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Dirty Rowdy Thing - Weil ich dich will

Eine kontrollierte College-Absolventin. Ein raubeiniger Kanadier. Ein schicksalhaftes Wiedersehen in San Diego …

Harlow überlässt nichts dem Zufall. Das einzig Chaotische in ihrem Leben war die spontane Vegas-Blitz-Ehe mit dem umwerfenden Kanadier Finn, der ihr eine unvergessliche, wilde Nacht bescherte. Eigentlich hatte sie die Sache abgehakt, doch als eine familiäre Krise sie aus der Bahn zu werfen droht, kommt ihr Finns unverhoffter Besuch als Ablenkung gerade recht …

Finn weiß, dass es starken Frauen wie Harlow guttut, im Bett einfach mal die Kontrolle abzugeben. Logisch, dass er seiner scharfen Ex die offenbar schmerzlich vermissten Höhepunkte spendiert, auch wenn er eigentlich gerade ganz andere Probleme hat. Aber wer sagt schon Nein zu sensationellem Sex ohne Verpflichtungen? Doch dann stellt Finn verblüfft fest, dass er mehr von Harlow will …

"Witzig. Sexy. Fesselnd.”

The Autumn Review

"Ein verrücktes, wunderbares und überraschend realistisches Abenteuer."

RT Book Reviews

"Diese heiße, süße Geschichte ist wie ein Schatz. Ich habe jedes Wort geliebt."

Sylvia Day, New York Times Bestseller-Autorin der Crossfire-Serie

"Must-Read. Ich habe viel gelacht …und bin oft errötet. Ich kann den nächsten Band in der Wild Seasons-Serie kaum erwarten!

Mandy Schreiner, USA Today


  • Erscheinungstag: 18.07.2016
  • Aus der Serie: Wild Seasons
  • Bandnummer: 2
  • Seitenanzahl: 304
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956495663
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

HARLOW

I ch stürme in einen dieser stereotypen Starbucks, von denen es in dieser stereotypen Wohngegend so viele gibt, und hoffe, den zweitschlechtesten Sex meines Lebens schleunigst zu vergessen. Toby Amsler: ein superheißer Flirtprofi und obendrein Mitglied der Wasserpolo-Mannschaft des UCSD – er besaß alles, was für eine Weltklassenacht im Bett vonnöten ist.

Irreführende Werbung in Reinkultur.

Wenn es um potenzielle Sexpartner geht, kann man Männer in drei Kategorien unterteilen: den Aufreißer, den Falschverstandenen und das Muttersöhnchen. Den Aufreißer gibt es nach meinen Erfahrungen in allen Formen und Größen: den versauten Rockstar, den muskelbepackten Quarterback, gelegentlich gar den unwiderstehlichen Computer-Nerd. Ihre Stärken im Bett? Im Allgemeinen Verbalerotik und Ausdauer – und auf beides stehe ich. Traurigerweise sind diese Eigenschaften nicht gleichbedeutend mit Geschicklichkeit.

Der Falschverstandene kommt oftmals in Gestalt eines Künstlers daher, eines wortkargen Surfers oder eines gefühlvollen Musikers. Diese Jungs wissen meistens kaum, was sie tun, aber wenigstens versuchen sie es stundenlang.

Das Muttersöhnchen ist am leichtesten zu erkennen. Bei uns in La Jolla fährt es üblicherweise den alten, tadellos gepflegten Lexus seiner Mom. Dieser Typus zieht die Schuhe aus, wenn er das Haus betritt, und schaut einem beim Sprechen immer in die Augen. Im Bett bietet er wenig Vorteile, ist aber meistens sehr gepflegt.

Toby Amsler erwies sich als seltene Kombination aus Muttersöhnchen und Aufreißer, was ihn im Bett zur totalen Niete machte. Das Einzige, was noch peinlicher war als seine staubsaugerartige Oraltechnik, war der Umstand, dass seine Mutter morgens um sechs, ohne anzuklopfen, ins Zimmer platzte, um ihrem Sohn Tee und Cheerios zu servieren. Es gibt angenehmere Arten, geweckt zu werden.

Ich bin mir nicht sicher, warum ich überrascht bin. Obwohl in Filmen und Songs das Gegenteil behauptet wird, sind die meisten Jungs hoffnungslose Fälle in Sachen weiblicher Orgasmus. Sie lernen Sex aus Pornos, und bei denen besteht das vordringliche Ziel bekanntlich darin, dass es möglichst gut aussieht. Was die Frau dabei empfindet, interessiert niemanden, denn sie tut ja immer so, als wäre es großartig, egal was passiert. Bei Sex ist die Nähe wichtig, dass was im Inneren los ist, da gibt es keine Kameralinse dazwischen. Das scheinen die Jungs zu vergessen.

Mein Herzschlag muss sich erst noch beruhigen, und das Pärchen vor mir bestellt im Schneckentempo. Er möchte wissen: „Was würden Sie jemandem empfehlen, der keinen Kaffee mag?“

Wahrscheinlich einfach nicht in einen Coffeeshop zu gehen, will ich ihn anfauchen. Doch ich tue es nicht, sondern rufe mir ins Gedächtnis, dass es ja nicht seine Schuld ist, dass Männer es grundsätzlich nicht mitbekommen, wenn ich frustriert und stinkig bin.

Ich schwöre, normalerweise neige ich nicht zur Theatralik. Ich habe einfach einen Scheißmorgen.

Vielleicht helfen ja ein paar bewusste Atemzüge. Mit geschlossenen Augen atme ich tief ein und aus. Und gleich noch mal. So. Schon besser.

Ich trete einen Schritt zur Seite und schaue in die Vitrine mit dem Gebäck, überlege, was ich nehmen soll. Dann halte ich plötzlich inne und blinzle, ehe ich genauer auf die Vitrine blicke. Oder vielmehr auf die Spiegelung im Glas.

Ist das … nein … Finn Roberts … der da hinter mir steht?

Ich beuge mich vor und sehe, dass die Person neben meinem Spiegelbild in der Warteschlange tatsächlich Finn ist. Sofort springt mein Denkapparat auf Fragemodus. Warum ist er nicht in Kanada? Wo bin ich? Bin ich überhaupt wach? Oder liege ich noch auf Toby Amslers Wasserbett und habe einen Finn-Roberts-Albtraum?

Ich rede mir ein, dass es eine optische Täuschung sein muss. Vielleicht hat mein Gehirn eine Art Kurzschluss, weil ich an diesem Morgen tatsächlich meinen linken Arm für einen Orgasmus hergeben würde – klar, dass mir dabei Finn einfällt.

Finn Roberts, der einzige Mann, der in keine meiner Kategorien passt. Mein Exmann nach der zwölfstündigen Ehe im Vollrausch in Vegas. Im Bett ist er Spitzenklasse, mit den Händen, mit den Lippen und mit seinem Schwanz. Bei ihm kam ich so oft, dass er irgendwann glaubte, gleich würde ich ohnmächtig werden.

Finn Roberts, der sich am Ende als Arschloch erwies.

Optische Täuschung. Er kann es nicht sein.

Ein kurzer Schulterblick bestätigt mir, dass er es doch ist. Das verwaschene blaue Mariners-Basecap hat er sich tief über die haselnussbraunen Augen mit den längsten und dichtesten Wimpern gezogen, die ich je gesehen habe. Er trägt dasselbe jägergrüne T-Shirt mit dem weißen Logo seines familieneigenen Fischereibetriebs wie vor etwas mehr als einem Monat, als ich ihm in Kanada einen Überraschungsbesuch abgestattet hatte. Die gebräunten muskulösen Arme hat er vor der breiten Brust verschränkt.

Finn ist in La Jolla. Fuck. Er steht direkt hinter mir.

