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Wie wir arbeiten wollen – Über Selbstbestimmung und Selbstausbeutung

Als Buch hier erhältlich:

Vom Schlafzimmer ins Zoom-Meeting … Warum wir lernen müssen, der Arbeit Grenzen zu setzen

Corona hat nicht nur die Welt, sondern auch unser Arbeitsleben auf den Kopf gestellt. Der Weg ins Büro war bei vielen der vom Bad in die Küche, das soziale Umfeld begrenzte sich auf die Familie, wichtige Mails schrieb man, als die Kinder endlich im Bett waren. Die Doppelbelastung traf vor allem berufstätige Mütter. Sara Peschke ist eine davon. In ihrem Buch demontiert sie die Begeisterung fürs Homeoffice als Selbstbetrug. Flexibilität und Freiheit waren die großen Versprechen, doch bei vielen Menschen sind sie Dauerstress und Selbstausbeutung gewichen. Mit ihrem Buch legt sie den Finger in die Wunde, denn auch nach Corona wird uns das Homeoffice begleiten.

Über die Macht von Pausen – und warum eine chronisch gestresste Gesellschaft auf Dauer nicht gutgeht

»Wenn also der Bürorahmen wegfällt, der an sich schon dafür sorgt, dass sich Arbeit wie Arbeit anfühlt, müssen wir im Homeoffice offenbar selbst für so ein diffuses Gefühl von Dauerstress und permanenter Geschäftigkeit sorgen. «

»Die höhere Flexibilität und Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben ermöglichen es, mehr Aufgaben nebeneinander zu schaffen. Am Ende des Tages bleibt so womöglich weniger liegen – aber diese Gleichzeitigkeit der Dinge ist eben auch wahnsinnig anstrengend. «

»Gehen alle ins Büro, ist es zumindest für den Arbeitsalltag recht egal, wie groß oder klein das Zuhause ist. Arbeiten aber alle in diesem Zuhause, beeinflussen die privaten Verhältnisse zwangsläufig die Arbeitsbedingungen.«

»Pausen sind nicht das Gegenteil von Produktivität, sie sind ein Teil davon.«


»Peschke ermutigt Leserinnen, sich der persönlichen Wichtigkeit des Jobs im Leben bewusst zu werden.« Madonna


  • Erscheinungstag: 22.03.2022
  • Seitenanzahl: 160
  • ISBN/Artikelnummer: 9783365000212
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

FÜR
BECKO UND DIE MÄUSE

HOME SWEET …

Die Sonne scheint. Endlich! Ich nehme die Schüssel mit dem aufgewärmten Curry und setze mich vors Haus. Es dauert ungefähr fünf Minuten, bis ich alles aufgegessen habe. Schade, denke ich, schon fertig, und will mich erheben, um zurück in die Wohnung zu gehen, zurück an den Schreibtisch, zurück an die Arbeit, die ja nie so ganz aufzuhören scheint im Homeoffice. Und den Kolleginnen und Kollegen hatte ich in unserem Team-Chat geschrieben, dass ich nur ›kurz‹ was esse. Niemand von ihnen wird fingerklopfend warten, bis ich mein Chatprofil wieder auf ›anwesend‹ setze, wahrscheinlich sehen sie es noch nicht mal, aber nicht, dass sich irgendjemand fragt, wo ich eigentlich bin.

Ich strecke mein Gesicht in die Sonne und kneife die Augen zusammen. Die Sonne wärmt schon richtig. Wie gerne würde ich jetzt mit den anderen aus dem Büro auf den Bänken vor der Redaktion sitzen, einen Espresso in der Hand, ein Eis vielleicht, und einfach nur sitzen und sitzen und reden und warten, bis es sich so anfühlt, als hätten wir genug Sonne und Erholung getankt, um guten Gewissens vor die Bildschirme zurückkehren zu können.

