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Wer früher küsst, ist länger verliebt

hier erhältlich:

Vorsicht ist besser als Nachsicht! Nach diesem Motto hat Maya mit ihrem Freund Schluss gemacht - bevor Del Mitchell sie abservieren konnte. Klingt seltsam, erschien ihr damals aber logisch, um ihr Herz zu schützen. Denn wie könnte ein sexy Bad Boy wie Del ein Mann für immer sein? Bei ihrer Rückkehr nach Fool’s Gold läuft sie ausgerechnet ihm in die Arme. Und es kommt noch dicker: Zusammen müssen sie am Werbefilm für ihre Heimatstadt arbeiten! Da muss Maya scharf aufpassen. Oder ist es Zeit, den Sprung ins Ungewisse zu wagen?

"Fool's Gold wohnt ein Zauber inne, dass es zu einem liebevollen Wohlfühlort macht."

Fresh Fiction

"Susan Mallery ist eine meiner absoluten Lieblingsautorinnen."

Nr.1-New York Times-Bestsellerautorin Debbie Macomer

"Die beliebte und erfolgreiche Autorin Susan Mallery ist ein Garant für mitreißende Liebesgeschichten."

Booklist


  • Erscheinungstag: 07.08.2017
  • Aus der Serie: Fool's Gold
  • Bandnummer: 26
  • Seitenanzahl: 336
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955766634
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Dank

Als „Mom“ eines bezaubernden, verwöhnten kleinen Hundes kenne ich die Freude, die Haustiere in unser Leben bringen. Aus diesem Grund unterstütze ich schon seit Langem den Tierschutz, genauer gesagt die Organisation Seattle Humane. Bei ihrer jährlichen Wohltätigkeitsveranstaltung habe ich 2014 erneut „Ihr Tier in einem Roman von mir“ als Preis gestiftet.

In diesem Buch werden Sie einen wundervollen Beagle namens Sophie kennenlernen. Ihre „Eltern“ haben bei der Auktion großzügig gespendet, um ihr hinreißendes, einfallsreiches süßes Mädchen in diesem Buch verewigt zu sehen.

Eines der Dinge, wodurch das Schreiben für mich so besonders wird, ist, dass ich auf verschiedene Arten mit den Menschen in Kontakt komme. Mit einigen spreche ich aus Recherchegründen. Andere sind Leserinnen, die sich mit mir über Charaktere und Handlungsstränge unterhalten möchten, und einige sind fabelhafte Tiereltern. Sophies „Mom“ war mit ihrer Zeit sehr freigiebig. Sie hat mir Geschichten über ihr Mädchen erzählt, mir eine unglaublich lustige DVD geschickt und so Sophie für mich lebendig gemacht. Ich hoffe, ich werde ihr in diesem Buch gerecht.

Vielen Dank an Sophie und ihre „Eltern“. Und an die großartigen Menschen von Seattle Humane (seattlehumane.org). Denn jedes Tier hat eine liebevolle Familie verdient.

Ein besonderer Dank geht an Dani Warner von Pixel Dust Productions für ihre technische Hilfe. Alle Fehler „an der Filmemacherfront“ gehen allein auf meine Kappe.

1. Kapitel

Maya Farlow sagte sich, dass es bestimmt eine schlüssige Erklärung dafür gab, warum die Bürgermeisterin von Fool’s Gold das Foto eines nackten Männerhinterns auf ihrem Computerbildschirm hatte. Zumindest hoffte sie das. Sie hatte Bürgermeisterin Marsha immer gemocht und wollte über die Frau, die ihre neue Chefin war, lieber nichts Anrüchiges herausfinden.

Bürgermeisterin Marsha seufzte schwer und zeigte auf den Monitor. „Sie werden es nicht glauben“, meinte sie und drückte auf eine Taste. Das Bild bewegte sich, als das Video anfing und der Ton einsetzte.

„Der Wettbewerb endet am Freitag um zwölf Uhr mittags. Schicken Sie Ihren Tipp an diese Nummer.“

Maya starrte auf den Computer. Als das Bild wieder stehen blieb, betrachtete sie die eingeblendete Telefonnummer, die gut siebzigjährige Moderatorin, die mitten in einer Geste eingefroren war, und das Foto des nackten Hinterns hinter ihr. Des nackten männlichen Hinterns, korrigierte Maya sich im Stillen, obwohl sie nicht wusste, ob das Geschlecht wichtiger war als die Tatsache, dass besagtes Körperteil unbekleidet war.

„Okay“, stieß sie langsam aus, weil bestimmt irgendeine Reaktion von ihr erwartet wurde. Vermutlich eine intelligente Reaktion. Aber offen gestanden fiel ihr nicht ein, wie die sein könnte. Wie, um Himmels willen, sollte eine alte Lady im Jogginganzug, die über einen Nackte-Hintern-Wettbewerb sprach, irgendeinen Sinn ergeben? Obwohl es natürlich wesentlich besser war, als herauszufinden, dass Bürgermeisterin Marsha sich Pornos anschaute.

Bürgermeisterin Marsha drückte ein paar Tasten an ihrem Computer, und das Bild verschwand. „Sie sehen, welche Probleme wir mit Eddies und Gladys’ Fernsehsendung haben.“

„Zu viele nackte Hintern?“, fragte Maya, bevor sie sich zurückhalten konnte. Das Offensichtliche auszusprechen, war niemals hilfreich, doch was, um alles in der Welt, sollte sie sonst sagen?

Bürgermeisterin Marsha Tilson war die am längsten regierende Bürgermeisterin von Kalifornien. Sie sah noch genauso aus wie vor zwölf Jahren, als Maya eine nervöse Sechzehnjährige gewesen war, die in diese seltsame kleine Stadt gezogen war und gehofft hatte, dazugehören zu können. Die Bürgermeisterin trug immer noch klassisch geschnittene Kostüme und elegante Perlen. Ihre weißen Haare waren zu einem ordentlichen Dutt hochgesteckt. Als Teenager hatte Maya nicht gewusst, was sie von der Bürgermeisterin halten sollte. Heute fand sie die Frau einfach bewundernswert. Bürgermeisterin Marsha führte ihre Stadt mit strenger, aber gerechter Hand. Noch wichtiger war für Maya jedoch, dass die Bürgermeisterin ihr genau in dem Moment einen Job angeboten hatte, in dem ihr klar geworden war, dass sie etwas in ihrem Leben verändern musste.

Und so war sie nun also die strahlende neue Kommunikationsdirektorin für Fool’s Gold, Kalifornien. Und die alte Lady mit dem Nackte-Hintern-Wettbewerb war offensichtlich jetzt ihr Problem.

„Eddie und Gladys waren schon immer Paradiesvögel“, erklärte Bürgermeisterin Marsha seufzend. „Ich bewundere ihre Lebensfreude.“

„Und ihr Interesse an jüngeren Männern“, murmelte Maya.

„Du hast ja keine Ahnung. Ihre Fernsehsendung ist bei den Bewohnern und Touristen sehr beliebt. Dennoch haben wir ein paar Anrufe und E-Mails bezüglich deren Inhalte erhalten.“

„Ich soll die beiden zügeln.“

„Ich bin nicht sicher, ob das möglich ist, aber ja. Wir wollen es nicht mit der FCC zu tun bekommen. Ich kenne zwei der Kommissare und habe keine Lust auf Anrufe von Freunden in höheren Positionen, um es mal so auszudrücken.“ Die ältere Frau erschauderte. „Oder zu erklären, was, zum Teufel, in dieser Stadt los ist.“

Nachdem Maya das Video gesehen hatte, hätte sie gedacht, dass nichts, was irgendjemand an diesem Tag sagen würde, sie mehr überraschen könnte als eine auf die achtzig zugehende Frau, die im Fernsehen einen nackten Männerpo präsentierte und ihre Zuschauer dazu aufrief, einen Tipp abzugeben, welchem berühmten Einwohner der Stadt er wohl gehören könnte. Aber da hatte sie sich wohl geirrt. Dass Bürgermeisterin Marsha ein oder zwei Kommissare der staatlichen Rundfunk- und Fernsehaufsichtsbehörde persönlich kannte, schlug nackte Hintern um Längen.

Schnell machte sich Maya ein paar Notizen auf ihrem Tablet. „Okay. Ich werde mit Eddie und Gladys sprechen und ihnen die Sittlichkeitsregeln für die Ausstrahlung von Fernsehsendungen erklären.“

Sie hatte zwar eine ungefähre Vorstellung davon, wie diese Vorschriften aussahen, würde die Einzelheiten allerdings noch einmal nachschlagen müssen. Schließlich hatte sie das dumpfe Gefühl, die beiden Ladies wären nicht durch vage Andeutungen bezüglich der Regeln der FCC einzuschüchtern. In diese Diskussion würde sie besser nur schwer bewaffnet ziehen.

