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Weihnachtsmärchen in Virgin River

Um der erdrückenden Fürsorge ihrer Mutter zu entfliehen, fährt Angie zu ihrem Onkel Jack nach Virgin River. Allerdings kommt sie in dem verschneiten Städtchen vom Regen in die Traufe. Denn ihr Onkel denkt auch nur daran, sie vor allem und jedem zu beschützen. Selbst dann, wenn sie gegen ein bisschen vorweihnachtliche Aufregung nichts einzuwenden hätte. Besonders viel davon versprechen die heißen Blicke von Navy-Pilot Patrick Riordan, die er ihr beim traditionellen Aufstellen des Christbaums auf dem Dorfplatz zuwirft. Mehr als eine Winteraffäre will Angie nicht. Doch dem kleinen Bergdorf wohnt gerade zur Weihnachtszeit eine besondere Magie inne …


  • Erscheinungstag: 10.11.2015
  • Aus der Serie: Virgin River
  • Bandnummer: 18
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956495007
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Robyn Carr

Weihnachtsmärchen in Virgin River

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Barbara Minden

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2015 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
My Kind Of Christmas
Copyright © 2012 by Robyn Carr
erschienen bei: MIRA Books, Toronto

Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Christiane Branscheid

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München; pecher und soiron, Köln

ISBN 978-3-95649-500-7

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Ich glaube, ein kurzer Urlaub in Virgin River wäre genau das Richtige für Angie“, sagte Sam Sheridan, während er seine Familie ansah, die zum gemeinsamen Thanksgiving-Essen zu ihm gekommen war und nun mit ihm an einem Tisch saß. Erleichtert, dass endlich einer zu ihr hielt, schenkte Angie ihrem Großvater ein dankbares Lächeln. „Sie hat gerade einen schweren Schicksalsschlag überstanden“, fügte Sam hinzu. „Und ich finde, dass das Medizinstudium noch so lange warten kann, bis sie in Ruhe über alles nachgedacht hat. Eine kleine Pause und etwas Entspannung werden ihr guttun.“

„Nun, ich glaube, wenn jemand weiß, was gut für Angie ist, dann bin ich das“, erwiderte Donna streng und durchbohrte ihren Vater förmlich mit Blicken. „Ein Besuch bei Jack, Mel und Brie klingt ja gut und schön, doch ich bin ihre Mutter und habe sie vom Tag ihrer Geburt an immer unterstützt. An Urlaub sollte sie im Moment wirklich keinen Gedanken verschwenden. Der Unfall …“ Sie schaute Angie zögernd an. „Nun, lass uns ehrlich sein, Angie, dieser Unfall hat dich wirklich … hat dir wirklich zugesetzt. Aber jetzt solltest du so bald wie möglich deine akademische Laufbahn wieder aufnehmen und dich hauptsächlich darauf konzentrieren. Du solltest an das anknüpfen, was du vorher hattest.“

Vorher. Es schien Angie, als ob ständig nach einem Leben vor dem Unfall und einem Leben danach unterschieden würde. Während sie sich kaum an den eigentlichen Unfall erinnerte, gab es ein paar Momente, die sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt hatten. Sie erinnerte sich, wie nahe sie dem Tod an diesem kalten, nebligen Märzabend gewesen war, als man sie blutüberströmt in die Notaufnahme des Krankenhauses eingeliefert hatte. Und dass es ihre schon lange verstorbene Großmutter gewesen war, die versucht hatte, ihr auf die andere Seite hinüberzuhelfen. Über dieses Detail hatte sie bislang noch mit niemandem aus der Familie gesprochen. Weshalb auch? Manche von ihnen hielten sie jetzt schon für leicht verrückt.

Am Tag ihres Unfalls war Angie im Wagen einer Freundin mitgefahren. Auf der Gegenfahrbahn der Interstate hatte ein Fahrer die Kontrolle über sein Auto verloren, war über den Mittelstreifen geschossen und hatte zwei entgegenkommende Wagen gerammt – darunter das Fahrzeug, in dem Angie saß. Die Unfallursache konnte ein platter Reifen gewesen sein oder der Versuch, einem anderen Auto auszuweichen, doch das würde wohl nie abschließend geklärt werden können. Jedenfalls waren weder Alkohol noch Drogen im Spiel gewesen. Es war einfach nur ein tragischer Unfall gewesen, wie sie so oft passieren.

Bei dem Crash war der Fahrer des anderen Wagens gestorben. Alle anderen Beteiligten waren verletzt worden. Angie am schwersten. Sie hatte einige üble Brüche erlitten, die operiert werden mussten. Außerdem hatte sie ihre Milz verloren, die Lunge war kollabiert, und in ihren rechten Oberschenkel hatte man eine Titanschraube einsetzen müssen. Aber ihre Kopfverletzung war das Schlimmste – sie hatte eine eindrucksvolle Fleischwunde am Hinterkopf, und obwohl es sich um keinen offenen Schädelbruch handelte, war es zu einer Hirnschwellung gekommen. Der Neurologe musste ihr eine Drainage legen, um die Flüssigkeit aus dem Ödem ableiten zu können. Nach diesem Eingriff hatte Angie drei Tage lang im Koma gelegen und musste sich ihre Rückkehr in die reale Welt durch den Anästhesie- und Schmerzmittelnebel erst mühsam erkämpfen. Freunde, Familie und die medizinischen Experten hatten sich wochenlang gefragt, ob diese kluge und ehrgeizige junge Medizinstudentin am Ende irgendwelche Behinderungen davontragen würde.

Zum Glück war ihr das erspart geblieben.

Dennoch hatte diese Erfahrung Angie für immer verändert. Das war nicht verwunderlich. Allerdings hatte der Unfall sie und ihre Mutter in eine Sackgasse geführt, in der sie nun feststeckten. Ihre Mutter Donna war Universitätsprofessorin und wollte, dass Angie so schnell wie möglich ihr Medizinstudium fortführte. Angie, die sich inzwischen vollständig von ihrem Unfall erholt hatte und das Studium im September wieder hätte aufnehmen können, hatte sich dagegen entschieden.

„Nun, vielleicht ist eine Auszeit vom Studium gar nicht so dramatisch“, gab Angies Vater Bob vorsichtig zu bedenken. Die restliche Familie saß glücklich beim Dessert, während sie drei angeboten hatten, schon einmal mit dem Abwasch anzufangen. Angie verdrehte die Augen. Sie wusste, dass sich ihr Vater letztlich aus allem heraushalten würde, um einen Streit mit ihrer Mutter zu vermeiden.

