Tango mit einem Traummann
Der stolze Argentinier Lazaro Marino hat alles erreicht – bis auf gesellschaftliche Anerkennung. Wie wäre es, wenn er Vanessa, blaublütige Erbin in finanziellen Nöten, zur Ehe verführt?
Der stolze Argentinier Lazaro Marino hat alles erreicht – bis auf gesellschaftliche Anerkennung. Wie wäre es, wenn er Vanessa, blaublütige Erbin in finanziellen Nöten, zur Ehe verführt?
„Du willst den halben Aktienbestand meiner Firma aufkaufen. Warum?“ Vanessa verstärkte den Griff um ihre silberfarbene Clutch und versuchte die aufsteigende Wut zu ignorieren, die der große, ganz in Schwarz gekleidete Mann in ihr weckte. Lazaro Marino. Ihre erste Liebe. Der erste Mann, der sie geküsst hatte. Der erste Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte und der nun anscheinend eine feindliche Übernahme plante.
Nachdem Lazaro sie flüchtig gemustert hatte, reichte er sein Champagnerglas der schlanken Blondine im Designerkleid zu seiner Linken, die für ihn offenbar nur eine Trophäe und eine Gespielin darstellte.
Sofort brannten Vanessa die Wangen. Wie schaffte er das nur? Dreißig Sekunden in seiner Gegenwart, und schon musste sie an Sex denken.
Schnell sah sie an ihm vorbei, doch noch immer spürte sie seinen Blick auf sich, und selbst nach all den Jahren brachte er ihr Blut in Wallung. Sie fühlte sich in jenen Sommer zurückversetzt, als sie sechzehn gewesen und jeden Morgen in der Hoffnung aufgewacht war, Lazaro an diesem Tag zu begegnen, dem Jungen, mit dem sie nicht einmal hatte sprechen dürfen.
Dem Jungen, der sie schließlich dazu bewogen hatte, gegen alle Regeln zu verstoßen.
Und dieser hatte sich nun zu einem Mann entwickelt, der ihren Puls immer noch zum Rasen brachte.
„Ms Pickett.“ Als Lazaro den Kopf neigte, fiel ihm eine Strähne seines schwarzen Haars in die Stirn. Es wirkte wie eine einstudierte Geste, die den Eindruck vermittelte, dass er gerade aus dem Bett kam und sich nur lässig mit den Fingern hindurchgefahren war, bevor er seinen Maßanzug übergestreift hatte.
Vanessa blinzelte nervös und riss sich zusammen. Sie war kein naiver Teenager mehr, der sich der Illusion hingab, dass ein Kuss gleichbedeutend mit Liebe war. Nein, Lazaro Marino übte keine Macht mehr auf sie aus.
Jetzt übte sie Macht aus. Und daran würde sie ihn erinnern.
„Sag bitte Vanessa zu mir“, erwiderte sie in geschäftsmäßigem Tonfall. „Schließlich sind wir alte Freunde.“
„Alte Freunde?“ Sein leises Lachen ließ sie erschauern. „So hätte ich es nicht genannt, aber wenn du meinst, Vanessa.“ Sein Akzent war nicht mehr so deutlich ausgeprägt wie vor zwölf Jahren, doch es klang immer noch ausgesprochen sinnlich, wenn Lazaro ihren Namen aussprach.
Und nun, mit dreißig, war er noch attraktiver als damals. Seine Züge waren markanter, seine Schultern breiter. Seine Nase wirkte ein wenig schiefer, was allerdings seine geheimnisvolle Aura verstärkte. Vanessa fragte sich, ob er sie sich bei einer körperlichen Auseinandersetzung gebrochen hatte. Früher war er sehr hitzig und leidenschaftlich gewesen – in jeder Hinsicht. Nur ein einziges Mal hatte er diese Leidenschaft bei ihr ausgelebt. Lazaro konnte mit einem Kuss besser lügen als die meisten anderen Männer mit tausend Worten.
Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück und versuchte dabei, sich äußerlich ruhig zu geben. „Können wir miteinander reden?“
Er zog eine Braue hoch. „Bist du denn nicht hier, um dich unters Volk zu mischen?“
„Nein, ich bin gekommen, um mit dir zu sprechen.“
Nun umspielte ein Lächeln seine Lippen. „Bestimmt hast du schon gespendet. Oder stand das heute Abend nicht ganz oben auf deiner Liste?“
Vanessa presste die Lippen zusammen. Am liebsten hätte sie der Blondine das Glas entrissen und ihm den Inhalt ins Gesicht geschüttet, aber deswegen war sie nicht hier.