„Du wirst gleich ins kalte Wasser gestoßen, nicht wahr?“ Bürgermeisterin Marsha lächelte sie an. „Und das an deinem zweiten Tag. Ich hoffe, du bedauerst deine Entscheidung, den Job angenommen zu haben, nicht schon.“

„Nein“, versicherte Maya ihr. „Ich liebe die Herausforderung.“

„Dann hast du ja Glück gehabt.“ Die Bürgermeisterin schaute auf ihren Notizblock. „Als Nächstes müssen wir unsere neue Videokampagne besprechen. Der Stadtrat möchte zwei verschiedene Ansätze. Die erste Reihe von Videos soll sich um den Slogan unserer Stadt drehen. Fool’s Gold – hier hat Romantik ein Zuhause. Die zweite Serie soll den Tourismus im Allgemeinen unterstützen.“

Sie hatten die neue Kampagne bereits bei Mayas Bewerbungsgespräch erörtert. „Ich habe für beides sehr viele Ideen“, sagte sie eifrig.

„Gut. Wir überlegen immer noch nach weiteren Wegen, um die Videos zu nutzen. Natürlich werden sie auf die Website der Stadt gestellt. Doch ich möchte sie auch für Werbung im Internet und im Fernsehen einsetzen.“

Maya nickte und tippte weiterhin auf ihrem Tablett. „Also auf jeden Fall Dreißigsekünder, dazu weitere Schnitte von einer und zwei Minuten Länge? Die Botschaft variiert je nach Zielgruppe?“

„Die technischen Aspekte überlasse ich dir, Maya. Genau wie jegliche Ideen, die du hast, um die Zuschauerzahlen der Videos zu steigern. Der Stadtrat ist eine dynamische Gruppe, aber wir sind nicht sonderlich technikaffin. Da musst du uns schon den Weg zeigen.“

„Sehr gerne.“

Ich habe ein paar Kontakte, dachte sie. Nicht bei der FCC, doch Freunde in der Werbung, die bestimmt ein paar Ideen beisteuern könnten. Es wäre leicht, das Material so zu schneiden, dass es verschiedene Zielgruppen ansprach. Auf ESPN und den Sportseiten im Netz würden sie sich auf sämtliche Outdoor-Aktivitäten konzentrieren, die die Stadt zu bieten hatte. Auf den traditionell eher von Frauen geschauten Kabelsendern würden sie sich auf die familienfreundlichen Aspekte konzentrieren und zusätzlich Links auf Webseiten setzen, die von Frauen mit Kindern besucht wurden.

Auch wenn diese Arbeit ganz anders war als das, was sie vorher getan hatte, freute sie sich auf die Möglichkeiten. Ihr vorheriger Job bei einem regionalen Fernsehsender in Los Angeles war ihr irgendwann zu langweilig geworden. Ihre Versuche, von einem großen Sendernetzwerk engagiert zu werden, waren gescheitert, sodass sie nicht gewusst hatte, was sie machen sollte. Das Jobangebot aus Fool’s Gold war also genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen.

„Du wirst Hilfe benötigen“, erklärte Bürgermeisterin Marsha ihr. „Das ist einfach zu viel Arbeit für eine Person. Vor allem, wenn wir die Videos zum Ende des Sommers fertig haben wollen.“

„Ich ziehe es vor, die Videos selbst zu schneiden. Das ist eine Kunst.“ Sie lächelte. „Aber ich könnte Hilfe in der Vorproduktion und während des Filmens gebrauchen.“

„Ja. Und ein Gesicht vor der Kamera. Nennt man das so? Oder ist ‚Moderator‘ das bessere Wort?“

Maya verspürte einen leichten Stich. In einer perfekten Welt wäre sie die Moderatorin der Videos. Doch die Wahrheit war, die Kamera liebte sie nicht. Sie mochte sie, aber sie liebte sie nicht. Und in diesem Geschäft war Leidenschaft unabdingbar. Was bedeutete, dass sie jemand Umwerfendes für vor der Kamera benötigten.

„Jemanden aus dem Ort?“, fragte sie und dachte an all die Sportlerpromis der Stadt. Außerdem wusste sie, dass Actionstar Jonny Blaze gerade eine Ranch außerhalb der Stadt gekauft hatte. Wenn sie ihn kriegen könnte, wäre das ein echter Coup.

„Ich hatte da jemand anderen im Sinn“, erklärte Bürgermeisterin Marsha.

Wie auf Kommando klopfte die Assistentin der Bürgermeisterin an die Tür und trat ein. „Er ist hier. Soll ich ihn reinschicken?“

„Bitte ja, Bailey“, erwiderte Bürgermeisterin Marsha.

Maya schaute auf. Sie war neugierig, wen die Bürgermeisterin für einen so wichtigen Job in Betracht zog. Für die Stadt stand viel auf dem Spiel, und für Bürgermeisterin Marsha kam Fool’s Gold immer an erster Stelle. Wenn er …

Vielleicht ist es nur eine Sinnestäuschung, dachte Maya panisch. Oder ein Fehler. Denn der große, breitschultrige, leicht zerzaust wirkende Mann, der auf sie zutrat, wirkte erschreckend vertraut.

Sie sog den Anblick seiner langen Haare in sich auf, den Dreitagebart und den übergroßen, abgetragenen Rucksack, den er über einer Schulter trug. Als wenn er gerade aus einem Wasserflugzeug direkt aus dem Dschungel des Amazonas gestiegen wäre. Oder aus einem ihrer Träume.

Delany Mitchell. Del.

Der gleiche Del, der ihre Jungfräulichkeit und ihr achtzehnjähriges Herz gestohlen und versprochen hatte, sie für immer zu lieben. Der Del, der sie hatte heiraten wollen. Der Del, den sie verlassen hatte, weil sie zu jung gewesen war und zu verängstigt, um zu glauben, dass sie auch nur im Geringsten liebenswert wäre.

Seine Jeans waren so verschlissen, dass sie weich wie eine Babydecke wirkten. Sein weißes Hemd hing locker an ihm herab, die Ärmel waren bis zu den Ellbogen aufgerollt. Er war eine unwiderstehliche Mischung aus zerzaust und selbstbewusst. Der ultimative Sex-Appeal.

Wie konnte es sein, dass er zurück in der Stadt war? Warum hatte sie das nicht gewusst? Und war es zu spät, fluchtartig den Raum zu verlassen?

Bürgermeisterin Marsha lächelte zufrieden, stand auf, ging zu dem Mann und streckte die Arme aus. Del ließ sich umarmen, drückte sie an sich und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Sie haben sich überhaupt nicht verändert“, begrüßte er sie.

„Du dich dafür umso mehr. Du bist jetzt erfolgreich und berühmt, Delany. Es ist schön, dich wieder hierzuhaben.“

Maya verharrte daneben und hatte keinen Schimmer, was sie tun oder sagen sollte. Hierzuhaben wie ihn zurückzuhaben? Nein, das konnte nicht sein. Davon hätte sie gehört. Elaine hätte sie gewarnt. Allen lebenden, atmenden, attraktiven Beweisen zum Trotz, schoss es ihr durch den Kopf.

Zehn Jahre nachdem sie Del zuletzt getroffen hatte, sah er immer noch gut aus. Sogar besser als gut.

Vergeblich kämpfte sie gegen alte Gefühle an – sowohl emotional als auch körperlich. Sie war atemlos, kam sich dumm vor und war froh, dass keiner der beiden in ihre Richtung schaute. So hatte sie eine Sekunde, um sich wieder zu fangen.

Ich war damals so jung, dachte sie sehnsüchtig. So verliebt und verängstigt. Traurigerweise hatte die Angst die Oberhand behalten, und sie, Maya, hatte die Beziehung mit Del auf schreckliche Weise beendet. Vielleicht würde sie jetzt die Chance kriegen, es zu erklären und sich zu entschuldigen. Vorausgesetzt, er wäre daran interessiert.

Die Bürgermeisterin trat zurück und deutete auf sie. „Ich denke, du erinnerst dich an Maya Farlow. Wart ihr beide nicht mal ein Paar?“

Del drehte sich zu ihr um. Seine Miene verriet nur leichte Neugierde, mehr nicht. „Ja, wir sind zusammen ausgegangen“, antwortete er und tat ihre intensive, leidenschaftliche Beziehung mit lässiger Missachtung ab. „Hallo, Maya. Es ist lange her.“

„Del. Schön, dich zu sehen.“

Die Worte klingen normal, sagte sie sich. Er würde nicht erraten, dass ihr Herz pochte und ihr Magen so viele Salti geschlagen hatte, dass sie fürchtete, er würde nie wieder in seine korrekte Position zurückfinden.

