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Susan Mallery - Liebe und Familie

(K)EINE GANZ NORMALE FAMILIE

Was die attraktive Erin ihm mitzuteilen hat, stellt das zurückgezogene Singleleben des Collegedozenten Parker Hamilton komplett auf den Kopf: Er hat eine fünfjährige Tochter - die Folge einer längst vergessenen Liebesnacht mit Erins Schwester. Künftig steht Familienleben auf dem Stundenplan …

ENTSCHEIDUNG DES HERZENS

In einer Minute liebevoll, in der nächsten eiskalt: Jeff rettet Ashley und ihre Tochter aus höchster Not, danach ist er abweisend und kühl? aus Angst vor zu viel Nähe? Ashley will dem Millionär zeigen, was Liebe bedeutet. Und versinkt selber in einem Strudel der Gefühle...

DIE KRAFT DER LIEBE

Nicht blond, nicht kurvig - Computerexpertin Nicki weiß, sie ist nicht der Typ Frau, den Zane Rankin mag. Und sie kennt ihren Boss und alten Freund genau. Deshalb will sie - obwohl heimlich in ihn verliebt! - erst ablehnen, als er sie nach einer Party zu sich einlädt …


  • Erscheinungstag: 09.03.2020
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 404
  • ISBN/Artikelnummer: 9783749950256
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Susan Mallery

Susan Mallery - Liebe und Familie

1. KAPITEL

Die Haushälterin steckte den Kopf durch die Tür. „Besuch für Sie. Eine Dame.“

Parker Hamilton machte sich gar nicht erst die Mühe, vom Bildschirm aufzublicken. „Sagen Sie Ihrer Freundin, dass sie ihre Zeit vergeudet.“

Kiki ließ sich nicht so schnell abwimmeln. „Sie sollten den Kasten gelegentlich mal ausschalten“, riet sie ihm. „Sonst werden Sie blind oder noch schlimmer – Sie bekommen irgendwann viereckige Augen.“

Seufzend speicherte Parker seine Datei und drehte sich um. Kiki trug einen fuchsienfarbenen Jogginganzug. Sie besaß Dutzende davon in allen erdenklichen Farben mit den dazu passenden Turnschuhen. Erstaunlich, dachte Parker, dass man auch Schuhe in allen Regenbogenfarben herstellt.

„Wieso sind viereckige Augen schlimmer als Blindheit?“, wollte er wissen.

„Versuchen Sie nicht abzulenken!“, sagte Kiki streng.

„Sie haben damit angefangen“, erinnerte er sie, aber er lächelte dabei. „Ich weiß Ihre Bemühungen um mich durchaus zu schätzen, aber mir ist nicht nach Besuch.“

Kiki schüttelte den Kopf. „Es ist wirklich eine Schande. Aber keine Angst, ich habe es aufgegeben. Die Dame ist zufällig keine Freundin von mir. Ich kenne sie gar nicht.“ Kiki machte eine kleine Pause. „Vielleicht sollten Sie doch mit ihr sprechen.“

Parker atmete tief durch und stand auf. Er war ärgerlich und gleichzeitig auch neugierig, denn normalerweise wurde Kiki problemlos mit jedem unerwünschten Gast fertig.

Er lief die Treppe hinunter und durchquerte die Eingangshalle. Das Haus war eigentlich viel zu groß für ihn, aber er wollte es trotzdem nicht aufgeben. Mit seiner Umgebung kam er inzwischen zurecht – nur mit sich selbst nicht.

Die Besucherin hatte ihm den Rücken zugekehrt und blickte über den weitflächigen Rasen vor dem Haus. Das Haus stand hoch auf den Klippen am Meer.

Die Frau war schlank und hatte schulterlange dunkle Haare mit einem leichten Stich ins Rötliche. Zu ihren Jeans trug sie einen lose fallenden cremefarbenen Pulli und weiße Turnschuhe. Offenbar huldigte sie nicht der Philosophie seiner Haushälterin, dass alle Kleidungsstücke farblich Ton in Ton zu sein hatten.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Sie drehte sich zu ihm um. Das Wiedererkennen war wie ein Schock. Sie hatte haselnussbraune, leicht mandelförmige Augen und einen sinnlichen Mund. Wenn sie lachte, bildete sich in ihrer rechten Wange ein Grübchen. Vor fünf Jahren war es gewesen, als ihr Lachen das Haus mit Leben erfüllt hatte.

Mit der Erinnerung kam die Reue – die Reue darüber, wie er sie behandelt hatte. Er hatte sich damals mehr als schäbig benommen, hatte sie skrupellos benutzt, um zu vergessen.

Die Frau sah ihn forschend an, als wäre er ein Fremder. Fünf Jahre waren eine lange Zeit, und genau genommen waren sie ja auch Fremde. Waren es immer gewesen. Sie war konservativer angezogen als damals, fiel ihm auf.

„Hallo, Stacey.“

Seine Besucherin schien einen winzigen Moment zu erstarren, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich bin Staceys Schwester Erin. Erin Ridgeway.“

„Sie sehen sich sehr ähnlich.“

„Erin war meine Zwillingsschwester. Ich muss mit Ihnen reden, Mr. Hamilton. Darf ich hereinkommen?“

„Ja, natürlich. Entschuldigen Sie.“ Er trat einen Schritt zurück.

Sie schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln, aber es erreichte ihre Augen nicht. Parker starrte sie an. Ihre Augen. Sie waren anders als bei Stacey. Zwillinge … hatte Stacey ihm erzählt, dass sie eine Zwillingsschwester hatte? Vielleicht. Er wusste es nicht mehr. Sie hatte ihm so viel erzählt, aber er hatte nicht zugehört. Nie hatte er ihr zugehört. Ihre Stimme hatte den Schmerz in seinem Inneren betäubt, und das war ihm genug gewesen. Was sie gesagt hatte, hatte keine Rolle gespielt.

Er führte Staceys Schwester durch das Wohnzimmer und die hohen Türen ins Freie auf die Terrasse. Es war Ende Juni und angenehm warm.

Parker wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte Stacey seit fünf Jahren nicht mehr gesehen und auch keinen einzigen Gedanken an sie verschwendet, nachdem sie gegangen war. Er versuchte, sich an sie zu erinnern, aber die Bilder blieben verschwommen. Damals hatte er zwar ein schlechtes Gewissen gehabt, aber die Erleichterung hatte überwogen. Keinen Moment hatte er ihr nachgetrauert oder war je auf die Idee gekommen, sich nach ihr zu erkundigen.

Erin setzte sich an den kleinen Terrassentisch und faltete die Hände im Schoß. Parker nahm ihr gegenüber Platz und sah sie forschend an. Immer noch suchte er nach Unterschieden zwischen ihr und ihrer Schwester. Aber es war ein fruchtloses Unterfangen, denn er konnte sich kaum noch an Stacey erinnern.

Erin brach das Schweigen zuerst. „Wahrscheinlich möchten Sie gern wissen, was ich hier will.“

Parker konnte nicht einmal sagen, ob ihre Stimmen gleich klangen. Vermutlich. „Ehrlich gesagt, ja“, gab er zu. „Es ist schließlich schon einige Jahre her, dass Ihre Schwester hier war.“

„Ja, ziemlich genau fünf Jahre.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und holte dann tief Luft. Als wollte sie Mut schöpfen, dachte er. Aber Mut wofür?

„Mr. Hamilton …“

„Nennen Sie mich doch bitte Parker.“

Erin nickte nur. „Ich weiß nicht, wie gut Sie sich an meine Schwester erinnern.“

„Sie hat einen Sommer lang hier gewohnt.“ Oder den größten Teil des Sommers. Bis die Umstände … nein, er sollte ehrlich sein … bis er sie vertrieben hatte. „Wir hatten …“ Er suchte nach Worten. Hatten sie eine Beziehung gehabt? Nein, so konnte man das nicht nennen. „Es gab Missverständnisse“, sagte er schließlich.

Erin sah ihm direkt in die Augen. „Ich verstehe.“

Parker erkannte an ihrem Blick, dass sie genau wusste, was in diesem Sommer passiert war, und was er ihrer Schwester angetan hatte. Gut, er hatte sich nicht sehr anständig verhalten, aber er hatte nichts gegen Staceys Willen getan. Schließlich hatte sie sich ihm ja förmlich an den Hals geworfen, bis er endlich schwach geworden war. Und außerdem war sie kein Kind mehr gewesen, sondern eine erwachsene Frau.

Aber er wusste, dass er sich damit nur selbst beruhigen wollte. Sie war vielleicht volljährig, aber sie war ihm nicht gewachsen gewesen. Das war die unangenehme Wahrheit.

Bevor er noch etwas sagen konnte, erschien Kiki und servierte Kaffee und Gebäck auf einem altmodischen Silbertablett.

Erin schenkte ihr ein Lächeln. „Danke.“

„Keine Ursache. Mr. Hamilton hat leider viel zu selten Besuch.“ Die Haushälterin betrachtete Erin kopfschüttelnd. „Es ist wirklich unglaublich, wie ähnlich Sie Ihrer Schwester sehen.“ Sie schenkte den Kaffee ein. „Sie war eine ganz reizende junge Dame, wenn ich das sagen darf. Immer so fröhlich und lustig. Sie hat viel Leben in dieses alte Haus gebracht. Mr. Hamilton hat ja leider nur seine Arbeit im Kopf.“ Sie warf ihrem Chef einen Blick zu, dem er entnehmen konnte, dass sie ihm noch nicht verziehen hatte, dass er gestern Abend zu spät zum Essen erschienen war und deshalb der Braten viel zu lange im Backofen gewesen war. „Greifen Sie zu“, sagte sie zu Erin und sah ihren Chef streng an. „Und Sie auch.“

Parker hielt Erin den Teller mit dem Gebäck hin. „Kiki ist eine ausgezeichnete Köchin und kann sehr ungemütlich werden, wenn man ihre Anstrengungen nicht würdigt.“

Erin nahm sich ein Stück Gebäck, aber sie legte es auf ihrer Serviette ab. „Ich wusste nicht, dass meine Schwester hier gelebt hat.“

Parker räusperte sich verlegen. „Das war zu der Zeit ein ideales Arrangement für meine Studenten, da es abends meistens spät wurde.“

Erin rührte langsam in ihrem Kaffee, sagte aber nichts.

Parker lehnte sich zurück. „Hat Ihre Schwester Sie geschickt?“, wollte er wissen.

Erin blickte erschrocken auf. „Sie wissen es nicht? Nein, woher auch.“

Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. „Was weiß ich nicht?“

„Meine Schwester ist vor vier Jahren gestorben.“

Parker stand auf und trat an die Terrassenbrüstung. Dann blickte er übers Meer hinaus. Stacey Ridgeway war tot. Was fühlte er? Mitleid mit ihrer Familie, Reue – die Reue war immer da – und Bedauern, dass er ihr sein Verhalten nicht mehr erklären oder sich entschuldigen konnte. Aber traurig war er nicht. Er hatte sie ja kaum gekannt. Wenn ihre Zwillingsschwester nicht aufgetaucht wäre, hätte er wahrscheinlich nie wieder an sie gedacht.

