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Zuhause in Virgin River

Als Buch hier erhältlich:

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Virgin River: Der Ort, an dem die Liebe zuhause ist!

Vielleicht hat er es doch nicht so schlecht getroffen! Das ist der erste Gedanke, der Conner Danson bei seiner Ankunft in Virgin River durch den Kopf geht. Als Augenzeuge in einem Mordfall muss er untertauchen, bis der Prozess in seiner Heimatstadt vorüber ist. Und dieses kleine Idyll inmitten der Berge scheint wie dafür gemacht. Die Gastfreundschaft der Dorfbewohner lässt ihn schnell vergessen, dass er hier kein Zuhause sucht. Vor allem Leslie Petruso rührt eine längst verloren geglaubte Saite in ihm. Denn nachdem er von den Affären seiner Ehefrau erfahren hatte, verschloss er sein Herz für immer. Aber ein Blick in Leslies funkelnde Augen lässt ihn wünschen, er würde sich trauen, wieder zu lieben …


  • Erscheinungstag: 01.05.2015
  • Aus der Serie: Virgin River
  • Bandnummer: 15
  • Seitenanzahl: 320
  • ISBN/Artikelnummer: 9783956494178
  • E-Book Format: ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Robyn Carr

Zuhause in Virgin River

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Barbara Alberter

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Hidden Summit

Copyright © 2012 by Robyn Carr

erschienen bei: MIRA Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-417-8

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Brie Valenzuela trank ihren Milchkaffee aus und starrte in die leere Tasse. Seit mehr als einer Stunde wartete sie nun schon in diesem Café und versuchte so zu tun, als wäre sie völlig in ihre Zeitung vertieft. Aber je mehr Zeit verstrich, desto nervöser wurde sie. Der Mann, den sie treffen sollte, hatte einen Mord beobachtet und brauchte einen Ort, wo er sich verstecken konnte. Weil sie einem Kollegen bei der Bezirksstaatsanwaltschaft in Sacramento noch einen Gefallen schuldig war, hatte sie diesem Zeugen in Virgin River Unterkunft und Arbeit besorgt. Und wenn ein Zeuge sich bei einem Treffen mit seiner Kontaktperson verspätete, war das ein Grund zur Sorge.

Brie hätte gern in Sacramento angerufen, wollte allerdings niemanden beunruhigen. Stattdessen bestellte sie bei dem Barista noch einen Kaffee.

Der Zeuge, der mittlerweile Conner Danson hieß, hatte mitangeschaut, wie ein prominenter Geschäftsmann aus Sacramento einen Mann erschossen hatte. Danson hatte gerade hinter seinem Baumarkt Müll entsorgen wollen, als es passierte, und alles gesehen. Er war es, der die Polizei angerufen hatte, und er war der einzige Zeuge des Verbrechens. Dank seiner prompten Meldung konnten im Wagen des Unternehmers, wenn auch nicht die Waffe, so doch Blutspuren gesichert werden, obwohl er bereits gereinigt worden war. DNA-Untersuchungen belegten eindeutig, dass es sich um das Blut des Opfers handelte. Nachdem der Mann verhaftet worden war, hatte kurz darauf Dansons Baumarkt in Flammen gestanden und war bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Zu Hause hatte ihm jemand eine Drohung auf den Anrufbeantworter gesprochen: Diesmal haben die Flammen dich nicht erwischt, aber noch einmal entkommst du uns nicht.

Es war offensichtlich, dass der Verdächtige – Regis Mathis, eine angesehene Stütze der Gesellschaft – in die Sache „verwickelt“ war.

Brie und Max – offiziell Ray Maxwell – hatten vor einigen Jahren als Staatsanwälte in Sacramento für den damaligen District Attorney gearbeitet, und jetzt war Max selbst der D. A., der Bezirksstaatsanwalt. Es hatte schon einmal Probleme beim Schutz der Anonymität von anderen Zeugen gegeben, und Max war sich nicht sicher, ob die undichte Stelle in seiner Abteilung saß oder bei der Bundespolizei. Deshalb wollte Max als Vorsichtsmaßnahme in Conners Fall sein eigenes Zeugenschutzprogramm anwenden, denn er hatte nicht vor, auch nur das geringste Risiko einzugehen und den einzigen Zeugen eines Mordfalls von großem öffentlichen Interesse zu verlieren.