Erinnerte er sich nicht an die Vergangenheit, oder hatte er das wirklich alles hinter sich gelassen? War sie nur eine alte Freundin, an die er sich kaum erinnerte? Sie hätte das für unmöglich gehalten – und sie hätte sich geirrt.

Er ist verdammt attraktiv, stellte sie fest und überlegte, ob und was genau sich an ihm verändert hatte. Seine Gesichtszüge waren schärfer, definierter. Sein Körper war breiter. Er war muskulöser geworden. Erwachsener. Sein Blick verriet Selbstbewusstsein. Sie hatte sich in einen Zwanzigjährigen verliebt, aber hier vor ihr stand die erwachsene, männliche Version von ihm.

Langsam erkannte Maya, vorauf das hier hinauslaufen würde. Ihr Treffen und ihre Unterhaltung mit der Bürgermeisterin. Was bezüglich der Werbung für die Stadt von ihr erwartet wurde. Der Wunsch nach einer bekannten Person als Moderator für die Videos.

Ihre Lippen formten das Wort Nein, während ihr Gehirn sie daran hinderte draufloszuplappern. Schnell wandte sie sich an Bürgermeisterin Marsha.

„Sie wollen, dass wir zusammenarbeiten?“

Die ältere Frau lächelte und setzte sich an den Konferenztisch. Dann bedeutete sie Del, ebenfalls Platz zu nehmen.

„Ja. Del ist für ein paar Monate wieder in der Stadt.“

„Nur für den Rest des Sommers.“ Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, der zu klein für ihn wirkte. Dels Grinsen war so lässig wie seine Haltung. „Sie hat mir Schuldgefühle eingeredet, um mich dazu zu bringen, mitzuhelfen.“

Bürgermeisterin Marshas blaue Augen funkelten amüsiert. „Ich habe getan, was getan werden musste, damit du zustimmst“, gab sie zu. Danach wandte sie sich an Maya. „Del hat Erfahrungen als Regisseur. Er hat selber schon einige Videos gemacht.“

Er zuckte mit den Schultern. „Nichts Besonderes, doch ich kenne mich mit Kameras aus.“

„Genau wie Maya. Ich möchte gerne, dass ihr beide bei dem Projekt zusammenarbeitet.“

Maya ermahnte sich weiterzuatmen. Später, wenn sie allein war, könnte sie schreien oder wehklagen oder mit irgendetwas um sich werfen. Im Moment musste sie einfach nur ruhig bleiben und sich wie ein Profi verhalten. Sie hatte einen nagelneuen Job, den sie nicht verlieren wollte. Sie liebte Fool’s Gold, und seitdem sie hierher zurückgezogen war, war sie zufriedener als jemals zuvor. Und sie wollte auf keinen Fall, dass sich das änderte.

Sie konnte damit umgehen, dass Del zurück war. Offensichtlich war er zu hundert Prozent über sie hinweg. Was gut war. Denn sie war auch über ihn hinweg. Schon lange. So lange, dass sie sich kaum noch an ihn erinnerte. Del wer?

„Klingt interessant“, meinte sie lächelnd. „Lass uns gleich einen Termin vereinbaren, damit wir besprechen können, was alles gemacht werden muss.“

Sie ist echt süß, dachte Del, während er Maya quer über den kleinen Konferenztisch hinweg beobachtete. Und professionell. Sie war mit seiner Mutter befreundet geblieben, sodass er ab und zu von ihr gehört hatte. Zum Beispiel, dass sie bei dem Regionalsender in Los Angeles zum Senior Producer befördert worden war und gern zu einem großen Sender wechseln wollte. Wieder nach Fool’s Gold zurückzukehren, war eine unerwartete Wendung in ihrer Karriere gewesen.

Genauso unerwartet wie der Anruf von Bürgermeisterin Marsha, die ihn einlud, Teil des neuen Publicity-Projekts der Stadt zu sein. Ihr Anruf kam keine fünfzehn Minuten nachdem er beschlossen hatte, den Sommer über nach Hause zu fahren. Diese Frau verfügte wirklich über beängstigende Fähigkeiten.

„Wie wäre es mit morgen?“, fragte Maya. „Ruf mich doch vormittags an, und wir machen einen Termin aus.“

„Klingt gut.“

Sie gab ihm ihre Handynummer.

Das Telefon auf dem Schreibtisch von Bürgermeisterin Marsha klingelte.

„Entschuldigt mich bitte“, meinte sie. „Da muss ich rangehen. Ich überlasse es euch beiden, die Einzelheiten zu klären.“

Alle erhoben sich. Del und Maya liefen auf den Flur hinaus. Dort erwartete er beinahe, dass sie flüchten würde, doch sie überraschte ihn, indem sie stehen blieb.

„Wann warst du das letzte Mal hier?“, fragte sie.

„Vor ein paar Jahren. Und du?“

„Ich kam vor ein paar Monaten nach Hause, um Zane und Chase zu besuchen, und bin geblieben.“

Ihre Brüder, fiel ihm ein. Genau genommen waren es ihre Stiefbrüder, aber er wusste, dass sie die einzige Familie waren, die sie hatte. Während er in einer lauten, engen, verrückten Familie aufgewachsen war, hatte Maya niemanden außer einer gleichgültigen Mutter gehabt. Sie hatte sich ihren eigenen Weg in der Welt gesucht. Ein Wesenszug, den er an ihr respektiert hatte, bis er sich gegen ihn gewandt und ihn in den Hintern gebissen hatte.

„Du bist weit weg von Hollywood“, sagte er.

„Und du weit weg vom Himalaja.“

„Also gehört keiner von uns hierher.“

„Und doch sind wir da.“ Sie lächelte. „Es ist schön, dich zu sehen, Del.“

Dich auch. Er sprach die Worte nicht aus. Denn es war wirklich gut, verdammt sollte sie sein. Er wollte nicht, dass es gut war. Maya bedeutete nichts als Ärger. Zumindest für ihn. Doch den Fehler, sich auf sie einzulassen, würde er nicht noch einmal machen. Er hatte ihr blind vertraut, und sie hatte sein Vertrauen mit Füßen getreten. Diese Lektion hatte er gelernt.

Er nickte ihr zu und schwang sich seinen Rucksack über die Schulter. „Wir sprechen uns morgen.“

Ihr Lächeln schwand für eine Sekunde, bevor es zurückkehrte. „Ja.“

Er schaute ihr nach, als sie verschwand. Sobald sie außer Sichtweite war, überlegte er, ihr nachzulaufen. Nicht dass er ihr irgendetwas zu erzählen hätte. Ihre letzte Unterhaltung vor über zehn Jahren hatte alles zwischen ihnen geklärt.

Er sagte sich, dass die Vergangenheit vorbei war. Dass er sein Leben weitergelebt hatte und über sie hinweg war. Er war seinen Weg gegangen und sie ihren. Alles hatte sich zum Besten gewendet.

Del verließ das Rathaus und brach in Richtung Seeufer auf. In dieser Stadt herrscht eine gewisse Kontinuität, sinnierte er, während er sich umschaute und Touristen und Einwohner friedlich nebeneinander sah. Arbeiter der Stadt tauschten die Banner aus – sie nahmen die herunter, die das Hundstage-Festival ankündigten, und hängten die für das anstehende Máa-Zib-Festival auf. Letztes Jahr um diese Zeit hatten sie das Gleiche getan. Und in dem Jahr davor. Und im nächsten Jahr würden sie es wieder tun. Auch wenn es ein paar neue Geschäfte gab, veränderte sich das Herz der Stadt in Wahrheit nie.

Das Brew-haha mochte der neue Laden sein, um sich einen Kaffee zu holen, aber Del wusste, dass er, wenn er es beträte, begrüßt und vermutlich sogar mit seinem Namen angesprochen würde. Denn auch wenn einige seiner Freunde aus der Highschool weggezogen waren, die meisten waren geblieben. Außerdem lebten beinahe alle Mädchen, die er als Junge geküsst hatte, noch in Fool’s Gold. Die meisten von ihnen verheiratet. Das hier war ihr Zuhause und der Ort, an dem sie dazugehörten. Ihre Kinder würden auf die gleichen Schulen gehen. Würden im Pyrite Park spielen und die gleichen Festivals besuchen. Hier hatte das Leben einen Rhythmus.

