die Lippen und deutete nach oben. „Ich hab sie gerade angezogen. Ihre Schuhe habe ich in meiner Tasche. Kannst du die Kleine runtertragen? Dann schließ ich schon mal das Auto auf. Am besten bringst du sie vorne raus.“ Ihre Ansage war knapp und präzise, der intime Moment zwischen ihnen verflog. Ihre Selbstbeherrschung tat ihm gut, sodass er sich ebenfalls zusammenriss.

Auf halbem Weg nach oben fiel ihm seine Jüngste ein. „Was wird mit Kensey?“

„Sie schläft bei einer Freundin. Beeil dich, ja?“

Er hetzte zum Kinderzimmer am Ende des Flures. Sein Mädchen lächelte ihn kurz an. „Daddy? Du bist da! Das ist toll! Ich hab Fieber.“

Vaughan bückte sich, hob sie hoch und spürte ihre heiße Wange an seiner. Panik flackerte in ihm auf, doch er zwang sich, ruhig zu bleiben. Maddie brauchte ihn jetzt. „Ich hab schon gehört. Komm, meine Süße. Mom wartet unten.“

Sie nickte schläfrig. Ihre blassgrünen Augen waren vom Fieber ganz glasig.

Kelly stand unten an der Tür und führte ihn zum Auto, wo er seine Tochter sanft auf die Rückbank setzte und auf den freien Platz neben sie rutschte.

„Mach’s dir bequem, Sternchen. Wir fahren jetzt zum Doktor. Lehn dich an Daddy an.“ Er sah, wie Kelly, die mittlerweile hinterm Steuer saß, ihn durch den Rückspiegel musterte, und konnte ihre Angst förmlich spüren. Gott sei Dank, dass er ausnahmsweise hier war, sodass sie und Maddie das hier nicht alleine durchmachen mussten.

Sie sprachen nicht viel, während sie zum Krankenhaus brausten, das nicht allzu weit vom Haus entfernt lag. Auf der Fahrt krampfte Maddie sich einmal kurz vor Schmerzen zusammen und stieß ein Wimmern aus, doch dann ebbte der Bauchschmerz wieder ab.

Kelly stellte den Wagen unter dem Vordach der Notaufnahme ab, stieg hastig aus und hielt die Tür auf seiner Seite auf. „Ich bringe sie rein. Ich habe alle medizinischen Infos, und außerdem kennt man mich hier. Parkst du das Auto und kommst dann nach?“

Eine klare Ansage war genau das, was er jetzt brauchte. Als Kelly mit der Kleinen auf dem Arm das Krankenhaus betrat, verschwendete Vaughan keine Sekunde damit, ihnen sehnsüchtig nachzublicken. Er sprang zurück in den SUV und suchte so schnell wie möglich einen Parkplatz. Mit dem Telefon am Ohr, um seine Eltern anzurufen, schaffte er es sogar, sich seinen Kapuzenpullover und Maddies Kuschelschwein zu schnappen, ehe er zurück zu der Doppeltür rannte, die zur Notaufnahme führte.

Vaughan stand Kelly auf der anderen Seite der Krankentrage, auf der ihre Tochter lag, gegenüber. Die Schwestern waren dabei, die Liege in den OP zu schieben. Kelly strich Maddie, die von dem verabreichten Beruhigungsmittel schon ganz dösig war, die Haare aus der Stirn und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

Sie sah so klein aus, so verletzlich. Vor lauter Angst klopfte Kellys Herz wie wild, doch sie schaffte es, optimistisch zu klingen und sich zusammenzureißen – weil es ihre Aufgabe war. „Ich hab dich lieb. Ich werde hier sein, wenn du wieder da bist.“

Dass ihre Tochter das bereits erwartet hatte, bedeutete Kelly unendlich viel. Und als Maddie „Hab dich lieb, Mommy“ murmelte, gab ihr das die Kraft, durchzuhalten und der Mensch zu sein, auf den ihre Kinder sich immer verlassen konnten.

Vaughan flüsterte Maddie zu, wie lieb er sie hatte, und machte ihr Mut, bevor er neben Kelly trat und zusah, wie das Krankenhauspersonal die Trage den Flur hinunter und durch eine weitere Doppeltür schob.

Sie starrte noch immer auf die Stelle, wo Maddie gerade noch gelegen hatte. Ein Schluchzer wollte ihr entweichen, doch sie rang ihn nieder. Zumindest fast. Vaughan nahm ihre Hand und drückte sie. „Alles wird gut, Kel. Das weißt du doch.“

Das machte es ihr nicht gerade leichter, die Tränen zurückzuhalten, doch schließlich nickte Kelly. Sie hatte die Angst in seiner Stimme gehört und wollte ihn beruhigen, schließlich brauchte er sie jetzt auch. Wie alle Mütter hatte sie mehr als genug Erfahrungen mit Platzwunden und mitternächtlichen Pseudokrupp-Anfällen im feuchtnebeligen Badezimmer bei laufendem heißem Wasser. All das hatte ihr gezeigt, wie belastbar Kinder sein konnten. Maddie würde wieder gesund werden, und genau darauf musste sie sich jetzt konzentrieren.

Vaughan hatte gewiss noch nie mit nächtlichen Notfällen zurechtkommen müssen. Ein wenig Einfühlsamkeit von ihr tat ihm jetzt sicher gut, und ihr würde es auch nicht schaden. Kelly lächelte ihren Exmann an. „Danke.“

In dem kleinen Wartezimmer ließ sie sich seufzend auf einen der Stühle fallen. Es war fast ein Uhr nachts, und allmählich sank ihr Adrenalinpegel wieder, wodurch sie sich erschöpft und zugleich überspannt fühlte.

Zum Glück war Kensey sicher untergebracht, sodass nichts sie beunruhigen musste. In Gedanken ging Kelly ihre Checkliste durch, um sicherzugehen, dass sie nicht irgendetwas Wichtiges vergessen hatte.

Vaughan musterte sie kritisch, er sah jedoch schon wieder gefasster aus. „Wann hast du zum letzten Mal was gegessen, Kel?“

Es verwirrte sie, wenn er so war. Es schien viel einfacher, wenn er für längere Zeit aus ihrem Leben verschwunden war. Den Mann, der sich dafür entschieden hatte, seine Familie zu verlassen, um selbst nicht erwachsen werden zu müssen, konnte sie definitiv nicht lieben. Kelly hatte schon zwei Kinder, sie brauchte kein drittes. Sie wollte nicht hinter den flüchtigen Momenten echter Verbundenheit herjagen, wenn sie mit Ross eine dauerhaft stabile Basis haben konnte.

Mit ihrem Verlobten, erinnerte sie sich, als sie darüber nachzudenken begann, wie es klang, wenn Vaughan sie so nannte wie eben. Acht Jahre nachdem er ihr das Herz gebrochen hatte und sich ihr endlich die Möglichkeit bot, mit einem anderen Mann eine richtige Familie zu haben.

