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Wenn Weihnachtsträume wahr werden

MERRY EX-MAS

Weihnachten ist die schönste Zeit des Jahres - auch wenn drei Freundinnen in Icicle Falls das ganz anders sehen. Dieses Jahr wird die Liebe wiedergefunden und Raum für neue Träume eröffnet. Cassandra freut sich auf die Hochzeit ihrer Tochter. Aber ihr Exmann will sich mit seiner neuen Vorzeigefrau bei ihr einquartieren. Ihre Freundin Charlene hat ein anderes Problem: Vor einem Jahr hatte Richard sie sitzen gelassen und ist mit einer Kellnerin durchgebrannt. Jetzt will er sie zurück und versucht, Charlene unter dem Mistelzweig zu überraschen. Und die arme Ella muss so lange mit ihrem frisch Geschiedenen unter einem Dach leben und streiten, bis das Haus verkauft ist ...
Der Zauber der Weihnacht weist den drei Freundinnen den Weg. Merry Ex-Mas!

HOPE'S CROSSING - ZURÜCK ZUM GLÜCK

Der dritte Band der berührenden Hope's-Crossing-Serie von RaeAnne Thayne: Soll Maura einen Neuanfang mit ihrer Jugendliebe wagen?

Nach einem tragischen Verlust will Maura nur noch nach vorn blicken. Stattdessen wird sie schlagartig von der Vergangenheit eingeholt: Jackson Lange, ihre erste große Liebe, kehrt nach Hope`s Crossing zurück. Zwanzig Jahre zuvor war Jackson plötzlich ohne ein Wort des Abschieds verschwunden - ohne dass sie ihm sagen konnte, dass sie bereits schwanger mit ihrer gemeinsamen Tochter war. Jetzt scheint er fest entschlossen, seine Familie zurückzugewinnen. Aber Maura könnte es nicht verkraften, dass Jackson ihr noch einmal das Herz bricht! Verzweifelt versucht sie ihm aus dem Weg zu gehen. Bis ein schockierendes Geständnis ihrer Tochter sie zwingt, wieder näher mit ihm zusammenzurücken ...

MISTELZWEIG UND WEIHNACHTSKÜSSE

Nach "Der 48-Stunden-Mann" endlich ein weiterer Hometown Heartbreaker! Zum ersten Mal in voller Länge übersetzt!

Von wegen "Oh du fröhliche"! Die Adventsstimmung ist Feuerwehr-Captain Jordan Haynes gründlich verhagelt. Denn bei dem Versuch, eine Katze zu retten, hat er sich so übel verletzt, dass er das Bett hüten muss. Immerhin hat die kratzbürstige Mistletoe überlebt, und ihre ebenso dankbare wie hübsche Besitzerin Holly tut alles, um ihm den Krankenstand mit Keksen und netten Plauderstunden zu versüßen. Der geborene Herzensbrecher ist bezaubert von ihrer offensichtlichen Unerfahrenheit im Umgang mit Männern und nimmt sich fest vor, Holly nicht zu nahe zu treten. Wie sich herausstellt, ist das aber leichter gesagt als getan. Und bald flammt heiße Leidenschaft zwischen ihnen auf …


  • Erscheinungstag: 03.12.2015
  • Aus der Serie: E Bundle
  • Seitenanzahl: 868
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955764982
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Sheila Roberts, Raeanne Thayne, Susan Mallery

Wenn Weihnachtsträume wahr werden

Sheila Roberts

Merry Ex-Mas – Schöne Bescherung

Aus dem Amerikanischen von Gabriele Ramm

Für meine Freundin Kathy

Danksagung

Dieses Buch zu schreiben hat mir so unglaublich viel Spaß gemacht! Kein Wunder: Wenn so viele großartige Menschen mitwirken, bereitet einem die Arbeit einfach Freude. Ein ganz herzliches Dankeschön geht an meine Agentin Paige Wheeler und an meine Redakteurin Paula Eykelhof. Ich bin Euch beiden sehr, sehr dankbar für Eure Ratschläge und Euren Input. Vielen Dank auch an Janet, der das Blinx auf Bainbridge Island gehört. Sie hat mir einen Einblick in das geschäftige Treiben einer Ladenbesitzerin gegeben. Dank geht außerdem an meine Freundin Susan Sandeno, Expertin für Hochzeitstorten, die mir ein paar ihrer Geheimnisse rund um das Verzieren von Torten verraten hat, und an Robert Rabe, den hervorragenden Küchenchef, der meine Fragen zu den Abläufen in einem Restaurant so geduldig beantwortet hat. Ein großes Juhu und Dankeschön an Ed Kerr und seine Kumpel, die mir geholfen haben, Jakes Lied „Merry Christmas, Mama“ zu produzieren. Und an alle meine Freundinnen, die Schwiegermütter sind … Keine von Euch hat als Inspiration für die Schwiegermutter in diesem Buch gedient! Zu guter Letzt: ein großes Dankeschön an den Braintrust: Susan Wiggs, Kate Breslin, Anjali Banerjee und Elsa Watson. Ihr seid großartig, und ich hoffe, der Weihnachtsmann bringt jedem von Euch eine Schlittenladung voller Schokolade.

1. KAPITEL

Wenn eine Frau sehr viel Glück hat, entpuppt sich hin und wieder ein Tag als genauso perfekt, wie sie ihn sich ausgemalt hat. Dies wird so ein Tag, dachte Cass Wilkes, als sie den Teller mit dem tranchierten Truthahn auf den Esstisch stellte.

Lächelnd betrachtete sie noch einmal ihr Werk. Wirklich alles wirkte vollkommen – angefangen beim guten Porzellan und den funkelnden Kristallgläsern über das Thanksgiving-Gesteck, das sie im Blumenladen Lupine Floral gekauft hatte, bis hin zu dem köstlichen Duft nach Kräutern und Gewürzen, der durch ihr altes viktorianisches Haus zog. Wenn man aus dem Fenster im Esszimmer blickte, hatte man ein winterliches Postkartenmotiv vor Augen – die Bäume und Büsche ihres Vorgartens waren von frostigem Weiß umhüllt, und in der Ferne ragten schneebedeckte Berge gen Himmel.

Sogar Frau Holle hatte ein Einsehen gehabt: Es hatte gerade rechtzeitig aufgehört zu schneien, damit die Straßen für die Reisenden wieder freigeräumt werden konnten. Anders als im letzten Jahr war Icicle Falls voller Touristen, die sich ein langes Wochenende gönnten. Das war natürlich gut fürs Geschäft, vor allem, wenn man eine Konditorei sein Eigen nannte. An diesem Wochenende würden Lebkuchenfiguren in allen erdenklichen Formen aus der Tür des Gingerbread-Hauses marschieren, und im Gegenzug würden die Dollars direkt auf Cass’ Bankkonto wandern – was eine gute Sache war. Denn sie vermutete, dass sie in absehbarer Zeit – vielleicht in einem Jahr oder so – eine Hochzeit würde ausrichten müssen.

Aus dem Wohnzimmer drangen Freudengeschrei und lautes Klatschen. Vermutlich näherte sich das Footballspiel, das im Fernsehen übertragen wurde, dem Ende, und offenbar hatte das favorisierte Team einen Touchdown geschafft.

„Okay, das war alles aus der Küche“, sagte Dot Morrison, Cass’ Mentorin und ehemalige Chefin, während sie eine Schüssel mit Truthahnfüllung sowie eine Schüssel mit Kartoffelbrei auf den Tisch stellte. Normalerweise hätte Dot mit ihrer Tochter Thanksgiving gefeiert, doch Tilda hatte Dienst, fuhr Streife und sorgte dafür, dass Icicle Falls geschützt wurde vor … ja, wovor eigentlich? Ihre Stadt war nicht gerade ein Hort der Kriminalität.

Dot hatte sich zur Feier des Tages extra herausgeputzt. Sie trug Jeans und ein weißes T-Shirt mit einem Truthahn darauf, der ein Schild hochhielt, auf dem stand: „Geht neue Wege: Serviert Schinken.“ Dot, der das Breakfast-Haus gehörte, wo es das leckerste Frühstück der Stadt gab, hatte Cass vor Jahren dazu ermuntert, neue Wege zu gehen. Sie hatte ihr sogar das Geld geliehen, damit sie die Bäckerei aufmachen konnte. Damit hatte sie in Cass’ Augen ein lebenslanges Anrecht auf Einladungen zu Thanksgiving.

„Sag den Clowns da drüben Bescheid“, sagte Dot jetzt. „Es gibt nichts Schlimmeres als kaltes Essen.“

Cass fiel da so einiges ein, was schlimmer war … Steuern, Pilzinfektionen, Exmänner.

O nein, sie würde sich ihren perfekten Feiertag nicht mit Gedanken an ihren Ex verderben. Dieser Mann, diese egoistische, unwürdige Ratte, die versucht hatte, die Kinder an diesem Wochenende zu einem Kurztrip nach Vail fortzulocken, der …

Nein, nein, nein. Sie würde jetzt keinen Gedanken mehr an Mason verschwenden Schließlich war Erntedank, die Zeit, in der man dankbar für das sein sollte, was man hatte.

Die drei Menschen, für die sie besonders dankbar war, saßen nebenan im Wohnzimmer – ihre Kinder Danielle, Willie und Amber. Danis Freund Mike war ebenfalls da. Zusammen mit ihrer Tochter kuschelte er in einem großen Sessel.

Die zwanzigjährige Dani war die Älteste von Cass und ihre rechte Hand in der Bäckerei. Sie hatte die Leidenschaft ihrer Mutter für alles, was mit dem Backen zu tun hatte, geerbt. Nachdem sie ein Jahr am örtlichen College studiert hatte, hatte sie sich dafür entschieden, lieber Vollzeit in der Bäckerei zu arbeiten. Cass hatte gehofft, dass sie wenigstens noch ein Jahr lang zur Schule gehen würde, doch Dani hatte das nicht interessiert. „Von dir kann ich viel mehr lernen als von irgendeinem College-Professor“, hatte sie zu ihrer Mutter gesagt. Was das Backen anging, was sollte Cass da schon groß erwidern? Dani hatte ja recht.

Amber, ihre Jüngste, saß mit hochgezogenen Beinen in einer Sofaecke und schrieb eine SMS. Noch vor wenigen Monaten hatte sie Cass ein paar weitere graue Haare beschert, weil sie mit Leuten herumgehangen hatte, mit denen keine Mutter ihr Kind herumhängen sehen möchte, geschweige denn, dass sie wollte, dass ihr Kind genauso wurde. Gott sei Dank (und, vermutlich auch Dank Cass’ Freundin Samantha Sterling) hatte Amber sich eines Besseren besonnen und ein paar neue, passendere Freunde gefunden.

Willie, Cass’ Highschool-Sportskanone, lümmelte auf dem Fußboden herum, in der Hand das beliebteste Spielzeug aller Highschooljungs – einen Football. Das einzige Problem, das Cass mit Willie hatte, war die Schwierigkeit, ihn satt zu bekommen. Der Junge war eine Heuschrecke auf zwei Beinen.

Die Runde wurde von ihrem jüngerem Bruder Drew vervollständigt, der von Seattle herübergekommen war. Da er erst kürzlich geschieden worden war (ob die Neigung zur Scheidung wohl in ihren Genen verankert war?), hatte er ihre Einladung, das Wochenende bei ihnen zu verbringen, überaus erfreut angenommen. Er hatte keine eigenen Kinder, also teilte sie ihre gern mit ihm. Er war ein toller Onkel und eine sehr viel bessere Vaterfigur als ihr Ex.

Nein, nein, nein. Du verschwendest heute keinen Gedanken an ihn.

Cass stand in der Tür zum Wohnzimmer und verkündete wie ein Butler: „Das Essen ist fertig.“

Natürlich hörte ihr niemand zu. Ein weiterer Touchdown fesselte die versammelte Meute an den Fernseher. „Jaaa!“, grölte Mike.

„Mein Team ist echt so schlecht“, murmelte Willie und haute missmutig auf seinen Football.

„Wenn ihr nicht sofort aufsteht und rüberkommt, wird mein Essen gleich schlecht“, warnte Cass.

„Das Spiel ist sowieso fast vorbei“, sagte Mike, ganz der zukünftige gute Schwiegersohn. Er stand auf und zog auch Dani vom Sessel hoch. Er war ein großer junger Mann, ein ehemaliger Footballstar und der neue Held ihres Sohnes. Zurzeit arbeitete Mike im Eisenwarenladen hier in der Stadt, was in den Augen von Cass ideal war. Sobald er Dani einen Antrag gemacht hatte, würden die beiden heiraten und hier in Icicle Falls leben, in der Nähe der Familie und all ihrer Freunde, eine Win-win-Situation für alle.

„Du hast recht“, stimmte Drew zu. Er stellte den Fernseher aus und führte die Bande zum Esstisch.

Cass brauchte nur einen Keks anzuschauen und hatte schon fünf Pfund zugenommen. Ihr Bruder, der Glückliche, war groß und schlank und konnte essen, was er wollte, ohne zuzunehmen. Zu allem Überfluss kleidete er sich auch noch besser als seine Schwester, das war schon immer so gewesen. Und besser aussehen tat er natürlich auch. Aber er konnte nicht kochen, und wenn er in die Stadt kam, war er stets ihr bester Kunde. Außerdem war er ihr bester Freund, und sie freute sich wirklich, dass er übers Wochenende hergekommen war.

Die Einzigen, die fehlten, als sie sich um den Esstisch gruppierten, waren ihre Mutter und ihr Stiefvater Ralph, die es den Zugvögeln gleichgetan hatten und Ralphs Familie in Florida besuchten. Aber Mom und Ralph wollten über Weihnachten kommen. Und wenn Cass die Wahl hatte, war es ihr lieber, ihre Mutter zu den weihnachtlichen Festtagen bei sich zu haben.

Drew griff nach dem Truthahn, doch Cass versetzte ihm mit einem Servierlöffel einen kleinen Schlag auf die Hand. „Erst wird gebetet, du Heide.“

Willie kicherte. Was zur Folge hatte, dass er das Gebet vorsprechen durfte. Kaum hatte er das „Amen“ gesagt, als er sich auch schon den Teller vollschaufelte.

Normalerweise hätte Cass ihn daran erinnert, dass die anderen vielleicht auch noch etwas davon wollten, aber heute brauchte sie das nicht zu tun. Thanksgiving war keine Fastenzeit, und sie hatte von allem reichlich vorbereitet. Außerdem würde sie sich heute sicherlich auch eine extra große Portion auffüllen.

Eine Weile lang beschränkte sich die Unterhaltung auf Kommentare wie „Reich mir mal die Brötchen rüber“ und „Wo sind die Oliven?“. Als sich erst die Teller und dann die Bäuche füllten, kamen neue Themen auf: wessen Footballteam wohl gewinnen würde, wie gut sich die neuen Lebkuchenketten von Cass und Dani verkauften, die anstehende Fußoperation von Dot.

Schließlich war es Zeit für das Dessert. Obwohl es in der Bäckerei unglaublich hektisch gewesen war, hatte Cass es geschafft, Kürbis-, Pekannuss- und Heidelbeerkuchen, den Lieblingskuchen ihres Bruders, zu backen. „Das reicht genau für mich“, scherzte er und schnappte sich den ganzen Kuchen.

Zum Nachtisch bestand Cass, wie immer, auf einer Tradition, die sie eingeführt hatte, als die Kinder noch klein gewesen waren.

„Okay“, sagte sie, nachdem sich alle etwas von den Kuchen aufgefüllt hatten, „es ist wieder einmal an der Zeit, dass wir uns überlegen, wofür wir dankbar sind. Wer möchte anfangen?“

Dankbarkeit. Manchmal war die Herausforderung, dankbar zu sein, immens groß gewesen. Häufig genug war Cass eine schreckliche Heuchlerin gewesen, die ihre Kinder ermutigt hatte, das Positive zu sehen, während sie selbst verbittert und voller Groll gewesen war.

Genau genommen hatte dieser Gemütszustand sie fast durchgehend beherrscht, solange sie verheiratet gewesen war. Schon als sie verlobt gewesen waren, hatte sie sich darüber geärgert, dass Mason zur Navy gegangen war. Und kaum hatten sie ihren ersten eigenen Hausstand gegründet, war er auch schon das erste Mal davongesegelt. Er hatte sogar die Geburt seiner ersten Tochter verpasst; stattdessen hatte ihre Mutter ihr bei der Geburt ihrer Tochter beigestanden. Lieber meine als seine Mutter, hatte sie sich getröstet. Dafür hatte sie damals dankbar sein können. Und sie war dankbar gewesen, als Mason aus der Navy ausgeschieden war. Als er dann jedoch wieder zur Schule gegangen war und seine Familie vernachlässigt hatte, weil er so viel lernen musste, war sie alles andere als dankbar gewesen. Genauso wenig wie anschließend, als er sich für einen Beruf entschieden hatte, bei dem er ständig unterwegs war, sodass sie ihn kaum noch zu Gesicht bekam. Mason war entschlossen gewesen, Karriere zu machen, doch für seine Familie war auf dem Weg dorthin wenig Raum geblieben. Cass hatte die Kinder getröstet und ihnen bei ihren Mathehausaufgaben geholfen, hatte sie bei jedem Ballspiel von der Seitenlinie aus angefeuert. Und was hatte er getan?

Du sollst dankbar sein, vergiss das nicht. Okay, sie war dankbar, dass sie nicht länger mit ihm zusammen war.

„Ich bin für etwas dankbar“, sagte Dani. Sie griff in ihre Jeanstasche und zog einen Diamantring heraus, den sie sich dann auf den Finger steckte.

„Oh, Wahnsinn, du bist verlobt!“, kreischte Amber.

Cass legte ihre Kuchengabel beiseite und sah ihre Tochter fassungslos an. Natürlich hatte sie gewusst, dass das kommen würde. Aber sie war ein wenig beleidigt, dass ihre Tochter ihr nichts davon gesagt hatte, bevor sie es allen anderen erzählte. „Wann ist das denn passiert?“, fragte sie.

Danis braune Augen funkelten vor Aufregung. Sie schaute zu Mike, und die beiden lächelten sich an, wie es nur Verliebte tun können. „Gestern Abend. Wir wollten warten und euch alle überraschen.“

Na, das hatte geklappt.

„Na ja, ich weiß ja nicht recht, ob hier wirklich jemand überrascht ist“, meinte Dot, „aber ich bin sicher, dass du damit den Tag für deine Mutter zu einem wirklichen Festtag gemacht hast.“

Natürlich hatte sie das. Wieso saß Cass jetzt da wie ein begossener Pudel? Sie sprang auf und umarmte ihre Tochter und ihren zukünftigen Schwiegersohn. „Das ist ja großartig. Ihr beiden werdet bestimmt ganz glücklich zusammen.“

Wieso auch nicht? Anders als ihre Mutter in dem Alter hatte Danielle sich weise und vernünftig verhalten, als sie sich einen Partner gesucht hatte. Sie hatte sich nicht Hals über Kopf in eine Beziehung gestürzt, hatte sich nicht nur von ihren wild gewordenen Hormonen leiten lassen und war nicht vor lauter Liebe blind geworden. Sie hatte auf den richtigen Mann gewartet. Die beiden gaben das perfekte Paar ab: Mike mit seinen dunklen Haaren und Augen und der kräftigen Statur, Dani mit dem helleren Haar und der schlanken Figur. In ihrem Hochzeitsstaat würden sie so vollkommen aussehen, dass sie als Figuren jede Hochzeitstorte zieren könnten.

„Das schreit geradezu nach noch mehr Kuchen“, erklärte Drew grinsend und nahm sich noch ein Stück.

„Ich werde ja wohl Brautjungfer, oder?“, fragte Amber ihre Schwester.

„Natürlich“, versicherte Dani ihr.

„Du solltest schon mal deinen Armani in die Reinigung bringen“, meinte Cass zu Drew. „Dani braucht dich bestimmt, damit du sie zum Altar geleitest.“

Danis Miene verlor etwas von ihrem Glanz, und sie biss sich auf die Lippen.

„Hey, ich bin schon glücklich, wenn ich mit deiner Mom in der ersten Reihe sitzen darf“, sagte Drew hastig. „Ich muss nicht derjenige sein.“

O doch, das musste er. Wer sollte es sonst machen? O nein. Auf keinen Fall …

„Eigentlich hatte ich gehofft, dass Daddy mich zum Altar führt“, sagte Dani.

Dieser Nichtsnutz von einem Vater? Der Mann, der den Großteil von Danis Leben durch Abwesenheit geglänzt hatte? Cass ließ sich auf ihrem Stuhl zurückfallen und starrte ihre Tochter über den Tisch hinweg an.

Auf Danis Wangen zeichnete sich eine tiefe Röte ab, und schuldbewusst wich sie dem Blick ihrer Mutter aus.