Doch sie würde nicht zulassen, dass er es so darstellte, als wäre er ein Wohltäter und sie ein reicher Snob, der Wohltätigkeitsveranstaltungen nur besuchte, um sich am Buffet zu bedienen.
„Ich habe beim Hereinkommen einen Scheck ausgestellt“, erklärte sie. „Wir müssen uns unterhalten. Unter vier Augen.“ Sie blickte zu der Gruppe, zu der Lazaro gehörte. Darunter befanden sich viele schöne Frauen, von denen sie einige kannte. Frauen, mit denen sie keinen Umgang hatte pflegen dürfen. Geld war nicht gleichbedeutend mit Klasse, wie ihr Vater immer gesagt hatte, und so waren bestimmte Leute für sie tabu gewesen.
Lazaro hatte auch dazugehört. Allerdings hatte sie sich für eine Woche den Anordnungen ihres Vaters widersetzt.
„Hier entlang, querida .“ Lazaro legte ihr die Hand auf den Rücken, und sie spürte sie auf der nackten Haut, weil ihr Kleid so tief ausgeschnitten war.
Nur zu gut er erinnerte sie sich daran, wie er sie damals überall gestreichelt hatte. Wieder erschauerte sie und atmete auf, sobald sie in die kühle Abendluft trat.
Die Terrasse der Kunsthalle war von Lampions erleuchtet. Einige Pärchen standen etwas abseits und redeten leise miteinander oder genossen einfach nur das Alleinsein.
Für Vanessa war dies allerdings eine trügerische Idylle. Ihr Vater hätte niemals zugelassen, dass sie eine solche Veranstaltung besuchte. Er hatte stets größten Wert auf Diskretion gelegt, und sie hatte dieser Einstellung von ihm übernommen.
Doch sie musste mit Lazaro reden, denn die Zukunft von Pickett Industries stand auf dem Spiel.
Er lehnte sich gegen die steinerne Balustrade. „Du wolltest mich etwas fragen?“
Sie setzte eine unbeteiligte Miene auf. „Warum willst du den halben Aktienbestand kaufen?“
Nun lächelte er schwach. „Mich wundert, dass du es so schnell gemerkt hast.“
„Meine Aktionäre verkaufen plötzlich an drei verschiedene Unternehmen, die alle zu deinem Konzern gehören. Ich bin nicht dumm, Lazaro.“
„Vielleicht habe ich dich unterschätzt.“ Er blickte sie an, als würde er einen Wutausbruch erwarten, aber diese Genugtuung wollte sie ihm nicht verschaffen.
„Das interessiert mich nicht. Ich möchte nur wissen, warum jemand so viele Aktien kauft, um fast genauso viele Anteile wie meine Familie und ich zu besitzen.“
Jetzt wirkte sein Lächeln grausam. „Ist dir die Ironie daran nicht bewusst?“
„Welche Ironie?“
„Dass ein so traditionsreiches Unternehmen wie Pickett Industries so leicht von einem Neureichen übernommen werden kann. Ist das nicht der amerikanische Traum?“
Der Ausdruck in seinen Augen verriet so starke Emotionen, dass es ihr den Atem verschlug. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie vermutlich in eine Falle getappt war. Am liebsten hätte sie sich abgewandt und Lazaro zu vergessen versucht.
Aber das konnte sie nicht. Sie allein war dafür verantwortlich und musste die Angelegenheit regeln.
Alles hängt jetzt von dir ab, Vanessa. Ohne dich bricht alles zusammen.
Die Worte ihres Vaters klangen ihr in den Ohren und veranlassten sie zu handeln.
„Für dich ist das alles also nur ein Spaß?“, fragte Vanessa.
Lazaro lachte bitter. „Wenn es so wäre, hätte ich es nicht so weit gebracht, Vanessa. Ich habe alles aus eigener Kraft geschafft.“
Und zweifellos fühlte er sich ihr deshalb überlegen. Okay, sollte er sie deshalb ruhig verachten. Für sie war das Unternehmen eher eine Bürde, die sie allerdings bereitwillig trug. Sie hatte es für ihre Familie getan. Für ihren Vater und vor allem für Thomas. Denn ihr Bruder hätte das Vermächtnis gern erfüllt.
„Warum dann?“, hakte sie nach.