Donna war mit ihrer Meinung nicht halb so zurückhaltend. „Das ist absolut inakzeptabel, Angie“, erklärte sie streng. „Du hast zu hart dafür gearbeitet, es im Studium so weit zu bringen, und wir haben zu viel dafür bezahlt, als dass du das jetzt alles mit einem Schlag zunichtemachen kannst.“

Angie war schockiert, dann wurde sie wütend. Besorgt zu sein war das eine, aber so etwas? Sie hatte die Nase voll davon, ihre Eltern und vor allem ihre Mutter alles für sich entscheiden zu lassen. „Kann sein, dass ich das Medizinstudium nicht beenden will! Kann sein, dass ich für den Rest meines Lebens lieber Makramee-Ampeln herstelle! Oder Kräuter züchte! Oder durch Europa trampe! Ich habe keine Ahnung, was ich im Moment will, aber was auch immer es ist, es wird meine Entscheidung sein.“

„Sei nicht albern“, erwiderte Donna in ihrer üblichen, abschätzigen Art. „Du bist im Augenblick nicht ganz du selbst. Es ist offensichtlich, dass dieser Unfall deine Persönlichkeit mehr verändert hat, als dir bewusst ist, Angie. Sobald du das Studium wieder aufgenommen hast, wirst du rasch wieder ganz die Alte sein.“

Ihre Persönlichkeit hatte sich verändert? Angie war nicht dieser Meinung. Sie war höchstens erstaunlich stur geworden. „Eigentlich glaube ich, dass endlich meine wahre Persönlichkeit zum Vorschein gekommen ist. Und weißt du was, Mom? Ich glaube, sie ist deiner bemerkenswert ähnlich.“

Falls dieser Unfall überhaupt einen Sinn hatte, dann den, dass ihr in Großaufnahme gezeigt worden war, wie unvorhersehbar und wechselhaft das Leben sein konnte. In der einen Minute fährst du über den Highway und singst Lieder aus dem Radio mit, und im nächsten Moment blickst du schon auf dich selbst hinunter und beobachtest, wie Rettungssanitäter und Notarzt verzweifelt um dein Leben kämpfen, während du deine tote Großmutter am Ende eines Lichtbogens entdeckst.

Sobald ihr klar geworden war, was geschehen war und dass sie nur knapp überlebt hatte, war für sie jeder Tag heller, jeder Atemzug kostbarer und jeder Herzschlag leichter geworden. Angie war von Dankbarkeit erfüllt und betrachtete selbst Kleinigkeiten anders. Dinge, die sie vorher für selbstverständlich gehalten hatte, erhielten nun eine echte Bedeutung. Heute blieb sie stehen, um sich mit den Jungs zu unterhalten, die im Supermarkt die Waren in Einkaufstüten packten, und plauderte mit den Blumenhändlern an der Ecke, Buchhändlern und Schülerlotsen. Kurz, Angies Leben hatte sich verändert, und sie genoss jede Sekunde.

Sie hatte auch auf ihr bisheriges Leben zurückgeblickt und einiges bereut – besonders, dass sie so viel Zeit ins Studium gesteckt und so wenige Freunde hatte. Viele Kommilitonen, aber nur einige Freunde. Um der guten Noten willen hatte sie früher viele Partys und Essenseinladungen abgesagt. Lieber Himmel, sie war schon dreiundzwanzig und hatte erst zwei feste Freunde gehabt! Beide ziemlich unpassend für sie, wenn man es genau betrachtete. Bestand das Leben denn nur aus Büchern? Was hatte Angie gemacht, während ihre Freundinnen mit Männern ausgingen, verreisten, die Welt entdeckten und sich verlobten? Sie hatte ihre Mutter stolz gemacht.

Doch das würde sich von nun an ändern. „Mom, ich liebe dich, aber ich habe mich entschieden. Das Medizinstudium kann warten. Ich fahre nach Virgin River.“

Einen Tag nach Thanksgiving fuhr Angela LaCroix vor Jacks Bar und Restaurant vor und parkte ihren Wagen neben dem ihrer Tante Brie. Angie hupte zweimal, bevor sie aus dem Auto sprang und die Treppen hinauf ins Lokal stürmte. Da standen sie und warteten schon auf sie – Jack, Mel und Brie. Angie lächelte so breit, dass ihre Mundwinkel fast bis zu den Ohren reichten.

„Du hast es geschafft“, sagte Jack. Er eilte hinter dem Tresen hervor und hob sie hoch, um sie an sich zu drücken. „Ich dachte schon, man hält dich gefesselt und geknebelt in Sacramento fest.“

„Es kam zu keiner körperlichen Auseinandersetzung“, erwiderte sie lachend. „Wie dem auch sei, Mom spricht mit keinem von euch mehr ein Wort.“

„Was für eine Erleichterung“, entgegnete Jack. „Dann ruft sie auch nicht mehr fünfmal am Tag an.“

„Komm her, Schätzchen.“ Brie schob Jack zur Seite, damit sie Angie in die Arme schließen konnte. Danach sprang Mel vom Barhocker und umarmte sie ebenfalls. „Es freut mich so, dass du hier bist“, meinte Brie. „Deine Mutter wird schon darüber hinwegkommen.“

„Wohl kaum“, meldete sich Jack zu Wort. „Ich kenne niemanden, der länger grollen kann als Donna.“

„Ich hoffe, das entzweit jetzt nicht die ganze Familie“, sagte Angie.

Jack kehrte hinter die Theke zurück. „Wir sind nun mal Sheridans“, murmelte er. „Wir halten in schweren Zeiten fest zusammen, aber wir sind auch dafür bekannt, dass wir eine Menge Meinungsverschiedenheiten haben. Soll heißen, du bist hier jederzeit herzlich willkommen. In meinem Haus gibt es immer einen Platz für dich.“

„Und in meinem auch“, meinte Brie.

Angie biss sich kurz auf die Unterlippe. „Okay, das weiß ich sehr zu schätzen. Wirklich. Und ich habe auch vor, eine Menge Zeit mit euch zu verbringen, aber ich frage mich, ob ich dieses kleine Häuschen im Wald benutzen dürfte.“ Sie holte tief Luft. „Ich brauche ein bisschen Zeit für mich allein. Um ganz ehrlich zu sein.“

Schweigen erfüllte den Raum. „Ist das so?“, fragte Jack schließlich.

Angie zog sich einen Hocker heran, und ihre beiden Tanten rückten mit ihren Hockern sofort neben sie. „Ja, so ist es. Zeit für mich … doch gegen ein Bier hätte ich auch nichts einzuwenden. Und vielleicht etwas Essen zum Mitnehmen. Es war eine lange Fahrt.“

Jack zapfte langsam das Bier. „Es gibt da draußen keinen Fernseher“, erklärte er.

„Gut. Doch es gibt eine Internetverbindung, oder?“

„Sie ist aber sehr lahm, Ange“, wies Mel sie auf die Nachteile hin. „Nicht so langsam wie die frühere Leitung, die Internetverbindung in unserem Gästehaus allerdings ist wesentlich …“

„Ich glaube, das ist eine ganz hervorragende Idee“, meinte Brie und lächelte Angie an. „Probier es aus. Wenn es dir zu ruhig wird, kann ich dir ein Gästezimmer anbieten und Mel ein Gästehaus.“

„Danke, Brie.“

„Hey, wenn du schon von zu Hause wegläufst, solltest du wenigstens so wohnen können, wie du willst“, sagte Brie.

„Ich bin nicht richtig von zu Hause weggelaufen … Na ja, okay, vermutlich habe ich genau das getan. Danke, ihr Lieben. Im Ernst. Danke.“

Mel lachte. „Es ist nicht gerade eine besonders originelle Idee. Brie und ich sind auch beide hier gelandet, weil wir vor etwas davongerannt sind. Ich gebe Preacher und Paige Bescheid. Sie wollten dich unbedingt sehen. Und ich rufe deine Eltern an, um ihnen zu sagen, dass du heil hier eingetroffen bist.“

„Und du hattest keine Probleme mit dem Fahren?“, erkundigte sich Jack.