„Daddy?“, wiederholte Cass, und ihre Verbitterung war unüberhörbar. Sehr erwachsen, ermahnte sie sich selbst. So schaffst du es bestimmt, deiner Tochter den Tag zu verderben.

Dani besaß ein sonniges Gemüt und wollte es gern allen recht machen. Daher kam man in der Regel gut mit ihr aus, aber jetzt schob sie trotzig ihr Kinn vor. „Ich weiß, dass er das gern tun würde.“

Oh, er wäre auch gern immer da gewesen, nur leider hatte das nie geklappt.

Erst in letzter Zeit. Er und seine zweiunddreißigjährige Vorzeigegattin Babette glaubten anscheinend, sie könnten die Kinder dazu bringen, jedes Mal nach Seattle zu kommen, wenn er von seinen Geschäftsreisen zurück war. Dann versuchte er, ihre Zuneigung mit Einkaufstrips und Tickets für Spiele der Seahawks zu gewinnen.

Offenbar gelang ihm das. Am liebsten hätte Cass den Wishbone, den sie extra noch aufgehoben hatte, in tausend Stücke zerbrochen. Das war einfach nicht in Ordnung. Nur: Wie sollte sie Dani dazu bringen, das genauso zu sehen?

Sie räusperte sich. „Du weißt doch, dass er viel unterwegs ist.“

„Ja“, meinte Dani, „aber ich möchte eine Weihnachtshochzeit feiern, und Weihnachten ist er da.“

„Weihnachten?“ Willie verzog das Gesicht.

Dani sah ihn böse an. „Was ist? Hast du Angst, dass dann der Weihnachtsmann nicht kommt?“ An die anderen gewandt, fügte sie hinzu: „Wir dachten an das Wochenende vor den Weihnachtstagen.“

„Dann bleibt nicht mehr viel Zeit zum Planen“, stellte Dot fest. „Wieso habt ihr es so eilig?“

Jetzt strahlte Mike so, als hätte er etwas Großes zu verkünden.

Dani kam ihm zuvor: „Weil Mike einen Job als stellvertretender Geschäftsführer in einem Baumarkt in Spokane bekommen hat. Und wenn er wegen dem neuen Job umzieht, will ich mitgehen.“

Alle am Tisch gratulierten Mike herzlich.

Alle außer Cass, die unter Schock stand. Sie würden wegziehen. Ihre Tochter würde praktisch verschwinden, kaum dass sie geheiratet hatte. Der Traum, dass Dani hier in Icicle Falls eine Familie gründen, dass sie irgendwann die Bäckerei übernehmen würde, zerplatzte wie eine Seifenblase. Cass musste sich sehr beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen. Sie schob den Teller mit dem halb aufgegessenen Kürbiskuchen von sich und hoffte, dass jetzt niemand fragte, wofür sie dankbar war.

„Wie auch immer, wir wollen nur im kleinen Rahmen heiraten“, sagte Mike. „Nichts Großes.“

Nichts Großes? Dani hatte sich immer eine große Hochzeitsfeier samt Trauung in der Kirche gewünscht. Was war aus dem Traum geworden?

„Und ich weiß, dass Daddy an dem Wochenende kommen kann“, fügte Dani hinzu.

„Du hast schon mit deinem Vater darüber gesprochen?“ Bevor du mir davon erzählt hast? Das tat weh. Das tat sogar entsetzlich weh.

„Nur um zu hören, ob er Zeit hat“, antwortete Dani. „Ich dachte mir, dass alle herkommen und dann die Woche über hierbleiben können.“

„Hier?“, krächzte Cass.

„Oh, oh“, murmelte Drew.

„Hier ist nichts frei“, erklärte Cass fest. In den Hotels gab es bestimmt keine Zimmer mehr.

Dot zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich könntest du sie bei Olivia unterbringen.“

Vielen Dank, Dot. Erinnere mich rechtzeitig daran, dass ich dich nie wieder zum Thanksgiving-Essen einlade.

„Dani, du weißt doch, wie hektisch es zu dieser Jahreszeit immer ist“, meinte Cass. „Ich bin sicher, dass die Pensionen und Hotels alle ausgebucht sind.“

„Olivia hat noch ein paar Zimmer frei“, verkündete Dani.

„Mit ihr hast du auch schon gesprochen?“ Hatte sie Olivia auch schon von ihren Plänen erzählt?

„Heute Morgen. Ich hab sie nur angerufen, um zu hören, ob noch was frei ist.“

„Na ja, damit ist dann ja wohl alles geregelt“, bemerkte Cass steif.

„Du hilfst mir doch bei der Planung, oder?“, fragte Dani kleinlaut.

Cass war verletzt, und sie war wütend, aber sie war nicht verrückt. „Natürlich. Und ich mache die Hochzeitstorte.“

„Ach, herrje.“ Amber verdrehte die Augen.

Dani ignorierte ihre Schwester und lächelte glücklich. „Danke, Mom.“

Cass seufzte. Sie würde sich sogar zusammenreißen und auf der Hochzeit nett zu allen sein. Wegen kleinlicher Eifersucht durfte sie ihrer Tochter den großen Tag nicht verderben. Das wäre nicht in Ordnung.

Es ist nicht kleinlich, flüsterte eine innere Stimme. Cass nannte sie ihren bösen Zwilling. Jetzt befahl sie der Stimme, Ruhe zu geben.

„Ich weiß, dass um diese Zeit immer so viel los ist“, sagte Dani.

„Vorweihnachtszeit ist Hauptsaison“, warf Dot ein.

Eigentlich sollte die Vorweihnachtszeit auch eine fröhliche Zeit sein. Das würde schwierig werden, wenn ihr Exmann durch die Stadt stolzierte und so tat, als wäre er der weltbeste Vater überhaupt. Noch schwieriger würde es werden, seine Vorzeigegattin mit offenen Armen, zumindest aber höflich zu begrüßen. Und darüber, dass sie sich mit ihrer Exschwiegermutter und Exschwägerin abplagen musste, wollte sie lieber gar nicht erst nachdenken. Wenn der Weihnachtsmann glaubte, dass Cass sich das zu Weihnachten wünschte, dann sollte er wohl lieber langsam in Rente gehen.

„Da kommt ja eine Menge Stress und womöglich auch Ärger auf dich zu“, meinte Dot etwas später zu ihr, als der Abwasch erledigt war und die Kinder sich mit der Wii vergnügten.

Cass lehnte sich gegen die Küchenarbeitsplatte und starrte auf ihren Kaffeebecher – sie trank ihren Kaffee schwarz. Wie passend, denn auch für die nächsten Wochen sah sie schwarz.

„Aber du wirst es schon überstehen.“

Natürlich würde sie das. Exmänner waren nun einmal Teil des Lebens. Sie würde sich zusammenreißen, gute Miene zum bösen Spiel machen und die Sache irgendwie hinter sich bringen. Schließlich waren es nur ein paar Tage. Wie auch immer, sie würden ja alle bei Olivia übernachten, da würde sie die Bagage kaum zu Gesicht bekommen.

Cass zwang sich widerstrebend zu einem Lächeln und hob die Tasse. „Na ja, dann trinken wir darauf, dass wir es überstehen.“

Dot stieß mit ihrer Tasse an. „Merry Ex-mas, Kindchen.“

2. KAPITEL

Es war Schwarzer Freitag, so genannt wegen des Börsencrashs, doch heutzutage war der Freitag nach Thanksgiving für die Geschäftsleute in Icicle Falls einer der umsatzstärksten. Für Ella O’Brien allerdings war es der zweite schwarze Tag in Folge. Wie anders doch das Erntedankfest in diesem Jahr verlaufen war – im Vergleich zum Vorjahr.

Nicht dass ihre Mutter nicht versucht hätte, den Tag zu etwas Besonderem zu machen. Mims hatte Ella über die Berge mit nach Seattle geschleppt. Dort hatten sie die Nacht verbracht und in einem erstklassigen Restaurant ihr Festtagsmahl eingenommen. Umgeben von Fremden. Wenn man mal von Gregory absah, dem langjährigen Freund ihrer Mutter, der, genau wie sie, ein Modefreak war und eine Wohnung am Wasser besaß.

Ella hatte den Gedanken, der ihr beim Essen gekommen war, nicht willentlich heraufbeschworen, und doch hatte sie sich nicht gegen die Erinnerungen wehren können: Dies hier ist so anders als das Thanksgiving im letzten Jahr mit deinen Schwiegereltern. Ach nein, Korrektur: mit den ehemaligen Schwiegereltern.

Es war ein typisches Familienfest der O’Briens gewesen, laut und aufregend, vor allem für eine Frau, die sich immer Geschwister gewünscht hatte. Mims, die ebenfalls eingeladen gewesen war, war ziemlich distanziert und ein wenig hochnäsig gewesen, während die anderen Erwachsenen zusammen mit den Kindern nach Geländespielen im Wald ganz schön hungrig waren. Nach dem Essen hatte ihre Schwiegermutter (Exschwiegermutter, verflixt) ihr geholfen, ein ziemlich schwieriges Strickmuster zu verstehen.

Und später, als es Zeit für den Nachtisch gewesen war, hatte Mims, die sich extrem bewusst ernährte, erfahren, dass die Pastete, die sie gerade genoss, nach einem alten Jägerrezept zubereitet worden war und Elchfleisch enthielt. Daraufhin hatte sie umgehend das Bad aufsuchen müssen.

In diesem Jahr gab es keine Flucht ins Bad. Und es gab keinen Jake. Das war auch okay für Ella. Ehrlich. Mims hatte recht: Ohne diesen Kerl, der nicht nur verantwortungslos und immer noch ein großes Kind war, sondern auch noch jedem Rock hinterherlief, war sie viel besser dran. Und ihr Leben würde vollkommen sein, sobald sie ihn nicht mehr jeden Tag sehen musste.

Aber sie vermisste seine Mutter und seine Geschwister. Es war irgendwie nett gewesen, jemanden Mom nennen zu können.

Zu ihrer eigenen Mutter hatte sie nie Mom gesagt. Stattdessen hatte sie irgendwann angefangen, die Freunde ihrer Mutter aus der Modebranche zu imitieren, und von da an hatte sie sie Mims gerufen. Woher dieser Spitzname kam, hatte Ella nie herausgefunden. Sie wusste nur, dass er etwas mit der Vorliebe ihrer Mutter für Mimosen zu tun hatte. Oh, und angeblich auch mit einem Tycoon und einer Jacht. Ihre Mutter hatte sowieso nie eine Mom sein wollen. Das war in ihren Augen schlicht nicht glamourös genug. Und Lily Swan verlieh allem einen gewissen Glamour, einschließlich der Mutterschaft. So war Ella also ohne Mom, dafür aber mit einer Mims aufgewachsen, und im Laufe der Zeit war es ihr völlig normal erschienen. Wenn sie gefragt wurde, warum sie ihre Mutter nicht Mom nannte, hatte Ella ihren Freunden diese Geschichte erzählt.

Und wenn sie gefragt wurde, warum sie keinen Daddy hatte, gab sie das zum Besten, was ihre Mutter auf Partys auch immer sagte – ein Mädchen brauchte nicht wirklich einen Daddy.

Dabei hatte sie sich immer einen gewünscht. Sehnsuchtsvoll hatte sie zugesehen, wenn andere kleine Mädchen von ihren Vätern auf den Schultern getragen oder von ihnen zum Eisessen eingeladen wurden.

Als sie Jake geheiratet und einen Schwiegervater bekommen hatte, war das der beste Bonus überhaupt gewesen.

Jakes Dad hatte sie immer mit einer Umarmung und der Frage: „Na, wie geht’s meiner Lieblingsschwiegertochter?“ begrüßt. Er hatte die Luft in ihren Autoreifen geprüft und hatte ihr kleine Waschbären geschnitzt, die sie auf ihren Kaminsims gestellt hatte. Mims fand sie kitschig, doch Ella liebte sie, weil sie jedes Mal, wenn sie sie ansah, an das freundliche, strahlende Gesicht ihres Schwiegervaters dachte.

„Wir sind so traurig, dass wir dich verlieren“, hatte Mom O’Brien ihr in einer ganz lieben Karte geschrieben, nachdem Ella und Jake ihre Trennung offiziell gemacht hatten. Auch Ella fand es traurig, nicht mehr zur Familie zu gehören. Zu schade, dass eine Frau nicht einfach den Ehemann loswerden, aber die Familie behalten kann, dachte sie, als sie das Schild, das an der Tür zur Boutique Gilded Lily’s hing, auf „Geschlossen“ drehte.

Sie war müde – den ganzen Tag lang mit Menschen zu arbeiten konnte anstrengend sein. Aber es ist eine gute Art von Müdigkeit, entschied sie, als sie begann, die Kasse abzurechnen. Von jetzt bis Silvester würde es im Geschäft ziemlich hektisch werden. Gilded Lily’s war der Laden, der in Icicle Falls am ehesten an einen Neiman Marcus oder Nordstrom herankam. Die Boutique gehörte ihrer Mutter, aber inzwischen betrieb ihn Ella. Sie liebte schöne Sachen, und sie liebte es, den Kundinnen zu helfen, das perfekte Kleid für besondere Gelegenheiten zu finden, sei es eine Party oder ein Abschlussball. Und dazu gehörten natürlich auch die passenden Accessoires, die dem Kleid den letzten Pfiff gaben. Heute, an diesem Schwarzen Freitag, waren eine Menge Kundinnen da gewesen, die den letzten Pfiff gebraucht hatten.

Jetzt war ein langer Arbeitstag zu Ende, und es war Zeit heimzugehen. Das Heim ist dort, wo das Herz ist. Trautes Heim, Glück allein.

So ein Quatsch.

Sie trat hinaus in die kühle Bergluft und schloss die Tür hinter sich ab. Winterliche Dunkelheit hatte sich über die Stadt gelegt, doch in der Innenstadt funkelte und glitzerte es. Weihnachtsbeleuchtung zierte die Bäume im Park sowie die kleinen Tannenbäume, die vor den Geschäften standen, und rote Schleifen verschönerten die nostalgischen Laternen an der Center Street.

An allen kommenden Wochenenden würde es eine kleine Zeremonie geben, bei der die Lichter der wolkenkratzergroßen Tanne auf dem Marktplatz eingeschaltet wurden. Mit ihren Hunderten von bunten Lichtern würde sie das winterliche Bild der Stadt vervollkommnen. Mit den Bergen ringsherum und der bayerisch anmutenden Architektur wirkte Icicle Falls wie eine animierte Postkarte, malerisch und bezaubernd – die vollkommene Kulisse für ein vollkommenes Leben. Nur war Ellas Leben im Moment alles andere als vollkommen; eher glich es einem Kleid, das nicht mehr passte.

Sie brauchte nicht lange vom Laden zu ihrem kleinen Cottage an der Mountain View Road. Ihr Traumhaus. Im Sommer hatte sie zwei Schaukelstühle mit dicken Kissen auf die Veranda gestellt, und sie und Jake hatten an warmen Abenden dort draußen gesessen. Während sie gestrickt hatte, hatte Tiny, ihr Bernhardiner, faul zu ihren Füßen gelegen und mit ihr zusammen Jakes Gitarrenspiel gelauscht. Letztes Jahr zu Weihnachten hatte es ihr großes Vergnügen bereitet, bunte Lichterketten an der Veranda anzubringen, während Jake die Lichterketten auf dem Dach befestigt hatte – es war richtig gute Teamarbeit gewesen.

Bei diesen Erinnerungen seufzte Ella. Sie war davon ausgegangen, dass sie dieses Haus für immer behalten würden, hatte sich vorgestellt, wie sie darin eine Familie gründen oder es, wenn Jake ein berühmter Countrystar geworden war, als Ferienhaus behalten würden.

Ihre Mutter hatte diese Visionen nicht mit ihr geteilt. „Ihr solltet euch nicht so schnell ein Haus kaufen“, hatte Mims sie gewarnt, als sie es sich das erste Mal angeschaut hatten. „Ihr seid beide noch jung, und du weißt doch nicht mal, ob diese Ehe überhaupt hält.“

„Natürlich hält sie“, hatte Ella empört geantwortet. „Warum sollte sie nicht halten?“

Ihre Mutter hatte sich nicht weiter dazu geäußert, sondern nur die Lippen geschürzt wie eine Frau, die ein dunkles Geheimnis hütete. Woher hatte Mims gewusst, dass die Beziehung mit Jake in die Brüche gehen würde? Was waren das für frühe Warnsignale gewesen, die Mims gesehen, Ella aber offenbar übersehen hatte?

Was auch immer es gewesen war, Mims hatte es für sich behalten, und um zu zeigen, dass sie ihre Tochter unterstützte (nachdem die Entscheidung gefallen und der Kaufvertrag unterschrieben war), hatte sie ihnen einen Gutschein von Hearth and Home geschenkt, damit sie sich dort eine neue Couch aussuchen konnten. Dazu hatte sie angemerkt: „Ehrlich, Ella, ihr könnt euch doch nicht mit Sachen vom Flohmarkt einrichten. Was sollen denn die Leute denken?“

„Vielleicht, dass wir glücklich sind?“, hatte Ella vorgeschlagen.

Mims hatte die Bemerkung ignoriert. „Geh los und schau dir die Sofas bei Hearth and Home an, Baby. Du findest bestimmt eins, das dir gefällt, da bin ich mir sicher.“

Tatsächlich hatte Ella eine Couch gefunden, die ihr auf Anhieb zugesagt hatte, und Mims hatte das braune Ledersofa mit den geschnitzten Mahagoniakzenten ausdrücklich gelobt. „Du hast einen wunderbaren Geschmack“, hatte sie gesagt, um dann hinzuzufügen: „Zumindest in den meisten Dingen.“ Was übersetzt heißen sollte: Dein Männergeschmack ist äußerst zweifelhaft.

„Also wirklich, Darling, du hättest doch nun wirklich was Besseres verdient“, hatte Mims ihr geraten, als es zwischen Ella und Jake ernster wurde. „Wenn es sein muss, dann schlaf mit ihm, aber du meine Güte, du musst dich doch nicht dein Leben lang mit diesem Mann belasten.“

Was für eine Mutter redete so mit ihrer Tochter? Tja, Lily Swan tat es. Mims hatte nie das Bedürfnis nach einem Ehemann verspürt. Also vermutete Ella, dass sie von ihrer Tochter erwartete, genauso weise zu sein und es ihr gleichzutun. „Männer können Spaß machen, aber wirklich nötig sind sie nicht“, hatte Ella ihre Mutter einmal sagen hören.

Wie viel Spaß hatte Mims wohl mit Ellas Vater gehabt? Und was hatte sie davon abgehalten, eine Familie zu gründen? Das war, genau wie das Alter ihrer Mutter, streng geheim, und Ella hatte irgendwann aufgehört zu fragen.

Als sie die Haustür aufschloss, kam gerade ihr eigener Mr-nicht-nötig, ihr Exmann, den Flur entlanggeschlendert. Er trug Boxershorts und einen Wäschekorb – sonst nichts. Tiny trottete hinter ihm her. Ella hasste es, wenn Jake das machte – nicht die Wäsche, sondern halb nackt herumlaufen.

Jake O’Brien besaß einen Körper, mit dem er durchaus zum Beispiel für Unterwäsche hätte Reklame machen können, und sein Anblick war irgendwie … na ja, er lenkte halt ab. Er hatte doch den ganzen Tag Zeit gehabt, um die Wäsche zu erledigen. Warum hatte er bis jetzt damit gewartet?

Stirnrunzelnd sah sie ihn an.

Er musterte sie genauso finster. „Was ist?“

Tiny kam zu ihr gerannt und wedelte freudig mit dem Schwanz. Ella beugte sich zu ihm und begrüßte den Hund, indem sie ihn hinter den Ohren kraulte. „Hättest du die Wäsche nicht schon mal früher machen können?“ Das klang ziemlich schnippisch, dabei war sie eigentlich gar kein schnippischer Mensch. Jedenfalls war sie das vor der Scheidung nicht gewesen.

„Ich war beschäftigt“, antwortete Jake.

Wahrscheinlich mit irgendeiner Frau. Nicht dass es sie interessierte. Es ging sie nichts mehr an, was er tat oder mit wem er es tat.

„Wieso interessiert es dich überhaupt, wann ich meine Wäsche mache? Schließlich sind wir nicht mehr verheiratet.“

„Das ist genau der Punkt“, erwiderte sie und richtete sich wieder auf. „Wir sind nicht mehr verheiratet. Und ich finde, du solltest hier im Haus nicht in deiner Unterwäsche herumlaufen.“ Jetzt klang sie nicht nur schnippisch, sondern auch noch so, als wollte sie ihn herumkommandieren. Das war doch gar nicht ihre Art.