„Du weißt, dass Pickett vor dem Aus steht. In den letzten drei Jahren habt ihr nur rote Zahlen geschrieben.“
Die Standardantwort, mit der sie die Aktionäre immer beruhigt hatte, kam ihr leicht über die Lippen. „Das ist der normale Konjunkturzyklus. Viele unserer Kunden lassen ihre Autoteile jetzt in Billiglohnländern herstellen.“
„Das Problem ist vielmehr, dass Pickett Industries sich der Entwicklung nicht angepasst hat.“
„Wenn es wirklich so schlecht um das Unternehmen bestellt ist, warum willst du dann darin investieren?“
„Die Gelegenheit war günstig. Ich bin ein Mann, der die Gelegenheit immer beim Schopf packt.“
Ihr Magen krampfte sich zusammen, als Lazaro ihr tief in die Augen sah.
Sie musste unbedingt mehr aus ihm herausbekommen, denn ihre Situation war nahezu verzweifelt. Sie leitete ein Unternehmen, das vor dem Konkurs stand, und für Lazaro Marino war es nur eine günstige Gelegenheit.
„Und wie gedenkst du diese zu nutzen?“
„Ich könnte den Vorstand unter Druck setzen, damit er dich abwählt.“
Seine Worte schockierten sie und machten ihr Angst. Vanessa erstarrte, schaffte es allerdings, eine unbeteiligte Miene aufzusetzen. „Und warum solltest du das tun?“
„Weil du zu tief drinsteckst, Vanessa. Seit du Vorstandsvorsitzende bist, geht es mit dem Unternehmen bergab. Es wäre im Interesse der Aktionäre, jemanden zu haben, der weiß, was er tut.“
„Ich arbeite an einer Strategie.“
„Seit drei Jahren? Mich wundert, dass dein Vater die Leitung nicht schon längst wieder übernommen hat.“
Sie verspannte sich. „Das geht nicht. Der Vorstand hat damals auf einer Vereinbarung bestanden, um … Probleme zu vermeiden.“ Wenn ihr Vater gute Laune hatte, war er mit ihrer Arbeit zufrieden. Wenn nicht, hätte er sie ohne Bedenken selbst gefeuert. Keines der Mitglieder hatte den Angestellten und den Aktionären ein derartiges Risiko zumuten wollen.
Doch wenn das Blatt sich nicht wendete, wäre das noch das geringste Problem gewesen.
Sie hatte zwar Wirtschaftswissenschaften studiert, aber sie konnte keine Wunder bewirken, das war Vanessa selbst klar. Trotzdem hatte sie aus Pflichtbewusstsein und Loyalität gegenüber ihrer Familie und insbesondere ihrem Vater weitergemacht.
Thomas hingegen war immer eng mit der Firma verbunden gewesen. Thomas, ihr attraktiver, charmanter Bruder, der immer Zeit für sie gehabt und ihr viel Zuneigung entgegengebracht hatte. Er war der Einzige gewesen, der ihren Vater zum Lächeln hatte bringen können.
Und nun, da er nicht mehr da war, musste sie die Familientradition fortführen. Sie durfte seinen Traum nicht sterben lassen. Sie konnte ihrem Vater nicht zumuten, dass er das Einzige verlor, was ihm wirklich etwas bedeutete. Sie durfte nicht versagen, weil sie ihm nur in dieser Rolle wichtig war.
Ihr Urgroßvater hatte das Unternehmen mit dem Geld der Familie aufgebaut und dann an ihren Großvater weitergegeben, von dem ihr Vater es übernommen hatte. Thomas wäre der nächste gewesen.
Alles hängt jetzt von dir ab, Vanessa. Ohne dich bricht alles zusammen. Alles, wofür ich gearbeitet habe, alles, wovon Thomas geträumt hat.
Sie war dreizehn gewesen. In jener Nacht hatte sie die schwere Bürde des Familienerbes von ihrem Bruder übernommen. Sie wollte verdammt sein, wenn sie scheiterte!
„Heute ist es schwierig, mit den wirtschaftlichen Entwicklungen Schritt zu halten. Vieles wird in Billiglohnländer verlagert. Aber wir sind dazu verpflichtet, weiter hier produzieren zu lassen, um die Arbeitsplätze zu erhalten.“
„Das ist ziemlich idealistisch.“
Lazaro hatte recht. Von Anfang an war ihr klar gewesen, dass sie einen aussichtslosen Kampf führte. Aber sie wollte die Produktion nicht ins Ausland verlegen. Die meisten Angestellten arbeiteten schon seit mehr als zwanzig Jahren für das Unternehmen, und sie war für sie verantwortlich.