Einst hatte Del gedacht, er würde ein Teil dessen sein. Würde hierbleiben und das Familienunternehmen führen. Das richtige Mädchen finden, sich verlieben und …

Das ist lange her, meinte er im Stillen zu sich. Er war damals selbst noch ein Kind gewesen. Heute konnte er sich kaum daran erinnern, wie es damals gewesen war. Bevor er die Stadt verlassen hatte. Als seine Träume einfach gewesen waren und er gewusst hatte, dass er den Rest seines Lebens mit Maya verbringen würde.

Eine Sekunde lang gestattete er sich, an sie zu denken. Daran, wie verliebt er gewesen war. Damals hätte er behauptet, sie wären beide verliebt gewesen, allerdings hatte sie ihm das Gegenteil bewiesen. Er war am Boden zerstört gewesen, aber nun war er dankbar. Denn ihretwegen hatte er Fool’s Gold den Rücken gekehrt. Ihretwegen war er frei gewesen zu gehen und konnte nun als siegreicher Held wiederkommen.

Er wartete auf den Anflug von Stolz. Doch der stellte sich nicht ein. Vielleicht weil ihm, Del, in den letzten Monaten klar geworden war, dass er eine neue Richtung finden musste. Seitdem er seine Firma verkauft hatte, war er rastlos. Sicher, es hatte Angebote gegeben, aber keines, das ihn interessierte. Also war er dahin zurückgekehrt, wo alles angefangen hatte. Um seine Familie zu sehen. Um den sechzigsten Geburtstag seines Dads zu feiern. Um herauszufinden, wohin er von hier aus weiterwollte.

Zum zweiten Mal in genauso vielen Minuten wanderten seine Gedanken zu Maya. Daran, dass nichts so schön gewesen war wie ihre grünen Augen, wenn sie ihn anlächelte. Daran …

Del zögerte eine Nanosekunde, bevor er die Straße überquerte, dann schob er die Erinnerungen beiseite, als hätten die Ereignisse von damals nie stattgefunden. Maya war Vergangenheit, und er schaute nach vorn. Bürgermeisterin Marsha wollte, dass sie zusammenarbeiteten, was für ihn in Ordnung war. Er würde die Herausforderung genießen und dann weiterziehen. Denn das tat er heutzutage. Er zog weiter. Genau wie Maya es ihm beigebracht hatte.

Auch wenn die Mitchells nicht behaupten konnten, zu den Gründerfamilien von Fool’s Gold zu gehören, so lebten sie schon ewig in der Stadt und hatten eine interessante Familiengeschichte, um das zu beweisen.

Maya hatte Elaine Mitchell das erste Mal vor zehn Jahren getroffen, als sie sich für einen Teilzeitjob bei Mitchell’s Fool’s Gold Tours beworben hatte. Die freundliche, offene Frau hatte eine faire Bezahlung und flexible Schichten angeboten. Da Maya jeden Penny fürs College gespart hatte, war sie von dem Angebot begeistert gewesen. Von ihrer Familie war keine Hilfe zu erwarten, sodass sie auf sich gestellt war, was Stipendien, Zuschüsse und Darlehen anging. Den Rest musste sie aus ihren Ersparnissen beisteuern.

In jenem schicksalhaften Sommer waren zwei unerwartete Dinge passiert. Maya hatte Del, Elaines ältesten Sohn, getroffen und sich in ihn verliebt. Aber sie hatte auch eine Freundin in dem weiblichen Familienoberhaupt gefunden. Elaine war mit dem berühmten Glaskünstler Ceallach Mitchell verheiratet und die Mutter von fünf Söhnen. Sie war in Fool’s Gold geboren und aufgewachsen, und in ihrem Leben herrschte die beste Art von Chaos – eines, das von einer wachsenden, glücklichen Familie bestimmt wurde.

Maya war das einzige Kind einer Stripteasetänzerin, die nur aus Geldgründen geheiratet hatte und sich mit den Konsequenzen hatte arrangieren müssen. Maya tat ihre Mutter leid, aber sie hatte es geliebt, nach Fool’s Gold zu ziehen und zum ersten Mal in ihrem Leben ein halbwegs normaler Teenager zu sein.

Oberflächlich betrachtet haben Elaine und ich wenig gemeinsam, überlegte Maya, während sie aus dem Rathaus zu ihrem Wagen eilte. Sie trennten ganze Welten. Und doch schien ihnen niemals der Gesprächsstoff auszugehen, denn trotz der Art, wie Mayas Beziehung zu Del geendet hatte, waren sie und Elaine in Kontakt geblieben.

Nun stieg sie in ihren Wagen und fuhr die sechs Meilen zum Haus der Mitchells. Umgeben von mehreren Hektar Land, lag ihr Anwesen vor den Toren der Stadt. Der kreative Ceallach brauchte Ruhe und Platz für seine riesigen Glasinstallationen.

Deshalb wohnte die Familie außerhalb der Stadt, und deshalb waren die Brüder am Fuße eines Berges aufgewachsen, waren durch die Wildnis gestreift und hatten getan, was kleine Jungen eben so tun, wenn sie unbeaufsichtigt in der Natur spielten.

Maya dachte an all die Geschichten, die Del ihr erzählt hatte, als sie noch zusammen gewesen waren. Und was Elaine in ihren regelmäßigen E-Mails berichtete. Sie wusste, dass ihre Freundin es vermisste, alle fünf Söhne zu Hause zu haben. Del und die Zwillinge waren weggezogen. Nick und Aidan lebten zwar noch in der Stadt, allerdings nicht mehr im Familienanwesen.

Maya bog links ab und fuhr die lange Auffahrt hinauf. Nachdem sie endlich das Gebäude erreicht hatte, sah sie mit Erleichterung, dass Elaines Auto davor parkte.

Sie war kaum die Treppe zur Veranda hinaufgestiegen, als die Tür sich auch schon öffnete und Elaine sie anlächelte.

„Welch unterwartete Überraschung. Was ist los?“

Del hatte die Augen seiner Mutter. Der Rest – seine Größe, seine Figur – kam von seinem Vater, aber diese braunen Augen waren eindeutig die von Elaine.

„Du hast es nicht gewusst?“, fragte Maya, während sie die Stufen hinauflief. „Del ist zurück.“

Elaines sichtbares Erstaunen bestätigte, was Maya vermutet hatte. Ihre Freundin hatte es nicht gewusst. Was so typisch für Männer war. Warum sollte man seiner Mom auch erzählen, dass man nach Hause kam?

„Seit wann?“, fragte Elaine und umarmte sie, bevor sie sie hereinbat. „Er hätte doch anrufen können. Ich schwöre, er ist der Schlimmste von allen.“ Sie verzog den Mund und ging voraus in die Küche, wobei ihre Turnschuhe kein Geräusch auf dem Holzfußboden verursachten. „Und die Zwillinge. Ich sollte sie alle drei enterben.“

„Oder peinliche Babyfotos im Internet posten“, schlug Maya vor und betrat die riesige Küche.

„Das wäre die bessere Lösung.“ Elaine schritt zum Kühlschrank und holte einen Krug Eistee heraus. „Dann würde ich mit Sicherheit von ihnen hören. Also, was ist passiert? Wo hast du ihn gesehen? Was hat er gesagt?“

„Nicht viel. Ich war zu überrascht, um viele Fragen zu stellen.“

Maya setzte sich auf ihren üblichen Platz am großen Küchentisch. Die Lampe darüber bestand aus fünf Hängeleuchten in verschiedenen Regenbogenfarben, die sich zu bewegen und zu verwirbeln schienen, obwohl sie ganz ruhig hingen. Sie hatte als Senior Producer in Los Angeles gutes Geld verdient, aber diese Lampe hätte sie sich niemals leisten können. Oder das verblüffende Werk in der Ecke des Wohnzimmers. Ceallachs Arbeiten waren im ganzen Haus verteilt. Einer der Vorteile, mit einem berühmten Künstler verheiratet zu sein, dachte sie und nahm dankbar das Glas entgegen, das Elaine ihr reichte.

Ihre Freundin wusste bereits von Mayas neuem Job als Kommunikationsdirektorin für die Stadt Fool’s Gold. Jetzt erzählte Maya ihr von dem Treffen mit Bürgermeisterin Marsha und den Plänen für die verschiedenen Werbevideos.

