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Fünftausend Gründe, warum ich dich liebe

»Deinen Bildern fehlt es an Herz.« Abby kann nicht fassen, dass dies der Grund ist, warum sie von der Kunstausstellung ausgeschlossen wird. Nachdem sie den ersten Schock verdaut hat, stellt sie eine »Herzensliste« zusammen, um ihren Werken künftig mehr Tiefe zu verleihen. Der erste Punkt ist schon erledigt: Liebeskummer. Denn ihr bester Freund Cooper erwidert ihre Gefühle nicht. Bleiben noch zehn weitere Herausforderungen. Die größte davon: sich neu zu verlieben! Aber Herzensdinge lassen sich nicht so leicht abhaken, wie Abby dachte …

»Süße Küsse, liebenswerte Figuren, wortgewandte, witzige Dialoge - für diesen Roman muss man einfach schwärmen!«
Romantic Times Book Reviews

»Kasie Wests Romane machen uns immer wieder verliebt in die Liebe!«
Justine Magazine


  • Erscheinungstag: 05.11.2018
  • Seitenanzahl: 352
  • Altersempfehlung: 14
  • Format: E-Book (ePub)
  • ISBN/Artikelnummer: 9783959678070

Leseprobe

Für meine Abby, die hart arbeitet, laut lacht und große Träume hat.
Du bist für mich die reinste Freude, und ich liebe dich!

1. KAPITEL

»Heiß oder kalt?«

»Heiß. Ich hasse es, zu frieren. Das weißt du doch.«

Allein beim Gedanken daran bekam ich eine Gänsehaut, obwohl es Hochsommer war, was Cooper wahrscheinlich zu der Frage bewegt hatte. Es war heiß. So heiß, dass sich der Schweiß in meinen Kniekehlen sammelte. Wir standen bereits seit gut zwanzig Minuten in der Schlange an der Kasse des Strandkinos, und ich konnte es kaum erwarten, dass die Sonne untergehen und vielleicht sogar ein erfrischender Wind wehen würde.

Cooper schüttelte den Kopf. »Ja, das weiß ich, aber ich das meinte ich nicht. Würdest du lieber erfrieren oder an einem Hitzschlag sterben?«

»Ganz schön düster.« Ich schürzte die Lippen. »Doch du hast recht, das ist etwas anderes. Ich habe gehört, dass es zauberhaft sein soll, zu erfrieren.«

»Von wem hast du das gehört? Besuchen dich die Geister von Menschen, die erfroren sind?«

»Ja. Jeden Tag. Wo wir gerade davon sprechen, würdest du lieber von Geistern oder von Zombies heimgesucht werden?«

»Heimgesucht? Heimgesucht?« Er fasste mich an den Schultern und schüttelte mich. »Das wäre doch keine Heimsuchung. Das hört sich fantastisch an. Ich nehme beides.«

»So funktioniert das nicht. Du musst dich für eine Sache entscheiden.«

»Dann Geister. Ich hoffe, sie können mir etwas über meine Zukunft erzählen.«

»Geister können aber nicht in die Zukunft sehen«, widersprach ich, während sich die Schlange bewegte und wir der Kasse ein Stückchen näher kamen. Ich schüttelte meinen rechten Fuß, um meine Flip-Flops vom Sand zu befreien. »Wenn überhaupt, dann in die Vergangenheit.«

»Sagt wer?«

»Jeder sagt das, Cooper. Wenn Geister etwas wissen, dann über die Vergangenheit.«

»Na ja, deine Geister vielleicht, Abby. Meine allerdings sind Hellseher-Geister. Das wird großartig.«

Ein Mädchen, das in der Schlange vor uns stand, drehte sich um und lächelte Cooper an. Sie war in unserem Alter, und vermutlich hielt sie ihn für umwerfend. Das war er auch. Ihr Haar war zu einem gewollt unordentlichen Dutt gebunden, und ich fragte mich, wie andere Leute es anstellten, dass es bei ihnen gewollt unordentlich aussah und nicht einfach nur unordentlich.

»Hi«, sagte Cooper zu ihr. »Wie geht’s?«

»Jetzt gut«, antwortete sie kichernd und drehte sich wieder um.

Ich schüttelte den Kopf. »Ja, beachte mich einfach nicht. Du weißt schon – das Mädchen, das neben dem Typen steht, mit dem du gerade flirtest.«

An meinem Tonfall merkte sie sicher, dass ich nur Spaß machte, aber Cooper hielt mir dennoch hastig den Mund zu und meinte: »Die beste Freundin des Typen, mit dem du gerade flirtest. Einfach nur Freunde. Der Typ ist total zu haben.«

Ich schob seine Hand weg und lachte, obwohl es nicht meine Entscheidung gewesen war, dass wir »einfach nur Freunde« waren. Um genau zu sein, hatte ich Cooper Wells vor exakt einem Jahr meine Liebe gestanden. An seiner Reaktion darauf hatte ich mehr als deutlich erkannt, dass er diese Gefühle nicht erwiderte, also hatte ich so getan, als hätte es sich um einen Scherz gehandelt. Was er mir nur zu gern abgekauft hatte. Und ich ließ ihn, denn ich wollte unsere Freundschaft nicht zerstören. Er war der beste Freund, den man sich vorstellen konnte.

Eine vertraute Stimme ertönte hinter uns. »Was mich zu der Frage verleitet, was euch lieber wäre: einen weiteren Abend mit euren besten Freunden zu verbringen oder eure Sachen für eine Reise zu packen, auf die euch eure Eltern mitschleppen.«

Ich wirbelte herum und grinste breit. »Sag nicht so etwas wie ›verleiten‹, Rachel. Mein Großvater benutzt dieses Wort, und er ist achtzig Jahre alt.«

Rachel stand da, die Hände in die Hüften gestemmt, und ihre dunklen Augen glänzten. »Rate mal, von wem ich es habe. Übrigens ist er erst achtundsechzig.«

Ich stieß sie freundschaftlich mit der Hüfte an und umarmte sie. »Woher wusstest du, dass wir Würdest du lieber spielen?«

»Spielen wir das nicht immer?«

»Stimmt auch wieder. Ich dachte, du schaffst es heute Abend nicht?«

Unsere kleine Clique bestand aus vier Leuten: Cooper, Rachel, Justin und mir. Justin war letzte Woche weggefahren und würde den ganzen Sommer über mit seiner Kirchengruppe in Südamerika sein. Rachel wollte morgen wegfliegen und mit ihren Eltern durch Europa reisen. Damit blieben für den Rest des Sommers nur noch Cooper und ich übrig.

»Das dachte ich auch. Jetzt zurück zu der Frage, zu der ihr mich verleitet habt«, sagte Rachel. »Packen oder die besten Freunde?«

»Schwierige Entscheidung, Rach«, antwortete Cooper. »Wahrscheinlich ›packen‹.«

Sie boxte ihm auf den Arm. »Sehr lustig.«

Endlich erreichten wir das Ende der Schlange, und Cooper ging zu dem Tisch, der im Sommer jeden Freitagabend als Ticketschalter für das Kino diente. »Bist du Cooper?«, fragte der Mann hinter der Kasse.

»Schon möglich«, antwortete Cooper zögerlich.

»Das Mädchen da hat schon für dich bezahlt.« Er nickte hinüber zu dem Mädchen mit dem unordentlichen Haarknoten, die bereits auf dem Weg zum Eingang war. Sie musste gehört haben, wie ich Cooper mit seinem Namen angesprochen hatte.