„Das tut mir leid“, sagte er und drehte sich wieder um. „Es war sicher nicht leicht für Sie.“

„Nein“, sagte Erin. „Ich habe sonst keine näheren Verwandten.“

Misstrauen stieg in ihm hoch, gepaart mit Zynismus. Er war ein wohlhabender Mann. Nicht nur, dass er vor ein paar Jahren seine Software-Firma für ein paar Millionen Dollar verkauft hatte, sondern er verdiente auch heute noch sehr gut – fast peinlich gut – mit dem Entwickeln von Computerprogrammen. Erin Ridgeway wäre nicht die erste Frau, die es auf sein Vermögen abgesehen hatte.

„Der Tod Ihrer Schwester ist sicher sehr tragisch gewesen, aber ich weiß nicht, was das mit mir zu tun haben sollte.“ Wie viel würde ihn die Sache kosten? Selbst wenn diese Frau nie einen Cent sah, so würden doch allein seine Rechtsanwälte ein Vermögen verschlingen.

Erins Hände zitterten so sehr, dass sie ihre Tasse abstellen musste. „Ich weiß, was Sie jetzt denken.“ Das bezweifelte er. „Sie fragen sich wahrscheinlich, warum ich jetzt erst komme.“ Sie sah ihn an. „Aber dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: Ich habe erst vor ein paar Wochen von Ihnen erfahren. Stacey hat Ihren Namen nie verraten. Sie fand es nicht fair, Ihnen Verantwortung aufzuladen. Dieser Ansicht bin ich nicht. Aber da ich bis vor kurzem nichts von Ihnen wusste, war ich machtlos.“ Parker sah ihr an, wie schwer es ihr fiel, über ihre Schwester zu sprechen. „Ich habe Sie gehasst, weil Sie Staceys Leben zerstört haben. Und weil Christie mir einen Strich durch meine Pläne gemacht hat.“

„Wer ist Christie?“, fragte Parker verwirrt. Er wusste immer noch nicht, was er von Erins Erscheinen halten sollte.

Sie öffnete ihre Handtasche und nahm ein Foto heraus. „Ich habe meine Schwester in diesem letzten Jahr nur ein paar Tage gesehen. Nicht einmal Weihnachten haben wir zusammen gefeiert. Sie wollte nicht, dass ich etwas merkte. Bis ich aus dem Krankenhaus angerufen wurde, weil es Komplikationen gab, hatte ich keine Ahnung.“

Parkers Magen zog sich zusammen und eine Ahnung machte sich in ihm breit. „Komplikationen?“

„Meine Schwester starb kurz nach der Geburt ihres Babys. Ihrer gemeinsamen Tochter.“

Seiner Tochter?

Parker starrte Erin an. Er hörte, was sie sagte, aber es schien nichts mit ihm zu tun zu haben. Eine Tochter … er hatte eine Tochter?

Erins Augen drückten die unterschiedlichsten Gefühle aus. Verwirrung, Mitgefühl, Angst … warum Angst? Und was mochte sie in seinem Gesicht lesen?

Parker stand unter Schock und war wie gelähmt – als wäre er in einen eiskalten Fluss gesprungen, und es hätte ihm den Atem verschlagen.

Er versuchte, sich an die Nacht mit Stacey zu erinnern. Aber er sah nur ein verschwommenes Bild vor sich. Scham und Schuldbewusstsein lagen wie ein Nebel darüber. Er hatte an diesem Abend viel getrunken, aber nicht so viel, dass er nicht mehr wusste, dass er mit ihr geschlafen hatte, immer wieder. Und er hatte gehofft, dass er damit die Vergangenheit auslöschen konnte. Stattdessen hatte er sich nur umso klarer daran erinnert.

Aber warum sollte das Kind von ihm sein? Vielleicht wollte Erin Ridgeway ja nur ein paar Dollar für sich herausschlagen.

„Woher weiß ich, dass dieses Kind wirklich meine Tochter ist?“

Erin drückte ihm das Foto in die Hand. „Christie hat Ihre Augen, Ihren Mund … das Temperament hat sie allerdings von ihrer Mutter.“

Noch vermied er es, das Bild anzuschauen. Vielleicht hatte er Angst. Aber vielleicht ahnte er auch schon, dass Erin ihn nicht anlog.

Er wappnete sich für den ersten Blick. Und dann traf ihn der Anblick doch völlig unvorbereitet, und er fühlte sich, als hätte jemand ihm einen Schlag in den Magen versetzt.

Das Foto zeigte ein kleines lachendes Mädchen an einem sonnigen Tag irgendwo in einem Park. Es hatte die Arme in die Luft geworfen und hüpfte fröhlich hoch. Die langen Haare waren zu Rattenschwänzen gebunden und schwangen heftig hin und her.

Das alles erfasste er mit einem Blick. Dann konzentrierte er sich auf das Gesicht der Kleinen. Sie hatte die Augen beim Lachen zusammengekniffen, aber es waren seine Augen. Und es war sein Mund. Auch die Art, wie sie ihren Kopf hielt, war ihm vertraut. Es bestand kein vernünftiger Zweifel daran, dass sie wirklich sein Kind war.

„Wie alt ist sie?“, fragte er heiser.

„Anfang Mai ist sie vier geworden.“

Parker konnte immer nur auf das Bild starren, als wollte er sich jede kleinste Einzelheit einprägen.

„Das muss ein ganz schöner Schock für Sie sein.“

Er zwang sich zu einem Lächeln. „Das ist noch milde ausgedrückt.“ Wieder betrachtete er das Bild. „Ich hatte keine Ahnung.“

„Ich wäre früher gekommen, aber ich habe Staceys Tagebuch mit Ihrem Namen jetzt erst gefunden.“

„Wo ist Christie jetzt?“ Christie … noch hatte der Name einen ganz fremden Klang, aber er gefiel ihm.

„Ich habe sie im Motel bei meiner Freundin Joyce gelassen.“

Parker vermutete, dass sie Geld wollte – Unterhalt, einen Beitrag zum College … Natürlich war er dazu bereit. Er wollte sich nicht vor seiner Verantwortung drücken. Aber darüber konnten sie später sprechen. „Ich will sie kennen lernen.“

Darüber schien Erin sich zu freuen. Das Grübchen in ihrer Wange wurde tiefer. „Gut“, sagte sie nur. „Ich habe Christie noch nicht erzählt, warum wir hier sind, weil ich zuerst wissen wollte, wie Sie reagieren. Es hätte ja sein können, dass Sie mir nicht glauben.“

„Bei dieser Ähnlichkeit? Unwahrscheinlich.“

„Das wusste ich ja vorher nicht. Schließlich könnte sie auch nach einem anderem Mitglied Ihrer Familie schlagen.“

Parker konnte es immer noch nicht glauben, dass er wirklich ein Kind hatte. „Wann kann ich sie sehen?“

Erin sah auf die Uhr. „Es ist jetzt kurz vor elf. Passt es Ihnen, wenn wir um zwei Uhr kommen?“

In drei Stunden erst. Sie würden ihm wie eine Ewigkeit vorkommen. „Ja.“

„Schön.“ Erin stand auf, und er begleitete sie zur Vordertür. „Finden Sie den Weg in die Stadt zurück?“

„Ich habe ja auch hierher gefunden. Außerdem habe ich eine Karte.“ Sie gab ihm die Hand. „Sie werden Christie mögen.“

„Ja“, sagte er mit belegter Stimme. „Und danke. Ich kann es immer noch nicht ganz fassen.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Erin lachte. „Da taucht auf einmal eine wildfremde Frau auf und erzählt Ihnen, dass Sie ein Kind haben, von dem Sie nichts ahnten. Ich finde, Sie haben sich unter diesen Umständen gut gehalten.“

Sie sahen sich an. In einem Punkt hatte sie sich geirrt. Sie war keine wildfremde Frau. Zumindest ihr Gesicht war ihm vertraut. Er konnte sich nur nicht mehr gut genug an Stacey erinnern, um Unterschiede zwischen ihr und Erin wahrzunehmen – falls es überhaupt welche gab. Er betrachtete die zierliche Nase und den großen Mund, der sich jetzt zu einem Lächeln verzog. Dabei bildete sich das Grübchen in ihrer Wange wieder.

„Dann bis später.“

„Ich freue mich schon.“

Parker blickte ihr nach. Ihr Wagen war ein älteres Modell. Sie hatte ihn offenbar nach rein praktischen Gesichtspunkten ausgesucht. Erst als er sie nicht mehr sehen konnte, fielen ihm noch all die Fragen ein, die er ihr nicht gestellt hatte – zum Beispiel die nach einem Ehemann. Er konnte sich nicht daran erinnern, ob sie einen Ehering trug. Hatte sie Christie nach Staceys Tod adoptiert? Und vor allem: Was würde sie seiner kleinen Tochter über ihn erzählen, nachdem sie ihn gesehen hatte?

Als er ein Geräusch hörte, drehte er sich um. Kiki stand in der Halle, ihre Augen funkelten.

„Und? Was wollte sie?“, fragte sie, als wüsste sie es nicht längst.

„Sie brauchen gar nicht so unschuldig zu tun. Ich weiß genau, dass Sie an der Tür gelauscht haben.“

Kiki kämpfte kurz mit sich, ob sie alles abstreiten und ihre Würde verteidigen sollte, aber dann drückte sie ihn nur herzlich. „Ich freue mich ja so für Sie! Jetzt kommt wieder ein bisschen Leben ins Haus, und Sie werden von ihren blöden Computern abgelenkt.“

„Immer langsam!“ Parker hob abwehrend die Hände. „Niemand hat gesagt, dass Christie zu mir ziehen wird. Ich muss sie doch erst einmal kennen lernen und …“

„Ach, Christie heißt sie? Ich habe leider nicht alles verstanden“, entschuldigte Kiki sich.

„Das nächste Mal reden wir lauter“, versprach Parker trocken.

Kiki überhörte die Spitze großzügig und machte sich unverzüglich an die Planung. „Wir brauchen Kekse, Limonade, vielleicht auch Eis … Wann kommen sie?“

„Um zwei Uhr.“

Sie ging vor ihm auf und ab, ein fuchsienfarbenes Energiebündel. „Andererseits sind zu viele Süßigkeiten nicht gut für Kinder. Ein paar belegte Brote wären vielleicht besser … Na ja, mir wird schon etwas einfallen, machen Sie sich da mal keine Sorgen.“

Parker war, als wäre ihm der Boden unter den Füßen entzogen. In einem einzigen Augenblick war sein Leben auf den Kopf gestellt worden. Zum ersten Mal seit vielen Jahren spürte er wieder etwas in sich – Neugier, vielleicht auch ein bisschen Angst.