„Ich hab Maddie um fünf Abendessen gemacht. Weil sie sich nicht gut fühlte, hat sie Tomatensuppe und einen Käsesandwich bekommen. Sie hat nicht viel gegessen.“

„Das hat meine Mom mir auch immer gemacht, wenn ich krank war.“ Er lächelte.

Ihr Magen schlug einen Purzelbaum. Wahrscheinlich nur, weil sie besorgt war.

„Jetzt hast du mir zwar gesagt, was sie gegessen hat, aber nicht, ob du auch etwas abbekommen hast.“

„Jaja, Suppe und ein Sandwich. Und du? Du kommst doch direkt vom Konzert. Ich weiß noch genau, wie du danach immer drauf warst.“ Hitze stieg ihr in die Wangen, obwohl sie versuchte, es zu verhindern. Nach einem Gig hatte er immer einen Bärenhunger gehabt – auf etwas zu essen und auf Sex. Mit keinem anderen hatte es sich so gut angefühlt wie mit ihm. Sie hatte in seiner Garderobe auf ihn gewartet, er war auf direktem Wege zu ihr gekommen. Er nahm sie rau und hart, hinterließ Knutschflecken an Stellen, die nur er zu sehen bekam. Es war unfassbar heiß. So sexy und intensiv, dass sie alles andere vergaß. Und was hatte es ihr gebracht? Sie schüttelte den Kopf, um sich von den Erinnerungen zu lösen, weil es für ihn niemals mehr als nur Sex gewesen war, während es ihr einfach alles bedeutet hatte. So, wie er ihr alles bedeutet hatte.

„Wenn du willst, kannst du ruhig gehen. Ich halte dich auf dem Laufenden. Du bist doch sicher todmüde.“

Vaughan sah sie lange an. So lange, dass sie begann, sich unter seinem Blick zu winden. Schließlich sagte er: „Ich will nicht mehr weglaufen.“

Kelly wusste, dass er damit nicht nur die heutige Nacht meinte. Sie zwang sich, nachzuhaken, obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie die Antwort wirklich hören wollte. „Bitte?“

Nun war er es, der den Kopf schüttelte. „Ich werde nirgendwo hingehen, Kelly. Ich bin so froh, dass ich bei euch vorbeigekommen bin. Ich bin hier. Das ist unser Kind. Wir können das gemeinsam durchstehen.“

Vielleicht interpretierte sie zu viel hinein, und er hatte gar nicht mehr gemeint als das. Sie war zu müde, um weiter nachzuforschen. Ihre Augen brannten. Sie hatte Magenschmerzen, und sie war nervös und empfindlich.

Er war Maddies Vater. Und Kelly war die Beziehung der Mädchen zu ihrem Vater und dessen Familie immer wichtig gewesen. Vaughan war hier, neben ihr, und gab sich alle Mühe. Sie beschloss, ihn gewähren zu lassen und dankbar zu sein. „In Ordnung. Ich bin auch froh, dass du hier bist.“

„Ich hätte da einen Vorschlag. Ganz in der Nähe gibt es einen Imbiss, der rund um die Uhr geöffnet hat. Nichts Tolles, aber ich halte manchmal mit den Mädchen dort, bevor ich sie nach Hause bringe. Ich könnte hinfahren und etwas zu essen holen.“

Kelly ballte die zitternden Hände mehrmals zu Fäusten, um sie etwas aufzuwärmen. Etwas im Magen zu haben wäre gut, da sie beide gewiss noch einige Stunden wach sein würden. Außerdem brauchte sie ein bisschen Zeit für sich, um einen klaren Kopf zu kriegen und ein paar Telefonate zu erledigen. „Ja, das wäre toll. Danke.“

„Ich rufe gleich mal dort an, damit es fertig ist, wenn ich ankomme. In höchstens einer halben Stunde müsste ich zurück sein.“ Vaughan lächelte. „Auch wenn ich es schon mal gesagt habe: Ich bin froh, dass ich heute Abend bei euch vorbeigefahren bin.“ Er reichte ihr seinen Pullover. „Hier. Du siehst aus, als ob du frierst.“

Dann ging er schnellen Schrittes davon. Sie lehnte den Kopf an die Wand und schloss die Augen.

Schon vor langer Zeit hatte sie die Hoffnung aufgegeben, dass Vaughan da sein würde, wenn sie ihn brauchte. Und sie wünschte, es wäre ihr egal, dass er ihr in dieser Nacht zur Seite stand.

Aber es war ihr nicht egal. Und sie war dumm genug, es zuzulassen.

Es kam ihr vor, als hätte sie schon vor der Scheidung versucht, über Vaughan Hurley hinwegzukommen. Von all den Menschen, bei denen sie in ihrem Leben nach Aufmerksamkeit und Zuneigung gesucht hatte, war es allein Vaughan, der noch immer die Hoheit über ihr Herz besaß. Das machte sie so dumm – aber Liebe war eben so.

Mit einem Stöhnen setzte Kelly sich auf und zog ihr Handy aus der Tasche, um ihrer besten Freundin eine Nachricht zu schreiben. Stacey war gerade auf der anderen Seite des Landes in Manhattan, wo sie auf irgendeiner Konferenz einen Vortrag hielt. Zwar wünschte Kelly sich, dass Stacey jetzt hier bei ihr wäre, aber dieser Vortrag war eine verdammt große Sache.

Deshalb ließ sie ihre Nachricht nicht so düster klingen. Sie gab die wichtigsten Infos durch und drängte ihre Freundin, bloß in New York zu bleiben. Es gab rein gar nichts, was Stacey im Augenblick für sie tun könnte. Aber Kelly wollte sie zumindest auf dem Laufenden halten.

Im Anschluss schrieb sie Ross, informierte ihn über Maddies Zustand und versicherte, dass sie ihn anrufen würde, wenn er wach war. Er mochte Vaughan nicht, auch wenn er das vor den Mädchen niemals zeigte. Er mochte es nicht, wenn Kelly Zeit mit ihrem Ex verbrachte – auch nicht bei Familienfeiern. Und er war eifersüchtig darauf, dass Vaughan durch die Kinder mit ihr verbunden war.

Als sie dann Vaughans Sweater überzog, begann bei den Erinnerungen an die kurze, schöne gemeinsame Zeit ein Schmerz in ihr zu pochen, an den sie sich vor vielen Jahren gewöhnt hatte. Sie schüttelte das Gefühl ab, indem sie sich ins Bewusstsein rief, dass schon bald die gesamte Hurley-Bande auftauchen würde.

Daran hatte sie keinen Zweifel. Wenn Vaughan seine Familie brauchte, ließ die alles stehen und liegen und kam her. Jeder Einzelne von ihnen würde ihn und Maddie unterstützen. Im Grunde war sie dankbar, dass ihre Kinder so viel Liebe erfuhren. Im Grunde. Ihre ehemalige Schwiegermutter mochte Kelly hassen – aber sie liebte ihre Enkelkinder und ihre Söhne.