Stattdessen kehre ich mit einem schlechten Gewissen zurück in meine Homeoffice-Abgeschiedenheit, und zwar mit doppeltem: Weil ich nur so eine kurze Pause gemacht habe, obwohl das Wetter schön ist und ich frische Luft und Sonnenlicht wirklich gebrauchen könnte. Und dass ich überhaupt eine Pause gemacht habe – denn: Woher sollen die anderen wissen, dass ich wirklich nur eben was esse und nicht die Steuer oder den Frühjahrsputz erledige? Denken die Teammitglieder nicht eh, dass ich zu Hause weniger arbeite, als ich behaupte? Niemand hat je etwas gesagt, ausufernde Pausen waren in unserem Team noch nie Thema. Aber die Sorge, auf zu langes Wegsein angesprochen zu werden, haben wir offenbar alle, denn als ich ›wieder da‹ in unseren Chat schreibe, sehe ich, dass sich inzwischen ein Kollege abgemeldet hat mit den Worten: ›Muss mich kurz ums Kind kümmern. Bin später aber noch mal am Rechner.‹ Er spürt dieses schlechte Gewissen anscheinend auch. Dabei verstehen doch alle bei uns, dass Kinder Betreuung brauchen, gerade in Zeiten wie diesen. So wie alle wissen, dass Pausen essenziell sind, um gut und konzentriert arbeiten zu können. Gerade im Homeoffice, in dem die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit viel zu arg verschwimmen und man besonders auf das eigene psychische Wohlergehen achten sollte.

Ich höre das von vielen Arbeitnehmer: innen im Homeoffice: Die Eigenverantwortung und die fehlende Kontrolle, ob und wie lange man am Arbeitsplatz sitzt, schlagen in so eine merkwürdige Beflissenheit um, zumindest in der Kommunikation, die ja mittlerweile in vielen Unternehmen über Programme wie Microsoft Teams oder Slack erfolgt. In diesen Bürochats gehört es fast schon zum guten Ton, dass man – gern in Begleitung ironisch eingesetzter Emojis – ›schnell was einkaufen‹ oder eine ›kurze Runde um den Block‹ geht, ›nur eben was Fixes‹ kocht, und am Abend ist man ›eh noch mal online‹, um auch die letzten Zweifel auszuräumen, dass man wirklich, wirklich ordentlich arbeitet. Hat das damit zu tun, dass man durch die grünen Bereitschaftslämpchen in den Chatprogrammen (›anwesend‹) irgendwie doch überwachbar wird?

Die Wahrheit ist ja: Arbeitnehmer: innen schaffen im Homeoffice sehr häufig sogar mehr als im Büro. Studien belegen, dass die Produktivität im Homeoffice meist steigt, weil die Angestellten kürzere Pausen einlegen, weniger häufig wegen Krankheit ausfallen und sich seltener freinehmen. Zudem kommen sie weniger häufig zu spät und lassen sich auch sonst weniger vom Büroalltag ablenken. Stimmt, denke ich, wie oft verquatscht man sich mit dem Kollegen nach der Besprechung noch auf dem Gang, wie oft begleitet man die Kollegin auf einen Kaffee in die Cafeteria, obwohl man selbst schon drei Tassen hatte, die Möglichkeit einer kurzen Pause und zwangloser Gesellschaft aber dankbar annimmt, und zwar ohne einmal darüber nachzudenken, ob das jetzt okay ist oder man dann nicht mehr auf seine vertraglich vereinbarte Stundenzahl kommt? Das alles fällt weg im Homeoffice, was an sich schon schlimm genug ist. Warum bringt man sich dann auch noch selbst um die kleinen Freuden, die übrig sind im immer gleichen, einsamen Arbeitsalltag? Weil wir fatalerweise der Meinung aufsitzen, echte Arbeit müsse sich anstrengend anfühlen, damit wir sie für uns als solche anerkennen könnten, vermutet eine Kollegin. Wenn also der Bürorahmen wegfällt, der an sich schon dafür sorgt, dass sich Arbeit wie Arbeit anfühlt, müssen wir im Homeoffice offenbar selbst für so ein diffuses Gefühl von Dauerstress und permanenter Geschäftigkeit sorgen. Zu tief steckt in vielen von uns der Glaubenssatz der Leistungsgesellschaft: Wer Stress hat, ist mit großer Sicherheit produktiv und damit wertvoll für seinen Arbeitgeber. Und wer nur kurze Pausen einlegt und auch alles Private ›mal eben schnell‹ wegackert, arbeitet mutmaßlich so viel, dass er oder sie im Stress ist. Willkommen in der Selbstausbeutung.