»Was ist mit unseren Karten?«, rief ich ihr hinterher und hakte mich bei Rachel ein.

Das Mädchen warf uns über die Schulter hinweg ein Lächeln zu und winkte.

»Ich hasse dich«, meinte ich zu Cooper. »Wo sind die Leute, die für meinen Freitagabend bezahlen?« Ich kramte in meiner Strandtasche, wo ich schließlich, unter meinem Handtuch und dem Pullover vergraben, mein Portemonnaie fand. Dann reichte ich dem Kassierer das Geld und kriegte mein Kinoticket. Rachel tat das Gleiche.

»Du musst eben an deinem Charme arbeiten«, erklärte Cooper.

»Ich bin hier die charmanteste Person weit und breit.« Ich warf mir die Strandtasche wieder über die Schulter, wo sie wie ein Pendel hin- und herschwang. »Ich triefe nur so vor Charme.«

»Ekelhaft«, bemerkte er. »Falls es so ist, machst du irgendetwas falsch.«

»Hey, Jungs, holt euch etwas von meinem triefenden Charme!«, rief ich der Schlange hinter uns zu.

»Beweg deinen triefenden Charme von der Kasse weg«, ertönte prompt die Antwort.

Rachel zerrte mich zur Seite, wahrscheinlich war ich ihr peinlich. Als wir weitergingen, hielt Cooper auf den Imbisswagen direkt hinter der Absperrung zu.

»Kaufen wir heute Abend etwa teures Essen?«, fragte ich verwundert.

»Scheint so, als hätte ich bei der Eintrittskarte ein bisschen Geld gespart. Jetzt kann ich mir das Popcorn für zehn Dollar leisten.«

»Ich hasse dich immer noch. Und ich werde all dein Popcorn aufessen.«

Er lachte. »Du triefst wirklich vor Charme, Abby Turner. Und wie.«

Ich hauchte ihm einen Kuss zu. »Wir besetzen schon mal Plätze, und du kümmerst dich um das Essen.«

»Bin dabei.«

Ich wollte mich gerade mit Rachel auf den Weg machen, da entdeckte ich in der Schlange vor dem Imbisswagen das Mädchen mit dem Dutt. Beinahe wäre ich umgedreht und hätte Rachel allein losgeschickt, um uns Plätze zu sichern, nur damit Cooper nicht alleine anstand. Aber dann tat ich es doch nicht. Ich musste seine Flirterei nicht unbedingt mitbekommen. Das bisschen, was ich vorhin erlebt hatte, reichte mir.

»Du wirst niemals erraten, was meine Eltern sich für den Urlaub haben einfallen lassen«, begann Rachel, während ich einige Handtücher aus meiner Tasche zog und sie auf dem Boden ausbreitete.

»Dass du doch nicht mit nach Europa musst und stattdessen den ganzen Sommer lang bei mir bleiben kannst?«, versuchte ich es trotzdem.

»Schön wär’s.«

»Du weißt schon, wie verwöhnst du klingst, wenn du dich darüber beschwerst, neun Wochen lang kreuz und quer durch Europa zu reisen, oder?«

»Mit meinen Eltern. Das ist nicht wie eine aufregende Reise mit Freunden, bei der man in Hostels übernachtet und solche Sachen. Wir werden uns die Gräber von meinen Vorfahren anschauen und zu irgendwelchen Fleckchen Land fahren, nur weil angeblich der Bruder meines Ururgroßvaters dort hingepinkelt hat, oder etwas in der Art.«

»Warte mal, deine Vorfahren kommen aus Europa?«

»Manche von ihnen schon. Denkst du etwa, es gibt in Europa keine Schwarzen? Komm schon, Abby.«

»Es ist nicht so, dass ich denken würde, dass … du hast recht. Ich bin dämlich. Egal. Also, was haben deine Eltern sich einfallen lassen?«

»Wir wollen eine technikfreie Reise machen.«

»Was soll das bedeuten?« Ich ließ mich auf das Handtuch sinken und schlüpfte aus meinen Flip-Flops. »Kein Google Maps?«

»Kein Handy.«

Ich riss die Augen auf. »Du darfst dein Handy nicht mitnehmen?«

»Entgiftung. So haben sie es genannt.«

»Ich würde es eher Folter nennen.«

»Ich weiß!« Sie ließ sich neben mich auf den Boden plumpsen. »Du darfst diesen Sommer nichts Aufregendes machen, weil du mir nicht davon berichten kannst.«

»Keine Angst. Es wird alles genauso sein wie immer, wenn du nach Hause kommst«, versicherte ich ihr. Genauso. Wie. Immer.

»Das will ich hoffen.«

Ich vergrub meine Zehen im Sand und sah, wie Cooper zu uns kam, Popcorn in der einen und eine Flasche Wasser in der anderen Hand. Sein Haar war heute etwas lockiger als sonst und schimmerte im Licht der untergehenden Sonne wie ein Heiligenschein. Der Blick aus seinen blauen Augen traf meinen, und ich konnte nicht anders, als zu lächeln.

»Wie war es an der Fressbude?«

»Fressbude? Und du machst dich darüber lustig, dass Rachel wie eine Achtzigjährige spricht?«

»Blablabla, wie auch immer.«

Er setzte sich neben mich und gab mir die Wasserflasche.

»Was soll ich damit? Ich brauche Koffein.«

»Du hast mir erst gestern erzählt, dass du keine Softdrinks mehr trinken willst. Und du hast dich ziemlich dramatisch ausgedrückt, um ehrlich zu sein. Und dann hast du noch gesagt: ›Das kannst du mir glauben, Cooper.‹«

»Was?«, mischte sich Rachel ein. »Du hast gestern Abend noch über einen Liter Mountain Dew runtergestürzt, als du bei mir warst.«

»Pst.« Ich legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Darüber müssen wir kein Wort mehr verlieren.«

Cooper hüstelte, und Rachel stieß meine Hand von sich.

»Was denkt ihr denn, wer ich bin? Wonder Woman? Mein Gott.« Ich öffnete die Flasche und trank einen Schluck Wasser.

»Sie heißt Iris«, meinte Cooper und nickte hinüber zu dem Imbisswagen und dem Mädchen, das sein Ticket bezahlt hatte.

»Oh nein«, sagte Rachel.

Ich brachte ein aufgesetztes mitleidiges Brummen hervor. »Der Todesstoß – ein Name, den man nicht abkürzen kann. Sie konnte ja nicht ahnen, dass es ihr Ende sein würde, sobald sie dir ihren Namen verraten hat.«

»Diesen Namen kann man wirklich überhaupt nicht abkürzen. I. Soll ich sie etwa I nennen?«, fragte Cooper.

»Du könntest auch einfach weniger faul sein und sie mit ihrem vollen Namen ansprechen.«

»Das hat doch mit Faulheit nichts zu tun. Es geht darum, was mir in einer Beziehung wichtig ist. Und dazu gehört nun mal, meiner Freundin einen Spitznamen geben zu können.«

»Schon klar, du denkst, das macht dich irgendwie sexy, oder so. Aber das tut es wirklich kein bisschen«, erwiderte ich schnaubend.