Jake blieb neben ihr stehen. Und diese Nähe richtete noch immer merkwürdige Dinge bei ihr an.

Nein, das war Vergangenheit, davon ließ sie sich nicht mehr beeindrucken! Sie versuchte, den wohligen Schauder, der ihr über den Rücken lief, zu ignorieren.

Jake grinste sie an, und es war absolut kein harmloses Grinsen. „Hast du … Probleme damit?“

Sie spürte, dass ihr die Röte in die Wangen stieg. Ertappt. „Es gehört sich einfach nicht.“ Schnippisch, herrisch und übertrieben tugendhaft – wer war diese neue und nicht gerade bessere Ella? „Ich laufe ja schließlich auch nicht in meiner Unterwäsche durchs Haus.“

„Ich hätte absolut nichts dagegen.“

Aus dem Stirnrunzeln wurde ein böser Blick. „Wir mögen uns zwar noch dieses Haus teilen, aber aus rein wirtschaftlichen Gründen.“

„Ich verhalte mich rein geschäftlich, und wenn meine Boxershorts dir was ausmachen, dann zieh doch aus.“

Als ob sie es sich leisten könnte auszuziehen. Sie hatte nicht mehr Geld auf dem Konto als er.

„Du kannst ja wieder zu deiner Mutter zurückgehen.“

Fehlte nur noch, dass er „Mamakind“ hinterherschob.

Sie war kein Mamakind, und sie hatte, genau wie er, das Recht, hier wohnen zu bleiben, bis das Haus verkauft war. Sie war erwachsen. Sie brauchte nicht zurück zu ihrer Mutter zu laufen.

Außerdem hatte Mims sich inzwischen räumlich verkleinert und war in eine der schicken neuen Eigentumswohnungen am Mountain Ridge gezogen, die etwas außerhalb des Stadtzentrums lagen. Dort waren Hunde von Tinys Größe gar nicht erlaubt. Und wenn Jake glaubte, dass sie ihm Tiny überlassen würde, dann hatte er sich aber gründlich getäuscht. Tiny brauchte sowohl Herrchen als auch Frauchen. Auch wenn sie bald getrennte Wege gehen würden, mussten sie sich das Sorgerecht eben teilen. Ganz davon abgesehen, dass Ella hierbleiben musste, um sicherzustellen, dass das Haus vorzeigefähig aussah. Wenn sie nicht da war, würden potenzielle Kunden vermutlich nichts als schmutzige Toiletten, dreckiges Geschirr in der Spüle und Bierdosen auf dem Couchtisch zu sehen bekommen, und dann würden sie das Haus nie verkaufen.

Das Haus verkaufen – der Gedanke daran versetzte ihr immer noch einen Stich. Aber es war nur einer von vielen Stichen, die sie im vergangenen Jahr hatte erdulden müssen. Einen Moment lang hatte sie die verrückte Idee, eine Hand auf Jakes Gesicht zu legen und zu fragen: „Was ist mit uns passiert? Warum machen wir das?“ Aber sie wusste, was passiert war, und jetzt gab es kein Zurück mehr. Der Zug war bereits abgefahren. Hatte nicht nur die Stadt, den Bundesstaat, sondern auch das Land verlassen. Jetzt mussten sie einfach, jeder für sich, allein weiterziehen.

Sie seufzte. „Pass auf: Wir stecken hier nun mal beide fest, bis das Haus verkauft ist. Können wir nicht einfach versuchen, miteinander auszukommen?“

Er schaute sie aus diesen schönen dunklen Augen an. Von wegen schöne Augen … die machte er gern auch anderen Frauen.

„Ich bin nicht derjenige, der mit all dem hier angefangen hat, El“, sagte er leise.

„Ach ja?“ Wer hatte denn das hier „angefangen“, indem er mit der Telefonnummer einer anderen Frau in der Hosentasche angekommen war?

Doch es war sinnlos, das alles noch einmal aufzuwärmen. Jake würde ihr nur wieder diese alberne Story von der Keyboarderin auftischen, die unbedingt in seiner Band mitspielen wollte. So ein Quatsch! Das war bestimmt nicht alles gewesen, was diese Frau von ihm gewollt hatte. Die Nachricht auf dem Anrufbeantworter, die Ella gehört hatte, als sie die Nummer angerufen hatte, war ziemlich vielsagend gewesen. Ich bin zurzeit nicht zu Hause, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht. Falls du es bist, Jake, ich kann mich jederzeit und überall mit dir treffen.

Wozu? Für ein privates Vorspielen? Von da an war es nur noch bergab gegangen. Übrigens hatte er schon vorher die Maske des perfekten Ehemannes fallen lassen, indem er mit jedem kleinen Groupie geflirtet hatte, das zur Bühne gekommen war, wenn seine Band Ricochet gespielt hatte. Eines Abends hatte Ella ihn sogar dabei erwischt, wie ihm ein Mädchen einen schwarzen Stringtanga zugesteckt hatte, als die Band gerade eine Pause machte. Angeblich hatte er eine Cola holen wollen. Als er sah, dass Ella kam, hatte er das Teil wie eine heiße Kartoffel schnell zurückgegeben. Eine heiße Kartoffel mit Spitzenbesatz.

„Sie hat mich überrumpelt. Ich war so schockiert, dass ich gar nicht wusste, was ich tun soll“, hatte er sich gerechtfertigt.

Genau wie er nicht gewusst hatte, was er mit der Telefonnummer einer gewissen Keyboardspielerin machen sollte? Für wie dumm hielt er sie eigentlich? Und nachdem sie den Beweis in den Händen gehabt hatte … o ja, da hatte er sich aufs hohe Ross geschwungen und sich total beleidigt gegeben, weil ihre Mutter den Nerv besessen hatte, einen Privatdetektiv anzuheuern, der ihm gefolgt war. Wer konnte ihr das schon verübeln, nachdem sie gehört hatte, wie Jake hinter dem Rücken ihrer Tochter herummachte und die Unterhöschen von anderen Frauen sammelte?

Aber das, was auf den Bildern zu sehen war, war eindeutig: Ihr Ehemann stand vor einer fremden Haustür und umarmte eine andere Frau. Nachdem er über eine Stunde lang bei ihr gewesen war. Eine Stunde! Er hatte behauptet, dass er einfach nur bei ihr vorbeigeschaut hatte, um ihr ein paar Noten zu bringen. Von wegen! Wenn die beiden sich in der Stunde mit Musik beschäftigt hatten, wollte Ella einen Besen fressen. Wie viele Quickies konnte ein untreuer Ehemann in einer Stunde schaffen? Das wollte sie lieber gar nicht näher ergründen. Oh, verflixt, wer einmal behauptet hatte, dass ein Bild mehr als tausend Worte sagte, der musste wohl einen untreuen Ehemann gehabt haben.

Na ja, Jake hatte seine Keyboarderin, und Ella hatte ihre Scheidung bekommen. Damit hatten sie beide, was sie wollten. „Ohne ihn bist du besser dran“, hatte Mims gesagt. „Er wird es nie zu etwas bringen, folglich bleibst du dein Leben lang arm. Hungernde Musiker sind definitiv ein Verlustgeschäft.“

„Ich habe Jake doch nicht geheiratet, um reich zu werden“, hatte Ella protestiert.

„Glückwunsch, das ist dir gelungen“, hatte Mims gekontert. Männer waren vielleicht nicht unbedingt nötig. Aber wenn es nach ihrer Mutter ging, sollte ein Mann, sobald eine Frau sich einen geangelt hatte, gefälligst wenigstens sein eigenes Geld verdienen.

Ihre Mutter hatte recht. Jake war unreif und verantwortungslos, und, was das Schlimmste war: Er war ein Ehebrecher. Sie konnte froh sein, dass sie ihn los war. Selbst wenn er in seinen Boxershorts unglaublich heiß aussah.

Grimmig schaute er sie an. „Vergiss es. Es macht überhaupt keinen Sinn mehr, darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Ich könnte reden und reden, bis ich blau anlaufe, und trotzdem würdest du nicht ein Wort von dem, was ich sage, hören.“ Nach dieser spitzen Bemerkung marschierte er die Treppe hinauf.

Ella wandte ihm den Rücken zu. Sie würde nicht – auf gar keinen Fall! – auf sein knackiges Hinterteil starren.

Am besten, sie verschwand ganz. Jake würde gegen acht Uhr das Haus verlassen, weil er einen Auftritt im Red Barn hatte, einer kleinen Kneipe etwas außerhalb der Stadt. Dort würde er den Abend über Countrysongs für Leute singen, die mehr daran interessiert waren, sich zu betrinken und jemanden für einen One-Night-Stand aufzugabeln, als seiner Band zu lauschen.

Ella dagegen hatte die Band immer unheimlich gern spielen gehört.

Ach, vergiss es, schalt sie sich.

Einen Augenblick später kam Jake wieder die Treppe hinunter und ging in Richtung Küche. Seine Boxershorts hatte er unter einer Jeans verborgen, doch sein Oberkörper war immer noch nackt und bescherte Ella einen weiteren wohligen Schauder. „Ich brauche die Küche noch für zwanzig Minuten“, rief er ihr über die Schulter zu.

„Bleib meinetwegen, so lange du willst.“ Und bring alles in Unordnung. „Ich gehe wieder“, rief sie.

„Hast wohl ein heißes Date, was?“

Das ging ihn gar nichts an. Sie weigerte sich, darauf zu antworten. Stattdessen schnappte sie sich ihre Handtasche und ging zur Haustür. Tiny folgte ihr hoffnungsvoll.

Ella kniete sich vor ihn und streichelte ihn. „Ich bin wieder da, sobald er weg ist, versprochen“, flüsterte sie. „Dann bürste ich dich ganz gründlich.“

Tiny stieß ein leises Bellen aus und sabberte ein wenig. (Auch Tiny sorgte für ein reichliches Maß an Unordnung, aber im Gegensatz zu dem anderen männlichen Bewohner dieses Hauses konnte er nichts dafür.)

Sie küsste ihn auf den Kopf. Dann schlüpfte sie mit schlechtem Gewissen zur Tür hinaus. Der arme Tiny. Er spürte die schlechte Stimmung im Haus. Ob er sich in seinem Hundeherzen fragte, was er verbrochen hatte, dass er in so einem unglücklichen Heim gelandet war? Wenn sie geahnt hätte, dass so etwas passieren könnte, hätte sie niemals das Tierheim aufgesucht.

Doch das war jetzt nicht mehr zu ändern. Irgendwie würde sie es wiedergutmachen. Wie, wusste sie allerdings auch nicht. Ella hoffte, sie fand eine Wohnung, in der es erlaubt war, dass ein Hund in dieser Größe sabberte und haarte. Oje.

Ihr Schwarzer Freitag wurde von Minute zu Minute schwärzer. Sie verließ das Haus. Während sie die Straße entlangging, tippte sie Cecily Sterlings Telefonnummer ins Handy.

Ella und Cecily waren seit der Highschool befreundet. Cecily war sogar diejenige gewesen, die Ella und Jake zusammengebracht hatte. Als Cecily nach Los Angeles gezogen war, hatten sie sich aus den Augen verloren, aber seit sie Anfang des Jahres nach Icicle Falls zurückgekehrt war, trafen sie sich wieder regelmäßig. Cecily war schockiert gewesen, als sie von der Scheidung gehört hatte. Aber sie war sehr mitfühlend gewesen und hatte ihre Unterstützung angeboten. Es gab Männer, die an ihr interessiert waren; genau genommen, zwei, aber sie hatte die Nase voll von Männern (hatte sie jedenfalls behauptet), was sie zu einer idealen Essensbegleitung machte.

„Hast du schon gegessen?“, fragte Ella, als Cecily ans Telefon ging.

„Nö“, erwiderte Cecily. „Ich bin gerade erst zur Tür reingekommen.“

„Dann hast du wohl keine große Lust, gleich wieder loszugehen, oder?“

„Kommt drauf an. Was schwebt dir vor?“

„Ich muss mich noch für ein, zwei Stunden rumtreiben. Wollen wir bei Zelda’s essen gehen?“ Obwohl es Freitagabend und die Stadt voller Touristen war, die sich auf eine Shoppingtour am Samstag freuten, würde Charlene Albach bestimmt noch einen freien Tisch für ihre Freundinnen finden.

„Jake ist wohl noch zu Hause, was?“, vermutete Cecily.

„Ja“, gab Ella zu. Es war wirklich albern. Sie konnte doch nicht jedes Mal, wenn Jake zu Hause war, in Charleys Restaurant laufen.

„Für einen Huckleberry Martini könnte ich mich vielleicht aufraffen“, sagte Cecily.

O ja, ein Huckleberry Martini klang gut. Oder auch zwei. So viele, wie sie brauchte, um das Bild von Jake in seinen Boxershorts aus ihrem Kopf zu vertreiben.

Jake knallte einen Topf auf den Herd und zog eine Dose Chili aus dem Regal. Chili aus der Dose. Das war ja wie in den schlimmsten Junggesellenzeiten.

Mist, er war ja auch wieder Junggeselle.

Missmutig runzelte er die Stirn, während er die Dose unter den elektrischen Dosenöffner hielt. Das war doch echt alles Mist. Sein ganzes Leben war Mist. Von vollkommen zu vollkommenem Mist … und das innerhalb eines Jahres.

Konnte man daraus vielleicht ein Lied machen? Wahrscheinlich nicht. Er leerte den Inhalt der Dose in den Topf und gab noch jeweils eine Dose mit geschälten Tomaten und mit Mais dazu, sein persönliches Geheimrezept.

Tiny war ebenfalls in die Küche gekommen und sah ihn erwartungsvoll an. „Ja, ich weiß, du isst auch gern Chili“, sagte er zu dem Hund. Er öffnete eine weitere Dose und goss sie in den Topf. „Du weißt aber schon, dass du danach schrecklich furzen wirst, oder?“

Tiny wedelte mit dem Schwanz.

„Ja, du hast recht. Wen stört’s. Wir sind echte Kerle, und die machen das nun mal.“ Und echte Kerle liefen auch in ihren Boxershorts durchs Haus.

Er nicht mehr, jetzt, wo er und Ella nicht länger zusammen waren. In Boxershorts durchs Haus zu laufen war nicht mehr erlaubt. Vielleicht sollte er sie dann auch mal darauf ansprechen, dass sie ihre BHs nicht immer so sichtbar aufhängen sollte, wenn sie gewaschen hatte? War ihr eigentlich klar, wie sehr ihn das verrückt machte? Er brauchte nur einen Blick auf diese kleinen spitzenbesetzten Körbchen zu werfen, und schon hatte er sich und Ella vor Augen, wie sie in diesem Schlittenbett, das sie auf einem Flohmarkt gefunden hatten, übereinander herfielen.

Er seufzte. Wie konnte es angehen, dass er eben noch glücklich verheiratet und im nächsten Moment schon unglücklich geschieden war?

Er und Ella waren füreinander bestimmt. Sie hätten zur Eheberatung gehen, hätten die Probleme aufarbeiten sollen.

Ach, verdammt, sie hätten gar keinen Eheberater gebraucht, wenn er die Sache erklärt hätte, sobald sie angefangen hatte, ihre Version von „Your Cheatin’ Heart“ zu singen und ihm vorgeworfen hatte, er hätte sie betrogen. Natürlich hatte er es versucht, aber Ella hatte ihm das Wort abgeschnitten. Und als sie dann noch diese Bilder vor ihn auf den Tisch geworfen hatte, war er so schockiert darüber gewesen, dass seine Schwiegermutter etwas so Unglaubliches tun konnte, so betroffen und sauer … dass er ausgerastet war. Verletzter Stolz und Zorn hatten ihn erst an den ehelichen Abgrund geführt und schließlich hinabgestoßen.

Es war ein rasanter Fall gewesen, und er hatte aus erster Hand erfahren, dass es, sobald das Wort Scheidung einmal gefallen war, nichts mehr zu sagen gab.

Jetzt stand er also hier, verletzt und unglücklich. Die Frau, die einmal geglaubt hatte, er könnte ihr die Sterne vom Himmel holen, wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.

Und sein Chili brannte an. Fluchend zog er den Topf von der Herdplatte. „Du kriegst den angebrannten Teil“, informierte er Tiny. „Dir ist es ja egal.“

Dir ist es ja egal. Diese Worte hatte ihm Ella an den Kopf geschleudert. Und sie hatte darauf bestanden, dass er die Scheidungspapiere unterzeichnete.

„Ich bin nicht derjenige, der die Scheidung eingereicht hat“, hatte er zurückgegiftet.

„Unterschreib einfach, Jake. Bitte.“

Als er die Tränen in ihren Augen gesehen hatte, hätte er Ella an sich ziehen und sie küssen sollen, bis sie keine Luft mehr bekam. Dann hätte er die Scheidungspapiere zerreißen, sich ein bisschen Geld von Pops leihen und mit ihr nach Nashville ziehen sollen. Das war eine Stadt, in die ihre Mutter ihnen nie und nimmer gefolgt wäre. Und das war vermutlich genau das, was sie brauchten. Dann wären sie endlich zu zweit und nicht länger zu dritt gewesen.

Er goss seine kulinarische Kreation in eine Schüssel, gab Tiny den Rest und marschierte zurück in sein Zimmer. Sein Zimmer. Noch so eine Sache, die zum Himmel stank. Dies hier war das Gästezimmer. Irgendwann hätte es das Kinderzimmer werden sollen. Jetzt war es sein Zimmer.

Frustriert ließ er sich auf dem schmalen Bett nieder, das zu allem Unheil auch noch um etliche Zentimeter zu kurz für ihn war (auch ein Flohmarktschnäppchen), und seufzte. Hier saß er nun, ein Hausbesetzer in seinem eigenen Heim. Vielleicht hatte Lily Swan ja doch recht. Vielleicht war er ein Loser. Vielleicht hatte er kein Talent. Wenn er es einfach nur zugegeben, die Band verlassen und einen Job in der Schokoladenfabrik von Sweet Dreams Chocolate angenommen hätte, dann wären er und Ella vielleicht noch zusammen. Dann hätte es keine Groupies gegeben, keine Jen, keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Stattdessen träumte er weiter von einer Karriere als Songwriter und davon, ein Star zu werden. Er hatte versucht, seinen Traum (und sich und Ella) zu finanzieren, indem er in einem Musikladen gearbeitet hatte, doch leider war der Laden pleitegegangen. Ein paar Gitarrenschüler hatte er noch, aber damit wurde er nicht gerade reich. Kurz gesagt, im Moment war er wirklich ein Loser, unfähig, die Frau zu halten, die er liebte, und außerdem kaum noch in der Lage, an seinen Träumen festzuhalten.

Als er den Kopf hob und zur Kommode blickte, glitzerte Ellas Verlobungsring, als wollte er sich über Jake lustig machen. Ein ganzes Jahr lang hatte er Anzahlungen für den Ring geleistet, hatte sich den Rest des Geldes, das er noch brauchte, von Pops geliehen, den Ring bezahlt und Ella noch am selben Abend gefragt, ob sie ihn heiraten würde. Als sie ihm die Scheidungspapiere zugeschoben hatte, hatte sie ihm sowohl den Verlobungs- als auch den Ehering wiedergegeben. „Die kann ich nicht behalten“, hatte sie gesagt. Genauso wenig, wie sie ihn behalten konnte.

„Nein, die habe ich dir doch geschenkt. Behalte sie“, hatte er beharrt.

Ella liebte Schmuck, und den Verlobungsring hatte sie besonders gern gemocht. Doch sie hatte nur den Kopf geschüttelt. Die Ringe wollte sie auf keinen Fall haben.

Aber Jake konnte sich nicht dazu durchringen, sie zu verkaufen. Auch wenn sie Ella nichts mehr bedeuteten: Ihm bedeuteten sie immer noch etwas.

Verdammt, er war ein Countrysong auf zwei Beinen.

Schlecht gelaunt stellte er sein Chili beiseite und zog sich an. Hier noch länger herumzuhängen war sinnlos. Er würde ins Red Barn gehen. Vielleicht würde er dort eine nette Frau treffen, die ihn und seine Musik zu würdigen wusste.

Doch selbst wenn er eine finden sollte, würde er sie anschauen und nur Ella sehen.

Und das war das Schlimmste an der ganzen Sache.

3. KAPITEL

Zufrieden blickte Charlene Albach, die von ihren Freunden nur Charley genannt wurde, auf ihr kleines Reich. Sechs Uhr abends, und alles läuft gut.