Noch drei Stunden, dann würde er seine Tochter kennen lernen.

2. KAPITEL

„Daddy, Daddy“, sang Christie. „Fahren wir jetzt zu meinem Daddy?“

„Ja, meine Süße.“

Christie holte tief Luft, schob die Unterlippe vor und blies sich den Atem über das Gesicht. Ihr Haar flatterte im Luftstrom.

„Warum hat er nicht gewusst, dass er mein Daddy ist?“

„Weil Stacey es ihm nicht erzählt hat.“

„Und warum hast du es ihm nicht erzählt, Mommy?“

„Weil ich nicht gewusst habe, wo er ist.“

„Hat er mich denn nicht im Bauch gesehen?“

„Stacey hat ihm ihren Bauch gar nicht gezeigt.“

„Wie bin ich denn in ihren Bauch gekommen?“

Erin umfasste das Lenkrad fester und unterdrückte ein Aufstöhnen. Ausgerechnet jetzt musste Christie sich Gedanken darüber machen, woher die kleinen Kinder kamen!

„Sieh mal“, sagte sie mit übertriebener Begeisterung. „Da ist schon das Meer!“

Das Ablenkungsmanöver klappte. „Es ist ganz blau. Wo hört es auf?“

„Es hört gar nicht auf. Aber an manchen Stellen bekommt es einen neuen Namen.“

Christie kräuselte die Nase. „Das Meer hat einen Namen?“

„Ja. Hier heißt es Pazifik.“

Christie dachte eine Weile über diese neue Information nach. Erin warf ihr einen Blick zu. Es war unglaublich, wie ähnlich die Kleine Stacey war. Vor allem die Lebhaftigkeit und Wissbegierde hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Die schnelle Auffassungsgabe hatte sie aber auch von ihrem Vater – genau wie den Mund und das Lächeln. Aber die Grübchen waren eindeutig von den Ridgeways.

Parker Hamilton wohnte ziemlich abgelegen. Zuerst hatte Erin es merkwürdig gefunden, dass jemand so isoliert lebte, aber seit sie das Anwesen gesehen hatte, verstand sie es besser. Das altmodische zweistöckige Holzhaus mit seinem steilen Dach und den spitzen Türmchen lag wie ein Zauberschloss inmitten von Bäumen, üppigen Blumen und weiten Rasenflächen gleich am Meer.

„Hat mein Daddy noch mehr Kinder?“, wollte Christie wissen.

„Keine Ahnung. Danach habe ich ihn nicht gefragt.“

Immerhin wusste sie, dass Parker nicht verheiratet war, denn nachdem sie Staceys Tagebuch gefunden hatte, hatte sie Erkundigungen über ihn eingezogen. Offenbar hatte er einen großen Namen in der Computerwelt, seine Firma hatte zu den Branchenführern gehört. Vor einiger Zeit hatte er sie verkauft, arbeitete aber weiter im Softwarebereich. Von seinem Privatleben war nur wenig an die Öffentlichkeit gedrungen. Man wusste nur, dass er Witwer war, von Kindern war nirgends die Rede gewesen.

Erin bog in die gepflasterte Zufahrt ein und atmete tief durch. Die Luft war salzig und herrlich frisch.

„Kannst du das Meer riechen?“, fragte sie Christie.

Christie kräuselte ihre kleine Nase. „Ja. Nach was riecht es?“

„Nach Salz und Sonne.“

„Sonne kann man doch gar nicht riechen.“

„Doch, manchmal schon.“

Christie sah ihre Mommy skeptisch an, widersprach aber nicht. „Das ist aber ein schöner Garten“, sagte sie dann. „Ich finde, Daddy wohnt ganz schön weit weg.“

„Da hast du recht.“

Erin fürchtete sich davor, dass Christie sie fragen könnte, wie es jetzt weitergehen sollte. Aber darüber machte eine Vierjährige sich vielleicht gar keine Gedanken. Sie selbst war immerhin siebenundzwanzig Jahre alt und wusste auch nicht genau, wie sie mit dieser schwierigen Situation umgehen sollte. Natürlich hatte sie sich einen Plan zurechtgelegt, der ihr ziemlich logisch erschien, aber aus Erfahrung wusste sie, dass scheinbar logische Pläne nicht immer auch die besten waren.

Zu beiden Seiten der gewundenen Auffahrt wuchsen üppige Büsche und hohe Bäume, hinter denen unvermittelt das Haus auftauchte.

„Das ist aber ein großes Haus, Mommy“, stellte Christie ehrfürchtig fest.

„Ja, nicht? Und es ist so hübsch. Die Fenster sehen in der Sonne wie richtige Edelsteine aus, findest du nicht?“

„Ja.“

Erin hatte das merkwürdige Gefühl, als sei sie an dem Ort angekommen, den sie ihr Leben lang gesucht hatte. Kein Wunder, dass Stacey sich in das Haus und seinen Besitzer verliebt hatte. Sie war zwar im Vergleich zu ihrer Schwester eher ein nüchterner Mensch, aber selbst sie konnte sich der Atmosphäre nicht ganz entziehen.

Sie parkte den Wagen, und sie stiegen aus. Hier oben war der Meeresduft noch intensiver. Von unten klang das stete Rauschen und Plätschern der Wellen herauf.

Christie hüpfte aufgeregt auf und ab. „Wohnt mein Daddy in dem schönen Haus? Gehört es ihm ganz allein? Darf ich alle Zimmer ansehen?“

Erin lachte. „Eines nach dem anderen. Ja, dein Daddy wohnt hier, und das Haus gehört ihm ganz allein. Und wenn du ihn fragst, zeigt er dir bestimmt alle Zimmer.“

Bevor sie noch mehr sagen konnte, ging die Tür auf, und Parker Hamilton stand vor ihnen.

„Ist das mein Daddy?“, fragte Christie flüsternd und tastete unwillkürlich nach Erins Hand.

„Ja.“

Sie betrachtete Parker mit der ganzen Ernsthaftigkeit ihrer vier Jahre und schaute dann zu Erin auf. „Ich glaube, er ist nett.“ Sie hatte darauf bestanden, für diesen Besuch ihre lindgrünen Lieblingsshorts und das T-Shirt mit dem Fisch darauf anzuziehen. Dazu trug sie grüne Schleifen im Haar.

Erin drückte ihre Schulter und schob sie ein wenig an. „Komm.“

Parker hatte nur Augen für seine kleine Tochter.

Was mochte jetzt in ihm vorgehen? Erin versuchte sich vorzustellen, was sie in seiner Lage denken würde. Aber ihr Gehirn hatte offenbar vorübergehend ausgesetzt, denn sie konnte keinen vernünftigen Gedanken fassen. Parker mochte mit seinem dunklen Haar und den dunklen Augen ganz gut aussehen, aber überwältigend schön war er nun auch wieder nicht. Und doch … irgendetwas an ihm ließ ihr den Atem stocken.

Die oberen zwei Knöpfe seines weißen Hemdes standen offen, die Ärmel hatte er hochgerollt. Die engen, abgetragenen Jeans betonten seine schmalen Hüften und die langen Beine. Die Turnschuhe hatten einmal bessere Tage gesehen. Seinen Reichtum sah man ihm wahrhaftig nicht an.

Jetzt machte er eine Bewegung auf sie zu und zögerte dann. Er wirkte unsicher.

Christie sah ihn ernst an. „Bist du wirklich mein Daddy?“

Parker nickte und ging vor ihr in die Hocke. „Ja, Christie. Ich heiße Parker Hamilton.“

„Soll ich nicht Daddy zu dir sagen?“

Parker sah zu Erin auf, als suchte er Rat bei ihr.

Sie lächelte. „Ich denke doch.“

Eine Reihe von Gefühlen wechselte sich in Parkers Gesichtsausdruck ab – Verwirrung, Unbehagen, ungläubige Freude.

Erin konnte sich nur zu gut vorstellen, was in ihm vor sich ging. Ihr war es ja nicht viel anders ergangen, als sie von Christie erfahren hatte. Nur war ihre Nichte damals noch ein winziges Baby gewesen.

„Hast du gar nicht gewusst, dass ich auf der Welt bin, Daddy?“, erkundigte Christie sich jetzt.

Parker schüttelte den Kopf. „Nein. Das habe ich erst heute erfahren.“ Er streckte vorsichtig die Hand aus und berührte ihre Wange.

„Freust du dich, dass ich da bin?“ Wie immer kam sie sofort zum Kern der Sache.

„Und wie!“

„Ich auch.“ Christie schenkte ihm ihr verführerischstes Lächeln. Erin war inzwischen immun dagegen, aber auf Parker wirkte es Wunder.

Er breitete die Arme aus und zog seine kleine Tochter an sich. Christie schlang die Arme um seinen Hals und drückte sich an ihn. Parkers dunkles Haar bildete einen Kontrast zu mit dem helleren Haar seiner Tochter, das denselben rötlichen Schimmer hatte wie das von Erin und Stacey.

Erin war zwar auf diesen Augenblick vorbereitet gewesen, aber jetzt spürte sie doch, wie ihre Kehle eng wurde.

Christie löste sich von ihrem neu gefundenen Vater und strahlte ihn an. „Du riechst ganz anders als Mommy.“

Vom Haus kam ein Geräusch, und Erin entdeckte die Haushälterin unter der Tür.

Parker stand auf. „Kiki, das ist meine Tochter Christie.“

Christie betrachtete Kiki eine Weile. „Bist du die Mommy von meinem Daddy?“

Kiki lächelte und beugte sich zu Christie hinunter. „Nein, ich bin seine Haushälterin. Ich koche für ihn und passe auf ihn auf. Magst du Kekse?“ Christie nickte heftig. „Ich habe gerade welche gebacken. Hilfst du mir, sie auf die Terrasse zu bringen?“ Kiki drehte sich zu Erin um. „Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.“

„Nein, natürlich nicht. Lauf nur, mein Schatz. Und benimm dich.“

„Ja, Mommy.“

Christie hüpfte neben Kiki davon. Parker blickte den beiden nach, dann schüttelte er den Kopf, als müsste er wieder zu sich kommen.

„Alles in Ordnung?“, fragte Erin besorgt.

„Ja.“ Er sah sie an. „Sie ist sehr süß.“

„Wenn sie will“, meinte Erin trocken. „Sie müssen aufpassen, dass sie Sie nicht um den kleinen Finger wickelt. Christie ist ein sehr liebes und intelligentes Mädchen, aber sie ist kein Engel. Sie weiß sehr genau, was sie will, und wie sie es erreicht.“

Parker erinnerte sich wieder an seine guten Manieren. „Kommen Sie doch herein“, lud er sie ein und trat einen Schritt beiseite. Er führte sie zur Terrasse, und dabei ruhte seine Hand leicht auf ihrer Hüfte. Die Berührung ging Erin durch und durch. Aber sie war entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen.