Es stand Kelly nicht zu, über sie zu urteilen. Vor allem weil sie nicht vorhatte, ihre eigene Mutter anzurufen. Rebecca Larsen verbrachte den Sommer in den Hamptons – in dem Haus, das sie sich vom Geld ihrer Tochter gekauft hatte, was die jedoch mehr als befürwortete.

Kelly war in einem aggressiven, chaotischen Zuhause aufgewachsen. Als sie mit zwölf die Chance genutzt hatte, zum ersten Mal auf einer Modenschau zu laufen, war ihr bewusst geworden, dass sich ihr damit eine Möglichkeit bot, endlich aus Rebeccas Dunstkreis herauszukommen.

Als sie nach Maddies Geburt aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte sie sich geschworen, diesem kleinen Wesen eine richtige Familie zu schenken. Sie zu beschützen und zu lieben und ihr Bestes zu geben, um ein Kind großzuziehen, das in jeder Sekunde wusste, wie wertvoll es war.

Mit einem Seufzer konzentrierte Kelly sich auf die Schwarz-Weiß-Naturfotografie an einer der Wände und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Abschalten war genau das, was sie jetzt brauchte. Sie hatte die Meditationstechnik von einer Mitbewohnerin aus Modelzeiten gelernt, und nun half sie ihr dabei, alles auszublenden, was nichts mit Maddie zu tun hatte.

Man konnte nicht sagen, das Muttersein hätte Kelly zu einer richtigen Frau gemacht. Aber ihr Leben bekam so tiefe Wurzeln wie noch nie zuvor. Diese Liebe, die Überzeugung, sich ohne zu zögern für jemanden vor ein Auto zu werfen, hatte ihre gesamte Existenz umgekrempelt.

Sie war stark und konnte jeden Morgen in den Spiegel sehen, ohne innerlich zusammenzuzucken. Ihren Kindern ein gutes Vorbild zu sein war manchmal das Einzige, das ihr die Kraft gab, weiterzumachen. Maddie würde wieder gesund werden, weil Kelly die Welt in Stücke reißen würde, um es wahr zu machen.

Als Vaughan mit dem Essen zurückkam, gingen sie in den Hauptwartesaal. Man hatte nur Kelly und ihm Zugang zu dem Raum gewährt, der direkt vor dem pädiatrischen Operationsbereich lag, und von ihren Sitzplätzen aus konnten sie die Türen gut im Blick behalten.

„Nicht das erste Mal, dass wir nach der Geisterstunde zu Abend essen.“ Er grinste sie an. Sie trug sein Sweatshirt, und obwohl ihre Trennung schon so lange her war, überraschte es ihn nicht, dass es ihn anmachte, sie darin zu sehen. Oder dass es ihn daran erinnerte, wie sie aussah, wenn sie nach einem Auftritt nichts als eins seiner Shirts getragen hatte.

Sie wischte sich den Mund ab und knüllte die Serviette zusammen. „Mein Magen ist auch nicht mehr so fit, was er mal war. Aber für ein Essen im Krankenhaus zu dieser nachtschlafenden Uhrzeit ist es wirklich super. Vielen Dank für den Service.“

„So hatte ich immerhin was zu tun. Und wie gesagt: Ich hatte auch Hunger.“

„Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, dich zu fragen, wie eure Tournee war.“ In ihrer Stimme lag eine Vorsicht, die er bei ihr bisher nur selten gehört hatte.

Bei diesem Thema aber bewegten sie sich auf sehr dünnem Eis. Früher zumindest. Und vielleicht, nur vielleicht, war es seine Schuld.

Doch bevor er antworten konnte, stand Kelly lächelnd auf. „Was machst du hier? Ich hab dir doch gesagt, du sollst zu Hause bleiben.“

Vaughan konnte nur schwer ein verärgertes Brummen unterdrücken, das beim Anblick von Kellys Freund Ross in ihm aufstieg, der ins Wartezimmer spazierte und Vaughans Frau fest umarmte – was sie offenbar dringend gebraucht hatte. Vaughan hingegen vermied Umarmungen mit ihr, weil er zu derlei Körperkontakt mit ihr nun mal kein Recht mehr hatte.

Ross küsste sie auf die Stirn, und Vaughan hätte dem Kerl am liebsten eine verpasst. Dem Kerl, der sagte: „Ich habe beschlossen, dir diese lächerliche Forderung zu verzeihen, da du unter Stress gehandelt hast. Natürlich komme ich her. Was sollte ich wohl sonst tun?“

Ross’ gesamte Aufmerksamkeit lag auf Kelly, aber Vaughan wusste sehr wohl, dass der andere ihn nicht übersehen hatte. Das wurde deutlich, weil Ross ihm einen langen Blick zuwarf, ehe er Kelly losließ und Vaughan die Hand hinhielt.

„Hey. Schön, dich zu sehen, trotz dieser miesen Umstände.“

Ross mochte Vaughan vielleicht nicht, aber er hatte immerhin gute Manieren. Außerdem liebte er Kelly, das war nicht zu übersehen. Wer konnte es ihm verdenken? Kelly war umwerfend. Sie führte ihr eigenes Geschäft, war eine tolle Mutter und klug obendrein. Und lustig. Sie duftete fantastisch, und ihre Haut war wunderbar weich.

„Freut mich auch, dich zu sehen.“ Was erstunken und erlogen war. Wie glücklich wäre er, dachte Vaughan, wenn er die Visage dieses Typen nie wieder sehen müsste.

Ross wandte sich wieder Kelly zu. „Was machen die mit Maddie?“ Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht. „Komm, setzen wir uns.“ Er führte sie zu den Stühlen zurück und beanspruchte den Platz neben ihr.

Vaughan nutzte die Gelegenheit, um sich bei seinen Brüdern zu melden, doch obwohl er den beiden frisch Verlobten den Rücken zukehrte, konnte er ihre Spiegelung in dem Fenster sehen, vor dem er stand.

Kelly schmiegte sich an Ross – erleichtert, dass er da war. Die Stabilität, die er immer wieder in ihr Leben brachte, beruhigte sie. „Wer ist bei den Mädchen?“ Ross hatte zwei Töchter, die in etwa so alt waren wie ihre eigenen.

„Meine Mutter ist rübergekommen. Ich hab deine Nachricht nur zufällig gelesen, als ich zur Toilette musste.“ Er küsste sie auf die Schläfe und raunte ihr zu: „Dachtest du wirklich, ich würde nicht kommen? Wo seine Horde von Familie wahrscheinlich jeden Moment hier einfällt?“

Natürlich hatte er nachempfunden, wie es sich für sie anfühlen würde, die einzige Nicht-Hurley in diesem Raum zu sein. Kelly verschränkte die Finger mit seinen. Ross war genau das, was sie brauchte. Ein Fels in der Brandung. Das, was sie fast ihr ganzes Leben lang vermisst hatte.

Dennoch ertappte sie sich dabei, dass sie die Worte im Stillen immer wieder wie ein Mantra wiederholen musste – und zwar nicht, weil es sie so glücklich machte.