„Wir waren uns einig, dass wir einen Moderator benötigen“, fuhr Maya fort. „Jemanden, der vor der Kamera gut aussieht.“

„Ich weiß, worauf das hinausläuft.“ Elaine warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. „Was ist mit dir?“

„Es ist süß von dir, so zu tun, als hätte ich eine Chance, aber vor der Kamera zu stehen …“ Maya kräuselte die Nase. „Wie auch immer, ich dachte an einen der Sportler, die in der Stadt leben. Ich meine, warum nicht? Oder Jonny Blaze.“

„Zu jung für mich, dennoch sexy.“

Maya grinste. „Letzterem stimme ich zu, Ersterem nicht.“

Elaine lachte. „Und deshalb sind wir Freundinnen. Also nicht Mr. Blaze?“

„Nein. Als hätte er im Nebenzimmer gelauscht, platzte Del genau in dem Moment herein. Ich konnte es nicht glauben.“

Elaine holte ihr Handy aus der Hosentasche und schaute auf das Display. „Ich auch nicht. Ich frage mich, wie lange er vorhat, in der Stadt zu bleiben. Er hat mir nicht geschrieben, dass er hier wohnen will, was bedeutet, er ist irgendwo anders untergekommen.“ Es zuckte um ihren Mund. „Offensichtlich habe ich meine Jungs nicht sonderlich gut im Griff.“

„Sag das nicht. Du bist eine tolle Mutter.“

Maya musste es wissen, denn ihre eigene Mutter war fürchterlich gewesen, sodass sie einen guten Vergleich hatte. Während ihre Mutter ihr täglich klargemacht hatte, dass Maya der Grund für jede Enttäuschung in ihrem Leben war, hatte Elaine glückliche Kinder aufgezogen, die sich der Liebe ihrer Eltern stets gewiss gewesen waren.

„Außerdem, ist es nicht Sinn des Kinderkriegens, sie zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft zu machen?“, fragte Maya sanft. „Das hast du fünf Mal getan.“

Bevor ihre Freundin antworten konnte, ertönte ein Geräusch, und Maya erblickte eine braune Nase, gefolgt von einem schwanzwedelnden Fellknäuel, als Sophie, Elaines Beagle, durch die Hundeklappe in die Küche geschossen kam.

Sophie war eine ganz Süße mit strahlenden Augen. Ihr weißes Fell mit den braunen und schwarzen Flecken war typisch Beagle, aber ihre Persönlichkeit war absolut einzigartig. Sie steckte immer all ihre Energie in das, was gerade ihre Aufmerksamkeit erregte. Im Moment war das ihr Frauchen, dem sie ein paarmal über die Nase leckte, ehe sie Maya begrüßte. In ein paar Minuten würde sie vermutlich einen Weg gefunden haben, den Kühlschrank zu öffnen und das geplante Abendessen zu verschlingen.

„Hey, hübsches Mädchen.“ Maya kniete sich auf den Parkettboden und streckte die Arme aus.

Sophie sprang auf sie zu, und ihre weichen Hundelippen bildeten ein perfektes O, als sie ihre Begrüßung herausbellte. Dann kletterte sie auf Mayas Schoß, um sich streicheln zu lassen. Mit ihren großen Pfoten krallte sie sich an ihr fest, während sie Maya abschleckte und sich noch enger an sie drängte.

„Du hast die schönsten Augen der Welt“, meinte Maya und bewunderte das warme Dunkelbraun. Danach kraulte sie der Hündin die Ohren. „Es ist bestimmt nett, eine solche Naturschönheit zu sein.“

„Im Gegensatz zum Rest von uns“, murmelte Elaine. „Es gibt Tage, an denen braucht es ein ganzes Dorf, damit ich vorzeigbar bin, das schwöre ich.“

„Wem sagst du das.“

Maya tätschelte Sophie ein letztes Mal, schließlich kehrte sie zu ihrem Stuhl zurück. Sophie lief in der Küche hin und her und schnüffelte am Boden, bevor sie sich in ihr Körbchen am Kamin kuschelte.

Aufmerksam schaute Maya ihre Freundin an. Ihr fielen die dunklen Ringe unter den Augen auf. Außerdem wirkte sie … erschöpft?

„Geht es dir gut?“

Elaine versteifte sich. „Was? Ja, mir geht’s prima. Ich bin nur traurig, dass Del mir nicht erzählt hat, dass er nach Hause kommt. In einer E-Mail hat er mal erwähnt, dass die Möglichkeit bestünde, aber es gab keine festen Pläne.“

„Vielleicht wollte er dich überraschen.“

„Ja, ich bin sicher, das ist der Grund.“

Maya entschied, dass ein Themenwechsel vermutlich eine gute Sache wäre. „Wie läuft’s mit den Vorbereitungen zu Ceallachs großem Tag?“

„Ceallach will sich einfach nicht festlegen, ob er zu seinem Geburtstag eine große Party oder nur eine kleine Familienfeier haben will. Wenn das so weitergeht, werde ich ihn in einen Schrank sperren müssen, bis er weiß, was er will.“

Maya lächelte. Elaines Worte klangen hart, aber es schwangen eine Menge Liebe und Zuneigung darin mit. Dels Eltern waren seit fünfunddreißig Jahren zusammen. Sie hatten sich verliebt, als sie Anfang zwanzig gewesen waren. Ihr gemeinsamer Weg war holprig gewesen. Maya wusste von Ceallachs Trinkerei und seinem künstlerischen Temperament, doch Elaine hielt zu ihm, und sie hatten fünf Kinder gemeinsam großgezogen.

Eine Sekunde lang fragte sie sich, wie es wohl sein musste, so lange verheiratet zu sein, dass man sich kaum an ein anderes Leben erinnern konnte. Seinen Platz in einer langen Reihe von Familienmitgliedern zu kennen, die vor einem gekommen waren und die einem folgen würden. Eine von vielen zu sein.

Das hatte sie nie gehabt. Als sie noch klein gewesen war, hatte es nur sie und ihre Mom gegeben. Und ihre Mutter hatte sehr deutlich gemacht, dass ein Kind nur eine nervtötende Belastung war.

2. Kapitel

Maya hatte gehofft, ein wenig Zeit mit ihrer Freundin zu verbringen würde reichen, um Del aus ihren Gedanken zu vertreiben. Aber sie hatte sich geirrt. In der Nacht hatte sie wach gelegen und an ihn gedacht. Und als sie endlich eingeschlafen war, hatte sie von ihm geträumt. Nicht von dem jetzigen sexy und verboten maskulinen Del, sondern von dem Zwanzigjährigen, der ihr das Herz gestohlen hatte.

Total gerädert wachte sie auf. Lustig, bis sie ihn gesehen hatte, war es ihr möglich gewesen, ihn zu vergessen. Aber jetzt, da er zurück war, hing sie in einem Vakuum zwischen Vergangenheit und Zukunft, in einer Art Zeit-Raum-Kontinuum, fest.

Oder ich kämpfe einfach mit einer unerledigten Geschichte, dachte sie, als sie unter die Dusche trat. Denn so gern sie auch glauben würde, dass das Universum sich um sie drehte, wusste sie, dass dem in Wahrheit nicht so war.

Dreißig Minuten später war sie einigermaßen vorzeigbar. Sie wusste, das Einzige, was sie diesen Tag überleben lassen würde, wären Unmengen an Kaffee. Also verließ sie ihr kleines gemietetes Haus, hielt nur kurz inne, um ihre neu gepflanzten Blumen zu wässern, und machte sich dann auf zum Brew-haha.

In den zehn Jahren, in denen sie fort gewesen war, war Fool’s Gold gewachsen. Da sie auf der Highschool als Stadtführerin gejobbt hatte, waren ihr die Geschichte und der Aufbau der Stadt vertraut. Sie glaubte sogar, dass der Festivalkalender, den sie damals auswendig gelernt hatte, immer noch irgendwo in ihrem Kopf existierte. Vermutlich neben dem vollständigen Text von Kelly Clarksons „Since U Been Gone“.

Der Gedanke brachte sie zum Lächeln, und das Lied leise vor sich hin summend, betrat sie das Brew-haha.

Das Café war schlicht in hellen Farben und mit ausreichend Sitzplätzen eingerichtet. Im vorderen Bereich gab es eine lange Theke, in der die verlockenden, kalorienreichen Backwaren ausgestellt waren. Und ganz vorn in der aus sechs Leuten bestehenden Schlange stand ein großer, breitschultriger Mann.

Maya erstarrte auf der Türschwelle. Was nun? Sie würde sich Del irgendwann stellen müssen. Dank Bürgermeisterin Marsha würden sie sogar zusammenarbeiten. Aber sie hatte nicht gedacht, es schon vor ihrem ersten Kaffee mit ihm zu tun zu bekommen.