Der Tisch auf der Terrasse war mit einem weißen Tischtuch und Kaffeegeschirr gedeckt.

„Kiki hat mindestens drei Stunden in der Küche gewütet. Als käme eine ganze Kompanie auf Besuch!“

Seine dunklen Augen schienen sie zu hypnotisieren. Sie konnte den Blick nicht abwenden. Ich benehme mich völlig idiotisch, dachte Erin, aber die Einsicht half ihr nicht viel weiter. Sie zwang sich, aufs Meer hinaus zu schauen. Kleine Wellen glitzerten in der Sonne, der Himmel darüber war tiefblau.

„Wir leben in Palmdale“, erzählte sie. „Das liegt ungefähr einhundertfünfzig Kilometer nördlich von Los Angeles. Im Winter ist es kalt und windig, und im Sommer heiß und windig.“

„Ich erinnere mich flüchtig daran, dass Stacey davon erzählt hat.“

„Stacey hat in Stanford studiert.“ Erin unterdrückte einen Seufzer. Es war nicht genug Geld da gewesen, als dass sie beide eine so teure Universität hätten besuchen können, und so hatten sie einen Kompromiss geschlossen. Stacey war nach Stanford gegangen, und sie selbst hatte ein staatliches College im Ort besucht. Nach dem Abschluss hatte Erin sich dann für ein Stipendium bewerben wollen, aber so weit war es nicht mehr gekommen. Stacey war gestorben und hatte ihr Christie hinterlassen. Da war keine Zeit mehr für ein Zusatzstudium gewesen.

„Christie nennt Sie Mommy.“

„Ja. Aber sie weiß, dass ihre richtige Mutter tot ist – soweit eine Vierjährige das begreifen kann. Und für mich ist sie meine Tochter.“

Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass es ihr damit ernst war.

„Das sollte kein Vorwurf sein“, meinte Parker. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie schwierig die Situation für Sie war.“

Christie tauchte an der Terrassentür auf. Im vollen Bewusstsein ihrer Verantwortung trug sie ein Tablett mit Gebäck vor sich her.

Parker schüttelte wie benommen den Kopf. „Vor fünf Stunden habe ich nicht einmal geahnt, dass ich ein Kind habe.“

Erin hatte nicht erwartet, dass er über seine unverhoffte Vaterschaft besonders begeistert war. Aber Christie hatte das Recht, ihren Vater kennen zu lernen, und Parker musste erfahren, dass er eine Tochter hatte. Das war nur recht und billig.

Christie brachte ihr Tablett heil bis zum Tisch, hinter ihr folgte Kiki mit einem Krug Limonade.

„Die Schokoladenkekse schmecken ganz toll.“

Erin lächelte. „Das sehe ich.“ Sie wischte ihrer Tochter den Mund ab. „Wie viele hast du denn schon gegessen?“

„Nur einen“, teilte Kiki mit, als sie die Limonade ausschenkte. Sie zwinkerte Erin zu. „Sie wollte mir einreden, dass sie schon halb verhungert ist.“

„Wir haben doch gerade erst gegessen“, meinte Erin.

„Aber ich habe echt noch ganz viel Hunger“, behauptete Christie.

„Wenn hier jemand Hunger hat, dann ich“, erklärte Parker und steckte sich mehrere Kekse auf einmal in den Mund. „Ich habe nämlich nichts zum Mittagessen bekommen.“

„Oh je.“ Kiki schlug die Hand vor den Mund. „Das war wohl die Aufregung.“

„Kein Problem. Aber vielleicht könnten Sie mir schnell ein belegtes Brot machen.“

„Ja, natürlich.“ Auf dem Weg zur Küche drehte Kiki sich noch einmal um. „Für Sie auch, Erin?“

„Nein, danke.“

Christie kletterte auf einen Stuhl zwischen Parker und Erin, nahm mit beiden Händen ihr Glas und trank hastig. Die Limonade lief ihr über das Kinn. Dann stellte sie ihr Glas ab. „Jetzt habe ich eine Mommy und einen Daddy“, verkündete sie zufrieden.

Erin schob ihr ein paar vorwitzige Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Und das nutzt du weidlich aus, hm?“

Christie zeigte auf den Limonadenkrug. „Ich will noch mal Limonade.“

„Bitte“, sagte Erin automatisch.

„Und Kekse.“

„Aber nur noch einen.“

„Ich will aber zwei.“

„Ich habe gesagt, einen, und dabei bleibt es.“

Christie schob schmollend die Unterlippe vor, sagte aber nichts mehr. Aus Erfahrung wusste sie, dass Trotz und Widerspruch bei Erin meistens die gegenteilige Wirkung hatten, und sie wollte den einen gewährten Keks nicht aufs Spiel setzen.

„Willst du deinem Daddy nicht erzählen, wie es dir in der Vorschule gefällt?“

„Du bist schon so ein großes Mädchen, dass du in die Schule gehst?“, fragte Parker beeindruckt.

„Ja, jeden Tag“, berichtete Christie stolz. „Ich weiß schon ganz viel. Wenn ich groß bin, weiß ich am allermeisten von allen Leuten. Nur Mommy ist noch klüger.“ Sie betrachtete ihren Vater nachdenklich. „Weißt du mehr als Mommy?“

Parker verschluckte sich fast. Er trank einen Schluck Limonade und atmete tief durch. „Was?“

„Ob du noch mehr weißt als Mommy.“

„Überlegen Sie sich Ihre Antwort gut“, riet Erin und biss genüsslich in ihren Keks.

„Sagen wir so: Ich weiß bestimmt mehr über Computer als deine Mommy“, begann Parker vorsichtig. „Aber von den anderen Sachen weiß sie sicher mehr.“

„Gut aus der Affäre gezogen“, lobte Erin, und er lachte sie an.

Sie wusste nicht, wie ihr geschah. Der Mann sah ganz gut aus, zugegeben. Er war nett zu Christie und hatte offenbar auch Humor. Aber das reichte als Erklärung für diese Wärme, die sich jetzt in ihrem Körper ausbreitete, unmöglich aus. Es musste die Meeresluft sein, die diese seltsame Wirkung auf sie hatte. Vielleicht lag es auch an der Sonne oder den Keksen. Oder daran, dass sie in den letzten vier Jahren mit keinem Mann mehr ausgegangen war, weil sie so damit beschäftigt gewesen war, ihr Pädagogikstudium abzuschließen, eine Arbeit zu suchen und vor allem, Christie zu versorgen. Jetzt erwachte offenbar wieder etwas zum Leben, was sie längst vergangen geglaubt hatte. Das war alles.

Christie kaute geräuschvoll. „Hast du einen Hund?“, wollte sie von ihrem Vater wissen.

„Nein, tut mir leid“, bedauerte Parker.

„Aber Hunde sind ganz süß!“

„Davon bin ich überzeugt.“ Er wirkte etwas verwirrt. „Hast du denn einen?“

Christie hob die Schultern und ließ sie mit einem ausdrucksstarken Seufzer wieder fallen. „Nein. Aber vielleicht kriege ich einen, wenn ich größer bin.“ Sie trank einen Schluck. „Hast du noch mehr Kinder, von denen du nichts weißt?“

Parker bekam einen Erstickungsanfall. Es dauerte eine Weile, bis er sich davon erholt hatte.

„Das scheint chronisch zu sein“, meinte Erin mitfühlend und schenkte ihm Limonade nach.

„Es hat erst vor kurzem angefangen.“ Er hustete. „Nein, Christie, ich habe sonst keine Kinder.“

„Dann bin ich dein allereinziges Kind?“

„Ja.“

Christie kräuselte ihre kleine Nase und legte den Kopf schief. „Und mit wem soll ich spielen?“

„Ich weiß nicht, ob hier in der Nähe andere Kinder wohnen. Aber ich kann Kiki fragen.“

„Oder ich könnte mit einem Hund spielen.“

„Damit ist das Thema Hund abgeschlossen“, erklärte Erin fest.

„Er kann auch klitzeklitzeklein sein.“

„Christie!“

„Ist gut, Mommy.“ Christie schenkte Parker einen hinreißenden Augenaufschlag. „Es ist nicht immer leicht mit mir.“

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen.“ Vater und Tochter lächelten sich an.

Seit Erin Staceys Tagebuch gefunden hatte, hatte sie mehrere schlaflose Nächte verbracht, weil sie nicht wusste, ob es gut war, was sie tat. Aber als sie Vater und Tochter jetzt zusammen sah, wusste sie, dass sie sich richtig entschieden hatte.

Alles würde gut werden. Davon war sie fest überzeugt.

3. KAPITEL

Parker konnte kaum den Blick von Christie wenden. Ihre Augen waren von einem etwas helleren Braun als auf dem Foto, und wenn sie lächelte, erschienen Grübchen in ihren Wangen, die sich vertieften, wenn ihr Lächeln breiter wurde.

Er fühlte sich wie in Trance. Auf einmal war nichts mehr so wie früher. Er hatte eine Tochter … Was, um alles in der Welt, sollte er nur mit einem Kind anfangen? Nicht dass Christie ihm nicht gefiel, aber er war ganz einfach nicht zum Vater geboren. Kinder waren unbekannte Wesen für ihn.

„Möchte noch jemand Kekse oder Limonade?“, erkundigte Kiki sich, als sie mit Parkers Sandwich wieder auf der Terrasse erschien.

„Danke, nicht für Christie und mich“, sagte Erin.

Parker aß mit sichtlichem Genuss. „Wunderbar“, sagte er.

Kiki sah ihn vorwurfsvoll an. Er kannte diesen Blick. „Mit vollem Mund spricht man nicht“, bedeutete er. Manchmal war sie schlimmer als seine Mutter. Aber ohne sie war er verloren, das war ihm völlig klar.

Kiki ging neben Christie in die Hocke. „Ich wette, du hast ein eigenes Zimmer zu Hause“, sagte sie.

Christie nickte eifrig. „Ja. Mit einem großen Bett und ganz vielen Büchern.“

„Liest du gern?“

Wieder nickte sie. „Ich kann aber noch nicht alle Buchstaben. Deshalb liest Mommy mir immer vor. Aber wenn ich in die richtige Schule komme, dann lerne ich lesen und rechnen.“

„Sie ist in der Vorschule“, stellte Erin klar.

Kiki stand auf. „Christie und Erin würden sich bestimmt gern den Garten anschauen und zum Strand hinunter gehen“, sagte sie zu Parker.

„Gute Idee.“ Er wischte sich mit der Serviette über den Mund. „Na, wie sieht es aus?“, fragte er seine Tochter.

„Ich gehe am allerliebsten an den Strand“, erklärte sie ihm ernsthaft.

Erin lachte. „Woher weißt du, dass du da am allerliebsten bist? Du warst doch erst einmal am Strand.“

„Aber da war ich am allerliebsten da.“

„An meinem Strand wird es dir auch gefallen“, versprach Parker.