Ich schließe die Augen und seufze leise. Mein Körper gibt einem grauenvollen Reflex nach: Ich werde feucht. Ich wölbe meinen Rücken, als würde Finn sich von hinten an mich pressen. Mir fällt der Moment ein, als ich ihn zum ersten Mal sah und sofort wusste, dass wir zusammenkommen würden, damals in Vegas. Betrunken hatte ich auf ihn gezeigt und laut zu den anderen gesagt: Den vögele ich heute Nacht.

Worauf er sich zu mir vorbeugte und flüsterte: Das ist toll. Aber das Ficken übernehme ich.

Falls jetzt seine tiefe, wohltönende, stets etwas raue Stimme erklänge, hätte ich bestimmt sofort einen Orgasmus, gleich hier im Coffeeshop, so unbefriedigt, wie ich gerade bin.

Ich weiß, ich sollte verschwinden und zu Pannikin rüberfahren und mir dort meinen Kaffee kaufen. Aber ich bleibe reglos stehen, zähle lautlos bis zehn. Eine meiner besten Freundinnen, Mia, scherzt, still wäre ich nur, wenn ich total überrascht oder total angepisst bin. Im Moment bin ich beides.

Der magere Barista beugt sich zu mir vor und schenkt mir sein falsches Lächeln. „Möchten Sie vielleicht unseren ‚Pumpkin Spice Mocha‘ probieren?“

Ich nicke automatisch.

Moment, was? Nein, das klingt ja widerlich! Ein winziger, noch funktionierender Teil meines Gehirns brüllt meinem Mund zu, doch bitte das Übliche zu bestellen: einen großen schwarzen Kaffee ohne Firlefanz. Aber ich stehe nur wie erstarrt da und beobachte, wie die Bedienung mit einem quietschenden schwarzen Filzstift meine Bestellung aufschreibt. Benommen lege ich das Geld auf den Tresen und stecke das Portemonnaie zurück in meine Handtasche.

Ich atme tief durch, und als ich mich abwende, um irgendwo auf meinen Kaffee zu warten, sucht Finn meinen Blick und lächelt. „Hey, Zuckerschnecke.“

Ohne mich richtig zu ihm umzuwenden, mustere ich ihn über die Schulter. Er ist unrasiert, ein dunkler Bartschatten bedeckt seine Kinnpartie. Sein Hals ist tiefbraun, denn er arbeitet den ganzen Sommer über auf dem Meer. Mein Blick wandert an ihm herab, denn – ehrlich gesagt – wäre ich ja blöd, den Anblick dieses Mannes nicht zu genießen, ehe ich ihn zum Teufel jage.

Finn ist gebaut wie einer der Superhelden in Lolas Comics: breite Brust, schmale Taille, sehnige Unterarme, muskulöse Beine. Ihn umgibt eine undurchdringliche Aura, als bedecke eine durchsichtige Titanschicht seine goldene Haut. Der Mann arbeitet mit den Händen, er schwitzt bei der Arbeit, er wurde von einem Vater erzogen, der erwartet, dass seine Söhne fleißige Fischer sind. Verglichen mit ihm sieht jeder andere Mann, den ich kenne, aus wie eine halbe Portion.

Sein Lächeln verblasst. Er legt den Kopf schief. „Harlow?“

Obwohl das Basecap seine Augen halb verbirgt, erkenne ich, dass er mich unverhohlen mustert, und mir fällt wieder ein, dass sein Blick einen durchbohren kann wie ein Angelhaken. Ich schließe die Augen, schüttle den Kopf, versuche, ihn frei zu bekommen. Ich habe ja nichts dagegen, scharf zu werden, wenn die Situation es verlangt, aber ich hasse es, wenn meine Geilheit meine gerechtfertigte Verärgerung verdrängt.

„Moment. Ich überlege noch, wie ich reagieren soll.“

Verwirrt runzelt er die sonnengebräunte Stirn … zumindest glaube ich, dass es Verwirrung ist. Ich vermute, bei Finn sieht diese Empfindung genauso aus wie Ungeduld, Frustration und Konzentration. Er ist nicht gerade ein offenes Buch. „Okay …?“

Okay, das Problem ist Folgendes: Nach unserer Kurzehe in Vegas flog ich für einen Überraschungsbesuch zu ihm nach Vancouver Island, in nichts weiter als einem Lodenmantel. Wir hatten fast zehn Stunden lang ununterbrochen Sex – wilden, lauten Sex, überall im Haus –, und als ich ihm irgendwann sagte, ich müsste allmählich zum Flughafen fahren, lächelte er nur, griff zum Telefon und rief mir ein Taxi. Gerade hatte er mir auf die Brüste gespritzt, und nun rief er mir ein Taxi, obwohl sein nagelneuer kirschroter Ford F-150 vor dem Haus stand.

Ich schlussfolgerte, dass wir wohl doch nicht so gut zusammenpassten, selbst nicht für ein gelegentliches, grenzüberschreitendes Sex-Rendezvous, und damit war die Sache für mich erledigt.

Warum bin ich dann so sauer, dass er in La Jolla ist?

Der Starbucks-Angestellte bietet Finn den gleichen Kürbis-Mokka an wie mir, aber Finn verzieht das Gesicht und bestellt zwei große schwarze Kaffee.

Das macht mich noch wütender. Ich hätte so cool reagieren sollen, nicht er. „Was zum Henker hast du in meinem Coffeeshop zu suchen?“

Er reißt die Augen auf, sein Mund formt Wörter, ehe tatsächlich etwas herauskommt. „Wie, dir gehört der Laden?“

„Bist du auf Drogen, Finn? Wir sind bei Starbucks. Ich meine nur, dies ist meine Stadt.“

Er schließt die Augen und lacht. Als ich sehe, wie das Licht sich an seinem Kinn verfängt, weiß ich plötzlich genau, wie seine Bartstoppeln sich an meiner Haut anfühlen würden … argh.

Mit schief gelegtem Kopf starre ich ihn an. „Was ist denn so lustig?“

„Ich stelle mir gerade vor, dass dir der Laden wirklich gehört.“

Ich verdrehe die Augen, nehme meinen Kürbiskaffee und marschiere aus dem Laden.

Auf dem Weg zum Auto dehne ich meinen Nacken, lasse meine Schultern kreisen. Warum bin ich nur so angefressen?

Ich hatte nicht erwartet, dass mir eine Kutsche zur Verfügung stehen würde, als ich unangemeldet vor seinem Haus an der Küste aufkreuzte. Ich hatte ja schon in Vegas ausgiebig mit ihm gevögelt, daher wusste ich, dass es bei unserer Geschichte keine Verpflichtungen gab. Ich war dort, weil ich guten Sex wollte. Genau genommen wollte ich – nein, ich brauchte – die Bestätigung, dass der Sex genauso gut war, wie ich ihn aus Vegas in Erinnerung hatte.

Er war noch so viel besser.

Also ist es die Katerstimmung nach dem schlechten, unbefriedigenden Sex mit Toby Amsler, die mir heute Morgen die Souveränität raubt. Die zufällige Begegnung mit Finn wäre anders verlaufen, wenn ich nicht gerade aus dem Bett des ersten Mannes gestiegen wäre, mit dem ich nach Finn geschlafen hatte – mein erster Sex seit zwei Monaten.

Hinter mir vernehme ich Schritte auf dem Asphalt und wende mich um, als eine kräftige Hand mich am Oberarm packt. Finn greift vermutlich fester zu als beabsichtigt, und als Folge neigt sich mein monströser Kaffeebecher auf die Seite, und der ganze Inhalt platscht auf den Asphalt, wobei er nur knapp meine Schuhe verfehlt.

Ich werfe Finn einen wütenden Blick zu und schmeiße den leeren Pappbecher in einen Mülleimer am Bordstein.

„Sorry“, sagt er lächelnd. Er reicht mir den Kaffeebecher, den er auf dem Deckel des anderen trug. „Den Kürbisquatsch hättest du sowieso nicht getrunken. Den Vanille-Instant-Kaffee bei mir hast du auch nicht gemocht.“

Ich nehme den mir dargebotenen Kaffee und bedanke mich grummelnd, schaue zur Seite, verhalte mich wie die Sorte Frau, die ich keinesfalls sein möchte: wie eine sitzen gelassene, frustrierte, beleidigte Kuh.