Das ist die Kehrseite einer ansonsten bezaubernden kleinen Stadt, dachte sie und schob ihre Bedenken beiseite, um sich in der Schlange anzustellen.

Del gab seine Bestellung auf, und was immer er gesagt hatte, es brachte das Mädchen an der Kasse zum Lachen. Dann trat er zur Seite, um auf sein Getränk zu warten, und fing sofort an, sich mit der Barista zu unterhalten.

Ist er schon immer so aufgeschlossen gewesen? fragte Maya sich, während sie ihn beobachtete und dabei versuchte, so zu wirken, als interessiere er sie überhaupt nicht – was in ihrem noch müden Zustand nicht ganz leicht war.

Die Schlange rückte vor. Mehrere Kunden blieben stehen, um Del zu begrüßen und ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Ohne Zweifel wollen sie sich auf den neuesten Stand bringen, dachte sie. Del war hier aufgewachsen. Er kannte viele Leute.

Ein Teil der Unterhaltung drang an ihr Ohr. Sie erhaschte Wortfetzen über Skysurfing und die Firma, die er verkauft hatte. Denn als Del die Stadt verlassen hatte, hatte er sich nicht nur in eine neue, hochriskante Sportart gestürzt, er hatte auch ein entsprechendes Surfboard dafür entwickelt, eine Firma gegründet und diese später für sehr viel Geld verkauft. Was beeindruckend war. Und ein kleines bisschen nervtötend.

Sie gönnte ihm durchaus, dass sein Leben so gut verlaufen war. Aber musste er so gut aussehen und erfolgreich sein? War eine entstellende Narbe denn zu viel verlangt? Etwas, um gleiche Voraussetzungen zu schaffen?

Aber nein. Mit seinem Dreitagebart und dem lässigen Lächeln war er immer noch so attraktiv wie ein Filmstar. Und sie musste es schließlich wissen. Immerhin hatte sie viele Videos von ihm gesehen und war immer wieder aufs Neue beeindruckt gewesen. Die Kamera liebte ihn, und das bedeutete, die Zuschauer taten es auch.

Endlich war sie an der Reihe und bestellte den größten Latte macchiato, den es gab. Sie überlegte, noch einen Espresso hinzufügen zu lassen, dachte dann aber, dass sie vermutlich später noch mal zurückkehren würde. Es war besser, das Koffein über den Tag zu verteilen.

Sie trat beiseite, um auf ihr Getränk zu warten, während Del noch immer mit verschiedenen Leuten sprach. Sie erwartete, dass er die Unterhaltung beendete und ging. Doch stattdessen kam er auf sie zu.

„Guten Morgen“, sagte sie, als er bei ihr war. Ihre Müdigkeit schwand, als das alte Kribbeln in ihren Zehen einsetzte und sich in rasender Geschwindigkeit bis zu ihrem Kopf ausbreitete. Panik ersetzte die Beklommenheit.

Nein, nein, nein! Es durfte kein Kribbeln geben und kein Wiedererkennen oder sonst irgendetwas. Auf keinen Fall. Nicht bei ihr. Sie weigerte sich, sich von Delany Mitchell angezogen zu fühlen. Nicht nach zehn Jahren und Tausenden von Meilen. Die Meilen waren für sie nur eine Metapher, aber für ihn real. Sie waren fertig miteinander, hatten sich weiterentwickelt. Okay, genau genommen hatte sie ihn auf gemeine und kindische Art fallen lassen, aber trotzdem war die Beziehung so vorbei, dass sie schon beinahe ein Fossil war.

Erschöpfung, sagte sie sich verzweifelt. Das Kribbeln war nur das Ergebnis ihrer Erschöpfung. Und vielleicht vom Hunger. Als Nächstes würde sie vermutlich ohnmächtig werden, und dann wäre alles wieder gut.

„Guten Morgen“, begrüßte Del sie und machte einen Schritt auf sie zu. „Du hast mich bei meiner Mutter verpetzt.“

Die Worte waren so ein krasser Kontrast zu dem, was sie gerade gedacht hatte, dass sie Probleme hatte, ihre Bedeutung zu verstehen. Als der mentale Rauch sich legte, konnte sie wieder atmen.

„Du meinst, ich habe ihr erzählt, dass du wieder in der Stadt bist?“

„Ja. Du hättest mir ruhig fünfzehn Minuten Zeit lassen können, um es ihr selbst zu sagen.“

Sie lächelte. „Ich wusste nicht, dass das ein Geheimnis ist. Ich habe nur eine Freundin besucht und ihr erzählt, dass du wieder da bist. Sie war überrascht.“

„So kann man es auch ausdrücken. Sie hat mir eine schöne Standpauke gehalten.“

Die Barista reichte Maya ihren Latte macchiato. Maya nahm ihn und ging in Richtung Tür. „Wenn du erwartest, dass ich mich deshalb schuldig fühle … das wird nicht passieren. Wie konntest du deiner Mutter verschweigen, dass du nach Hause kommst? Ich bin hier nicht die Böse.“

Del ging neben ihr her. „Ich wollte, dass es eine schöne Überraschung wird.“

„Ach, so nennt man das heutzutage?“

Er hielt ihr die Tür auf. Als sie auf dem Bürgersteig standen, zeigte er nach links, und sie ging mit ihm. Weil … nun ja … warum nicht?

„Du meinst, ich hätte sie wissen lassen sollen, dass ich für den Rest des Sommers zu Hause bin?“

„Als Freundin deiner Mom sage ich, ja, du hättest sie über dein Kommen informieren müssen. Oder ihr zumindest mitteilen, dass du da bist. Und wenn du nicht wolltest, dass ich es ihr erzähle, hättest du mich das wissen lassen müssen. Wenn sie dich ausgeschimpft hat, ist das deine eigene Schuld. Ich werde mir das nicht in die Schuhe schieben lassen.“

Er überraschte sie, indem er lachte. „Du hattest schon immer eine eigene Meinung.“

Damals war es vorgetäuschter Mut gewesen. Zu gern würde sie glauben, dass sie heute ein wenig mehr Erfahrung oder Rückgrat hätte, um es nicht mehr vorspielen zu müssen.

Sie erreichten den See. Del wandte sich dem Weg zu, der zu den Ferienhütten auf der anderen Seite führte, und Maya folgte ihm. Der Tag war sonnig und versprach, warm zu werden. Der August war oft der heißeste Monat in Fool’s Gold. Oben in den Bergen setzte der Herbst früh ein, aber nicht in der Stadt selbst.

Am Ufer des Lake Ciara, direkt südlich vom Golden Bear Inn, stand eine Ansammlung von Sommerhäusern, die von kleinen Studios bis zu großen Hütten mit drei Schlafzimmern reichten. Jede Hütte hatte eine Veranda mit ausreichend Platz, um darauf zu sitzen und den See zu betrachten. Es gab einen Spielplatz für die Kinder, eine gemeinschaftliche Feuerstelle und einen Fußweg in die Stadt.

Del ging auf eine der kleineren Hütten zu. Auf der überraschend großen Veranda standen mehrere Sitzmöbel.

„Keine Suite in Ronan’s Lodge?“, fragte sie und nahm auf dem angebotenen Sessel Platz.

Er setzte sich neben sie. „Ich verbringe auf meinen Reisen genügend Zeit in Hotels. Das hier ist besser.“

„Aber hier gibt es keinen Zimmerservice.“

Stirnrunzelnd sah er sie an. „Glaubst du etwa, ich kann nicht kochen?“

Es ist zehn Jahre her, schoss es ihr durch den Kopf. „Ich schätze, ich weiß nicht viel über dich.“ Nicht mehr. Das sagte sie nicht, dachte es aber. Denn es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie alles an Del gekannt. Nicht nur seine Hoffnungen und Träume, sondern auch, wie er lachte und küsste und schmeckte.

Die erste Liebe war immer intensiv. Doch für sie war sie noch weit mehr gewesen. Mit Del hatte sie das erste Mal in ihrem Leben zu hoffen gewagt, dass sie nicht alles allein tun müsste. Dass sie vielleicht, nur vielleicht, glauben könnte, dass jemand für sie da wäre. Der auf sie achtgab. Dem sie wichtig war.

Ein paar kleine Jungs spielten am Wasser. Ihre Mütter schauten von einer Decke im Gras aus zu. Das Schreien und Lachen der Kinder klang zu ihnen herüber.

„Es wird hier ganz schön laut sein“, meinte sie.