Er führte seine beiden Besucherinnen durch den Salon auf die andere Seite des Hauses. „Von der Terrasse gibt es leider keinen Weg zum Strand hinunter“, erklärte er, als er ein kleines schmiedeeisernes Tor öffnete.

„Wunderschön ist es hier“, sagte Erin und sah sich um. „Ich hätte gar nicht gedacht, dass hier direkt an der Küste so viel wächst.“

„Ich habe einen Gärtner, dessen Lebensaufgabe der Kampf gegen Salzluft und schlechten Boden ist. Bisher sieht es so aus, als ob er gewinnt.“

Parker versuchte sich zu erinnern, wann er den Garten das letzte Mal bewusst wahrgenommen hatte. Seit ein paar Jahren hatte er nur noch seine Arbeit im Kopf gehabt.

Vor ihnen lag der Pazifik in seiner ganzen Weite, nur begrenzt vom dunstverhangenen Horizont. Zu ihrer Linken erhob sich das Haus, nach rechts erstreckte sich die wild-raue Küste Nordcarolinas.

„Bis wo geht das Meer?“, wollte Christie wissen.

„Rund um die Erde“, sagte Parker.

Christie hüpfte an Erin hoch. „Mommy, ich will mit dem Boot rund um die Erde fahren!“

„Lieber nicht“, wehrte Erin ab. „Ich werde leider ziemlich schnell seekrank.“

„Ich auch“, sagte Parker. „Nur bei Kreuzfahrtschiffen habe ich keine Schwierigkeiten.“

„Ich habe noch nie eine Kreuzfahrt gemacht.“

Offenbar hatte er den Verstand verloren, denn er hatte das mehr als merkwürdige Verlangen, auf der Stelle eine Kreuzfahrt zu buchen – für sich, Erin und Christie.

Er ging vor seiner Tochter in die Hocke. „Hast du Lust, Huckepack zu reiten?“

Christie klatschte aufgeregt in die Hände. „Oh, ja!“

Sie schlang die Arme um seinen Hals, und er stand mit ihr auf.

„Mommy, sieh mal!“, rief sie.

„Ja, toll.“

Erin bildete die Vorhut auf der steilen Treppe zum Strand. Christie klammerte sich wie ein kleines Äffchen an Parker. Sie roch nach Schokolade und Limonade, und er spürte, wie ihm die Brust eng wurde.

Es war Ebbe. Der Sand war noch feucht und fest. Parker setzte Christie ab, und sie rannte mit ausgebreiteten Armen zum Wasser und wieder zurück.

„Was für ein Energiebündel!“

„Heute ist sie natürlich besonders aufgedreht“, meinte Erin. „Ich bin ganz froh, wenn sie sich müde läuft. Dann schläft sie heute Abend wenigstens bald ein.“

„Sie sind mit einer Freundin unterwegs, haben Sie gesagt?“

„Ja. Joyces Verlobter musste beruflich nach San Francisco, und sie trifft ihn dort.“ Als sie zu ihm aufsah, fielen ihm ihre dichten dunklen Wimpern auf.

„Was sagt denn Ihre Freundin zu der ganzen Geschichte?“

„Sie fand es gar nicht gut, dass ich Sie einfach so aus heiterem Himmel überfalle.“

Christie winkte ihnen strahlend zu, und sie winkten zurück. „Und was glauben Sie?“

„Sagen wir, ich wollte Ihnen eine Chance geben.“

„Darüber freue ich mich sehr.“

Er wusste noch immer nichts von Erin Ridgeway. Natürlich konnte sie es auf sein Geld abgesehen haben. Aber wenn es so war, interessierte es ihn nicht. Er hatte eine Tochter, und alles andere war unwichtig.

Christie kam auf sie zu gerannt. „Der Daddy von meiner Freundin Angela ist Polizist“, teilte sie Parker mit. „Und was arbeitest du?“

„Ich entwerfe Computerprogramme.“

„Computer sind toll“, erklärte Christie. „Aber Hunde mag ich lieber.“

Erin musste lachen. Sie zog ihre Tochter in die Arme. „Ich werde dich so lange kitzeln, bis du mit dem Hund aufhörst.“

„Ich höre ja schon auf!“, kreischte Christie und warf die Arme um ihre Mutter.

Parker betrachtete die beiden neidisch. Er fühlte sich ausgeschlossen. In seiner Familie war es nie so liebevoll zugegangen.

„Was meinen Sie?“, erkundigte Erin sich lächelnd. „Sollen wir sie ins Meer zu den anderen Seemonstern werfen?“

„Die werfen sie nur wieder zurück.“

„Ist ja gar nicht wahr!“, krähte Christie. „Sie würden mich zu ihrer Prinzessin machen, und ich würde ein Wasserschloss kriegen und ihr wärt ganz, ganz traurig, weil ich weg bin.“

„Das könnte allerdings sein.“ Erin gab ihr einen Kuss aufs Haar. „Ich glaube, wir sollten uns langsam wieder auf den Rückweg machen. Ich habe noch einiges mit deinem Vater zu besprechen.“

Wie das klang: mit deinem Vater … Erin schien damit gar keine Schwierigkeiten zu haben, aber für Parker war das noch ganz ungewohnt. Natürlich hatte sie auch mehr Zeit gehabt, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen.

Christie rannte zur Treppe, und die beiden Erwachsenen folgten ihr. Oben atmete Erin tief durch. „Puh! Meine Kondition ist wirklich erbärmlich. Ich sollte mehr Sport treiben.“

Parker bog einen dünnen Ast für sie beiseite. „Sind Sie berufstätig?“

Erin lachte. „Ja, natürlich. Was denken Sie denn? Ich bin Grundschullehrerin.“

„Es hätte ja sein können, dass Sie Geld von einer Lebensversicherung bekommen haben.“

Erin schüttelte den Kopf. Ihre Augen wurden dunkel. „Nein. Ich habe ein bisschen Geld von Stacey geerbt, aber es war nicht viel. Im ersten Sommer bin ich bei Christie zu Hause geblieben. Es war doch ein ziemlicher Schock, als ich so plötzlich zu einem Kind kam.“

„Wem sagen Sie das.“

Erin lächelte, und dabei bildete sich ein Grübchen in ihrer Wange. „Ich weiß. Aber mir ist keine schonende Methode eingefallen, Ihnen Ihre Tochter zu präsentieren.“

„Ich finde, Sie haben das sehr charmant gemacht.“ Er legte ihr die Hand auf den Rücken, und sie fuhr unwillkürlich zusammen. Deshalb ließ er die Hand wieder sinken. „Wollten Sie immer schon Lehrerin werden?“

„Nein. Aber mit einem Kind schien mir das am vernünftigsten. Man ist nur halbtags in der Schule und hat den ganzen Sommer frei. Also habe ich das Lehrerexamen gemacht und fing an zu arbeiten, als Christie ein Jahr alt war.“

Parker öffnete das Tor. Christie rannte los, drehte sich ein paar Mal im Kreis und ließ sich schließlich atemlos auf den Rasen fallen. Im nächsten Augenblick war sie schon wieder auf den Beinen und hüpfte wie ein Gummiball auf und ab. Parker bedauerte aufrichtig, dass er die ersten vier Jahre ihres Lebens nicht hatte miterleben dürfen.

Kiki wartete in der Halle auf sie. „Na, war es schön am Strand?“, fragte sie Christie.

Christie nickte begeistert. „Es war ganz toll. Es waren ganz viele Vögel da, und Daddy hat mich Huckepack getragen. Beinahe hätte ich einen Krebs gefangen, aber dann hat er sich einfach eingegraben und war weg.“

Kiki strich ihr über die Haare. „Beim nächsten Mal musst du eben schneller sein.“ Sie sah zu Parker auf. „Wie wäre es mit einer Führung durchs Haus?“

„Wenn Sie Lust haben?“ Parker schaute Erin fragend an.

Sie standen im Wohnzimmer. „Das Haus ist größtenteils noch im selben Zustand wie für achtzig Jahren, als es gebaut wurde.“ Die Decke musste gut sechs Meter hoch sein. Sie war von dunklen Balken durchzogen. Hohe Glastüren gingen auf die Terrasse und das dahinter liegende Meer hinaus, kleinere Fenster an der gegenüberliegenden Wand zum Garten. Die Sitzgarnitur war aus dunkelblauem Leder, an den Wänden hingen moderne und alte Bilder einträchtig nebeneinander.

Das Speisezimmer hatte kleinere Fenster, aber die Aussicht war ähnlich spektakulär.

Zu Parkers Lieblingsräumen gehörte die Bibliothek. Sie hatte gar keine Fenster und eine schräge Wand, weil sie zum Teil unter der Treppe lag. Bücherregale zogen sich an drei Wänden entlang und ließen nur eine Aussparung für den Kamin. Die vierte Wand beherbergte eine eindrucksvolle Musik- und Fernsehanlage.

Christie betrachtete den gewaltigen Fernsehschirm geradezu ehrfürchtig.

„Leider habe ich keine Kinderfilme da“, meinte Parker. „Aber wenn du mir sagst, was du dir gern ansiehst, werde ich das ändern.“

Christies Augen wurden groß. „Echt?“

Erin berührte sie an der Schulter. „Darüber denken wir später nach“, meinte sie. „Aber du kannst dich schon mal bei deinem Daddy für alles bedanken.“

„Danke.“ Christie bebte schier vor Aufregung. Ihr Blick fiel auf ein gerahmtes Porträt. „Ist das eine Prinzessin?“

Parker musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass sie Robin meinte. Er nahm seine Tochter an die Hand und nahm das Foto. „Nein. Das ist meine Frau Robin.“

Christie runzelte die Stirn. „Wenn du eine Frau hast, kannst du doch gar nicht mein Daddy sein.“

„Robin ist schon lange im Himmel.“

„Wie meine andere Mommy.“ Christie berührte vorsichtig den Bilderrahmen. „Sie hat so schöne Haare.“ Sie griff nach ihren Rattenschwänzen. „Viel schöner als meine.“

„Aber ich finde dich auch sehr hübsch“, sagte Parker, und Christie strahlte ihn an.

Robin trug auf dem Foto ein weißes knöchellanges Kleid im Stil der zwanziger Jahre und einen breitkrempigen Hut. Den Kopf hatte sie leicht abgewandt. Auf dem Schwarzweißbild konnte man das wundervolle Rot ihrer Haare nicht sehen. Der Hut beschattete ihre Sommersprossen. Sie sah fast überirdisch schön darauf aus, aber sie war ihm gleichzeitig fremd.

„Ich hatte ganz vergessen, wie schön sie war“, sagte Erin fast unhörbar. Als Parker sie ansah, errötete sie. „Ich kenne ihr Bild aus Zeitschriften. Es tut mir leid, dass sie tot ist.“

Was hatte Erin noch über ihn gelesen? Und was wollte sie wirklich von ihm?

„Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir uns unterhalten.“ Er wies einladend auf das braune Ledersofa an der hinteren Wand.

„Das ist ein ganz langweiliges Gespräch unter großen Leuten“, sagte Kiki zu Christie. „Komm, wir zwei gehen nach oben. Da gibt es ein Geheimzimmer.“

„Echt?“ Christie sah zu Erin hinüber.

„Geh nur, meine Süße. Und sei schön brav.“

„Ja, Mommy.“

Parker wartete, bis die beiden verschwunden waren. Dann ließ er sich in seinem ausladenden Lehnsessel nieder. „Ich glaube, die Einleitung kann ich mir sparen. Christie ist meine Tochter, daran habe ich keinen Zweifel. Ich nehme an, Sie wollen die Unterhaltsfrage klären.“

Erin sah ihn eine Weile sprachlos an. Dann beugte sie sich ein wenig vor. „Offenbar hat Reichtum auch seine negativen Seiten. Kommen viele Leute nur deshalb zu Ihnen, weil sie Ihr Geld wollen?“

„Mehr, als Sie sich vorstellen können.“

„Das ist sicher nicht angenehm für Sie. Aber ich kann Sie beruhigen: Christie und ich brauchen keine finanzielle Unterstützung. Wir kommen sehr gut zurecht.“

Sie hatte lange, schmale Finger. Jetzt schob sie die Ärmel ihres Pullis hoch, sodass die einfache Uhr an ihrem Handgelenk sichtbar wurde. Parker ließ den Blick über ihre verführerischen Rundungen gleiten und spürte, wie in ihm etwas leise anklang, das schon lange nicht mehr da gewesen war. Wenn sie wirklich nicht an seinem Geld interessiert war, dann war sie völlig anders als alle Frauen, denen er nach Robins Tod begegnet war.

„Ehrlich gesagt geht es mir mehr um die emotionale Seite.“

Er umfasste die Lehnen seines Sessels. „Und wie soll das aussehen?“

„Christie braucht einen Vater, und zwar einen, der sich regelmäßig um sie kümmert. Das würde Ihnen allerdings einiges abfordern. Wenn Sie das nicht wollen, sagen Sie es lieber gleich, um Christie später die Enttäuschung zu ersparen.“

„Ich würde ihr nie wehtun“, sagte Parker ruhig und wusste gleichzeitig, dass es eine Lüge war. Natürlich würde er ihr wehtun. Bisher hatte er noch allen Menschen wehgetan, denen er etwas bedeutete. Irgendwann enttäuschte er sie immer.

Aber die Vergangenheit zählte jetzt nicht. „Angenommen, ich wäre einverstanden: Was würde das dann bedeuten? Ich habe das Gefühl, dass Sie bereits ziemlich feste Vorstellungen von meiner Vaterrolle haben.“

Erin nickte. „Ja“, gab sie zu. „Die Entfernung ist natürlich ein Problem. Aber ich kann Christie nicht aus ihrer gewohnten Umgebung herausreißen, nur weil das für Sie bequemer wäre. Deshalb schlage ich vor, dass Sie sie regelmäßig besuchen, sagen wir jedes dritte Wochenende. Es ist leichter, wenn Sie kommen, als umgekehrt. Sie ist noch zu klein, um allein zu fliegen, und ich kann unmöglich jedes Mal übers Wochenende herfahren.“

„Einverstanden“, sagte Parker, obwohl ihm ein wenig mulmig war. Worauf, um alles in der Welt, ließ er sich da ein? Er sollte jedes dritte Wochenende mit einem vierjährigen Kind verbringen, das er praktisch nicht kannte?

„In den Sommerferien könnte Christie dann für vier Wochen zu Ihnen kommen, und die Woche nach Weihnachten auch.“

Ihm schwirrte der Kopf. „Sie haben das ja alles schon bis ins Detail ausgeklügelt.“

„Ich dachte, das würde es leichter machen. Wenn Sie einverstanden sind, bleibe ich mit Christie zwei Wochen in der Stadt, dann können Sie sie besser kennen lernen.“ Erin lächelte. „Es ist nicht einfach, von einem auf den anderen Tag ohne Vorwarnung die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen.“

Parker wusste nicht, was er sagen sollte. Das klang alles sehr vernünftig, obwohl sich etwas in ihm dagegen sträubte. Er wusste nur nicht genau, was es war. Natürlich wollte er mit seiner Tochter zusammen sein. Nachdem er sie gerade erst gefunden hatte, wollte er sie nicht wieder verlieren.

Und dann merkte er, was ihm an dem ganzen Plan missfiel. Es war die Beschränkung auf bestimmte Zeiten. Was war denn, wenn er mehr Zeit mit seiner Tochter verbringen wollte, als Erin vorgesehen hatte? Was war, wenn er sich nicht damit zufrieden gab, den Teilzeit-Vater zu spielen?

Aber bevor er seine Bedenken anmelden konnte, stürmte Christie mit einem Blumenstrauß hinein, gefolgt von Kiki.

„Die sind aber schön“, sagte Erin.

„Kiki hat gesagt, dass ich sie pflücken darf.“ Christie legte ihr die Blumen in den Schoß. „Riech mal!“

„Danke schön.“ Erins Lächeln schloss Kiki mit ein.

„Weißt du, was noch?“ Christie hüpfte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen.

„Nein. Was denn?“

„Du hast doch gesagt, dass wir in der Stadt bleiben, damit ich mit Daddy was machen kann.“ Christie setzte ihr verführerischstes Lächeln auf, mit dem sie meistens erreichte, was sie wollte – wenn auch nicht immer bei Erin. „Wir können doch bei Daddy wohnen.“

4. KAPITEL

Erin war nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. Aber ein Blick in Parkers entgeisterte Miene war Bestätigung genug. Christie wollte hier bei ihrem Vater bleiben, ganz einfach.

Aber das war natürlich ausgeschlossen. Außerdem hatte Erin das Gefühl, dass sie Abstand von Parker brauchte, Raum zum Atmen. Aus Gründen, die ihr vollkommen unverständlich waren, spielten ihre Hormone verrückt, wenn er in ihrer Nähe war, und ihre Brust wurde eng.

„Das Kinderzimmer ist ganz oben“, erzählte Christie aufgeregt. Von der Spannung, die plötzlich zwischen den Erwachsenen herrschte, bekam sie nichts mit. „Aus dem Fenster kann man das Meer und den Himmel sehen. Und ein Schaukelpferd ist da und ein Spielhaus und ein ganz großes Bett nur für mich allein.“ Ihr Lächeln war unwiderstehlich. „Und auf der anderen Seite das Zimmer ist für dich, mit einer Bank am Fenster. Und mit einem kleinen Korb neben dem Bett. Für einen kleinen Hund.“ Christies Lächeln wurde breiter.

Erin stöhnte innerlich auf. Sie hatte das Gefühl, dass die Situation ihr völlig entglitten war.

„Kiki“, sagte Parker streng. „Haben Sie etwas damit zu tun?“

„Ich?“, fragte Kiki voller Unschuld zurück. „Christie hat mir nur erzählt, dass sie mit ihrer Mutter zwei Wochen in der Stadt bleiben will. Das Haus ist groß genug, um ein ganzes Regiment unterzubringen. Es wäre doch rausgeschmissenes Geld, wenn die beiden im Hotel wohnen würden.“

„Dann haben Sie der Kleinen den Floh ins Ohr gesetzt?“

„Möglicherweise habe ich eine Bemerkung in diese Richtung gemacht“, gab die Haushälterin ohne erkennbar schlechtes Gewissen zu. „Aber Sie müssen zugeben, dass etwas dran ist.“

Parker warf Erin einen Blick zu und schüttelte dann seufzend den Kopf. „Kiki ist schon so lange bei mir, dass sie praktisch unkündbar ist. Aber manchmal stellt sie meine Geduld sehr auf die Probe.“

„Sie brauchen gar nicht so zu tun, als wäre ich Luft“, beschwerte Kiki sich.

„Soll ich vielleicht lieber sagen, was ich wirklich denke?“

„Das muss nun auch nicht sein.“

Offenbar war diese Unterhaltung nicht ganz ernst gemeint. Wenigstens hat er Humor, dachte Erin. Die Frage war: Wie sollte es jetzt weitergehen? Kiki und Christie wechselten hoffnungsvolle Blicke. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Zum einen hatte Parker sie nicht eingeladen, zum anderen hielt sie es auch nicht für eine gute Idee. Alles in ihr sträubte sich dagegen.

„Ich glaube nicht …“, begann sie zögernd.

„Wenn Christie hier wohnt, ist das für Parker die beste Möglichkeit, sie kennen zu lernen“, unterbrach Kiki sie, bevor sie noch mehr sagen konnte. „Schließlich hat er einiges nachzuholen.“

Erin atmete tief durch.

„Kiki, ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen, aber ich brauche keine Unterstützung“, sagte Parker.

Christie dauerte das alles viel zu lange, und sie beschloss, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen. Sie baute sich vor ihrem Vater auf und legte ihm die Hände auf die Knie.

„Daddy, freust du dich, wenn Mommy und ich hier wohnen?“

Erin stand auf. „Es reicht, Christie. Du kannst deinen Daddy nicht so überfallen. Heute Morgen hat er noch gar nichts von uns gewusst, und jetzt willst du schon bei ihm einziehen. Das kommt nicht in Frage.“

Christie drehte sich zu ihr um. Ihre Unterlippe zitterte leicht. „Aber alle Kinder wohnen bei ihrem Daddy und ihrer Mommy.“

Erin ging neben Christie in die Hocke und nahm ihre kleinen Hände. „Nicht alle, Christie. Es ist besser, wenn wir im Hotel bleiben.“ Wenigstens für die Erwachsenen, dachte sie.

Sie blickte zu Parker auf. „Es tut mir leid, dass wir Sie so strapazieren“, entschuldigte sie sich. „Am besten fahren wir jetzt zurück und sehen morgen weiter.“

Parker wandte sich unschlüssig an seine Tochter. „Du möchtest gern hier bleiben?“

Christie nickte so heftig, dass ihre Rattenschwänze in heftige Bewegung gerieten.

Er beugte sich vor, und sein Gesicht kam Erin so nah, dass sie die Schattierungen seiner Iris sah: diese Mischung aus Braun, Dunkelblau, grünen und goldenen Pünktchen.

„Ich finde die Idee gar nicht so schlecht“, meinte er schließlich.

Erin blinzelte. Von wegen! Es war die schlechteste Idee, von der sie je gehört hatte. Aber sie brachte keinen Ton heraus.

„Wir haben wirklich genug Platz hier. Kiki hat recht.“

„Bitte, Mommy“, bettelte Christie.