Ich gehöre der Generation Y an, für die Arbeit ein elementarer Bestandteil der Selbstverwirklichung ist. Die zwar Wert auf Work-Life-Balance legt, dem Job im Zweifel aber vieles unterordnet – und so schnell ins ›Work-Life-Blending‹ rutscht, in dem Arbeits- und Privatleben verschmelzen. Das war schon vor Corona und der vermehrten Homeoffice-Arbeit so, aber natürlich hat sich das Phänomen seit Corona noch einmal verstärkt. Die Generation nach mir, Z wird sie genannt, lehnt genau das ab: Sie ist für eine strikte Trennung von Beruf und Privatleben, mehr noch: Private Erfüllung ist für die meisten deutlich erstrebenswerter als die Verwirklichung im Job. Viele ältere Generationen belächeln die als so bequem und gleichzeitig fordernd geltenden Z-ler deshalb noch immer. Dabei wäre genau jetzt der Zeitpunkt, sich von ihnen abzuschauen, wie das funktioniert mit dem gesunden Grenzenziehen; auf Gen-Z-Deutsch: ›Work-Life-Cut‹.

Denn der Kreislauf erstreckt sich ja nicht nur auf die Arbeit, wegen der man im Homeoffice so schnell ein schlechtes Gewissen bekommen kann, sondern auch auf das Privatleben. Ich bekomme ein blödes Gefühl im Bauch, wenn ich daran denke, wie oft ich zu meiner Tochter schon gesagt habe: ›Nur noch kurz diese Mail, dann helfe ich dir mit den Bügelperlen‹ oder ›Ich muss noch ganz schnell was fertig machen für die Arbeit, dann lese ich dir das Buch vor‹. Richtige Pausen und ein richtiger Feierabend sind wichtig – und zwar nicht nur, um danach mit bestmöglicher Leistung weiterarbeiten zu können. Sondern auch, um bestmöglich leben zu können. Das ist immer wichtig, aber es war vermutlich noch nie so dringend nötig wie jetzt. 1

SCHÖNE NEUE WELT? WARUM SICH ÄNDERN MUSS, WAS SICH GERADE ÄNDERT

Seit über zwei Jahren stecken wir nun in einer Pandemie, und vielen von uns hängt die Erschöpfung in den Knochen. Hat uns die Pandemie selbst so müde gemacht mit ihrem psychischen Dauerstress? Mit all der Angst, Wut, Unsicherheit, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Starre und Einsamkeit, die sie uns eingebrockt hat? Ganz sicher.

Aber macht uns womöglich auch die Art des Arbeitens müde, die sich viele Menschen so lange herbeigewünscht haben und die die Pandemie dann mit sich brachte: das Arbeiten von zu Hause? Ich glaube schon.

Deshalb ist jetzt die Zeit, die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre zu nutzen, um die gegenwärtige Arbeitswelt auf den Prüfstand und dringende Fragen zu stellen: Wie soll unsere Arbeit der Zukunft aussehen? Wollen wir weiterhin so viel wie möglich mobil arbeiten? Wollen wir lieber zurück in die Büros? Oder wollen wir, sofern es die pandemische Situation zulässt, ein Mischmodell, wie es von Expert: innen empfohlen wird und wie es sich laut verschiedenen Studien mehr als zwei Drittel der Arbeitnehmer: innen wünschen? Also ein paar Tage die Woche im Büro, ein paar Tage zu Hause, um das Beste aus beiden Welten zu haben: soziale Kontakte und direkten Austausch sowie stressfreiere Randzeiten und größere Flexibilität durch mehr Zeit zu Hause?