„Warum bist du so sauer?“, fragt er leise.

„Ich habe gerade den Kopf voll.“

Er ignoriert es und sagt: „Ist es, weil du zu mir nach Vancouver Island hochgeflogen bist und nichts außer einem Mantel anhattest und ich dich wund gevögelt habe?“ Sein spöttischer Ton verrät mir, dass er meint, deshalb könnte ich doch unmöglich sauer sein.

Da hat er recht.

Ich halte kurz inne und schaue ihm fest in die Augen. „Meinst du den Tag, an dem es dir zu viel war, dich anzuziehen und mich zum Flughafen zu fahren?“

Er blinzelt, sein Kopf ruckt zurück. „Als du aufgekreuzt bist, ließ ich eine ganze Schicht ausfallen. Das mache ich sonst nie. Sobald du im Taxi saßt, bin ich zur Arbeit gefahren.“

Das ist eine … neue Information. Ich trete von einem Bein aufs andere, halte seinem Blick nicht länger stand. Stattdessen schaue ich zur Straße. „Du hast mir nicht gesagt, dass du arbeiten musst.“

„Hab ich wohl.“

Ich spüre, wie mein Kiefer verkrampft. „Hast du nicht“, sage ich und schaue zu Finn auf.

Seufzend nimmt er sein Basecap ab, kratzt sich am Kopf und setzt es wieder auf. „Wie du meinst, Harlow.“

„Was machst du hier überhaupt?“

Und dann passt plötzlich alles zusammen: Ansel ist in der Stadt und besucht Mia. Morgen gehen wir alle zur großen Eröffnung von Olivers Comic-Buchladen Downtown Graffick. Finn, der Kanadier, Ansel aus Paris und Oliver, der Aussie mit dem trockenen Humor: unsere Bräutigame aus Vegas. Vier von uns – zwei Paare – ließen die Hochzeit gleich wieder annullieren, Mia und Ansel aber beschlossen, das Ehe-Ding ernsthaft zu probieren, und sind immer noch verheiratet. Lola und Oliver sind Freunde geworden, verbunden durch ihre gemeinsame Leidenschaft für Comics. Ob wir es wollen oder nicht, von Finn und mir wird erwartet, Teil dieser sonderbaren Gruppe zu sein. Das heißt, wir müssen lernen, bekleidet miteinander klarzukommen.

„Verstehe“, murmle ich. „Die Eröffnung am Wochenende. Deshalb bist du hier.“

„Ich weiß, bei Oliver wird es keine Seventeen und Cosmopolitan zu kaufen geben, aber du solltest trotzdem hingehen und es dir anschauen“, sagt er. „Der Laden sieht toll aus.“

Ich hebe den Kaffeebecher an die Nase und schnüffle. Schwarzer, naturbelassener Kaffee. Perfekt. „Natürlich gehe ich hin. Ich mag Olls und Ansel.“

Er streicht sich über den Mund und lächelt schief. „Dann bist du also wütend wegen des Taxis.“

„Ich bin nicht wütend. Wieso denn? Wir sind doch kein Paar, das Streit hatte. Ich habe einfach einen miesen Morgen.“

Er zieht die Augen zusammen und mustert mich von oben bis unten, scheint in mir zu lesen wie in einem offenen Buch. Ich erröte. Sobald sein Lächeln zurückkehrt, weiß ich, dass ihm klar geworden ist, dass ich nicht von zu Hause komme. „Dein Haar ist ganz schön zerstrubbelt, aber am interessantesten ist, wie verkniffen du aus der Wäsche guckst. Als hättest du irgendwo nicht das bekommen, was du dir erhofft hast.“

„Du kannst mich mal.“

Finn tritt näher heran, den Kopf leicht schräg gelegt, das ärgerliche Halblächeln auf den Lippen. „Sehr gern. Aber nur, wenn du mich nett darum bittest.“

Lachend lege ich meine Hände auf seinen sehr hübschen, sehr harten Brustkorb und schiebe ihn zurück. „Hau ab.“

„Weil du es auch möchtest?“

„Nein, weil du mal wieder duschen solltest.“

„Hör zu“, sagt er lachend, „wenn du jetzt wegrennst, laufe ich dir nicht noch mal hinterher. Aber wir werden uns ab und zu begegnen. Wir sollten versuchen, uns wie Erwachsene zu benehmen.“

Er wendet sich um, ohne meine Erwiderung abzuwarten, und ich höre das Piepsen, als er die Wagentür des Pick-ups entriegelt. Ich verziehe das Gesicht und zeige ihm von hinten den Mittelfinger. Aber dann halte ich inne, und mein Herz stolpert, als mich ein plötzlicher Adrenalinstoß durchflutet.

Finn steigt in denselben kirschroten Pick-up, der vor seinem Haus stand. Nur dass der Wagen jetzt staubig und schlammbespritzt ist – wie nach einer endlos langen Fahrt.

Was die Frage aufwirft, warum er den langen Weg von Vancouver Island gefahren ist, wenn er doch nur für ein Wochenende bleibt.

Ich habe nicht viel Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, weil in meiner Tasche das Smartphone summt. Ich ziehe es heraus und lese die SMS meiner Mutter: Komm bitte sofort nach Hause.

Ich liebe es, Sachen in Ordnung zu bringen.

Als ich vier Jahre alt war und beim Spielen versehentlich die Lieblingshalskette meiner Mutter zerriss, saß ich danach drei Stunden in meinem Baumhaus und versuchte, die Kette mit Klebstoff zu reparieren. Mein einziger Erfolg bestand darin, mir mehrere Finger zusammenzukleben. Als Mia im Abschlussjahr vom Auto angefahren wurde und hinterher beinahe gelähmt war, saß ich den ganzen Sommer über jeden Tag an ihrem Bett, während sie in einer Art Ganzkörperkorsett dalag. Ich wusste, dass sie irgendwann etwas Bestimmtes würde haben wollen, und dann wollte ich für sie da sein. Ich brachte ihr DVDs und alle möglichen Mädchen-Magazine mit. Ich lackierte ihr die Fingernägel und ging sogar so weit, ihr die unmöglichsten Dinge ins Zimmer zu schmuggeln: Alcopops; ihren Freund Luke; ihre Katze – alles nur, um sie lächeln zu sehen. Als Lolas Vater nach Afghanistan geschickt wurde – und als er zutiefst verändert zurückkehrte und Lolas Mutter die beiden endgültig verließ –, kaufte ich ihnen Lebensmittel und kochte das Abendessen, tat alles Erdenkliche, um sie etwas zu entlasten. Und als Ansel zu dusselig war, um die Dinge mit Mia wieder einzurenken, griff ich auch dort ein.

Wenn meine Freunde Hilfe brauchen, dann helfe ich. Wenn jemand, den ich mag, ein Problem nicht lösen kann, dann finde ich die Lösung. Was immer geschieht, ich bin für meine Freunde da.

Als ich den Wagen in der Einfahrt parke und mich in unserem hellen, freundlichen Wohnzimmer – das mir im Moment eher wie eine Gruft vorkommt – gegenüber meinen Eltern zu meiner kleinen Schwester setze, bin ich in höchster Alarmbereitschaft. An einem normalen Tag ist unsere Familie ein redseliger Haufen. Heute herrscht Todesstille. Wenn überhaupt, würde ich mich höchstens trauen zu flüstern. Die Vorhänge sind geöffnet, aber der dichte Nebel über dem Meer verdüstert den Raum.

Das Wichtigste auf der Welt ist meine Familie. Das war schon immer so. Meine Mutter war Schauspielerin, als meine Eltern heirateten, während die Karriere meines Vaters erst in Fahrt kam, als ich bereits zur Schule ging. Als ich klein war, reisten mein Dad und ich meiner Mutter zu den Drehorten nach. Bis zur Geburt meiner Schwester Bellamy – da war ich sechs – waren wir meistens zu dritt unterwegs.