Er schnappte sich eine Handvoll Popcorn und zuckte mit den Schultern. »Unwichtig.«

Kurz überlegte ich. »Wie wär’s mit Ris?« Warum half ich ihm eigentlich dabei, eine Freundin zu finden? Abgesehen davon, dass ich mir dadurch einreden konnte, meine Gefühle für ihn erfolgreich unterdrückt zu haben. Die Gefühle, von denen keiner wusste, außer mir … und meiner Mom … und vielleicht Cooper, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass ich ihn letztes Jahr davon überzeugt hatte, dass alles nur ein Scherz gewesen war.

»Ris klingt süß«, stimmte Rachel mir zu und nahm sich ebenfalls eine Handvoll Popcorn von Cooper.

»Hm«, meinte er. »Das könnte funktionieren. Gut, dass ich ihre Nummer habe.«

»Sie hätte mein Ticket bezahlen sollen. Ich habe gerade dafür gesorgt, dass sie noch Chancen bei dir hat.« Ich sah zur Sonne, die am Horizont direkt über dem Ozean schwebte und kurz davor war, in ihm zu versinken.

»Wie ist es bei euch beiden?«, fragte Cooper. »Was ist euch in einer Beziehung wichtig?«

»Jetzt gerade ist es mir vor allem wichtig, einen Italiener mit langen schwarzen Locken und einem so starken Akzent zu finden, dass ich kein Wort verstehe. Aber weil er ein fantastischer Küsser ist, wäre das unwichtig.«

Ich lachte. »Ist das bevor oder nachdem du mit deinen Eltern das Fleckchen Land besichtigt hast, auf das dein Uronkel gepinkelt hat?«

»Definitiv davor … und dann auch noch danach. Wie sieht’s bei dir aus, Abby? Was ist dir wichtig?«

Ich drehte mich auf den Bauch und begann, mit dem Finger in den Sand zu zeichnen. »Er müsste auf jeden Fall ein Künstler sein. Jemand, der malen oder zeichnen kann oder etwas in der Art.«

»Doch was ist, wenn er besser ist als du? Wieso willst du jemanden, der genau das Gleiche kann wie du?«, wollte Rachel wissen.

»Ja«, pflichtete Cooper ihr bei. »Es würde garantiert in einen Wettkampf ausarten.«

»Nur weil du alles in einen Wettkampf verwandeln musst, heißt das nicht, dass es bei jedem so ist, Coop.«

»Siehst du, mein Name ist perfekt. Wenn man ihn abkürzt, ist das Ergebnis absolut episch.«

»Ich würde nicht unbedingt episch sagen, aber es ist auf jeden Fall süß«, antwortete ich.

»Dabei fällt mir etwas ein«, erwiderte Rachel. »Neulich hat mich jemand auf eines deiner Bilder angesprochen. Er hat es im Kunstraum gesehen, bevor die Schule schloss, und konnte es seitdem nicht mehr vergessen.«

»Wer war das?«

»Ich kannte ihn nicht. Er hat mich bei Starbucks gesehen, und ich schätze, er wusste, dass wir Freunde sind.«

»Cool«, sagte Cooper.

Ich biss mir auf die Lippe und lächelte. Siehst du, Cooper? Ich hab auch Charme. Ich bin wohl doch kein so schlechter Fang. Ich bin eine Künstlerin! hätte ich am liebsten geschrien.

»Also wenn es um eine Beziehung geht«, begann Rachel, »würde es auch genügen, deine Bilder zu mögen, statt selbst ein Künstler zu sein? Denn wenn es so ist, dann musst du unbedingt mal mit dem mysteriösen Typen ausgehen.«

»Ja! Das musst du wirklich«, stimmte Cooper ihr zu.

»Meine Bilder zu mögen ist auf jeden Fall fast genauso gut, wie selbst ein Künstler zu sein. Also ein Glück, dass du so viele Informationen über ihn hast, Rachel.«

»Ein unbedeutender Rückschlag.«

Auf der riesigen Leinwand vor uns begann der Film, und Musik dröhnte aus den Lautsprechern.

»Ich muss kurz zur Toilette. Bin gleich wieder da«, flüsterte Rachel mir ins Ohr und eilte davon.

Cooper drehte sich auch auf den Bauch und lag jetzt dicht neben mir. So dicht, dass unsere Schultern sich berührten. Er fing an, neben meinem Kunstwerk Strichmännchen in den Sand zu malen. »Scheint so, als hätten wir diesen Sommer ganz für uns.«

Seine Worte ließen mein Herz in die Höhe springen. Wir sind über ihn hinweg, erinnerte ich es mahnend. Er ist schließlich einer unserer besten Freunde. Wir würden einen Sommer allein mit Cooper Wells schon überstehen. »Jap.« Ich streckte den Arm aus und zeichnete Räder unter eins der Strichmännchen im Sand. »Heizt du diese Woche wieder durch die Dünen?« Cooper fuhr mit seinem Quad-Bike in einer Amateurliga mit, die von einigen Quad-Verrückten gegründet worden war.

»Am Mittwoch. Und ich erwarte, dass du mit einem großen Schild an der Seitenlinie wartest, auf dem Cooper ist die Nummer eins geschrieben steht.«

»Aber was ist, wenn du Zweiter wirst? Das wäre dann irgendwie komisch.«

Er stieß mich mit der Schulter an.

»Ich werde da sein. Hab ich jemals ein Rennen verpasst?«

»Na ja, du kommst sonst immer mit Rachel und Justin, deshalb war ich mir nicht sicher.«

»Ich habe dir früher auch ohne sie zugeschaut.« Ich kannte Cooper am längsten von uns, seit der achten Klasse. Seit damals waren wir unzertrennlich. Rachel und Justin waren erst in der neunten dazugestoßen.

»Das stimmt. Und ich habe beschlossen, dass du mein Glücksbringer bist, also musst du für immer und ewig zu den Rennen kommen.«

»Das werde ich.« Ich würde für immer und ewig Coopers Fan sein. Bei diesem Gedanke wäre ich am liebsten aufgesprungen und gegangen, um mir einen letzten Rest Würde zu bewahren. Doch dann lächelte er mich an, und ich blieb einfach liegen.

2. KAPITEL

Im Sommer schlief ich normalerweise so lange wie nur möglich. Aber an diesem Morgen fiel ein Lichtstrahl zwischen zwei nicht richtig geschlossene Vorhänge in mein Zimmer und weckte mich. Schließlich stand ich auf, durchquerte den Raum und machte die Vorhänge ganz zu. Dann versank ich wieder zwischen meinen Kissen und zog mir die Decke bis über die Ohren. Es half nichts, denn ich hörte dennoch, wie mein Telefon auf dem Nachttisch neben mir vibrierte. Ich beschloss, es zu ignorieren, aber als es erneut vibrierte, siegte die Neugier. Eine Nachricht von Rachel leuchtete auf dem Display auf.

Dann die nächste:

Wahrscheinlich länger schlafen.

Ich lächelte und rieb mir die Augen.

Du wirst mir fehlen! Versprich mir, dass du nicht am Ende irgendeinen Italiener lieber magst als mich.

Ich glaube nicht, dass ich Gefahr laufe, in näherer Zukunft irgendwelche Italiener zu mögen.

Ich weiß. Gute Reise! Ruf mich mal von einer Telefonzelle aus an, wenn du eine findest. Denkst du, die haben noch Telefonzellen?

