×

Ihre Vorbestellung zum Buch »Tausche mich, nehme dich«

Wir benachrichtigen Sie, sobald »Tausche mich, nehme dich« erhältlich ist. Hinterlegen Sie einfach Ihre E-Mail-Adresse. Ihren Kauf können Sie mit Erhalt der E-Mail am Erscheinungstag des Buches abschließen.

Tausche mich, nehme dich

Drei gescheiterte Beziehungen innerhalb eines Jahres. Eine Karriere, die den Bach runtergeht ganz klar, da muss ein neuer Anfang her. Also beschließt Dani Buchanan, alles hinter sich zu lassen und sich auf die Suche nach ihrem biologischen Vater zu machen. Mit einem Senator mitten im Wahlkampf um das Präsidentenamt hätte sie jedoch nicht gerechnet. Und auch nicht mit seinem attraktiven, aber arroganten Wahlkampfmanager Alex Canfield. Gleich bei ihrer ersten Begegnung fliegen die Fetzen und nach und nach auch die Funken.


  • Erscheinungstag: 20.02.2019
  • Aus der Serie: Die Buchanans
  • Bandnummer: 4
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955769833
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es ist ganz einfach“, sagte der Mann im teuren Designeranzug zu Dani Buchanan, „Sie werden keine Gelegenheit haben, den Senator zu sprechen, bevor Sie mir nicht verraten haben, warum Sie hier sind.“

„Leider vereinfacht dieser Hinweis rein gar nichts“, murmelte Dani in sich hinein. Sie war gleichermaßen eingeschüchtert wie aufgeregt und hatte ein äußerst flaues Gefühl im Magen. Ihr Anliegen hatte sie bereits einer Empfangssekretärin und zwei Assistentinnen mitgeteilt, und nun, da sie die Tür von Mark Canfields Büro am Ende des langen Korridors immerhin schon sehen konnte, hatte sich ihr dieser große Kerl mit dem entschlossenen Blick in den Weg gestellt.

Sie überlegte, ob sie sich einfach an ihm vorbeidrängeln sollte, aber er war ziemlich groß – was auf sie selbst so gar nicht zutraf. Ganz zu schweigen von dem Umstand, dass sie heute ein Kleid und Schuhe mit ziemlich hohen Absätzen trug, was beides höchst ungewöhnlich für sie war. Das Kleid wäre nicht das Problem gewesen, aber diese Schuhe brachten sie fast um. Die Schmerzen in den Fußballen wären noch auszuhalten gewesen, aber wie sollte ein Mensch es schaffen, sich auf diesen Dingern im Gleichgewicht zu halten? Wenn sie versuchte, sich auf ihnen auch nur geringfügig schneller fortzubewegen, würde sie sich höchstwahrscheinlich einen Knöchel brechen.

„Bei mir ist Ihr Anliegen in guten Händen. Sie können mir vertrauen“, sagte der Mann. „Ich bin Anwalt.“ Er hatte es tatsächlich geschafft, bei seiner Aussage keine Miene zu verziehen.

Dani lachte. „Seit wann gilt das als ein vertrauenerweckender Beruf?“

Um seinen Mund zuckte es, als müsste er sich ein Lächeln verkneifen. Ein gutes Zeichen, dachte Dani. Vielleicht ließ sich mit weiblichem Charme an diesem Typen vorbeikommen. Besonders gut war sie zwar nie darin gewesen, mit Charme bei Männern etwas zu erreichen, doch viele andere Möglichkeiten hatte sie im Moment nicht. Sie würde also so tun müssen, als sei sie charmant.

Dani holte tief Luft und warf den Kopf in den Nacken. Doch da sie ihr Haar kurz trug, fiel es ihr leider nicht effektvoll aus dem Gesicht und über die Schulter. Was bedeutete, dass der alte Trick, Männer auf diese Weise mit kokettem Charme zu bezaubern, bei ihr schon mal nicht klappte. Gut, dass sie sich geschworen hatte, keinen Mann mehr wirklich an sich heranzulassen.

„Betrachten Sie mich als den Drachen, der das Tor bewacht“, sagte der Mann. „Sie kommen nicht an mir vorbei, wenn Sie mir nicht den Grund Ihres Besuchs verraten.“

„Hat Ihnen niemand gesagt, dass Drachen ausgestorben sind?“

Nun lächelte er doch. „Ich bin der lebende Beweis, dass sich diese Gattung bester Gesundheit erfreut.“

Na fein, dachte sie. Dieser Typ war offenbar eine harte Nuss. Er hatte ein nettes, attraktives Gesicht, sodass man bei seinem Anblick nicht sofort vor Schreck erstarrte. Doch so schön, dass er es nicht nötig hatte, an seinem Charakter zu arbeiten, war er nun auch wieder nicht. Aber er hatte mörderisch blaue Augen. Und ein ausgeprägtes Kinn, das auf Starrköpfigkeit schließen ließ.

„Ich bin in einer Privatangelegenheit hier“, sagte sie und war sich gleichzeitig bewusst, dass ihm das als Erklärung nicht reichen würde. Aber sie musste es zumindest versuchen. Was sollte sie sonst sagen? Dass sie vor Kurzem entdeckt hatte, dass sie doch nicht der Mensch war, der sie immer gedacht hatte zu sein, und dass die Antworten auf ihre Fragen hier in diesem Gebäude zu finden waren?

Das Gesicht des Drachenmanns nahm energische Züge an, und er verschränkte die Arme vor der Brust. Dani hatte sofort das Gefühl, als mustere er sie abschätzig. Seine Geste war eindeutig eine Zurückweisung.

„Das glaube ich nicht“, erwiderte ihr Gegenüber scharf. „Diese Art von Spielchen spielt der Senator nicht. Sie verschwenden nur Ihre Zeit. Verschwinden Sie.“

Dani starrte ihn entgeistert an. „Wie bitte?“ Was dachte sich dieser Typ eigentlich? Oh! „Sie glauben, ich meine, dass der Senator und ich ...“ Sie verzog angewidert das Gesicht. „Nein, um Gottes willen ...“ Rasch wich sie einen Schritt zurück, was in Anbetracht ihrer Schuhe ein gefährliches Unterfangen war – doch sie hatte keine andere Wahl. Sie musste sich distanzieren. „Dieser Gedanke ist zu abwegig, um ihn auszusprechen.“

„Warum?“

Sie seufzte. „Weil ich möglicherweise seine Tochter bin.“ Nicht nur möglicherweise, sonst hätte sie kein so flaues Gefühl im Magen gehabt.

Mister Designer verzog keine Miene. „Sie wären besser beraten, wenn Sie behaupteten, Sie hätten mit ihm geschlafen. Das würde ich Ihnen eher abnehmen.“

„Wer sind Sie eigentlich, dass Sie sich ein Urteil darüber erlauben, was Mark Canfield vor 28 Jahren gemacht hat und was nicht?“

„Ich bin sein Sohn.“

Dani horchte auf. Sie wusste alles über die große Familie des Senators. „Dann nehme ich an, Sie sind Alex?“

Der Drachenmann nickte.

Interessant. Nicht, dass sie und der älteste Sohn des Senators blutsverwandt gewesen wären. Mark Canfield und seine Frau hatten alle ihre Kinder – inklusive Alex – adoptiert. Doch sie selbst und Alex gehörten eben möglicherweise trotzdem zur selben Familie.

Dani war nicht sicher, was sie empfinden sollte. Das Verhältnis zu ihrer eigenen Familie, in der sie aufgewachsen war, gestaltete sich schon schwierig genug. Wollte sie sich wirklich noch mehr komplizierte Familienangelegenheiten aufhalsen?

Anscheinend schon, dachte sie. Sonst wäre sie wohl nicht hierher gekommen.

Der brennende Wunsch zu wissen, wohin sie gehörte, wer ihr leiblicher Vater war, war am Ende stärker gewesen. Falls Mark Canfield wirklich ihr Vater war, wollte sie ihn kennenlernen, und niemand würde sich ihr dabei in den Weg stellen. Nicht einmal sein Adoptivsohn.

„Ich war bereits sehr geduldig mit der Sekretärin und den beiden Assistentinnen. Wenn schon sonst nichts zählt, bestehe ich auf das Recht als Bürgerin und Wählerin, meinen Senator zu sprechen. Also machen Sie mir bitte den Weg frei, bevor ich hier einen Aufstand machen muss.“

„Wollen Sie mir drohen?“, fragte Alex. Er klang beinahe amüsiert.

„Hätte ich Erfolg damit?“

Er musterte sie langsam von oben bis unten. In den letzten sechs Monaten hatte Dani gelernt, dass es für sie nichts Gutes bedeutete, wenn ein Mann sie interessiert ansah. Es endete unweigerlich in einer Katastrophe. Doch obwohl sie den Männern abgeschworen hatte, spürte sie deutlich, dass sein Blick auf ihrem Körper sie nicht ganz kalt ließ.

„Nein, aber es könnte durchaus noch amüsant werden“, erwiderte er.

