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Eine Marcelli geht aufs Ganze

hier erhältlich:

Willkommen auf dem Weingut der Marcellis. Hier feiert man guten Wein, gutes Essen - und die Liebe.

Wein, Weiber und … das Versprechen, mit dem nächsten Mann ins Bett zu gehen, der ihr über den Weg läuft. So endete Francescas Mädelsabend mit ihren Schwestern. Dumm nur, dass die sich am nächsten Morgen noch an alles erinnern und sie beim Wort nehmen. Gut hingegen, dass der nächste Mann, der Francesca über den Weg läuft, ausgerechnet Sam ist. Der Sex mit ihm ist alles andere als belanglos, und sie stürzen sich Hals über Kopf in eine heiße Affäre. Die Zeit ohne Verpflichtungen endet jedoch jäh, als mit einem Mal Sams Tochter aus erster Ehe vor seiner Tür steht und bei ihm wohnen will - und Francesca zeitgleich entdeckt, dass sie und Sam mehr verbindet, als sie geahnt hatten.


  • Erscheinungstag: 20.12.2014
  • Aus der Serie: Die Marcellis
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 352
  • ISBN/Artikelnummer: 9783955764074
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Mallery

Eine Marcelli geht aufs Ganze

Roman

Aus dem Amerikanischen von Ivonne Senn

 

 

 

 

 

 

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

The Sassy One

Copyright © 2003 by Susan Macias Redmond

erschienen bei Pocket Books, New York

Published by arrangement with

Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung von bürosüd, München

Redaktion: Daniela Peter

Coverabbildung von Macrovector, GoodStudio, alaver, Eduard Radu, tynyuk / Shutterstock

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95576-407-4

www.mira-taschenbuch.de

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Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1. KAPITEL

Francesca Marcelli war erst seit zwanzig Minuten schwanger, und schon tat ihr der Rücken weh.

„Für meinen Geschmack ist das etwas zu realistisch“, murmelte sie und justierte die Gurte, die den künstlichen Achtmonatsbauch an Ort und Stelle hielten. Die Größe des Bauchs war wirklich beängstigend – Francesca konnte weder ihre Füße sehen, noch fand sie eine bequeme Sitzposition –, und das Gewicht war der reine Horror. Es fühlte sich an, als hätte sie sich einen Babyelefanten umgeschnallt. Wer immer dieses Teil erfunden hatte, musste einen seltsamen Sinn für Humor haben. Ihr Rücken bettelte um Erbarmen, und dank des Drucks auf ihre Blase hatte sie nur noch einen Gedanken, nämlich die nächstbeste Toilette aufzusuchen.

„Alles für den guten Zweck“, murmelte sie.

Francesca verlagerte das Gewicht, um den schmerzenden Rücken etwas zu entlasten, und stützte sich auf den schweren Wagen, den sie in den Lastenaufzug des sechs Stockwerke hohen Bankgebäudes manövrierte. Als die Türen sich öffneten, schob sie den überladenen Wagen in den Flur hinaus. Die aufgestapelten Kartons schwankten gefährlich und drohten, jeden Moment auf den mit Teppich ausgelegten Boden zu fallen.

Es war kurz nach fünf an einem Freitagnachmittag. Um sie herum eilten Dutzende von Angestellten in Richtung der Personenfahrstühle, um endlich ins Wochenende zu kommen. Francesca schob ihre Brille auf der Nase hoch und strich sich das Kleid glatt. Sie trug das hässlichste Umstandskleid, das sie hatte finden können. Der übergroße Kragen ließ ihre Schultern und ihren Kopf unnatürlich schmal aussehen. Der in Pink- und Rosatönen gehaltene Blumendruck schien ihr alle Farbe aus dem Gesicht zu saugen. Sie hatte sich ein wenig Puder ins Haar gekämmt, um ihm einen mausbraunen Schimmer zu geben, und ihr Make-up hatte sie nur dazu benutzt, um sich einen müden, erschöpften und unattraktiven Anstrich zu verleihen.

Sie schaute auf die Uhr, dann straffte sie die Schultern und machte sich auf den Weg.

„Showtime“, flüsterte sie, obwohl niemand in der Nähe war, der sie hätte hören können.

Drei Männer aus dem Versicherungsmaklerbüro am Ende des Flurs gingen an ihr vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Francesca schob den Wagen mit den Päckchen und Paketen weiter gegen den Strom der ihr entgegenkommenden Menschen. Zwei Frauen in grauen Anzügen schenkten ihr ein mitfühlendes Lächeln. Ihnen folgten ein Mann und eine Frau, beide mit teuer aussehenden Aktentaschen in der Hand. Die Frau schaute, der Mann nicht.

Zu ihrer rechten Seite ging ein weiterer Flur ab. Francesca stemmte sich gegen den Wagen, um ihn um die Kurve zu bugsieren. Mehrere Pakete fielen herunter. Ein Mann ging an ihr vorbei, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. Ein Mädchen im Collegealter blieb lange genug stehen, um Francesca beim Aufheben der Kartons zu helfen, dann lief sie auf den Fahrstuhl zu und rief: „Wartet auf mich!“

Fünf Minuten später hatte Francesca ihr Ziel erreicht: ein Büro, das sie in der vorangegangenen Woche ausgespäht hatte. Sie hatte es ausgewählt, weil die Firma vor Kurzem geschlossen worden war. Hier stand sie nun, hochschwanger, verloren, mit mehr als einem Dutzend Päckchen auf dem überladenen Wagen, die sie anliefern sollte, und niemand da, um sie entgegenzunehmen. Wenn sie Schauspielerin gewesen wäre, hätte sie jetzt noch eine Träne aus dem Augenwinkel gedrückt.

Die Regeln besagten, dass sie nicht aktiv um Hilfe bitten durfte. Sie musste ihr angeboten werden. Also würde sie die geforderten dreißig Minuten warten, in Gedanken mitzählen, wer sie ignorierte, wer lächelte und wer stehen blieb, um ihr Hilfe anzubieten.

Hier in dem Gebäude arbeiteten nur hoch bezahlte Kräfte mit erlesenem Geschmack und wenig Zeit. Sie hegte keine große Hoffnung, dass irgendjemand ihr helfen würde. Ihrer Erfahrung nach …

„Sie sehe aus, als hätten Sie sich verlaufen.“

Francesca wirbelte herum. Neben ihrem Wagen stand ein großer Mann. Ein großer, gut aussehender Mann in einem dunkelblauen, Macht ausstrahlenden Anzug.

„Hey“, sagte sie als Einleitung für ihre vorbereitete Rede, in der sie ihm erklären würde, dass sie diese Pakete an die nicht mehr existierende Firma ausliefern musste. Nur leider konnte sie sich an nichts mehr von dem erinnern, was sie sagen sollte.

Der Mann wartete geduldig. Er hatte dunkelblonde Haare und braune Augen, die beinah golden aussahen. Sein intensiver Blick erinnerte sie an die Art, mit der Jäger ihre Beute belauerten. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie an Gazellen dachte, die von Löwen gerissen wurden. Unglücklicherweise ähnelte sie in ihrer momentanen Verfassung eher einem Wasserbüffel als einer Gazelle.

Er wirkte selbstbewusst, wichtig und mächtig. Nicht gerade die Art Mann, von der man erwartete, dass sie stehen blieb, um einer unattraktiven Schwangeren in Not zu helfen. Männer wie er schickten ihre Assistenten, um sich um die unangenehmen Dinge des Lebens zu kümmern.

„Sprechen Sie Englisch?“ Er betonte jedes Wort sehr deutlich.

„Was? Oh, natürlich.“ Sie atmete tief ein. Was war nur mit ihr los? Sie hätte ihren akuten mentalen Schluckauf ja gern auf eine Lebensmittelvergiftung geschoben, doch leider hatte sie an diesem Tag noch nichts gegessen. „Ich bin, äh …“ Francesca räusperte sich. Ihr Gehirn schien wieder zu arbeiten, und ihr fiel endlich wieder ein, was sie sagen sollte.

„Hallo. Ich bin Francesca. Ich soll diese Pakete hier abliefern, aber da scheint es ein Problem zu geben.“ Sie zeigte auf die geschlossene Bürotür.

Der Mann schaute erst auf die Kartons, die alle sorgfältig an die nicht mehr existente Firma adressiert waren, und dann zu der Tür, auf der ein handgeschriebener Zettel verriet, dass „Mal-com und White Data Tech“ hier nicht mehr zu finden war.