Ich starrte mein Handy an, aber mir fiel nichts ein, was ich noch sagen wollte. Es würde wirklich ein langer Sommer werden ohne Rachel und Justin. Als hätte er meine Gedanken gelesen, strich mein Finger über das Display und öffnete eine Internetseite, die ich unter meinen Favoriten gespeichert hatte. Die Bewerbungsseite für die Winterkurse der Wishstar-Kunstakademie. Das Winterprogramm, von dem ich schon so lange träumte. Und das Winterprogramm, das mir bei den College-Bewerbungen helfen würde, es auf eine wirklich gute Kunstakademie zu schaffen. Das hatte mir zumindest mein Kunstlehrer gesagt. Und es war Wishstar. Sie hatten fantastische Lehrer dort, und ich konnte es kaum erwarten, die Winterferien zusammen mit anderen Künstlern zu verbringen. Wir würden wochenlang neue Techniken lernen, mit unterschiedlichen Materialien arbeiten und durch Vorträge inspiriert werden, bei denen Künstler ihre Erfolgsgeschichten mit uns teilten. Ich wollte Leute treffen, die mit Kunst tatsächlich ihr Geld verdienten, und mit dem Wishstar-Programm meine Chancen erhöhen, es ihnen irgendwann gleichzutun.

Ich las mir aufmerksam die Internetseite durch, wie ich es in den letzten sechs Monaten schon ungefähr eine Million Mal gemacht hatte. Ich überflog die Liste der Voraussetzungen, die sich natürlich nicht geändert hatten. Alter, Erfahrung, ein Empfehlungsschreiben, Ausstellungen und Verkäufe. Sie akzeptierten nur Leute, die mindestens im letzten Highschool-Jahr waren, und in diesem Herbst würde ich endlich alt genug sein. Ich hatte gehört, dass die meisten Teilnehmer schon das College besuchten oder sogar schon einen Abschluss hatten, aber das würde mich nicht aufhalten. Ich hatte Erfahrung, eine ganze Mappe voller Zeichnungen und Bilder, die ich beilegen konnte. Und ich wusste, wen ich um das Empfehlungsschreiben bitten würde. Also blieb nur noch eine Sache: Ausstellungen und Verkäufe. Ich hatte meine Werke noch nie außerhalb der Schule öffentlich gezeigt, und ich hatte auch noch nie etwas verkauft. Doch ich hatte einen Plan. Die Vorfreude ließ mich schlagartig hellwach werden, und ich warf die Decke zurück.

Ich tapste durch den Flur zu meinem Badezimmer – und stolperte um ein Haar über meine Mutter, die auf dem Fußboden lag. Sämtliche Schränke standen offen, und Shampoo, Haarspray und Fensterreiniger standen neben ihr. In einer Hand hielt sie eine Taschenlampe, mit der sie unter das Waschbecken leuchtete, und in der anderen eine Fliegenklatsche.

»Ähm. Was machst du da?«, fragte ich.

»Hast du schon mal von der Braunen Einsiedlerin gehört?«

»Dieser Spinne?«

»Genau. Ich wollte nur sichergehen, dass keine davon unter deinem Waschbecken sitzt.«

»Hast du dort vielleicht ein Spinnennetz entdeckt? Oder einen ausgesaugten Mäusekadaver?« Ich hockte mich hin, um besser sehen zu können, und warf dabei eine Flasche mit Conditioner um.

»Nein, aber ich habe im Internet von einem Mädchen gelesen, das durch einen Biss dieser Spinne fürchterlich entstellt wurde, nachdem sie unter dem Waschbecken nach ihrem Shampoo gegriffen hatte. Und dann ist mir eingefallen, dass du auch dein Shampoo dort aufbewahrst. Deshalb dachte ich, dass ich besser mal nachschaue.«

»Mom.« Ich sammelte die Flaschen vom Boden ein und begann sie wieder unter dem Waschbecken zu verstauen. »Hör endlich auf, solche Horrorgeschichten im Internet zu lesen und sofort zu denken, dass uns das Gleiche passiert. Wenn ich schon fürchterlich entstellt werde, dann will ich, dass es auf meine ganz eigene Art und Weise passiert.«

Sie setzte sich auf und sah mich streng an. »Abigail. Über so etwas macht man keine Scherze.« Ihr dunkles Haar war zerzaust, so als wäre sie geradewegs aus dem Bett in mein Badezimmer gestürmt.

Ich schaltete die Taschenlampe aus und hielt sie mir wie ein Mikrofon vor den Mund. »Kann ich mein Badezimmer wieder für mich haben? Ich brauche es jetzt.«

Sie seufzte und stand auf. »Ich muss sowieso noch die anderen Badezimmer überprüfen.«

Ich schloss hinter ihr die Tür ab und stellte die Dusche an. Dann wanderte mein Blick hinüber zu dem Schrank, der über dem Waschbecken hing. Schließlich verdrehte ich die Augen, riss die Schranktüren auf und starrte hinein. Danach machte ich sie wieder zu. In meinem Badezimmer gab es keine Spinnen.

Nachdem ich rasch geduscht hatte, zog ich mein übliches Sommer-Outfit an, das aus einer abgeschnittenen Shorts und einem Tanktop bestand. Mein blondes welliges Haar band ich zu einem Pferdeschwanz zusammen und ging in die Küche. Dort angekommen, lief ich zum Vorratsschrank, stellte mich auf die Zehenspitzen, um das obere Fach zu erreichen, und holte zwei Portionen Haferbrei aus der Schachtel, die ich dann zusammen mit etwas Wasser in eine Plastikschale füllte und in die Mikrowelle stellte. Als der Timer schließlich piepte und mir sagte, dass mein Frühstück fertig war, war auch mein Großvater aufgewacht. Ich hörte ihn durch den Flur schlurfen.

»Was ist denn hier los?«, fragte er, während er die Küche betrat. »Braucht die Prinzessin heute gar nicht ihren Schönheitsschlaf?«

»Sehr witzig, Grandpa.«

»Deine Großmutter fand mich immer witzig. Aber seitdem hat das keine andere Frau mehr getan. Eine Tragödie.«

»Ihr Tod oder dass dich seitdem niemand mehr witzig gefunden hat?«

»Oh, wir sind heute wohl ein Schlaumeier, wie?«

Meine Großmutter war schon drei Monate vor meiner Geburt an Krebs gestorben. Da ich sie nicht mehr kennengelernt hatte, fiel es mir schwer, sie wirklich zu vermissen, aber ich wusste, dass sie meinem Großvater schrecklich fehlte. Selbst wenn er ab und zu Witze darüber machte. Er war nach ihrem Tod bei uns eingezogen.

»Willst du auch Haferbrei?«, fragte ich ihn und hielt ihm die Schüssel hin, aus der ich noch nicht gegessen hatte.

»Nein, ich will irgendetwas, wo ordentlich Zucker drin ist.«

»Da sind zwei Packungen mit Zimtgeschmack. Ich bin mir sicher, dass da ordentlich Zucker drin ist.«

»Aber es sieht aus, als wäre es gesund. Das gefällt mir nicht.« Dann nahm er sich eine eigene Schüssel und eine Packung Cornflakes aus dem Regal.

»Wie bist du nur achtzig Jahre alt geworden, wenn du solche Sachen isst, Grandpa?«

»Ich bin nicht achtzig. Wieso musst du mich immer älter machen, als ich bin? Es scheint fast, als wolltest du mich loswerden.«

Ich schnappte mir einen Löffel aus der Küchenschublade und setzte mich auf den Tresen. Dann zog ich meine nackten Füße heran, sodass ich im Schneidersitz dasaß, und nahm einen großen Löffel Haferbrei. Was ich umgehend bereute, denn es fühlte sich an, als würde mein Mund in Flammen stehen. Hastig sog ich Luft ein, um den heißen Haferbrei abzukühlen.