Dad ist der Emotionalere, Fürsorglichere, voller kreativer Energie und Leidenschaft. Mom ist die schöne, ruhige Kraft, die unsere Familie im Gleichgewicht hält und hinter den breiten Schultern meines Vaters augenzwinkernd das Zepter führt. Aber jetzt sitzt sie reglos neben ihm und knetet mit beiden Händen seine Hand. Über den Tisch hinweg sehe ich, dass sie schwitzt.

Irgendwie glaube ich, die beiden erzählen uns gleich, dass sie das Haus verkaufen. (Ich würde in der Einfahrt protestieren, bis sie es sich anders überlegen.) Oder dass sie nach Los Angeles umziehen. (Ich würde ausrasten.) Oder dass sie Eheprobleme haben und sich probeweise trennen. (Absolut unvorstellbar.)

„Was ist denn los?“, frage ich leise.

Mom schließt die Augen, holt Luft, sieht uns an und sagt: „Ich habe Brustkrebs.“

Nach diesen drei Wörtern verschwimmen all die anderen, die nun folgen, zu einem undeutlichen Brei. Aber ich verstehe genug, um zu begreifen, dass Mom einen drei Zentimeter großen Tumor in der Brust hat und dass auch in ihren Lymphknoten Krebszellen gefunden wurden. Dad entdeckte die Knötchen, als er mit Mom eines Morgens unter der Dusche stand – ich bin zu erleichtert, dass er sie entdeckt hat, um diese Information peinlich zu finden –, und sie wollte uns nichts erzählen, ehe sie mehr wusste. Sie hat sich für eine Brustamputation und eine anschließende Chemotherapie entschieden; die Operation soll kommenden Montag stattfinden … in drei Tagen.

Das geht mir alles viel zu schnell, und gleichzeitig geht es – für eine Problemlöserin wie mich – nicht schnell genug. Ich kann meine Fragen herunterrattern, als läse ich sie aus einem Buch ab: Hast du die Meinung eines zweiten Arztes eingeholt? Wie schnell genest man nach so einer Operation? Wann geht es danach mit der Chemo los? Welche Medikamente wird man dir geben? Aber ich bin zu perplex, um zu wissen, ob es angemessen wäre, diese Fragen zu stellen.

Als Dad erzählte, er habe die ersten Knötchen unter der Dusche entdeckt, fing Bellamy an zu kichern, nur um im nächsten Moment in Tränen auszubrechen. Mom klang zum ersten Mal im Leben wie ein Roboter, als sie berichtete, was der Arzt ihr erzählt hatte. Dad war untypisch still.

Was ich also zu sagen versuche, ist Folgendes: Was ist die angemessene Reaktion, wenn man erfährt, dass der Mittelpunkt des eigenen Lebens nicht unsterblich ist?

Nachdem Mom zu Ende erzählt hat – und erklärt, dass sie sich stark und echt total gut fühle –, will sie sich hinlegen und ein bisschen für sich sein. Ich kriege nur schwer Luft, und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, geht es meinem Vater noch viel schlechter als mir.

Bellamy und ich schauen uns Clue an, die Lautstärke praktisch auf stumm gestellt. Sie hat sich auf meinem Schoß eingekuschelt, Dad ist im ehelichen Schlafzimmer verschwunden. Im Browser meines Smartphones lese ich jede Webseite, die ich zum Thema Brustkrebs im dritten Stadium finden kann. Mit jedem neuen Informationsschnipsel aktualisiere ich die Überlebenschancen meiner Mutter. Erst als der Abspann läuft und der Bildschirm schwarz wird, merke ich, dass der Film zu Ende ist.

Im Moment kann ich aber wirklich nichts tun. Mom möchte nicht, dass wir uns um sie kümmern; sie möchte nicht bemuttert werden. Sie möchte, dass wir „unser Leben leben“ und nicht zulassen, dass „diese Sache unsere Gedanken beherrscht“.

Kennt sie Dad und mich überhaupt?

Wenige Stunden nach ihrer Offenbarung ist der Krebs zu einem lebendigen, atmenden Wesen geworden, das im Haus genauso viel Raum einnimmt wie wir anderen auch. Es ist das Einzige, woran ich denken kann, das Einzige, was ich sehe, wenn ich sie anschaue. Ich habe keine Ahnung, was ich mit mir anfangen soll.

„Ich dachte, heute Abend gibt es in Lolas neuem Apartment eine Party“, sagt Mom, und ich zucke zusammen, als ich ihre Stimme höre. Sie sieht ganz normal aus, vielleicht ein bisschen müde, wendet ein Grilled Cheese Sandwich und schaut über die Schulter zu mir herüber. Sie bereitet das Abendessen zu, als wäre es ein ganz gewöhnlicher Freitagabend, als wäre alles wie immer. Wir drei schauen ihr beim Kochen zu und unterdrücken unseren Drang, ihr vorzuschlagen, sie möge sich doch bitte hinsetzen, sich entspannen und sich von uns bedienen lassen.

Sie würde uns killen.

„Ja, es gibt eine Party …“, entgegne ich und fische ein paar Käsestücke aus der Schüssel. „Aber ich bleibe hier.“

„Nein, du gehst hin.“ Mom wendet sich um und wirft mir ihren besten Keine-Widerrede-Blick zu. „Und morgen findet die Eröffnung von Olivers Laden statt.“

„Ich weiß.“

„Du gehst zu dieser Party und schläfst danach bei dir“, sagt Dad. „Ich gehe mit Mom ins Kino, und wenn wir zurück sind“ – er macht hinter ihr ein paar geschmeidige Tanzschritte – „würdet ihr nicht hier sein wollen, wenn ihr wüsstest, was wir dann tun.“

Oh Gott! Ich halte mir die Ohren zu, während Bellamy sich hinterm Küchentresen duckt.

„Ihr habt gewonnen“, sage ich und versuche, ganz locker zu klingen und die aufsteigende Panik hinunterzuschlucken. Ich möchte Mom nicht allein lassen. „Aber morgen unternehmen wir etwas zu viert.“

Dad nickt und lächelt mich tapfer an.

Ich habe ihn noch nie so traurig gesehen.

Wenn ich ehrlich bin, tut es gut, rauszugehen. Das Schlimmste, was wir für Mom tun könnten, wäre, zu Hause herumzusitzen und besorgt jeden ihrer Schritte zu beobachten. Dad versicherte mir, dass ich in den nächsten Wochen und Monaten noch genügend Gelegenheiten bekommen würde, für Mom da zu sein. Das genügt mir fürs Erste. Bellamy ist süß, aber sie ist erst achtzehn, und außerdem ist sie seltsam unfähig. Jede kleine Aufgabe stresst sie. Sie wäre die Idealbesetzung für Stay Positive!

Ich bin die Tochter, die ihr Zeug auf die Reihe kriegt. Ich werde die Tochter sein, die Mom zu ihren Arztterminen fährt; die zu viele Fragen stellt; die sich kümmert, wenn Dad arbeiten muss, die sie wahrscheinlich verrückt machen wird.

Aber im Moment fühle ich mich furchtbar.

Und wenn es außer meiner Familie irgendjemanden gibt, den ich sehen möchte, dann sind es meine Freundinnen.

Lolas neues Apartment ist ein gewaltiger Fortschritt nach dem Studentenwohnheim. Ich ging davon aus, dass wir nach dem College zusammenziehen würden, aber sie wollte unbedingt in Downtown wohnen, und jedes Mal, wenn ich sie besuche, kann ich ihren Wunsch total verstehen. Das Apartment befindet sich ein kurzes Stück nördlich des Gaslamp Quarter, in einem neuen Hochhaus mit riesigen Fenstern, weitläufigen Zimmern und einem herrlichen Hafenblick – und die Donut Bar ist nur ein paar Straßen entfernt. Glückliche Lola.