Es dauerte noch einmal zwanzig Minuten, bis die Tür geöffnet wurde und ein Mann eintrat. Zuerst dachte Brie, dass er unmöglich ihr Zeuge sein könnte. Er war viel zu jung, um Besitzer eines florierenden Baumarkts zu sein, der Baufirmen belieferte. Der Kerl war nicht älter als fünfunddreißig, und – mangels einer präziseren Beschreibung – ziemlich sexy. Brie schätzte ihn auf einen Meter neunzig, und mit seinen Muskeln, die sich durch das weiße T-Shirt unter der offenen Lederjacke abzeichneten, war er gebaut wie ein Adonis: breite Schultern, schmale Hüften, tief sitzende Jeans, lange Beine. Auch wenn er im Moment eine sehr unglückliche Miene machte, war sein Gesicht perfekt geschnitten: kantiger Kiefer, gerade Nase, dichte Augenbrauen und tiefliegende dunkelblaue Augen. Er trug einen sehr attraktiven, sorgfältig gepflegten Oberlippen- und Kinnbart.

Der Typ blickte in ihre Richtung. Als sie aufstand, kam er auf sie zu, und sie breitete die Arme aus. „Umarmen Sie mich, Conner. Als wären wir alte Freunde. Ich bin Brie Valenzuela.“

Leicht zögernd folgte er ihrer Aufforderung, wobei die zierliche Brie in seiner Umarmung beinahe verschwand. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen“, meinte er leise.

„Setzen Sie sich. Ich hole Ihnen einen Kaffee. Wie trinken Sie ihn?“

„Schwarz.“

„Kommt sofort.“ Sie schritt zum Tresen, bestellte und erschien mit dem Getränk wieder bei ihm. „Also“, sagte sie. „Wir sind ungefähr im selben Alter, deshalb können wir als Freunde vom College durchgehen.“

„Ich war nie wirklich am College“, wandte er ein. „Nur ein Semester.“

„Das reicht. Wie alt sind Sie?“

„Fünfunddreißig.“

„Ist das nicht ein bisschen jung, um Besitzer eines erfolgreichen Unternehmens zu sein?“

„Gewesen zu sein“, verbesserte er sie, und sein Gesicht verfinsterte sich. „Das Geschäft gehörte meinem Vater. Er ist vor zwölf Jahren gestorben, aber ich bin in dem Laden aufgewachsen. Also habe ich ihn übernommen.“

„Verstehe. Als Freunde vom College sollten wir uns übrigens duzen. Du bist hierhergefahren, weil du dich nach etwas anderem umschauen möchtest, nachdem die Baufirma, für die du in Colorado Springs gearbeitet hast, Konkurs angemeldet hat. In diesem Umschlag befindet sich das komplette Skript deiner Geschichte, obwohl ich mir sicher bin, dass Max bereits alles mit dir besprochen hat.“

Conner nickte. „Er hat mir auch meine neuen Papiere überreicht. Heute Morgen habe ich den Pick-up in Vacaville abgeholt.“

„Ich habe ein kleines Haus für dich gemietet. Es ist sehr klein, aber gemütlich. Schließlich soll es ja nur vorübergehend sein, und das kannst du auch jedem sagen. Ein Freund von mir ist Bauunternehmer. Er heißt Paul Haggerty und wird dir einen Job geben. Wenn es sein muss, kann er dich den ganzen Sommer über beschäftigen. In der Sommersaison hat er am meisten zu tun, und damit hättest du sechs Monate. Doch so viel Zeit wirst du nicht brauchen. Hoffe ich jedenfalls.“

„Wer weiß über mich Bescheid?“

„Mein Mann Mike und ich. Es ist nur in deinem Interesse, dass Mike informiert ist, denn er ist nicht irgendein Kleinstadtsheriff, sondern ein sehr erfahrener Detective, der früher beim Los Angeles Police Department war. Ansonsten bist du vollkommen anonym. Hör zu, es tut mir sehr leid, dass du das durchmachen musst, allerdings möchte ich dir im Namen des Staates dafür danken, dass du bereit bist, vor Gericht auszusagen.“

„Lady, bedanken Sie sich nicht. Ich habe keine andere Wahl. Und bei einem Gewitter halten Sie sich lieber von mir fern, denn momentan ziehe ich die Blitze geradezu magisch an. Im letzten Jahr war mein Leben die reinste Hölle.“