»Das ist wohl Karma«, kommentierte mein Großvater.

»Du bist gemein«, nuschelte ich, den Mund noch immer voll Essen.

Meine Mom kam ebenfalls in die Küche. »Das Haus ist jetzt frei von Spinnen.«

»Hast du den ganzen Morgen über irgendwelche Spinnen umgebracht?«, wollte mein Großvater von ihr wissen.

»Nein, sie gejagt«, antwortete ich an ihrer Stelle. »Internet-Spinnen.«

Meine Mutter legte ihre Jagdausrüstung neben mir auf dem Tresen ab.

»Du musst endlich aufhören, ständig diese Geschichten im Netz zu lesen.« Mein Großvater seufzte.

Sie ignorierte ihn. »Was esst ihr?« Sie spähte erst in meine, dann in die Schüssel meines Grandpas.

»Haferbrei«, antwortete ich.

Meine Mom sah meinen Großvater an und zog eine Braue hoch. »Das sieht nicht wie Haferbrei aus.«

»Das habe ich auch nicht behauptet. Deine Tochter isst Haferbrei. Ich esse Choco Krispies.«

»Dad.«

»Was?«

»Das ist viel zu viel Zucker für jemanden, der kurz davor ist, Diabetiker zu werden.«

»Tja, wenn dir danach ist, einkaufen zu fahren und angemessenes Frühstück für mich zu besorgen, gib Bescheid.«

Das Lächeln auf ihrem Gesicht erstarb. Meine Mom hasste es, zum Supermarkt zu fahren. Um genau zu sein, hasste sie es, irgendwo hinzufahren, wo sie sich nicht absolut wohlfühlte. Besonders dann, wenn mein Dad nicht da war, wie jetzt. Er war noch bis Ende August im Mittleren Osten stationiert. Noch elf Wochen lang. Elf Wochen würden wir überstehen. Meiner Mom ging es immer viel besser, wenn er da war. Es war nicht immer so gewesen – früher hatte sie in jeder Stadt, in der wir wohnten, ihren festen Kreis von Soldatenfrauen gehabt, die ihr dabei halfen, sich zurechtzufinden. Ich hatte zwischen der ersten und der siebten Klasse in insgesamt fünf verschiedenen Städten gewohnt. Aber vor inzwischen vier Jahren hatte sie beschlossen, dass sie mehr Beständigkeit haben wollte, also hatten wir, als wir nach Kalifornien gezogen waren, ein Haus weit außerhalb des Stützpunktes gekauft, und sie hatte es zu unserem festen Zuhause erklärt. Ich war so glücklich gewesen. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Freunde, bei denen ich wusste, dass ich sie nicht schon bald wieder zurücklassen müsste. Aber meine Mom musste kämpfen. Jeden Tag mehr.

»Richtig. Im Supermarkt.« Sie verschwand in der Speisekammer, und ich funkelte meinen Großvater wütend an.

»Was denn?«, fragte er.

»Nicht nett«, flüsterte ich. Dann rief ich meiner Mutter zu: »Wann ist der nächste Videochat mit Dad?« Wir hatten erst letzte Woche mit ihm geredet, also war es wahrscheinlich ein Fehler gewesen, danach zu fragen. Sie würde sich vermutlich nur noch mehr aufregen. Aber immer wenn sie begann, sich in Geschichten aus dem Internet hineinzusteigern und kaum noch das Haus zu verlassen, musste ich an meinen Dad denken und daran, wie sehr ich mir wünschte, er wäre hier. Mir war klar, dass er öfter bei uns wäre, wenn er die Wahl hätte, aber es war immer einfach, jemandem die Schuld zuzuschieben, der nicht anwesend war.

»Ich schätze, in ein paar Wochen«, antwortete meine Mom und kam mit einer Packung Weizenkleie aus der Speisekammer. Sie stellte die Packung auf dem Tresen ab, nahm eine saubere Schüssel aus dem Schrank und spülte sie gründlich unter heißem Wasser ab. »Also, was ist für heute so geplant?«

»Nichts Besonderes«, antwortete ich. »Ich arbeite heute im Museum. Mr. Wallace will, dass ich das Lager aufräume. Du solltest es mal sehen. Der reinste Albtraum. Fast so, als hätten irgendwelche Künstler dort das Sagen.«

»Lässt Mr. Wallace dich deine Sachen im Juli im Museum ausstellen?«

Ich biss mir auf die Lippe, um ein Grinsen zu unterdrücken. Ich hatte es endlich geschafft, all meine Bilder zu sortieren, einzuscannen und zu einer Mappe zusammenzustellen, die ich ihm heute zeigen wollte. »Das weiß ich nicht, aber ich werde es herausfinden.«

Meine Mom küsste mich auf die Stirn. »Du bist so talentiert. Wie könnte er dazu Nein sagen?«

»Hast du auch mein Lieblingsbild dabei?«, fragte mein Großvater. »Die Blumenwiese?«

»Habe ich.«

»Dann wird es klappen.«

Mein Handy vibrierte auf dem Tisch. Eine Nachricht von Cooper.

Ich ging hinauf in mein Zimmer, um nachzusehen.

Und natürlich waren sie dort, zusammen mit einem seiner T-Shirts auf einen Stuhl in der Ecke meines Zimmers geworfen. Er musste sie letzte Woche hier liegen gelassen haben, nachdem wir am Strand schwimmen waren. Geistesabwesend hob ich sein T-Shirt auf und schnupperte daran. Es roch genau wie er selbst am Strand – nach Kirsch-Lippenbalsam und Sonnencreme.

Ja, hast du. Aber du kannst sie erst später abholen, ich bin auf dem Weg ins Museum.

Jap!

Einmal im Jahr veranstaltete Mr. Wallace eine Ausstellung, um Geld für das Museum zu sammeln. Das war nicht nur die perfekte Gelegenheit für mich, meine Bilder auszustellen, sondern, so hoffte ich, um auch ein oder zwei zu verkaufen. Es gab nur ein Problem: Die Aussteller mussten mindestens achtzehn Jahre alt sein. Aber ich hatte meine Kunst, meine Überredungskünste und den Umstand, dass er mich mochte, auf meiner Seite. Es würde funktionieren.

3. KAPITEL

Was das Lager im Museum betraf, gab es ein großes Problem: Mr. Wallace konnte einfach nichts wegwerfen, und er war sich dessen nicht einmal bewusst. Er hob alles auf. Jedes Hinweisschild, jedes Programmheft und die komplette Dekoration von jeder Ausstellung, die er veranstaltet hatte. Der Raum platzte aus allen Nähten. Ich arbeitete seit etwa einem Jahr für das Museum (ein Job, für den ich mich wegen meiner Leidenschaft für Kunst beworben hatte), und ich hatte bisher noch nie das Lager aufräumen müssen. Und anscheinend auch keiner der anderen Angestellten. Nicht dass sie es selbst getan hätten. Weil ich noch nicht so lange hier arbeitete, war ich für die unattraktiven Aufgaben zuständig. Die anderen betreuten die geführten Touren durch das Museum, Tina war hauptsächlich für den Ticketverkauf zuständig, und Ralph, der Wachmann, hätte nie im Leben seine Marke gegen einen Putzeimer eingetauscht. Daher konnte man davon ausgehen, dass der Zustand des Lagers das Ergebnis jahrelanger Vernachlässigung war.