„Stimmt, aber momentan fällt mir nichts Besseres ein.“ Es fiel ihr schwer, ihre eigene Unzulänglichkeit einzugestehen.
„Als dein Hauptaktionär höre ich das nicht gern.“
Vanessa kniff die Augen zusammen. „Was willst du von mir, Lazaro?“
„Von dir? Nichts. Aber dass das Schicksal von Pickett Industries jetzt in meinen Händen liegt, verschafft mir eine enorme Genugtuung.“
„Dann sollte ich dich vielleicht fragen, ob es für dich etwas Geschäftliches oder eher etwas Privates ist.“
„Es ist rein geschäftlich. Aber es ist eine interessante Laune des Schicksals, stimmt’s? Früher lag meine Zukunft, die meiner Mutter, in den Händen deines Vaters. Er hat sie schlecht bezahlt, damit sie euch den Haushalt führt und Arbeiten verrichtet, die unter eurer Würde waren. Und nun könnte ich euer Unternehmen zehn Mal kaufen.“
Sie biss sich auf die Lippe. Natürlich war ihr Vater ein schwieriger Mensch. Doch er war der einzige Angehörige, den sie noch hatte. Und das Wichtigste für ihn waren das Ansehen ihrer Familie, die Firmentradition und sein Status als Stütze der Gesellschaft in Boston.
All das musste sie für ihn erhalten.
„Er ist nicht perfekt, aber er ist ein alter Mann … Pickett Industries bedeutet ihm alles.“ Und sie hatten schon zu viel verloren – Thomas, ihre Mutter.
Lazaro betrachtete Vanessa, in deren dunklen Augen ein unergründlicher Ausdruck lag. Das dezente Lipgloss betonte ihren verführerischen Mund. Ihr silberfarbenes Kleid betonte ihre fantastische Figur, ohne aufdringlich zu wirken, denn es war vorn hochgeschlossen und nur im Rücken tief ausgeschnitten. Auch äußerlich verkörperte sie all das, wofür sie stand. Sie entstammte dem Geldadel und wirkte kühl und beherrscht. Ja, so waren die Picketts. Zumindest in der Öffentlichkeit.
Vor zwölf Jahren hatte er eine ganz andere Vanessa Pickett kennengelernt. Und die konnte er nicht vergessen.
Lazaro riss sich zusammen. „Was ist wichtiger, Vanessa? Der Profit oder die Tradition?“
Für Michael Pickett war es vermutlich die Tradition. Er entstammte einer adeligen Familie und hatte in den Geldadel eingeheiratet. Von seiner Tochter erwartete er vermutlich, dass sie einen Mann aus denselben Kreisen ehelichte. Genau das zählte für Männer wie ihn. Keine harte Arbeit und ganz bestimmt keine Rechtschaffenheit. Nur die Wahrung des Scheins und ein Lebensstil, der genauso überholt war wie seine Geschäftsmethoden.
Als die Gelegenheit, die Aktien zu kaufen, sich ergab, hatte er, Lazaro, sie einfach ergreifen müssen, auch wenn er keine Vergeltung im Sinn hatte.
„Ich … Natürlich ist der Profit das Wichtigste, aber wir – meine Familie – sind Pickett Industries. Wir sind die Seele des Unternehmens. Ohne uns wäre es nicht mehr dasselbe.“
„Nein, natürlich nicht. Es wäre moderner. Dein Vater ist viel zu sehr der Tradition verhaftet. Und du hast seine Firmenpolitik übernommen. Sie ist völlig veraltet.“
Vanessa schluckte mühsam und verstärkte den Griff um ihre silberfarbene Clutch. „Ich weiß nicht, was ich sonst tun sollte“, erwiderte sie ausdruckslos.
Lazaro merkte, wie schwer ihr dieses Eingeständnis fiel. Allerdings überraschte es ihn nicht. Die Rolle der Vorstandsvorsitzenden hatte nie zu ihr gepasst. Mit sechzehn war sie ein süßer Teenager gewesen – zumindest hatte er sie so gesehen. Sie war oft in dem großen Pool geschwommen. Das Bild, wie sie sich in ihrem pinkfarbenen Bikini auf einem Liegestuhl sonnte, hatte sich ihm für immer ins Gedächtnis gebrannt.