„Ich fahre gerne, aber mein Dad hat darauf bestanden, das Auto mit mir zu tauschen. Jetzt habe ich seinen SUV, und er kurvt mit meinem kleinen Honda herum“, erklärte sie. „Aber ich war nicht nervös. Vielleicht, weil ich mich gar nicht an den Unfall erinnere.“

Doch Angie wollte nicht über das Geschehene sprechen. Sie war hier, um sich zu entspannen und ihr Leben weiterzuleben, deshalb wechselte sie das Thema und fragte: „Und hattet ihr alle ein schönes Thanksgiving?“

„Ich werde vermutlich nie wieder einen Bissen essen können“, antwortete Brie und stöhnte. „Und wie sieht es bei dir aus?“

„Wir waren alle bei Grandpa, und es war schön, wenn man das kleine Drama außer Acht lässt, das es gab, weil ich für einen Monat wegwollte. Zwischen den Tanten und Onkeln und Cousins und Cousinen scheinen verschiedene Meinungen darüber zu herrschen, wie ich nun mein Leben leben soll.“

„Kann ich mir vorstellen. Und was hat Sam dazu gemeint?“, erkundigte sich Brie nach der Meinung ihres Vaters.

„Grandpa fand, es sei eine hervorragende Idee, eine Zeit lang hierzubleiben, und er erinnerte uns alle daran, dass du es auch so getan hast, Brie.“

„Und weißt du was? Er hat mich damals sehr unterstützt und ermutigt, obwohl er sich mindestens so viele Sorgen um mich gemacht hat wie deine Eltern jetzt um dich. Er hat gespürt, dass ich verliebt war. Dein Großvater ist ein ziemlich aufgeschlossener Kerl mit viel Erfahrung.“

„Ja“, entgegnete Angie leise. Sie stand Sam Sheridan sehr nahe und hatte sich in den letzten neun Monaten oft gewünscht, ihm erzählen zu können, dass ihr ihre Großmutter erschienen war und wie fabelhaft diese aussah. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie die ganze Sache nur geträumt oder sich eingebildet hatte. Außerdem war ihre Grandma schon so lange tot. Sie wollte nicht erneut an der Trauer ihres Großvaters rühren.

Preacher kam aus der Küche und betrachtete sie, während er die Schürze ablegte und über die Theke warf, bevor er Angie von ihrem Hocker hob und mit ehrfürchtigem Staunen in seine kräftigen Arme schloss. „Mensch, Mädchen, Mädchen, Mädchen“, sagte er und drückte sie fest an sich. Danach hielt er sie auf Armeslänge von sich weg und nahm sie etwas genauer in Augenschein. „Du siehst wunderschön aus!“ Und dann musste er sie absetzen, um sich über die Augen zu wischen.

„Preach“, meinte sie lachend.

Paige trat hinter ihrem Mann hervor und umarmte Angie ebenfalls. „Ich freue mich sehr, dass du da bist“, sagte sie warmherzig.

„Dein großer, Angst einflößender Mann heult.“

„Ich weiß. Er hat so ein weiches Herz. Er ist der Letzte, dem man in einer dunklen Gasse begegnen möchte, dabei ist er so zart besaitet. Er weint bei Disneyfilmen und kitschiger Werbung.“

„Gestern habe ich wegen eines Footballspiels geweint“, gab er zu. „Ich bin so verdammt froh, dich zu sehen, Ange. Dein Onkel Jack war völlig fertig, als du im Krankenhaus gelegen hast. Er hat sich große Sorgen gemacht.“

„Wie du feststellen kannst, ist alles gut gegangen“, erwiderte sie.

„Mel sagt, du willst etwas zu essen mitnehmen. Ich koche dir alles, was du willst, verrate mir nur, was.“

„Ich nehme, was immer auf der Karte steht, und dazu eine Flasche Wein. Habt ihr einen Sauvignon blanc?“

„Bist du sicher, dass du schon Alkohol trinken darfst?“, mischte sich Jack ein.

„Ja“, erwiderte sie und hielt lachend ihr Glas hoch. „Trotz des Biers, das ich gerade trinke, verspreche ich, mich nicht zu betrinken. Aber, lieber Himmel, Preachers Abendessen, ein Glas Wein, ein Buch, Frieden und Ruhe, das ist wie im Paradies … Oh, Jack, da draußen gibt es doch Feuerholz, oder?“

„Es ist alles vorbereitet“, antwortete er. „Weißt du, wie man Feuer macht?“

Sie verdrehte die Augen, bevor sie fragte: „Preacher, glaubst du, ich könnte ein bisschen deine Küche plündern? Mir ein paar Sachen einpacken – Eier, Milch, so etwas in der Art? Falls ich halb verhungert aufwachen sollte?“

„Unbedingt“, erwiderte er.

Im nächsten Moment bemerkte Angie, wie sich jemand räusperte. Da, am Ende der Theke, saß ganz allein ein Mann in einer tarnfarbenen, wattierten Jacke. Er hatte dunkle Haare, ein leeres Bierglas stand vor ihm, und in der Hand hielt er etwas Geld.

Jack wandte sich ihm zu, nahm das Geld entgegen und sagte: „Danke, Kumpel. Auf Wiedersehen.“

„Noch eine schöne Familienfeier“, wünschte der Mann im Weggehen.

Er war sehr groß, wie Angie als Erstes auffiel. So groß wie ihr Onkel Jack. Und sein dunkles Haar schimmerte rötlich. Dunkles Kastanienbraun. Sie hatte diese Haarfarbe vorher noch nie gesehen, es sei denn bei einer Frau, doch da kam so eine Tönung in der Regel aus einer Tube. Normalerweise schimmerte nur blondes oder hellbraunes Haar rötlich. Die Bartstoppeln auf seinen Wangen hatten ebenfalls einen deutlich rötlichen Ton.

Als er zur Tür lief, trafen sich ihre Blicke, und Angie spürte, wie ihre Wangen warm wurden – er hatte sie dabei ertappt, wie sie ihn anstarrte. Noch nie hatte sie in solche Augen geschaut, die so grün waren wie seine. Das mussten Kontaktlinsen sein. Er lächelte sie an. Schließlich wandte er sich ab und verschwand.

„Wow“, stieß sie hervor. „Wow. Wer ist denn dieser heiße Typ?“

Brie lachte. „Ich glaube, unser Mädchen ist wieder völlig gesund.“

Jack ließ ein kleines Knurren hören. „Der ist nichts für dich“, meinte er.