In dem Moment, als sich die Türen des Museums für diesen Tag schlossen, schob ich einen Karton voller Blätter aus dem Lager hinaus auf den Flur und begann den Inhalt zu sortieren.

Ich teilte ihn in drei Stapel auf: Definitiv wegwerfen, Vielleicht wegwerfen und Nicht wegwerfen.

Mr. Wallace kam zufällig vorbei und entdeckte mich. Ich wünschte, er würde einfach weitergehen, denn je länger er da war, desto weniger würde der Definitiv wegwerfen-Stapel wachsen.

»Was ist das?«, fragte er. Mr. Wallace sah kein bisschen so aus, wie man sich den Kurator eines Museums vorstellte. Nicht dass ich mir oft vorstellte, wie so jemand aussehen sollte, aber wenn ich es tat, dann sah ich jemanden vor mir, der ein Auge für Mode und Stil hatte. Mr. Wallace hingegen sah mit seinem etwas zu großen, billigen Anzug und den grauen zurückgegelten Haaren eher aus wie ein Gebrauchtwagenhändler. Doch er war sehr nett und schien ein Auge für Kunst zu haben – zumindest für die Sorte Kunst, die man nicht am Körper trug.

»Nur verschiedene Stapel«, erklärte ich ihm, als er neben mir stehen blieb. »Ich sortiere gerade.«

»Wieso sind es drei Stapel?«

Ich nahm einige Blätter vom Definitiv wegwerfen-Stapel. »Hier. Auf diesen Plakaten stehen Daten. Sie würden doch für eine Ausstellung keine Dekoration benutzen, auf der ein Datum von vor fünf Jahren steht, oder? Also ist das hier der Definitiv wegwerfen-Stapel. Das hier ist der Vielleicht wegwerfen-Stapel.« Ich zeigte auf den mittleren Haufen. »Und das hier ist der Nicht wegwerfen-Stapel.«

Er stieß mit dem Fuß gegen den Definitiv wegwerfen-Stapel. »Ich hatte nie vor, das hier noch mal zu benutzen, aber ich habe es aufgehoben, damit ich mich an die Idee dahinter erinnere. Es war ein gutes Konzept.«

Ich zog mein Handy hervor. »Dann machen wir einfach ein Bild davon und heben das auf.« Ich schoss ein Foto. »Sie können einen Ordner mit Ideen für Ausstellungsdekoration auf Ihrem Computer anlegen.«

Mr. Wallace nickte. »Das ist eine gute Idee, Abby. Ich wusste doch, dass ich eines Tages wissen würde, weshalb ich dich eingestellt habe.«

»Sehr witzig. Sie passen besser auf, was Sie sagen, bevor ich Sie noch bei einer dieser Fernsehsendungen über Leute anmelde, die nichts wegwerfen können. Dann hätten Sie ein echtes Problem.«

»Das würdest du nicht wagen.«

Ich grinste, und er ging weiter. Heute hatten nur Mr. Wallace, Ralph, Tina und ich Dienst im Museum. Tina war schon kurz nachdem wir geschlossen hatten gegangen, sodass ich jetzt den weiträumigen Flur ganz für mich allein hatte.

Jetzt, da ich gewissermaßen die Erlaubnis von Mr. Wallace hatte, Dinge zu fotografieren und wegzuwerfen, wuchs mein Definitiv wegwerfen-Stapel schneller und schneller.

Zwischen zwei Fotos blinkte eine Nachricht auf meinem Telefon auf.

Es war Cooper.

Im Museum. Das habe ich dir gesagt.

Ich fange gerade erst an. Wo bist du?

Ich kenne den Namen deiner Schwester Amelia. Und vierzehn ist gar nicht mehr so klein.

Mache ich gleich. Wenn ich noch ein bisschen aufräume, ist er besser gelaunt.

Ein bisschen Bestechung hat noch niemandem geschadet.

Frag ihn. Frag ihn, forderte ich mich selbst auf, während ich den Inhalt des Definitiv wegwerfen-Stapels in zwei große Müllsäcke stopfte und diese dann zum Container im Hinterhof brachte. Schließlich beschloss ich, auf dem Rückweg einen kleinen Umweg zu machen, und ging an meinem Auto vorbei, wo ich meine Mappe aus dem Kofferraum holte. Der Großteil waren nur Fotos meiner Arbeiten, weil die großen Leinwände zu sperrig waren, um sie mit mir herumzuschleppen, aber einige der kleineren Bilder hatte ich im Original dabei. Das Lieblingsbild meines Großvaters kam gleich an erster Stelle, und es erfüllte mich mit Freude, wenn ich es ansah.

Mr. Wallace saß in seinem Büro am Schreibtisch und schrieb etwas in ein Notizbuch. Das Büro sah fast ebenso schlimm wie der Lagerraum aus – unordentliche Papierstapel auf seinem Tisch, kaputte Staffeleien gegen die Wand gelehnt und ein Mülleimer in der Ecke, der schon lange überquoll. Er sah von seinem Notizbuch auf, als ich im Türrahmen stehen blieb.

»Gehst du nach Hause?«

»Ja, aber vorher wollte ich Sie noch etwas wegen der Ausstellung im Juli fragen.«

Sein Blick wanderte hinunter zu der Mappe in meinen Händen.

»Ich habe ein paar Arbeitsproben dabei, die ich Ihnen gerne zeigen würde.« Ich legte die Mappe auf seinen Schreibtisch.

»Abby, der Platz ist sehr begrenzt, und ich habe Bewerber aus aller Welt.« Wie um mir zu beweisen, dass er nicht log, zog er eine Schublade auf und nahm einen Stapel Papier heraus.

»Und ich würde auch gern mein Glück versuchen.«

»Man muss mindestens achtzehn Jahre alt sein.« Er zeigte auf eine willkürliche Stelle in den Bewerbungsunterlagen.

Ich hatte mit diesem Einwand gerechnet und mich bestens vorbereitet. »Sir, ich glaube, dass Kunst kein Alter kennt. Michelangelo war sechzehn, als er die Treppenmadonna schuf. Picasso wurde schon mit vierzehn Jahren an einer renommierten Kunstschule angenommen, und Salvador Dalí hatte mit fünfzehn seine erste öffentliche Ausstellung. Ich will nicht behaupten, dass ich auch nur ansatzweise so talentiert bin wie diese Künstler, aber es zeigt doch, dass das Alter nicht zwangsläufig etwas über die künstlerischen Fähigkeiten aussagt.«

»Wie ich sehe, hast du deine Hausaufgaben gemacht.«

Ich schob die Mappe ein Stückchen näher zu ihm. »Alles, was ich will, ist eine Chance.«

Er seufzte resigniert und griff nach der Mappe. Erleichtert ließ ich mich in den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen. Der schwerste Teil war geschafft. Den Rest würden meine Arbeiten allein schaffen. Langsam blätterte Mr. Wallace durch die Mappe und musterte jedes meiner Bilder. Viele hatte ich vergrößert, damit sie nicht zu klein erschienen. Nach einer gefühlten Ewigkeit schloss er die Mappe wieder und sah mich an.

Ich bemühte mich, mein gewinnendstes Lächeln aufzusetzen.