Das Restaurant Zelda’s war voller Gäste, viele von ihnen Touristen, die sich ein nettes Thanksgiving-Wochenende in der Stadt gönnten. Charley war ihnen gern dabei behilflich, es zu genießen. Es war schade, dass sie nicht zu ihrer Schwester nach Portland hatte fahren können, um mit ihrer Familie zu feiern, aber das Restaurant gehörte jetzt ihr allein, und sie konnte einfach nicht weg. Also hatte sie sich stattdessen darauf konzentriert, anderen Familien einen richtig tollen Urlaubstag zu bereiten, hatte einen Truthahn mit allen erdenklichen Beilagen serviert, inklusive einer Füllung, hergestellt nach einem Rezept ihrer Urgroßmutter. Na ja, mit ein paar kleinen Neuerungen. Das war ja das Tolle, wenn man ein Restaurant betrieb: Man konnte neue Rezepte ausprobieren und sich köstliche Geschmackserlebnisse einfallen lassen, die die Gäste dazu brachten, immer wiederzukommen.

Heute waren auf jeden Fall viele Gäste erschienen. Offenbar hatten die Leute bei Schlittenfahren und Shoppen ordentlich Hunger bekommen. Morgen würden sie wieder Schlitten fahren, noch mehr einkaufen und nochmals bei Zelda’s einfallen. Das bedeutete ordentlich Geld in der Kasse, was wiederum ein erfreuliches Weihnachtsfest versprach. Charley hatte sich vorgenommen, in diesem Jahr einmal richtig verschwenderisch zu sein, wenn sie für ihre Freundinnen einkaufen ging. Schließlich waren die alle für sie da gewesen, als sie plötzlich und unerwartet zu einer alleinstehenden Frau geworden war. Es war eine schmerzhafte Erfahrung gewesen, und sie hatte vor, sich zu bedanken, indem sie Geschenke kaufte, die den Weihnachtsmann stolz machen würden.

Gerade hatte sie einem Ehepaar in den Vierzigern und deren Teenagertochter, die damit beschäftigt war, SMS zu schreiben, einen Tisch zugewiesen, als Ella O’Brien und Cecily Sterling hereinschneiten. „Und ich dachte, bei mir im Laden würde es hoch hergehen“, stellte Ella fest, als sie sich umschaute.

Die Szene war wahrlich eine Augenweide. Menschen jeden Alters und jeder Herkunft, alle warm angezogen, genossen die Spezialitäten des Hauses, sei es nun Lachs im goldgelb gebackenen Teigmantel, Kürbiscurry, gebackenes Wintergemüse oder Heidelbeer-Käsekuchen zum Dessert. Auch die anderen Sinne wurden angesprochen: Der köstliche Duft von Salbei strömte aus der Küche und verführte die Gäste dazu, die leckere Truthahnlasagne zu probieren, die Charleys Küchenchef Harvey kreiert hatte, und das Klappern des Bestecks sowie das Stimmengewirr erinnerten Charley daran, dass das Leben schön war.

Nein, es war besser als einfach nur schön. Es war großartig. Wer brauchte schon einen Mann? Dass sie ihren betrügerischen Ehemann losgeworden war, hatte ihre Kreativität freigesetzt. Das Restaurant lief ohne ihn viel besser. Und Charley ging es ohne ihn auch besser. Sex wurde sowieso überbewertet.

Und wenn sie sich das immer wieder einredete, dann glaubte sie es irgendwann vielleicht sogar selbst.

„Hast du noch ein Plätzchen für uns?“, fragte Cecily.

„Für eine ehemalige Mitarbeiterin finde ich immer ein Plätzchen. Bist du sicher, dass du nicht doch wieder für mich arbeiten willst?“, fügte Charley hinzu, als sie die beiden zu ihrem letzten Zweiertisch führte. „Zum Beispiel heute?“

„Samantha hält mich bei Sweet Dreams schon genug auf Trab“, erwiderte Cecily lächelnd. „Ich glaube, meine Kellnerinnenzeit ist vorbei.“

Genau wie ihre Zeit als Partnervermittlerin, jedenfalls behauptete Cecily das. Manchmal hatte Charley schon überlegt, ob sie Cecily bitten sollte, für sie noch einmal eine Ausnahme zu machen und ihr einen perfekten Mann zu suchen. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass es so etwas gar nicht gab. Vermutlich war das ein Grund dafür, dass Cecily sich von ihrer Partnervermittlung verabschiedet hatte und stattdessen half, den Familienbetrieb, die Schokoladenfabrik, zu führen.

Und es gibt gute Gründe, warum du Single bist, ermahnte Charley sich. Männer waren eine Belastung und hatten kein Durchhaltevermögen. Richard, ihr Ex, hatte das zur Genüge bewiesen.

Vergiss ihn. Dein Schwarzer Freitag verläuft außerordentlich erfolgreich. Es besteht also kein Grund, schwarz zu sehen.

„Das heißt, bei dir im Laden ist es heute auch gut gelaufen?“, fragte sie Ella, als sie ihren Freundinnen die Speisekarte reichte.

„Ja, bei uns ist eine Menge Inventar über den Ladentisch gegangen“, erwiderte Ella sichtlich zufrieden.

Kein Wunder. Ella besaß die Gabe, unwiderstehliche Auslagen im Schaufenster zu präsentieren. Charley war schon häufig genug der Versuchung erlegen. Wie sollte eine Frau auch einem heißen Top samt Sweater widerstehen, der unbedingt berührt werden wollte? Die Sachen schienen einem geradezu zuzuflüstern: „Probiere uns einfach einmal an. Oh, und findest du diesen herrlichen Schal, der dort vorn mit uns zusammen hängt, nicht auch toll?“

Und auch Ella selbst war eine wandelnde Werbekampagne für ihren Laden. Heute Abend trug sie Jeans, die in braunen Wildlederstiefeln steckten, deren Rand mit Kunstfell besetzt waren, und dazu einen cremefarbenen Kaschmirpullover. Das Ganze hatte sie mit einer flotten roten Jacke und einer Baskenmütze abgerundet. Um eine Baskenmütze tragen zu können, brauchte man Stil. Aber den besaß Ella im Überfluss. Kein Wunder, wenn man bedachte, wer ihre Mutter war.

„Da wird deine Mom ja zufrieden sein“, warf Cecily ein.

Gab es irgendetwas, was Lily Swan glücklich machte? Charley konnte die Male, die sie die Frau hatte lächeln sehen, an einer Hand abzählen. Jedenfalls ein echtes Lächeln. Wie hatte eine so snobistische saure Zitrone nur so eine nette Tochter produzieren können?

Das war eins der Rätsel des Lebens, genau wie die Frage, wie Charley nur so dumm hatte sein können, nicht mitzubekommen, dass ihr Ehemann direkt unter ihrer Nase eine Affäre gehabt hatte … mit der Frau, die – es war kaum zu glauben – im Restaurant als Empfangsdame arbeitete. Irgendwie hatte Ariel wohl übersehen, dass ihre Arbeitsplatzbeschreibung sich nur auf zahlende Gäste bezog. Ihre Pflichten reichten nicht so weit, dass sie es dem Mann ihrer Chefin zu Hause in ihrem Bett auch noch gemütlich machen sollte.

Doch das war Schnee von gestern. Charley kehrte in die Gegenwart zurück. „Das heißt, du bist hier, um zu feiern?“, fragte sie Ella.

„Na, ich würde sagen, sie ist eher hier, um jemandem aus dem Weg zu gehen“, warf Cecily ein. Daraufhin verzog Ella das Gesicht. „Jake ist noch zu Hause“, fügte sie erklärend hinzu.

„Wie ich sehe, klappt es mit eurer kleinen WG hervorragend“, witzelte Charley.

Ella zuckte mit den Schultern. „Ist ja nicht mehr lange. Wie auch immer, er kann sich kein eigenes Haus leisten, und ich könnte auch nicht die Hälfte der Kosten plus noch die Miete für eine eigene Wohnung aufbringen.“

„Deine Mom könnte dir doch bestimmt unter die Arme greifen.“

„Ich weiß. Aber ich hätte kein gutes Gefühl, wenn ich sie fragen würde.“

„Ich hätte ihm einen Tritt in den Hintern gegeben und ihn rausgeworfen“, stellte Charley unmissverständlich klar. „Soll er doch bei einem von seinen Kumpeln aus der Band unterkommen.“

„Da wären deren Frauen und Freundinnen sicher schwer begeistert“, meinte Cecily grinsend.

„Na, in seiner Situation kann er nun mal nicht wählerisch sein“, erklärte Charley. „Strafe muss sein.“ Oh, verflixt, sie hasste Männer, die ihre Frauen betrogen, wirklich.

„Ich weiß, er sah genauso unschuldig aus wie ein Mann, der mit einer Skimaske in eine Bank geht. Aber es fällt mir immer noch schwer, mir vorzustellen, dass Jake dich betrogen haben soll“, sagte Cecily zu Ella. „Es passt so gar nicht zu ihm.“

Die gute alte Cecily, die in jedem Menschen immer das Beste sehen wollte, selbst wenn es nichts Gutes zu sehen gab. Obwohl Charley zugeben musste, dass Jake anscheinend wirklich ein netter Mann war. Er und Ella waren Cecilys erster erfolgreicher Verkupplungsversuch gewesen, damals, als sie und Ella noch in der Highschool gewesen waren. Dass Jake und Ella an unterschiedlichen Colleges studiert hatten, war ihrer Leidenschaft füreinander nicht abträglich gewesen, und nach dem Abschluss hatten sie eine große kirchliche Hochzeit gefeiert. Ellas Mutter war nicht gerade begeistert von Jake, doch sie hatte ihrer Tochter eine Hochzeit ausgerichtet, die einer Prinzessin würdig gewesen wäre. Ella und Jake waren nicht nur eine bezaubernde Braut und ein gut aussehender Bräutigam gewesen, sondern schienen auch ein ideales Paar abzugeben, das sich für immer gefunden hatte.

Tja, sie und Richard hatten auch wie ein ideales Paar gewirkt. Aber die Dinge waren nicht immer so, wie sie schienen.

„Darüber will ich nicht reden“, sagte Ella steif.

„Gute Idee“, stimmte Charley zu. „Dieser Tisch wird hiermit zur liebeskummerfreien Zone erklärt.“ Sie sah, dass ein weiteres Paar zur Tür hereinkam, und entschuldigte sich, um ihre Gäste zu begrüßen.

Die beiden waren schätzungsweise Ende dreißig. Der Mann wurde schon langsam kahl, und seine Frau war auch keine Schönheit, aber so, wie sie sich ansahen, merkte man, dass Liebe blind machen konnte. Die Frau hing am Arm des Mannes, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.

Charley konnte sich noch gut daran erinnern, wie es gewesen war, als sie Richard so festgehalten hatte. Doch irgendwann, im Laufe der Zeit, hatte sie ihn losgelassen …

Sie verbannte diese Gedanken und lächelte die Neuankömmlinge an. „Guten Abend. Wie geht es Ihnen?“ Eigentlich brauchte sie doch gar nicht zu fragen. Die beiden waren schwer verliebt.

„Wunderbar“, antwortete der Mann.

„Hatten Sie reserviert?“, wollte Charley wissen.

Er schüttelte den Kopf. „Jemand hat uns erzählt, dass man hier gut essen kann. Wie lange müssten wir warten?“

„Ungefähr zwanzig Minuten, aber es lohnt sich auf jeden Fall.“ Charley lächelte. „Wenn Sie möchten, können Sie an der Bar Platz nehmen, und wir sagen Ihnen sofort Bescheid, sobald ein Tisch frei wird. Probieren Sie doch mal unseren Schokoladenkuss-Cocktail“, riet sie der Frau.

„Das hört sich gut an“, entgegnete die und drückte den Arm ihres Mannes.

„Okay, dann warten wir“, sagte er und nannte Charley seinen Namen.

Als sie den beiden hinterhersah, überlegte sie, ob sie wohl für den Rest ihres Lebens zusammen glücklich sein würden. Ja, entschied sie, das würden sie. Und zu ihrer Silberhochzeit würden sie hierher ins Zelda’s kommen, um zu feiern. Mit diesem netten Gedanken im Kopf machte sie sich auf, um einer schon leicht gestressten Maria zu helfen, den Ecktisch abzuräumen.

Während Ella und Cecily ihre Huckleberry Martinis genossen und auf ihr Essen warteten, unternahm Cecily einen weiteren Versuch, ihre Freundin davon zu überzeugen, dass sie vielleicht einen Fehler gemacht hatte.

Es war nicht das erste Mal, dass sie das probierte. Aber Ella war entschlossen gewesen, sich von Jake scheiden zu lassen, obwohl Cecily sicher war, dass sie Jake immer noch liebte. Natürlich war er nicht perfekt, aber er war perfekt für Ella – er war ein netter Kerl mit einer netten Familie. Unbekümmert und zu jedem Spaß bereit, war er genau das, was Ella brauchte, um ein Gegengewicht zu dem Leben in Perfektion zu bieten, das ihre Mutter von ihr erwartete.

„Ich weiß, jetzt, wo die Scheidung durch ist, scheint es zu spät zu sein“, begann Cecily. „Aber ich glaube immer noch, dass du noch mal darüber nachdenken solltest. Es fühlt sich einfach nicht richtig an.“

Ella starrte in ihr Martiniglas. Es sah fast so aus, als würden gleich ein paar Tränen hineinkullern. „Ich weiß, dass du berühmt bist für dein Gespür, was Paare angeht, aber dieses Mal täuschst du dich, Cec. Wir passen einfach nicht zusammen. Er ist so verantwortungslos. Und man kann ihm nicht trauen.“

„Aber außer deinen Vermutungen hast du doch keinen Beweis gehabt.“

„Glaub mir, es gab noch mehr“, widersprach Ella und trank einen großen Schluck Martini.

Das konnte Cecily kaum glauben. Denn Jake war eine ehrliche Haut. Was war nur mit den beiden passiert? Als sie damals nach Los Angeles gezogen war, waren die beiden bis über beide Ohren verliebt gewesen. Doch als sie wieder hier nach Icicle Falls zurückgekehrt war, hatten sie sich heftig zerstritten.

„Ach, komm, er ist doch nicht wirklich verantwortungslos“, verteidigte sie Jake. „Ich meine, es stimmt schon, dass er keinen normalen Job mit festen Arbeitszeiten hat. Aber er hat einen Traum.“

„Von einem Traum kann man nicht leben.“

Das klang eher nach Lily Swan als nach Ella O’Brien. Ellas Mutter hatte Jake noch nie gemocht. Wahrscheinlich war er ihr zu ungeschliffen für ihre elegante Tochter. Was Kleidung und Dekoration anging, besaß Ella einen ausgezeichneten Geschmack. Aber wenn man es ganz genau nahm, war sie auch nur ein schlichtes Mädchen aus einer Kleinstadt und keine Trendsetterin aus New York. So könnte man eher Lily Swan bezeichnen. Sie hatte sich hier in dieser Kleinstadt niedergelassen, um ihre Tochter großzuziehen, doch sie hatte sich schon immer für etwas Besseres gehalten. Einen Schwiegersohn zu haben, der Countrymusiker war und sich mit Gitarrenstunden und den Auftritten seiner Band über Wasser hielt, entsprach nicht ihrer Vorstellung eines erfolgreichen Lebens.

War Lily eigentlich so erfolgreich gewesen? Wenn sie tatsächlich ein Topmodel gewesen wäre, wäre sie doch sicherlich in London, New York oder L.A. gelandet – jedenfalls nicht in Icicle Falls. Wenn man Cecily fragte, würde sie sagen, dass Lily Swan angefangen hatte, ihrer eigenen Propaganda zu glauben.

Aber Cecily wurde ja nicht gefragt, und selbst wenn, hätte sie nichts gesagt. Und auch jetzt hätte sie eigentlich das Thema nicht angeschnitten, wenn Ella nicht so ausgesehen hätte, als ginge es ihr richtig schlecht. Diesen Gedanken konnte Cecily einfach nicht ertragen.

„Ich weiß nicht“, sagte sie. „Ich finde, wenn man keine Träume hat, ist das Leben doch gar nicht lebenswert.“ Sie hatte davon geträumt, nach Hause zu kommen und sich ein neues Leben aufzubauen, und das hatte bisher auch prima geklappt.

Nur Liebe spielte in ihrem neuen Leben keine Rolle mehr. Damit hatte sie zu viele schlechte Erfahrungen gemacht. Daran musste sie sich regelmäßig erinnern, und zwar immer dann, wenn sie Luke Goodman traf, den Produktionsmanager bei Sweet Dreams. Außerdem musste sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass sexuelle Anziehungskraft nicht gleichbedeutend mit Liebe war, und zwar wenn sie Todd Black begegnete, dem Mann, dem das Man Cave gehörte, eine schäbige Kneipe am Stadtrand.

Ella trank ihren Martini aus. „Es hat einfach nicht sein sollen. Mims hatte recht.“

Mütter wissen immer alles besser? Nein, Lily Swan hatte ihrer Tochter einfach einer erstklassigen Gehirnwäsche unterzogen. Die sie zuallererst natürlich selbst genossen hatte: Sie hatte Ella eingeredet, dass ihre Tochter etwas sehr viel Besseres verdient hätte als Jake. Wenn Ella es auf Reichtum und Status abgesehen hätte, hätte das vielleicht sogar gestimmt. Aber so war ihre Freundin nicht gestrickt. Hoffentlich erkannte sie das noch rechtzeitig, bevor eine andere Frau daherkam, Jakes zerbrochenes Herz auflas und ihn sich schnappte.

Für Charly verging der Abend wie im Fluge. Gegen halb zehn taten ihr die Füße weh. Nichts Neues. Um halb zehn schmerzten ihre Füße immer. Ein paar Gäste waren noch da, tranken einen Kaffee, genossen das Dessert oder einen Absacker. Doch der Großteil der Gäste war weitergezogen oder hatte sich in die Bar begeben, die zum Restaurant gehörte. Im Speiseraum war nur noch gedämpftes Stimmengewirr zu hören, und ab und zu das Klirren von Besteck auf den Tellern.

Abgesehen von den müden Füßen war dies die Zeit am Abend, die Charley am liebsten war. Die hektische Abendessenszeit war vorüber, und sie konnte sich darüber freuen, dass sie den Gästen einen erinnerungswürdigen Abend mit köstlichem Essen bereitet hatte, an dem sie feiern und mit anderen Menschen zusammen sein konnten.

Essen. Das war der Mittelpunkt des Lebens. Vom Staatsessen bis zum Essen im kleinen Familienkreis, das gemeinsame Einnehmen von Mahlzeiten war ein wesentlicher Bestandteil des Lebens, der zur menschlichen Begegnung beitrug. Und es gab der Liebe zusätzliche Würze. Wenn man sein Gegenüber über einen schön gedeckten Tisch ansah, musste man sich doch einfach verlieben. Und wenn die Geschmacksnerven zum Leben erwachten, weil ein Schokoladendessert oder ein Krabbensoufflé auf der Zunge zerging, kamen auch alle anderen Sinne ins Spiel. Es hatte schon seinen Grund, warum es hieß: Liebe geht durch den Magen.

Bestimmt gab es Leute, die meinten, sie würde nur ein Restaurant besitzen. Doch Charley wusste es besser. Sie nahm Anteil am Leben anderer Menschen.

Heute Abend hatte sie sogar einen ziemlich großen Anteil abbekommen. Sie lächelte, als sie an die Jugendliche dachte, die die ganze Zeit SMS geschrieben hatte, als sie mit den Eltern hereinkam. Auf dem Weg nach draußen war sie doch tatsächlich stehen geblieben, um ihr zu sagen, wie gut ihr der Blaubeerkuchen geschmeckt hatte. Als Charly an das verliebte Pärchen dachte, das Hand in Hand das Restaurant verlassen hatte, wurde ihr Lächeln noch breiter. O ja, es war ein erfolgreicher Abend, dachte sie, als sie die schmutzigen Teller auf einem Tablett stapelte.

Gerade hatte sie es hochgehoben, um es in die Küche zu bringen, als ein kalter Windhauch durch die Tür hereinblies. Charly hob den Kopf, um zu sehen, wer der Spätankömmling war. Ihr blieb fast das Herz stehen, und das Tablett rutschte ihr vor Schreck aus den Händen. Mit einem lauten Poltern zerbarsten die Teller und Gläser auf dem Boden. Gütiger Himmel! Das konnte doch nicht wahr sein.

Doch leider war es wahr. Da stand der Geist der vergangenen Weihnacht. Ihr Ex.

4. KAPITEL

Fassungslos starrte Charley ihren Exmann an. Die unterschiedlichsten Gedanken schossen ihr durch den Kopf: Was macht er hier? Habe ich Halluzinationen? Das könnte ich am besten herausfinden, indem ich ihm einen zerbrochenen Teller an den Kopf werfe.

Maria kam angelaufen, um ihr beim Aufsammeln der Scherben zu helfen, sah Richard und brachte ein schockiertes „Oh“ heraus.

Okay, jetzt wusste Charley, dass sie nicht unter Halluzinationen litt.