Brie runzelte die Stirn. „Nenn mich nicht Lady. Ich heiße Brie, wir duzen uns, und ich helfe dir. Du bist nicht der einzige Mensch auf Erden, der Pech hatte. Auch ich habe meinen Teil abbekommen. So, ich habe ein neues Handy für dich. Hier ist die Nummer. Deine Schwester haben wir gleichfalls mit einem neuen Telefon ausgestattet. Die Vorwahl für beide Nummern ist Colorado Springs, und die Rechnung wird von der Staatsanwaltschaft bezahlt. In den Bergen, den Wäldern und in Virgin River wirst du keinen Empfang haben, aber auf irgendwelchen Baustellen, wo es freie Flächen gibt, oder auch hier in der Umgebung von Fortuna kann man telefonieren.“ Sie schob ihm den großen Umschlag zu. „Darin ist auch die Wegbeschreibung zu den Riordan-Ferienhütten sowie Paul Haggertys Büro. Und eine zu einer kleinen Bar in Virgin River. Dort kann man gut essen. Doch trink nicht zu viel und fang dann an, dein Herz auszuschütten. Sonst wirst du wahrscheinlich wieder umziehen müssen. Wenn du überhaupt so lange lebst.“

„Ich trinke nie zu viel.“

„Umso besser“, murmelte Brie. „Wenn du etwas benötigst, ruf nicht den Bezirksstaatsanwalt an, sondern mich unter dieser Nummer. Er wird dich seinerseits auch über mich kontaktieren. Das ist eine ernste Sache, Conner. Du hast keine Alternativen. Ob du einverstanden bist, vor Gericht auszusagen, oder nicht, der Mann, den du beobachtet hast, als er einen Mord beging, verfügt offenbar über Möglichkeiten, dich töten zu lassen. Die Behörden hatten schon immer den Verdacht, dass er der Typ dazu ist, auch wenn er nach außen hin ein aufrechter Bürger zu sein scheint.“

„Eins solltest du wissen“, erklärte Conner. „Wenn meine Schwester und meine Neffen nicht wären, könnte es sein, dass ich dann einfach selbst gegen ihn vorgehen würde, den erstens bin ich der Typ dazu, und zweitens ist mir so ziemlich alles egal.“

„Katie könnte zum Kollateralschaden werden, nur weil ihr verwandt seid. Denk daran, wenn du mit deiner Schwester redest. Keine Hinweise darauf, wo du dich befindest. Sprecht nicht über die Zeitzone, das Wetter oder Sehenswürdigkeiten wie zum Beispiel die Redwoods. Es bringt nichts, Risiken einzugehen. Lass uns das unbeschadet überstehen. Okay?“

Conner hob seine Kaffeetasse. „Okay.“

„Richte dich in deinem Haus ein. Geh zu Paul und lass dir deinen Job geben. Sobald du dich eingelebt hast, werde ich dich zum Essen einladen. Vielleicht wird es deine Nerven etwas beruhigen, wenn du dich einmal mit Mike unterhältst.“

„Hättest du auch nur die geringste Ahnung, wie das letzte Jahr für mich gelaufen ist …“

Sie legte eine Hand auf seine. Ein zufälliger Beobachter hätte es für eine freundschaftliche Geste gehalten, doch ihre Stimme war eindringlich. „Ich bin davon überzeugt, dass es die Hölle war. Darf ich dich einfach daran erinnern, dass ich einem alten Freund damit einen Gefallen erweise? Ich riskiere für den D. A. meinen Kopf, weil er ein guter Mensch ist und ich ihm etwas schuldig bin. Das hier ist eine Mission. Du bist ein Freund vom College, deshalb bemüh dich und versuche freundlich zu sein. Ich kann es nicht brauchen, wenn mein Bruder und meine engeren Freunde sich fragen, warum zum Teufel ich dir eine Unterkunft und einen Job besorge, wo du doch so ein Stinkstiefel bist! Also …“

„Bruder?“

„Ja. Ich war Staatsanwältin in Sacramento, aber jetzt bin ich selbstständig, und ich habe einen Mann und ein kleines Mädchen. Ich bin hierhergekommen, um unterzutauchen, als ich mich auf eine Zeugenaussage gegen einen Vergewaltiger vorbereitet habe. Nach der Verhandlung bin ich dann hiergeblieben.“

Er schluckte hörbar. „Vergewaltiger? Wen hat er vergewaltigt?“

„Mich. Vorher war er einer Verurteilung entgangen, in der ich die Anklage vertreten hatte. Dann hat er mich vergewaltigt und versucht, mich umzubringen. Deshalb kannst du dir sicher sein, dass ich in etwa verstehe, was du durchmachst …“

Eine ganze Weile schwieg Conner. Seit einigen Jahren kümmerte er sich um seine Schwester und seine Neffen. Wie ich mich wohl fühlen würde, wenn Katie so etwas zugestoßen wäre, fragte er sich, und es drehte ihm den Magen um.