Sie hatte die Ereignisse gerade zur Hälfte geschildert, als Sharon und Michael Hurley hereinkamen, schnurstracks zu Vaughan gingen, ihn umarmten und leise mit ihm sprachen, ehe sie sich zu Kelly und Ross setzten, um auf Neuigkeiten zu warten.

Kurz danach kam der Arzt herein, um ihnen mitzuteilen, dass Maddie bereits im Aufwachraum lag und alles gut verlaufen war. Vaughan stand neben Kelly und drückte bei den guten Nachrichten ihre Hand.

Sie gingen zum Aufwachraum, wo sie die Kleine umarmen und ihr sagen durften, wie lieb sie sie hatten. Kelly zauberte Pete aus der Tasche von Vaughans Kapuzenpulli und legte das Stofftier ganz dicht neben Maddie. „Daddy hat Pete mitgebracht, damit er dir Gesellschaft leisten kann.“

Maddie lächelte noch etwas benommen, während ihr die Augen langsam wieder zufielen.

„Ich bin so froh, dass du ihn eingesteckt hast“, murmelte Kelly, als sie gingen.

„Wirklich?“

Er schien so sehr nach ihrer Anerkennung zu lechzen, dass Kelly Schuldgefühle bekam.

„Ja, wirklich.“

„Sie sind Kumpels.“ Er zuckte die Schultern und errötete leicht.

Vielleicht hatte er seine Kinder nie zum Zahnarzt begleitet, aber das wusste er. Er mochte auch deren Freunde nicht kennen, aber er wusste, wie sehr seine Tochter dieses Schweinchen liebte und dass es sie trösten würde, es bei sich zu wissen. Er war aufmerksam, wenn es darauf ankam, dachte sie. Zumindest wenn es um die Kinder ging. Was im Großen und Ganzen wichtig war. Sie zwang sich, immer daran zu denken. Vor allem wenn die Verbitterung sie wieder übermannte. Es konnte immer schlimmer sein.

„Warte mal kurz. Ich muss noch schnell zum Schwesternzimmer.“

Er stand neben ihr, als sie sich vergewisserte, dass das Personal über die Allergien ihrer Tochter informiert war. Außerdem erkundigte sie sich danach, wann sie Maddie am nächsten Tag besuchen dürften.

Bevor sie die Schwingtüren am Ende des Flurs erreichten, die zum Wartebereich führten, bedeutete Vaughan Kelly, stehen zu bleiben. „Danke, dass ich hier sein durfte. Das bedeutet mir sehr viel.“

„Ihr bedeutet es auch viel.“

Er lächelte schief. Ein Lächeln, bei dem sie seinerzeit weiche Knie bekommen hatte. Noch immer machte es sie glücklich und traurig zugleich.

„Was kann ich noch tun?“, fragte Vaughan und sah ein bisschen verloren aus.

„Ich werde noch ein wenig hierbleiben und dann auch nach Hause fahren. Du solltest dich ausruhen. Schließlich steht heute Abend der letzte Auftritt eurer Tournee an.“

Er legte ihr die Hand auf die Schulter. „Das hier ist millionenmal wichtiger.“

Natürlich war es das, aber es war schön, die Worte aus seinem Mund zu hören. Auch wenn sie ihm nicht so ganz glaubte. Er hatte die Musik nicht nur ein Mal über seine Familie gestellt. Ihr war klar, was diese Tournee bedeutete: Sie gaben der Crew einen Haufen Arbeit und füllten die Stadien mit Fans, die Sweet Hollow Ranch liebten und enttäuscht wären, wenn sie nicht spielen würden. So viele Existenzen, für die er verantwortlich war.

„Ich werde nicht sauer sein, wenn du heute spielst. Wenn sich ihr Zustand über den Tag verbessert, gibt es keinen Grund, den Auftritt abzusagen“, sagte Kelly. Was natürlich stimmte.

Vaughan wirkte, als ringe er mit sich selbst, und plötzlich schüttelte er den Kopf. „Ezra und Paddy haben meinen Eltern und mir für heute Hotelzimmer gebucht. Wir haben vorhin auch über heute Abend gesprochen und über den Auftritt, und wir waren uns einig, dass wir abwarten wollen, wie es Maddie später geht. Ich werde nirgendwo hingehen, Kel.“

Sie nickte. Auch wenn sie wusste, dass es eigentlich nicht richtig war, denn als sie ihn gebraucht hatte, war er einfach nicht da gewesen. Sie nickte, obwohl sie wusste, dass er ihr Vertrauen in kleine Schnipsel reißen könnte, wenn sie es ihm schenkte. Das würde sie nicht riskieren. Vor allem nicht, wenn es um ihre Töchter ging. Aber was nützte es, ihm das alles zu sagen? Weshalb sollte sie ihn darauf ansprechen und eine Diskussion beginnen, wo sie beide doch so dünnhäutig und müde waren?

Vaughan liebte seine Töchter, und die erwiderten seine Liebe. Nur das zählte. Das musste sie sich stets vor Augen halten.

Hier ging es um Maddie, die ohne Zweifel von der Anwesenheit ihres Vaters profitieren würde. Und Kensey ebenfalls, denn sie würde sich um ihre große Schwester sorgen. Aber Daddy wäre bei ihr und könnte ihr Mut machen.

„In Ordnung.“

„Danke.“

2. KAPITEL

Am nächsten Tag fragte Kelly sich, was sie sich nur dabei gedacht hatte, alle diese Leute zu sich einzuladen. Ihr Haus platzte vor lauter Hurleys aus allen Nähten. Vaughans Brüder waren allesamt da, und jeder hatte eine Frau dabei. Mary, Damiens Frau, war hochschwanger, dennoch bewegte sie sich leichtfüßig durch die Küche und bereitete zusammen mit ihrer Schwiegermutter in einem Tempo immer neues Essen zu, dass Kelly sich allmählich fragte, ob diese Frau nicht vielleicht so eine Zaubertasche dabeihatte wie Hermine in den Harry-Potter-Büchern.

Alle schwirrten fröhlich durchs Haus und wirkten rundum zufrieden. Noch vor einem Jahr hätte sie sich allein gefühlt, dachte Kelly. Schrecklich allein. Aber dieses Haus gehörte ihr. Früher hatte sie das Leben vor der Kamera erfüllt, doch nachdem sie sich vom Laufsteg zurückgezogen hatte, gefiel es ihr besser, selbst Fotos zu schießen. Die Wände waren übersät mit Erinnerungen.

Vom Sofakissen bis zum Bild an der Wand und dem Teller in der Küche war jeder einzelne Gegenstand hier für Kelly eine Art Talisman. Wie Zauberei, die ihr ein Gefühl von Sicherheit gab. Das hier war ihr Zuhause, ihr Herz. Das konnte selbst eine in ihrer Küche herumwerkelnde Sharon Hurley nicht erschüttern.

Dennoch tat es weh, zu sehen, wie herzlich ihre ehemalige Schwiegermutter mit den Frauen ihrer anderen Söhne umging. Ihr gegenüber hatte diese Frau kein einziges Mal auch nur einen Hauch von Wärme durchscheinen lassen.