Angie betrachtete die lächelnden Gesichter: Brie, Page, Preacher … „Lieber Himmel, hatte ich etwa gefragt, ob der was für mich wäre?“

Preacher lachte laut. Auch das tat er selten. „Das ist Patrick Riordan“, erklärte er dann. „Er ist hier, nachdem er für eine Weile beurlaubt wurde. Er ist bei der Navy. Ich glaube, er wurde verwundet.“

„Nee, er wurde nicht verwundet“, stellte Jack klar. „Luke meinte, dass es bei seinem letzten Einsatz, einem Kriegseinsatz, zu einem Unfall kam, und dass er daraufhin entschieden hat, eine kleine Pause einzulegen. Die Riordans sind gute Leute, doch dieser hier hat gerade Probleme. Ich kenne nicht alle Einzelheiten, aber du solltest ihm vielleicht besser aus dem Weg gehen.“

„Ja, wir würden uns nicht gerne mit jemandem abgeben, der an den Folgen eines Kriegseinsatzes leidet“, spöttelte Preacher. Jack starrte ihn an. Preacher legte Angie die große Pranke auf die Schulter und erklärte: „Er ist irgendwie sehr ruhig und mürrisch, seit er hier ist. Weißt du, was ich glaube? Ihn kennenzulernen wird dich nicht besonders aufmuntern.“

Angie grinste. „Nun, was soll ich sagen, wir hatten beide einen Unfall. Was gibt es denn jetzt zum Abendessen, Preach?“

„Große Überraschung, Truthahnsuppe. Die wird dich endgültig wieder auf die Beine bringen. Ich habe die Knochen den ganzen Tag lang ausgekocht. Selbst gemachte Nudeln – das sind die besten. Und obwohl es nicht regnet, habe ich Brot gebacken.“

Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.

„Da bin ich dabei.“ Mel trat aus der Küche. „Ich habe Donna angerufen“, meinte sie. „Deine Mom möchte deine E-Mail-Adresse haben, sobald du dich heute Abend eingerichtet hast, und sie verspricht, dir Freiraum zu lassen, damit du zu dir finden kannst. Sie schlägt allerdings vor, dass du auch hier in die Unterlagen deines Medizinstudiums guckst.“

Angie verdrehte die Augen. „Dass ich mein Studium aufgeben will, ist für Frau Professor LaCroix weitaus schlimmer als für mich“, entgegnete sie. „Ich habe mich noch nie in meinem Leben so frei gefühlt.“

Nachdem sie noch ein wenig miteinander gesprochen hatten und Angie ihr Bier ausgetrunken hatte, wollte Angie mit Suppe, Brot und Wein und einigen anderen Lebensmitteln aus der Küche zur Hütte aufbrechen. Sie standen noch ein Weilchen draußen herum, und Jack küsste sie auf die Stirn. „Mach, worauf auch immer du morgen Lust hast, Liebes. Doch denk daran, falls du dich entschließen solltest, den ganzen Tag im Pyjama zu verbringen, verpasst du das alljährliche Aufstellen des Weihnachtsbaums.“

„Ihr stellt ihn morgen auf?“

Er nickte. „Das ist Tradition. Ein paar von uns sind heute Morgen rausgefahren und haben ihn gefällt. Der Baum liegt auf einem von Pauls größten Lastwagen. Er trifft morgen mit dem Rest der Ausrüstung hier ein, und dann richten wir den Baum auf.“

Mel tätschelte Angies Arm. „Es ist jetzt, wo die Bauprofis mithelfen, nicht mehr ganz so lustig“, meinte sie. „Die Chancen, dass der Baum auf ein Haus fällt, sind stark gesunken.“

Brie drückte Angie fest an sich. „Ich bin so froh, dass du länger bleibst.“

Den Tränen nahe, konnte Angie nur nicken. Von all ihren Tanten stand ihr Brie am nächsten. Brie war erst zwölf gewesen, als Angie geboren wurde. „Geht mir genauso“, erwiderte Angie. „Ich komme, um mir das Aufstellen des Baums anzusehen.“ Dann betrachtete sie den kleinen Ort, den Lichterschein, der aus schnörkellosen, kleinen Häusern fiel, die Rauchwolken, die aus den Schornsteinen quollen, die Leute, die zur Bar spazierten. Es wurde rasch dunkel, und die grauen Wolken, die sich am Himmel zusammenbrauten, wirkten, als ob sie eine schwere Last trügen. „Schneit es heute Abend?“, fragte Angie noch.

„Eher unwahrscheinlich“, antwortete Brie. „Doch der Schnee ist längst überfällig. Ruf an, wenn du etwas brauchst.“

Als Patrick zu der Hütte zurückkehrte, in der er wohnte – die Berghütte seines Bruders Aiden –, saß sein Bruder Colin auf einem Stuhl auf der Veranda.

„Was machst du denn hier?“

Colin hob eine Tasche hoch. „Ich hab dir ein paar Reste von Thanksgiving mitgebracht.“

Patrick seufzte. „Du hast sie mir gestern schon bei dir zu Hause angeboten, und ich habe abgelehnt.“

„Jilly hat sich gedacht, dass du vielleicht deine Meinung geändert haben könntest.“

„Warum hast du sie nicht einfach in die Küche gestellt?“, fragte Patrick. „Die Tür ist offen.“

Colin schüttelte nur den Kopf. „Schau, Kleiner. Ich tue nicht so, als verstünde ich alles, was in dir vorgeht, und gerade deshalb will ich nicht aufdringlich ein. Ich dringe erst in dein Territorium ein, sprich dein Haus, wenn man mich darum bittet.“

Patrick lief um ihn herum und öffnete die Tür. Er trat einen Schritt zurück und hielt sie auf. „Bitte“, sagte er. Während Colin reinging, meinte Patrick: „Es ist nicht kompliziert. Ich denke nur noch einmal über die Navy nach. Doch nach vier Jahren auf der Militärschule und einigen Jahren im Cockpit ist es nicht leicht, diesen Job infrage zu stellen.“

„Vor allem, so kurz nachdem Leigh dich verlassen und Jake gestorben ist …“, ergänzte Colin.

„Ich glaube, das nennt man einschneidende Veränderungen der Lebensumstände“, erwiderte Patrick. „Hinzu kommt, dass ich vorschriftsmäßig fällig bin. Ich werde eine eigene Einheit leiten, und ich bin mir nicht sicher, ob ich das will. Man hat mir etwas Zeit zum Überlegen eingeräumt, aber das hat nicht nur mit Jake zu tun.“ Eine Lüge, es war wegen Jake. Der Navy-Psychiater hatte ihm diese Pause verordnet.

„Du trauerst.“

„Ich denke nach“, entgegnete Patrick nachdrücklich. Schließlich wandte er den Blick ab, weil er sich mit Wehmut an die Zeit erinnerte, als er der Riordan-Bruder mit den wenigsten Problemen gewesen war und als der unkomplizierteste der Brüder gegolten hatte.

„Vielleicht würde es dir helfen, darüber zu reden“, schlug Colin vor.

So etwas hatte man ihm schon vorher geraten – viele Male. Wenn seine Brüder gewusst hätten, wie viel Zeit er bereits beim Psychiater verbracht hatte, hätten sie ihn entweder aufgegeben oder ihn noch wesentlich eindringlicher bearbeitet.