„Die Lieferung hier abzugeben war der letzte Auftrag, den mein Chef mir erteilt hat, bevor er die Stadt verließ“, sagte sie. „Wenn ich sie nicht ausliefere, wird er mich umbringen.“

Francesca bemühte sich, verzweifelt auszusehen. Dazu musste sie nur an ihren Kontostand und die bald fällig werdende Stromrechnung denken. Irgendwann würde sie die Früchte ihres Hochschulstudiums ernten, aber solange sie noch nicht promoviert hatte und keinen Doktortitel benutzen konnte, schien sie zu einem Leben in Armut verdammt.

„Da werden Sie wohl seine Wut riskieren müssen“, sagte der Mann ruhig. „Diese Kartons gehen heute nirgendwo mehr hin. Die Firma existiert nicht mehr. Nach allem, was ich gehört habe, haben die Gesellschafter die Stadt mit den letzten paar Dollar, die noch übrig waren, fluchtartig verlassen und ihre Angestellten ohne Bezahlung, aber dafür mit einer ganzen Reihe verärgerter Kunden zurückgelassen. Wie heißen Sie noch mal?“

„Francesca Marcelli.“

Er lächelte sie an. Als würde er sich wirklich freuen, sie kennenzulernen. Ein echtes Lächeln, das bis zu seinen Augen reichte, wo es kleine Fältchen in die Winkel zeichnete. Mit einem Mal wurden ihre Handflächen ganz feucht. So viel Spaß hatte sie seit Tagen nicht gehabt.

Ihr Retter stellte sich als Sam Reese vor.

„Kommen Sie, ich bringe Sie erst mal aus diesem Flur heraus, und dann überlegen wir, was wir tun können.“

Wir? Sie waren jetzt ein Wir?

Sam schnappte sich den Wagen und schob ihn mit einer Leichtigkeit den Flur hinunter, die Francesca neidisch machte. Na gut, er musste sich auch keine Sorgen machen, dass sein falscher Schwangerschaftsbauch ihn behinderte. Langsam ging sie hinter ihm her und fragte sich, was er wohl als Nächstes tun würde. Wie weit würde Sam die Sache treiben? In Situationen, wie dieser hier – die eindeutig kein Notfall war – stellten die Menschen ihre Hilfe meistens an dem Punkt ein, an dem es für sie unbequem wurde.

„Einfach da hindurch!“ Er zeigte auf eine gläserne Doppeltür.

Bevor Francesca den Namen der Firma lesen konnte, wurde eine der Türen geöffnet und ein großer Mann trat auf den Flur. Unwillkürlich blieb sie stehen und starrte ihn an.

Der Mann musste mindestens zwei Meter groß sein. Er war gebaut wie ein Berg, hatte einen kräftigen Hals und Schultern, die breit genug waren, um ein paar Wohnwagen abzustützen. Mit seiner dunklen Haut, dem stechenden Blick und dem festen, vollkommen ernsten Mund sah er gefährlich und ziemlich Angst einflößend aus.

„Sam“, sagte der Mann und ließ seinen Blick zwischen ihrem Retter und ihr hin- und hergleiten. „Gibt es ein Problem?“

„Vielleicht ja.“ Sam warf ihr einen Blick zu. „Ms Marcelli versuchte, bei ‚Malcom und White‘ eine Lieferung abzugeben.“

„Die haben letzte Woche dichtgemacht.“

„Ja, das habe ich Ms Marcelli bereits erklärt.“ Er zeigte auf den beladenen Wagen. „Bring den bitte rein, Jason, und lagere die Kartons in einem unserer Konferenzräume.“ Er wandte sich wieder Francesca zu. „Wenn Ihr Chef erwartet, dass diese Lieferung bezahlt wird, muss ich Sie enttäuschen. Das wird nicht passieren. Zumindest nicht im Moment. Aber kommen Sie doch erst mal rein, dann können wir alles Weitere in Ruhe bereden.“

Francesca wurde in ein exklusives Büro mit einer in Grau und Burgunderrot eingerichteten Sitzecke geführt. Eine attraktive Frau Anfang vierzig saß am Empfangstresen. Sie sprach gerade in ihr Headset, als sie an ihr vorbeigingen, und nickte Sam nur kurz zu.

„Ich kann versuchen, Malcom und White aufzutreiben“, erklärte Sam, während sie einen langen Flur mit elegant gerahmten Bildern und schmalen, an den Wänden stehenden Beistelltischchen entlanggingen. „Ich habe schon lange nach einem Grund gesucht, um sie aufzuscheuchen.“

Er klang entschlossen, als hätte er mit den verschwunde-nen Geschäftsleuten noch eine persönliche Rechnung offen. Francesca ging hinter ihm, hin- und hergerissen zwischen der Frage, wieso es Sam Reese etwas ausmachte, wenn eine Firma in diesem Gebäude schloss, und dem Gedanken, in was für eine Situation sie sich hier gerade hineingeritten hatte. Sie kamen an mehreren großen Konferenzräumen vorbei, die aussahen wie Klassenzimmer, und an einigen Büros, in denen große Tische, Computer und Aktenschränke standen. Also die typische Büroeinrichtung, die keinerlei Rückschlüsse auf die Art der Geschäfte zuließ, die hier getätigt wurden.

Am Ende des Flurs bogen sie nach links ab, dann wieder nach rechts, bevor sie vor einem großen, offenen Foyer stehen blieben, in dem ein weiterer großer Schreibtisch mit Computer stand. Dahinter saß ein gut angezogener Mann in einem Sakko.

„Jack, das ist Ms Marcelli.“

Der junge Mann, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt und gebaut wie ein Footballspieler, erhob sich. „Schön, Sie kennenzulernen, Ma’am.“

Francesca trat näher, um ihm die Hand zu schütteln. Dabei rutschte ihr die Handtasche am Arm herunter und fiel zu Boden.

„Hups.“ Schnell beugte sie sich vor, um sie aufzuheben.

Als sie sich wieder aufrichtete, wich ihr alles Blut aus dem Kopf. Der Raum fing an, sich zu drehen, und sie spürte, wie sie ins Schwanken geriet. Für den Bruchteil einer Sekunde fürchtete sie, ohnmächtig zu werden.

Einen halben Herzschlag später umfing sie ein starker Arm um die Taille und hielt sie fest. „Ms Marcelli? Geht es Ihnen gut? Ist etwas mit dem Baby nicht in Ordnung?“

Baby? Was … oh, das Baby.

Francesca schüttelte leicht den Kopf. Ihr Gleichgewichtssinn war so weit zurückgekehrt, dass sie sich bewusst war, sehr nah neben Sam zu stehen. Nah genug, um die unglaublich langen Wimpern zu erkennen, die seine Augen umrahmten. Wo sie gerade davon sprach – sie schaute genauer hin. Aus dieser Nähe hatten sie eine wirklich ungewöhnliche Farbe. Hellbraun mit goldenen Sprenkeln. Überirdische Augen. Katzenaugen.

Katzenaugen an einem mächtigen Mann. Sie spürte seine Wärme und seine Kraft. Irgendwie hatte sie immer angenommen, Führungskräfte wären unter dem teuren Stoff ihrer Maßanzüge vollkommen verweichlicht. Da hatte sie sich wohl gründlich geirrt.

„Ms Marcelli?“

Sam Reese klang angespannt. Sie schüttelte noch einmal den Kopf und versuchte, sich aus Sams Griff zu lösen. Als er sie nicht freigab, schenkte sie ihm ein kleines Lächeln.

„Mir geht es gut.“

„Sie sind beinahe ohnmächtig geworden.“

„Ich weiß. Ich habe heute nicht genügend gegessen. Das passiert mir manchmal. Die Arbeit lenkt mich so ab, und dann sinkt mein Blutzuckerspiegel.“

„Das ist bestimmt nicht gut für das Kind.“

Da es kein Kind gab, war ihr seine Sorge ein wenig unangenehm.

„Mir geht es gut“, wiederholte sie. „Wirklich.“

Langsam löste er seinen Arm von ihrer Taille. „Jack bring Ms Marcelli bitte eine Tasse Kräutertee. In der Kaffeeküche haben wir eine kleine Auswahl. Und schau doch bitte auch nach, ob wir von unserem Meeting noch ein Sandwich übrig haben.“

Francesca überlegte, erneut zu protestieren, aber bevor sie wusste, was sie sagen konnte, ohne ihre Tarnung auffliegen zu lassen, wurde sie schon in ein Büro von der Größe Utahs geführt.