„So eine Antwort können nur Männer geben.“

„Warum? Sind Männer etwas Negatives?“

„Haben Sie eine Ahnung! Also, Drachenjunge, geh mir aus dem Weg. Ich möchte Mr. Canfield sprechen.“

„Drachenjunge?“

Diese belustigte Frage kam nicht aus dem Mund des Mannes vor ihr. Dani drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, und sah genau den Mann in einer der Türen stehen, den sie noch nie getroffen hatte, der ihr aber durchaus vertraut war.

Sie kannte Senator Canfield aus dem Fernsehen. Und sie hatte ihn sogar gewählt. Doch er war nie mehr als ein Politiker für sie gewesen. Nun allerdings stand er nur ein paar Schritte entfernt vor ihr, und darüber hinaus war es sehr gut möglich, dass er ihr Vater war.

Sie klappte den Mund auf und wieder zu. Sie fand keine Worte, und ihr Kopf war wie leer gefegt.

Der Senator trat zu ihnen. „Bist du der Drachenjunge, Alex?“, fragte er.

Alex zuckte die Achseln. Er schien sich leicht unbehaglich zu fühlen. „Ich habe ihr gesagt, dass ich der Drache bin, der das Tor bewacht.“

„Du machst deine Sache wirklich gut.“ Der Senator legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Und diese junge Dame macht also Probleme?“ Er wandte sich an Dani und lächelte. „Sie sehen nicht sonderlich bedrohlich aus.“

„Das bin ich auch nicht“, schaffte Dani zu erwidern.

„Sei dir dessen nicht so sicher, Dad“, sagte Alex.

Dani warf ihm einen wütenden Blick zu. „Sie sind gerade ein bisschen vorschnell in Ihrem Urteil. Wir kennen uns noch nicht besonders gut.“

„Sie wollen mit Ihren lächerlichen Behauptungen doch nur Unruhe stiften.“

„Warum lächerlich? Das wissen Sie doch gar nicht so genau.“

„Wissen Sie es denn genau?“

Der Senator sah beide an. „Soll ich vielleicht später wieder kommen? Würde euch das besser passen?“

Dani ließ Alex links liegen und wandte sich dem Senator zu. „Es tut mir leid, dass ich hier so hereinplatze. Ich habe mehrmals versucht, einen Termin bei Ihnen zu bekommen, aber alle fragen mich immer nach dem Grund, und den kann ich niemandem sagen. Ich ...“

Das Ausmaß dessen, was sie gerade im Begriff war zu tun, wurde ihr plötzlich so richtig bewusst. Unmöglich, einfach so mit etwas herauszuplatzen, das sie selbst erst kürzlich erfahren hatte. Dass er nämlich vor 28 Jahren eine Affäre mit ihrer Mutter gehabt hatte und sie selbst das Ergebnis davon war. Er würde ihr niemals glauben. Warum sollte er?

Mark Canfield sah sie an. „Sie kommen mir bekannt vor“, sagte er stirnrunzelnd. „Haben wir uns schon einmal irgendwo getroffen?“

„Passen Sie auf, was Sie jetzt sagen“, warnte Alex Dani. „Legen Sie sich nicht mit mir an.“

Sie beachtete ihn nicht. „Das haben wir nicht, Senator, aber sie kannten meine Mutter – Marsha Buchanan. Ich sehe ihr ich ein bisschen ähnlich. Na ja, ich bin ihre Tochter. Und vielleicht auch Ihre, wenn ich dem glauben kann, was man mir erzählt hat.“

Mark Canfield verzog keine Miene. Das musste wohl an all diesen Politikertrainings liegen, vermutete Dani. Was sie selbst gerade empfand, konnte sie gar nicht sagen. Hoffnung? Panik? Das Gefühl, als stünde sie gerade am Rand eines Abgrunds und wüsste nicht, ob sie springen sollte?

Innerlich machte sie sich auf eine Zurückweisung gefasst. Es war verrückt zu glauben, dass der Senator einfach akzeptieren würde, was sie ihm gerade eröffnet hatte.

Schließlich lächelte Mark Canfield. „Ich erinnere mich sehr gut an Ihre Mutter. Sie war ...“ Er brach ab. „Wir sollten uns unterhalten. Kommen Sie in mein Büro.“

Ehe Dani auch nur einen Schritt tun konnte, hatte sich Alex vor ihr aufgebaut. „Das kannst du nicht machen“, sagte er an den Senator gewandt. „Du kannst nicht einfach unter vier Augen mit ihr reden. Woher willst du wissen, dass sie nichts mit der Presse zu tun hat? Oder mit der Opposition? Die ganze Sache könnte eine Falle sein.“

Mark sah erst Alex an, dann Dani. „Ist es eine Falle?“, fragte er sie.

„Nein. Ich habe einen Ausweis bei mir, Sie können mich gern überprüfen lassen, wenn Sie wollen.“ Die letzte Bemerkung war für Alex bestimmt.

„Das werde ich“, sagte er kühl und streckte seine Hand aus.

„Sie erwarten von mir, dass ich Ihnen meinen Ausweis jetzt gleich gebe?“, fragte sie unsicher, weil sie nicht recht wusste, ob sie beeindruckt von seiner Professionalität sein oder ihn lieber mit ihren spitzen Schuhen ans Schienbein treten sollte.

„Sie möchten mit dem Senator sprechen. Sehen Sie es einfach als Sicherheitsmaßnahme.“

„Ich glaube nicht, dass das nötig ist“, sagte Mark ruhig. Doch er machte keine Anstalten, Alex abzuhalten.

Dani kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Portemonnaie und zog ihren Führerschein heraus.

„Sie haben nicht zufällig Ihren Reisepass dabei?“, fragte Alex.

„Nein, aber vielleicht möchten Sie meine Fingerabdrücke nehmen?“

„Das mache ich später.“

Dani hatte den Eindruck, dass er es nicht ironisch meinte.

Mark schaute langsam von einem zum anderen und fragte dann: „Seid ihr beide nun fertig?“

Dani zuckte die Achseln. „Fragen Sie den Drachenjungen.“

Alex nickte. „Ich stoße dann zu euch, sobald ich einem der IT-Leute das hier gegeben habe.“ Er wedelte mit Danis Führerschein hin und her.

„IT-Leute?“, fragte Dani, während sie dem Senator in sein Büro folgte.

„Informationstechnologie. Sie würden staunen, was die Jungs mit einem Computer alles machen können.“ Er lächelte und schloss die Tür hinter ihr. „Oder vielleicht nicht. Sie kennen sich wahrscheinlich selbst mit Computern sehr gut aus. Ich wünschte, ich könnte das auch von mir sagen, aber ich weiß gerade so viel, wie ich wissen muss, um arbeiten zu können. Und ich muss gelegentlich immer noch Alex zu Hilfe holen, damit er mir aus der Klemme hilft.“

Er ging zu einer Besprechungsecke im hinteren Teil des Büros. Dort standen zwei nicht mehr ganz neue Sofas, ein paar Stühle und ein Couchtisch, der so aussah, als hätte er in einem Studentenwohnheim schon gute Dienste geleistet.

„Nehmen Sie bitte Platz“, sagte Mark Canfield.

Sie setzte sich auf die Kante eines der Sofas und sah sich um.

Der Raum war groß und hatte hohe Wände, aber keine Fenster. Kein Wunder, denn die gesamten Räumlichkeiten für die Wahlkampagne waren in einem Gebäude untergebracht, das aus ehemaligen Lagerhallen bestand. Alles, was sie bisher gesehen hatte, deutete darauf hin, dass der Senator nicht viel Geld für Äußerlichkeiten verschwendete. Der Schreibtisch war alt und zerkratzt, und die einzigen Farbtupfer an den Wänden waren großformatige Landkarten von den verschiedenen Regionen des Staates.

„Kandidieren Sie wirklich für das Amt des Präsidenten?“, fragte sie. Dass jemand, den sie eben erst kennengelernt hatte, so etwas tatsächlich tun könnte, kam ihr mehr als nur erstaunlich vor. Es war vollkommen bizarr.

„Wir sondieren noch die Möglichkeiten“, erklärte er, während er in einem Stuhl ihr gegenüber Platz nahm. „Hier haben wir uns jedenfalls nicht auf Dauer eingerichtet. Wenn meine Kampagne sich als vielversprechend erweist, werden wir in andere Räumlichkeiten umziehen – aber warum sollen wir jetzt für solche Dinge viel Geld ausgeben, wenn es nicht unbedingt sein muss?“

„Guter Punkt.“

Er beugte sich vor und stützte sich mit den Unterarmen auf seine Knie. „Ich kann es nicht fassen, dass Sie Marshas Tochter sind. Wie lange ist das her? 30 Jahre?“

„28“, sagte Dani und spürte, wie sie errötete. „Obwohl es für Sie eher vor 29 Jahren war.“

Er nickte langsam. „Ich erinnere mich gut daran, als ich Marsha das letzte Mal gesehen habe. Wir waren zum Essen in der Stadt verabredet, und ich weiß noch genau, wie sie ausgesehen hat. Wunderschön.“

Seine Augen waren nun ganz dunkel. So, als wäre er tief in genau der Vergangenheit versunken, zu der Dani so viele Fragen hatte. Aber nun verließ sie der Mut, ihm diese Fragen tatsächlich zu stellen.