Kelly spürte die Eifersucht und den Zweifel wie ein Messer in sich, doch sie zog es unbarmherzig wieder heraus. Es spielte keine Rolle. Sie war gegangen, und fertig.

Ross hatte vor ein paar Minuten das Haus verlassen und seine Töchter mitgenommen. Seine Älteste nahm Klavierunterricht,und anschließend traf man sich zum wöchentlichen Familienessen. Im Haus seiner Exschwiegereltern. Ja, das war irgendwie ärgerlich. Er verbrachte immer noch jede Woche Zeit mit seiner Exfrau und deren Familie – aber nun, da Kelly das Haus voller Hurleys hatte, konnte sie schlecht etwas dagegen sagen.

Also hatte sie ihn dazu gedrängt, seine Termine einzuhalten. Es musste dringend Normalität einkehren. Und wenn sie ehrlich war, musste sie ernsthaft darüber nachdenken, wie feindselig Ross sich – natürlich nur unter vier Augen – darüber geäußert hatte, dass Vaughan und seine Familie so oft hier waren. Er fand, dass ihr Lebensstil einen schlechten Einfluss auf die Mädchen hätte.

Aber dieser Lebensstil gehörte dazu. Maddies und Kenseys Dad war Vollblutmusiker, daran gab es nichts zu rütteln. Sie wollte nicht, dass ihre Mädchen sich dafür schämten oder ein Problem damit hatten. Das hier war nicht Ross’ Zuhause, und sie hatte seine Zweifel zurückgewiesen – auch wenn ihm das zu missfallen schien.

Patchworkfamilien konnten funktionieren. Sie funktionierten. Doch wenn er weiterhin versuchen würde, einen Keil zwischen die Mädchen und Vaughan zu treiben, konnte das ja nichts werden.

Und ihr verflixter Exmann machte es auch noch schlimmer. Er sah sie andauernd so an. Nicht nach dem Motto: Wo bleibt das Essen? – wie sich die meisten Leute in solch einer Situation ansahen. Sondern eher nach dem Motto: Ich stehe auf deine Brüste.

Die sexuelle Energie zwischen ihnen beiden hatte niemals nachgelassen. Vor Jahren hatte Kelly akzeptiert, dass sie immer für Vaughan brennen würde. Aber abgesehen davon, dass er generell gerne flirtete – das hatte er schon immer gern getan –, bemühte er sich um eine gewisse Leichtigkeit und starrte sie nicht an, als ob er sie am liebsten mit Haut und Haaren verschlingen würde.

Als das Essen fertig war, hatte er es mit einer krummen Tour versucht und Kelly und Ross an entgegengesetzten Enden des Tisches platziert, sich selbst aber direkt neben Kelly gesetzt. Er hatte ihr keine Wahl gelassen, und das konnte sie nicht ausstehen.

Also hatte sie sich ihren Teller und das Besteck geschnappt und sich zu Ross und seinen Mädchen gesetzt. Vaughan führte irgendwas im Schilde, und sie hatte keine Ahnung, was zum Teufel das sein konnte. Aber sie fand es ganz und gar nicht witzig, dass er sie derart manipulierte.

Doch wie bei so vielen Dingen mit Vaughan konnte sie ihn nicht zur Rede stellen. Nicht in einem überfüllten Haus. Nicht vor Kensey. Normalerweise machte es sie traurig, wenn er sich so verhielt. Aber jetzt? War sie wütend. Und wütend war ihr allemal lieber als traurig.

Außerdem war es viel leichter, ihm zu widerstehen, wenn sie wütend war.

Kelly trat aus einer Seitentür in den Garten hinterm Haus. Sie musste einfach für ein paar Minuten alleine sein, weshalb sie die Privatsphäre – und die Schokolade – des Baumhauses aufsuchte.

Sie hatte sich hier oben ein schönes kleines Nest eingerichtet, nachdem die Mädchen von dem selbst gebauten Rückzugsort gelangweilt waren, um den sie sie förmlich angebettelt hatten. Vorhersehbar, das war ihr klar. Aber sie hatte das Ganze eindeutig zum eigenen Vorteil genutzt.

Kelly machte es sich in dem niedrigen Klappstuhl bequem und holte das hübsche blaue Einweckglas aus dem kleinen Einbautisch heraus.

Darin befand sich ein sinnlicher Regenbogen der Freude. Schokoriegel jeder Art, eine ganze bunte Palette. Blasslila mit silberner Schrift, Mitternachtsblau mit goldenen Sternen, Safrangelb mit mutigem Grün. All ihre Lieblingssorten.

Kelly warf einen Blick auf die Strichliste im Innern des Deckels und wählte das blasse Lila: salziges Karamell mit Mandel. Sie machte eine kurze Notiz und schloss den Deckel. Dann lehnte sie sich seufzend zurück und kickte sich die Sandalen von den Füßen.

Vorsichtig öffnete sie das Papier und enthüllte die glänzende dunkle Schokolade. Sechs Stückchen.

Sie brach zwei ab, teilte sie noch mal, und in dem Augenblick tauchte Vaughans Kopf in der offenen Luke auf.

Offensichtlich überrascht, sie zu sehen, murmelte er: „Oh! Entschuldige.“ Er trat den Rückzug an. Und sie hätte ihn gewähren lassen sollen, doch stattdessen rief sie ihn.

„Alles in Ordnung?“

Wieder erschien sein Kopf. „Ja. Ich wollte nur …“

„Ein bisschen Ruhe haben?“, fragte Kelly.

Erleichterung spiegelte sich auf seinem Gesicht. „Ja.“

Sie hielt ihm den Schokoriegel hin. „Na, dann komm. Ich hab Schokolade.“

Er sah sie an und setzte sich im Schneidersitz neben sie.

Sie reichte ihm ein Stück Schokolade und steckte sich das andere in den Mund, ohne sich von Vaughans Gegenwart diesen himmlischen ersten Geschmack ruinieren zu lassen. Köstlich.

„Danke, dass du meine Familie eingeladen hast. Ich weiß, dass meiner Mutter manchmal –“

Kelly hob abwehrend eine Hand. „Halt. Falsches Thema. Wir sind nicht mehr verheiratet, und deine Kinder sind nicht in Sicht. Ich brauche also kein bisschen freundlich zu sein. Ich will nicht über Sharon reden. Ihr habt euch alle um Maddie gesorgt. Ihr hattet alle Hunger. Mein Haus steht hier. Kensey freut sich, ihre Onkel und Großeltern zu sehen. Um mehr brauche ich mir keine Gedanken zu machen.“

„Du hast deine Haltung offenbar geändert.“

Ihre Schokomeditation wurde davon erheblich gestört. „Eigentlich nicht, Vaughan. Bei der Sache mit deiner Mutter geht es überhaupt nicht um mich, sondern um dich. Und ich werde nicht für deine Sünden bezahlen. Nicht mehr.“ Sie brach noch zwei Stücke ab und reichte ihm eins.