„Harlowwwwww!“ Mein Name wird quer durch das Wohnzimmer gerufen, und im nächsten Moment umschlingen mich vier Arme. Zwei gehören Lola, die beiden anderen London, Lolas neuer Mitbewohnerin, einem supernetten Mädchen mit sandfarbenem Haar, Sommersprossen, süßen Grübchen und einem Dauerlächeln im Gesicht. Das klassischste amerikanische Mädchen, das man sich vorstellen kann. Aber mit einer scharfen Nerdbrille und wilden Klamotten mildert sie diesen Eindruck perfekt ab. Heute Abend zum Beispiel trägt sie ein blaues Tardis-T-Shirt, einen grüngelb getupften Rock und schwarz-weiß gestreifte Kniestrümpfe. Zusammen mit Lolas schwarzem Retro-Kleid im schicken Bettie-Page-Look lassen sie den Rest von uns furchtbar unhip aussehen.

„Hi, Lola-London“, sage ich und schmiege mein Gesicht an Lolas Hals. Das habe ich gebraucht.

Lolas Stimme klingt gedämpft hinter meinen Haaren. „Hört sich an wie der Künstlername einer Stripperin.“

London lacht, löst sich aus dem Menschenknäuel. „Oder wie ein Drink.“

„Einen Lola-London on the rocks, please“, sage ich.

„Schaut, ihr Lieben”, sagt London und deutet auf die Kühlbox am Küchenboden. „Wir denken uns den Drink heute aus. Den Lola-London Longdrink. Ich schwöre, ich habe an alles gedacht. Was zum Mischen, Hochprozentiges, Bier, Nüsse und …“ Sie schließt die Augen, reckt die rechte Faust in die Höhe und brüllt: „Fritos!“

Sie rennt zur Tür, um den nächsten Besuchern aufzumachen, und ich nicke Lola anerkennend zu. „Ich mag die Kleine.“

„Jemand hat mir erzählt, in diesem casa gibt’s heute eine fiesta!“

Ich fahre herum, als ich Ansels tiefe Stimme mit dem markanten Akzent vernehme, und einen Moment lang erstirbt jedes Geräusch im Apartment, ehe Applaus und Gelächter losbrechen. Er trägt einen riesigen, mit Tortillachips gefüllten Sombrero. Denn er ist ein liebenswerter Idiot.

Mia löst sich von ihm, kommt auf direktem Weg zu mir herüber und legt ihre Hände auf meine Schultern. „Wie geht es dir?“

Ich hatte Lola und Mia vorher angerufen, um sie auf den traurigen Stand der Dinge zu bringen, und die beiden kennen mich gut genug, um das Ausmaß meiner Panik zu begreifen.

Ich löse den Blick von Ansel, der gerade einen bekloppten Torero-Tanz aufführt. „Na ja, so lala.“

Sie tritt einen Schritt zurück und mustert mich besorgt, ehe sie begreift, dass ich hier bin, um mich abzulenken, und nicht, um über meine Mutter zu reden. Wir wenden uns zu Ansel um, der jemandem Chips aus seinem Sombrero anbietet. Das Kind in ihm ist wirklich lebendiger denn je.

Mit der Hand ziehe ich einen Kreis um meinen Kopf. „Was hat es mit dem … Hut auf sich?“

„Keine Ahnung“, sagt Mia. „Ansel und Finn haben sich irgendwo ein paar Biere genehmigt, und er kam mit dem Ding zurück. Er hat ihn seit Stunden nicht abgenommen, aber ihn dreimal mit Chips aufgefüllt. Bitte, zur Seite treten, Ladies“ – sie bückt sich und holt ein Bier aus der Kühlbox –„er gehört nur mir.“

Und kaum dass sein Name gefallen ist, erblicke ich Finn auf der anderen Seite des Raums. Er muss mit den anderen hereingekommen sein. Als er über eine Bemerkung von Ansel lacht und den Arm hebt, um sich das Basecap zurechtzurücken, wölbt sich sein Bizeps, und mein Magen steht in Flammen. Ich spüle schnell das halbe Bier hinunter, um dieses Gefühl zu ertränken, und stelle mir das Zischen und Dampfen vor, mit dem das metaphorische Feuer erlischt.

„Ich wusste nicht, dass Finn kommt.“ Aber was habe ich gedacht? Dass sie ihn zu Hause hocken lassen? Finn ist eine weitere Komplikation, mit der mein bereits übervoller Kopf im Moment überhaupt nicht klarkommt.

Mia öffnet den Drehverschluss ihrer Bierflasche und sieht mich an, ein vorsichtiges Lächeln in den Augen. „Ist es okay für dich?“

Wir sollten versuchen, uns wie Erwachsene zu benehmen, rufe ich mir Finns Worte ins Gedächtnis. „Natürlich ist es in Ordnung.“

„Solange es nicht versucht, mit dir zu reden, stimmt’s?“

Ich lache und nicke. „Genau.“

Lola tätschelt meinen Nacken, dann deutet sie mit einer Kopfbewegung zu den anderen Leuten, die sich zum Kartenspielen zusammensetzen. „Kommst du klar?“

„Ja“, sage ich. „Ich bleibe hier und schaue euch beim Spaßhaben zu.“

Nachdem Mia sich vergewissert hat, dass ich wirklich keine Gesellschaft brauche, folgt sie Lola, und ich bleibe allein in der hell erleuchteten Küche zurück und beobachte die kleine Gruppe am Esstisch. Ansel leckt sich über den Daumen, verteilt die Spielkarten, schnippt sie jedem Mitspieler geschickt über den Tisch hinweg zu. Ich fühle mich ein wenig verloren, als sollte ich gar nicht hier sein, aber gleichzeitig unfähig, nach Hause zu gehen. Meine Haut ist zu eng, und das Apartment ist mir zu warm.

Ein Schatten streicht an mir vorüber, und als ich mich umwende, erblicke ich einen Typen mit einer blond gefärbten Irokesenfrisur. Er nimmt eine bunte Alcopopflasche aus dem Kühlschrank.

„Interessante Getränkewahl“, sage ich. „Passion Punch!“

Er dreht sich um und lacht, nickt. Toll sieht er aus – vielleicht ein bisschen ungepflegt, aber sein Lächeln offenbart perfekte, strahlend weiße Zähne. Ein La-Jolla-Hippie-Typ. Na klar. „Schon mal probiert? Schmeckt wie Fruchtsaft!“, sagt er.

Billiger Alcopop ist eine amüsante Neuentdeckung für ihn? Dann ist er auf jeden Fall ein La-Jolla-Hippie-Typ.

„Ich bin Harlow“, sage ich und reiche ihm die Hand. „Und wenn du Fruchtsaft trinken möchtest, warum trinkst du dann nicht einfach einen richtigen Fruchtsaft?“

Er schüttelt die Flasche. „Das macht nicht so lustig“, sagt er, ehe er mit der Flasche auf sich deutet und sagt: „Not-Joe.“

„Nacho?“

„Nein. Ich bin Not-Joe. Oliver, mein neuer Boss, nennt mich Joey. Ich glaube, er verarscht mich, so als würde ich ständig einen Känguru-Spruch machen, weil er Australier ist. Aber ich heiße nicht so.“

Ich warte, dass er mir seinen richtigen Namen verrät – aber er tut es nicht. „Aber du nennst dich Not-Joe, also Nicht-Joe?