Mark war damals nicht verheiratet gewesen, ihre Mutter hingegen schon. Dani konnte sich kaum an ihre Eltern erinnern. Von dem Mann, den sie immer für ihren Vater gehalten hatte – zumindest bis zu jenem Zeitpunkt, als sie herausgefunden hatte, dass es nicht so war – hatte sie nur mehr ein verschwommenes Bild.

Dennoch dachte sie oft über ihn nach und fragte sich, wann ihre Mutter aufgehört hatte, ihn zu lieben, und ob Mark Canfield dabei eine entscheidende Rolle gespielt hatte.

„Ich habe nie erfahren, warum sie damals Schluss gemacht hat“, sagte Mark leise. „Ein paar Tage nach diesem gemeinsamen Essen hat sie mich angerufen und mir mitgeteilt, dass sie mich nicht mehr treffen kann. Sie wollte mir nicht sagen, warum. Ich habe danach versucht, sie zu erreichen, aber sie hatte ihre Jungs genommen und ist weggezogen. In einem Brief hat sie mir später geschrieben, dass unsere Beziehung für sie endgültig zu Ende sei. Sie wollte, dass ich mein Leben weiterlebe und jemanden finde, mit dem ich eine ernsthafte Beziehung aufbauen kann.“

„Sie ist weggezogen, weil sie mit mir schwanger war“, sagte Dani.

Die ganze Situation hatte etwas Surreales an sich, dachte sie. Sie hatte sich oft gefragt, wie die erste Begegnung mit Mark verlaufen würde, doch jetzt, da es so weit war, kam es ihr beinahe unwirklich vor.

„Das hatte ich vermutet“, sagte er.

„Heißt das also, dass Sie tatsächlich mein leiblicher Vater sind?“

Ehe Mark antworten konnte, ging die Tür zu seinem Büro auf und eine Frau trat ein. Sie sah Dani kurz an und wandte sich dann an Mark.

„Mr. Wilson ist am Telefon, Senator. Er sagt, es wäre dringend und Sie wüssten schon, worum es sich handelt.“

Mark schüttelte den Kopf. „Seine Definition von ‚dringend‘ ist nicht dieselbe wie meine, Heidi. Sagen Sie ihm bitte, ich rufe später zurück.“

Heidi, eine attraktive Frau Anfang vierzig, nickte und verließ das Büro.

Mark wandte sich wieder an Dani. „Ich denke, es ist sehr wahrscheinlich, dass ich Ihr richtiger Vater bin.“

Die Unterbrechung wegen des Telefonats hatte Dani aus dem Konzept gebracht. Sie brauchte einen Moment, um ihre aufgewühlten Gefühle zu sortieren. Der Senator allerdings schien die Angelegenheit sehr gelassen zu nehmen.

„Sie haben also gar nichts von meiner Existenz gewusst?“, fragte sie.

„Ihre Mutter hat mir nichts gesagt und ich habe einfach nicht sicher gewusst, dass sie schwanger ist.“

Und wenn er es gewusst hätte? Doch bevor Dani ihm diese Frage stellen konnte, ging die Tür auf und Alex kam herein.

„Ich habe anhand des Führerscheins das Strafregister prüfen lassen“, sagte er, während er näher kam. Dann blieb er direkt vor Dani stehen und sah auf sie hinunter. „Keine Vorstrafen.“

„Sie wollen sagen, dass meine Verurteilung wegen des Banküberfalls letzte Woche noch nicht aktenkundig ist? Was ist die Regierung derzeit aber auch langsam ...“

„Ich finde die Situation nicht besonders witzig“, entgegnete Alex.

Dani stand auf. Trotz der gefährlich hohen Absätze war sie immer noch gute 15 Zentimeter kleiner als er. „Glauben Sie etwa, dass ich dies hier witzig finde? Ich habe mein ganzes Leben lang gedacht, ich sei die, die ich bin, und plötzlich stellt sich heraus, dass ich vielleicht jemand ganz anderes bin. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie man sich dabei fühlt? Entschuldigen Sie bitte, dass ich mit der Suche nach meinem Vater Ihren Terminplan durcheinanderbringe.“

Sie war wütend. Alex sah das Funkeln in ihren Augen. Außerdem hatte sie Angst. Sie versuchte zwar, es zu verbergen, doch es war deutlich zu erkennen – zumindest für ihn. Als er selbst noch sehr jung gewesen war, hatte er erfahren, wie es sich anfühlte, in ständiger Angst zu leben. Die Fähigkeit, dieses Gefühl auch bei anderen wahrzunehmen, hatte er nie verloren.

Aber war sie wirklich diejenige, die sie behauptete zu sein? Der Zeitpunkt, den sie für ihr Auftauchen gewählt hatte, machte ihn noch misstrauischer, als er ohnehin schon war. Und er war von Natur aus und aus Erfahrung ein misstrauischer Mensch. Wenn jemand sein Vertrauen gewinnen wollte, musste er es sich verdienen, und wenn jemand es missbrauchte, dann gab es keine zweite Chance. Alex bezweifelte, dass es irgendetwas gab, was Dani Buchanan tun konnte, damit er ihr vertraute.

Er betrachtete sie, um zu sehen, ob sie dem Senator ähnlich war. Ja, es gab Ähnlichkeiten – die Art, wie sie lächelte etwa, oder die Form ihres Kinns. Aber wie viele einander absolut fremde Menschen sahen einander ähnlich? Vielleicht hatte sie irgendwo von der Affäre des Senators mit Marsha Buchanan gehört und beschlossen, diese Information zu ihrem Vorteil zu nutzen.

„Wir müssen einen DNA-Test machen“, sagte er.

„Das sehe ich auch so“, stimmte Dani zu und sah ihn selbstbewusst an. „Ich möchte Gewissheit haben.“

„Ich bin mir sicher“, sagte Mark und erhob sich. „Aber der Test wird es uns in jedem Fall bestätigen. In der Zwischenzeit möchte ich, dass wir uns besser kennenlernen, Dani.“

Danis Lächeln war gleichzeitig erwartungsvoll und ein wenig verzagt. „Das möchte ich auch. Wir könnten vielleicht gemeinsam Mittagessen.“

„Keine Treffen in der Öffentlichkeit“, sagte Alex.

Mark nickte. „Er hat recht. Ich bin eine Person von öffentlichem Interesse. Wenn ich mich mit einer jungen, hübschen Frau träfe, würden die Leute zu reden anfangen. Das wollen wir nicht.“ Er dachte kurz nach. „Warum kommen Sie nicht heute Abend zum Essen zu uns? Dann können Sie meine Familie kennenlernen.“

Dani wich zurück. „Lieber nicht“, murmelte sie. „Darauf bin ich nicht vorbereitet. Ihre Frau weiß doch gar nichts von meiner Existenz und ...“

„Unsinn. Katherine ist eine bemerkenswerte Frau. Sie wird es verstehen und Sie gerne in der Familie willkommen heißen. Alex und Julie wohnen nicht mehr zu Hause, aber da sind immer noch sechs Canfield-Kinder, die Sie kennenlernen müssen.“ Er runzelte die Stirn. „Sie sind natürlich nicht Ihre leiblichen Geschwister. Katherine und ich haben alle unsere Kinder adoptiert, aber das wissen Sie ja vermutlich.“

„Ich habe mich ein bisschen über die Familie informiert“, gab Dani zu.

Und herausgefunden, dass dort jede Menge Geld vorhanden ist, dachte Alex zynisch.

„Du könntest dich ja erst ein paar Mal hier mit ihr treffen“, wandte Alex sich an Mark, „bevor du Dani nach Hause einlädst.“

Doch der Senator hatte seine Entscheidung bereits getroffen und schien nicht mehr gewillt, sich davon abbringen zu lassen. „Nein, ein gemeinsames Abendessen ist eine gute Idee. Dani, Sie können genauso gut schon jetzt erfahren, auf welches Chaos sie sich einlassen. Im Übrigen wird Katherine begeistert von Ihnen sein.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „Ich habe eine Besprechung, zu der ich nicht zu spät kommen darf. Alex, gib Dani die Adresse. Sagen wir heute Abend gegen 18 Uhr?“

Alex nickte. „Sagst du es Mom oder soll ich es machen?“

Mark überlegte. „Das mache ich. Ich werde heute etwas früher Schluss machen.“ Er lächelte Dani zu. „Also, bis später.“

„Ich, äh, in Ordnung“, sagte Dani. Es klang ein bisschen aufgeregt.

Mark verließ das Büro.