»Abby, du wirst die perfekte Bewerberin sein, wenn du das richtige Alter erreicht hast. Ist das nächsten Sommer?«

»Moment … wie bitte?«

»Nächsten Sommer hast du das richtige Alter für eine Bewerbung.« Er tätschelte die Mappe. »Bring mir dann noch ein paar neuere Arbeitsproben mit.«

Mein Lächeln erstarb. »Okay. Aber wieso? Ich habe die Sachen gesehen, die Sie hier bei den Amateurausstellungen zeigen. Meine sind genauso gut. Wollen Sie mich wirklich nicht aufnehmen, nur weil ich noch nicht achtzehn Jahre alt bin?«

»Es geht nicht nur um dein Alter.«

»Worum denn dann?«

»Wir haben nur begrenzten Raum für die Ausstellung, und ich brauche jeden einzelnen Verkauf, um den Laden hier am Laufen zu halten. Das hier ist die einzige Gelegenheit des Jahres für mich, Geld einzunehmen. Wir sind ein Museum und keine Galerie, deshalb kann ich das nicht einfach tun, wenn mir danach ist.«

Aufgeregt rutschte ich bis an die Kante des Stuhls vor. »Aber was, wenn ich einige meiner Bilder verkaufe? Das würde Ihnen doch helfen, oder?«

Er schob mir meine Mappe wieder zu. »Wirst du nicht.«

»Wieso nicht?«

»Weil du noch nicht bereit bist. Deine Bilder sind noch nicht gut genug.«

Ich fühlte mich, als hätte mir jemand einen Schlag in die Magengrube verpasst.

Als ich nicht antwortete, fuhr Mr. Wallace fort. »Ich bin mir sicher, dass sie es irgendwann sein werden. Aber noch bist du nicht ganz an diesem Punkt.«

»Wie meinen Sie das? Was fehlt meinen Bildern denn noch?«

Er sah durchdringend auf meine Mappe, die noch immer auf dem Tisch lag. »Erfahrung … Herz.«

»Herz?«

»Technisch sind die Bilder einwandfrei, aber sie wirken, als hättest du nur die Wirklichkeit kopiert. Ich will etwas empfinden, wenn ich deine Bilder ansehe. Diese Ebene fehlt ihnen noch, und das ist verständlich, schließlich bist du noch sehr jung. Du hast noch nicht genug erlebt, um deinen Bildern diese Tiefe zu verleihen. Aber das wirst du. Du bist genau dort, wo du in deiner Entwicklung als Künstlerin sein solltest. Mach einfach so weiter, und du wirst es schaffen.«

Ich nickte wie benommen. Nach all den Jahren, in denen mir meine Kunstlehrer, meine Eltern und mein Großvater immer wieder eingeredet hatten, dass ich meinem Alter um Jahre voraus sei, was mein künstlerisches Talent anging, trafen mich Mr. Wallaces Worte hart. Ich stand auf und klemmte mir die Mappe unter den Arm.

»Es tut mir leid«, murmelte ich, während ich mich umdrehte und ging.

Ich nahm den Hinterausgang, um Ralph nicht über den Weg zu laufen. Ich wollte nicht, dass er mich nach der großen Mappe fragte, die ich bei mir trug. Ich wollte ihm nicht erklären müssen, was es damit auf sich hatte.

Das Museum hatte einen großen Innenhof, und derzeit standen dort einige Ausstellungsstücke zum Thema Recycling. Der Künstler hatte Müll gesammelt und daraus Kunstwerke geschaffen. Ich ging an einem Baum mit Zweigen aus verbogenem Metall und Blättern aus grünen Glasflaschen vorbei, dann an zwei alten Fahrrädern, die zu einem verbunden worden waren und die Schwerkraft zu ignorieren schienen, indem sie auf einem Rad balancierten. Schließlich passierte ich das verrostete Dach eines alten VW-Käfer, in das der Künstler ein schiefes Herz hineingeritzt hatte. Ich blieb stehen.

Die Werke gehörten alle zu einer Wanderausstellung, die nur für zwei Wochen in unserem Museum bleiben sollte. Nächste Woche würden wir sie in Holzkisten verstauen, diese mit Papier auspolstern und die Küste hinauf nach Pismo oder Santa Cruz verschiffen. Oder zu einem anderen Strandort mit einer lebendigen Kunstszene wie unserer eigenen. Ich hatte viel Zeit hier draußen verbracht und die Stücke bewundert. Ich liebte Kunst. In allen erdenklichen Formen. Doch auf einmal kam mir dieses rostige Autodach mit dem belanglosen Herz lächerlich vor. Darin sah Mr. Wallace Kunst, aber nicht in meinen Bildern? War das hier wirklich so viel besser als die Arbeiten, die ich ihm gezeigt hatte? Vielleicht hatte ich am Ende doch keine Ahnung, was Kunst war und was nicht. Und vielleicht hatte ich auch sonst nichts zu bieten.

4. KAPITEL

»Hat irgendjemand meinen Pinsel mit dem abgeschrägten Kopf gesehen?«, rief ich den Flur hinunter. Ich hatte großes Glück, das wusste ich. Meine Eltern, die meine künstlerischen Ambitionen voll und ganz unterstützten, hatten eins der ungenutzten Schlafzimmer in unserem Haus in ein Atelier für mich verwandelt. Ich hatte Staffeleien, Leinwände, einen riesigen Kasten voller Farben und das beste Licht im ganzen Haus.

Meine Mom erschien im Türrahmen, meinen Pinsel in der Hand. »Er war in dem Glas neben deinem Waschbecken.«

»Vielen Dank.« Ich hatte noch niemandem erzählt, wie mein Gespräch mit Mr. Wallace am Samstagabend gelaufen war. Den Fragen war ich geschickt ausgewichen mit Formulierungen wie: »Er zieht mich in Erwägung«, wobei ich den entscheidenden zweiten Teil seiner Aussage wegließ. »Für nächstes Jahr.« Ich tat so, als hätte er das nie gesagt. Ich verdrängte es einfach. Ich war nicht auf seine Ausstellung angewiesen, es gab genug andere, für die ich mich bewerben konnte. Mir fiel zwar auf die Schnelle keine ein, aber ich würde danach suchen.

»Was malst du? Irgendetwas Großartiges …« Sie starrte das Plakat an, das ich auf der Staffelei befestigt hatte. »… oder etwas nicht so Großartiges.«

»Ich finde dieses Plakat ziemlich cool.«

»Musst du Cooper wirklich für jedes Rennen ein neues Plakat malen? Was ist so schlimm daran, sie mehrmals zu benutzen?«

»Das ist ja das Schöne daran, Mom. Das hier ist das alte Plakat. Ich male nur jedes Mal etwas Neues dazu.«

»Es ist ein ziemlich cooles Plakat«, gab sie zu. »Aber mit so viel Farbe …«

Ich hatte die Hälfte des orangefarbenen Hintergrunds vom vorherigen Rennen mit verschiedenen Blautönen übermalt, die so ineinander übergingen, dass sie die Illusion von Bewegung erzeugten. Dann hatte ich einige ermutigende Worte darübergeschrieben.