„Colin, es ist noch nicht lange her, da haben wir alle versucht, dich dazu zu bringen, über deine Probleme zu sprechen. Damals bist du wütend geworden, weil du deine Gefühle für dich behalten wolltest …“

„Ich konnte nicht anders“, korrigierte ihn Colin. „Denn nachdem ich im Black Hawk keine große Verheißung mehr sah, habe ich Schmerztabletten gefuttert, als wären es M&Ms. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich es nicht ertragen, dass mir jemand zu nahekommt.“

„Das war schon vorher so“, meinte Patrick. „Du warst derjenige von uns Brüdern, der sich nur selten in Familiendingen hervorgetan hat, und wenn, dann nicht für lange, also übe ein bisschen Nachsicht mit uns. Jetzt werden wir dich mal für eine Weile unter unsere Fittiche nehmen.“

Patrick hatte sich tatsächlich aus dem Grund entschlossen, nach Virgin River zu fahren, weil seine beiden Brüder Luke und Colin hier wohnten, und Sean und Aiden ebenfalls in der Nähe waren. Patrick wollte seine Brüder sehen, allerdings nicht zu oft. Und weil Patrick eigentlich draußen auf See sein sollte und nicht in Virgin River, hatte der gesamte Riordan-Clan einen gemeinsamen Weihnachtsurlaub im warmen und sonnigen San Diego geplant. Sie hatten zwei große Häuser am Strand gemietet, und seine Mutter, Maureen, und ihre bessere Hälfte George würden mit ihrem Wohnmobil ebenfalls dorthin kommen. Doch Patrick wollte nicht nach San Diego. An Weihnachten wäre er wieder in Charleston, entweder um einen neuen Einsatz anzunehmen oder um seine Sachen zu packen und sich zu verabschieden. Bis dahin war Aidens kleine Hütte oben auf dem Berg perfekt für ihn. Schön weit weg von allem. Und genau das gefiel ihm.

Colin legte Patrick die Hand auf die Schulter. „Schon vor dem Oxycodon hatte ich das Arschlochsein zur Kunstform erhoben. Das ist mir inzwischen bewusst. Ich musste erst völlig ausgebrannt sein, bevor ich mich in den Schatz verwandeln konnte, der ich heute bin.“ Dann grinste er, ohne die Hand von Patricks Schulter zu nehmen. „Aber du warst immer der Beste von uns. Der Stabilste, der Sensibelste. Keiner war so gefestigt wie du. Es ist schwer, sich den kleinen Bruder in einem Kampfeinsatz vorzustellen. Und jetzt? Es ist schlimm mitzuerleben, wie sehr du dich quälst.“

„Ich quäle mich nicht“, erwiderte Patrick. „Ich denke nur nach. Ausgerechnet jetzt eine Einheit zu leiten würde bedeuten, mich mit meiner Karriere festzulegen. Darüber muss ich erst nachdenken. Ich werde darüber sprechen, sobald ich ein paar Dinge für mich geklärt habe. Und ich bin nicht total unsozial, ich bin immerhin zum Thanksgiving-Essen bei euch gewesen, stimmt’s? Ich gehe fast jeden Tag hinunter ins Dorf, um ein Bier zu trinken.“ Er hatte keinen Alkohol in der Hütte, weil ihm die Vorstellung, sich für ein paar Wochen dauerhaft zu betrinken, zu verlockend erschien. „Ich brauche einfach nur ein bisschen Zeit. Mehr nicht. Es gibt keinen Grund, dir Sorgen um mich zu machen.“

Colin zog die Hand weg. „Na gut. Also, wenn du nicht unsozial bist, begleite mich doch morgen. Der Weihnachtsbaum wird aufgestellt.“

„Der große Baum?“, fragte Patrick.

„Ja. Da wird jeder eingespannt. Ich schaue vorbei, weil ich mir sicher bin, dass sie meinen Rat brauchen werden. Für Luke ist es eine große Sache. Der General und Jack werden um die Rolle des Anführers wetteifern, Paul Haggerty ist allerdings derjenige, der tatsächlich das Sagen hat, weil er die nötige Ausrüstung mitbringt. Den Baum aufzustellen und zu sichern ist eine Zwei-Tage-Aktion, und alle Einwohner kommen irgendwann vorbei. Und später reisen Leute aus dem ganzen Bundesstaat an, um ihn zu bewundern.“

„Ich schaue vermutlich in den nächsten Tagen mal vorbei …“

„Gut“, erklärte Colin. Er drückte Patrick die Tasche mit den Resten vom Truthahnessen in die Hand. „Stell das in den Kühlschrank. Wir sehen uns.“

„Ja, klar.“

Nachdem Colin weg war, rief Patrick bei Jakes Witwe Marie an. Er redete jeden Tag mit ihr. „Hallo, ich bin’s. Wie geht es dir heute?“

„Die Feiertage setzen mir ziemlich zu, doch ich wusste schon vorher, dass es so sein würde“, erklärte sie. „Ich war gestern bei meiner Familie, und die ist zahlreich. Der Freund meines Bruders hat gesagt, dass er gerne mit mir ins Kino würde. Wahrscheinlich hat ihm mein Bruder Geld dafür angeboten.“

„Denke ich nicht“, erwiderte Patrick. „Wer würde denn nicht gerne mit dir ins Kino gehen? Bist du schon wieder so weit … dich mit einem Mann zu verabreden, meine ich?“

„Noch nicht so richtig“, entgegnete sie leise. „Dafür ist es noch nicht lange genug her …“

Erst ein paar Monate, schoss es Patrick durch den Kopf.

„Und ich war lange mit Jake zusammen“, ergänzte Marie. Sechs Jahre. Patrick wusste genau, wie lange Jake und Marie ein Paar gewesen waren. Sie hatten sich zwei Jahre lang gedatet, und vor vier Jahren war Patrick dann ihr Trauzeuge gewesen. Zwei Jahre später wurde Jakes Sohn Daniel geboren, Patricks Patenkind. Patrick und Jake waren gemeinsam in Afghanistan im Einsatz gewesen, als etwas falschlief und Jake abgeschossen wurde. An diesem Manöver waren nur ihre beiden Maschinen beteiligt gewesen. Patrick hatte den Einsatz geleitet und fühlte sich deshalb für das Unglück verantwortlich. Er litt unter dem Schuldgefühl der Überlebenden und fragte sich immer wieder, weshalb es nicht ihn getroffen hatte. Von Jake hing das Glück einer ganzen Familie ab.

„Ich weiß. Aber darf ich dennoch sagen, dass es okay wäre, Marie?“, fragte Patrick. „Ob in ein paar Wochen oder Monaten spielt keine Rolle. Falls du das Gefühl hast, du würdest gerne mit jemandem ausgehen, dann tu es und amüsiere dich ein bisschen. Das ist in Ordnung. Es würde Jake nichts ausmachen. Das ist dir doch klar.“

„Ich weiß. Und irgendwann werde ich auch wieder so weit sein. Aber, Paddy, erst muss ich die Feiertage ohne ihn durchstehen. Die ganzen Festtage und Geburtstage und Jahrestage …“

Ach, ist das so? fragte sich Patrick. „Hat dir das jemand gesagt?“

„Ich war ein paarmal in der Trauergruppe meiner Kirchengemeinde, und manche Leute behaupten, dass es leichter wird, wenn man diese wichtigen Termine beim ersten Mal allein hinter sich bringt. Oder zumindest würde es dann weniger schlimm sein.“

„Hör mal, Marie. Ich habe viel freie Zeit. Willst du, dass ich eine Weile zu dir komme …?“

„Es tut mir immer gut, dich zu sehen, Paddy. Doch seit ich nach Oklahoma zurückgekehrt bin, bin ich ständig von Menschen umgeben. Ich schätze, es wäre besser, wenn du dich um dich kümmerst. Mir ist bewusst, dass du Jake genauso sehr vermisst wie ich. Du musst auch ein paar Dinge verarbeiten. Mit deinen eigenen Problemen klarkommen.“

Patrick schwieg kurz. „Ich überlege gerade, das Fliegen aufzugeben“, sagte er dann.