Kiki meldete sich zu Wort. „Ich spiele auch gern die Anstandsdame.“

Parkers Miene verhärtete sich und wurde undurchdringlich. Erin war zu Mute, als hätte er sie ins Gesicht geschlagen. Offensichtlich stieß ihn allein der Gedanke ab, dass zwischen ihnen etwas passieren könnte. Aber gut, damit hatte sie keine Schwierigkeiten. Sie war an ihm genauso wenig interessiert. Ein Segen, dass er nichts von diesen seltsamen Hitzewallungen wusste, die seine Berührungen in ihr auslösten. Irgendetwas war da aus den gewohnten Bahnen geraten. Sobald sie wusste, was der Grund war, würde sie es abstellen.

Sie stand auf und blickte zwischen Parker, Christie und Kiki hin und her. Wenn sie nur wüsste, was sie tun sollte! Für Christie und ihren Vater war es sicher am besten, sie wohnten hier. Aber …

„Bitte!“, bettelte Christie.

„Sagen Sie ja“, bat auch Kiki.

Parker gab sich einen Ruck. „Ich fände es schön, wenn Sie und Christie blieben.“

Erin atmete tief durch. „Gern.“

„Juhu!“ Christie warf sich in ihre Arme. „Du bist die beste Mommy von der Welt!“

Erin strich ihr über den Kopf. „Ich werde dich daran erinnern, wenn du mal wieder nicht ins Bett gehen willst.“

Christie kicherte und drehte sich dann zu ihrem Vater um. „Kann ich in dem Kinderzimmer wohnen? Mit dem Schaukelpferd und dem Spielhaus?“

„Ja, natürlich.“ Parker stand auf. Er war bestimmt zwanzig Zentimeter größer als Erin, und sie war schon mit ihren einssiebzig nicht gerade klein. „Kiki wird Ihnen das Zimmer gegenüber herrichten, Erin. Dann sind Sie in Christies Nähe. Mein Zimmer ist im ersten Stock.“

Damit wollte er ihr vermutlich andeuten, dass sie vor ihm in Sicherheit war.

„Das Motelzimmer ist bis morgen bezahlt“, sagte Erin. „Wir sollten deshalb heute noch dort übernachten. Morgen früh reist meine Freundin ab. Anschließend komme ich mit Christie her, voraussichtlich zwischen zehn und elf Uhr.“

„Na, dann wäre das auch geregelt“, meinte Kiki und ging mit Christie an der Hand zur Tür. „Du musst mir noch erzählen, was du gern isst. Wie wäre es, wenn ich für morgen einen Kuchen backe?“

Erin hörte Christies Antwort nicht mehr. Parker erschien ihr viel entspannter, nachdem die Entscheidung gefallen war. „Noch können Sie es sich überlegen.“

„Auf keinen Fall.“ Parker lächelte endlich. „Aber ich gebe zu, dass ich ein bisschen das Gefühl habe, als wäre eine Dampfwalze über mich hinweggerollt.“

„Nur ein bisschen?“, fragte Erin trocken.

„Nein, sehr“, gestand er mit einem etwas schiefen Lächeln. „Aber es geht um Christie, und ich werde versuchen, ihr ein möglichst guter Vater zu sein.“

„Darüber bin ich sehr froh“, sagte Erin. Sie meinte es ehrlich. „Christie ist ein liebes kleines Mädchen und verdient einen Vater, der sie liebt und sich um sie kümmert.“

„Kommen Sie, gehen wir zu ihr.“ Parker legte ihr die Hand auf den Rücken und führte sie zur Tür. Und wieder schienen ihre Hormone durchzudrehen. Sie konnte nur hoffen, dass er nichts merkte.

„Ich verstehe dich nicht“, sagte Joyce am nächsten Morgen. „Es ist eine Sache, hierher zu fahren, um den Mann kennen zu lernen. Aber du musst doch nicht gleich zu ihm ziehen! Der Typ könnte ein Massenmörder oder sonst was sein.“

Erin warf einen schnellen Blick in Richtung Bad, wo Christie fröhlich in der Wanne planschte. „Quatsch. Er macht einen sehr netten Eindruck. Außerdem hat er eine Haushälterin, die im Haus lebt. Und davon abgesehen glaube ich auch nicht, dass Massenmörder Stiftungen gründen, damit arme Kinder eine gute Ausbildung bekommen.“

„Sehr lobenswert. Aber als Millionär kann er sich das vermutlich leisten.“ Joyce sah auf ihre Armbanduhr. „Ich muss los.“

„Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen“, meine Erin. „Parker Hamilton hat sich wirklich aufrichtig darüber gefreut, dass er plötzlich eine Tochter hat.“

„So viel zu Christie. Und was ist mit dir?“

„Mir geht es wunderbar.“

„Du bist siebenundzwanzig und lebst wie eine Nonne.“

„Zufällig gefällt mir das aber.“

Joyce lachte. „Lügnerin.“

„Es ist aber wahr. Ich bin sehr glücklich mit Christie.“

„Kann sein. Aber das ist nicht genug.“

„Irgendwann wird es sich ändern.“

„Es wird sich nie ändern, wenn du nicht selbst dafür sorgst. Aber jetzt muss ich wirklich fahren. Die Telefonnummer vom Hotel hast du?“

„Ja.“ Erin hob feierlich die Hand. „Und ich verspreche hoch und heilig, dass ich dich sofort anrufe, wenn es Probleme gibt.“

„Hoffentlich.“ Ihre Freundin winkte ihr noch einmal zu und war dann verschwunden.

Du lebst wie eine Nonne … Joyce hatte ja recht. Aber sie hatte noch keinen Mann kennen gelernt, der ihr Herz schneller schlagen ließ. Meistens fehlte ihr auch nichts. Meistens … Am besten dachte sie nicht länger darüber nach. Parker war der erste gut aussehende allein stehende Mann, dem sie seit dem College begegnet war. Natürlich reagierte sie da auf ihn. Es hatte nichts weiter zu bedeuten.

Sie nahm das Foto ihrer Schwester aus dem Tagebuch im Koffer. Sie hatten schon früh die Eltern verloren und waren dann von einem Verwandten zum anderen weitergereicht worden. Daher kam wahrscheinlich Staceys starke Sehnsucht nach einem Menschen, zu dem sie gehörte, nach einem eigenen Nest. Sie hatte auf den Traumprinzen gewartet, der sie erlöste, und Parker hatte diese Rolle in ihren Augen perfekt erfüllt.

„Ach, Stacey“, murmelte Erin. Sie steckte das Foto zurück, und dabei fiel der Brief aus dem Tagebuch. Erin faltete ihn auseinander.

Lieber Parker,

ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, deswegen sollst du nur wissen, dass es mir leid tut. Ich schäme mich so. Jetzt weiß ich, dass du mit allem recht hattest. Ich weiß wirklich nicht, was Liebe ist, aber ich hoffe, dass ich sie eines Tages finden werde, so wie du mit Robin.

Ich muss dir etwas mitteilen: Ich bekomme ein Kind von dir, und ich werde es behalten. Ich weiß, dass du dich darüber ärgern wirst. Vielleicht erzähle ich es dir auch erst nach der Geburt. Dann kannst du entscheiden, wie du dazu stehen willst.

Erin faltete den Brief wieder zusammen. Stacey hatte nicht lange genug gelebt, um Parker von Christie zu erzählen. Jetzt konnte sie selbst nur hoffen, dass sie das tat, was Stacey gewollt hätte.

5. KAPITEL

„Ganz schön anstrengend“, stellte Erin fest und blieb auf dem Treppenabsatz stehen.

Parker war direkt hinter ihr. Er stellte die Koffer ab. „Im ersten Stock sind genügend Zimmer. Wenn Sie lieber unten schlafen wollen …“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein. Christie ist vom Kinderzimmer begeistert, und ich möchte in ihrer Nähe sein.“

Die Zimmertüren standen offen. Das Sonnenlicht fiel auf den Gang. Parker vermutete, dass das von Christie auserkorene Zimmer ursprünglich einmal als Unterrichts- und Spielzimmer gedient hatte. Regale waren in die Wand eingebaut, davor standen ein altmodisches Schaukelpferd und ein Spielhaus. Als er und Robin hier eingezogen waren, hatten sie sich oft ausgemalt, wie ihre Kinder einmal hier oben spielen worden. Nach Robins Tod hatte er den Raum eigentlich völlig renovieren und umbauen wollen, war aber nie dazu gekommen. Jetzt war er froh darüber. Christie sollte sich bei ihm wohl fühlen, auch wenn er nur an einem kleinen Teil ihres Lebens Anteil haben würde.

Christie warf sich in seine Arme. „Daddy, das ist das allerschönste Zimmer von der ganzen Welt!“

Parker hielt sie ganz fest. „Fein, dass es dir gefällt“, sagte er mit belegter Stimme.

„Ich werde auch ganz brav sein“, versprach sie.

Er tippte mit dem Finger auf ihre Nasenspitze. „Davon bin ich überzeugt.“

„Das Zimmer ist ein Traum“, sagte Erin. Christie ließ Parker los, lief zu ihrer Mutter und zog sie in die Spielecke. „Mommy, sieh mal!“ Sie zeigte aufgeregt auf das Schaukelpferd und das Spielhaus. „Und da kann ich alle meine Spielsachen einräumen.“ Sie zappelte vor Aufregung.

„Das Haus war schon zwanzig Jahre unbewohnt, als wir es kauften. Aber die Möbel waren alle sehr sorgfältig abgedeckt. Unter jeder Abdeckung fanden wir einen neuen Schatz. Es war wie Weihnachten.“

Erin legte den Kopf ein wenig zur Seite, wie er es schon bei Christie beobachtet hatte. „Wir?“, fragte sie ein wenig verwirrt.

„Ich …“ Der vertraute Schmerz stieg in ihm hoch. „Meine verstorbene Frau und ich.“

„Ja, natürlich. Entschuldigen Sie. Das hätte mir klar sein müssen.“ Sie ging zur Tür zurück. „Ich finde es sehr schön, dass Sie Christie und mich hier wohnen lassen. Vielen Dank.“

„Robin ist seit über fünf Jahren tot. Ich kann es ertragen, über sie zu reden.“

Christie hatte ihren Koffer geöffnet, zog ihre Kleider heraus und häufte sie auf dem Bett auf. Daneben setzte sie eine Puppe. „Das ist Millie“, stellte sie vor. „Bücher habe ich auch dabei.“

Parker setzte sich auf die Bettkante. „Wir haben auch ein Zimmer mit ganz vielen Büchern hier. Ich weiß nicht, ob Bücher für Kinder dabei sind, aber ich glaube schon.“

„Sollen wir mal gucken?“, schlug seine Tochter hoffnungsvoll vor.

Er lachte. „Die laufen uns ja nicht davon. Ich finde, du solltest zuerst fertig auspacken.“ Jetzt erst fiel ihm auf, dass Erin nicht mehr da war.

Nach kurzem Zögern machte sie sich wieder an die Arbeit. Ein Nachthemd flog aufs Bett, weitere Puppen und Brettspiele folgten. „Wo ist die Kommode?“, wollte sie dann wissen.