Dani umklammerte ihre Handtasche so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. „Die Familie ... Damit hatte ich nicht gerechnet.“

Nein, sie hatte sich vermutlich gedacht, sie könnte sich bei Mark einschmeicheln, ohne sich mit seinen Kindern auseinandersetzen zu müssen.

Sie wandte sich an Alex. „Und Ihre Mutter? Wird sie damit umgehen können oder wird es schwer für sie sein?“ Sie schloss für einen Moment die Augen. Dann öffnete sie sie wieder. „Dumme Frage. Natürlich wird es das. Ich weiß, dass die beiden kein Paar waren, als er eine Beziehung mit meiner Mutter hatte – aber trotzdem. Es kann nicht einfach sein, ein Kind aus seiner Vergangenheit zu akzeptieren. Ich möchte nicht der Grund dafür sein, dass es Probleme gibt.“

„Dafür ist es jetzt zu spät.“

Sie legte den Kopf schief und sah ihn an. „Sie sind nicht gerade erfreut über mein Erscheinen.“

„Fragen Sie lieber nicht, was ich von Ihnen halte. Sie würden es nicht wissen wollen.“

Erstaunlicherweise lächelte sie ihn nun an. „Oh, ich kann es mir schon vorstellen.“

„Das glaube ich eher nicht.“

Dass sie keine Angst vor ihm zeigte, ärgerte ihn. Er war es gewohnt, dass sich die Leute von ihm einschüchtern ließen.

„Wann ist also der DNA-Test?“, fragte sie. „Ich nehme an, dass Sie ein Labor beauftragen, oder?“

„Heute Abend wird jemand im Haus des Senators anwesend sein.“

„Wird dann eine Speichelprobe genommen, oder wäre es Ihnen lieber, man würde mir ein ganzes Körperteil amputieren?“

„Ich will doch nicht, dass man Ihnen wehtut“, erwiderte er.

„Das nicht, nein. Sie wollen mich lediglich loswerden.“ Sie seufzte. „Ich wünschte, ich könnte Sie davon überzeugen, dass ich nur meinen Vater finden will. Ich möchte ihn einfach nur kennenlernen. Damit mache ich mich doch nicht zum Feind.“

„Das sehen nur Sie so, sonst niemand.“ In der Hoffnung, sie so weit einzuschüchtern, dass sie wieder zurückwich, trat er näher an sie heran. Sie bewegte sich nicht von der Stelle. „Sie haben keine Ahnung, worauf Sie sich da eingelassen haben, Dani Buchanan“, sagte er eisig. „Das hier ist kein Spiel. Mein Vater ist ein US-Senator, der in Erwägung zieht, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren. Sie werden es nicht schaffen, ihm in irgendeiner Weise zu schaden. Ich bin nicht der einzige Drache an diesem speziellen Tor, aber ich bin derjenige, mit dem Sie die meisten Schwierigkeiten haben werden.“

Sie neigte sich vor. „Sie machen mir keine Angst.“

„Das wird sich ändern.“

„Nein, wird es nicht. Sie glauben, dass es etwas gibt, was ich haben möchte, und dass Sie aus diesem Grund Druck auf mich ausüben können. Aber Sie täuschen sich.“ Sie legte sich den Riemen ihrer Handtasche über die Schulter. „Schon in Ordnung, ich respektiere Ihr Verhalten. Wäre ich in Ihrer Situation, würde ich es wahrscheinlich genauso machen. Es ist keine Kleinigkeit, seine Familie beschützen zu müssen. Aber seien Sie vorsichtig, wie weit Sie dabei gehen. Sie wirken nicht wie ein Mensch auf mich, der sich gern entschuldigt. Ich würde es nicht ertragen, wenn Sie mich auf Knien um Verzeihung bitten müssten, nur weil sie gemerkt haben, dass Sie mich falsch eingeschätzt haben.“

Die Frau hatte Mumm, das musste er ihr zugestehen. „Ach kommen Sie, Sie wären doch entzückt, wenn ich Sie auf Knien um Vergebung anflehen müsste.“

Sie lächelte. „Ja, Sie haben recht, aber ich wollte nicht so unhöflich sein und es Ihnen direkt sagen.“

2. KAPITEL

Dani ging durch den großen Speisesaal des Bella Roma. Die Tische waren bereits für die Mittagsgäste gedeckt. Auf den weißen Tischtüchern standen Vasen mit frischen Blumen. Sie blieb stehen und hielt einige Gläser gegen das Licht. Sie glänzten so, wie es sein musste.

Sie arbeitete erst seit ein paar Wochen in diesem Restaurant, und das bedeutete, dass sie noch jede Menge zu lernen hatte. Das Gute aber war, dass das Bella Roma ein gut geführtes Restaurant mit ausgezeichneten Mitarbeitern und großartigem Speisenangebot war. Noch besser war, dass ihr Chef Bernie ein Mann war, mit dem man hervorragend zusammenarbeiten konnte.

Nachdem sie die Gläser wieder an ihren Platz gestellt hatte, ging sie in die Küche, wo sich die Hektik um diese Uhrzeit noch in Grenzen hielt. Der richtige Stress würde erst beginnen, wenn das Lokal in zwanzig Minuten öffnete. Im Augenblick waren alle mit den Vorbereitungen für die Mittagsmenüs beschäftigt. Ihre Schwägerin Penny, die die wahrscheinlich beste Köchin in ganz Seattle war – nicht, dass Dani diesen Umstand jemals Nick, dem Chefkoch des Bella Roma gegenüber erwähnen würde – pflegte immer zu sagen, dass eine gute Vorbereitung das A und O einer Küche war.

Am Herd standen drei große Töpfe, in denen eine Suppe vor sich hinköchelte. Es duftete nach Knoblauch und Wurst. Ein Koch hackte Gemüse für die Salate, während ein anderer Fleisch für die Sandwiches und Antipasti-Platten schnitt.

„Hey, Dani“, rief einer der Köche ihr zu, „probier mal meine Sauce.“

„In Wahrheit hätte er gern, dass du etwas ganz anderes mit ihm ausprobierst“, rief ein anderer Koch. „Aber sie ist zu hübsch für dich, Rico. Sie will einen richtigen Kerl – einen wie mich.“

„Du bist kein richtiger Kerl. Deine Frau hat’s mir erzählt, als ich das letzte Mal mit ihr im Bett war.“

„Meine Frau würde einen Lachkrampf bekommen, wenn Sie dich nackt zu Gesicht bekäme.“

Dani schmunzelte über das vertraute Geplänkel. In Restaurantküchen, wo man als Team unter ständigem Stress zusammenarbeiten musste, herrschte für gewöhnlich immer ein lauter und eher derber Umgangston. Die Tatsache, dass die meisten ihrer Kollegen Männer waren, stellte eine ziemliche Herausforderung dar. Dani, die aber praktisch in den Restaurants der Buchanans aufgewachsen war, war diesbezüglich durch nichts mehr zu erschüttern. Sie winkte den Jungs zu und sah dann die Liste mit den Spezialitäten des Tages durch, die Nick an die Pinnwand mit den Zutaten für die heutigen Menüs geheftet hatte.

„Die Panini klingen köstlich“, sagte sie zum Chefkoch. „Ich kann kaum erwarten, sie zu probieren.“

„Da hätte ich etwas viel Besseres für dich, Süße“, warf einer der Jungs prompt ein.

Dani machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen, um nachzusehen, wer das gesagt hatte. Stattdessen nahm sie eines der großen Tranchiermesser. „Davon besitze ich ein ganzes Set.“

Ein paar der Männer stöhnten auf.

Nick grinste. „Wenn du auch weißt, wie man sie verwendet ...“

„Das tue ich.“

Das würde ihr die Köche für eine Weile vom Hals halten. Dani wusste, dass sie sie mit der Zeit respektieren würden, sobald sie merkten, dass sie ihren Job gut machte, die Kollegen anerkannte und nichts tat, was ihnen die Arbeit erschwerte. Es brauchte seine Zeit, bis sich zu den Mitarbeitern einer Küche eine gute Beziehung entwickelte, und Dani war hoch motiviert, ihren Teil dazu beizutragen.

„Möchtest du bei den Tagesspezialitäten etwas ändern?“

Dani hätte über diese absurde Frage am liebsten laut gelacht. Nick wollte ihre Meinung ganz bestimmt nicht hören. Wenn sie versuchte, sie tatsächlich zu äußern, würde er ihr den Kopf abreißen ... wenn auch vielleicht nur verbal. Die Arbeitsteilung war völlig klar. Der Chefkoch leitete die Küche, der Restaurantmanager alles andere. Danis Autorität endete in der Sekunde, in der sie einen Schritt durch die Schwingtür machte.

„Nein“, sagte sie freundlich. „Es sieht alles sehr gut aus. Frohes Schaffen!“

Sie ging durch die Schwingtür hinaus in ihr Reich. Nick und sie mussten zusammenarbeiten, denn jeder von ihnen konnte im schlimmsten Fall dem anderen das Leben zur Hölle machen. Da sie „die Neue“ war, lag es an ihr, zu beweisen, was sie konnte. Und es war ihr eine Freude, das auch zu tun.