»Wie der gelungene Mix im Unternehmen aussehen kann, muss jeder Betrieb für sich und mit der Belegschaft gemeinsam herausfinden«, sagte der Soziologe Gerd Beidernikl der Süddeutschen Zeitung 2 und plädierte dafür, Anwesenheit nur einzufordern, wenn sie wirklich erforderlich ist, etwa wenn es um Kreativität und Teamgeist geht. Was man nicht brauche, seien Mitarbeiter: innen, »die nebeneinander an ihren Schreibtischen sitzen und E-Mails beantworten«. Da stimme ich zu. Verzichtbar sind auch stundenlange Meetings in stickigen Konferenzräumen, an deren Ende man zu einem Ergebnis kommt, für das man einfach zwei Mails hätte schreiben können.

Nicht verzichtbar sind für mich dagegen der direkte Austausch mit Kolleg: innen, echte, körperlich wahrnehmbare Begegnungen mit all den Zwischentönen, die ungeplanten, informellen Räume, in denen Kreativität oft erst entstehen und wachsen kann. Diese fünf Minuten in der Kaffeeküche, aus denen auf einmal und völlig ungeplant eine riesige Idee wird.

Und nicht verzichtbar ist für mich die Flexibilität, die mir das Homeoffice schenkt. Wie so viele Menschen wünsche ich mir also beides: meine Kolleg: innen zu sehen und die Möglichkeit, zeitweise von dort zu arbeiten, wo ich will. Nicht einsam zu sein, mich aber autonom zu fühlen. Führten mein Job und ich eine Beziehung, würde man diesen Wunschzustand wohl »Freiheit in Verbundenheit« nennen, und ich finde, das trifft es ziemlich gut. Aber ist das auch möglich?

Die Arbeitswelt befindet sich gerade in einem enormen Umbruch. Die Pandemie war nicht der Auslöser dafür, der ist vor allem in der exponentiell wachsenden Digitalisierung zu sehen, aber sie war ein enormer Beschleuniger. So bezeichnen Arbeitsexpert: innen die Corona-Krise längst als das größte Organisationsexperiment der vergangenen Jahrzehnte, »Change-Prozess« nennt man sowas in der Personalersprache. Walter Jochmann, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Kienbaum, sieht in der »Dramatik der Krise« sogar »ein nie dagewesenes Momentum für die Personalabteilungen, das bahnbrechende Veränderungen auslösen wird« 3.

Natürlich bringt so ein Prozess Schwierigkeiten mit sich, aber er birgt auch Chancen. Ich sträube mich, der Pandemie etwas Gutes abgewinnen zu wollen, doch wenn man den Blick auf die mögliche Arbeitswelt der Zukunft wirft, besteht diese auch aus Elementen, die es vor der Corona-Krise so nicht gab. Wie oft hatten Arbeitgeber zuvor technische oder organisatorische Probleme als Argumente gegen das mobile Arbeiten angeführt, waren insgeheim – oder sogar offen – misstrauisch, ob ihre Mitarbeiter: innen die Arbeit in gleichem Maße wie im Büro bewerkstelligen würden, hatten womöglich Angst vor Kontroll- und Machtverlust, weil Hierarchien sich verändern könnten? Laut einer Arbeitsmarktstudie des Personaldienstleisters Robert Half 4 aus dem Herbst 2020 war etwa ein Drittel der befragten Führungskräfte noch der Meinung, dass ihre Mitarbeiter: innen im Homeoffice nebenher mit Wäschewaschen beschäftigt seien, mit Freunden telefonierten oder Einkäufe im Internet erledigten. Gleichzeitig sahen schon damals 41 Prozent der Befragten die Produktivität ihrer Mitarbeiter: innen positiv. Wenngleich »sich im Homeoffice vermutlich häufiger Berufliches und Privates vermischen: Unterm Strich wächst das Vertrauen der Führungskräfte in ihre Mitarbeiter«, heißt es in der Studie. Auch die Sorgen davor, dass es an der Technik scheitern könnte oder die erforderliche Ausstattung der Mitarbeiter: innen mit elektronischen Geräten extrem teuer würde, haben sich der Untersuchung zufolge bei fast einem Drittel der Führungskräfte als weniger gravierend herausgestellt als angenommen.