„Ja!“

„Immer?“

„Klar.“

„Nun, okay, schön, dich kennenzulernen.“ Obwohl ich den Eindruck habe, dass Not-Joe nur wenige Synapsen fehlen, um als wirbelloses Tier durchzugehen, finde ich ihn auf Anhieb sympathisch. Er trägt Skater-Shorts und ein T-Shirt, und wie es scheint, fühlt er sich in Lolas neuer Küche pudelwohl. „Du wirst also in Olivers Laden arbeiten?“

Als er nickt und in einem Zug die halbe Flasche leert, füge ich an: „Wird morgen bestimmt aufregend für euch.“

„Klar, wird gut werden. Oliver ist ein cooler Boss. Beziehungsweise, ich weiß jetzt schon, dass er ein cooler Boss sein wird. Er ist so was von tiefenentspannt.“

Er schaut hinaus zum Esstisch, wo Oliver sich dermaßen auf die Spielkarten in seiner Hand konzentriert, dass ich befürchte, sie könnten jeden Moment Feuer fangen. Anders als Finn, der sich über sein Äußeres keine großen Gedanken zu machen scheint – auch wenn er die Haare kurz trägt und normalerweise immer frisch rasiert ist –, sieht Oliver eher auf eine unbeabsichtigte Art gut aus. Ich bin mir noch nicht ganz darüber im Klaren, ob er wirklich so lässig ist, wie es scheint, aber ich weiß, dass er ein ziemlich anspruchsvoller Typ ist. Und wenn man bedenkt, dass er mit dreißig schon einen schicken Comic-Buchladen in San Diegos angesagtester Gegend eröffnet, dann glaube ich nicht, dass er wirklich so tiefenentspannt ist, wie Not-Joe glaubt.

Ich schaue zurück zum Hippie. „Was wird denn deine Aufgabe im Laden sein?“

„Comics verkaufen und so.“

Ich lache. Den Kerl zu beobachten, wenn er sich unbeobachtet fühlt, muss köstlich sein.

„Du meinst, du wirst vorne an der Ladentheke stehen?“

„Ja. Manchmal auch hinten. Aber hauptsächlich vorne.“ Er kichert vor sich hin und singt dann: „An der Re-gis-trier-kasse.“

„Wie bekifft bist du eigentlich gerade, Not-Joe?“

Er hält inne und scheint eine kurze mentale Inspektion durchzuführen. „Ziemlich bekifft.“

„Lust auf einen Tequila?“

Es steht absolut außer Frage, dass ich mit Not-Joe jemals Sex haben werde, aber meine zweite Lieblingsbeschäftigung mit Männern ist, sie zu beobachten, wenn sie allmählich betrunken werden.

Wir gießen uns zwei Tequila ein und trinken auf ex. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Finn sich vom Tisch erhebt. Er wirft die Karten hin, nimmt die Kappe ab und kratzt sich am Kopf. Dann setzt er die Kappe wieder auf. Ich hasse es, dass ich diese Geste so wahnsinnig sexy finde. Als er aufschaut und mich mit Not-Joe in der Küche stehen sieht, runzelt er die Stirn und kommt zu uns herüber.

„Oh, Mist“, murmle ich mich hinein.

„Gehört dieser Hulk zu dir?“, fragt Not-Joe und legt den Kopf schief.

„Nicht im Geringsten.“

„Trotzdem, schau dir seinen intensiven Blick an“, nuschelt er mit alkoholschwangerer Stimme. „Wie ein Löwe auf der Jagd.“ Er zittert, und das scheint ihn aus seiner Trance reißen. „Ich geh’ dann mal für kleine Jungs“, piepst er.

„Danke“, sage ich noch, während Not-Joe aus der Küche trottet und Finn hereinkommt und sich neben mir an den Küchentresen lehnt.

Heute Abend fehlt mir die Rüstung, die ich üblicherweise trage – mein Enthusiasmus, mein Selbstvertrauen und die Leichtigkeit, die ich verspüre, wenn ich weiß, dass es den Menschen, die mir wichtig sind, gut geht. Ein leiser Alarmton in meinem Kopf signalisiert mir, dass es eine schlechte Idee wäre, jetzt mit Finn zu sprechen. Entweder endet es im Streit oder im Bett, und in beiden Fällen geht Finn nicht besonders behutsam vor. Aber ich weigere mich zurückzuweichen und spüre die Hitze, die sein breiter Brustkorb verströmt. Das Basecap hat er sich tief über die Augen gezogen, sodass ich seine Stimmung am Spiel seiner Lippen ablesen muss. Wie es aussieht, scheint er … gelangweilt, sauer oder nachdenklich zu sein … oder er ist im Stehen eingeschlafen.

„Schön, dich hier zu treffen.“

„Finn“, begrüße ich ihn mit einem leichten Nicken.

Seine vollen Lippen verziehen sich zu einem zuckersüßen Lächeln. Zur Hölle mit ihm und seinem umwerfend schönen Mund!

„Harlow.“

Ich nage an meiner Unterlippe, während ich ihn schweigend betrachte.

Geistloser Small Talk wird hier nicht funktionieren, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich heute, wo es mir nicht gerade toll geht, mit seiner rauen Art klarkomme. Finn passt in keine meiner locker zurechtgebastelten Männer-Kategorien, und vielleicht liegt gerade darin die Herausforderung.

Er ist schwer zu durchschauen, dafür umso toller anzu-schauen, und ganz gleich, wie dumm die Idee ist, es ist beinahe unmöglich, dem Drang zu widerstehen, ihn zu mir heranzuziehen.

Streiten oder vögeln.

Mit einem Mal klingen beide Möglichkeiten ziemlich gut.

2. KAPITEL

FINN

I ch erinnere mich nicht, wann ich das letzte Mal auf einer Hausparty war, umgeben von einer Gruppe nerviger Twens, die im Begriff sind, sich die Kante zu geben. Ich bin kein Partygänger und nur deshalb gekommen, weil Ansel hier ist und weil unser letztes Wiedersehen in Vegas in einem völlig verrückten Hochzeitschaos endete. Aber irgendwie komme ich heute nicht in die Nähe meines Kumpels. Mit einem Drink in der Hand – ich bin zum ersten Mal seit Monaten ein bisschen angetrunken – stehe ich dicht genug vor Harlow Vega, um sie anfassen zu können.

Es überrascht mich nicht, dass wir so nah beieinanderstehen und dass ich sie wirklich gerne anfassen würde.

Was mich überrascht, ist, dass Harlow sich vom Partygeschehen zurückgezogen und mit Olivers Kiffer-Angestellten in der Küche herumgestanden hat. Trotz unserer Kurzehe in Vegas und unserer Sexnacht in Kanada muss ich gestehen, dass ich nicht besonders viel über sie weiß. Aber ich kenne Mädchen wie sie, die auf Partys aufs Ganze gehen, die auf den Tischen tanzen und es genießen, die Kerle verrückt zu machen.

„Warum stehst du hier herum und machst uns nicht beim Pokern fertig?“

Harlow zuckt mit den Schultern, legt mir die Hände an die Taille und schiebt mich ein Stück zur Seite, um einen der Hängeschränke zu öffnen. „Ich bin heute zu abgelenkt.“ Stirnrunzelnd schaut sie in den Schrank. „Was für ein Durcheinander. Oh Gott!“

„Willst du ihnen die Küche aufräumen, oder wie?“, frage ich lächelnd, als sie beginnt, die Gläser und Tassen umherzuschieben. „Während der Party?“

„Warum denn nicht?“

Ihr ebenmäßiges Gesicht umrahmen dunkle, kastanienbraune Haare, die sie sich hinter die Ohren schiebt, ehe sie sich nach dem obersten Regalbrett streckt und dabei ihren langen schönen Hals offenbart. Sofort stelle ich mir vor, wie ich sie vom Ohr bis zum Schlüsselbein mit Knutschflecken verziere.

„Heute Morgen hattest du den Kopf voll“, sage ich und trinke einen Schluck, meinen Blick auf ihre nackten Schultern gerichtet. „Heute Abend bist du abgelenkt.“

Sie nimmt zwei saubere Schnapsgläser aus dem Schrank und sieht mich schweigend an. Und nun erinnere ich mich an die Hitze ihrer seltsam hypnotischen Augen – mehr bernsteinfarben als braun – und an die Versuchung, die ihre vollen, sinnlichen Lippen auf mich ausüben. Sie blinzelt einmal, dann schraubt Harlow eine Tequilaflasche auf und füllt die beiden Gläser bis zum Rand.