Einer der Vorteile ihres neuen Jobs war besonders heute der Umstand, dass ihr die Arbeit auch dabei half, wieder klar zu denken. Bevor sie nach dem Treffen mit Mark Canfield ins Restaurant gekommen war, war sie unfähig gewesen, ihre Gedanken zu sammeln. Alex Canfield war ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Sie musste ständig an ihn denken. Zwar hatte sie versucht, sich einzureden, dass er völlig uninteressant, kein bisschen attraktiv und niemand war, mit dem sie ihre Zeit verschwenden würde – doch sie wusste, dass sie sich damit selbst belog. Er hatte etwas an sich, das sie faszinierte. Die Tatsache, dass er der Adoptivsohn ihres leiblichen Vaters war, verkomplizierte die ganze Sache natürlich. Dani spürte, dass sie besser einen großen Bogen um ihn machen sollte. In Anbetracht ihres Liebeslebens während des letzten Jahres sollte sie unbedingt auf ihre warnende innere Stimme hören.

Sie ging durch den Speisesaal in Richtung ihres Büros. Auf dem Weg kam sie am Weinkeller vorbei und überprüfte rasch die Bestände zweier Weinsorten. Die Anzahl der Flaschen im Regal stimmte mit der auf der Liste in ihrem Computer überein, die sie sich ausgedruckt hatte.

„Ausgezeichnet“, murmelte sie. Bis jetzt war die Arbeit im Bella Roma ein einziger Traum. Es gab nichts, was sie ...

„Dani?“

Als sie sich umdrehte, stand ihr Bruder Walker vor ihr. Dani schmunzelte. „Bist du hier, um ein bisschen zu spionieren?“, fragte sie, während ihr Bruder sie an sich zog und ihr einen Kuss auf die Stirn gab.

„Das hättest du wohl gerne.“

Walker, ein ehemaliger Marine, hatte kürzlich relativ plötzlich das Buchanan-Imperium übernommen und leitete nun das Unternehmen, zu dem die vier Restaurants der Familie gehörten. In diese Führungsposition war er gekommen, als Gloria, das Oberhaupt der Familie und die Großmutter von Danis drei Brüdern, einen Herzinfarkt gehabt und sich ein Hüftgelenk gebrochen hatte. Schon nach ein paar Wochen hatte Walker aber gemerkt, dass diese Arbeit seine wahre Berufung war.

Dani freute sich für ihn. Walker war ein toller Mensch und machte sich großartig in seinem Job. Sie selbst hatte sich nie für die Position der Firmenleitung interessiert, sondern lediglich eine Chance gewollt, eines der Restaurants zu übernehmen. Gloria hatte ihr zwar die Verantwortung für das Burger Heaven übertragen, doch ihr nie eine Aufstiegschance gegeben. Nach Jahren, in denen Dani versucht hatte, sich einer Frau zu beweisen, die sie anscheinend hasste, hatte Dani die Wahrheit erfahren. Gloria hatte ihr ins Gesicht gesagt, dass Dani keine echte Buchanan, sondern das Ergebnis einer Affäre war, die ihre Mutter gehabt hatte.

Dani war also in keiner Weise mit dem weiblichen Oberhaupt der Familie verwandt. Da Gloria ihr gegenüber immer nur reserviert gewesen war und sie ständig kritisiert hatte, hätte Dani eigentlich darüber erleichtert sein müssen.

Doch sie war es nicht. Obwohl sie nicht blutsverwandt waren, wusste Dani, dass Gloria immer ihre Großmutter sein würde – zumindest in Danis Herzen. Dass sich Gloria ihr jemals wirklich nahe und verbunden fühlte oder fühlen würde, war unwahrscheinlich. Zu oft hatte sie das in der Vergangenheit durch ihr Verhalten deutlich gemacht.

Dani sagte sich, dass es ihr egal war. In der ganzen Angelegenheit gab es ja auch etwas Positives.

Denn jetzt, da sie wusste, dass Mark Canfield möglicherweise ihr richtiger Vater war, gab es eine neue Familie, der sie sich zugehörig fühlen konnte. Das weniger Positive war, dass sie sich ihr ganzes Leben als eine Buchanan empfunden hatte und in Wahrheit auch nichts anderes sein wollte.

Walker ließ sie los. „Wie läuft’s denn so?“

„Toll. Ich liebe diesen Job. Bernie ist ein Schatz, und die Leute in der Küche terrorisieren mich nur ein kleines bisschen. Das heißt, dass ich sie langsam für mich gewinne. Wenn sie mich überhaupt nicht terrorisieren würden, bedeutete das nämlich, dass sie mich hassen. Es ist also ein schwieriger Balanceakt. Aber was machst du hier? Möchtest du zur Abwechslung mal etwas Anständiges essen?“

Bei dieser verbalen Attacke musste er grinsen. „Glaubst du, Pasta mit roter Sauce kann mit irgendeinem Essen konkurrieren, das Penny zaubert?“

Penny hatte den ältesten Buchanan-Bruder, Cal, geheiratet. Sie war eine außergewöhnlich gute Köchin und arbeitete im Waterfront, dem Fischrestaurant der Familie.

„Wenn du es so ausdrücken willst ...“, grummelte Dani. Sie wusste, dass Penny wirklich eine Meisterin ihres Faches war. „Aber wir haben hier viele wunderbare Gerichte, die ihr gar nicht anbietet. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke – wir sollten ein italienisches Lokal eröffnen. Italienische Küche ist derzeit sehr beliebt, und die Gewinnspanne ist fantastisch.“

Walker starrte sie an. „Ich bin nicht hier, um über das Geschäft zu reden.“

„Aber ein italienisches Lokal wäre eine großartige Idee.“

„Eine grandiose, ja – wenn man von der Tatsache absieht, dass du mich gerade überreden willst, zur Konkurrenz deines derzeitigen Chefs zu werden.“

Oh. Dani sah sich um, ob sie jemand gehört hatte. Verdammt, wann würde sie endlich kapieren, dass sie keine Buchanan mehr war? Dass sie der Familie gegenüber nicht loyal sein musste und besser ihre Energie in das Bella Roma stecken sollte?

„Okay“, murmelte sie. „Aber wenn du nicht wegen des Knoblauchbrotes hier bist, warum dann?“

„Wegen Elissa“, sagte er.

Dani packte ihn am Arm. „Geht es ihr gut? Ist irgendetwas passiert?“

„Nein, alles in Ordnung. Unsere Hochzeitspläne schreiten zügig voran. Sie will eine Märchenhochzeit mit vielen Blumen und Lichterketten. Und ich will, dass sie glücklich ist.“

Bis zu diesem Zeitpunkt hätte sich Dani äußerst schwer getan, sich ihren großen, starken Bruder als einen Mann vorzustellen, der ohne mit der Wimper zu zucken über Lichterketten redete. Sie hätte gewettet, dass er nicht einmal wusste, was das war. Aber seit er in Elissa verliebt war, war er ein anderer Mensch. Zugänglicher und offener ... offenbar auch für so etwas wie Lichterketten.

„Ich bin davon überzeugt, dass die Hochzeit wunderschön wird“, sagte Dani.

„Sie möchte dich dabeihaben. Eine ‚Maid of Honor‘, also eine Ehrenbrautjungfer, wird es nicht geben, weil das anscheinend mit zu viel Aufwand verbunden ist. Daher hat sie sich nur für Brautjungfern entschieden, und sie möchte, dass du eine davon bist. Allerdings wollte sie dir keinen Stress machen und hat mich daher gebeten, dich zu fragen. Damit es dir nicht so unangenehm ist, abzulehnen.“

Dani lächelte. „Wirklich? Sie möchte mich als Brautjungfer?“

„Natürlich möchte sie das. Sie mag dich. Außerdem gehörst du zur Familie. Und sag jetzt nicht, dass es nicht so ist. Diese Diskussion bin ich leid. Du bist ebenso ein Familienmitglied wie wir auch. Du bist meine Schwester. Selbst wenn du ein Außerirdischer wärst, der aus dem Raumschiff gefallen ist, wärst du trotzdem meine Schwester.“

Ein Mensch, der Walker nicht gut kannte, mochte seine Direktheit möglicherweise als befremdend empfinden, doch Dani wusste, dass es seine Art zu sagen war, dass er sie wirklich sehr, sehr mochte. Sie wusste vielleicht nicht genau, wo ihr Platz auf der Welt oder wie ihr Nachname war, doch sie war sich klar darüber, wie viel sie ihren Brüdern bedeutete.