Ich schnappte mir den Pinsel in ihrer Hand. »Ein Maler muss malen, Mom.«

Sie ging hinüber zum Fenster und riss es weit auf. »Wir hatten doch schon über das Lüften hier drin geredet. Du brauchst mehr frische Luft. Die Farbdämpfe sind nicht gut für deine Lunge.«

»Ich rieche überhaupt nichts.«

»Das liegt daran, dass du dich schon zu sehr an den Geruch gewöhnt hast.«

»Mom, Maler haben jahrhundertelang ohne gute Belüftung gemalt.«

»Und wahrscheinlich haben sie alle Lungenkrebs bekommen.«

In Momenten wie diesem war es sinnlos, mit ihr zu diskutieren. »Gut. Ich öffne die Fenster. Aber was, wenn ich dann unterkühle?«

Sie boxte mich scherzhaft in den Rücken und sah dann auf ihre Armbanduhr. »Ich dachte, das Rennen beginnt um zwei.«

»Tut es auch. Warte – wie spät ist es?«

»Viertel vor zwei?«

»Was? Verdammt.« Hastig fügte ich die letzten Worte in schwarzer Farbe hinzu und hievte das Plakat von der Staffelei. »Ich kann doch das Auto nehmen? Oder hast du Pläne für heute Nachmittag?«

Anstatt auf meine sarkastische Frage einzugehen, schubste sie mich leicht. »Schreib mir sofort, wenn du da bist. Und wenn du wieder losfährst.«

»Wie wär’s, wenn ich dir schreibe, falls es einen Notfall gibt?«

Sie sah mich durchdringend an.

»Schön. Ich schreib dir.«

»Danke.«

»Ich räume später auf, wenn ich wieder zu Hause bin«, rief ich ihr über die Schulter zu.

»Sonnencreme!«, hörte ich sie noch rufen.

Ich wirbelte herum und legte einen Zwischenstopp in der Küche ein, wo ich mir eine der etwa zwanzig Flaschen Sonnencreme aus der Schublade schnappte. Dann verschwand ich.

Vorsichtig legte ich das Poster in den Kofferraum und hoffte, dass es in der Hitze schneller trocknen würde, während ich zum Rennen fuhr. Dann stieg ich ins Auto.

Über meinen normalen Sachen trug ich noch immer mein Maler-Outfit – ein langärmliges, zugeknöpftes Hemd, das mit Flecken in allen erdenklichen Farben übersät war. Nachdem ich meine Hände noch einmal an dem Hemd abgewischt hatte, startete ich den Wagen. Hoffentlich war Cooper nicht als Erster dran.

Ich traf genau in dem Moment ein, als Cooper sein Rennen begann, sodass ich keine Zeit mehr hatte, nach seiner Schwester oder seinen Eltern zu suchen, die hier sicher irgendwo waren. Also feuerte ich ihn allein von meinem Platz kurz vor der Ziellinie an und hielt mein Plakat so hoch, wie ich nur konnte. Cooper trug einen hellgrünen Helm und raste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über die Dünen. Ich machte mir jedes Mal Sorgen, wenn er ein Rennen fuhr. Doch er sagte immer, dass er in den Dünen geboren sei und ich keinen Grund habe, um ihn Angst zu habe. Worauf ich stets mit »Nein, bist du nicht« antwortete. Aber ich wusste, was er damit meinte – er fuhr schon, seitdem er ein Kind war. Und das sah man. Er gewann fast jedes Rennen, und dieses war keine Ausnahme.

Nachdem er als Erster die Ziellinie überquert hatte, stand er auf seinem Quad auf und reckte eine Faust in die Höhe. Ich bahnte mir meinen Weg durch die Menschenmenge, die hauptsächlich aus Touristen bestand, um zu seinem Anhänger zu kommen, auf den er sein Quad laden würde. Als ich ihn erreichte, waren Cooper und seine Familie schon da.

Er hatte sich den Helm unter den Arm geklemmt, und als er mich sah, wurde sein Grinsen noch breiter als zuvor. »Abby! Hier drüben!«

Ich nickte und ging zu ihm. »Hi!«

»Hallo, Abby«, sagte seine Mutter. Sein Vater nickte mir zu, und seine Schwester Amelia umarmte mich. Ich hatte noch nie eine Familie gesehen, in der sich die Mitglieder so ähnlich sahen, wie die von Cooper. Jeder Einzelne von ihnen war groß, schlank und blond.

»Hallo zusammen. Gutes Rennen, Coop.«

Amelia sah neugierig auf mein Schild. Und Cooper tat das Gleiche. Dann las er es laut vor. »Cooper ist die Nummer eins. Ja, das bin ich.«

Ich zeigte auf den Teil, den er übersehen hatte. Der Teil, der kleiner und in Klammern geschrieben war. »Oder Nummer zwei.«

Er schubste mich. »Aber das war ich nicht.«

»Ich bin gern auf alles vorbereitet.«

»Du bist auch gern voller Farbe, wie ich sehe.«

Ich sah schnell an mir hinunter, um sicherzugehen, dass ich mein Malerhemd wirklich ausgezogen und im Auto gelassen hatte. »Habe ich Farbe im Gesicht?«

»Ja, das hast du.« Er fuhr mir mit einem Finger die rechte Schläfe entlang bis über die Wange, was ein Kribbeln in mir auslöste, das ich hastig abzuschütteln versuchte.

»Auf den letzten Drücker heute?«, fragte er.

»Ich habe es doch geschafft«, erwiderte ich und wischte mir übers Gesicht. »Ich habe dein ganzes Rennen gesehen und ein Schild dabeigehabt.«

Sein Vater klopfte ihm auf den Rücken. »Du warst heute gut, mein Junge.« Coopers Eltern hatten seine Begeisterung für die Rennen nicht immer unterstützt, aber als sie gemerkt hatten, wie sehr er es liebte, kamen sie öfter zu den Events.

»Danke, Dad.«

»Wollen wir dein Quad auf den Hänger laden?«

»Klar.« Er sah mich an und tätschelte den Sitz. »Und, Abby? Lust auf eine kleine Fahrt?«

»Nein, ich weigere mich, mich in diese Todesfalle zu setzen.«

Seine Schwester lachte. »Sogar ich bin damit gefahren.«

»Dann vertraust du deinem Bruder offenbar mehr als ich.«

Hinter vorgehaltener Hand, aber so laut, dass es jeder hörte, flüsterte Cooper seiner Schwester zu: »Abby ist ein unglaubliches Weichei.«

»Ich werde mal so tun, als hätte ich das nicht gehört, und dich zur Feier des Tages auf einen Bacon Burger einladen«, sagte ich.

»Meine Eltern wollen mich schon zur Feier des Tages einladen, aber komm doch einfach mit. Das ist doch okay, oder, Mom?«, fragte er.

Seine Mutter lächelte, aber ich konnte nicht erkennen, ob es ein ehrliches Lächeln war oder nicht. »Ja, aber natürlich.«

Es war nicht so, dass ich dachte, Coopers Eltern würden mich hassen. Ganz im Gegenteil, ich wusste, dass sie mich als seine gute Freundin mochten – ähnlich wie Cooper selbst. Aber ich wusste auch, dass sie froh darüber waren, dass wir kein Paar waren. Sie wollten etwas anderes für Cooper – etwas Besseres. Nicht das Mädchen mit den handgemalten Plakaten, der seltsamen Mutter und dem Vater, der nie da war. Cooper hatte zwar nie ausgesprochen, dass seine Eltern so dachten, aber ich erkannte es daran, wie sie reagierten, wenn ich von meiner Malerei erzählte. Oder von meiner Mutter.

»Okay«, antwortete ich zögerlich, unsicher, ob ich die Einladung annehmen sollte. Aber ich wollte den Sieg mit Cooper zusammen feiern.

»Wir treffen uns um fünf in der Cheesecake Factory«, sagte seine Mutter. »So können wir alle noch nach Hause fahren und uns frisch machen.«

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