Die vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster boten auf der einen Seite einen Ausblick über Santa Barbara und die Berge, auf der anderen Seite sah man die Stadt und das Meer am Horizont. Geschmackvolle Bilder hingen an den nicht mit Fenstern versehenen Wänden. Zwei große Sofas bildeten in einer Ecke einen netten Rückzugsort für vertrauliche Gespräche. Zwischen ihnen und dem Schreibtisch war so viel Platz, dass man einen Kickbox-Kurs hätte abhalten können.

Sam ließ sie auf dem Sofa Platz nehmen und setzte sich dann neben sie. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er ihre Hand in seine genommen und fühlte ihren Puls am Handgelenk.

„Ihr Herz rast. Soll ich Ihren Arzt anrufen?“

Sie ging immer zum studentischen Gesundheitsdienst, wenn sie etwas brauchte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, das freundliche Geplauder mit der Arzthelferin dort war nicht das Gleiche, wie einen eigenen Arzt zu haben.

Allerdings musste sie zugeben, dass es sehr angenehm war, von einem attraktiven Mann die Hand gehalten zu bekommen. Er war warm und geduldig und unglaublich sexy. Hätte sie nicht ausgesehen wie etwas, das eine streunende Katze angeschleppt hatte, hätte sie vielleicht versucht, mit ihm zu flirten, und schlagfertige Kommentare zum Besten gegeben. Vorausgesetzt, ihr wären irgendwelche schlagfertigen Kommentare eingefallen.

„Nein danke, das ist nicht nötig.“ Widerstrebend entzog sie ihm die Hand. „Mit mir ist alles in Ordnung. Ich habe sowieso schon viel zu viel Ihrer Zeit in Anspruch genommen.“

Sie wollte aufstehen, doch Sam hielt sie davon ab, indem er sie durchdringend ansah.

„Trinken Sie einen Tee“, sagte er. „Danach fühlen Sie sich besser.“

Beides klang wie ein Befehl.

Bevor sie widersprechen konnte, kam Jack mit einem Tablett herein. Auf dem standen eine Tasse mit dampfendem Tee und ein Teller mit einem eingepackten Sandwich.

„Wir hatten nur noch Pute“, sagte er entschuldigend, als er das Tablett auf den gläsernen Kaffeetisch stellte.

Das leichte Schuldgefühl, das Francesca bis jetzt verspürt hatte, pumpte sich zu doppelter Größe auf. „Also, Sie waren wirklich nett – Sie alle beide. Aber es gibt keinen Grund, mich so zu bemuttern.“

Die Männer ignorierten sie. „Geh an den Computer“, sagte Sam zu seinem Assistenten. „Sieh nach, ob du entweder Malcom oder White irgendwo aufspüren kannst. Du findest den Ordner am üblichen Platz.“ Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Francesca zu. „Sie haben gesagt, Ihr Boss wäre für den Rest des Tages außer Haus. Wie können Sie mit ihm in Verbindung treten? Ich möchte ihn gerne darüber informieren, dass die Pakete nicht ausgeliefert werden können. Außerdem werde ich veranlassen, dass sie zu ihm zurückgeschickt werden.“ Sein ernster Gesichtsausdruck wurde ein wenig weicher. „Er hätte niemals zulassen dürfen, dass Sie sich alleine darum kümmern.“

„Das macht mir nichts aus“, sagte sie schwach. Sie spürte, wie der Boden unter ihr zu Treibsand wurde. In wenigen Sekunden wäre sie so tief darin versunken, dass niemand sie je wiederfinden würde. „Und ich kann ihn nicht erreichen. Er ist auf dem Weg zum, äh, Flughafen. Um, äh, wegzufliegen.“

Innerlich zuckte sie zusammen. Es war ihr noch nie leichtgefallen zu lügen. Aber auf dem Weg zum Flughafen, um wegzufliegen? Warum sollte man sonst zum Flughafen fahren?

Francesca seufzte. Irgendwie war dieses Experiment außer Kontrolle geraten. Gemäß ihrer bisherigen Forschungen hätte Sam nicht stehen bleiben dürfen, um ihr zu helfen, und schon gar nicht hätte er es so weit treiben sollen. Dieser Mann brachte ihre ganzen bisher gesammelten Daten durcheinander.

„Welche Fluggesellschaft? Welcher Flug?“ Er nahm ein schmales, ledergebundenes Notizbuch aus seiner Tasche.

Francesca wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. „Sie werden ihn nicht finden.“

„Versuchen wir es wenigstens.“

Oh-oh. Jetzt ging es wirklich zu weit. Sie warf Jack einen Hilfe suchenden Blick zu, den er entweder nicht verstand oder einfach ignorierte. Jason, der große, starke Mann von vorhin, steckte seinen Kopf zur Tür herein, um Sam darüber zu informieren, dass er die Pakete in Konferenzraum 2 gelagert hatte. Jack verschwand mit Jason und schloss die Tür hinter ihnen. Damit war Francesca auf einmal sehr allein mit einem Mann, der offensichtlich in der Lage war, das Universum nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.

„Also, Ms Marcelli, der Flug Ihres Chefs? Sein Name wäre auch sehr hilfreich.“

„Bitte nennen Sie mich doch Francesca.“ Sie griff nach ihrem Tee. Ihr knurrte der Magen, aber sie weigerte sich, das Sandwich anzurühren. Nicht, solange sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hier war. „Können Sie wirklich jemanden anrufen, der in einem Flugzeug sitzt?“

„Wenn es nötig ist. Es wäre allerdings einfacher, ihn vor seinem Abflug zu erreichen. Fliegt er von Los Angeles oder vom Geschäftsfliegerzentrum in Santa Barbara?“

Francesca dachte an all die Male, die sie bereits ähnliche Experimente durchgeführt hatte, um herauszufinden, ob fremde Menschen sich die Mühe machten, stehen zu bleiben und ihr zu helfen. Sie hatte nette alte Damen getroffen, die ihr anboten, sie in ihrem Auto mitzunehmen. Sogar ein Schulkind, das ihr bei der Suche nach ihrem entlaufenen Hund helfen wollte. Aber niemals war jemand so weit gegangen wie Sam Reese.

Sie atmete tief ein. „Sie waren großartig“, sagte sie. „Wirklich unglaublich. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“

Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht. Sie bedauerte ihre mausbraunen Haare und die übergroße Brille, ganz zu schweigen von dem absichtlich unschmeichelhaft aufgetragenen Make-up. Erfolgreiche, umwerfende Männer wie er waren an der Uni selten. Warum hatte sie sich an diesem Tag nicht für ihr sexy Bikergirl-Outfit entschieden, anstatt als hässliche Schwangere herumzulaufen?

Sam wartete geduldig. Als wenn er alle Zeit der Welt hätte und an Menschen gewöhnt war, die ihm nur widerstrebend die gewünschten Informationen gaben.

„Wenn Sie nicht wollen, dass ich Ihren Boss aufspüre, ist das Ihre Entscheidung“, sagte er. „Aber bitte essen Sie doch etwas. Wenn schon nicht für Sie selbst, dann wenigstens für das Baby.“

Sie wünschte, er würde aufhören, ihre Schwangerschaft zu erwähnen. Okay, in all den Jahren, in denen sie so etwas schon machte, hatte sie kein einziges Mal ihre Tarnung aufdecken müssen. Doch jetzt wurde sie von Schuldgefühlen überwältigt. Schuldgefühle, gepaart mit einer mehr als nur oberflächlichen Anziehungskraft eines gut aussehenden Mannes.

„Ich bin nicht schwanger.“

Sein Blick ruhte weiter auf ihrem Gesicht. Ein Punkt für ihn. Sie nahm die Brille ab und warf sie auf den Tisch. Es war eine kleine Geste der Eitelkeit, aber unter diesen Umständen – mit dem hässlichsten Kleid der Welt, praktischen Schuhen und einer wenig schmeichelhaften Frisur – war sie einfach unumgänglich.

„Ich studiere Sozialpsychologie und beobachte, wie Menschen unter verschiedenen Umständen reagieren. In meiner Arbeit versuche ich zu erkennen, ob die gesellschaftliche Stellung, die Erscheinung oder das Geschlecht das Verhalten beeinflussen.“

Sam steckte sein Notizbuch zurück in die Jackentasche und sah Francesca fragend an. „Halten viel beschäftigte Leute, die es kaum erwarten können, endlich ins Wochenende zu kommen, an einem Freitagnachmittag inne, um einer schwangeren Frau zu helfen?“

„Genau.“

Seine Augen verengten sich ein wenig, als er Francesca genauer musterte. „Was ist in den Kisten?“

Sie räusperte sich. „Altpapier.“

„Sie haben sie absichtlich an eine Firma adressiert, die es nicht mehr gibt?“

„Ja.“

Nun fiel sein Blick auf ihren dicken Bauch. „Und das?“

„Eine Krankheit.“

Er riss erschrocken die Augen auf.