Sie war von Anfang an fasziniert von ihm gewesen, dem Jungen, der für ihren Vater den Rasen gemäht hatte. Er hatte ihre sehnsüchtigen Blicke bemerkt und sie als eine Art Rebellion gedeutet. Die Tochter von Michael Pickett hatte sich zu einem armen Jungen aus einer Einwandererfamilie hingezogen gefühlt, von dem sie Welten trennten. Es war geradezu lächerlich gewesen.
Noch lächerlicher war jedoch gewesen, dass sein Herz allein beim Gedanken an sie schneller geschlagen und er sich darauf gefreut hatte, das Unkraut in den Beeten zu jäten, um einen Blick auf die Prinzessin im Turm erhaschen zu können.
Er war ein Narr gewesen, denn sie hatte nur mit ihm gespielt. Das hatte sie ihm an jenem Abend begreiflich gemacht, als sie ihn zurückgewiesen hatte. Und in derselben Nacht war er bäuchlings und mit gebrochener Nase auf der Straße aufgewacht, und einer der von ihrem Vater engagierten Schläger hatte ihm geraten, sich von ihr fernzuhalten.
Für ihn und seine Mutter hatte das den Abstieg bedeutet. Und während er sich ganz an die Spitze gearbeitet hatte, hatte seine Mutter keine Chance mehr bekommen. Unwillkürlich ballte Lazaro die Hände zu Fäusten, um die blinde Wut zu unterdrücken, die immer in ihm aufstieg, wenn er an sie dachte.
Er rief sich ins Gedächtnis, wie weit er es gebracht hatte und welche Macht er jetzt besaß. Und dennoch wäre er in Michael Picketts Augen selbst heute nicht gut genug für Vanessa gewesen. Er hätte jede Frau haben können und hatte genau das jahrelang ausprobiert, ohne sich noch an irgendwelche Gesichter oder Namen erinnern zu können. Vanessa hingegen konnte er nicht vergessen. Ganz deutlich erinnerte er sich an ihre Küsse, während weitaus erotischere Begegnungen längst verblasst waren.
Alles, was mit ihr zusammenhing, hatte sich ihm für immer ins Gedächtnis gebrannt. Es hatte ihm gezeigt, dass er immer das Opfer sein würde, wenn er blieb, wo er war – das Opfer derjenigen mit Geld und Macht, die eine Handvoll Schläger bezahlen konnten, um einen Achtzehnjährigen krankenhausreif prügeln zu lassen und eine alleinerziehende Mutter einfach auf die Straße zu setzen. Er hatte sich geschworen, nie wieder das Opfer zu sein.
Er hatte mehr Geld verdient, als er sich je erträumt hätte. Allerdings verfügte er nicht über die absolute Macht, die man nur ausübte, wenn man in bestimmten Kreisen verkehrte. Diese konnte man nicht mit Geld kaufen.
Für Außenstehende mochte es so aussehen, als hätte er es bis an die Spitze geschafft, aber das war eine Illusion. Noch immer fehlte ihm, was Vanessa hatte, was ihr Vater hatte und was die beiden immer haben würden, selbst wenn das Unternehmen bankrottging. Eine adelige Herkunft. Einen Stammbaum, den man über Jahrhunderte zurückverfolgen konnte. Er hingegen kam aus einem Elendsviertel in Argentinien, war von seiner unverheirateten Mutter großgezogen worden und wusste nicht, wer sein Vater war.
Lazaro presste die Lippen zusammen und versuchte die Erinnerungen zu verdrängen, die Vanessas Erscheinen geweckt hatte. „Ich kann das Unternehmen vor dem Ruin bewahren. Und ich weiß auch, was ich tun muss.“
Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Ach ja?“
„Natürlich. Ich habe ein Vermögen damit verdient, Firmen zu sanieren, wie du sicher weißt.“
„Da Forbes ständig über dich berichtet, müsste ich blind sein, um es nicht gelesen zu haben.“
„Ich kann den Karren aus dem Dreck ziehen.“ Plötzlich hatte er eine neue Idee, die ihm einen Adrenalinstoß verschaffte.
„Indem du einen neuen Vorstandsvorsitzenden wählen lässt.“
„Oder auch nicht.“
„Gibst du jetzt den Wohltäter? Das kaufe ich dir nicht ab.“
Sein Puls beschleunigte sich. Das war es. Mit ihrer Hilfe würde er Zugang zu den Kreisen bekommen, in denen er die entscheidenden Kontakte knüpfen konnte. Dies war seine Chance, endlich mit den Leuten zu verkehren, die ihm zu Macht verhelfen würden.