„Das macht nichts. Ich mag es, Kinder in der Nähe zu haben. Sie wissen nicht, wer ich bin, und wenn doch, interessiert es sie nicht.“

Einige Menschen würde es interessieren, dachte sie und fragte sich, welche Schattenseiten sein Erfolg wohl hatte.

In Extremsportlerkreisen genoss er großes Ansehen. Verrückte Snowboarding-Stunts waren Skysurfing gewichen. Er war das Gesicht einer immer beliebter werdenden Sportart geworden, und die Presse war durchgedreht, um zu erfahren, warum jemand mit einem Brett unter den Füßen aus einem Flugzeug sprang und sich den ganzen Weg nach unten freiwillig drehte und überschlug.

Nach ein paar Jahren als Presseliebling hatte er ein paar Veränderungen vorgenommen, ein besseres Board entwickelt und dann eine Firma gegründet, um es zu bauen. Dieser Zug hatte ihn noch massenkompatibler gemacht – zumindest für die Geschäftswelt –, und er war ein beliebter Gast in Unternehmersendungen gewesen. Als er die Firma verkauft hatte – einfach das Geld nahm und nicht verriet, was er als Nächstes vorhatte –, war er endgültig zur Legende geworden. Ein Teufelskerl, der nur nach seinen Bedingungen lebte.

Das hatte sie einst auch gewollt. Nicht die Gefahr, aber den Teil mit dem Berühmtsein, denn einer der Vorteile wäre es gewesen, vor der Kamera zu stehen anstatt dahinter. Ihr war es dabei nicht um das Geld gegangen oder darum, einen Tisch in einem beliebten Restaurant zu bekommen, sondern vielmehr darum, irgendwo dazuzugehören. Denn wenn anderen etwas an ihr lag, musste sie doch einen gewissen Wert haben, musste sie zumindest auf kleine Weise bedeutsam sein.

Zeit und Reife hatten ihr geholfen, den Trugschluss in dieser Denkweise zu sehen, aber die Leere war nie ganz verschwunden. Doch da dieser Traum nun vorbei war, musste sie einen anderen Weg finden, um mit ihrer Vergangenheit Frieden zu schließen.

„Was denkst du gerade?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich bin viel zu philosophisch für diese frühe Uhrzeit.“ Sie nippte an ihrem Kaffee. „Also, du bist für den Rest des Sommers zurück und hilfst mir bei den Promotionvideos. Das weiß ich sehr zu schätzen.“

Er warf ihr einen Blick zu, der verriet, dass er ihr das nicht abkaufte.

„Wirklich“, sagte sie. „Du wirst ein toller Moderator sein.“

„Wenn du das sagst.“

„Tue ich.“

Er musterte sie. „Ich bin zurück, weil mein Dad sechzig wird und ich meine Familie eine ganze Weile nicht gesehen habe. Aber was machst du hier?“

Eine direkte Frage, die eine direkte Antwort verdient hat, dachte sie. „Ich war das, was ich gemacht habe, leid. Ich hatte meinen dritten und letzten Versuch gestartet, bei einem großen Sender unterzukommen.“ Sie atmete tief ein. „Um ehrlich zu sein, ich komme vor der Kamera nicht gut rüber. Auf dem Papier sollte ich perfekt sein. Ich sehe gut genug aus und bin ausreichend intelligent und warmherzig, und doch funktioniert es einfach nicht. Eine Option war, wieder Nachrichten zu produzieren, aber dafür konnte ich keine Begeisterung mehr aufbringen. Ich habe meine Stiefbrüder besucht, und während ich hier war, hat Bürgermeisterin Marsha mich wegen des Jobs angesprochen, und ich habe zugesagt.“

Das Angebot war unterwartet gekommen, aber sie hatte nicht lange überlegen müssen, bevor sie es annahm. Aus L. A. wegzukommen, war verlockend gewesen, genau wie es sich richtig angefühlt hatte, in der Nähe ihrer Familie zu wohnen. Sie hatte nie auch nur darüber nachgedacht, dass Del zurückkommen könnte.

Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Hätte das einen Unterschied gemacht? Nein, sagte sie sich. Er war nur für ein paar Wochen zu Hause. So lange sollte sie es doch wohl schaffen, sich zusammenzureißen. Außerdem war das Kribbeln vermutlich eine einmalige Sache. Eine automatische Reaktion auf einen unerwarteten Abstecher in die Vergangenheit.

Del war ihre erste Liebe gewesen. Natürlich gab es da noch Überbleibsel von Gefühlen. Ihn zu kennen, ihn zu lieben, hatte sie für immer verändert.

„Was die Videos angeht …“, begann sie.

„Du hast viele Ideen.“

„Woher weißt du das?“

Er sah sie an. Seine dunklen Augen funkelten amüsiert. „Die hattest du immer, und du warst auch immer sehr energisch, wenn es darum ging, deine Meinung zu vertreten.“

„Das ist doch nichts Schlechtes?“

„Stimmt. Du hast mir deine Meinung gesagt und mir dann erklärt, warum ich ein Idiot wäre, wenn ich nicht auf dich hören würde.“

Sie trank einen Schluck. „Ich bezweifle, dass ich Idiot gesagt habe“, murmelte sie.

„Aber du hast es gedacht.“

Sie lachte. „Vielleicht.“

Sie war energisch und entschlossen gewesen. Doch anstatt das nervig zu finden, hatte Del sie ermutigt, sich zu erklären. Er hatte wissen wollen, was sie dachte.

„Du hattest ein paar gute Ideen, um die Touren zu verbessern“, sagte er. „Ich bin sicher, du hast auch gute Einfälle für die Videos. Natürlich habe ich auch ein paar Erfahrungen mit dem Medium.“

Er könnte sich wie ein Mistkerl benehmen, ging ihr durch den Kopf, als sie daran dachte, wie es zwischen ihnen geendet hatte. Aber andererseits, wenn er immer noch sauer wäre, hätte er sich sicherlich geweigert, mit ihr zusammenzuarbeiten.

„Forderst du meine Autorität heraus?“, fragte sie leichthin.

„Wir werden sehen.“

Sie schaute auf die Uhr. „Ich muss zur Arbeit.“ Schnell schlug sie einen Termin für ihr erstes offizielles Treffen vor, dann stand sie auf und ging zurück in Richtung Stadt.

Halb den Weg hinunter, verspürte sie den Drang, sich umzudrehen und zu sehen, ob Del ihr nachschaute. Als sie einen Blick über die Schulter warf, sah sie, dass er es nicht tat. Er war reingegangen.

Albern, sagte sie sich. Genau wie das Kribbeln. Wenn sie es ignorierte, würde es verschwinden. Zumindest war das der Plan.

Del trank seinen Kaffee aus, dann fügte er sich in das Unvermeidliche und fuhr zum Haus seiner Eltern. Als er auf die lange Auffahrt einbog, wappnete er sich gegen das unausweichliche Drama. Denn das hier war seine Familie, und da war nichts jemals leicht.

Er parkte den Wagen und ging zur Haustür. Das riesige Haus im Ranchstil sah aus wie immer – weitläufig und von einem großen Garten umgeben. Ganz hinten im Garten befand sich das Atelier, in dem sein Vater arbeitete. Ein zwei Stockwerke hoher Stahlbau, vollverglast wegen des Lichts. Ceallach hatte außerdem ein zweites Atelier auf der anderen Seite der Stadt für die Tage, an denen er allein sein musste.

Sein Vater war ein berühmter Glaskünstler. Weltberühmt sogar. Wenn es ihm gut ging, war er der Beste. Aber wenn er trank …

Del versuchte, die Erinnerungen abzuschütteln, doch sie waren hartnäckig. Sein Vater war jetzt seit mehreren Jahren trocken. Er zerstörte nicht mehr die Arbeit eines ganzen Jahres an einem einzigen Nachmittag, wenn er betrunken war und einen seiner legendären Wutanfälle hatte. Nein, mittlerweile hatte er sich wesentlich besser im Griff. Doch für seine fünf Söhne war dieser Wandel zu spät gekommen.

Ein fröhliches Bellen holte Del in die Gegenwart zurück. Ein braun, schwarz und weiß gefleckter Beagle rannte um das Haus herum und auf ihn zu. Sophie bellte ihre Freude laut heraus, während sie auf ihn zustürmte.

„Hey, mein hübsches Mädchen.“ Er ging in die Hocke, fing sie auf und erhob sich wieder. Sie wand sich in seinen Armen und versuchte, ihn abzuschlecken.