Die vergangenen zwei Jahre haben also gezeigt, dass viele der vorausgesagten Probleme zwar Herausforderungen, aber keine echten Hindernisse sind. Denn was etliche Firmen in den Jahren zuvor unwillig vor sich hergeschoben hatten, ging im Zuge des Lockdowns gezwungenermaßen ja ganz schnell: Laptops für die ganze Belegschaft, VPN-Zugänge, digitale Konferenzen. Plötzlich war vieles möglich, weil es möglich sein musste. Und Vorgesetzte, die Angst vor faulen Arbeitnehmer: innen hatten, haben gelernt, dass ihre Mitarbeiter: innen in den allermeisten Fällen mindestens genauso viel und häufig sogar mehr arbeiten, wenn sie nicht im Büro sitzen (dazu später mehr).

Viele Unternehmen profitieren übrigens auch wirtschaftlich, wenn zumindest ein Teil der Belegschaft seine Arbeit von zu Hause verrichtet, wie Untersuchungen belegen. Wenn weniger Büroflächen gebraucht werden, weil Mitarbeiter: innen ganz zu Hause bleiben oder sich Arbeitsplätze etwa mithilfe des sogenannten »Clean Desk Prinzips« teilen, dann können die Arbeitgeber an Miete sparen: Rund 20 Prozent weniger Ausgaben haben sie laut einer Studie von PricewaterhouseCoopers 5, bei gleichbleibender Belegschaft. Und wenn weniger Menschen im Büro sind, fallen natürlich auch sonst weniger Kosten an: Toilettenpapier, Strom, Kaffee, Wasser, Kantinen-, Heiz- und Reinigungskosten, möglicherweise ÖPNV-Subventionierungen. Klar, die Unternehmen müssen in Infrastruktur investieren, damit das mobile Arbeiten überhaupt erst funktioniert, aber diese Mehrkosten sind in der Regel einmalig. Die laufenden Kosten dagegen tragen die Arbeitnehmer: innen im Homeoffice mit. In manchen Firmen gibt es vereinbarte Zuschüsse, und auch von der Steuer lässt sich das Homeoffice mit einem Pauschalbetrag absetzen. Unterm Strich zahlen die meisten Arbeitnehmer: innen im Homeoffice aber mehr Nebenkosten für Strom, Wasser und Heizung, und das in der Regel bei gleichem Gehalt wie zuvor.

Die Mitarbeiter: innen mögen an Zeit sparen, weil Arbeitswege wegfallen, was sowohl der Umwelt als auch den Nerven zugutekommt. Gleichzeitig haben davon aber auch wieder die Arbeitgeber einen Vorteil, denn in den Randarbeitszeiten entsteht durch die Heimarbeit häufig weniger Druck, weil man nicht noch schnell vor Ladenschluss in den Supermarkt oder zur U-Bahn hetzen muss. So ist es wahrscheinlicher, dass man nach hinten raus länger arbeitet oder früher anfängt.

Wenn das mobile Arbeiten ein elementarer Bestandteil unserer Arbeit der Zukunft sein soll, müssen alle Seiten davon profitieren können, es muss ein ausgewogenes Geben und Nehmen sein. Wir sollten uns also fragen: Was können wir tun, dass es uns allen besser geht durch diese Art der Arbeit? Was müssen Arbeitgeber: innen und Arbeitnehmer: innen ändern, damit das gemeinsame Verhältnis eines auf Augenhöhe ist und nicht eines, bei dem eine Seite mehr gibt als die andere – bis sie nicht mehr kann?