Er trat ins Restaurant. „Hallo, Charley. Du siehst gut aus.“

Er auch. Richard war nicht groß, so um die eins siebzig, aber das, was von ihm da war, war durchaus nicht zu verachten. Ja, in seinem dunklen Haar fanden sich ein paar mehr graue Strähnen – sie hoffte, dass ihm seine neue Freundin jede einzelne davon beschert hatte –, aber abgesehen davon näherte er sich der Vierzig mit nur wenigen Falten um seine grauen Augen. Er hatte immer noch volle Lippen und ein kräftiges Kinn, das schon so manchen getäuscht hatte. Man hätte ihn glatt für einen Filmhelden halten können. Schauspieler, ja. Held, definitiv nicht.

Da stand er in seiner Jeans und einer Winterjacke und schaute Charley an … ja, wie? Hoffnungsvoll? Nein, das konnte nicht sein. Sie besaß nichts, was er wollte. Das hatte er mehr als deutlich gemacht, als er sich für eine andere Frau entschieden hatte.

„Was willst du hier?“, fragte sie mit tonloser Stimme.

„Ich wollte dich sehen.“

„Pech, ich will dich aber nicht sehen. Nie wieder.“ Charley bückte sich und half Maria, die Scherben aufzusammeln.

Richard kam zu ihnen und legte Teile des zerbrochenen Geschirrs auf das Tablett.

„Versuche gar nicht erst, mir zu helfen“, fuhr Charley ihn an. „Sonst schneidest du dich noch und verklagst mich hinterher.“ Sie gab ihm so schon genügend Geld. Das würde dem Ganzen dann die Krone aufsetzen. Die Scheidungsvereinbarung beinhaltete, dass sie ihm seinen Anteil des Restaurants hatte abkaufen müssen. Ihres Restaurants!

Sicher, er hatte mit ihr zusammengearbeitet, aber das Restaurant war ihres – ihr Traum, ihr Baby. Sie hatte die gesamte Erbschaft, die sie von ihrer Großmutter bekommen hatte, in diesen Laden gesteckt. Am Anfang war es ein heruntergekommener Schuppen gewesen. Mit Fantasie und harter Arbeit hatte sie daraus einen beliebten Treffpunkt gemacht. Richard war nur auf den fahrenden Zug aufgesprungen.

Und am Ende hatte er ihr das Fell über die Ohren gezogen.

Er legte eine Hand auf ihre. „Ich muss mit dir reden.“

Maria schnaubte verächtlich, bevor sie das Tablett mit dem zerbrochenen Geschirr in die Küche trug.

Damit sprach sie Charley sozusagen aus der Seele. Die blieb in der Hocke sitzen und musterte ihren Ex. „Noch mehr Geld kannst du ja wohl nicht haben wollen. Du hast weiß Gott schon genug von mir bekommen.“

Er sah sie an, als hätte sie ihm mit dem Steakmesser einen Stich ins Herz versetzt. „Charley … hör zu, hier können wir nicht reden.“

„Ich will überhaupt nicht mit dir reden.“

„Ich weiß, ich habe es nicht verdient, dass du mir auch nur eine Minute deiner Zeit schenkst. Aber können wir bitte ins Haus gehen?“

„Mein Haus“, erinnerte sie ihn. Auch seinen Anteil vom Haus hatte sie ihm abgekauft.

„Bitte?“

Vielleicht lag es daran, dass sie neugierig war. Vielleicht war es auch die Verzweiflung in seiner Stimme, die ihr Appetit auf mehr machte. Jedenfalls spürte sie, dass sie schwach wurde.

Trotzdem beharrte sie: „Ich bin hier noch nicht fertig.“

„Ich habe ein Zimmer im Gerhardt’s. Ruf mich doch auf meinem Handy an, wenn du hier Schluss machst.“

Dasselbe Handy, das er benutzt hatte, um Nachrichten an Ariel zu schicken, um heimliche Quickies in der Bar zu verabreden, bevor die Angestellten kamen. Bevor Charley kam.

„Charley, bitte. Ich weiß, ich habe es nicht verdient. Aber lass uns bitte wenigstens miteinander reden.“

„Ich denke drüber nach“, sagte sie. „Mehr kann ich nicht versprechen.“

Er nickte ein wenig unbeholfen. „Ich warte“, sagte er und ging wieder.

Langsam stand Charley auf. Sie war erst neununddreißig, doch plötzlich fühlte sie sich wie neunzig: ausgelaugt und völlig erschöpft.

Maria kam mit einem Besen und einer Kehrschaufel zurück. Sie runzelte die Stirn. „Was wollte dieser Bastardo denn hier?“

„Keine Ahnung.“ Und sie war sich auch nicht sicher, ob sie es wirklich herausfinden wollte. „Aber er will mich nachher noch sprechen.“

„Lass es“, warnte Maria sie. „Er hat dir schon mal wehgetan.“

„Keine Angst. Ich lasse nicht zu, dass er das noch einmal macht“, versicherte Charley ihr.

Aber als sie schließlich nach Hause kam, rief sie Richard dennoch an. Wahrscheinlich würde er sowieso nicht eher verschwinden, bis sie nachgab. Je eher sie sich also mit ihm traf, desto schneller war er wieder weg.

Zehn Minuten später stand er vor ihrer Tür.

„Beeil dich“, sagte sie, als er ins Haus trat. „Ich bin müde und ich will ins Bett.“ Allein, so wie immer, seit du weg bist.

Er deutete zum Wohnzimmer. „Können wir uns setzen?“

Nein, auf keinen Fall. Dass Richard sich wieder in ihrem Wohnzimmer breitmachte, war das Letzte, was sie wollte. Es war schon schlimm genug, dass fast alles, was darin stand, Erinnerungen an ihr gemeinsames Leben heraufbeschwor. Das fing mit dem braunen Sofa an, wo sie gekuschelt und Football oder eine der vielen Kochsendungen geschaut hatten, und endete mit der Tiffanylampe, die er ihr vor drei Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte. Von der hätte sie sich schon längst trennen sollen. Verflixt, sie hätte sich von allem trennen sollen. „Ich verstehe nicht, was du hier willst“, sagte sie verbittert und ging zur Couch. Mit verschränkten Armen ließ sie sich darauf fallen und sah Richard böse an.

Er setzte sich dicht neben sie – viel zu dicht – und musterte sie mit ernstem Blick. „Ich bin hier, weil ich dich bitten wollte, mich zurückzunehmen.“

Das war ja wohl das Schockierendste, was sie erlebte, seit … ja, seit sie festgestellt hatte, dass er sie betrog. „Was?“

„Ich weiß nicht, was ich mir damals dabei gedacht habe.“

„Ich auch nicht. Aber ich weiß, womit du gedacht hast“, konterte sie.

Röte überzog sein Gesicht, doch er wandte den Blick nicht ab. „Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte …“

„Hättest du sie nicht flachgelegt?“, beendete Charley den Satz für ihn. „Was ist los, Richard? Hat sie dich wegen eines Jüngeren verlassen?

Die Röte vertiefte sich. Bingo! „Ich war ein Idiot.“

„Ja, das warst du“, stimmte Charley zu, „und soweit ich weiß, bist du das immer noch. Warum sollte ich mich wieder mit dir einlassen?“

„Weil ich dich liebe.“

Diese Aussage ließ Charley nur kurz verbittert auflachen. „Oh, ich bitte dich. Du machst mich krank.“

„Ich liebe dich wirklich“, beharrte er. „Ich habe dich immer geliebt. Ariel war ein Fehler.“

„Ein Fehler, den du nur allzu gern begangen hast“, hob Charley hervor. „Du hattest die Chance, sie aufzugeben, aber das wolltest du ja nicht.“

„Ich konnte nicht klar denken.“

„Tja, ich kann es aber.“ Sie stand auf und bedeutete ihm damit, dass diese alberne Diskussion ein Ende hatte.

Auch Richard stand auf. Er war kaum größer als sie. Warum hatte sie sich eigentlich so einen kleinen Mann ausgesucht?

„Ich bitte dich doch nur, mir die Chance zu geben, dir zu beweisen, dass ich mich geändert habe. Zwölf gemeinsame Jahre, Charley – das muss doch auch dir etwas bedeuten.“

„Es hätte dir etwas bedeuten sollen, als du dich auf die Suche nach einer Abwechslung begeben hast.“

Er seufzte. „Du hast recht.“

„Du weißt, wo die Tür ist.“

Voller Bedauern sah er sie an. „Wie kann ich dich davon überzeugen, dass ich mich verändert habe?“

Sie musterte ihn. „Weißt du …“

In ihm schien Hoffnung aufzukeimen.

„Mir fällt nichts ein.“ Sie ging zur Tür und öffnete sie. „Gute Nacht, Richard.“

Er akzeptierte den Wink mit dem Zaunpfahl und ging zur Haustür. Aber als er an Charley vorbeiging, sagte er: „Ich gebe noch nicht auf. Du bist es wert, dass man um dich kämpft.“

Vor einem Jahr hatte er das noch nicht so gesehen. Sie schlug die Tür hinter ihm zu und schloss ab.

Das Gingerbread-Haus öffnete um zehn, doch Cass kam immer schon um sechs, um Kuchen und Kekse zu backen und, vor allem zu dieser Jahreszeit, um Lebkuchenhäuser zu kreieren, von denen viele im ganzen Land Abnehmer fanden.

Auch in ihrer Heimatstadt wurden ihre Kreationen hoch geschätzt, und Olivia Wallace kam gegen elf, um das Haus abzuholen, das Cass für die Hotellobby der Icicle Creek Lodge gebaut hatte. Es war eine perfekte Kopie von Olivias Hotel, das fast einem kleinen bayerischen Jagdschloss glich. Sogar ein schmaler Fluss aus blau gefärbtem Zuckerguss schlängelte sich an dem Lebkuchenhaus entlang.

„Es ist wie immer zauberhaft“, sagte Olivia. „Allerdings weiß ich nicht, ob ich es schaffe, nicht ständig davon zu naschen.“

Olivias gut gerundete Figur lieferte den Beweis für ihre mangelnde Willenskraft. Aber Olivia war Witwe, und daher hatte sie, wie Cass fand, jedes Recht der Welt, so viel zu naschen, wie sie wollte. Außerdem durfte Cass sich sowieso kein Urteil darüber erlauben. Schließlich naschte auch sie nur allzu gern.

„Hier ist noch ein bisschen was extra, wenn die Versuchung zu groß wird“, sagte sie und reichte Olivia eine Tüte mit Lebkuchenkeksen in Form von Tannenbäumen.

„Oh, danke. Was bekommst du dafür?“

„Nichts. Die gehen aufs Haus. Aufs Lebkuchenhaus“, fügte Cass zwinkernd hinzu.

Dani, die gerade die heutigen Bestellungen von Lebkuchenhäusern zur Post gebracht hatte, kam in den Laden. „Oh, hier kommt ja unsere zukünftige Braut“, begrüßte Olivia sie.

Dani errötete erfreut und lächelte Olivia an.

Sie wird eine bildhübsche Braut, dachte Cass. Wenn sie nur mehr Zeit hätten, um die Hochzeit zu planen.

„Ich habe deiner Großmutter und deiner Tante unsere letzten Zimmer vermietet“, erzählte Olivia Dani. „Es war schlau, dass du neulich angerufen hast. Sonst wäre das auch schon belegt gewesen“, fügte sie hinzu. „Seitdem hatte ich noch drei Anfragen.“

„Eine davon war bestimmt von meiner Stiefmutter“, sagte Dani, und diesmal errötete sie nicht vor Freude.

Babette. Cass merkte, dass sich ihre Stimmung merklich verschlechterte. Bimbette passte wohl eher. Cass hatte sie noch nicht kennengelernt, aber sie hatte Bilder von ihr gesehen. Die Frau war nichts weiter als ein hübsches Anhängsel. Cass wusste aus zuverlässiger Quelle (nämlich von ihrem Sohn), dass sie nicht kochen konnte.

Aber Mason hatte Babette ja auch nicht wegen ihrer Kochkünste geheiratet. Sie war professionelle Cheerleaderin für die Seattle Seahawks gewesen, eine sogenannte Sea Gal. Davon zeugte ihre perfekte Figur. Natürlich hatte sie diesen Beruf aufgegeben, als sie sich Mason im reifen Alter von dreißig Jahren geschnappt hatte. Und jetzt war sie schon, ja, was, einunddreißig? Und Stiefmutter einer Zwanzigjährigen. Was für ein Witz.

Olivia machte den Eindruck, als wäre ihr die Sache unangenehm. „Ich wünschte, ich hätte das eher gewusst. Dann hätte ich euch eine Reihe von Zimmern reserviert.“

„Wenn wir alle das eher gewusst hätten, wären wir auch sehr viel strukturierter an die Sache herangegangen“, meinte Cass. Es war als Erklärung und nicht als Anschuldigung gegen ihre Tochter gemeint gewesen. Doch der Röte nach zu urteilen, die Danis Wangen überzog, nahm sie sich diese Bemerkung sehr zu Herzen. „Aber Mike hat diesen Job in Spokane bekommen und fängt im Januar an. Und natürlich wollen die beiden zusammen sein.“

„Natürlich“, sagte Olivia zu Dani. „Ich hoffe wirklich, dass eure Gäste noch Zimmer finden. Ich weiß, dass Annemarie voll belegt ist, und Gerhardt auch.“

Keine freien Zimmer. Was für ein Pech. Dann verpassen Mason und Bimbette vielleicht die Hochzeit. Kein sehr freundlicher Gedanke, schalt Cass sich.

„Oh“, meinte Dani besorgt.

„Im Mountain Springs drüben in Cashmere ist vielleicht noch etwas frei“, schlug Olivia vor. „Das ist auch nicht besonders weit entfernt.“

Dani nickte und zog ihr Handy aus der Jeans.

Als sie ein Stück zur Seite trat, um zu telefonieren, senkte Olivia die Stimme. „Das alles ist sicher ein bisschen heikel, oder?“

Wenn das mal keine Untertreibung war. „Ja, ein wenig“, erwiderte Cass.

„Schon als ich das Zimmer reserviert habe, kam ich mir wie eine Verräterin vor, aber Dani hat mich ja gefragt.“

„Das ist schon okay. Eigentlich bin ich dir sogar dankbar. Sonst hätten sie womöglich noch bei mir übernachten wollen.“

Allein der Gedanke daran ließ Cass erschaudern. Ihre kritische Exschwiegermutter und ihre gehässige Exschwägerin in ihrem Haus? Eine grässliche Vorstellung!

Zwei Frauen mittleren Alters waren in den Laden gekommen und warteten geduldig vor einer der Glasvitrinen. Olivia, die genau wie alle anderen Einwohner in Icicle Falls, wusste, wie wichtig die Einnahmen durch die Touristen waren, meinte: „Dann verschwinde ich lieber mal wieder. Ich muss noch einkaufen gehen, sonst bekommen meine Gäste morgen früh nichts zum Frühstück.“ Zu den neuen Kundinnen sagte sie: „Die Lebkuchenfiguren sind köstlich. Aber probieren Sie auf jeden Fall auch die Windbeutelschwäne. Danach werden Sie sich alle zehn Finger lecken.“

Die Frauen hörten auf ihren Rat, kauften Lebkuchenkekse und ein paar Windbeutel. Eine von ihnen erstand auch ein Lebkuchenhaus.

In der Zwischenzeit waren weitere Kunden in die Bäckerei gekommen. Normalerweise half Dani immer mit, doch gerade war sie mit ihrem Handy in der Backstube verschwunden und versuchte verzweifelt, ein Zimmer für Mason und Bimbette zu finden.

Die sollen sich ihre eigene Unterkunft suchen. Cass öffnete die Tür zur Backstube. „Ich könnte hier vorn gut und gern ein bisschen Hilfe gebrauchen.“

Dani wandte ihr den Rücken zu und hob eine Hand. Was sollte das heißen? Dass sie versuchte, den Menschen am anderen Ende der Leitung zu verstehen? Dass sie gleich kommen würde?

„Jetzt“, fügte Cass mit strenger Bärenmutter-Stimme hinzu.

„Okay, danke“, sagte Dani und beendete das Telefonat.

„Schätzchen, du musst dich später darum kümmern“, sagte Cass. „Wir haben Kunden.“

„Wir haben immer Kunden“, murmelte Dani missmutig.

Weshalb sie auch ihre Rechnungen bezahlen konnte. Bisher hatte das ihrer Tochter nie etwas ausgemacht.

Aber sie war ja auch noch nie verlobt gewesen.

Während der nächsten zwanzig Minuten war Hektik angesagt, doch dann wurde es wieder ruhiger. Cass wusste, dass diese Ruhe nicht lange andauern würde. Sobald die Mittagszeit vorüber war, würden die Kunden wieder hereinströmen.

Sie drehte das Schild an der Tür auf „Geschlossen“. „Wir sind um 13.00 Uhr wieder für Sie da“, verriet die Uhr darunter. Somit hatten auch sie Zeit, um eine kleine Mittagspause einzulegen. Und Dani hatte Zeit, sämtliche Pensionen und Motels im Umkreis von zwanzig Kilometern anzurufen.

Cass setzte sich an einen Tisch in der Ecke und trank einen Kaffee, während Dani nach jedem Telefonat verzweifelter aussah. Diese Verzweiflung sorgte dafür, dass sich der Magen von Cass verkrampfte und der Kaffee plötzlich bitter schmeckte. Wenn ihre Tochter keinen Erfolg hatte, verhieß das nichts Gutes – gar nicht mal so sehr für Dani, und auch nicht für Mason und Bimbette, sondern vor allem für Cass.

Und richtig. Um Viertel vor eins ließ sich Dani auf den Stuhl neben Cass fallen und warf ihr Smartphone auf den Tisch.

Sag mir, dass uns die Eier ausgegangen sind. Sag mir, dass irgendjemand seine Ware nicht bekommen hat. Sag mir sonst was, aber sag mir nicht das, was du jetzt aussprechen willst.

„Es ist nirgends etwas frei“, verkündete Dani unglücklich.

Hastig, ehe ihre Tochter die gefürchteten Worte aussprechen konnte, meinte Cass: „Irgendwie bekommen sie das schon hin. Seattle ist ja nicht so weit weg. Dein Dad kann am Tag der Hochzeit herkommen.“

Dani sah sie entsetzt an. „Aber was ist mit dem Essen nach der Hochzeitsprobe am Abend vorher? Und was ist, wenn etwas passiert? Wenn zum Beispiel der Pass geschlossen wird?“

Dann fallen wir auf die Knie und danken Gott.

Okay, jetzt wurde sie wirklich garstig. Es war der große Tag ihrer Tochter, und die wollte ihren Vater dabeihaben. „Ich bin sicher, dass er eine Lösung findet“, sagte Cass und versuchte so zu klingen, als würde sie Anteil nehmen.

„Mom, wie soll er das denn schaffen, wenn es absolut keine freien Zimmer gibt?“

Da dies sicherlich nur eine rhetorische Frage war, hielt Cass den Mund.

„Können sie für ein paar Tage bei uns bleiben?“

Jetzt war es heraus. Es war genau das, was Cass die ganze Zeit befürchtet hatte. Was für eine schöne Weihnachtsbescherung! Ihr Ex und seine Tussi, die mit ihr unter einem Dach wohnten. „Wir haben keinen Platz, um sie unterzubringen“, argumentierte sie.

„Sie können in meinem Zimmer schlafen. Dann schlafe ich bei Amber.“

„Ich wollte Grandma Nordby dein Zimmer geben.“ Cass würde eher in kochendes Öl springen, als dass sie ihre Mutter auf die Straße setzte, um Mason und Bimbette das Zimmer zu überlassen.

„Dann gib ihnen Willies Zimmer, und lass ihn auf dem Schlafsofa schlafen. Oder lass sie auf dem Schlafsofa übernachten.“

Das fehlte Cass gerade noch: dass sie morgens herunterkam und ihren Ex samt seiner zweiten Frau aneinandergekuschelt im Wohnzimmer vorfand.

„Für eine Nacht können wir doch Platz für sie finden, oder nicht?“, flehte Dani. „Höchstens zwei Nächte.“

Es musste doch noch einen anderen Weg geben, um dieses Problem zu lösen. Cass versuchte Zeit zu schinden. „Lass mich noch mal darüber nachdenken, okay?“

Dani verzog das Gesicht. „Ich weiß schon, was das bedeutet.“

Cass auch, und sie fühlte sich gerade wie eine ganz gemeine Rabenmutter … und trotzdem …

Eine Frau mit zwei Mädchen stand an der Ladentür, und die Kleinen linsten hoffnungsvoll ins Geschäft.

„Schließ bitte die Tür auf“, sagte Cass resigniert.