„Du wirst mich nicht los“, sagte sie. „Keine Sorge.“

„Ich muss mir Sorgen machen, weil ich der Ältere von uns beiden bin. Es gehört zu meinem Job als großer Bruder. Also, möchtest du Brautjungfer sein oder nicht?“

„Wie lieb du fragst“, neckte sie ihn. „Und wie viel Mühe du dir gibst, mich zu überreden. Das nenne ich gepflegte Kommunikation ...“

Er machte ein finsteres Gesicht. „War das ein Ja?“

„Ja, das war es. Ich würde schrecklich gern eine von Elissas Brautjungfern sein.“

„Gut. Wie war dein Treffen mit dem Senator?“

Sie führte ihn an einen Tisch und setzte sich. „Es war interessant. Merkwürdig. Aber irgendeine Art von Verbindung mit ihm habe ich nicht gespürt.“

Sie erzählte ihm, dass Mark ihrer Geschichte Glauben geschenkt hatte. „Alex besteht darauf, dass ein DNA-Test gemacht wird, was ich für eine gute Idee halte. Dann sind wir uns alle sicher.“

„Alex ist sein Sohn?“

„Ja, sein Adoptivsohn.“

„Macht er Schwierigkeiten?“

Dani grinste. „Ist das ein Angebot, ihn außer Gefecht zu setzen, wenn es so wäre?“

„Ich würde mich schon um ihn kümmern.“

Dani gefiel, dass er ihr Beschützer sein wollte, doch beim Wort würde sie ihn nicht nehmen. „Ich komme schon klar mit Alex.“ Dann fiel ihr dessen entschlossener Blick wieder ein. „Zumindest werde ich mich anstrengen. Außerdem will ich nicht, dass du ihn schon jetzt vermöbelst. Er ist nämlich irgendwie sexy.“

Walker zuckte zusammen. „So genau will ich es gar nicht wissen.“

„Keine Bange, es passiert schon nichts. Ich habe meine Lektion gelernt. Keine Beziehungen mehr. Aber trotzdem, ich finde ihn nicht uninteressant. Nicht, dass das eine Rolle spielen würde. Er hat gedacht, ich wäre ein Spion, ein kleiner, lästiger Spion, der seinem Vater die Präsidentschaftskampagne vermasseln könnte.“

„Und was denkst du?“

„Dass er die Dinge zu sehr aufbauscht. Ich möchte ja nur wissen, ob Mark Canfield mein Vater ist, mehr nicht. Aber Mark hat mich für heute Abend zu sich nach Hause zum Essen eingeladen hat, damit ich seine Frau kennenlerne.“

„Was wird sie darüber denken, dass du plötzlich aufgetaucht bist?“

Dani verzog das Gesicht. „Keine Ahnung, aber ich bezweifle, dass es etwas Gutes ist.“

Katherine Canfield betrat – dicht gefolgt von ihrer ehemaligen Schwiegertochter – das Haus durch die Garage. Fiona war wie immer wunderschön und elegant gekleidet. Sie trug einen Hosenanzug, der ihre schlanke Figur äußerst vorteilhaft zur Geltung brachte und perfekt zu ihrem roten Haar passte. Katherine betrachtete sich verstohlen selbst in ihrem eigenen Designerhosenanzug. Trotz exzessiven regelmäßigen Trainings und obwohl sie ständig aufpasste, was sie aß, hatte ihr Körper angefangen, sich zu verändern. Es hatte ihr nie etwas ausgemacht, älter zu werden, doch als sie gemerkt hatte, dass sie um die Taille immer mehr zulegte und auch die Schwerkraft an bestimmten Stellen ihren unerfreulichen Gesetzen folgte, dachte sie oft sehnsüchtig an die jugendliche Kraft vergangener Tage.

„Ich habe die Gästeliste vorbereitet“, sagte Fiona. „Bis auf drei Designer haben alle zugesagt, und bei diesen dreien werde ich so lange mit Nachdruck dranbleiben, bis sie klein beigeben. Ich bin überzeugt, dass wir den Gewinn des letzten Jahres um mindestens 25 Prozent steigern werden.“

„Sowohl das Krankenhaus als auch ich wissen dein Engagement zu schätzen“, sagte Katherine und streifte sich ihre Schuhe ab. Erst hatte sie das Projekt für die Charity-Modenschau präsentiert und dann das anschließende gesellige Beisammensein zum Fünfuhrtee hinter sich gebracht. Sie war seit Stunden auf den Beinen, und ihre Füße erinnerten sie nun schmerzhaft daran – ein weiteres Zeichen, dass sie alt wurde. In Fionas Alter hätte sie nach einem Tag wie diesem noch die ganze Nacht durchtanzen können.

„Wir sollten einfach einen Scheck schicken“, sagte Katherine, schenkte sich ein Glas Wasser ein und bot auch Fiona eines an. „Das wäre viel weniger Arbeit.“

Fiona lächelte. „Das sagst du jedes Mal, aber du meinst es nicht wirklich.“

„Du hast recht.“ Obwohl die Charity-Arbeit beinahe Katherines ganze Zeit beanspruchte, war es immer wieder schön für sie zu sehen, dass durch die Spenden etwas Positives bewirkt werden konnte.

Als sie hinter sich eilige Schritte hörte, drehte sie sich um. Dann ging sie in die Hocke und breitete die Arme weit zur Begrüßung aus. Sekunden später kam Sasha hereingestürmt.

Sie flog geradezu übers Parkett und auf Katherine zu. „Mommy, Mommy, endlich bist du wieder da! Ich hab dich so vermisst. Yvette hat mir etwas vorgelesen, und Bailey und ich haben uns ein Prinzessinnen-Video angesehen, und ich hatte einen Cheeseburger zu Mittag, und dann hat Ian uns eine Geschichte vorgelesen und die Stimmen nachgemacht.“

Katherine drückte die Kleine fest an sich und richtete sich wieder auf. „Du hattest also einen schönen Tag.“

„Und wie.“ Sasha lächelte.

Sie war erst fünf, hatte eine Haut wie Milchkaffee, dunkle Augen und dichtgelocktes Haar. Katherine nahm an, dass das Mädchen einmal eine echte Schönheit werden würde. Mark und ihr würden Sashas Verehrer früh genug zu schaffen machen, doch die nächsten paar Jahre mussten sie erst mal nur dafür sorgen, dass ihr kleines Mädchen eine unbeschwerte Kindheit erlebte.

„Sagst du auch Hallo zu Fiona?“, fragte Katherine.

Sasha kräuselte erst ihr Naschen, sagte dann aber folgsam: „Hallo, Fiona, wie geht es dir?“

„Danke, gut.“ Fiona lächelte die Kleine an. „Du bist ja schon wieder gewachsen.“

Sasha gab keine Antwort. Aus irgendeinem Grund war sie mit Alex’ geschiedener Frau nie sonderlich gut zurechtgekommen. Was merkwürdig war, denn das Kind war außergewöhnlich herzlich und liebevoll.

Yvette kam in die Küche. „Ich wusste, dass deine Mama nach Hause gekommen sein musste, weil du so schnell verschwunden warst. Glaubst du, ich habe dich nicht die Treppe runtersausen gehört?“

Sasha grinste. „Das hast du nicht.“

„Wie war die Präsentation?“, wandte sich Yvette nun an Katherine.

„Anstrengend, aber erfolgreich. Und wie war es hier?“

„Wild, turbulent, laut.“

„Also wie immer?“

„Sie wissen ja, wie die Kinder sind“, sagte Yvette schmunzelnd. „Die Kleinen sind schuld daran, dass ich viel zu früh alt und grau sein werde.“

„Sie sind jünger als ich“, lachte Katherine. „Ich werde vor Ihnen alt.“

„Warten wir es ab.“

Yvette breitete die Arme aus und Sasha schmiegte sich an sie. Die zierliche, dunkelhaarige Frau trug die Kleine aus der Küche.

„Sie kann wunderbar mit Kindern umgehen“, sagte Fiona. „Ihr habt großes Glück mit ihr.“

„Ich weiß. Wäre Yvette nicht, hätten Mark und ich nicht so viele Kinder adoptieren können.“

Ohne jemanden, der ihnen zur Seite stand, hätten sie wahrscheinlich nach drei oder vier Adoptionen aufhören müssen. Katherine wollte gar nicht daran denken. Sie liebte alle acht Kinder und konnte sich ihr Leben auch nur ohne ein einziges von ihnen nicht mehr vorstellen.

„Dein Leben ist vollkommen, so wie es ist“, murmelte Fiona.

Katherine dachte an ihre schmerzenden Füße und die Hitzewallungen, die sie letzte Nacht zwei Stunden am Schlafen gehindert hatten. „Nicht vollkommen, aber es macht mich glücklich.“

„Deine Kinder sind ein wahrer Segen.“

Katherine sah Fiona an und bemerkte den Schmerz in ihrem Blick. Ihr Herz zog sich voller Mitgefühl zusammen. Fiona sollte längst ein eigenes Kind haben. Oder zwei. Doch leider war nicht alles nach Plan verlaufen. Als Alex verkündet hatte, dass er die Scheidung wollte, war nichts mehr gewesen wie zuvor. Er hatte Katherine nie die Gründe für seine Entscheidung genannt. Auch von Fiona war nichts zu erfahren gewesen. Sie hatte behauptet, von Alex’ plötzlichem Sinneswandel ebenfalls wie vor den Kopf gestoßen gewesen zu sein.