Und über allem steht die Frage: Wie können wir es schaffen, dass die Arbeit nicht unser Leben ist? Dass beides friedlich nebeneinander existiert und die eine das andere nicht auffrisst?

TOD DURCH ÜBERARBEITUNG: JAPANS »KAROSHI« ALS WARNUNG

Denn wenn Menschen in den vergangenen zwei Jahren zu ihren Erfahrungen im Homeoffice befragt wurden, sagten zwar viele, dass sie gern weiterhin die Möglichkeit zu mobilem Arbeiten hätten. Aber eben auch, dass sie erschöpft und müde seien. Einerseits, weil sie noch mehr Zeit vor dem Bildschirm verbrächten als zuvor, was auf die Dauer körperlich höchst anstrengend ist; nicht umsonst gibt es längst den Begriff der »Zoom-Fatigue«, also der Müdigkeit, die durch permanente Videokonferenzen mit ihrer hohen Anforderung an Konzentration und Wachsamkeit hervorgerufen wird. Und andererseits, weil es ihnen zunehmend schwerfalle, von der Arbeit abzuschalten, und sie sich deshalb permanentem Stress ausgesetzt fühlten. Ich befürchte, dass die Entgrenzung von Arbeit und Privatem im Homeoffice hierzulande besonders starke Effekte auf das seelische und körperliche Wohlbefinden vieler Menschen haben könnte, weil sie häufig auf dieses typisch deutsche Arbeitsethos trifft: Ich arbeite, also bin ich. Deutsche gelten nicht umsonst im Rest der Welt als gewissenhafte Streber: innen, als ein Volk, das sich eher über Leistung als über Leidenschaft, eher über Akribie als über Improvisation definiert. Wenn man so viel arbeitet, dass man genug Geld verdient, um sich ein schönes Auto und eine Doppelhaushälfte mit Garten kaufen zu können, dann hat man es geschafft. Dann ist man wer. Ein: e Deutsche: r funktioniert, und deshalb funktioniert Deutschland, so die Logik, die offenbar noch immer viele Menschen verinnerlicht haben.

1,67 Milliarden Überstunden haben Menschen laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Deutschland 2020 geleistet, trotz Kurzarbeit, und über die Hälfte davon unbezahlt 6. Nicht erst seit der Pandemie warnen Psycholog: innen deshalb davor, dass man sich auch hierzulande in Acht nehmen müsse vor etwas, was in Japan »Karoshi« heißt: Tod durch Überarbeitung. Denn tatsächlich ist Arbeit in Japan noch wichtiger, sie kommt für viele Menschen an erster Stelle, vor Familie, Freunden, Gesundheit. Perfektionismus gilt als eine der höchsten Tugenden im Land. In etlichen Unternehmen machen Angestellte mehr als 80 Überstunden im Monat und nehmen dabei laut Regierung im Durchschnitt nur 8,8 Tage oder weniger als die Hälfte ihres Urlaubsanspruchs wahr. Nach Angaben der OECD arbeitet ein: e Japaner: in im Durchschnitt 348 Stunden im Jahr mehr als ein: e deutsche: e Arbeiter: in. 7 Die Folgen: Menschen schlafen auf der Straße ein – oder sterben. Todesursache ist dann meist ein durch Stress ausgelöster Herzinfarkt, Schlaganfall oder Suizid. (Das Phänomen gibt es im Übrigen auch in Südkorea und China, wo es »kwarosa« beziehungsweise »guòláosî« genannt wird.) »Das Schlafen in der Öffentlichkeit ist aufgrund von Erschöpfung und langer Fahrtzeiten zur Arbeit gang und gäbe. Man nennt es ›Inemuri‹, was ›im Dienst schlafen‹ oder ›anwesend sein und schlafen‹ bedeutet. In vielen Unternehmen ist es akzeptiert und sogar gern gesehen, ein Nickerchen auf der Arbeit zu machen. Denn das zeigt, dass man hart gearbeitet hat. Und danach mehr Energie hat, um noch härter zu arbeiten«, beschreibt das Change Magazine 8 den Zustand der japanischen Dauerüberarbeitung. Der besorgt längst auch die Politiker des Landes, die nun versuchen, das anerzogene Arbeitsethos ihrer Bevölkerung mit gezielten Maßnahmen zur Verbesserung der Work-Life-Balance aufzubrechen. So wollte die Regierung die Menschen dazu bewegen, ihre Arbeit an jedem letzten Freitag im Monat schon um 15 Uhr zu beenden. Oder die Anzahl der erlaubten Überstunden pro Monat zu reduzieren. Doch das stellt sich als komplizierter heraus als gedacht. Die Arbeit ist offenbar ein so wichtiger Teil der japanischen Identität und Kultur, dass er sich nicht so einfach kleiner machen lässt.