„Du erinnerst dich vermutlich nicht mehr an mich“, erklärte er der Hündin. „Du würdest auch einen Serienmörder so fröhlich begrüßen.“

Sophie schenkte ihm ein zustimmendes Hundegrinsen. Er setzte sie wieder auf den Boden und folgte ihr zur Haustür. Seine Mutter öffnete, bevor er klopfen konnte, und schüttelte den Kopf.

„Hättest du dich nicht rasieren können?“

Er lachte leise und umarmte sie. „Hey, Mom.“

Sie hielt ihn ganz fest, dann zog sie sich etwas zurück und schüttelte erneut den Kopf. „Ehrlich. Würde es dich umbringen, einen Rasierer zu benutzen?“

Er rieb sich übers Kinn. „Die meisten Mütter wollen über künftige Enkelkinder sprechen.“

„Das können wir auch gern. Komm rein.“ Sie hielt die Tür auf.

Er betrat das Haus und damit die Vergangenheit. Es hatte sich nur wenig verändert. Im Wohnzimmer standen andere Sofas, aber an der gleichen Stelle. Die Glaskunst seines Vaters fand sich überall; sie war sorgfältig an den Wänden installiert oder so gesichert, dass Sophies wedelnder Schwanz keinen Schaden anrichten konnte.

Del richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Mutter. Elaine hatte Ceallach Mitchell kennengelernt, als sie zwanzig gewesen war. Laut ihrer Aussage war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sein Vater hatte nie seine Seite der Geschichte erzählt. Vier Monate später hatten sie geheiratet, und Del war ein Jahr danach auf die Welt gekommen. Vier weitere Söhne waren im Abstand von jeweils einem guten Jahr gefolgt, zum Schluss die Zwillinge.

Seine Mom sah aus wie immer – dunkles schulterlanges Haar und ein entspanntes Lächeln. Aber als er sie musterte, sah er, dass es doch ein paar Unterschiede gab. Sie war älter, aber da war noch mehr. Sie wirkte irgendwie müde.

„Geht es dir gut, Mom?“

„Ja, alles gut. Ich schlafe nur nicht mehr so gut wie früher.“ Sie zuckte mit den Schultern. „All die Veränderungen …“

Er war nicht sicher, auf was sie sich bezog, würde aber auf keinen Fall nachfragen. Anstatt sich jedoch zurückzuziehen und zu flüchten, ging er zum Sofa und setzte sich. Sophie sprang neben ihn und machte es sich für ein Nickerchen bequem.

Seine Mutter setzte sich ihm gegenüber. „Wie lange bleibst du in der Stadt?“

„Für den Rest des Sommers. Du hast gesagt, ich solle zu Dads Geburtstag kommen. Ich habe beschlossen, schon früher anzureisen.“

„Das wird deinen Vater freuen.“

Dessen war sich Del nicht so sicher. Ceallach mochte brillant sein, aber er war auch temperamentvoll. Für ihn zählte nur die Kunst. Alles andere rangierte weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Eine mindere Art zu leben. Er hatte weder Geduld noch Interesse am Leben und Streben der Normalsterblichen.

„Bist du alleine hier?“, fragte seine Mutter.

Del nickte. Als er letztes Mal zu Hause gewesen war, hatte er Hyacinth mitgebracht. Er war so sicher gewesen, dass sie es schaffen würden, aber das hatten sie nicht. Ihr war es unmöglich gewesen, sich einem einzelnen Mann zu versprechen, und ihm war es nicht gelungen, die Reihe an – wie sie schwor – unbedeutenden Liebhabern zu akzeptieren, die ihr Bett bevölkerten. Er hatte es gehasst, dass sie ihn betrog, aber ihre Unaufrichtigkeit war noch schlimmer gewesen.

„Ich reise mit leichtem Gepäck“, erwiderte er.

„Del, du musst endlich sesshaft werden.“

„Ich wollte nie sesshaft werden.“

„Du weißt, was ich meine. Willst du denn keine Familie?“

„Ah, ziehst du endlich die Enkelkinderkarte?“

Sie lächelte. „Ja. Es ist an der Zeit. Dein Vater und ich sind seit fünfunddreißig Jahren verheiratet, und doch ist noch keiner meiner Söhne verheiratet. Warum nicht?“

Er konnte nicht für seine Brüder sprechen. Er war erst zweimal in seinem Leben verliebt gewesen. Zuerst in Maya und dann in Hyacinth. Beide Beziehungen hatten böse geendet. Und wer war der gemeinsame Faktor? Er.

In diesem Moment kam sein Vater ins Wohnzimmer. Ceallach Mitchell war groß und breitschultrig. Obwohl er in wenigen Wochen sechzig wurde, war er immer noch stark und besaß die Muskeln, die nötig waren, um große Stücke geschmolzenen Glases zu bearbeiten. Del erkannte das Genie seines Vaters an – seine Brillanz war nicht zu leugnen. Aber er wusste auch, dass sie einen hohen Preis hatte.

„Del ist zu Hause“, sagte Elaine und deutete auf das Sofa.

Ceallach starrte seinen Sohn an. Eine Sekunde lang fragte Del sich, ob sein Vater versuchte, herauszufinden, welcher seiner Nachkommen er war.

„Er ist für deinen Geburtstag zurückgekommen“, fügte seine Mutter an.

„Gut zu wissen. Was treibst du dieser Tage so? Surfen?“

Del dachte an das Board, das er kreiert, die Firma, die er gegründet hatte, für wie viel er sie verkauft hatte und welcher beeindruckende Betrag sich jetzt auf seinem Konto befand.

„An den meisten Tagen schon.“ Er streckte die Hand aus, um Sophies Bauch zu streicheln. Die Beagle-Hündin rollte sich auf den Rücken und schnaufte zufrieden.

„Hast du Nick gesehen?“, fragte sein Vater. „Er arbeitet immer noch in dieser Bar und vergeudet sein Talent. Niemand dringt zu ihm durch. Ich bin es leid, es zu versuchen.“

Damit verließ Ceallach das Zimmer.

Del schaute ihm hinterher. „Ich freue mich auch, dich zu sehen, Dad.“

Seine Mutter presste die Lippen aufeinander. „Sei nicht so“, sagte sie. „Du weißt, wie er ist. Das ist einfach seine Art. Er freut sich, dass du wieder da bist.“

Dessen war sich Del nicht so sicher, aber er wollte keinen Streit anfangen. Nichts hatte sich verändert. Ceallach interessierte sich nur für seine Kunst und für andere Menschen, die über das Potenzial verfügten, Kunst zu erschaffen. Und Elaine stand immer noch zwischen ihm und der Welt und agierte als Puffer und seine Fürsprecherin.

„Aber mal ehrlich, was treibst du so in letzter Zeit?“, wollte sie wissen. „Ich weiß, dass du deine Firma verkauft hast. Herzlichen Glückwunsch übrigens.“

„Danke. Ich überlege immer noch, was ich als Nächstes tun will. Mir sind ein paar Designerjobs angeboten worden.“

„Wirst du sie annehmen?“

„Nein. Ich habe das Board selbst entwickelt. Ich bin kein Designer. Es gibt ein paar Risikokapitalgeber, die meine nächste große Idee finanzieren wollen.“ Was toll wäre, wenn er denn eine Idee hätte. Was er jedoch am meisten tun wollte … Nun, das lief nicht so, wie er es gehofft hatte.

„Du hast Zeit, in Ruhe zu entscheiden, was wichtig ist.“

Das waren die richtigen Worte, aber wieder hatte er das Gefühl, dass seine Mutter etwas verbarg. Und wieder würde er sie nicht fragen. Geheimnisse waren ein normaler Bestandteil des Lebens in der Mitchell-Familie. Er hatte früh gelernt, zu warten, bis sie geteilt wurden.

„Du kannst für deinen Bruder arbeiten“, sagte sie.

„Für Aidan?“ Del lachte. „Im Familienunternehmen? Nein danke. Und ich bezweifle, dass er glücklich darüber wäre, wenn du ihm meine Hilfe anbieten würdest.“

„Er hat so viel zu tun. Vor allem im Sommer.“

Er konnte sich nicht vorstellen, was sein Bruder über seine Ratschläge zu sagen hätte. Heutzutage hatten sie kaum noch Kontakt. Del erinnerte sich an die Zeit, als sie einander nahegestanden hatten, und fragte sich, was passiert war. Sicher, er war weg gewesen, aber er hatte E-Mails und SMS geschickt.

Ein Problem für einen anderen Tag, sagte er sich und stand auf.

„Es war schön, dich zu sehen, Mom.“ Er ging zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Dich auch. Ich erwarte, dich öfter zu sehen, solange du in der Stadt bist.“

„Klar.“

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