„Ja klar, gerne doch“, erwiderte Dani in einem Ton, der verriet, wie ungern sie der Bitte ihrer Mutter folgte.

„Es wäre nett, wenn du unsere Kunden mit einem Lächeln und nicht mit grimmigem Gesicht begrüßen würdest“, rief Cass ihr hinterher.

„Ich lächele doch“, rief Dani zurück. Äußerlich lächelte sie, aber innerlich kochte sie vor Wut.

Sie finden schon einen Platz zum Übernachten, redete Cass sich ein. Ach, wenn sie es doch nur selbst glauben könnte.

5. KAPITEL

Es war Sonntagabend, Zeit für den wöchentlichen Frauenabend. Die Freundinnen hatten beschlossen, im Dezember Weihnachtsfilme anzuschauen, und Cass’ Freundin Samantha Sterling hatte den Film für den heutigen Abend ausgesucht – The Family Man – eine himmlische Entscheidung.

„Ich finde diesen Film toll“, hatte sie gesagt. „Es ist so schön, wie sich der Held von einem Miesepeter und Geizhals in einen wunderbaren Ehemann und Vater verwandelt.“

„Ich wusste ja gar nicht, dass du so romantisch veranlagt bist“, hatte Cass sie aufgezogen.

„Bin ich ja auch gar nicht“, hatte Samantha erwidert, „aber ich weiß, was wichtig ist.“

Das musste Cass ihr allerdings zugestehen. Samantha Sterling hatte hart gekämpft, um ihre Firma, eine Schokoladenfabrik, zu retten. Und Zuge dessen hatte sie Icicle Falls, das in einer wirtschaftlichen Krise gesteckt hatte, wiederbelebt: Sie hatte die grandiose Idee, ein Schokoladenfestival zu sponsern. Angespornt von diesem Erfolg, wurden die Stadtoberen von einem wahres Festivalfieber ergriffen. Im Oktober gab es jetzt das Oktoberfest, die kleine Zeremonie, bei der am Anfang der Adventszeit die Lichter der großen Tanne auf dem Marktplatz angeschaltet wurden, sollte jetzt an jedem Adventswochenende wiederholt werden, und obendrein überlegte man, ob man im Frühsommer nicht ein Weinfestival veranstalten sollte.

Samantha und ihre Schwester Cecily waren die Ersten, die ankamen, mit rosigen Wangen stampften sie lächelnd den Schnee von ihren Stiefeln. Die blauäugige, blonde Cecily war die Schönheit der Familie, doch mit ihrem roten Haar und den Sommersprossen war auch Samantha alles andere als hässlich. Im August hatte sie Blake Preston, den Manager der Bank, geheiratet, und sie strahlte immer noch vor Glück. Doch das wird sich mit der Zeit abnutzen, mutmaßte Cass.

Oh, was bist du doch für eine Zynikerin, schalt sie sich gleich darauf.

„Wir haben Nervennahrung mitgebracht“, verkündete Samantha und reichte Cass eine Schachtel Pralinen von Sweet Chocolates.

Schokolade, Nervennahrung, Seelentröster und beste Freundin jeder Frau. „Ich weiß ja nicht, was ihr essen wollt, aber für mich ist das gerade gut genug“, ulkte Cass. „Hast du auch an den Film gedacht?“

Cecily hielt eine DVD hoch, deren Cover Nicolas Cage zierte. „Alles dabei.“

Als Nächste kam Ella. Sie war nicht so schön wie ihre glamouröse Mutter Lily Swan, aber sie war niedlich, und sie wusste, wie sie sich kleiden musste, um ihre Vorzüge zu betonen. Heute Abend wirkte sie mit ihrer eng geschnittenen Jeans, der weißen Bluse, der schwarzen Lederweste und dem langen, metallisch glitzernden roten Schal wie ein Fotomodell, das gleich vor die Kamera treten sollte. In der Hand hielt sie eine Schüssel mit ihrer Spezialität: Parmesan-Popcorn. Ella schaffte es sogar, Popcorn mit Flair zu produzieren.

Cass entschied, dass Flair etwas war, was man entweder mit in die Wiege gelegt bekam oder nicht. In ihrer Bäckerei konnte sie wahre Kunstwerke schaffen, aber wenn es um persönlichen Stil ging, kam sie nicht über das Stadium der Banalität hinaus. Na ja, konnte ihr ja auch egal sein. Sie musste niemanden beeindrucken.

Nicht einmal die Verwandten deines Ex?

Nein, redete sie sich standhaft ein. Ein gutes Leben war die beste Rache, und inzwischen führte sie ein wirklich gutes Leben, vielen Dank. Sie musste nicht wie ein Fotomodell aussehen, um das zu beweisen.

Sie schob die Gedanken an Babette zur Seite, die zur Hochzeit sicherlich mit perfekter Frisur und neuen Strähnchen auftauchen würde, den dürren kleinen Körper von etwas absolut Schmeichelhaftem umhüllt. Vielleicht sollte Cass heute Abend doch einmal auf die Schokolade und das Popcorn verzichten.

Charley kam als Letzte. Sie hatte eine Flasche Wein mitgebracht und sah so durcheinander aus, dass man hätte glauben können, sie brauchte die ganze Flasche für sich allein.

„Okay, was ist los?“, fragte Cass, sobald die Frauen im Wohnzimmer saßen und mit Drinks und Snacks versorgt waren.

„Richard ist wieder da.“ Charley nahm eines von Cass’ Lebkuchenmännchen und biss ihm den Kopf ab.

Cass ließ fast ihr Weinglas fallen. „Was?“

Charley nickte. Der nächste Körperteil des Lebkuchenmannes verschwand.

„Warum ist er zurückgekommen?“, wollte Cass wissen. „Was will er?“

„Mich“, antwortete Charley.

„Dich? Er hat dich wegen einer anderen Frau verlassen! Sag ihm, er soll sich zum Teufel scheren“, riet Samantha ihr.

Cass hätte es nicht besser formulieren können. „Das sehe ich genauso.“

„Also hat er Ariel verlassen?“, fragte Cecily.

„Er meint, das alles wäre ein Fehler gewesen.“

Das sagten Männer immer, wenn man sie mit heruntergelassenen Hosen erwischte. Cass runzelte die Stirn. „Ein noch größerer Fehler wäre es, ihn wieder zurückzunehmen.“

„Das machst du auch nicht, oder?“, fragte Samantha.

„Auf keinen Fall.“ Charley schüttelte entschieden den Kopf.

„Kluge Entscheidung“, meinte Cass. Charley besaß die Art von endlos langen Beinen, die Männer dazu brachten, ihr hinterherzustarren. Außerdem hatte sie herrlich langes Haar und war eine liebenswerte und starke Persönlichkeit. Sie hatte es nicht nötig, einen Loser zurück in ihr Leben zu lassen.

„Hast du ihm das gesagt?“, wollte Samantha wissen.

„Natürlich.“

„Warum ist er dann immer noch hier?“, hakte Samantha nach.

Inzwischen machte Charley dem zweiten Lebkuchenmann den Garaus. „Er meinte, so schnell würde er nicht aufgeben.“

„Ach herrje“, kommentierte Ella und verdrehte die Augen.

„Wie kommt es eigentlich, dass Männer dich nur wollen, wenn du sie nicht willst?“, brummte Charley.

„Weil sie Idioten sind“, erklärte Cass.

„Nicht alle“, murmelte Samantha.

„Blake stellt die Ausnahme von der Regel dar“, beruhigte Cass sie.

„Es gibt auch noch andere Ausnahmen“, fügte Cecily hinzu.

„Du meinst zum Beispiel Luke Goodman?“, neckte ihre Schwester sie.

„Genau“, stimmte Cecily mit neutraler Stimme zu.

Ella seufzte. „Wieso stehen wir immer auf die bösen Jungs?“

Charley seufzte ebenfalls. „Weil wir Masochisten sind?“

„Böse Jungs habe irgendetwas“, überlegte Cecily sehnsuchtsvoll, doch als sie sah, dass ihre Schwester die Stirn in Falten zog, untersuchte sie hastig eine ihrer Haarsträhnen nach gespaltenen Spitzen.

„Ja, genau, sie haben etwas Böses“, erklärte ihre Schwester streng. „Männer wie Richard und Todd Black bedeuten nichts weiter als Liebeskummer.“

„Ich habe gar nicht von Todd geredet“, verteidigte Cecily sich, errötete aber gleichzeitig.

„Ich aber“, erwiderte Samantha.

Cecily nahm eine Handvoll Popcorn. „Ich weiß ja nicht, wie es mit euch ist, aber ich könnte jetzt gut den Film anschauen.“

Cecily hatte recht: Es machte keinen Spaß, wenn Samantha die herrische ältere Schwester herauskehrte, und gerade tat sie genau das. Cass stellte den Film an.

Während sich die Handlung entfaltete und das Leben des fiktionalen Jack Campbell nachzeichnete, musste Cass unwillkürlich über ihre eigenen Lebensentscheidungen und über Mason nachdenken. Was wäre, wenn ihnen ein Ausblick auf eine glücklichere Zukunft vergönnt gewesen wäre, eine Zukunft, in der sie zusammen geblieben und als beste Freunde gelebt hätten, statt so wie jetzt als Gegner?

Ach, letztlich war es doch egal. Sie und Mason hatten ihre Entscheidungen getroffen, und kein hipper Engel würde in ihrem Leben auftauchen, um ihnen eine zweite Chance zu gewähren. Die beste Aussicht, die sich ihr bot, war die auf die Hochzeit ihrer Tochter. Eine Hochzeit, die ohne Pannen verlaufen sollte. Wozu gehörte, dass sie selbst sich höflich und zuvorkommend verhielt. Wenn ihr das gelang, käme das schon einem Wunder gleich.

Was für ein schöner Film. Und was für eine schöne Art, die Weihnachtszeit zu beginnen. Als der Film endete, hatte Ella Tränen in den Augen. Sie weinte immer, wenn sie solche Filme sah. Bei traurigen Filmen kamen ihr die Tränen, weil ihr die armen Leute so leidtaten. Gab es ein Happy End, vor allem bei romantischen Filmen, weinte sie, weil das alles so überwältigend hoffnungsvoll war. Irgendwo da draußen in der realen Welt konnte es doch auch passieren, dass ein Mann wieder zur Vernunft kam und feststellte, dass er gar nicht in die weite Welt hinaus musste, um sein Glück zu finden, sondern dass es vielleicht direkt hier vor seiner Haustür lag. Vielleicht hatte Charleys Ehemann, genau wie dieser Jack Campbell, das jetzt erkannt?

Jake hatte ihr versichert, dass es bei ihm so gewesen wäre. Dass Ella alles sei, was er bräuchte.

Was für eine schamlose Lüge! Gott sei Dank hatte ihre Mutter ihr die Augen geöffnet. Sonst hätte sie die besten Jahre ihres Lebens vergeudet, hätte den Haushalt mit einem winzigen Budget zusammengehalten, während er sich mit anderen Frauen vergnügte.

„So“, meinte Cass und hob ihr Glas. „Trinken wir auf die Jack Campbells dieser Welt, wo auch immer sie sich verstecken mögen.“

„Darauf trinke ich auch. Ich habe meinen gefunden“, sagte Samantha.

„Und auf Weihnachten“, Cecily hob ihr Glas.

„Und auf Weihnachtshochzeiten“, fügte Samantha hinzu. „Wisst ihr eigentlich schon alle, dass Dani verlobt ist?“

„Das ist ja toll! Warum hast du uns gar nichts erzählt?“, wollte Ella von Cass wissen.

„Darauf wartest du doch schon seit Monaten. Es überrascht mich jetzt wirklich, dass du es nicht von allen Dächern verkündet hast“, meinte Charley.

„Ich wollte es euch erzählen.“ Cass zuckte mit den Schultern. „Habe es aber irgendwie vergessen.“

Nachdem Ella sich mit Jake verlobt hatte, hatte sie es gar nicht erwarten können, es allen zu erzählen. Wie konnte eine Frau vergessen, solche tollen Neuigkeiten zu verkünden? „Das ist ja so aufregend. Komm, erzähl schon.“

„Sie heiratet an dem Wochenende vor Weihnachten. Die Feier findet drüben bei Olivia statt.“

„Oh, das wird bestimmt ganz fantastisch“, sagte Cecily. „Olivia hat immer so schön dekoriert, dass man das Gefühl hat, man ist bei Schöner Wohnen.“

Vor allem zu Weihnachten. Draußen vor der Pension würden weiße Lichterketten glitzern, und drinnen würden Girlanden und rote Schleifen das Geländer zieren. Doch die schönste Dekoration würde der antike Schlitten sein, geschmückt mit Schleifen und Bändern und umgeben von dekorativen Geschenkkartons. Ella konnte sich schon gut vorstellen, wie Dani und Mike in dem Schlitten sitzen und in ihrem Hochzeitsstaat für Fotos posieren würden.

„Puh, da bleibt euch ja nicht mehr viel Zeit“, sagte sie. Sie selbst hatte neun Monate gebraucht, um ihre Hochzeit zu planen.

„Und ich dachte, es wäre schon eine immense Herausforderung gewesen, unser Schokoladenfestival in sechs Wochen vorzubereiten“, scherzte Cecily.

„Warum die Eile?“, hakte Ella nach. Als ihr die vermutlich einzig logische Erklärung dafür einfiel, errötete sie.

„Nein, sie bekommen kein Baby“, erklärte Cass. „Es ist nur wegen des Umzugs nach Spokane im Januar.“

„Meinst du, ihr schafft das alles in so kurzer Zeit?“, fragte Ella, nachdem Cass von Mikes neuem Job erzählt hatte.

„Hast du Stress, weil du befürchtest, dass du das alles nicht rechtzeitig auf die Reihe bekommst?“, warf Cecily ein. „Wir können dir gern helfen.“

„Auf jeden Fall“, ergänzte Charley, und auch Ella nickte.

„Das ist aber nicht das Haar in der Suppe, oder?“ Samantha schaute Cass an.

„Was denn dann?“, wollte Ella wissen. „Machst du dir Sorgen, weil sie noch so jung ist?“

„Sie ist jung“, gab Cass zu. „Und ich hatte gehofft, dass sie und Mike mit der Hochzeit noch ein Jahr warten würden. Aber schon seit sie zwölf Jahre alt war, hat sie ihr Leben genau vorgezeichnet – Backen, Ehemann, Babys.“

Das konnte Ella gut nachvollziehen. Ihr ging es genauso, abgesehen vom Backen natürlich. Sie hatte sich immer eine Familie gewünscht, eine Familie mit Mann. „Was ist denn dann das Haar in der Suppe?“

Cass runzelte die Stirn. „Dani möchte, dass ihr Vater sie zum Altar führt.“

Sie alle wussten, wie Cass zu ihrem Ex stand. „Oh“, meinte Ella nur, weil ihr nichts anderes einfiel.

„Ja, oh. Und es wird noch besser. Ratet mal, wo er und Stiefmami der Vorstellung meiner Tochter nach übernachten sollen?“

Charleys Augen wurden so groß, dass Ella schon fürchtete, sie würden ihr gleich aus dem Kopf fallen. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“

„Mein voller Ernst“, antwortete Cass.

Cecily griff nach der Pralinenschachtel. „Du brauchst eine hiervon.“

Diverse Pralinen und ausgiebige Mitleidsbekundungen später löste sich die Party auf.

„Wie sollen wir ihr nur helfen, das durchzustehen?“, fragte Cecily, als die Frauen die Auffahrt hinuntergingen.

„Wir könnten Bimbette auflauern“, witzelte Charley. „Oder ihren Ex vergiften.“ Sie schüttelte den Kopf. „Cass wäre verrückt, wenn sie sich darauf einlässt.“

„Sie wird nachgeben“, vermutete Samantha. „Sie gibt sich zwar gern tough, aber wenn es um ihre Kinder geht, ist sie weicher als ein Marshmallow. Ich denke, wir sollten rund um die Uhr für sie erreichbar sein, damit sie notfalls Dampf ablassen kann.“

„Gute Idee“, stimmte Charley zu. „Ich kann mir nicht vorstellen, im selben Haus mit meinem Ex gefangen zu sein.“ Anscheinend fiel ihr plötzlich ein, was sie da gesagt hatte, denn sie errötete. „Entschuldige, Ella.“

„Ist schon okay“, sagte Ella. „Und ich kann dir aus Erfahrung berichten, dass es hart werden wird.“

„Hoffentlich schafft ihr es bald, euer Haus zu verkaufen, damit du endgültig einen Schlussstrich ziehen kannst. Um dann weiterzuziehen“, meinte Samantha.

Weiterziehen. Ausziehen. Auch Ellas weihnachtliche Stimmung verzog sich gerade. „Hoffentlich“, stimmte sie zu.

Sie verabschiedete sich von den anderen und kehrte allein in ihr leeres Traumhaus zurück.

Jake hatte einen Auftritt im Red Barn. Der Einzige, der also zu Hause war, war Tiny. Zur Begrüßung wedelte er mit dem Schwanz und bellte.

„Ich weiß“, sagte sie und rieb seinen Kopf. „Du brauchst ein bisschen Auslauf, was, mein Junge?“

Tiny bellte erneut und sprang aufgeregt hin und her. Ella öffnete die Haustür, und sofort schoss der Hund in die Dunkelheit hinaus.

Ella folgte ihm in etwas moderaterem Tempo und überlegte dabei, wie es wohl wäre, ein Hund zu sein. Machten Hunde sich auch Sorgen? Fragten sie sich jemals, ob sie die richtige Entscheidung getroffen, das Richtige getan hatten?

Natürlich waren das alberne Gedanken. Ein Hund brauchte nichts weiter zu tun, als es zu genießen, ein Hund zu sein. Die schwierigen Entscheidungen traf jemand anderes.

Wenn sie und Jake Bernhardiner gewesen wären …

Was für eine verrückte Idee! Sie schüttelte den Kopf und pfiff Tiny zurück. Zu schade, dass sie Jake nicht hatte zurückpfeifen können, bevor er anderswo gewildert hatte.

Jake war eben kein Mann, der nach ihrer Pfeife tanzte. Statt zu sagen, dass es ihm leidtäte, statt sie um Entschuldigung zu bitten, nachdem er es mit seiner Keyboarderin getrieben hatte, war er zum Angriff übergegangen. „Ella, ich bin es echt leid. Wenn du mir nicht vertrauen kannst, dann können wir nicht mehr zusammen sein.“

Von da an war es nur noch bergab gegangen.

„Du brauchst keinen Mann, um glücklich zu sein“, hatte Mims ihr erklärt.

Tja, jetzt hatte Ella zwar keinen Mann mehr, doch glücklich war sie auch nicht.

Zwanzig Minuten lang grübelte sie darüber nach, während Tiny überall herumschnüffelte und sein Terrain markierte. Dann fing es an zu schneien, und sie machten sich auf den Heimweg. Als sie wieder ins Haus kam, entschied Ella, dass sie, bevor sie ins Bett ging, dringend noch einen heißen Kakao brauchte.

Sie zog ihren Mantel aus und ging in die Küche, um das letzte Päckchen mit dem Instantkakao aufzumachen. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass Jake es tatsächlich geschafft hatte, seinen Teller von ihrem alten Tisch mit der roten Resopalplatte wegzuräumen. Allerdings hatte sie sich zu früh gefreut: Kurz darauf fand sie ihn in der Spüle wieder. Von der Spüle zum Geschirrspüler war es nur ein weiterer Handgriff. War das denn wirklich so schwierig? Wahrscheinlich hatte er ihn da stehen gelassen, weil er davon ausging, dass sie ihn schon wegräumen würde.

Sie öffnete den Schrank unter der Spüle, um das Geschirrspülmittel herauszuholen.

Was war das denn? Wasser. Eine kleine Pfütze. Wie hatte er das denn geschafft?

Sie wischte es auf und stellte den Teller in den Geschirrspüler. Nun war nur noch ein Topf mit Resten von angebranntem Chili übrig. Und das war ziemlich fest in den Topf eingebrannt. Also gab sie den Versuch, es herauszukratzen, schnell auf und tat Spülmittel und Wasser hinein, damit es über Nacht einweichen konnte. Anschließend spülte sie den Schwamm und das Spülbecken aus und öffnete den Schrank, um alles wieder wegzustellen.

O nein. Da war schon wieder eine Pfütze. Ein leckender Abfluss – das fehlte ihnen gerade noch! Da würde sie morgen früh gleich einen Klempner anrufen müssen. Noch eine Rechnung, die durch zwei geteilt werden musste.