„Warum?“, stieß Marie erstaunt hervor. „Wegen Jake? Paddy, du liebst das Fliegen!“

„Nicht wegen Jake. Weil es auf lange Sicht …“

„Und was willst du dann tun? Was?“

„Vielleicht bleibe ich nicht bei der Navy …“

„Okay, jetzt weiß ich, dass du völlig durcheinander bist. Du bist mehr Navy als alle anderen, die ich kenne. Du bist demnächst Commander und wirst eines Tages Joint Chief.“

Nein, dachte er, so ein hohes Tier werde ich niemals. Es gefiel ihm, ein Kampfflugzeug zu fliegen, und er hätte auch damit leben können, Kampfflugzeuge zu befehligen. Doch seit Jakes Absturz hatte Patrick das Gefühl, dass sich in seinem Leben plötzlich alles verändert hatte, und er war sich nicht mehr sicher, wie sein nächster Schritt aussehen sollte. „Ich überlege mir das alles noch“, meinte er. „Kann auch sein, dass ich das Fliegen doch nicht aufgebe, aber mir wird auf diesem großen, grauen Schiff immer schlecht.“

Das kann ich verstehen“, sagte sie. „Und dieses kleine Feldbett? Und die nächtlichen Einsätze?“ Sie lachte. „Wenn ihr Jungs nach Hause gekommen seid, hat Jake eigentlich immer behauptet, dass er das alles vermissen würde. Ist das zu glauben?“

„Da hat er mir aber immer etwas anderes erzählt“, erwiderte Patrick und lachte leise in sich hinein.

„So ein wilder Kerl war er“, erinnerte sie sich melancholisch. Und dann brachte sie mit tränenerstickter Stimme hervor: „Ich glaube nicht, dass es mir jemals wieder möglich sein wird, so viel für einen anderen Mann zu empfinden.“

„Es ist noch zu früh, um so etwas sagen zu können“, entgegnete Patrick, der ein Geheimnis hatte, über das er nicht sprach. Seiner Meinung nach würde er die nächsten zehn Jahre bei der Navy, wenn überhaupt, nur dann überstehen, wenn eine Frau wie Marie an seiner Seite stünde. Das war es, was Jakes Leben so erfüllt hatte, und genau das wollte Patrick auch – jemanden, der zu ihm gehörte. Er wusste, dass er zu oft allein war. „Wir müssen das Jahr überstehen.“

„Paddy, bist du sehr einsam?“, fragte sie ihn, als ob sie seine Gedanken lesen konnte.

„Nein, ich komme schon klar. Meine Brüder sind hier.“ Die Brüder, denen ich aus dem Weg zu gehen versuche, dachte er. Einsamkeit war nicht sein Problem. Als Navy-Pilot war er ständig mit anderen Leuten zusammen – Piloten, Waffensystemoffizieren, Mechanikern und vielen anderen. Ein Flugzeugträger war der einzige Ort, an dem er wenigstens ein bisschen Privatsphäre hatte. Dort oder oben am Himmel. Bei Letzterem lag die Betonung auf ein bisschen, weil immer jemand neben oder hinter ihm im Flugzeug saß.

Doch genau wie ein altes Ehepaar hatten sich Jake und Patrick niemals miteinander gelangweilt.

Wenn sie schließlich nach Charleston zurückkehrten, war Jake immer bei seiner Frau gewesen und Patrick normalerweise bei Leigh, falls Leigh in der Stadt war und es ihre Terminpläne erlaubten. Jake und Leigh, seine beiden engsten Freunde. Aber dann hatte Leigh nach vier Jahren auf einmal Schluss mit ihm gemacht, und kurze Zeit später war Jake gestorben. Als Nächstes erinnerte sich Patrick daran, wie er beim Seelenklempner der Navy gesessen hatte, um das alles zu verarbeiten. Oder Jakes Tod war eben nicht zu verarbeiten. Er hatte dem Doktor nicht viel zu sagen gehabt und das Ende seiner Beziehung nicht einmal erwähnt.

Der Psychiater hatte Patricks Commander gebeten, ihn sechs Wochen zu beurlauben. Sechs Wochen Urlaub von der Navy waren ziemlich selten, es sei denn, man hatte eine schreckliche Tragödie erlebt wie zum Beispiel den Krebstod der Frau.

Paddy stand kurz vor seiner Neuverpflichtung bei der Navy. Er hätte einfach ablehnen und der Navy den Rücken kehren können, doch sein Boss wollte, dass er zurückkam. Und er wollte, dass Patrick eine Einheit kommandierte. Aber diese Aufgabe anzunehmen, ohne seine beiden besten Freunde an seiner Seite – seine Freundin und seinen Kumpel –, konnte er sich nur mit Mühe vorstellen. Er wusste einfach nicht, ob er das allein schaffen würde.

Es fiel ihm immer noch schwer zu glauben, dass sie ihn verlassen hatten.

2. KAPITEL

Am Freitagabend nach Thanksgiving setzte heftiger Schneefall ein, und Angie fühlte sich wie in einer Zauberlandschaft. Obwohl sie früher ein wenig Ski gefahren war, wohnte sie in einer Stadt, von der aus sie nur oben in den Bergen Schnee sehen konnte. Doch hier war die Veranda der kleinen Waldhütte schnell vollständig schneebedeckt. Angie zog ihre dicke Winterjacke an und setzte sich kurz auf die Veranda, um dem Schneetreiben zuzusehen. Alles war so still. So zart. So als ob man sich im Inneren einer Schneekugel befand.

Der Kamin in Mels und Jacks kleiner Hütte war groß und warm, eine weitere Heizung unnötig. Angie legte ein paar Holzscheite nach und kuschelte sich dann auf dem Sofa unter ihre Bettdecke. Am nächsten Tag konnte sie sich nicht daran erinnern, jemals besser geschlafen zu haben als auf diesem niedrigen, weichen Sofa. In der Nacht waren zwanzig Zentimeter Schnee gefallen. Der Morgen dämmerte hell und klar über einem dicken, weißen Teppich aus Schnee. Die Pinien sahen aus wie mit Puderzucker überzogen. Es schien, als befände sich Angie auf einem anderen Planeten – unendlich weit von dem L. A. Freeway entfernt, wo sich ihr Leben für immer verändert hatte. Unendlich weit von ihrem Zuhause in Sacramento entfernt, wo sie aufgewachsen war und nach ihrem Unfall in gewisser Weise noch einmal ihre Kindheit durchlebt hatte.

Ja, das hier war genau, wonach sie gesucht hatte. Eine Atempause, ein wenig Ruhe und Frieden. Ganz altmodisch.

Niemand sonst konnte nachvollziehen, wie schwierig es war, aus einem Albtraum zu erwachen, der das Leben mit einem Schlag veränderte. Ein paar Wochen nach dem Unfall hatte Angie noch unter teilweisem Gedächtnisverlust gelitten, obwohl sie genau wusste, wer ihre Freunde waren, womit sie sich vorher beschäftigt und welche Zukunftspläne sie gehabt hatte. Und dann war da diese Idee, Ärztin zu werden – sie wusste, dass sie es schaffen konnte und ihre Sache gut machen würde. Sie war in diese Richtung erzogen worden, seit ihre intellektuellen Eltern ihr Interesse für Naturwissenschaften entdeckt hatten. Doch es war immer eher darum gegangen, es eines Tages zu einer Gedenktafel oder einem Preis zu bringen, als um die Frage, was es mit ihrem Leben machen würde. Nachdem sie jahrelang auf dieses Ziel hingearbeitet hatte, wusste sie nicht, was sie nun mit dem Gefühl, das ihr das nicht genügen würde, anfangen sollte. Vielleicht würde ihre Begeisterung zurückkehren, nachdem sie hier in der Schönheit der Natur wieder zu Kräften gekommen war.