„Nun, wie ich sehe, gelingt es Not-Joe mühelos, dich auf andere Gedanken zu bringen“, sage ich zu ihr, „aber du solltest es dir noch mal überlegen, ob du mit einem Kerl Tequila trinken willst, der einen gepiercten Penis hat.“ Als Oliver mir die Geschichte erzählt hatte, war ich ernsthaft beinahe an meinem Sandwich erstickt.

Harlow ist schon im Begriff, mir eines der Gläser zu reichen, aber dann hält sie inne. „Er hat … echt jetzt?“

„An zwei Stellen. In der Eichel und am Schaft.“

Sie blinzelt.

Ich lehne mich ein Stück zur Seite, und als ich sehe, wie Harlow mir auf den Mund starrt, beginnt meine Haut zu kribbeln. „Oliver zufolge geschehen ‚gewisse Dinge‘, wenn Not-Joe betrunken ist.“

Sie reißt den Blick von meinem Mund los, schaut zu mir auf und deutet mit dem Kinn nach draußen zum Esstisch, wo die Leute immer noch Karten spielen. „Dann schlägst du also vor, ich soll lieber Karten spielen mit Leuten, bei denen man nach jedem verlorenen Spiel als Strafe einen Clamato trinken muss?“

„Noch besser“, sage ich schaudernd, „Clamato gemischt mit Budweiser. Man nennt es chelada, und es ist inzwischen ziemlich warm.“

Sie zieht das gleiche Gesicht wie heute Morgen, als der Barista ihr den Pumpkin Spice Mocha anbot – völliges Entsetzen –, und dieses Getränk hat sie dann ja sogar bestellt. „Im Ernst? Jemand hat so ein widerliches Zeug zusammengeschüttet? Und es gibt tatsächlich Leute, die so was trinken?“

Lachend entgegne ich: „Wider besseres Wissen finde ich dich echt süß in der Rolle der Diva.“

Den Kopf zur Seite geneigt, die Augen weit aufgerissen, fragt sie: „Weil ich eine Mischung aus Bier, Tomatensaft und Muschelbrühe eklig finde, hältst du mich für eine Diva?“

Offenbar bin ich schon angetrunken genug, um eine Zeile aus dem einzigen Song einer Diva zu grölen, der mir im Moment einfällt: „I will always love you …“ Dann hebe ich mein Glas und leere es in einem Zug.

Harlow starrt mich an, als hätte ich den Verstand verloren, aber ich sehe, dass sie es lustig findet. Ein Lächeln liegt in ihren Augen, selbst als sie missbilligend ihre schöne Stirn runzelt. „Du kannst ums Verrecken nicht singen.“

Ich wische mir mit der Hand über den Mund und sage: „Das war noch gar nichts. Du solltest mich mal Klavier spielen hören.“

Sie zieht die Augen zusammen. „Hast du grade die Smiths zitiert?“

„Wow. Überrascht mich, dass du das kennst. Ist ja nicht gerade ein Sample aus einem P. Diddy-Song.“

Lachend sagt sie: „Du hast wirklich eine hohe Meinung von mir.“

„Stimmt.“ Der Tequila flutet in meinen Blutkreislauf; mir wird von innen nach außen heiß. Ich beuge mich ein Stück vor, um Harlow besser riechen zu können. Sie riecht immer irgendwie warm, ein bisschen erdig und süßlich. Nach Strand, Sonnenmilch und Geißblatt. In den letzten fünf Minuten habe ich mehr Worte mit ihr gewechselt, die nichts mit Sex zu tun haben, als während ihres gesamten Kanada-Besuchs, und es überrascht mich nicht nur, dass man mit ihr locker quatschen kann, sondern dass es mir Spaß macht. „Und meine Meinung von dir ist im steten Wandel, wo du jetzt nicht mehr nur ein schönes Gesicht zwischen meinen Beinen bist.“

„Du bist wirklich ein erstklassiger Scheißkerl, Finn Roberts.“

„Miteinander zu reden wirkt Wunder beim Erweitern unserer Horizonte.“

Sie nimmt ihren Tequila, spült ihn hinunter und schüttelt sich kurz, ehe sie sagt: „Nicht übermütig werden, Freundchen. Mir gefällt unser Arrangement.“

„Wir haben ein Arrangement?“

Sie nickt und schenkt uns die nächste Runde ein. „Entweder wir streiten oder wir vögeln. Ich glaube, ich bevorzuge Letzteres.“

„Da muss ich dir zustimmen.“

Als sie mir den nächsten Tequila reicht – mit Ansel habe ich bereits drei Biere getrunken –, frage ich: „Warum hast du mich eigentlich auf Vancouver Island besucht? Ich kam gar nicht dazu, dich das zu fragen, du hast ja die meiste Zeit auf meinem Gesicht gesessen. Dein Besuch kam ganz schön unerwartet.“

„Aber toll war er trotzdem, oder?“, fragt sie, die Brauen gehoben, als wüsste sie ganz genau, dass ich das niemals leugnen würde.

„Klar.“

Mit der Zunge befeuchtet sie die Stelle zwischen Daumen und Zeigefinger, schüttet etwas Salz darauf und sagt: „Du möchtest es wirklich wissen? Na schön: Ich war mir nicht sicher, ob ich meiner Erinnerung aus Vegas trauen konnte.“

„Du meinst, ob der Sex mit mir wirklich so gut war?“

„Genau.“

„War er“, versichere ich ihr.

„Das weiß ich jetzt auch.“ Sie leckt das Salz ab, trinkt den Tequila und schnappt sich ein Zitronenstück vom Küchentresen, saugt kurz daran, dann murmelt sie zwischen ihren feuchten geschürzten Lippen: „Schade nur, dass der Mann, dem der Penis gehört, so ein tragischer Loser ist.“

Ich nicke teilnahmsvoll. „Stimmt.“

„Ist lustig, mit dir zu reden“, sagt sie und tritt einen halben Schritt zurück, als würde sie mich zum ersten Mal richtig betrachten. Dann fügt sie an: „Wegen deiner unerwartet lockeren Art.“

„Du bist betrunken.“

Sie schnippt vor meinem Gesicht mit den Fingern. „Genau.

Es ist der Tequila, der es so lustig mit dir macht.“

Ich lache, streiche mir mit der Hand über den Mund. „Heute Abend scheinst du bessere Laune zu haben“, sage ich.

„Es gibt ein paar Sachen, die mich gerade sehr beschäftigen und an die ich nicht zu denken versuche. Außerdem“, sagt sie und hebt ihr leeres Glas, „das hier hilft immens.“

„Wie viele hattest du schon?“

„Genug, um nicht mehr so viel nachzudenken, und zu wenig, um überhaupt nicht mehr nachzudenken.“

Das ist eine ziemlich deprimierende Antwort für eine Frau, die ich die ganze Zeit für aufgekratzt, sexy und absolut unbesorgt gehalten hatte. Echt, ich weiß kaum etwas über Harlows Leben. Ich weiß, dass sie ein schönes, reiches Mädchen ist und dass wahrscheinlich eine ganze Reihe hübscher reicher Jungs vor ihrer Tür Schlange stehen. Ich weiß, dass sie Lola und Mia eine loyale Freundin ist, und weil sie offenkundig ein Mensch mit einem ausgeprägten Helfersyndrom ist, war sie die treibende Kraft hinter Ansels und Mias Versöhnung. Aber davon abgesehen weiß ich kaum etwas über sie. Ich weiß nicht einmal, was sie für einen Job hat … oder ob sie überhaupt arbeitet.

„Möchtest du dir irgendetwas von der Seele reden?“, biete ich ihr halbherzig an.

„Nein“, sagt sie und spült den nächsten Tequila hinunter.