Ella griff nach dem Telefon und wählte Jakes Handynummer. Wahrscheinlich stand er auf der Bühne und sang über die Liebe, zusammen mit dieser Keyboardspielerin, die anderen die Männer ausspannte. Oder er saß an einem Tisch, trank Cola und flirtete mit irgendeinem Cowgirl, das in hautengen Jeans steckte. Das war sein Leben – unterhaltsam, glamourös und verantwortungslos. Und während er flirtete und Gitarre spielte, musste sie sich mit undichten Wasserabflüssen herumärgern.

Es war gut, dass sie aus dieser Beziehung raus war. Beim nächsten Mal würde sie sich klüger anstellen, wenn sie sich einen Mann aussuchte. Vielleicht sollte sie sich einen Klempner suchen.

Eigentlich hatte sie erwartet, dass der Anruf auf Jakes Mailbox auflaufen würde, doch er antwortete nach dem zweiten Klingeln. „Alles in Ordnung?“

Warum dachte er sofort, dass etwas nicht in Ordnung wäre? O ja. Sie rief ihn an. „Der Wasserablauf unter dem Wasserhahn in der Küche ist undicht. Ich wollte dir nur kurz Bescheid sagen, damit du ihn nicht benutzt, wenn du nach Hau… zurückkommst.“ Nach Hause wäre die falsche Wortwahl gewesen. Dieses Haus war kein Zuhause mehr. „Ich rufe morgen den Klempner an.“ Vielleicht konnte er sie noch am selben Tag irgendwie dazwischenschieben. Das würde ihr gut passen, denn montags blieb ihr Laden geschlossen.

„Lass das bleiben“, sagte Jake.

„Wir können es doch nicht so lassen.“ Niemand würde ein Haus kaufen wollen, das langsam, aber sicher verfiel.

„Ich weiß. Ich repariere es.“

Jake war nicht gerade der weltbeste Heimwerker. Im letzten Sommer hatte er einen ganzen Stapel Kanthölzer verbraucht, nur um eine einzige Stufe der Verandatreppe zu reparieren. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“

„Hey, jeder Mann kann einen undichten Wasserablauf reparieren“, empörte er sich. „Ich sehe nicht ein, dafür einen Klempner zu bezahlen.“

Und sie würde definitiv nicht die Gesamtrechnung übernehmen. „Okay“, meinte sie. „Aber du machst es gleich morgen früh, okay?“ Ihr Makler, Axel Fuchs, hatte ihr geraten, immer darauf zu achten, dass der Zustand des Hauses stets tipptopp war. Man wusste ja nie, wann vielleicht potenzielle Käufer vorbeikommen würden.

„Ich mach’s morgen“, sagte Jake. „Mach dir keine Sorgen.“

Keine Sorgen machen? Das würde ihr höchstens gelingen, wenn sie ein Bernhardiner wäre.

6. KAPITEL

Richard war Geschichte. Das sollte auch so bleiben, und genau das würde Charley ihm beim nächsten Mal, falls er wie der Geist der vergangenen Weihnacht noch einmal auftauchen sollte, auch sagen. Es war absolut nicht Ordnung, so einfach aus dem Nichts im Leben seiner Ex aufzukreuzen, nachdem die sich gerade endlich von ihrem Groll befreit (na ja, zumindest zum Großteil) und ihr Leben wieder im Griff hatte. Genau das würde sie ihm sagen, entschied sie, während sie sich schminkte.

Es war Montag, und das Restaurant hatte geschlossen. Montags machte sie sich sonst eigentlich nie die Mühe, sich zu schminken.

Wütend betrachtete sie ihr Spiegelbild. Warum tust du das?

Aus Stolz. Sie wollte, dass Richard sie nur von ihrer besten Seite sah, wenn sie ihm sagen würde, dass er sich gefälligst aus dem Staub machen sollte.

„Du Lügnerin“, schalt sie sich. „Du willst nur, dass er dich von deiner besten Seite sieht, Punkt, aus.“

Charley warf die Wimperntusche in ihr Kosmetiktäschchen und verließ das Bad.

Montagmorgens blieb sie immer zu Hause. Vormittags kümmerte sie sich um die Wäsche und tummelte sich auf Facebook. Nach dem Mittagessen las sie meist ein wenig oder schaute sich irgendwelche Kochsendungen im Fernsehen an, bevor sie sich auf den Weg ins Fitnessstudio machte, um sich auf dem Laufband auszupowern. Oder sie holte sich eine Kleinigkeit aus der Bäckerei – das machte auf jeden Fall mehr Spaß als das Laufband.

Doch heute Morgen wollte sie nicht zu Hause herumhängen. Wenn Richard einen Überraschungsangriff plante, würde er das Fort verlassen vorfinden. Sie könnte ihre letzten Weihnachtseinkäufe erledigen. Sich mal wieder bei Gilded Lily’s umschauen, bei Hearth and Home oder im Mountain Treasures. Oh, und zum Mittagessen würde sie sich eine leckere Bratwurst im Big Brats gönnen. Anschließend könnte sie noch bei Sweet Dreams vorbeischauen und Samantha Hallo sagen. Oder einen Abstecher ins Gingerbread-Haus machen und sich ein paar Lebkuchen gönnen.

Sie setzte sich die Mütze auf, die Ella ihr gestrickt hatte. Dann griff sie nach ihrem Wintermantel.

Gerade als sie die Haustür öffnete, kam Richard die Verandastufen empor. Gegen die Winterkälte trug er einen dicken Parka und eine Skimütze, und in der Hand hielt er eine Thermoskanne. Charley wusste gar nicht so genau, was sie mehr ärgerte: die Tatsache, dass er ihre Anweisung, sich vom Acker zu machen, einfach ignorierte oder dass ihr Herz bei seinem Anblick anfing, ein wenig schneller zu schlagen. „Was willst du denn hier?“

„Dich entführen.“

„Das ist illegal. Außerdem bist du nicht groß genug, um mich zu überwältigen“, fügte sie hinzu, in der Hoffnung, dass ihn das verletzte. Sie schloss die Tür hinter sich und marschierte an Richard vorbei.

„Ich wollte dich zu einer Schlittenfahrt entführen“, sagte er, ohne auf ihre Spitze einzugehen.

Abrupt blieb sie stehen. Eine Schlittenfahrt. Abgesehen von Schokolade gab es kaum etwas, was sie mehr in Versuchung führen konnte. Schlittenfahrten wurden in Icicle Falls zu einer immer größeren Touristenattraktion. Schon seit sie und Richard hierhergezogen waren, hätte Charley gern mal eine gemacht. Leider hatte sie aber nie die Zeit dafür gefunden. Irgendwie hatte Schlittenfahren etwas so Romantisches an sich.

Ausgerechnet mit ihrem Ex eine Schlittenfahrt zu machen würde allerdings überhaupt nicht romantisch sein. „Curriers bietet unter der Woche keine Schlittenfahrten an.“

„In dieser Woche schon. Ich habe mit Kirk Jones eine spezielle Vereinbarung getroffen.“

Spezielle Vereinbarung. Welche Strippen hatte Richard gezogen, um den Eigentümer der Baumschule dazu zu bewegen, seine Pferde an einem Montag anzuspannen?

Richard hielt die Thermoskanne hoch. „Heiße Schokolade mit Pfefferminzschnaps.“

„Und wenn es Champagner wäre: Das wäre mir auch egal.“

„Den gibt es zum Brunch. Im Firs.“

Das Firs war ein exklusives Resort, das sich über ein ziemlich großes Grundstück erstreckte und alles Mögliche einschloss: Wanderwege, heiße Whirlpools sowohl im Innen- wie im Außenbereich sowie Schwimmbecken und Saunen, und das alles vor der malerischen Kulisse der schneebedeckten Berge. Die Apartments waren luxuriös ausgestattet, und im Speisesaal bekam man Köstlichkeiten, zubereitet von Spitzenköchen, von denen Charley nur träumen konnte.

Jetzt wurde die Versuchung noch stärker.

Lass es bleiben.

„Ich bitte dich doch nur, mir eine Chance zu geben. Schenk mir einfach nur den heutigen Tag.“

Einen Tag, mehr verlangte er nicht.

Sie seufzte. „Warum bist du zurückgekommen?“

„Weil ich dich brauche.“

„Vor einem Jahr, als du Ariel in der Bar gevögelt hast, hast du mich nicht gebraucht.“

Richard verzog das Gesicht. „Charley, ich habe mich verändert. Lass es mich dir beweisen.“

Im Firs zu essen war genauso spektakulär wie ein Essen im Canlis in Seattle. Sie hatte nicht die Absicht, sich wieder mit Richard einzulassen. Aber das hieß ja nicht, dass sie nicht zur Abwechslung auch einmal ihn ausnutzen konnte. Nur Desserts, überlegte sie. Sie würde ihn benutzen, so wie er sie benutzt hatte. Dann merkte er endlich einmal, wie sich das anfühlte.

„Okay, ich komme mit“, sagte sie. „Es wird dir nichts nützen, aber ich bin dabei.“

Er grinste, als hätte sie ihm gerade angeboten, mit ihm ins Bett zu gehen. „Das ist doch schon mal ein Anfang.“

Die Currier’s Baumschule war rustikal, aber sehr malerisch gelegen. Der schneebedeckte Zaun, der das Grundstück umgab, war mit Tannengirlanden und roten Schleifen geschmückt. Den großen Baum im Vorgarten zierten nicht nur Schnee, sondern auch Lichterketten und bunte Kugeln. Hinter dem Haus erstreckten sich die angepflanzten Bäume, vor allem Tannen, in allen erdenklichen Arten und Größen. Weiter links entdeckte Charley einen Stand, wo die Gäste sich mit einem Glühwein wärmen konnten, und auf der rechten Seite stand die große Scheune. Dort wartete bereits der altmodische Schlitten, der ebenfalls festlich geschmückt war. Selbst die Pferde, die vor den Schlitten gespannt waren, hatte man herausgeputzt, mit kleinen Glöckchen am Geschirr und roten Schleifen in Mähne und Schwanz. Einer der Füchse stampfte mit dem Huf auf. Ein anderes Pferd stieß ein leises Wiehern aus.

Ein schlanker grauhaariger Mann in dicker Winterkleidung kam aus der Scheune und winkte ihnen zu. „Sie kommen genau richtig“, rief er Richard zu und bedeutete ihnen, sich zu ihm zu gesellen. „Heute ist der perfekte Tag für eine Schlittenfahrt“, begrüßte er Charley.

„Es ist nett von Ihnen, dass Sie extra für uns fahren“, erwiderte Charley.

Er grinste, ein strahlendes Lächeln, das ansteckend war. „Für Liebende doch immer.“

Liebende? Was hatte Richard ihm bloß erzählt? „Nicht wirklich“, sagte Charley und runzelte die Stirn. „Wir sind geschieden.“

Kirk Jones zog die Augenbrauen hoch. Richards Mundwinkel gingen parallel nach unten.

„Oh, na ja“, sagte Kirk und räusperte sich. „Es ist trotzdem ein schöner Tag für eine Schlittenfahrt.“

„Egal mit wem“, fügte Charley hinzu, ignorierte Richards helfende Hand und kletterte auf den Schlitten.

Kirk hatte eine karierte Wolldecke in den Schlitten gelegt, und Richard breitete sie über ihren Beinen aus.

„Danke, Liebster.“ Ihre Worte trieften vor Ironie.

„Du kannst doch nicht mich dafür verantwortlich machen, dass die Leute ihre Schlüsse ziehen“, rechtfertigte er sich.

„Hast du ihm vielleicht ein wenig auf die Sprünge geholfen?“

„Nein. Ich habe ihm die Wahrheit gesagt.“

Charley hob eine Augenbraue. „Ach ja? Und wie lautete die?“

„Dass dies hier für eine ganz besondere Frau sein sollte. Das ist schließlich nicht gelogen.“ Er öffnete die Thermoskanne und zog zwei Plastikbecher aus seiner Manteltasche.

Während er ihnen den heißen Kakao einschenkte, überlegte Charley, dass Richard schon immer ein Händchen für romantische Gesten besessen hatte – so hatte er zum Beispiel ein Gericht kreiert und es nach ihr benannt, hatte sie einmal nach Seattle entführt, um dort Weihnachtseinkäufe mit ihr zu machen, und schließlich die Nacht mit ihr in einem schönen Hotel verbracht, wo er ein funkelndes Schmuckstück unter ihrem Kopfkissen versteckt hatte.

Was er wohl für Ariel Romantisches veranstaltet hatte?

Er reichte ihr die heiße Schokolade, goss sich selbst etwas ein und schloss die Thermoskanne wieder. „Auf Neuanfänge“, sagte er und hob seinen Becher.

Sie erwiderte nichts darauf, sondern nippte nur an ihrem Kakao und wandte den Blick ab.

„Oder die Hoffnung auf Neuanfänge“, berichtigte Richard sich.

Träum weiter, dachte Charley nur und nippte wieder an ihrem Kakao.

Kirk war inzwischen ebenfalls auf den Schlitten geklettert. Er schnalzte mit der Zunge und gab den Pferden einen leichten Schlag mit der Peitsche, sodass sie sich abrupt in Bewegung setzten.

Zum Glück hatte Charley ihren Kakao schon halb ausgetrunken, sonst hätte sie ihn jetzt auf dem Schoß. Und das wäre eine Schande gewesen, denn er schmeckte köstlich. Das hier war kein Instantzeug, das konnte sie herausschmecken. Der Kakao war mit Sahne und aus feinster holländischer Schokolade zubereitet worden. Schokolade, der Weg zum Herzen einer Frau.

Aber nicht zum Herzen dieser Frau. Nie mehr würde Richard einen Platz in ihrem Herzen finden, nicht einmal mit einem GPS aus köstlicher Sweet-Dreams-Schokolade.

Trotzdem, entschied sie, konnte sie diese Fahrt genauso gut genießen.

Und es gab wahrlich eine Menge zu genießen. Die Schlittenfahrt war genauso toll, wie Charley es sich vorgestellt hatte. Sie zuckelten an Tannenbäumen vorbei, die alle in Weiß getaucht waren, und an weißen Feldern, die einen geradezu dazu einluden, im Schnee zu spielen. Und während der ganzen Zeit bimmelten die Glöckchen am Geschirr der Pferde. Es war frostig kalt, und Charley konnte ihren Atem sehen, doch der Kakao und die Decke hielten sie warm. Richard sah sie die ganze Zeit über an, als wäre er ein Verhungernder und sie sein sechsgängiges Menü. Die beste Medizin für verletzten Stolz.

Nur leider war Richard derjenige gewesen, der ihren Stolz verletzt hatte. Tod durch Verhungern war noch viel zu gut für ihn.

„Das hier ist vollkommen, oder?“, sagte er und legte Charley einen Arm um die Schultern.

Sofort rückte sie von ihm ab und befreite sich. „Fast.“

Er war klug genug, um nicht nachzufragen, was an der Sache hier nicht perfekt war.

Sie bogen in einen kleinen Weg, der einen Hügel hinunter- und sie unter einem Dach von verschneiten Zweigen entlangführte. Das war wirklich zauberhaft. Charley seufzte und lehnte sich auf der Bank zurück.

Vorn auf dem Kutschbock saß Kirk und sang ein Lied über schönes Wetter für einen Schlittenfahrt.

„Mit dir“, flüsterte Richard. „Ach, Charley, so jemanden wie dich gibt es nicht noch einmal.“

„Stimmt“, meinte sie.

„Es tut mir so leid, dass ich das auf die harte Tour lernen musste.“

„Ja, du kannst einem echt leidtun“, meinte sie bissig. Er runzelte die Stirn. Und Charley konnte sich ein hämisches Lachen nicht verkneifen.

Nach dem Brunch, zu dem sie auch mehrere Gläser Champagner getrunken hatte, wurde aus Charlys hämischem Lachen ein Kichern.

„Ich habe zu viel getrunken“, stellte sie fest, als Richard sie nach Hause fuhr.

„Vielleicht ein bisschen.“

„Warum hast du mich so viel Champagner trinken lassen?“ Sie stöhnte. „Da habe ich nachher bestimmt einen schrecklichen Brummschädel.“

„Na, dem können wir ja abhelfen“, erwiderte er. „Du brauchst nur ein wenig Wasser, und zu deinem Glück habe ich eine Perrier dabei.“

Sie beäugte ihn misstrauisch. „Du hast wirklich an alles gedacht, was?“

„Und an noch ein bisschen mehr“, meinte er lächelnd.

Charley erzitterte, aber das lag nicht an Richards Lächeln. Nein, nein, nein. Ihr war einfach nur auf der Schlittenfahrt kalt geworden, das war das Problem.

„Wie wäre es, wenn ich dir ein Feuer im Kamin anmache?“, bot Richard an, als er den Wagen vor ihrer Haustür anhielt.

Das fehlte ihr gerade noch: dass er mit ins Haus kam und es sich vor dem Kamin gemütlich machte. „Ich denke, lieber nicht. Ich habe noch so einiges zu erledigen.“ Dummerweise sehnte sie sich nach dem üppigen Essen und all diesem Champagner eigentlich nur noch danach, ein kleines Nickerchen zu machen. Sie stieg aus dem Auto aus, ehe Richard zu ihr herumkommen und die Wagentür öffnen konnte. „Danke, Richard“, sagte sie und schloss die Tür.

Er stieg ebenfalls aus und hielt eine grüne Flasche hoch. „Wasser. Erinnerst du dich?“

„Ich denke, ich kann mich auch mit dem Wasser aus dem Wasserhahn behelfen.“

„Dies hier schmeckt aber besser“, beharrte er und folgte ihr den Weg hinauf zum Haus. Wie ein schlechter Geruch.

Sie öffnete die Tür, und ehe sie sich von ihm verabschieden und ihm die Tür vor der Nase schließen konnte, war er schon hineingeschlüpft.

Ella hatte Besorgungen gemacht, und als sie nach Hause kam, fand sie einen riesigen Stapel schmutziges Geschirr in der Spüle vor. Auch das Wasser war immer noch abgestellt. Von oben waren Jakes Stimme und der Klang seiner Gitarre zu hören. Na toll. Natürlich hatte er vergessen, den Abfluss zu reparieren.

Wütend marschierte sie die Treppe in sein Zimmer hinauf. Und da saß er auf dem Bett, in Jeans und T-Shirt und barfüßig – ein umwerfender Countrysänger mit dunklen, zerzausten Haaren, der gut genug aussah, um das Cover einer CD zu zieren, und der völlig versunken in seine Musik war und den Rest der Welt anscheinend vollkommen vergessen hatte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte Ella das unglaublich liebenswert gefunden. Jetzt fand sie es nur noch verantwortungslos.

Tiny, der zu Jakes Füßen lag und hingebungsvoll lauschte, sprang auf, als er sie bemerkte und kam schwanzwedelnd zu ihr. Jake hörte auf zu singen, und seine Hände über den Gitarrensaiten stockten. Er drehte den Kopf. Er sah schuldbewusst und überrascht zugleich aus. „Du bist schon zu Hause?“

„Es ist zwanzig nach fünf“, informierte sie ihn. „Du hast versprochen, heute den Abfluss zu reparieren.“

„Wollte ich auch. Mache ich auch noch.“

„Nun, danach sieht es aber nicht aus. Ich rufe einen Klempner an.“

Jake legte die Gitarre aufs Bett. „Ich besorg jetzt noch schnell, was ich brauche, dann hab ich es in einer Stunde erledigt.“

„Der Baumarkt schließt in zehn Minuten.“

„Das schaffe ich noch.“

Sie runzelte die Stirn, sagte aber nichts mehr. Sie wusste, dass es ein Fehler gewesen war, darauf zu bauen, dass er die Sache erledigte. Zum Glück kam heute Abend niemand, um das Haus zu besichtigen.

Als Jake aus dem Baumarkt zurückkam, hatte Ella sich Jeans und einen Pullover angezogen und wärmte sich übrig gebliebene Hühnersuppe auf.

„Das riecht gut“, sagte er.

Ihre Hühnersuppe war schon immer eins seiner Lieblingsessen gewesen. Doch jetzt aßen sie nicht mehr zusammen.

„Mach den Abfluss heil, dann bekommst du was ab.“

Er grinste und breitete sein Werkzeug auf dem Fußboden aus – einen Maulschlüssel, eine Taschenlampe, irgendeine Art von Schlauch und eine Schüssel, die er aus dem Schrank geholt hatte.

„Mehr brauchst du nicht?“, fragte sie.

„Es ist eine total einfache Reparatur. Ich muss nur den Anschlussschlauch für die Kaltwasserleitung austauschen. Allerdings müsstest du die Taschenlampe halten.“

Fest davon überzeugt, dass sie da sein würde (so wie er immer fest davon überzeugt war), öffnete er die Türen unter der Spüle, hockte sich hin und krabbelte hinein. Die Schüssel nahm er mit. Ella stellte die Kochplatte aus, auf der die Suppe stand, und nahm die Taschenlampe.