Sie war immer noch mit denselben Menschen befreundet wie früher, obwohl sie gerade in letzter Zeit nicht viel von ihnen gehabt hatte. Die meisten waren mit dem Medizinstudium beschäftigt, während Angie einen ziemlich rigorosen Reha-Plan einhalten und einen Umzug von L. A. zu ihren Eltern nach Sacramento hinter sich bringen musste. Einen ihrer Freunde vermisste sie dennoch – Alex. Er studierte ebenfalls Medizin, und vor dem Unfall waren sie für einige Monate zusammen gewesen. Nichts Ungewöhnliches unter Studenten, die ständig mit anderen Studenten ausgingen. In erster Linie hatte sich ihre Beziehung auf Bequemlichkeit gegründet, denn sie schien sich gut mit dem intensiven Medizinstudium vereinbaren zu lassen. Alex hatte während der Reha mit ihr Schluss gemacht, nachdem sie aus dem Koma erwacht war, aber bevor sie sich an etwas erinnerte und wieder laufen konnte. Seltsamerweise hatte ihr sein Verhalten bemerkenswert wenig ausgemacht, außer dass sie gedacht hatte: Wow! Wer macht denn so etwas? Seine Freundin verlassen, während sie sich gerade von den schweren Verletzungen eines Unfalls erholt? Dieser Gedanke tauchte immer noch ab und zu auf.

Das Läuten eines Telefons in der Hütte unterbrach ihre Überlegungen und brachte sie wieder in die Gegenwart zurück. Sie versuchte, das Klingeln zu ignorieren. Es war immer noch ziemlich früh, und sie hatte sich noch keinen Kaffee gekocht und auch keine Lust zu frühstücken. Deshalb schlüpfte sie direkt in ihre verwaschene Jeans, dann in ihre abgenutzten Cowboystiefel und griff nach ihrer Jacke. Das Telefon läutete ohne Unterlass. Deshalb hob sie, laut seufzend, schließlich doch ab. „Hallo.“

„Du wohnst gar nicht bei Jack“, sagte ihre Mutter.

„Hallo, Mom. Nein. Ich wohne in seiner Ferienhütte.“

„Aber ich dachte, wir hätten uns verstanden. Du solltest bei Jack oder Brie wohnen.“

„Nein. Das wolltest du so. Ich mag die beiden sehr gerne, aber ich will nicht bei ihnen wohnen. Ich hatte von Anfang an auf das Ferienhäuschen oder Jacks Gästehaus gehofft, weil ich ein bisschen Zeit und Raum für mich haben wollte.“

„Genau darüber hatte ich mit dir gesprochen. Du bist überhaupt nicht mehr du selbst. Deshalb habe ich einen Termin mit einem Psychiater für dich gemacht“, sagte sie. „Wir sollten der Sache auf den Grund gehen.“

Angie lachte. „Hör zu, Mom, tu dir selbst einen Gefallen. Sag den Termin wieder ab. Jeder Therapeut wird dir sagen können, dass mein Hirn ganz wunderbar funktioniert. Ich bin nicht das Problem. Ich mache nur alles anders als du, und das macht dich verrückt. Und jetzt muss ich auflegen, denn ich will nicht zu spät zum Aufstellen des Weihnachtsbaums kommen.“

„Angie …!“

„Bye“, sagte sie und legte auf.

Psychiater? Niemals. Außerdem war sie schon bei einem gewesen, und keiner, ganz egal wie viele Abschlüsse er hatte, konnte sie davon überzeugen, dass mit ihr etwas nicht stimmte, nur weil sie die Pläne ablehnte, die ihre Mutter für sie hatte.

Das Telefon läutete erneut, aber Angie zog den Reißverschluss ihrer Jacke zu und verließ das Haus. Auf der Veranda blieb sie stehen, um einem kurzen Augenblick der Reue nachzugeben. Einem Gefühl von Traurigkeit. Es musste zu Reibereien zwischen einer erstgeborenen Tochter und ihrer willensstarken Mutter kommen. Das war ganz normal. Doch Angie hatte es bisher immer verstanden, ihren Eltern zu gefallen. Obwohl Donna immer behauptet hatte, dass es anstrengend gewesen sei, Angie aufzuziehen, war es Angie gelungen, der ganze Stolz ihrer Mutter zu sein. Solange sie denken konnte, hatte Angie noch nie in dem Maße aufbegehrt wie jetzt.

Donna schien Angies jüngere Schwestern nicht mit derselben Vehemenz anzutreiben. Wenn Jenna oder Beth sich den Plänen ihrer Mutter widersetzten, schien Donna viel schneller nachzugeben. Einfach so.

„Dr. Temple, glauben Sie, dass sich meine Persönlichkeit verändert hat?“

„Das ist möglich. Es gibt immer die Möglichkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung, ausgelöst durch einen schrecklichen Unfall wie Ihren.“

„Habe ich so eine Störung?“

„Störung? Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, aber ich habe nicht das Gefühl. Glauben Sie denn, dass Sie eine Störung haben?“

„Wissen Sie, ich fühle mich einfach, als ob ich endlich aufgewacht wäre. Ich habe das Gefühl, als ob ich einiges ändern sollte, und das erfüllt mich mit einer großen Erleichterung. Es ist wie eine zweite Chance, aber es verärgert meine Familie. Sie sind besorgt und wütend, vor allem meine Mutter. Ich kämpfe ständig mit ihr, vor allem wegen meines Studiums, und streite mich mit ihr wie nie zuvor.“

„Hm. Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob Sie Ihr neues Ich mögen?“

„Ich mag es. Ich möchte unabhängiger werden. Aber ich will auch meine Mutter nicht enttäuschen. Sie hat sich schon lange in den Kopf gesetzt, dass ich Ärztin werden soll.“

„Ich glaube, Angie, dass Sie sich an das halten sollten, was in Ihrem Kopf und nicht in dem Ihrer Mutter vor sich geht. Sie sind erwachsen und nicht mehr Mamas kleines Mädchen. Vielleicht brauchen Sie ein wenig Raum und Zeit, um darüber nachzudenken.“

Kurz nachdem Angie diese Unterhaltung mit Dr. Temple geführt hatte, hatten sich Onkel Jack und Brie eingemischt. Jack hatte Donna angerufen und gesagt: „Ihr beiden seid wie Hund und Katze. Andauernd streitet ihr, und daran wird sich auf diese Weise auch nichts so schnell ändern. Schick Angie eine Zeit lang zu uns. Für ein paar Wochen. Gönn dir eine Atempause und erlaube Angie, eine neue Perspektive auf ihr Leben zu entwickeln. Alles andere macht keinen Sinn.“

Es war noch ein Anruf von Brie nötig, bis Donna schließlich zustimmte.

Angie konnte ihren Vater im Hintergrund erleichtert aufseufzen hören.