„Da drüben.“

„Ich räume die Schubladen ein, und du kannst meine Kleider aufhängen“, bestimmte sie. „Okay?“

Parker gehorchte, auch wenn er sich ziemlich ungeschickt anstellte. Als er fertig war, strich er Christie übers Haar. „Ich werde mal nachsehen, wo deine Mommy ist.“

„Ist gut.“ Christie kletterte auf Bett, machte es sich inmitten von Kleider- und Spielzeugbergen gemütlich und schlug ein Buch auf. In nicht einmal zehn Minuten hatte sie es geschafft, ein absolutes Chaos zu veranstalten. Parker hätte nicht glücklicher sein können.

Er klopfte an die offen stehende Tür des gegenüberliegenden Zimmers. Es war größer als das von Christie und hatte einen Blick auf das Meer. Den Mittelpunkt bildete ein Doppelbett. Auch hier schien die Einrichtung noch im Originalzustand erhalten zu sein. Die Wände waren weiß, kleine Cameo-Porträts unterbrachen die hellen Flächen. In einer Fensternische stand eine kleine Polsterbank.

Erin kam aus dem Badezimmer. „Das Zimmer gefällt mir“, sagte sie. „Und die Aussicht ist grandios.“

„Haben Sie alles, was Sie brauchen?“

„Ja, danke. Kiki hat wirklich an alles gedacht.“

Er lächelte. „Ich habe manchmal den Verdacht, dass sie in ihrem früheren Leben ein General war. Manchmal macht mich das allerdings ein bisschen nervös, wie ich zugeben muss.“

Erin erwiderte sein Lächeln. Das Sonnenlicht ließ ihr Haar flammendrot leuchten. Sie trug einen roten Pullover zu verwaschenen Jeans, die ihre Rundungen mehr als nur ahnen ließen. Etwas in Parkers Innerem rührte sich, aber er blockte sofort ab. Seit Robins Tod hatte er jedes Interesse an Frauen unterdrückt.

„Hat Christie schon ausgepackt?“

„Sagen wir so: Der Koffer ist leer“, gab Parker trocken zurück.

„Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie es in ihrem Zimmer aussieht. Ich kümmere mich gleich darum.“

„Ich hoffe, dass Sie Ihre Ferien genießen. Hier in der Gegend kann man ziemlich viel unternehmen: wandern, Rad fahren … in der Stadt gibt es auch ein Kino. Wenn Sie ausgehen wollen, passe ich gern allein auf Christie auf.“

Erin bedachte ihn mit einem rätselhaften Blick. „Sie müssen sich nicht für meine Unterhaltung verantwortlich fühlen.“

Er beobachtete sie, als sie zwischen Koffer und Schrank hin- und herging. Sie hatte sehr anmutige Bewegungen, und vor allem ihr Hüftschwung hatte es ihm angetan. Was war nur mit ihm los? Hatte es damit zu tun, dass er seit fünf Jahren allein lebte und Erin gerade zufällig hier war? Im Grunde spielte es keine Rolle. Er hatte seine Lektion gelernt. Zu viel Nähe war gefährlich für ihn und die Menschen in seiner Umgebung.

Erin nahm eine teuer aussehende Kamera aus ihrem Koffer.

„Sie sind Fotografin?“

„Das ist mein Hobby.“

Er nahm die Kamera näher in Augenschein. „Eine beachtliche Ausrüstung für eine Hobbyfotografin“, stellte er fest.

„Ja, vermutlich.“

Er wartete noch einen Augenblick, aber als sie nichts mehr sagte, verließ er sie. Er wusste so gut wie nichts über Erin Ridgeway – aber zu seiner Überraschung hätte er das gern geändert.

Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen. In Christies Zimmer waren die Vorhänge zugezogen.

Sie lag im Bett. „Ich bin aber noch gar nicht müde“, behauptete sie schmollend.

Erin hatte Parker schon darauf vorbereitet, dass Christie mit allerlei Tricks versuchen würde, die Schlafenszeit so weit wie möglich hinauszuschieben. Er setzte sich zu ihr aufs Bett.

„Aber ich bin müde“, sagte er. „Schließlich habe ich einen aufregenden Tag hinter mir, der mir ein kleines Mädchen beschert hat.“ Er strich ihr über die Haare. „Und Millie schläft auch schon.“

„Puppen können gar nicht schlafen“, gab Christie mit der ganzen Überlegenheit ihrer vier Jahre zurück.

„Natürlich können sie das. Genau wie Blumen auch.“

Christie drehte sich auf den Rücken. „Blumen können schlafen?“, wiederholte sie ungläubig.

„Ja, natürlich. Und du solltest das jetzt auch tun, damit du morgen wieder fit bist.“

Christie gähnte ausgiebig. „Gute Nacht, Daddy.“ Die Augen fielen ihr schon zu.

„Gute Nacht.“ Er beugte sich über sie und küsste sie auf die Wange. Ihm wurde eng ums Herz.

Er hätte ewig hier sitzen und seiner Tochter beim Schlafen zusehen können. Aber Erin wartete draußen auf ihn. Leise stand er auf und verließ das Zimmer.

„Sie schläft schon.“

„Das dachte ich mir. Sie macht jedes Mal ein Theater und ist dann innerhalb von Sekunden eingeschlafen.“

Sie gingen nebeneinander die Treppe hinunter. „Sie sieht in dem großen Bett so winzig aus.“

Erin lachte. „Da haben Sie recht. Tagsüber kommt sie mir manchmal schon wie ein richtig großes Mädchen vor, und abends scheint sie dann zu schrumpfen.“

Sie lachten immer noch, als sie unten angelangt waren. Kiki kam gerade aus dem Esszimmer. Ihren Jogginganzug hatte sie gegen ein Rüschenkleid getauscht, die Sportschuhe gegen hochhackige Sandaletten.

„Na, wieder in romantischer Mission unterwegs?“, erkundigte Parker sich.

Kiki kümmerte sich gar nicht um ihn, sondern winkte nur und verschwand durch die Vordertür. Kurz darauf hörten sie einen Wagen davonfahren.

Parker wies auf die Terrasse. „Lust auf den Sonnenuntergang?“

„Ich – ja, gern.“

Sie machte einen etwas nervösen Eindruck. „Ein Glas Weißwein?“

„Ja, danke.“ Ihre braunen Augen waren groß und dunkel.

Parker ging in die Küche und holte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank.

Erin hatte sich zum Abendessen umgezogen und trug eine weich fallende weiße Bluse zu hellbraunen Stoffhosen. Ein Gürtel betonte ihre schmale Taille.

Parker stieß mit ihr an. „Auf Christie.“

„Auf Christie“, wiederholte Erin.

„Haben Sie sich schon ein wenig eingerichtet?“

„Ja.“

Über dem Horizont schwebte noch eine schmale goldene Sonnensichel. „Sie sind nervös“, stellte Parker fest.

„Merkt man das so deutlich?“

„Ich halte mich eigentlich für keinen sehr guten Beobachter. Wenn es also sogar mir auffällt, muss es so sein.“

Erin lachte und wurde dann wieder ernst. „Mir ist einfach immer noch nicht ganz klar, worauf ich mich einlasse.“

„Ich möchte, dass Sie sich hier wohl fühlen, Erin. Lassen Sie uns Freunde sein.“

Sie sah ihm in die Augen. „Ja, das wäre schön“, sagte sie leise.

Ein letzter Sonnenstrahl fiel auf ihr Gesicht. Sie sah wunderschön aus, fand er. Wie ein Geschöpf aus einer anderen Welt.

Sie setzte ihr Glas ab und faltete die Hände im Schoß. „Sie möchten sicher einiges über Christie erfahren.“

Vor allem wollte er wissen, ob es in Erins Leben einen Mann gab. Aber dann rief er sich zur Ordnung. Was hatte er davon, wenn er es wusste?

„Wer hat Christies Namen ausgesucht?“

„Stacey.“

„Sie …“ Parker zögerte. „Dafür hatte sie noch Zeit?“

Erin nickte. „Als der Anruf aus dem Krankenhaus kam, hatte ich gerade eine letzte Prüfung hinter mir und wollte nach Hause fahren. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich hatte ja nicht einmal gewusst, dass Stacey überhaupt schwanger war.“

„Sie müssen mir das nicht erzählen, wenn Sie nicht wollen.“

„Wollen Sie es lieber nicht wissen?“

Nein. Denn dann würden unweigerlich die Schuldgefühle kommen. Aber er konnte Erin nicht aufhalten, und so nickte er nur.

Erin holte tief Luft. „Als ich kam, lag sie schon im Sterben. Sie war so blass. Es hatte Komplikationen gegeben und …“ Parker sah sie wie gebannt an. „Stacey konnte mir noch sagen, dass ihr Töchterchen Christie heißen sollte. Sie …“ Erin schluckte. „Sie sagte, es täte ihr so leid für mich, dass sie mich belasten müsste. Aber sie hätte niemand anderen. Ich fragte sie, wer der Vater ist, aber sie wollte es mir nicht sagen.“ Erin machte eine kleine Pause. „Es war nicht Ihre Schuld“, sagte sie dann noch. „Niemand hatte Schuld. Es ist einfach passiert.“

Parker stand auf und ging zur Terrassenbrüstung. „Wie können Sie da so sicher sein? Sie waren in dem besagten Sommer nicht hier. Sie wissen nicht, was zwischen Ihrer Schwester und mir passiert ist.“

Erin ging zu ihm und gab ihm einen zusammengefalteten Bogen Papier. „Das ist ein Brief, den Stacey Ihnen geschrieben hat. Sie kam nicht mehr dazu, ihn abzuschicken.“

Er starrte lange auf den Brief, bevor er ihn endlich las. Ihm war, als hörte er dabei Staceys Stimme. Sie war höher und schneller als die von Erin gewesen. Intensiver, könnte man sagen.

Er wollte, er könnte sich für alles entschuldigen, was er an diesem Morgen zu ihr gesagt hatte. Dann hätte er ihr erklären können, dass sein Ärger in Wirklichkeit nicht gegen sie, sondern gegen ihn selbst gerichtet war.

Er wollte Erin den Brief zurückgeben, aber sie schüttelte den Kopf. „Es ist Ihrer. Stacey und ich haben uns immer ausgemalt, in welchem Haus wir am liebsten leben wollen. Stacey wünschte sich so ein Haus wie Ihres.“

„Woher wissen Sie das?“

„Aus ihrem Tagebuch. Da habe ich auch Ihren Namen gefunden. Das war allerdings erst vor ein paar Monaten.“

Was hatte Erin noch in dem Tagebuch gefunden? Er wagte nicht zu fragen.

Die Sonne war untergegangen, und der Himmel war in ein geheimnisvolles Zwielicht getaucht. Die ersten Sterne waren am Himmel aufgegangen.

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