„Ich schätze, das ist nur gerecht.“

„Du schätzt.“ Sie schnaubte.

Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. „Hast du Medizin genommen und heimlich Wein getrunken?“

„Schön wär’s. Ich glaube, ich bin betrunken vor Empörung. Das ist der einzige Drink, den ich mir erlauben darf, bis Kensey und ich wieder die einzigen Hurleys in diesem Haus sind.“

„Warum? Es würde niemanden stören.“

„Ich muss einen klaren Kopf behalten, solange deine Mutter in der Nähe ist. Ich weiß nie, wann sie zum Angriff übergehen könnte.“ Das hatte sie gar nicht sagen wollen, aber als die Worte erst mal draußen waren, war Kelly froh darüber.

„Es tut mir leid. Dass ich … Herrje, einfach so vieles tut mir leid.“

Einfach so vieles. Kelly seufzte. Sie war erschöpft und hatte die Nase gestrichen voll. Die Wut, die den ganzen Tag wie ein Rinnsal in ihr getröpfelt hatte, fing an, viel freier zu fließen. Acht Jahre waren vergangen, und noch immer konnte er es nicht aussprechen.

„Du sagst ja gar nichts“, stellte Vaughan fest.

Kelly starrte ihn an, blinzelte. Er hätte in diesem Moment nichts Schlechteres sagen können. „Du wagst es allen Ernstes, so mit mir zu sprechen? Verdammt, Vaughan, wo warst du nur? Hm? Willst du mich verarschen?“

Er zuckte leicht zurück. In der Vergangenheit war das immer der Moment gewesen, in dem sie sich entschuldigt hatte, obwohl sie für gar nichts die Schuld trug. Ein tief verwurzeltes Verhalten, damit ihre Mutter nicht ausrastete, das sie wie einen Spleen aus ihrer Kindheit mitgenommen hatte.

Nun aber machte sie den Mund zu und weigerte sich, zu sagen, dass es ihr leidtäte. Weil das nicht der Wahrheit entsprochen hätte. Durch die Wut waren die Ränder des Schmerzes, den die Trennung verursacht und den sie längst überwunden geglaubt hatte, wieder schärfer geworden.

Und anstatt davor wegzulaufen, ließ sie sich schneiden. Sie durfte niemals vergessen, was die Liebe zu diesem Mann sie gekostet hatte. Auch wenn sie das Glück, das sie einst geteilt hatten, niemals gegen den Schmerz eintauschen würde, durfte sie sich nicht der Illusion hingeben, dass sie Vaughan trauen konnte, ohne erneut dafür zu bezahlen.

Sie wollte nicht mehr bezahlen. Nicht noch einmal. Nicht mal, obwohl die vergangenen Jahre sie reifer gemacht hatten. Sie war dazu einfach nicht fähig, und sie wollte nicht noch mal eine Beziehung führen, in die sie weitaus mehr Gefühle und Energie investierte als ihr Partner.

„Also gut. Du nimmst meine Entschuldigung nicht an. Kann ich verstehen.“

Tatsächlich? Jahrelang hatte er dieses Thema gemieden, und plötzlich beschloss er, darüber zu sprechen? Und sie sollte das einfach so hinnehmen, ganz ohne Protest? Ohne auch nur gefragt zu werden, ob sie im Augenblick überhaupt Lust dazu hatte? O Mann – sein Ego war echt unerschütterlich. Anziehend, aber eben auch unerschütterlich. „Ach ja?“

Er machte große Augen. „Du bist sauer.“ Er klang überrascht. Als hätte er so eine Reaktion bei ihr gar nicht in Erwägung gezogen. Kelly wünschte, sie hätte hier draußen eine Flasche Gin versteckt. Schokolade reichte hierfür einfach nicht.

„Ja, klar bin ich sauer!“

„Weil ich mich endlich entschuldigt habe?“

Jahre später, und dann auf diese armselige Art und Weise? Aber viel schlimmer war noch, dass eine Entschuldigung in seinen Augen schon immer so auszusehen hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie einen fürchterlichen Männergeschmack hatte, dachte Kelly. Sie sollte sich an einen professionellen Kuppler wenden. Der würde jemanden für sie auswählen, und sie könnte all die Kerle meiden, denen sie am liebsten in die Eier getreten hätte.

Doch im Augenblick ließ sie sich vom eigenen Wagemut mitreißen. „Ich hätte wissen sollen, dass du, wenn du acht Jahre später endlich mal darüber sprichst, beleidigt bist, weil dir jemand sagt, dass du Verantwortung für dein Leben übernehmen sollst.“ Sie brauchte einen Moment, um die richtigen Worte zu finden. „Einfach so vieles tut mir leid bedeutet alles und nichts! Ich finde, dir sollte beides leidtun. Aber du läufst hier in meinem Haus herum, benimmst dich merkwürdig und entschuldigst dich für nichts und alles, und ich will wissen, was mit dir los ist.“

„Ich will wissen, was mit dir los ist“, konterte er.

Es wäre ein Leichtes, ihre Wut gegen die eigene Mutter zu richten. Gegen jemanden, der ein Sturzbach des Negativen war. Aus diesem Grund ließ Kelly es auch nur selten zu, wütend zu werden. Wut war eine Droge, stellte alles auf den Kopf – im eigenen Leben und im Leben der anderen. Wut war wie ein Krebsgeschwür. Und selbst in kleinen Dosen war sie ein Luxus, den Kelly sich bisher nicht hatte leisten können.

Trotzdem war sie nun bereit, wenigstens ein bisschen davon herauszulassen – wenn auch mit Vorsicht. Es war überwältigend, es war … echt. So echt, dass sie sich nicht von dem Aussehen des Mannes neben sich beeinflussen ließ oder davon, dass sie ihn noch immer liebte. So sehr liebte.

Wütend zu sein war ein guter Schutz gegen seinen Charme und immer noch besser, als ihm in die Eier zu treten. Ein guter Kompromiss also.

„Du hast dich kein bisschen verändert.“ Dass sie das nun sagte, machte sie müde und traurig. Kelly stand auf und ging auf die Luke zu, doch er hielt sie am Handgelenk fest. Normalerweise war dieses überfüllte Plätzchen gemütlich, aber jetzt fühlte sie sich eingeengt.

„Wie kannst du das sagen?“ Er war ein Stück vorgerutscht und befand sich nun zwischen ihr und dem Ausgang zur Freiheit.

„Musst du nicht bald los zu deinem Auftritt?“ Kelly fixierte einen Punkt über seiner rechten Schulter und redete sich ein, es spiele keine Rolle, dass er den Ereignissen gegenüber entweder blind war oder sie nicht gehen lassen wollte, weil er nicht ehrlich zu ihr sein konnte.