Als Angie im Dorf eintraf, sah sie, dass auf dem Platz, trotz der frühen Stunde, schon jede Menge los war. Ein großer Tieflader, auf dem der Baum lag, blockierte die Straße. Er fuhr hinter einem anderen Tieflader mit einer gigantisch großen Seilwinde her. Der Straßenabschnitt zwischen Bar-Lokal und Kirche, wo bei milderem Wetter Picknicktische standen, war komplett vom Schnee befreit worden. Dort würde man den Baum aufstellen. Der hydraulische Erdbohrer dröhnte wie ein Presslufthammer und durchbrach die morgendliche Stille mit seinem unangenehmen Lärm. Ringsum standen bereits eine Menge Menschen, die sich ansahen, wie der Baum an der Winde befestigt wurde. Mehrere Trossen, mit denen man die Tanne am Boden befestigen würde, hingen von ihr herab.

Der Baum war einfach riesig.

Jemand drückte Angie einen Becher Kaffee in die Hand. Als sie sich umdrehte, blickte sie in das Gesicht von Mike, Bries Ehemann und ihr Onkel. Sie hatte ihr Verlangen nach Koffein völlig vergessen. „Danke“, sagte sie und küsste ihn auf die Wange.

„Und wie ist es in dem kleinen Häuschen?“, fragte er sie.

„Perfekt. Ich werde mir noch ein paar Kerzen aus der Bar mitnehmen. Letzte Nacht saß ich auf der Veranda und habe einfach nur zugesehen, wie es schneit. Wenn ich ein paar Kerzen gehabt hätte …“

„Ich bin mir sicher, dass sich das arrangieren lässt, chica“, sagte er und legte ihr den Arm um die Schulter.

Während sie gemeinsam auf der Straße standen und das Treiben beobachteten, befestigte man Ketten am Baum, der Motor der Winde lief auf Hochtouren. Immer mehr Menschen kamen herbei, um der Errichtung des Weihnachtsbaums zuzusehen. Inzwischen musste man bereits weiter unten an der Straße parken, um noch einen Platz zu bekommen. Jack und General Booth standen in Paul Haggertys Nähe. Sie unterhielten sich wild gestikulierend, während Paul seinem Team Anweisungen erteilte und die beiden völlig zu ignorieren schien.

Bis man den Baum endlich vom Tieflader hob, hatte Angie ihren Kaffee längst ausgetrunken. Vier Männer hielten schwere Trossen in den Händen, um den in der Luft schwebenden Baum so zu manövrieren, dass der Stamm schließlich im eigens dafür gebohrten Erdloch versank. Dann zog man so lange an den Trossen, bis der Baum aufrecht stand. Aus der Menge, die neugierig um die Tanne herumstand, ertönte ein langgezogenes, kollektives „Ah!“. Der Applaus klang, wegen der Handschuhe und Fäustlinge, die die meisten Zuschauer trugen, ein wenig gedämpft.

Schließlich kamen Jack und der General zum Einsatz: Sie standen auf der gegenüberliegenden Seite der Straße und beurteilten den Stand des Baumes, bevor man die Trossen fest im Boden verankerte. Dabei zeigten sie einmal nach rechts, dann nach links und wieder nach rechts.

Und da sah Angie ihn. Er stand auf der Veranda vor dem Lokal und lehnte mit dem Rücken an einer Säule. Er hatte sie definitiv beobachtet. Als ihre Blicke sich trafen, lächelte er leicht, wobei er einen Mundwinkel nach oben zog. Er wirkte ein wenig verschlafen, aber das Grün seiner Augen war immer noch überwältigend. Sie wollte sich diese Augen näher ansehen.

Von ganz nah.

Patrick hob den Kaffeebecher zum Mund, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen, und betrachtete sie über den Rand hinweg.

„Alles in Ordnung, chica?“, fragte Mike.

„Dieser Typ da“, sagte sie nur. „Kennst du ihn?“

Mike folgte ihrem Blick. „Patrick? Ich kenne seine Brüder. Ihm selbst bin ich nur ein- oder zweimal begegnet.“

„Wie lange wohnt er schon in der Gegend?“

„Er ist nur zu Besuch, wie ich gehört habe. Alles in Ordnung mit dir?“

„Er starrt mich an“, sagte sie leise, wobei sie versuchte, möglichst jede Lippenbewegung zu vermeiden.

Mike räusperte sich. „Ähm, hör mal. Wenn er dafür sorgt, dass du dich seltsam fühlst, könnte ich ein Wörtchen mit ihm reden.“

Sie grinste Mike an. „Ja, stimmt. Er sorgt dafür, dass ich mich seltsam fühle, aber nicht unbedingt auf eine unangenehme Art. Sag also nichts zu ihm, in Ordnung? Sorge auf keinen Fall dafür, dass er damit aufhört. Ich glaube, so wie er hat mich bisher noch nie ein Mann angesehen.“

Mike drehte Angie zu sich. Seine schwarzen Augen musterten sie eingehend. „Ange, spiel lieber nicht mit dem Feuer. Ich weiß nicht viel über Patrick, außer, dass er in einer schwierigen Situation steckt, die etwas mit dem Militär zu tun hat. Die Navy hat ihm eine längere Auszeit als normalerweise üblich zugebilligt, was darauf hindeutet, dass es irgendein Problem gibt. Er verbringt diese freie Zeit in Virgin River. Bevor du in deinem jugendlichen Leichtsinn irgendetwas Dummes tust, solltest du besser erst mit Jack sprechen.“

Sie lachte belustigt. „Wow, mit Onkel Jack über einen sehr interessanten Typ reden – klingt das nicht unterhaltsam? Na ja, ich war damals noch sehr jung, aber wenn ich mich recht erinnere, hielt dich Onkel Jack für eine ziemlich schlechte Wahl für Brie. Habe ich das noch richtig im Kopf?“

Mike schürzte nachdenklich die Lippen. „Punkt eins: Brie und ich waren damals beide älter, als du es jetzt bist. Punkt zwei: Wir hatten unabhängig voneinander bereits einige ordentliche Krisen hinter uns, was Jacks Beschützerinstinkt geweckt hat. Dennoch waren wir klug genug, es langsam angehen zu lassen. Weißt du, was ich damit sagen will? Ich kenne zwar keine Einzelheiten, habe aber gehört, dass Patrick ein paar Probleme hat – echte Probleme. Verstehst du?“

„Absolut“, erwiderte sie. „Glücklicherweise gab es ja in meinem Leben noch keine Krisen oder Probleme …“

„Oh, Mann“, sagte Mike. „Jetzt machst du mir Angst.“

Sie tätschelte seinen Arm. „Ich komme schon zurecht, Onkel Mike. Ich weiß, dass es allen schwerfällt zu akzeptieren, dass ich kein kleines Mädchen mehr bin. Damit kann ich umgehen.“ Sie wandte sich ab, um noch einmal zu Patrick zu schauen, aber er war nicht mehr da. „Mist“, murmelte sie. „Ich hoffe, du hast ihn nicht vergrault. Ich wollte nämlich mit ihm reden.“

„Ich war knapp davor, dir zu raten, nicht mit ihm zu sprechen.“

„Ja, weiß ich“, erwiderte sie. „Und jetzt brauche ich dringend Nachschub an Koffein. Danke. Übrigens, wie geht es Brie?“

„Ich glaube, sie ist mit Ness in der Bar, aber Ange …“

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