Sie lachte leise. „Ich mache nur Witze. Das ist eine Vorrichtung, um eine Schwangerschaft zu simulieren. Ich habe mir den Bauch von einem Umstandsmodengeschäft geliehen. Frauen benutzen ihn, um zu sehen, wie ihre Kleidung aussehen wird, wenn der Bauch an Umfang zunimmt.“

Kopfschüttelnd nahm er ihre Brille in die Hand und schaute durch die Gläser. „Fensterglas.“

Er lächelte. Ein ansteckendes, umwerfendes Lächeln, das in Francesca den Wunsch weckte, ihre praktischen Schuhe gegen ein paar rote High Heels einzutauschen.

„Ich bin normalerweise nicht leicht zu täuschen, Francesca. Ehrlich gesagt kann ich mich nicht erinnern, wann das zuletzt jemandem gelungen ist. Sie sind sehr beeindruckend. Und der Ohnmachtsanfall hat dem Ganzen noch den besonderen Kick gegeben.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Der Teil war nicht gespielt. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen, und das verträgt mein Blutzucker nicht so gut.“

Er zeigte auf ihren dicken Bauch. „Sie verbringen Ihren Tag in diesem Aufzug – und das nur aus wissenschaftlichen Gründen?“

„Ich verkleide mich nicht immer als Schwangere. Manchmal bin ich im Rollstuhl unterwegs, manchmal tätowiert und ganz in Leder.“

Er lehnte sich auf dem Sofa zurück. „Das sorgt bestimmt für Verkehrsstaus.“

„Kommt ganz drauf an, wo ich bin.“ Lächelnd streckte sie die Hand nach ihrer Teetasse aus. „Es gibt Dutzende von Studien über den Effekt, den das Aussehen auf das Verhalten hat. Wussten Sie, dass einem attraktiven Menschen öfter geholfen wird als einem unattraktiven?“

„Männer sind sehr visuelle Kreaturen.“

„Aber das gilt nicht nur für Männer. Frauen reagieren genauso. Ich studiere …“ Sie unterbrach sich und stellte ihre Teetasse wieder ab. „Tut mir leid, ich gerate ins Plaudern. Meine Studien faszinieren mich.“

„Das kann ich gut verstehen. Wo werden Sie morgen sein? Wenn Ihr Kostüm schwarzes Leder beinhaltet, schauen Sie gerne noch einmal vorbei.“

Sie lachte. „Eigentlich sollte ich die Forschungsphase schon längst abgeschlossen haben. Mein Projekt für diesen Sommer ist das Schreiben meiner Dissertation. Aber der Gedanke daran, die ganze Zeit vor dem Computer zu verbringen, macht mich ganz kribbelig, also schiebe ich es vor mir her.“

„Was soll ich mit den Kartons machen?“

„Oh, die nehme ich wieder mit. Ich muss ja auch den Wagen zurückbringen. Den habe ich mir vom Hausmeister geliehen.“

„Also bekommt er die volle Punktzahl für Hilfsbereitschaft einer schwangeren Lady gegenüber?“

„Absolut.“

„Und ich?“

Sam hat eine großartige Stimme, dachte Francesca. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Tief, volltönend, verführerisch.

„Sie bekommen Bonuspunkte“, erklärte sie.

„Gut zu wissen.“ Er streckte die Hand nach ihr aus. „Wie wäre es, wenn ich Ihnen die Punkte lasse und Sie mir stattdessen heute Abend zum Dinner Gesellschaft leisten?“

Unter normalen Umständen hätte Francesca die Einladung niemals angenommen. Sie kannte Sam Reese ja gar nicht. Gut, er war sehr ansprechend, aber war das wirklich so wichtig?

„Dumme Frage“, murmelte sie und manövrierte ihren Truck durch den frühabendlichen Berufsverkehr in Santa Barbara. Es war Anfang Juni, und die Touristensaison war in vollem Gange. Auf den Bürgersteigen drängten sich die Menschen, die Restaurants waren voll besetzt, und der Verkehr bewegte sich in Schrittgeschwindigkeit über die State Street.

„Ansprechend zu sein ist natürlich wichtig.“

Genau wie diese Katzenaugen, das verlockende Lächeln und die Leichtigkeit, mit der sie sich mit ihm unterhalten konnte. Aber der wahre Grund, weshalb sie einem Date mit Sam Reese zugestimmt hatte, war, dass sie Sex haben musste. Denn ein Versprechen war ein Versprechen.

Beim Gedanken daran, wie Sam reagiert hätte, wenn sie ihm dieses kleine Detail gestanden hätte, musste sie grinsen. Hätte er versucht, sich so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen, oder angefangen, sein Hemd aufzuknöpfen? Sie würde gerne das Letztere glauben, aber sie hatte zu Hause in den Spiegel geschaut und den lauten Schrei nicht vor Entzücken ausgestoßen. Nein, der Mann wäre um sein Leben gerannt.

Eine heiße Dusche mit dreimaligem Einschäumen der Haare, um den Puder herauszuwaschen, ein schneller Kleiderwechsel und ein Hauch Make-up – und schon war sie bereit, ihn vielleicht nicht gerade umzuhauen, aber ihm zumindest ein wenig den Kopf zu verdrehen. Was nicht sonderlich schwer sein sollte, bedachte man, wie furchtbar sie vorher ausgesehen hatte.

Nun war sie also auf dem Weg, Sam Reese den Kopf zu verdrehen und zu schauen, was sie in Hinsicht auf ihr Versprechen erreichen konnte … das Versprechen, mit dem erstbesten attraktiven Mann, der ihren Weg kreuzte, ins Bett zu gehen.

2. KAPITEL

In dem Moment, als Francesca feststellte, dass das Parken am Restaurant teurer war als ein durchschnittliches Menü bei McDonald’s, wusste sie, dass sie nicht mehr in Kansas war. Sie lächelte den surferblonden Parkwächter strahlend an, der ihren zehn Jahre alten Pick-up angeekelt musterte, bevor er kopfschüttelnd die Schlüssel entgegennahm. Nur zu gut konnte sie sich vorstellen, was der Kerl getan hätte, wenn sie immer noch schwanger und, na ja, hässlich gewesen wäre. Ohne Zweifel hätte er sie an einen Tisch ganz hinten im Restaurant verbannt.

Francesca schob die Gedanken an den Parkwächter beiseite und konzentrierte sich stattdessen auf den schönen Abend. Die Sonne hing tief am Himmel und warf ihre goldenen Strahlen in den Innenhof, der zum Eingang des Restaurants führte. Sie, Francesca, würde mit einem sehr netten Mann zu Abend essen, der ihr unter Umständen dabei helfen würde, eine Vereinbarung zu erfüllen, die sie mit ihren Schwestern getroffen hatte.

Zwei Monate zuvor, nach zu viel Wein und viel zu vielen Keksen, hatte sie Katie und Brenna versprochen, sie würde es mit dem ersten normalen Singlemann treiben, den sie traf. Das wäre das Ende ihres selbst auferlegten dreijährigen Zölibats. Ihre Bereitschaft, sich auf etwas einzulassen, was so vollkommen untypisch für sie war, hatte mehr mit dem Mangel an Romantik und Spaß in ihrem Leben zu tun als mit der Herausforderung selbst. Sie wollte keine feste Beziehung. Das hatte sie hinter sich. Aber ein attraktiver Mann und eine warme Sommernacht … das war eine ganz andere Sache.

In den letzten dreiundsechzig Tagen war ihr nicht ein einziger geeigneter Kandidat begegnet – was einiges über den Status ihres gesellschaftlichen Lebens aussagte.

Dann war Sam aufgetaucht. Er hatte sie gerettet, hatte ihren Puls schneller schlagen lassen und sie zum Abendessen eingeladen. Sie musste nicht erst im Kaffeesatz lesen, um die Zeichen zu erkennen, vor allem wenn sie in Großbuchstaben und kursiv geschrieben waren.

„Was ist so lustig?“

Die weiche, nach rotem Wein und dunkler Schokolade klingende Stimme ließ sie zusammenzucken. Langsam drehte sie sich um und sah Sam neben einem glänzenden silberfarbenen Wagen stehen. Sie konnte die Marke nicht erkennen, aber ohne Zweifel war es ein sehr teures Auto.