„Wofür ist die Schüssel?“, wollte sie wissen. Es war schwer zu ignorieren, wie knackig sein Hinterteil aussah, aber sie gab sich alle Mühe.

„Um das Wasser aufzufangen, das vielleicht noch in der Leitung ist. Hey, wo bist du?“

„Ich bin hier.“ Sie hockte sich ebenfalls hin und richtete die Taschenlampe auf den Abfluss.

„Du musst weiter reinkommen. Richte das Licht auf den Schlauch. Genau hier.“

Sie krabbelte noch weiter hinein. Und jetzt hockten sie da, nebeneinander unter der Spüle und waren sich näher, als sie sich innerhalb des letzten Jahres gekommen waren. Sein würziges Aftershave stieg ihr in die Nase und rief Erinnerungen an seine stürmischen Küsse wach. Als er den Maulschlüssel ansetzte, konnte sie nicht anders: Sie musste auf seine Muskeln starren, die sich bewegten. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie schnell es unter einer Küchenspüle so heiß werden konnte.

Jetzt war der alte Schlauch ab. „Gib mir mal den anderen Schlauch“, bat Jake sie.

Als Ella ihm den Schlauch reichte, kam sie sich vor wie eine Krankenschwester im Operationssaal. „Skalpell, Herr Doktor“, witzelte sie.

„Das hast du gut erkannt: Ich bin der liebe Onkel Doktor, der alles wieder heil macht.“

Zu schade, dass er nicht das, was zwischen ihnen kaputt gegangen war, heilen konnte.

Es dauerte nicht lange, bis der neue Schlauch fest saß, aber es war lange genug für Ella, um sich allen möglichen albernen Gedanken hinzugeben, denen sich eine geschiedene Frau definitiv nicht hingeben sollte, jedenfalls nicht in Bezug auf ihren Ex.

Mit einem letzten Ruck zog Jake alles fest. „So, fast wie neu.“ Er drehte sich zu ihr herum, und langsam schwand sein lockeres Lächeln. Stattdessen wurde es durch einen Blick ersetzt, den Ella nur allzu gut kannte. Einen Blick, der sie beide immer direkt ins Schlafzimmer geführt hatte. „Hat dir schon mal jemand gesagt, wie gut du unter einem Spülbecken aussiehst?“

Jake, der Schmeichler. Ja, das hatte er schon immer gut gekonnt.

„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ziemlich eingebildet bist?“, konterte sie und kam wieder hoch.

Tiny, der sich das ganze Prozedere angeschaut hatte, bellte kurz. Dann hörten sie, wie die Haustür aufgeschlossen wurde und Stimmen durch den Flur hallten. Mit einem weiteren Bellen flitzte Tiny zur Küche hinaus.

„Jemand zu Hause?“, rief Axel Fuchs, ihr Makler. „Tiny, Platz!“

Ella starrte Jake voller Panik an. „Axel!“ Sie sprang auf und eilte den Flur entlang.

Tatsächlich, da stand er, wie immer piekfein im Anzug, über dem er heute einen Kamelhaarmantel trug. Axel war ein großer, schlanker Mann mit blonden Haaren und kantigen Gesichtszügen. Er war stets akkurat gekleidet und hätte für das Titelbild des Gentleman’s Quarterly posieren können. In seiner Gegenwart war Ella sich ihrer abgetragenen Jeans und der zerzausten Haare nur allzu unangenehm bewusst. Umso mehr, nachdem sie das Paar entdeckte, das Axel begleitete. Auch die beiden waren wie aus dem Ei gepellt. Sie schienen Ende vierzig zu sein, und man konnte ihnen ansehen, dass sie Geld hatten. Potenzielle Käufer.

Und Jake lungerte in der unaufgeräumten Küche herum, auf dem Boden lag Werkzeug, weil der Ablauf kaputt gewesen war. Sie würde ihn dazu bringen, das alles schnell beiseitezuräumen, während das Paar sich im ersten Stock umsah. Ella dachte an das ungemachte Bett, auf dem Jake gesessen hatte. Mist. Trotzdem war es immer noch besser, als wenn sie das Chaos in der Küche zu Gesicht bekamen.

Tiny tat sein Möglichstes, um die Besucher zu begrüßen. Ella hielt ihn am Halsband fest. „Nein, Tiny. Platz. Keine Angst, der beißt nicht“, versicherte sie der Frau, die sich hinter ihrem Ehemann versteckte.

„Aber er zerkaut bestimmt gern alles Mögliche, oder?“, fragte der Mann und sah sich misstrauisch um, als wollte er nach Schäden suchen.

„Nein, er ist ein gut erzogener Hund“, antwortete Ella schnell.

Die Frau entspannte sich wieder. „Hier riecht aber irgendetwas sehr gut.“

„O ja, ich war gerade dabei, mir eine Suppe warm zu machen“, sagte Ella und strich ihr Haar glatt. Und einen undichten Wasserabfluss zu reparieren.

Es war so peinlich, so eiskalt erwischt zu werden. Normalerweise wären sie gar nicht hier. Weder sie noch Jake. Axel hatte es lieber, wenn die Besitzer nicht anwesend waren, wenn er die Häuser potenziellen Käufern zeigte. Warum hatte er nicht Bescheid gesagt, dass er kommen würde?

„Ich koche auch für mein Leben gern“, meinte die Frau. „Lassen Sie uns als Erstes die Küche anschauen.“ Und ehe Ella sie aufhalten konnte, marschierte sie schon den Flur entlang.

Kaum hatte sie die Küche betreten, blieb sie abrupt stehen. Jake war gerade dabei, sein Werkzeug und den alten Schlauch zusammenzusammeln. „Oh.“

O … nein. „Nur ein kleines Leck“, sagte Ella. Sie wünschte inständig, Jake würde seinen Schlauch nehmen und endlich verschwinden.

Der Mann, der bisher noch gar nichts gesagt hatte, brummte. Viel wusste Ella nicht über das Maklergeschäft. Aber sie wusste, dass so ein Brummen nichts Gutes verhieß.

„Lassen Sie uns den Rest des Hauses anschauen“, meinte Axel jovial. „Es ist wirklich in exzellentem Zustand.“

„Ja, das sehe ich“, meinte der Mann. Es klang noch schlimmer als das Brummen.

Wieder gingen sie durch den Flur, und Ella warf Jake einen bösen Blick zu.

„Was ist?“

„Du hattest den ganzen Tag Zeit, um die Spüle zu reparieren“, zischte sie ihn an.

„Ich habe an einem Lied gearbeitet.“

„Na, ich hoffe, es war ein gutes, denn es könnte sein, dass es uns einen möglichen Verkauf gekostet hat.“

„Dann kommen eben andere Käufer“, entgegnete er.

„Wann? Verdammt, Jake! Das war das Einzige, worum ich dich gebeten hatte. Warum hast du es nicht einfach erledigt?“

„Habe ich doch. Eben.“

Es war sinnlos, mit ihm darüber zu reden. Er war hoffnungslos. Sie eilte hinter Axel und dem Paar her. Jetzt standen sie im Wohnzimmer und schauten sich dort um. „Wir haben hier erst kürzlich frisch gestrichen.“

„Mmm“, murmelte die Frau.

„Wir haben das Haus wirklich gut in Schuss gehalten“, fuhr Ella fort.

Daraufhin stieß der Mann nur ein weiteres Brummen aus, und Axel sagte hastig: „Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Schlafzimmer.“ Seine Kunden gingen die Treppe hinauf, und Ella wollte ihnen gerade folgen, als Axel meinte: „Warum warten Sie nicht hier unten?“

„Oh.“ Frustriert und peinlich berührt ließ Ella sich aufs Sofa plumpsen und griff nach einer Wohnzeitschrift, während sie entgegen aller Vernunft hoffte, dass dieses Pärchen vergessen würde, was es in der Küche gesehen hatte. Doch Jake sei Dank würden die beiden das wohl nicht. Wenn sie so weitermachten, würden sie hier für immer gefangen bleiben.

Axel und die Kunden kamen wieder hinunter und gingen erneut in die Küche. Die Frau lächelte höflich, doch ihr Ehemann sah aus, als hätte er eine hautnahe Begegnung mit dem Grinch gehabt. Schon fünf Minuten später hatten sie das Haus verlassen.

„Ich komme sofort zu Ihnen“, rief Axel ihnen hinterher.

Sofort eilte Ella zu ihm. „Hat es ihnen gefallen?“

„Das meiste schon. Allerdings waren sie von dem leckenden Abfluss in der Küche alles andere als angetan. Und auch von Jakes Schlafzimmer waren sie entsetzt. Ella, jeder will etwas kaufen, was aussieht wie ein Foto aus einer Zeitschrift. Sie und Ihr Exmann müssten sich schon ein bisschen mehr Mühe geben.“

Das tat weh. Sie gab sich so viel Mühe. Es war dieser Nichtsnutz, mit dem sie nicht mehr verheiratet war, der ihr vollkommenes Haus immer wieder auf den Kopf stellte. „Das tue ich doch“, protestierte sie. „Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass der Abfluss anfangen würde zu lecken. Und ich wusste auch nicht, dass Sie vorbeikommen würden.“

„Das habe ich Jake aber heute Nachmittag gesagt“, erklärte Axel.

„Ach ja?“ Jake hatte es den ganzen Nachmittag über gewusst, und trotzdem hatte er den Abfluss nicht repariert? Sie würde ihn mit einer von den Lichterketten eigenhändig erwürgen.

„Hat er Ihnen das nicht erzählt?“

Ella schüttelte den Kopf.

Axel runzelte die Stirn. „Dieser Typ ist ein Chaot.“

Ella seufzte. „Stimmt.“

„Was haben Sie nur je an ihm gefunden?“, fragte Axel verwundert, und bevor sie etwas sagen konnte, fügte er hinzu: „Ich schaue, was ich mit Mr und Mrs Winters machen kann und melde mich dann wieder bei Ihnen.“

Sie bedankte sich. Mit einem müden Seufzer schloss sie die Tür hinter ihm.

In dem Moment kam Jake den Flur entlang. „Na, hat es ihnen gefallen?“

„Vielleicht wenn sie nicht den leckenden Abfluss gesehen hätten“, erwiderte Ella eisig.

„Hey, Abflüsse lecken nun mal hin und wieder.“

„Ja, das tun sie. Und Makler melden sich an.“

Immerhin besaß er den Anstand zu erröten.

Ella richtete anklagend den Finger auf ihn. „Du wusstest, dass heute Leute zur Besichtigung kommen würden. Axel hat dich heute Nachmittag angerufen.“

„Es war schon später Nachmittag.“

„Das ist völlig unerheblich“, fuhr Ella ihn an und hob frustriert die Hände.

„Nein, ist es nicht. Es muss mindestens schon vier Uhr gewesen sein, als er angerufen hat. Ich war gerade dabei, ein neues Lied zu schreiben. Ich war mittendrin und wollte den Faden nicht verlieren.“

Langsam verlor sie die Geduld. „Also hast du einfach weiter vor dich hin geklimpert. Was hast du dir dabei gedacht, Jake? Dass die Heinzelmännchen kommen, den Abfluss für dich reparieren und deinen Abwasch machen?“

„Ich hätte das noch erledigt“, antwortete er trotzig.

„Aber du hast es nicht rechtzeitig getan, und das hat uns mit ziemlicher Sicherheit den Verkauf gekostet.“ Ella marschierte wieder in die Küche, und Jake folgte ihr, mit einem winselnden Tiny im Gefolge.

Ella nahm den Topf mit der Suppe vom Herd. „Hier, kannst du alles essen. Mir ist der Appetit vergangen.“

Jake kam zu ihr. „El, es tut mir wirklich leid. Du hast recht: Ich hätte den Abfluss gleich machen sollen.“

Er hätte eine Menge Dinge machen sollen. Ella wandte ihm weiterhin den Rücken zu.

„Ich habe einfach die Zeit vergessen.“

„Ach ja, und damit ist es okay? Wenn du das gleich heute Morgen erledigt hättest, wärst du damit durch gewesen. Hast du heute Morgen auch schon geschrieben?“

„Nein.“

Ha!

„Da habe ich an Arrangements für die Band gearbeitet.“

„Die Band“, fluchte sie. Natürlich, die Band und ihre Keyboarderin, die anderen die Ehemänner ausspannte, kamen immer an erster Stelle. Ella musste sich wirklich sehr beherrschen, um ihm nicht die Suppe über den Kopf zu gießen.

Da klingelte ihr Handy, und sie eilte zum Tisch im Flur, wo sie ihre Handtasche abgelegt hatte. Hastig kramte sie das Handy heraus. „Ich wette, das ist Axel. Vielleicht hat er das Paar ja doch dazu überreden können, ein Angebot abzugeben.“ Kurz bevor die Mailbox ansprang, nahm sie den Anruf entgegen und meldete sich mit einem atemlosen Hallo.

„Tut mir leid, Ella, aber es hat nicht geklappt.“

Verflixt, das war ja zum Heulen. Frustriert ging sie ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. „Ich dachte, es hätte ihnen gefallen. Zumindest der Frau.“

„Ja, in gewisser Weise schon, aber doch nicht gut genug, um ein Angebot zu unterbreiten. Keine Angst, wir finden schon noch einen Käufer.“

Wenn das so weiterging, würde das wohl noch Jahre dauern. Missmutig starrte sie auf Jakes derzeitiges Lieblingsbuch, das auf dem Couchtisch lag. Tu, was du liebst, dann klappt es auch mit dem Geld. Wie wäre es mit „Tu, was du versprochen hast, und dann klappt es auch mit dem Verkauf“?

Wenn sie noch lange hier mit Jake zusammenwohnte, würde sie ihn irgendwann umbringen. Sie mussten das Haus verkaufen und jeder sein eigenes Leben führen. „Was kann ich tun, damit es endlich verkauft wird?“

„Sorgen Sie dafür, dass es überall gut aussieht.“

„Das mach ich“, versprach sie. „Sonst noch Ideen?“

„Gehen Sie mit mir essen, dann überlegen wir weiter“, schlug Axel vor. „Sie müssen mal rauskommen, weg von diesem Loser.“

Inzwischen war auch Jake ins Wohnzimmer gekommen. Er war ein Loser. Allerdings wäre ihr Leben sehr viel einfacher, wenn er auch wie einer aussehen würde.

„Ein Abendessen? Das hört sich gut an“, meinte sie.

„Abendessen?“, wiederholte Jake. „Mit wem?“

„Ich reserviere uns für Mittwochabend einen Tisch im Schwangau“, sagte Axel.

„Oh, das Schwangau! Wie nett.“

Jake guckte grimmig. „Du gehst doch wohl nicht mit diesem albernen Pinkel aus, oder?“

„Sehr schön. Ich hole Sie um sieben Uhr ab.“

„Perfekt“, erwiderte Ella.

„Dieser Typ ist so was von weit entfernt davon, perfekt zu sein, wie ein Mann nur sein kann“, murmelte Jake.

„Bis Mittwoch“, sagte Ella. Als sie das Telefonat beendete, stieß Jake einen angewiderten Laut aus. „Du benimmst dich wirklich sehr erwachsen“, meinte sie nur spöttisch.

„Ja. Genauso reif wie du, wenn du mit diesem Idioten ausgehst, nur weil du wegen dem Abfluss sauer auf mich bist.“

„Ja, ich bin deshalb sauer auf dich. Aber das hat nichts damit zu tun, dass ich mit Axel ausgehe.“

„Warum gehst du denn dann mit ihm aus?“, wollte Jake wissen.

„Das geht dich gar nichts an“, erklärte sie. „Wir sind nicht mehr verheiratet, und ich kann tun und lassen, was ich will. Immerhin habe ich gewartet, bis wir geschieden waren, ehe ich das mache, was ich will.“

„Ich auch! Aber ich kann immer noch nicht das tun, was ich gerne tun will, denn was ich will, ist … ach, vergiss es“, beendete er den Satz verärgert und stürmte nach oben.

Was hatte er sagen wollen? Was wollte er?

War es nicht egal? Ella nahm wieder die Zeitschrift in die Hand und starrte darauf. Aber sie las nicht wirklich darin.

Tiny kam zu ihr, setzte sich auf den Boden und legte seinen großen Kopf auf ihren Schoß. „Ich weiß“, meinte Ella und streichelte ihn. „Du magst es nicht, wenn wir uns streiten.“

Tiny rülpste und leckte sich die Pfoten. Der Rülpser roch verdächtig nach Chili.

„Hat Herrchen dir wieder Chili zu essen gegeben?“

Tiny winselte und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden.

Ella betrachtete ihn grimmig. Der Hund hatte zugenommen. Und es gab nur einen Menschen, der dafür verantwortlich sein konnte, und das war nicht sie. „Er soll dir doch nicht immer etwas von unserem Essen abgeben. Ich wette, er hat dir auch schon wieder heimlich Kekse zugeschanzt.“

Tiny hielt seine Hundeschnauze wohlweislich geschlossen. Stattdessen schaute er Ella nur mit treuem Hundeblick an.

„Keine Angst, ich mach dir keinen Vorwurf“, sagte sie zu ihm. „Ich weiß ja, wer dafür verantwortlich ist.“

Derselbe Mann, der dafür verantwortlich war, dass die potenziellen Kunden beschlossen hatten, ihr Geld anderweitig auszugeben. Jake O’Brien war wirklich ein Dorn in ihrem Fleisch.

Ella hatte keine Ahnung, warum sie sich plötzlich an ein Picknick oben an den Lost-Bride-Wasserfällen erinnerte, an den Tag, an dem Jake ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Unvermittelt traten ihr Tränen in die Augen. Sie hatte sich damals eingebildet, sie hätte den Geist der verlorenen Braut gesehen, der einer Legende nach dort oben bei den Wasserfällen umherspukte. Wie alle im Ort wusste auch sie, dass jede Frau, die diesen Geist zu sehen bekam, kurz darauf einen Heiratsantrag erhielt. Und tatsächlich hatte Jake an dem Tag einen Verlobungsring in der Tasche gehabt.

„Heirate mich, El. Versüße mir den Tag, versüße mir mein Leben. Sag Ja.“

Natürlich hatte sie „Ja, ja, ja!“ gesagt, und sie hatten die Verlobung mit einem Kuss besiegelt. Es war der glücklichste Tag in ihrem Leben gewesen.

Inzwischen schien das so unendlich lange her zu sein. Jake O’Brien war kein Dorn in ihrem Fleisch, sondern in ihrem Herzen, und je schneller sie ihn herauszog, desto besser.

Jake stieß mit dem Fuß gegen den Stapel schmutziger Wäsche auf dem Fußboden. Er hatte wirklich vorgehabt, den Abfluss zu reparieren, ehe Ella zurückkehrte und bevor Axel, dieser Idiot, vorbeikam. Aber er war so vertieft in dieses neue Lied gewesen. Ella wusste doch, wie es war, wenn er dabei war, einen Song zu komponieren. Warum hatte sie ihm nicht geglaubt? Verdammt, warum glaubte sie ihm eigentlich nie?

Die Antwort war einfach. Schuld daran war allein Ellas Mutter. Lily Swan hatte ihn von Anfang an nicht gemocht. Er selbst stammte aus einer Familie einfacher Leute, die jagten und angelten und ihr Haus selber putzten, und damit waren sie definitiv nicht cool genug für das ehemalige Miss-Amerika-Topmodel-das-nie-eins-war. Ganz offensichtlich hatte Lily für ihre Tochter andere Pläne gehabt. Wahrscheinlich sollte Ella statt einen Jungen vom Land lieber einen Jetsetter heiraten. Also hatte sie sich sofort darangemacht, die Beziehung zu zerstören.

Und das war wirklich eine Sünde, denn er und Ella waren glücklich zusammen gewesen. Sie waren füreinander bestimmt. Irgendwann in naher Zukunft würde er den Durchbruch als Countrysänger schaffen, und dann hätte Ella ein glamouröses Leben führen können. Dann wäre er in der Lage gewesen, ihr jeden Wunsch zu erfüllen.

Früher hatte sie an ihn geglaubt. Doch das tat sie jetzt nicht mehr. Inzwischen war er in ihren Augen nur noch ein Schürzenjäger, ein fauler Nichtsnutz. Vielen Dank, liebe Schwiegermutter, dass du alles vergiftet hast. Danke, dass du unser Leben ruiniert hast. Danke, dass du deine Nase in Sachen hineingesteckt hast, die dich absolut nichts angingen.

Wirklich zu schade, dass er immer noch keinen großen Hit gelandet hatte. Er hätte die gute alte Mims auf eine lange Reise geschickt – vorzugsweise zum Mond.

Dieser Gedanke ließ ihn lächeln. Dann schoss ihm eine Idee durch den Kopf. Er lachte laut auf und griff nach seiner Gitarre. „Mims, ich werde ein Weihnachtslied für dich komponieren.“

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