Außerdem würde es ihm eine enorme Genugtuung verschaffen, wenn er Michael Pickett alles wegnahm, was diesem etwas bedeutete. Pickett Industries und seine einzige Tochter. Auf diese Weise konnte er sich an dem Mann rächen, der dafür gesorgt hatte, dass seine Mutter und er in seinen Kreisen keinen Job mehr bekommen hatten und obdachlos gewesen waren. Dem Mann, der dafür verantwortlich war, dass es ihr gesundheitlich immer schlechter gegangen war, bis sie irgendwann, ihrer Würde beraubt und völlig mittellos, in einem Obdachlosenheim gestorben war.
Wieder musste Lazaro sich zusammenreißen, um die aufsteigende Wut zu unterdrücken. Er war risikobereit und traf mit kühlem Kopf spontane Entscheidungen. Das war das Geheimnis seines Erfolges.
Und Vanessa würde ihm zu seinem größten Triumph verhelfen.
Schon oft hatte er überlegt, welche Vorteile es hätte, eine Frau aus dem Geldadel zu heiraten, um gesellschaftlich aufzusteigen. Aber immer wenn er an die Ehe dachte und mit dem Gedanken spielte, nach einer passenden Partnerin Ausschau zu halten, hatte er Vanessa in ihrem pinkfarbenen Bikini vor seinem inneren Auge vor sich gesehen.
Umso mehr faszinierte ihn nun die Vorstellung, sie zu heiraten. Es war die Chance, all seine Bedürfnisse zu befriedigen. Er konnte an die Spitze zu gelangen und sein Verlangen nach ihr stillen.
Als er sich vorstellte, wie er mit Vanessa im Bett lag und sie ihn streichelte und küsste, loderte heißes Verlangen in ihm auf. Endlich würde er die Begierde stillen können, die ihn jede Nacht quälte und in diesem Moment jeden klaren Gedanken zunichtemachte.
Er wollte Vanessa. Zwölf Jahre lang hatten seine Rachegelüste und sein ungestilltes Verlangen ihn gequält.
Und jetzt würde er sie bekommen.
„Ich werde dir helfen, Vanessa“, sagte Lazaro und sah ihr dabei unverwandt in die Augen. „Unter einer Bedingung.“
Daraufhin hob sie das Kinn. „Nenn mir deinen Preis.“
Er machte einen Schritt auf sie zu und umfasste ihr Kinn. Das starke Knistern zwischen ihnen schockierte ihn.
„Du musst mich heiraten.“
„Bist du verrückt?“ Vanessa blickte über die Schulter, um sich zu vergewissern, ob jemand sie beobachtete. Sollte ihr Vater von diesem Treffen erfahren, würde er ihr die Leitung der Firma entziehen, den Vertrag zerreißen und sich von ihr lossagen.
„Keinesfalls“, erwiderte Lazaro. „Hast du noch nie etwas von einer Zweckehe gehört?“
Wider wich sie einen Schritt zurück. Das Blut rauschte ihr in den Ohren. Natürlich wusste sie, was eine Zweckehe war. Doch in ihrem tiefsten Inneren war sie immer noch die romantisch veranlagte Sechzehnjährige, die an die Liebe glaubte und um ihrer selbst willen geliebt werden wollte und nie eine Zweckehe eingehen würde.
Ihren Vater interessierte das alles nicht. Wenn es nach ihm ging, würde sie mit Craig Freeman vor den Altar treten, einem Mann, den sie kaum kannte. Das war schon seit Jahren beschlossene Sache.
Da sie studiert und dann die Firma übernommen hatte, hatte sie sich bisher erfolgreich vor der Ehe drücken können. Davor hatte sie fast alle Abteilungen von Pickett Industries durchlaufen und so keine Zeit für ein Rendezvous, geschweige denn für eine Beziehung gehabt.
Seit einigen Monaten bestand ihr Leben nur noch aus Arbeit und Schlafen, und sie musste Tabletten nehmen, weil ihr der Stress auf den Magen schlug.
„Natürlich weiß ich, was eine Zweckehe ist. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich auch eine eingehen will“, entgegnete Vanessa. „Schon gar nicht mit dir.“
„Glaubst du etwa, ich möchte heiraten und mich für immer an eine Frau binden? Mir ist schon lange klar, dass ich eine geeignete Verbindung eingehen muss, um gesellschaftlich aufzusteigen. Und gerade ist mir bewusst geworden, dass du die perfekte Partnerin bist.“