„Wie machen Sie das nur?“, fragte sie. „Das ist schon das zweite Mal, dass Sie sich heimlich an mich herangeschlichen haben.“

Er ließ den Blick über ihr Gesicht gleiten … was ein zutiefst verstörendes Gefühl ihn ihr weckte. Er war über eins neunzig groß. Sie war eins neunundsiebzig und hatte hohe Absätze an, aber trotzdem musste sie ihren Kopf leicht in den Nacken legen, um ihm in die Augen schauen zu können.

„Mich anzuschleichen ist mein Beruf. Sie sehen übrigens bezaubernd aus.“

Überrascht schaute sie an dem schlichten schwarzen Kleid herunter, das sie zuvor schnell übergezogen hatte. Sie hatte es aus einem Impuls heraus von einem Typen erstanden, der auf dem Campus aus seinem Lieferwagen heraus Klamotten verkaufte. Da das Label herausgeschnitten war und es auch kein Preisschild gegeben hatte, vermutete sie, die Aktion war nicht ganz legal gewesen. Aber es hatte kaum etwas gekostet, und sie fühlte sich in dem Kleid einfach elegant und weltgewandt. Zwei Gefühle, die sie in dieser Nacht gut gebrauchen konnte.

Sie streckte die Arme aus, zog den Bauch ein und drehte sich einmal langsam um die eigene Achse. „Die Wunder der modernen Medizin.“

„War es ein Junge oder ein Mädchen?“, erkundigte er sich grinsend.

„Es war mehr ein Sack Bohnen unbestimmten Geschlechts.“

Sie kam vor ihm zum Stehen und warf sich die Haare über die Schulter – eine Geste, die sie bereits mit vierzehn Jahren perfektioniert, aber seit viel zu langer Zeit nicht mehr eingesetzt hatte.

Das machte Spaß. Vielleicht hatte sie sich in ihrem Zölibat zu voreilig bequem eingerichtet. Die Bewunderung in den Augen eines Mannes zu sehen hatte einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf das Selbstbewusstsein.

Sam nahm ihre Hand und legte sie sich in die Armbeuge.

„Wollen wir?“ Er deutete auf den offenen Innenhof des Restaurants.

„Warum nicht?“

Warum nicht? Nun, zum einen war da dieses merkwürdige Gefühl in ihrem Magen. Sam war so … geschmeidig. Die Männer in ihrem Bekanntenkreis kleideten sich nicht wie aus der GQ und benahmen sich auch nicht wie James Bond. Die Jungen auf der Universität waren mehr für Jeans und Taco Bell zu haben.

Na gut. Sie hatte gesagt, sie würde sich wieder in den Strom des Lebens stürzen, und der schnellste Weg dahin war ein Kopfsprung. Wenn ihr Plan danebenging, würde sie einfach zurück ans Ufer paddeln und ihren nassen Hintern aus dem Wasser hieven.

Bei diesem Bild musste sie lächeln.

Als sie das Restaurant betraten, krallte Francesca ihre Finger in den weichen Stoff von Sams Jackett und spürte andeutungsweise die darunter liegenden Muskeln. Oh ja, er war sehr maskulin. Sehr überhaupt nicht in ihr Leben passend. Sehr irgendetwas, das sie gerne näher erkunden würde.

Sie kamen an den Empfang, wo die Gästemanagerin Sam lächelnd begrüßte. „Guten Abend, Mr Reese. Darf ich Sie zu Ihrem Tisch führen?“

„Ein Mann mit einem eigenen Tisch“, murmelte Francesca. „Wow. Wenn man hier oft genug herkommt, erhält man dann auch andere Teile der Einrichtung?“

„Sicher. Letztes Jahr habe ich einen Stuhl und ein Sideboard bekommen.“

Sie lächelte. „Ich bin beeindruckt, dass Sie wissen, was ein Sideboard ist.“

„Ich bin ein sehr beeindruckender Typ.“

Sam legte seine Hand auf ihre und drückte sie sanft. Der leichte Druck, ganz zu schweigen von der Hitze seiner Berührung, ließ Francesca beinahe stolpern.

„Sie sind also sehr selbstbewusst“, merkte sie an, als sie ihren Tisch erreichten, der in einer lauschigen Nische stand. Einige große Topfpflanzen vermittelten eine gewisse Privatsphäre.

Sam ließ ihre Hand los und zog einen Stuhl für Francesca hervor. Als sie sich setzte, überlegte sie, wann das jemals jemand für sie getan hatte. Die Antwort war leicht.

Nie.

Sam ging um den Tisch herum und setzte sich ihr gegenüber. Die Gästemanagerin legte die Speisekarten auf den Tisch und ging.

„Immer.“

„Und was ist, wenn Sie sich nicht sicher sind? Täuschen Sie die Selbstsicherheit dann vor?“

Er beugte sich zu ihr. „Ich muss niemals etwas vortäuschen.“

„Man könnte meinen, diese ganze Prahlerei diene nur dazu, etwas zu verbergen.“

„Dann läge man falsch.“

Sie lachte. „Na gut. Ich merke schon, bei Ihnen muss ich auf der Hut sein. Ich bin froh, Psychologie studiert zu haben.“

„Das wird Ihnen nicht helfen.“

„Das sagen Sie nur, weil Sie kein Profi sind.“

„Und ob ich das bin.“

Der Kellner kam mit der Weinkarte. Sam wartete, bis er wieder gegangen war, bevor er die Karte zur Hand nahm. „Kennen Sie sich mit Wein aus?“

Francesca überlegte kurz. „Nicht so gut wie meine Schwester, aber ich werfe gern einen Blick in die Karte.“

Sam beobachtete, wie Francesca langsam durch die Karte blätterte. Ihre langen dunklen Haare wogten bei jeder Bewegung und fingen das gedämpfte Licht ein. Die tiefbraune Farbe erinnerte in nichts mehr an das Mausbraun von zuvor.

Francesca hatte die Brille, den Schwangerschaftsbauch und die wenig schmeichelhaften Klamotten abgelegt. Stattdessen trug sie nun ein schwarzes Kleid, das sich an ihre schlanken Kurven schmiegte und ihre langen, attraktiven Beine zeigte. Ihre Haut hatte einen hellen Olivton, der in diesem Licht beinahe leuchtend wirkte. Haselnussfarbene Augen – mit einem Stich ins Grüne – weiteten sich, als sie einen Eintrag las. Sie hatte einen Mund, der einen Mann in arge Schwierigkeiten bringen konnte, und Sam stellte fest, dass er gern herausfinden würde, was sie wohl anzubieten hätte.

Auf dem Weg zum Restaurant hatte er sich für die dumme Idee gescholten, diese Frau zum Dinner einzuladen. Anfangs hatte er ihr seine Hilfe angeboten, weil sie sie zu benötigen schien und er einfach nicht anders konnte.

Doch dann hatte er sie näher angeschaut und … Möglichkeiten in ihr gesehen.

Sie klappte die Karte zu und reichte sie ihm.

„Irgendetwas dabei, das Ihnen zusagt?“, fragte er.

„Ich überlasse Ihnen die Auswahl.“

„Ist das ein Test?“

„Vielleicht.“ Sie wandte sich der Speisekarte zu. „Können Sie etwas empfehlen?“

„Ja. Alles.“

„Wissen Sie schon, was Sie wollen?“

Er wartete, bis sie aufschaute, bevor er antwortete. „Ich weiß genau, was ich will.“

Die Worte erzielten die erhoffte Reaktion. Ihre Augen weiteten sich, und um ihren Mund, der zu sagen, schien: „Nimm mich, ich gehöre ganz dir“, zuckte es.

„Ein Punkt für Sie.“ Sie lächelte.

„Oh, zählen wir mit?“

„Ich denke, das werde ich wohl müssen.“

„Was bekommt der Sieger?“

„Was hätten Sie denn gerne?“ Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, hob sie abwehrend die Hand. „Tun Sie bitte so, als hätte ich das nicht gesagt.“

Er lachte leise. „Geht Ihnen das alles etwa zu schnell?“

„Ein wenig. Ich werde nicht fragen, ob es für Sie dasselbe ist. Ich schätze, ich weiß die Antwort schon.“

„Das war wenigstens ehrlich. Was würden Sie denn gerne essen?“

„Ich bin mir nicht sicher.“

„Sind Sie Vegetarierin?“

Sie runzelte die Stirn. „Nein. Wie kommen Sie darauf?“

„Hauptfach Psychologie. Eine gefühlsduselige Grenzwissenschaft. Das zieht viele Vegetarier an.“

Sie lachte auf. „Wie gut, dass Sie kein Mensch sind, der in Stereotypen denkt.“

„Das ist nicht mein Stil.“

„Ich frage lieber nicht, was dann Ihr Stil ist.“

„Ich würde es Ihnen mit Freuden verraten.“

„Darauf wette ich. Also, was werden Sie bestellen?“, fragte sie.