In meiner Hosentasche vibriert das Telefon, und anstelle meines warmen, trunkenen Wohlbehagens tritt schlagartig ein Gefühl der Furcht. Ohne nachschauen zu müssen, weiß ich, dass dies die Nachricht ist, auf die ich gewartet habe. Zu Hause checkt mein jüngster Bruder, Levi, gerade das größte Boot unserer Flotte durch, die nach unserer Mutter benannte Lindaund so, wie die Dinge zuletzt liefen, würde ich darauf wetten, dass es keine gute Nachricht ist.

Kurzschluss, alle Instrumente im Steuerhaus ausgefallen.

Fuck.

Obwohl es mindestens hundert verschiedene Flüche gibt, die ich auf der Stelle eintippen könnte, antworte ich nicht sofort. Stattdessen stecke ich das Telefon wieder weg, schenke mir einen Tequila ein und stürze ihn hinunter. Es hilft.

„Alles in Ordnung?“, fragt Harlow und beobachtet mich.

Ich spanne meinen Kiefer gegen das brennende Gefühl an und spüre, wie es meinen Körper wärmt, während es in meinen Magen herabrinnt. „Du bist nicht die Einzige, die den Kopf voll hat.“

„Dann lass uns noch einen trinken.“ Sie schenkt uns zwei weitere Tequila ein und reicht mir einen. Mir ist klar, dass es mir nicht wirklich helfen wird. Morgen früh – oder vielleicht etwas später – werde ich mit einem dicken Kopf erwachen, und die Instrumente auf der Linda werden immer noch nicht funktionieren. Unsere Lebensgrundlage wird noch genauso gefährdet sein wie jetzt. Aber verdammt, ich würde das Ganze gern eine Weile vergessen.

Ich nehme den Tequila und betrachte kurz die durchsichtige Flüssigkeit, ehe ich mich zu Harlow vorbeuge und meine Lippen beinahe ihr Ohrläppchen streifen. „Als wir das letzte Mal zusammen Tequila getrunken haben, nahm es kein gutes Ende, wie wir wissen.“

„Stimmt“, sagt sie und lehnt sich gerade so weit zurück, dass unsere Blicke sich treffen. „Aber es gibt in San Diego keine Vierundzwanzig-Stunden-Kapelle, in der irgendein ruchloser Idiot uns verheiraten würde, daher kann uns, glaube ich, nichts Schlimmes passieren.“

Da hat sie recht.

Harlow spült ihren Drink hinunter und schüttelt sich. „Ooooh … noch einen werde ich nicht schaffen.“ Sie hebt die Hände und tut so, als würde sie etwa dreißig Tequila-Shots aufzählen, und dann lächelt sie zu mir auf. „Wenn ich noch einen trinke, würde ich mein Gesicht in der Schüssel mit den Fritos versenken, auf die London so steht.“

Sie mag sich ein wenig verzählt haben, ich nicht. Nach vier Tequilas in der Küche mit Harlow bin ich zum ersten Mal seit Jahren – abgesehen von Vegas – betrunken.

Es kommt mir vor, als wäre er eine Stunde verschwunden gewesen, als Not-Joe in einer Wolke aus Marihuana-Duft zurückkehrt. Während er auf mich zukommt, streckt er mir seine Hand hin und sagt sehr langsam: „Ich bin Not-Joe … schön, dich kennenzulernen.“

Lachend erinnere ich ihn: „Wir sind uns vorhin im Laden begegnet, als Oliver einen letzten Inspektionsgang gemacht hat.“

Not-Joe schnalzt leise mit der Zunge und sagt: „Ach, deshalb kommst du mir so bekannt vor.“

Es war vor drei Stunden. Der Bursche atmet wahrscheinlich nur, wenn er einen Joint im Mund hat.

„Du bist der Holzfäller aus Nova Scotia?“, fragt er.

„Der Fischer aus Vancouver Island.“

Harlow bricht in Gelächter aus. „Armer Finn.“

Not-Joe schaut zwischen mir und Harlow hin und her. „Dann kennt ihr beiden euch auch durch Oliver?“, fragt er.

„Nicht ganz“, sagt sie und wirft mir ein schiefes Grinsen zu. „Finn ist mein Exmann.“

Not-Joes Augen werden groß wie Untertassen. „Dein Exmann?

Ich nicke. „Es stimmt.“

Der Bursche betrachtet Harlow, und dann sieht er sie richtig

an. Sein Blick wandert an ihr auf und ab, und zwar auf eine Weise, dass ich ihm am liebsten eine Ohrfeige verpassen würde, damit er zur Besinnung kommt und aufhört, sie anzuglotzen.

„Du siehst aber nicht alt genug aus, um schon wieder geschieden zu sein“, schlussfolgert er schließlich.

Ich beuge mich vor, damit er seine Aufmerksamkeit von Harlows Brüsten abwendet. „Ich aber schon?“

Nun mustert er mich, aber mit weit weniger Interesse. „Ja, natürlich. Du bist älter als sie, stimmt’s?“

„Stimmt“, sage ich lachend, während Harlow neben mir fröhlich kichert. „Vielen Dank.“

Not-Joe schiebt seine Hand in eine Tüte Mais-Chips auf dem Tresen und fragt: „Muss komisch sein, mit dem Ex auf einer Party rumzuhängen, oder?“

Sie winkt ab. „Ach was, Finn ist ein total lockerer Typ.“

„Ach ja?“, frage ich sie und muss lachen, denn wenn es jemals ein Wort gab, das mich beschreibt, dann ist es gewiss nicht locker. Ansel ist locker. Viele Leute sagen, ich sei „verschlossen“. Und da ist durchaus etwas dran. Locker bin ich jedenfalls nicht.

Harlow nickt, mustert mich kurz und sagt: „Ja. Du magst lange Spaziergänge am Hafen, bastelst aus Angelleinen gern kleine Traumfänger und reißt in der örtlichen Elch-Bar bevorzugt die MILF-Gattinnen irgendwelcher Mounties auf.“

Ich pruste los. „Häh, mach ich das?“

Sie schürzt ihre Lippen, was sie auf eine süße Weise nachdenklich aussehen lässt. „Mm-hmm.“

„Nun“, entgegne ich, „du bist auch ziemlich locker drauf, wenn man mit dir zusammen ist. Es hilft, dass du ein Mädchen bist, das gern Spaß hat, gern shoppen geht, sich täglich die Nägel lackiert und …“ Ich gebe vor, intensiv nachzudenken, ehe ich wiederhole: „Gern shoppen geht.“

Sie legt ihre Hand an meine Wange und himmelt mich übertrieben an. „Ich finde es toll, wie gut wir uns kennen.“

„Find ich auch.“

Gleichzeitig heben wir unsere leeren Schnapsgläser und stoßen an.

„Warum habt ihr euch eigentlich scheiden lassen?“, fragt Not-Joe. „Ihr scheint euch sehr zu mögen.“

„Tatsächlich?“, sage ich, ohne meinen Blick von Harlow zu lösen. Bis heute Abend war ich nie auf den Gedanken gekommen, dass ich sie besonders mochte.

Schließlich wendet sie ihren Blick von mir ab und sagt zu Not-Joe: „Die Wahrheit ist, wir waren in Vegas nur eine Nacht und vielleicht einen halben Tag lang verheiratet. Zusammengenommen haben wir höchstens vierundzwanzig Stunden miteinander verbracht, hauptsächlich betrunken oder nackt.“

„Oder beides“, füge ich an.

„Im Ernst?“

Wir nicken beide.

„Abgefahren.“

„Das war es, glaub mir“, pflichtet sie ihm bei und gibt vor, mich böse anzufunkeln. „Sehr abgefahren.“

Ich schaue auf ihre Lippen, während sie sich mit der Zunge darüberleckt, und der Anblick jagt mir einen Stromstoß über die Haut und direkt in meinen Schwanz. Genau genommen bin ich fast betrunken genug, um ihr vorzuschlagen, ihre Zunge doch noch einmal meinem Penis vorzustellen.

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