Katherine wusste, dass es einen Grund gegeben haben musste. Alex war ihr Ältester, und sie hatte immer ein besonders inniges Verhältnis zu ihm gehabt. Gemeinsam hatten sie viele, viele Probleme gemeistert. Er war nie ein Mensch gewesen, der ohne triftigen Grund aufgab, und er war auch kein herzloser oder harter Charakter. Warum also hatte er seine Frau verlassen?

Katherine hatte das Bedürfnis, Fiona irgendwie zu trösten, doch ihr fiel nichts ein, was sie hätte sagen können. Fiona lächelte tapfer.

„Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht unnötig belasten. Mir ist bewusst, dass du ohnehin in einer schwierigen Situation bist, weil ich deine Exschwiegertochter bin, und ich möchte es nicht noch schwieriger machen. Ich möchte dir nur sagen, wie dankbar ich dir bin, dass du mich weiter bei der Charity-Arbeit mithelfen lässt. Es bedeutet mir wahnsinnig viel. Du hättest mich ja auch ganz aus deinem Leben verbannen können.“

„Niemals“, sagte Katherine. „Was auch immer zwischen dir und Alex passiert ist, hat nichts mit unserer Freundschaft zu tun.“ Insgeheim hoffte sie immer noch, dass ihr Sohn merkte, dass er einen Fehler gemacht hatte und zu Fiona zurückkehrte.

Fiona holte tief Luft. „Wenn es dir recht ist, würde ich kurz in dein Büro gehen. Ich möchte mir die Speisekarten für Modenschauen der letzten zehn Jahre ausdrucken. Das Letzte, was wir brauchen können, wäre ein Hauptgang, den wir schon mal hatten.“

„Danke, dass du dich darum kümmerst. Ich gehe nach oben und sehe nach den Kindern. Ruf mich, bevor du gehst.“

„Mach ich.“

Katherine ging zur Treppe, doch bevor sie noch einen Fuß auf die erste Stufe gesetzt hatte, hörte sie das Garagentor. Das konnte nur eines bedeuten: Mark war nach Hause gekommen.

Sie wusste, dass es lächerlich und absolut verrückt war, doch auch jetzt, nach 27 Jahren, bekam sie immer noch Herzklopfen, wenn sie wusste, dass sie gleich ihren Mann sehen würde. So viele von ihren Freundinnen redeten darüber, dass ihnen in ihrer Ehe die Verliebtheit abhanden gekommen und zwischen ihnen und ihren Männern nichts mehr neu und aufregend war. Für Katherine war es ganz und gar nicht so – es war nie so gewesen. Vielmehr war ihre Liebe zu Mark immer stärker geworden. Er war so etwas wie – um es mit einem in Filmen und im Fernsehen arg strapazierten Begriff auszudrücken – ihr Märchenprinz. Sie liebte ihre Kinder sehr, doch Mark war derjenige, dem ihr Herz ganz und gar gehörte.

Sie fuhr sich durchs Haar und strich dann ihren Blazer glatt. Dafür, ihr Make-up ein wenig aufzufrischen, war keine Zeit mehr, also biss sie sich auf die Lippen und atmete tief durch. Es war ihr wichtig, für Mark hübsch auszusehen. Sekunden später erschien er in der Küche.

Er sah genauso aus wie damals, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Groß, gut aussehend, dunkelblondes Haar, tiefblaue Augen. Und um diese Augen spielten immer ein paar Lachfältchen – so, als kannte er ein amüsantes Geheimnis. Es verschlug ihr immer noch den Atem, wenn sie ihn ansah.

„Hallo, mein Liebling“, sagte er und kam auf sie zu. „Wie geht es dir?“

„Gut, danke. Du kommst früh nach Hause.“

„Ich wollte dich sehen.“

Bei diesen Worten schlug ihr Herz ein paar Takte schneller.

Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie. In dem Augenblick, als sein Mund ihren berührte, spürte sie den wohlbekannten Funken überspringen, der ihr Begehren entfachte. Sie ließ sich diese Reaktion auf seinen kleinen Kuss nicht anmerken – ein Trick, den sie schon in den ersten Monaten ihrer Ehe gelernt hatte. Aber das Begehren verschwand dadurch nicht.

Vor Jahren hatte sie einmal einen Artikel über Beziehungen gelesen. Der Autor hatte erklärt, dass es in den meisten Ehen einen Partner gab, der den anderen vergötterte. Das war sie. Mark liebte sie, doch er betete sie nicht an. Und er wusste auch nicht, wie tief ihre Gefühle für ihn wirklich gingen. Sie hatte gelernt, in seiner Gegenwart die stürmischen, romantischen und sexuellen Gefühle im Zaum zu halten, aber es war ihr nie gelungen, sie abzuschalten. Er war und blieb der einzige Mann für sie. Wenigstens hatte sie so viel Glück im Leben gehabt, ihn zu heiraten.

Er nahm ihre Hand und lächelte. „Komm, ich möchte mit dir reden.“

„Willst du gar nicht kurz Hallo zu den Kindern sagen?“

„Später. Erst möchte ich mich mit dir unterhalten.“

Mark war ein sehr typischer Mann. Mit seinen Politberatern konnte er stundenlang reden, ohne auch nur die geringsten Ermüdungserscheinungen zu zeigen, doch jedes Mal, wenn sie vorschlug, dass er sich mit ihr unterhielt, fielen ihm tausend verschiedene Dinge ein, die er zu erledigen hatte. Warum war das heute anders? Was gab es, worüber sie miteinander reden mussten? Katherine spürte, wie sie zu zittern begann.

Sie gingen in sein Arbeitszimmer. Er machte die Tür hinter ihnen zu und führte sie zur Ledercouch. Katherine konnte seinen Gesichtsausdruck nicht recht deuten. War er verärgert? Nein, so sah er eigentlich nicht aus. Eher zerknirscht. Aber weswegen? Sie spürte, wie sich ihr Magen vor Angst zusammenkrampfte.

Wollte er sie verlassen?

Ihr Kopf sagte ihr, dass es – auch wenn er wild entschlossen wäre, ihre Beziehung zu beenden – keine gute Idee war, seine Frau ausgerechnet in einer Phase zu verlassen, in der er ernsthaft erwog, für das Präsidentschaftsamt zu kandidieren. Ihr Herz flüsterte, dass er sie natürlich immer noch liebte. In letzter Zeit hatte er zwar mehr zu tun gehabt als sonst, aber damit war zu rechnen gewesen. Sie sollte sich nicht unnötig verrückt machen. Und doch zitterten ihre Hände, als sie sie faltete und in den Schoß legte.

„Worum geht es?“, fragte sie.

Sie nahm an, dass sie von außen betrachtet völlig ruhig und beherrscht wirkte. So würde sie auch auf Mark wirken. Und so wollte sie auch auf ihn wirken.

„Heute war eine junge Frau bei mir“, begann Mark. „Eigentlich ist sie gar nicht mehr so jung, sondern 28. Ich nehme an, dass sie auf mich sehr jung gewirkt hat, bedeutet, dass ich langsam alt werde. Willst du überhaupt noch mit einem alten Mann verheiratet sein? Immerhin bist du ja diejenige in unserer Beziehung, die immer noch sehr sexy ist.“

Seine Stimme war ruhig, er lächelte und schaute ihr in die Augen. Sie hätte ganz entspannt sein können. Doch sie war es nicht. Sie hatte furchtbare Angst und konnte nicht einmal sagen, warum.

„Du bist kein alter Mann“, sagte sie und bemühte sich, ihr Zittern zu verbergen.

„54.“

„Ich bin 56“, entgegnete sie. „Hast du vor, mich gegen ein jüngeres Modell auszutauschen?“

„Du bist die schönste Frau auf der ganzen Welt“, sagte er. „Du bist meine Frau.“

Seine liebevollen Worte hätten sie eigentlich beruhigen sollen. Doch sie taten es nicht.

„Wer also ist diese junge Frau?“

„Sie heißt Dani Buchanan. Dani ist die Abkürzung für Danielle, wie mir Alex später mitgeteilt hat.“

„Alex? Was hat Alex denn damit zu tun?“

„Eigentlich gar nichts. Er war dabei, als ich sie kennengelernt habe. Dein Sohn ist ein richtiger Wachhund.“

„Die Familie liegt ihm eben am Herzen.“

„Ich weiß.“ Mark streichelte ihre Wange. „Katherine, erinnerst du dich daran, als wir uns zum ersten Mal verlobt haben? Und wie du damals Schluss mit mir gemacht hast?“

Sie nickte langsam. Sie stammte aus einer reichen Ostküsten-Familie und war ein Einzelkind gewesen. Ihre Eltern waren nicht damit einverstanden gewesen, dass sie eine Beziehung mit einem ungestümen jungen Mann aus Seattle angefangen hatte. Mark war charmant und zielstrebig gewesen, doch er hatte weder eine einflussreiche Familie, noch einen beeindruckenden Stammbaum vorweisen können. Katherine hatte sich trotzdem in ihn verliebt und ihre Familie schließlich von Mark überzeugen können. Mark hatte um ihre Hand angehalten, und sie hatte Ja gesagt. Doch sechs Wochen nach der Verlobung hatte sie die Beziehung beendet. Sie war unfähig gewesen, Mark die Wahrheit über sich selbst zu sagen, und bevor er sie erst bemitleiden und dann verlassen würde, hatte sie die Verlobung aufgelöst. Er war zurück nach Seattle gegangen.