„Ein Steak.“

„Das ist aber ziemlich klischeehaft.“

„Ich kann nicht anders.“

Der Kellner trat an den Tisch und stellte ihnen die Tagesgerichte vor. Francesca entschied sich für ein überbackenes Hühnchengericht und Sam blieb bei seinem Steak. Dazu bestellte er eine Flasche Cabernet von Wild Sea Vineyards, einem örtlichen Weingut.

„Interessante Wahl“, bemerkte Francesca. „Der Wein, meine ich.“

„Der ist von hier, aus Kalifornien.“

„Ich weiß.“ Sie neigte den Kopf, in ihren braunen Augen spiegelten sich Emotionen, die er nicht deuten konnte. „Also, Sam Reese, warum haben Sie mich zum Abendessen eingeladen?“

„Das ist leicht zu beantworten. Sie haben mich reingelegt. Das passiert nicht sehr häufig. Ich war beeindruckt.“

„Von meiner Verkleidung?“

„Ja. Ich hätte Sie durchschauen müssen, hab ich aber nicht. Als Sie beinahe in Ohnmacht gefallen wären, hatte ich Angst, dass Sie Ihr Baby gleich dort im Büro bekommen würden.“

„Es wäre eine Schande, so einen schönen Teppich zu ruinieren.“ Sie lächelte. „Ich war ziemlich unattraktiv. Es überrascht mich, dass Sie nicht schreiend weggelaufen sind.“

Der Kellner kehrte zurück und zeigte Sam die Weinflasche. Als Sam nickte, entkorkte er die Flasche und goss einen kleinen Schluck in Sams Glas. Sam probierte.

„Sehr schön.“

Francesca wartete, bis der Kellner gegangen war, bevor sie den Wein ebenfalls probierte.

„Schmeckt er Ihnen?“, wollte Sam wissen.

„Wie Sie schon sagten, er ist sehr schön.“

Irgendetwas schwang in ihrer Stimme mit. Etwas, das er nicht deuten konnte. Klang sie amüsiert? Genervt? Beides?

„Warum haben Sie meine Einladung überhaupt angenommen?“, nahm er den Faden ihrer Unterhaltung wieder auf.

„Weil ich es wollte.“

Gute Antwort, dachte er und ließ seinen Blick zu ihrem sinnlichen Mund wandern.

„Erzählen Sie mir, was Sie beruflich machen“, bat sie. „Ich habe zwar ein schönes Büro mit vielen Zimmern gesehen, aber keine Hinweise auf Ihre Tätigkeit entdecken können.“

„Ich bin der Leiter von ‚Security International‘. Wir haben unseren Hauptsitz hier in Santa Barbara, operieren jedoch auf der ganzen Welt.“

„Was für eine Art von Security?“

„Personenschutz. Wir stellen Bodyguards, sowohl für Teilzeitprojekte als auch als Vollzeitangestellte. Außerdem haben wir eine Abteilung für Sicherheitsberatung und bilden die Bodyguards anderer Leute aus.“

Überrascht sah sie ihn an. „Wie in dem Film?“

Er wusste, was sie meinte. „Meine Leute werden gefeuert, wenn sie mit ihren Kunden ins Bett gehen.“

„Das ist aber sehr streng.“

„Sie werden dafür bezahlt, wachsam zu sein, und nicht dafür, sich flachlegen zu lassen.“

„Haben Sie irgendwelche berühmten Kunden?“

„Ja.“

Sie wartete einen Moment, dann lachte sie. „Sie werden mir wohl keine Namen verraten, was?“

„Nicht einmal einen Buchstaben.“

„Der riesige Kerl aus Ihrem Büro, Jason. Ist er einer Ihrer Bodyguards?“

Sam nickte.

„Er ist nicht gerade jemand, der sich unauffällig unter die Leute mischen kann.“

„Manchmal ist das genau das, was ein Kunde will.“

„Sind alle Ihre Bodyguards bewaffnet?“

„Sicher.“

„Sie auch?“

Er lächelte träge. „Vor allem ich.“

Sie nahm ihr Weinglas in die Hand. „Sogar jetzt?“

„Wollen Sie es sehen?“

Francesca würde darauf wetten, dass Sam in seinem ganzen Leben nicht länger als fünfzehn Minuten am Stück ohne eine Frau in seiner Nähe verbracht hatte. Ihre Aussage war eindeutig gewesen: Sie würde sich dem ersten geeigneten, attraktiven Mann an den Hals werfen, der ihren Weg kreuzte. Insgeheim hatte sie erwartet, dass es nervenaufreibend und irgendwie peinlich würde. Auf keinen Fall hätte sie gedacht, dass sie als Landei es mit einem aus der Profiliga zu tun bekäme.

„Ich bin nicht sicher, ob Sie das Personal hier verschrecken sollten.“ Sie schaute sich um. „Immerhin ist das hier eines der besseren Restaurants der Gegend, da sieht man so etwas bestimmt nicht gerne.“

Sie nippte an ihrem Wein, der gar nicht einmal so schlecht war – was sie ihrer Schwester aber niemals erzählen würde.

„Haben Sie Angst?“, fragte er. „Sie ist gesichert.“

Tz tz tz, als ob sie über eine Pistole sprechen würden. „Ich habe keine Angst. Ich bin lediglich vorsichtig und vernünftig.“ Sie stellte das Glas ab. „Wie lange sind Sie schon im Security-Bereich tätig?“

„Mein ganzes Leben. Die Firma ist von meinem Großvater gegründet worden.“

Mit Familienkonzernen kannte sie sich aus. „Haben Sie irgendwelche Geschwister, mit denen Sie die Verantwortung teilen?“

„Nein.“ Er zuckte mit den Schultern. „Mein Vater starb, als ich noch ein Kind war. Meine Mutter ist ihm vor ein paar Jahren gefolgt, aber wir haben uns nie nahegestanden. Jetzt gibt es nur noch meinen Großvater und mich.“

Der Kellner kam und servierte ihnen die Salate. Francesca betrachtete das kunstvolle Arrangement aus grünem Salat, Apfelspalten, Blauschimmelkäse und Walnüssen. In ihrem Kopf wirbelten die verschiedenen Möglichkeiten umher.

Verheiratet? Nein. Auf keinen Fall. So viel Pech durfte sie nicht haben. Es konnte nicht sein, dass der erste Kerl, den sie seit über drei Jahren anziehend fand, eine …

„Sie sind nicht verheiratet, oder?“, platzte es aus ihr heraus.

Sam hielt mitten in der Bewegung inne, die Gabel schwebte vor seinen Lippen in der Luft. Dann senkte er die Hand.

Francesca wappnete sich gegen einen Witz oder eine schneidende Bemerkung. Doch sein Gesichtsausdruck wurde einfach nur sehr ernst. „Wenn ich verheiratet wäre oder in einer festen Beziehung leben würde, hätte ich Sie nicht eingeladen.“

Erleichterung vermischte sich mit dem Geschmack des zart schmelzenden Käses. „Gut zu wissen.“

„Und Sie? Irgendwelche aktuellen oder ehemaligen Mr Marcellis im Umlauf?“

„Nein. Marcelli ist mein Mädchenname. Ich war vor vielen Jahren schon einmal verheiratet. Mein Mann ist jedoch gestorben.“

„Das tut mir leid. Sie müssen sehr jung geheiratet haben.“

„Mit achtzehn. Nach den verqueren Erwartungen meiner Familie war das genau das richtige Alter.“ Sie spießte ein Apfelstück auf. „Ich stamme aus einer italienisch-irischen Familie. Sehr groß, sehr traditionsbewusst. Wir sollen jung heiraten und uns reichlich vermehren.“

„Haben Sie Kinder?“

Sie unterdrückte ein Lächeln. „Nicht, dass ich wüsste.“

Er lachte. „Meine Ehe hat unter keinem guten Stern gestanden. Ich war gerade einmal zweiundzwanzig, frisch aus dem College und allein in Europa. Wir haben nicht einmal unseren ersten Hochzeitstag gemeinsam erlebt.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wir waren beide zu jung. Zum Glück hatten wir auch keine Kinder. Eine Scheidung ist für sie immer schwer.“

„Das stimmt.“

Er nahm sein Glas. „Schluss mit den ernsten Themen. Haben Sie vor, mich später zu verführen?“

Gut, dass Francesca gerade nichts getrunken hatte, sie hätte den Wein sonst quer über den Tisch gespuckt. Mal abgesehen von den Versprechen und Plänen, die sie in Gegenwart ihrer Schwestern geschmiedet hatte, war das hier immer noch ein erstes Date. Sie hatte vielleicht vor, sich kopfüber ins Ungewisse zu stürzen, aber doch nicht innerhalb der ersten Stunde.