„Nicht bevor wir darüber geredet haben. Wie kannst du sagen, dass ich mich nicht verändert habe? Das ist unfair, Kel.“

Sie löste den Blick von dem Punkt über seiner Schulter und sah Vaughan direkt in die Augen. „Diese ganze Unterhaltung versaut mir wirklich die Laune.“

Kelly drehte den Ring, den sie am Mittelfinger trug. Die vertraute Bewegung half ihr, die richtigen Worte zu finden. Sie hoffte, dass er ihr wirklich zuhörte.

„Wenn ich mich recht entsinne, hatten wir vor ein paar Jahren schon mal eine andere Version dieser Nicht-Unterhaltung, inklusive nicht ernst gemeinter Entschuldigung. Damals hattest du auch nicht die Eier, laut auszusprechen, was du angestellt hast. Du bist immer noch beleidigt, wenn dir jemand anderes als deine Mutter die Meinung geigt. Sie ist schließlich noch die wichtigste Frau in deinem Leben. Aber du hast Glück: Sie ist ja gleich drüben in meinem Haus. Heb dir deinen Scheiß also besser für sie auf.“

Raue Worte, ja, aber es war die Wahrheit.

„Das ist gemein“, erwiderte Vaughan.

Gemein? Verdammt noch mal! Diese Frau hat mich eine Hure genannt! Weil ihr heiß geliebter Sohnemann seine Ehe vergeigt hat und nie den Mumm hatte, ihr die ganze Wahrheit zu erzählen. Sie hält sich in meinem Haus auf, nachdem sie an meinem Tisch gegessen hat. Und wenn wir schon dabei sind: Du bist auch in meinem Haus. Ich habe noch keinen von euch in irgendeiner Form provoziert. Ich bin nicht gemein! Aber ich bin auch kein Fußabtreter. Nicht mehr. Du hast dich vielleicht nicht verändert, aber ich mich schon.“

Er schwieg. „Tut mir leid, dass ich ausgerechnet jetzt damit angefangen habe. Weil ich mich bald in Richtung Stadion aufmachen muss, wie du ja schon gesagt hast. Und weil ich offen mit dir reden will, aber jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist.“

„Das ist es doch nie.“ Sie schob seine Hand beiseite, und er ließ Kelly gehen.

Kaum berührten ihre Füße den Rasen, eilte sie auch schon zurück ins Haus und ließ Vaughan allein oben zurück, damit er tun konnte, was auch immer er tun musste.

Das kleine Streitgespräch im Baumhaus kam einer Offenbarung gleich. Jahrelang hatte sie sich eingeredet, dass es egal war. Dass sie damit abgeschlossen hatte. Dass sie sich auf die Kinder und auf ihren Beruf konzentrieren musste. Und das musste sie auch. Nach wie vor.

Aber diese Wut, die aus ihrem Bauch hochgekocht war, hatte eine Art innere Reinigung bewirkt. Das war belebend! Sie musste Stacey anrufen, um ihr alles haarklein zu berichten. Ihre beste Freundin hatte in den vergangenen Jahren wieder und wieder gebettelt, Kelly solle doch endlich mal ihre Wut zulassen. Nun war sie wütend geworden – und alles fühlte sich anders an.

Stacey würde sagen: Ich hab’s doch gewusst. Aber das war okay. Kelly hätte anstelle ihrer Freundin dasselbe getan.

3. KAPITEL

Sagst du mir, was mit dir los ist, bevor wir da rausgehen und diesen letzten Auftritt rocken?“ Ezra, Vaughans ältester Bruder und engster Vertrauter, sah nicht von dem Koffer auf, aus dem er seine Gitarre nahm, bevor er sie dem Gitarrentechniker reichte. Sie waren backstage, nur noch wenige Minuten bis zur Show. Ez machte jetzt irgend so einen Meditationskram, anstatt sich völlig zuzudröhnen, und strahlte beständige Ruhe aus. Absolutes Können und Vertrauen.

Allein Ezras Anwesenheit führte dazu, dass Vaughan sich besser fühlte. Mehr bei sich. Jeder schien in der Nähe des erstgeborenen Hurley-Sohnes so zu reagieren. Obwohl dieser in der Drogenhölle gelandet war, hatte er sich den Weg zurück freigekämpft. Er war stärker als jeder sonst, den Vaughan kannte. Beschützte jene, die er liebte. Vaughan hatte ihn bereits am Nachmittag um Rat gefragt, doch jetzt noch mal mit Ez zu reden half ihm, die Gedanken zu sortieren.

„Ich hab über das nachgedacht, was du vorhin zu mir gesagt hast. Nach unserem Gespräch hatten sie und ich diesen … na ja, man könnte sagen, Streit.“

Der Ältere sah Vaughan jetzt geradewegs in die Augen. „Ein guter oder ein schlechter?“

„Es gibt auch gute? Ach, du meinst die Sorte, nach der man Sex hat? Nein, so einen definitiv nicht. Aber sie hat mich auch nicht mit Glasscherben verletzt. Ich hab ihr gesagt, dass es mir leidtut. Das mit früher. Irgendwie so. Sie fand nicht, dass es eine gute Entschuldigung war. Alter, die ist so was von wütend geworden. Hat mir richtig die Meinung gegeigt.“

Vaughan erzählte Ezra, wie er zufällig in Kellys Baumhausversteck gelangt war und sie gestritten hatten. „Sie regt sich über denselben Schrott auf wie alle anderen. Aber sie wird nur ganz selten wütend.“

Noch nie hatte er jemandem erzählt, was Kelly in ihrer Kindheit hatte ertragen müssen. Anfangs hatte er sich gesagt, dass er damit ihre Privatsphäre respektierte. Ihre persönliche Geschichte war ihre Sache, und er hatte kein Recht, sie weiterzuerzählen.

Das war allerdings nur die halbe Wahrheit. Er hatte auch deshalb geschwiegen, weil er genau wusste, was sie durchgemacht, und weil er sie trotzdem verletzt hatte.

„Sie kann es nicht ertragen, mit aggressiven Menschen zusammen zu sein. Ihre Mutter, na ja, du hast sie ja kennengelernt.“

Rebecca war unberechenbar. Kelly hatte ihr gesamtes Leben so ausgerichtet, dass ihre Mutter auf der anderen Seite des Landes lebte. Oder – wenn sie gezwungenermaßen am gleichen Ort sein mussten – sie sorgte dafür, dass Rebecca keine Szene machte, denn die verfügte über ein beeindruckendes Repertoire, wenn es darum ging, ein Drama zu veranstalten. Vaughan hatte die Frau nur dreimal erlebt, und bei jeder Begegnung hatte sie eindrucksvoll gezeigt, wie man für größte Zerstörung sorgen konnte.

Nur drei Treffen, und das war sein Eindruck. Vaughan konnte sich beileibe nicht vorstellen, wie es für Kelly gewesen sein musste, bei einer Mutter aufzuwachsen, die ein rasendes Inferno und zugleich der narzisstischste Mensch war, mit dem er je zu tun gehabt hatte.