Befeuert werden diese besorgniserregenden Zustände von einer Studie im Auftrag der Vereinten Nationen, die im Frühjahr 2021 erschien 9. Sie kam zu dem Schluss, dass allein im Jahr 2016 weltweit etwa 745.000 Todesfälle auf Überarbeitung zurückzuführen waren. Tödliche Herzerkrankungen und Schlaganfälle, die mit der Arbeit der betroffenen Person zusammenhingen, nahmen demnach in den vergangenen 20 Jahren stark zu. Und wer 55 Stunden und mehr pro Woche arbeitet, hat demnach ein erhöhtes Risiko für lebensbedrohliche Herz- und Kreislauferkrankungen. Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO, warnte, dass die Pandemie diese Entwicklung noch verstärken könnte, weil im Homeoffice Arbeit und Freizeit so häufig verschwimmen. Menschen verlernten, zu ruhen, sich zu erholen und neue Kraft zu schöpfen, weil die Arbeit in so viele Bereiche des Lebens hineinragt. Zudem könnten wirtschaftliche Zwänge zu Stellenabbau und dieser wiederum zu einer Mehrbelastung der verbleibenden Mitarbeiter: innen führen.

Es ist also mehr als dringend, dieses Problem anzugehen, und zwar von vielen Seiten. Ich beschäftige mich in diesem Buch primär mit der Perspektive der Arbeitnehmer: innen, doch es ist klar, dass auch diejenigen, die die Rahmenbedingungen schaffen, also die Politik und Arbeitgeber: innen, etwas tun müssen, um die Gesundheit aller zu schützen. Und zwar bevor es zu spät ist und eine Umkehr – wie in Japan – kaum mehr möglich.

Ich schreibe aus der Perspektive einer Angestellten, die in einem Team arbeitet, doch ich glaube, dass viele der angesprochenen Punkte auch die Arbeit Selbstständiger berühren, etwa die Entgrenzung zwischen Job und Privatem und die damit verbundene Rastlosigkeit.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich Journalistin bin, keine Psychologin und keine Medizinerin. Wenn ich von Erschöpfung spreche, dann meine ich diese als ein allgemein wahrnehmbares Gefühl der körperlich-seelischen Müdigkeit, als Ausgepowertsein. Ich meine damit nicht klinisch diagnostizierbare Krankheiten wie Burnout oder Depression, wobei mir klar ist, dass die Grenzen oft fließend sind und die Zahl der an Depression erkrankten und ausgebrannten Menschen in den vergangenen zwei Jahren zugenommen hat.

Zur weiteren Begriffsklärung: Ich verwende in diesem Text das Wort Homeoffice der Einfachheit halber für jede Form von mobilem Arbeiten; es meint zwar primär, aber nicht nur das Arbeiten in den eigenen vier Wänden, sondern generell von einem anderen Ort als dem Büro oder dem festen Sitz des Arbeitgebers aus.

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