Sie war sich ziemlich sicher, dass Sam sie bloß aufzog, aber nur für den Fall, dass in der Frage ein Hauch Wahrheit steckte, entschied sie sich für die reifste und vernünftigste Reaktion, die ihr einfiel.

Sie ignorierte die Frage.

„Ist Ihre Firma schon immer in Santa Barbara ansässig gewesen?“

Sam lachte leise. „Feigling.“

„Ha, ha. Und jetzt gehen Sie doch bitte liebenswürdigerweise auf den Themenwechsel ein.“

„Okay. Mein Großvater hat eine Zeit lang eine Zweigstelle in Los Angeles unterhalten, aber das Hauptquartier war immer hier.“

Sie sprachen darüber, wie sich die Stadt in den letzten zehn Jahren verändert hatte, dass Prominente den Schutz eines Bodyguards einerseits wollten und ihm andererseits oftmals unnötigerweise die Arbeit schwer machten, und über die verschiedenen Experimente, die Francesca während ihrer Forschung durchgeführt hatte.

Sam war fast fertig mit seinem Steak, als sein Blick auf ihr beinahe noch volles Glas fiel.

„Schmeckt Ihnen der Wein nicht?“

Sie berührte den Stiel ihres Glases. „Doch, er ist gut.“

„Francesca. Was verschweigen Sie mir?“

„Ich bin kein großer Freund des Wild Sea-Weinguts.“

„Warum nicht?“

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Haben Sie heute noch was vor?“

Vorhaben? Mit ihm? Na ja, wo er es gerade erwähnte …

Sie schob den Gedanken energisch beiseite. „Nein, eigentlich nicht.“

„Nun, ich kann mir auch keinen Ort vorstellen, an dem ich lieber wäre“, sagte er. „Also erzählen Sie mir die Geschichte.“

„Na gut.“ Das war wenigstens ein unverfängliches Thema ohne Doppeldeutigkeiten und ohne jeglichen Anflug von sexueller Spannung.

„Im Jahr 1923 kamen die beiden Freunde Antonio Marcelli und Salvatore Giovanni gemeinsam aus Italien nach Amerika. Als zweitgeborene Söhne hatten sie beide keinerlei Hoffnung, die Familienbetriebe zu Hause zu erben. Aber sie schworen ihren Eltern, dass sie in Amerika großen Erfolg haben würden. Sie ließen sich in Kalifornien nieder und kümmerten sich sorgfältig um die Schätze, die sie mitgebracht hatten.“ Sie legte eine kleine Pause ein und lächelte. „Weinreben.“

Sam lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Diese Frau barg eine Überraschung nach der anderen in sich. „Francesca Marcelli? Von den Marcelli-Weinen?“

„Genau die.“

Er deutete auf die Flasche, die auf dem Tisch stand. „Und der stammt von der Familie Giovanni, nehme ich an.“

„Stimmt genau. Die jungfräuliche Erde, die windumtosten Hügel, das milde Klima – das alles war perfekt, um Wein anzubauen. Antonio und Salvatore kauften aneinandergrenzende Grundstücke. Sie teilten sich die Arbeit, feierten ihre Erfolge und stießen gemeinsam mit ihrer ersten Ernte an. Als die Zeit gekommen war, kehrten sie nach Italien zurück, um zu heiraten, und kamen mit ihren Frauen wieder hierher nach Kalifornien. Das sollte der Anfang eines glücklichen und erfüllten Lebens sein. Wild Sea Vineyards und Marcelli Wines waren geboren. Antonio und Salvatore bekamen je einen Sohn und zwei Töchter.“

Sie machte eine Pause und trank einen Schluck Wasser. Sam beugte sich vor. „Sie haben diese Geschichte während Ihrer Kindheit oft gehört.“

„So ungefähr eintausend Mal.“

„Ihre Stimme verändert sich, wenn Sie über Ihre Familiengeschichte sprechen.“ Doch es war nicht nur ihre Stimme, die sich veränderte. Ihr Blick ging an ihm vorbei direkt in die Vergangenheit.

„Meine Großmutter spricht oft über die alten Zeiten. Ich schätze, ich wiederhole nur, was sie sagt.“

Sie atmete tief ein und fuhr fort: „Die Ereignisse im Europa der späten 1930er-Jahre bereiteten den beiden Freunden Kummer. Mit der deutschen Besetzung von Frankreich und den Drohungen gegen Italien während des Zweiten Weltkriegs gingen große Sorgen um den Zustand der Weinstöcke daheim einher. Würden Generationen gesunder Reben zerstört werden? Antonio und Salvatore reisten nach Europa, wo ihnen Freunde Ableger der Weinstöcke anboten. Sie fuhren weiter durch die Länder und sammelten immer mehr Ableger von den berühmtesten Weingütern Frankreichs und Italiens. Dann kehrten sie heim, um diese Ableger mit ihren stärksten Rebstöcken zu veredeln. Was auch immer in Europa geschähe, in Amerika würde die Tradition fortgesetzt.“

„Mir ist bereits aufgefallen, dass die Wild Sea-Weine einen etwas europäischen Geschmack haben“, warf Sam ein. „Aber auf die Marcelli-Weine trifft das meiner Meinung nach nicht zu.“

„Ich weiß.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Niemand weiß genau, was passiert ist oder warum. Anfangs entwickelten sich beide Weinberge gut, aber nach einer gewissen Zeit gingen die Reben auf dem Grundstück der Marcellis ein. Antonio beschuldigte Salvatore, sein Land verflucht oder seine Rebstöcke vergiftet zu haben. Die beiden Männer hatten einen großen Streit, der dazu führte, dass die Freundschaft zwischen ihnen und ihren Familien zerbrach. Bis zum heutigen Tag sind Marcelli Wines und Wild Sea Vineyards Erzfeinde.“

Die Geschichte gefiel ihm, aber irgendwie gefiel ihm alles, was Francesca zu erzählen hatte.

„Gab es auch Blutvergießen?“, wollte er wissen.

„Nein, das ist nicht unser Stil.“ Sie lächelte. „Wir sind mehr die Typen für hitzige Diskussionen. Mein Großvater, Antonios Sohn, hat das meiste Interesse daran, die Fehde aufrechtzuerhalten. Meine Eltern waren an diesem alten Streit nie besonders interessiert, und meine Schwester und ich stehen dem Ganzen relativ neutral gegenüber.“

„Wer leitet Wild Sea heute?“

„Salvatores Urenkel Nicholas.“ Sie berührte die Flasche mit ihren Fingerspitzen. „Ihr Geschäft floriert, seitdem sie die neuen europäischen Reben anbauen. Wir führen zwar ein erfolgreiches Unternehmen, doch sie besitzen ein internationales Konglomerat.“

„Wie kommt es, dass Sie Psychologie studieren und nicht Weinwirtschaft?“

„Grandpa Lorenzo sagt, der Weinanbau muss mit Leidenschaft betrieben werden. Doch die konnte ich nie aufbringen. Meiner Schwester Brenna hingegen liegt es im Blut.“

Der Kellner räumte ihre Teller ab. Dankend lehnte Francesca ein Dessert ab. Sam reichte dem Kellner seine Kreditkarte.

„Vielen Dank fürs Essen“, sagte Francesca, als sie wieder allein waren. „Ich habe den Abend sehr genossen.“

„Ich auch.“ Sam lächelte. „Ich würde Sie gerne wiedersehen.“

Ein heißes Kribbeln breitete sich in ihrer Magengegend aus. „Ich Sie auch.“

„Wie wäre es mit morgen Abend? Außer Sie haben schon andere Pläne.“

Sie nahm an, dass sie so tun sollte, als wäre sie viel gefragt. Das behauptete ihre kleine Schwester Mia zumindest immer. Doch Francesca war noch nie sonderlich gut darin gewesen, Anweisungen zu befolgen.

„Morgen passt mir gut.“

Sam zog eine Visitenkarte aus seiner Sakkotasche und schrieb etwas auf die Rückseite. „Meine Privatnummer“, sagte er und reichte ihr die Karte. Dann nahm er eine weitere Karte zur Hand. „Und Ihre?“

Sie diktierte ihm die Nummer. Dann schaute sie sich die Vorderseite seiner Visitenkarte an. Ihr Blick blieb an dem Titel hängen, der unter seinem Namen stand.

Präsident und CEO.