Er atmete heftig aus. „Verständlicherweise ist sie nicht besonders scharf darauf, diese Art extremer Gefühle zu zeigen.“ Er nagte an der Unterlippe, während er darüber nachdachte, wie er das alles erklären sollte. „Ich kann dich nicht anlügen, Ez. Jahrelang dachte ich, das Ganze wäre einfach ein Beispiel für eine üble Trennung.“ Und das entsprach auch der Wahrheit. Er hatte die Dinge hinausgezögert, ohne jemals auf Kel zuzugehen und ihr zu sagen, dass sie bleiben sollte. Und dann hatte er sich selbst so viele hübsche Lügen aufgetischt, dass er nicht mehr wusste, was davon eigentlich noch stimmte.

Rückblickend schämte er sich für sein Verhalten. Er war jung, egoistisch und mies gewesen. Er hatte gewollt, dass sie einknickte und ihm gestand, dass sie ihn zurückwollte. Weil er zu schwach gewesen war, es als Erster zu sagen.

„Ich hab sie verletzt. Sie traurig gemacht. Ihr das Herz gebrochen, so kitschig das klingt. Aber als sie heute so wütend wurde, kam’s mir so vor, als würde sie auf eine gigantische Hupe drücken. Kelly hat ihre ruhige äußere Hülle fallen gelassen und mir eine Seite von sich gezeigt, die ich noch nicht kannte. Bis sie wie ein riesiger Racheengel davongerauscht ist, dachte ich, dass sie total fertig war.“

Vaughan tigerte auf und ab, während um sie beide herum das typische Gewusel wie vor jedem Rock-’n’-Roll-Konzert einsetzte. Seltsamerweise empfand er das als beruhigend.

„Ich hab so viel falsch gemacht! Ich war nicht mal in der Lage, mich vernünftig zu entschuldigen – vor acht Jahren nicht und heute auch nicht. Sie hat mich runtergeputzt, ich hab’s nicht anders verdient.“

„Du bist nicht mehr der Typ von damals, Vaughan“, befand Ezra. „Als du geheiratet hast, warst du ein verzogener Bengel. Und als du geschieden wurdest, immer noch. Jetzt bist du ein Mann. Sie sind deine Familie. Lass dich nicht durch deine Angst davon abhalten, das Richtige zu tun. Oder von diesem Ross.“

Vaughan hatte anfangs gar nicht heiraten wollen. Zwar hatte sie ihm die Scheidungspapiere letztlich zuerst gegeben, aber er war es gewesen, der ihr mit Scheidung gedroht hatte, um sie in einer Diskussion zum Schweigen zu bringen.

Damals handelte er in der Überzeugung, dass sie sich beruhigen und klein beigeben würde. Er hatte es wiedergutmachen wollen, wenn er von der Tournee zurück wäre. Doch dazu hatte er niemals die Chance bekommen. Zu oft hatte er auf seiner Drohung bestanden, und zu seiner großen Überraschung hatte Kel ihn beim Wort genommen und die Scheidung eingereicht.

Dann war ihm sein Stolz in die Quere gekommen. Wenn sie ihre Ehe beenden wollte – nur zu. Er würde auch so ein cooles Leben führen. Das hatte er sich jahrelang eingeredet, wenn er die Straße entlanggefahren war, die von Hood River nach Gresham führte, wo Kelly hingezogen war, damit er möglichst nah bei den Mädchen sein konnte.

Er hatte sich gesagt, es sei ohnehin besser, Single zu sein. Dass es in seinem Leben einfach viel zu viele tolle Frauen gab, die nur darauf warteten, von ihm flachgelegt zu werden, und er doch nicht so blöd sein konnte, sich für immer an nur eine einzige zu binden. Und jedes Mal, wenn sie ihm die Tür geöffnet hatte, wusste er, dass all das eine riesige Lüge war. Doch dieser verdammte Stolz übte eine solche Macht auf ihn aus, dass er sich viel zu lange dahinter versteckt hatte.

Diese Verlobung hatte ihn aus dem Konzept gebracht, seit nahezu drei Monaten konnte er an nichts anderes denken. Kelly, die Frau eines anderen. Kelly, die neben einem anderen Mann schlief. Seine Kinder, die am Weihnachtsmorgen mit einem anderen Vater aufwachten. Und Ross mochte ihn nicht, so viel stand fest. Auch wenn er vor seinen Töchtern nie ein Wort darüber verloren hatte, fragte Vaughan sich doch, wann sich das ändern würde.

„Ich habe Angst, dass ich es nicht schaffe. Dass ich ihr nicht das bieten kann, was sie braucht. Für mich gibt es keine außer ihr. Aber sie hat schon einen Softwareentwickler an ihrer Seite – mit einem großen Haus in einem hübschen Vorort. Dieser Kerl will sie heiraten und mich aus ihrem Leben löschen. Er will meinen Platz einnehmen.“

„Wenn ich ehrlich bin, denke ich, dass du recht hast. Ross hasst dich. Er hasst es, wie du Kelly ansiehst. Er hasst es, wie sie dich ansieht. Das ist echt schade. Aber wenn die Frage ist: er oder du? – dann sorg dafür, dass du es bist. So läuft das in der Liebe.“

Es war längst überfällig, sich einzugestehen, dass er mit seinen vierunddreißig Jahren zeit seines Erwachsenenlebens nur eine Frau geliebt hatte – und das war Kelly. Er hatte die Richtige bereits gefunden. Die Frau, mit der er alt werden wollte. Und ob es Ross gefiel oder nicht: Vaughan nahm sich hier und jetzt vor, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um Kelly zu einer zweiten Chance zu bewegen.

„Allerdings wird sie nicht zulassen, dass du wieder keine Verantwortung übernimmst. Wenn du nicht zu deinen Fehlern stehst und ihr nicht genau sagst, was dir leidtut und wie du es wiedergutmachen willst – warum sollte sie sich auf dich einlassen? Bequemlichkeit ist schön und gut. Die Realität ist nicht halb so lustig, wenn’s mal schlecht läuft. Du kannst entweder bequem und allein sein oder irgendwelche Mädels vögeln, die du kaum kennst und die dir nichts bedeuten. Oder du kannst hart an dir arbeiten, was eine schmerzliche Erfahrung wird, und am Ende eine Familie mit der Frau haben, die du liebst. Ich wüsste, wofür ich mich entscheiden würde.“

Herrgott, er vermisste das Gefühl zu wissen, dass Kelly zu ihm gehörte.

Er musste ein echter, täglicher Teil in Maddies und Kenseys Leben sein. Er würde sich in Portland eine Wohnung suchen und pendeln, wenn nötig. Außerdem würde er sich eine Weile von der Ranch fernhalten.

Der Gong ertönte, das Zeichen, dass sie auf die Bühne mussten. Vaughan reckte das Kinn in Ezras Richtung. „Danke dir. Erzähl mir, wie es mit Tuesday läuft.“

Ezras Lächeln bekam etwas Raubtierhaftes, als er an die umwerfende Frau dachte, der er vollkommen verfallen war. „Wir lassen’s langsam angehen. Aber hey, jetzt lass uns die Bühne rocken!“

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