„Ich bin damals wieder nach Hause, um mir darüber klar zu werden, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen sollte“, sagte er. „In dieser Zeit habe ich jemanden kennengelernt. Ich wollte nicht, dass es passiert, aber so war es nun mal.“

Katherine spürte Panik in sich aufsteigen. Ihr wurde gleichzeitig heiß und kalt. Ihr ganzer Körper tat weh – und doch saß sie reglos da, entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen.

„Du hattest eine Beziehung mit einer anderen Frau?“, fragte sie ruhig.

„Ja. Sie war verheiratet, und keiner von uns beiden wollte, dass es passiert. Wegen ihres Mannes und weil ich niemanden verletzen wollte, haben wir es geheim gehalten. Eines Tages war es aus, und ich habe nie mehr viel darüber nachgedacht – bis heute. Dani ist ihre Tochter. Meine Tochter.“

Katherine stand auf. Vielleicht würde es nicht so unerträglich wehtun, wenn sie sich bewegte. Vielleicht würde sie dann wieder atmen können. Doch der stechende, heiße Schmerz jagte durch jede Faser ihres Körpers, und in diesem riesigen Arbeitszimmer gab es keine Möglichkeit, sich zu verstecken.

„Ich hatte davon keine Ahnung“, sagte er, als merkte er nicht, dass etwas mit ihr nicht in Ordnung war. „Alex hat vorgeschlagen, dass wir einen DNA-Test machen lassen, damit wir Gewissheit haben, und ich halte das für eine gute Idee. Dani scheint eine großartige junge Frau zu sein und sieht Marsha sehr ähnlich, aber ich erkenne in ihr auch einen Teil von mir. Wegen der Kampagne müssen wir natürlich sehr diskret mit dieser Angelegenheit umgehen.“

Mark redete weiter, doch Katherine hörte ihn nicht mehr. Er hatte ein Kind. Ein leibliches Kind. Ein Kind, das nun zu ihm gehörte.

„Ich habe sie zum Abendessen eingeladen, damit du sie kennenlernst“, sagte Mark. „Den Kindern brauchen wir nicht sofort zu sagen, wer sie ist, aber irgendwann möchte ich, dass sie es erfahren.“

Sie drehte sich zu ihm um. Ihr Gesicht fühlte sich wie versteinert an, und sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt einen Ton herausbrachte. „Sie kommt hierher?“

„Heute Abend, ja.“ Er stand auf, ging zu ihr und nahm ihre Hände. „Ich weiß, du wirst sie mögen. Hast du nicht gesagt, dass du gern noch eine Tochter hättest?“

Das konnte unmöglich sein Ernst sein. Er konnte unmöglich nicht merken, was er ihr gerade antat. Und doch redete er weiter, als hätte er den Eindruck, alles sei in Ordnung. Als wäre für sie nicht gerade eine Welt zusammengebrochen, weil eine andere Frau ihm das geschenkt hatte, was sie, Katherine, nie geschafft hatte.

Alex erschien an diesem Abend früh im Haus seiner Eltern. Er hatte sich überlegt, ob er seine Mutter anrufen sollte, doch dann hatte er beschlossen, dass es besser war, mit ihr von Angesicht zu Angesicht zu reden. Sein Vater mochte glauben, dass sie mit der Neuigkeit bezüglich Dani Buchanan spielend fertig werden würde; Alex war sich dessen nicht so sicher.

Bevor er noch die Treppe nach oben gehen konnte, kam Fiona aus dem Arbeitszimmer seiner Mutter.

„Hallo, Alex.“

Ihm fiel sofort eine Reportage über Spinnen ein, die er einmal auf dem Discovery Channel gesehen hatte. Fiona erinnerte ihn an eine Schwarze Witwe, die nur auf den passenden Augenblick wartete, ihr Männchen zu verspeisen.

„Ich wusste nicht, dass du auch hier sein würdest.“

„Willst du damit sagen, du wärst nicht gekommen, wenn du es gewusst hättest?“ Ihre grünen Augen funkelten. „Hasst du mich wirklich so sehr?“

„Ich hasse dich überhaupt nicht.“ Hass würde bedeuten, dass er noch starke Gefühle für sie hätte. Und die hatte er keinesfalls. Wenn er sie ansah, bemerkte er zwar, dass er eine körperlich schöne Frau vor sich hatte, doch er empfand absolut nichts. Wäre es nach ihm gegangen, hätte sie nach der Scheidung einfach aus seinem Leben verschwinden können. Doch er hatte den Eindruck, dass sie das leider niemals tun würde.

„Ah, hier ist ja die Eiskönigin!“

Alex drehte sich um und sah seinen Bruder Ian im Rollstuhl auf sie zusausen. Alex schmunzelte und machte einen Schritt in seine Richtung. Dann ging er ein wenig in die Knie, damit sie ihr traditionelles, nicht ganz unkompliziertes Begrüßungsritual vollführen konnten, zu dem jede Menge Abklatschen, sich Drehen etc. gehörte. Alex machte den Großteil der Bewegungen, weil Ian durch seine Querschnittslähmung sehr eingeschränkt war. Doch sein jüngerer Bruder machte sein körperliches Handicap mit seiner Intelligenz und Kreativität mehr als wett.

„Sie hängt ständig hier rum“, erklärte Ian Alex. „Ich glaube, die Eiskönigin ist in mich verknallt.“

Fiona erschauderte bei diesem Gedanken sichtlich. Sie musterte Ians dünnen, behinderten Körper in seinem Rollstuhl.

„Das ist eine widerlicher Scherz“, sagte sie.

Ian zog die Augenbrauen hoch. „Und das nach allem, was letzte Nacht passiert ist... Was meinst du als Fachmann, Alex?

Du müsstest ja wissen, was Fiona scharf macht.“

Alex sah seine Exfrau an. „Nicht in dem Ausmaß, wie man glauben sollte.“

Fiona schien hin – und hergerissen zu sein zwischen Wut und Hilflosigkeit. „Alex, du kannst ihm doch nicht erlauben, so mit mir zu reden!“

„Warum nicht? Ian hat einen wundervollen Humor.“

„Den würdest du ohnehin nie verstehen, Baby“, sagte Ian. „Humor ist nicht deine Stärke.“ Er fuhr mit seinem Rollstuhl hinaus. „Hab dich lieb“, rief er ihr über die Schulter zu.

Fiona holte tief Luft. „Ich habe diesen Jungen nie verstanden.“

„Du hast es auch nie versucht.“ Alex hatte lange gebraucht, um zu merken, welche Einstellung Fiona Ian gegenüber hatte, doch irgendwann hatte er erkannt, dass sie den Anblick des Jungen einfach nicht ertrug. Es schien sie anzuekeln, dass sein Äußeres von der sogenannten Normalität abwich. Diese Erkenntnis war eine von vielen, warum er sich von ihr getrennt hatte.

„Alex, ich möchte nicht mit dir streiten.“

Er ging zur Hausbar und schenkte sich einen Scotch ein. Dann drehte er sich wieder zu ihr. „Ich streite nicht mit dir.“

„Du weißt, was ich meine.“ Sie stellte sich dicht vor ihn und legte ihre Hand auf seine Brust. „Ich vermisse dich so sehr. Es muss doch etwas geben, was ich sagen oder tun kann, damit du mir verzeihst. Es war doch nur ein einziger Fehler. Kannst du wirklich so kalt und unversöhnlich sein?“

„Klar, ich bin eben das Letzte“, sagte er und nahm einen Schluck Scotch. „Im wahrsten Sinn des Wortes. Ich habe am Ende doch den Schwarzen Peter gezogen.“

Sie seufzte, als versuche sie seine Anspielung zu ignorieren. „Alex, es ist mein Ernst. Ich bin deine Frau.“

„Du warst meine Frau.“

„Ich möchte es wieder sein.“

Er sah sie von oben bis unten an. Oberflächlich betrachtet war sie alles, was ein Mann sich nur wünschen konnte – schön, intelligent, die perfekte Begleitung für berufliche Anlässe. Sie konnte sich überall und mit jedermann unterhalten. Fast alle seine Freunde waren erstaunt darüber gewesen, dass er sie aufgegeben hatte.

„Keine Chance“, entgegnete er knapp.

Autor

Entdecken Sie weitere Romane aus unseren Serien

Die Buchanans