„Sie leiten die Firma.“ Sie versuchte, nicht in Panik zu verfallen. Natürlich tat er das, das hatte er doch schon gesagt. Würde das jetzt alles ändern?

„Ja, bereits seit ein paar Jahren.“

Sie hob den Kopf und schaute ihn an. „Wie alt sind Sie?“

„Vierunddreißig.“

In diesem Augenblick wurden sie vom Kellner unterbrochen, der Sam seine Kreditkarte zurückgab und ihm den Beleg zum Unterschreiben reichte.

Nachdem Sam seine Unterschrift getätigt hatte, warf er Francesca einen Blick zu. „Habe ich es geschafft, sie zu Wild Sea-Weinen überlaufen zu lassen?“

Sie lachte leise. „Wohl kaum. Ich bin nicht sicher, ob ich jemals zuvor einen Wild Sea-Cabernet getrunken habe. Er war ehrlich gesagt ziemlich gut. Allerdings werde ich das meinem Großvater gegenüber niemals zugeben.“

„Er würde Sie vermutlich aus seinem Testament streichen.“

„Oder mich aus der Familie verstoßen.“

Sam steckte die Quittung in seine Sakkotasche, dann stand er auf und stellte sich hinter Francescas Stuhl. Als sie sich erhob, zog er den Stuhl, ganz Gentleman, nach hinten und stützte sie mit einer Hand am unteren Rücken ab.

Sie spürte die Wärme seiner Handfläche und Finger durch den Stoff bis auf die Haut und musste den Impuls unterdrücken, näher an ihn heranzurücken.

Der Parkplatzwächter, der aussah wie ein Surfer, empfing sie am Ausgang. Er salutierte kurz vor Sam und zeigte dann die Straße hinunter. Francesca schaute in die entsprechende Richtung und sah ihren Truck direkt hinter einer glänzenden silberfarbenen Limousine stehen. Sam hielt seine freie Hand auf, und der Parkplatzwächter ließ die beiden Autoschlüssel hineinfallen.

„Er wird uns unsere Autos nicht bringen?“, fragte sie verwirrt.

Sam reichte ihr den Truckschlüssel und steckte den anderen in seine Tasche.

„Ich habe veranlasst, dass unsere Autos dort hinten geparkt werden.“

„Warum?“

„Das ist etwas geschützter als hier vor dem Restaurant. Ich möchte schließlich keine Zuschauer, wenn ich Ihnen einen Gutenachtkuss gebe.“

3. KAPITEL

Francesca sagte sich, dass es sehr positiv war, wenn ein Mann derart vorausschauend handelte. Stattdessen fühlte sie sich mit einem Mal unsicher, nervös, tollpatschig und ein kleines bisschen kribbelig. Diese seltsame Mischung aus Besorgnis und Vorfreude vertrug sich nicht sonderlich gut mit ihrem überbackenen Hühnchen.

Die Hand, die auf ihrem unteren Rücken ruhte, dirigierte sie langsam die Straße hinunter. Zwischen ihrem Truck und seiner Limousine blieb Sam stehen. Francesca musste zugeben, dass es hier wirklich sehr geschützt war. Und ruhig. Sehr ruhig. Die Stimmen der Gäste aus dem Restaurant waren nur noch als gedämpftes Murmeln zu vernehmen. Irgendwo erklang Musik aus einem Radio. Die Nacht war warm und klar. Alles war perfekt – bis auf ihr plötzliches Bedürfnis, sich zu übergeben.

Was sich im Gespräch mit ihren Schwestern vernünftig, ja sogar nach Spaß angehört hatte, nämlich Sex mit einem völlig Fremden zu haben, kam ihr nun vollkommen verrückt vor. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Wenn sie einen Kopfsprung ins kalte Wasser machte, würde sie lediglich nass – und vielleicht sogar von der Brandung mitgerissen. Gut, Swimmingpools hatten normalerweise keine Brandung, aber trotzdem. Sie waren …

Sam umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen, beugte sich vor und küsste sie. Einfach so. Da sie ihre Handtasche in der einen und ihre Autoschlüssel in der anderen Hand hielt, konnte sie nicht mehr tun, als ihre Hände ein wenig hin und her zu drehen. Sehr attraktiv. Wenn sie nur ein kleines bisschen …

Nerven, die schon zu lange untätig gewesen waren, erwachten mit einem Jubelschrei zum Leben. Die intellektuelle Wahrnehmung dessen, was sie tat, machte den Gefühlen Platz, die sie schlagartig durchströmten. Sam küsste sie. Seine warmen, festen Lippen strichen über ihre, bewegten sich langsam, erkundeten, berührten sie. Sie spürte, wie die Wärme, die er ausstrahlte, sich auf sie übertrug. Seine langen Finger strichen über ihre Wangen, dann ließ er seine Hände auf ihre Schultern sinken. Sie fühlte sich gleichzeitig schwach und so lebendig wie nie. Nichts auf der Welt hätte sie jetzt dazu bringen können, sich zu bewegen. Sie wollte, dass dieser Kuss nie endete.

Sam neigte den Kopf und intensivierte den Kuss. Ein Kribbeln erfasste ihren gesamten Körper und ließ ihr Herz schneller schlagen. Zum ersten Mal seit Jahren erinnerte sie sich daran, dass ihre Brüste auf so köstliche Weise empfindlich waren. Ihre Haut kribbelte in Erwartung seiner Berührung. Von Leidenschaft übermannt, erkannte sie, dass sie sich nach dieser Art der Intimität seit gefühlten drei Lebenszeiten gesehnt hatte.

Zärtlich strich er mit der Zunge über ihre Unterlippe. Ein Schauer lief über ihren Rücken und löschte das letzte bisschen gesunden Menschenverstand aus, das sie bis dahin noch besessen hatte. Sie hob eine Hand – die mit den Autoschlüsseln – und schlang ihren Arm um seinen Hals, wozu sie sich auf Zehenspitzen stellen musste. Sam reagierte, indem er sie näher an sich zog, sodass sie sich überall berührten.

Seine Härte an ihrer Weichheit. Sie hatte diese Worte schon tausend Mal gehört und in Büchern gelesen, aber niemals zuvor hatten sie so viel Sinn ergeben. Jeder Teil von ihm war hart, fest und unnachgiebig. Ihre Kurven passten sich ihm an. Sie fühlte sich weich und sehr weiblich. Sie fühlte sich sicher. Als er erneut über ihre Unterlippe leckte, öffnete sie den Mund, um ihn einzulassen.

Bei der ersten Berührung ihrer Zungen fühlte sie sich, als könnte sie fliegen. Bei der zweiten loderte ein Feuer in ihr auf, das sie zu verschlingen drohte. Eine Hitze ohne Flammen, die sie an den Rand des Wahnsinns trieb. Diese Gefühle waren vollkommen neu für sie. Irgendetwas musste sie in der Vergangenheit beim Küssen falsch gemacht haben – oder sie machte dieses Mal irgendetwas sehr richtig.

Sie wollte mehr. Sie wollte alles. Sie wollte, dass er sie küsste, bis sie nicht mehr denken, nicht mehr atmen, gar nichts mehr tun konnte, außer zu fühlen, zu wollen und sich zu verzehren.

Seufzend versuchte sie, sich näher an ihn zu drängen. Als das nicht möglich war, begann sie, seinen Kuss zu erwidern. In genau dem Moment trat Sam einen Schritt zurück und zwang sie so, ihren Arm um seinen Hals zu lösen.

„Straße“, stieß Sam heiser aus und machte noch einen Schritt rückwärts.

Fragend sah Francesca ihn an. „Straße?“

Seine goldbraunen Augen wirkten dunkler als zuvor und gleichzeitig strahlender. Seine Lippen waren feucht, was ihn extrem sexy aussehen ließ. Verlangen packte sie.

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Wir stehen auf der Straße.“

Okay. Und wieso genau war das wichtig?

Dann wurde sie sich langsam ihrer Umgebung bewusst. Sie schaute sich um und sah, dass mehrere Häuser und Autos in der Nähe standen. Menschen gingen mit ihren Hunden Gassi oder kamen aus dem Restaurant.

„Ich schätze, du hast recht …“ Sie verstummte, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Einzugestehen, dass sie von der Leidenschaft übermannt worden war, wäre peinlich – wenn nicht ihm, dann ganz gewiss ihr.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er.

In Ordnung? Ihr ging es ganz hervorragend. Ihr ging es sogar so gut, dass sie eine Opernarie hätte anstimmen können.

Doch sie schenkte ihm lediglich ein kühles, selbstsicheres Lächeln, das ausdrücken sollte, dass sie so etwas andauernd tat. „Oh ja, alles gut.“

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