„Hast du ihn überführt?“

„Lebenslang. Bewährung ausgeschlossen.“

„Gut für dich.“

„Dieses Bärtchen“, meinte sie und strich sich dabei mit den Fingern über ihre eigene Oberlippe und das Kinn. „Ist das neu?“

„Man hat mir geraten, eine kleine Veränderung vorzunehmen.“

„Also, ich denke, es wird ein wenig dauern, bis du dich eingewöhnt hast. Ruf mich an, wenn du nervös wirst. Aber fürs Erste probier einmal, die Gegend zu genießen. Es ist unglaublich schön hier. Du hättest es schlechter treffen können.“

„Mit Sicherheit. Und es tut mir leid, dass du das durchstehen musstest.“

„Es war schrecklich. Und jetzt habe ich es hinter mir, und du wirst es auch bald geschafft haben. Danach kannst du neu anfangen. Und, ähem, Conner? Du siehst nicht übel aus, aber das wäre jetzt keine gute Zeit, mit jemandem anzubändeln. Ist dir klar, worauf ich hinauswill?

„Kein Problem. Ich habe nicht die Absicht, mit jemandem anzubändeln.“

„Gut so. Schätze ich jedenfalls.“ Sie erhob sich. „Umarme mich wie eine alte Freundin.“

Er breitete die Arme aus. „Danke“, murmelte er rau.

Conner folgte der Wegbeschreibung nach Virgin River. Eigentlich hieß er nicht Conner Danson, sondern Danson Conner und war Besitzer eines Baumarkts. Er hatte nur Vor- und Nachname umgedreht, sodass er sich leichter an seine neue Identität gewöhnen konnte. Ein völlig neuer Name wäre schwieriger gewesen. Danson war ein alter Familienname, der von einem seiner Urgroßväter stammte. Seine Eltern, seine Schwester, seine Neffen und seine Exfrau hatten ihn immer Danny genannt. Bei der Arbeit wurde er jedoch Conner gerufen oder manchmal auch Con, von ziemlich vielen sogar Connie. Es fiel ihm also nicht schwer, auf den neuen Namen zu reagieren. Er war groß, hatte braune Haare, blaue Augen, eine kleine Narbe über dem rechten Auge, einen Zahn, der leicht schief stand, und ein Grübchen auf der linken Wange.

Die letzten fünf Jahre waren eine einzige Herausforderung für ihn gewesen, und das letzte Jahr ein Albtraum.

Conner und seine Schwester Katie hatten das Geschäft ihres Vaters geerbt – Conners Maßschreinerei und Eisenwaren. Es war für ihn nicht einfach gewesen, auf den Baustellen zu ackern und gleichzeitig das Unternehmen zu führen. Seine Muskeln hatte Conner sich schwer verdient, denn das Ganze war körperlich sehr anstrengend. Die Aufträge für individuelle Küchen und Bäder hatten sie dann an Baufirmen ausgelagert und sich auf den Verkauf von handelsüblichen Eisenwaren, Schränken, Armaturen, Accessoires und Holz konzentriert, das die Baufirmen verwendeten. Mithilfe von etwa zehn Angestellten hatte Conner den ganzen Tag alle Hände voll zu tun gehabt. Katie hatte sich um die Buchhaltung gekümmert, die meiste Zeit von zu Hause aus, denn so konnte sie für ihre beiden Jungs, ein Zwillingspärchen, da sein. Sie hatten Spitzen-Qualität verkauft, und ihr Laden war gut gelaufen.

Als Conner dreißig war, hatte Katies Mann als Soldat bei einem Einsatz in Afghanistan sein Leben verloren. Katie war damals siebenundzwanzig, schwanger und stand kurz vor der Entbindung. In dieser Situation hatte Conner sie einfach unterstützen müssen. Das Familienunternehmen konnten sie nicht verkaufen, denn sonst wäre ihre Einkommensquelle schnell versiegt. Und Katie musste sich um ihre Söhne kümmern und konnte dem Geschäft nicht genügend Zeit widmen. Also hatte Conner einfach mehr gearbeitet, Katie halbtags, und Conner hatte sie finanziell unterstützt, damit Katie und die Jungs sich ein eigenes Heim leisten konnten.

In dieser Zeit waren die Tage lang gewesen und die Arbeit anstrengend. So sehr er seine Familie auch liebte, manchmal glaubte Conner, mit dem Unternehmen verheiratet zu sein und kein Leben mehr zu haben. Dennoch, harte Arbeit hatte ihm noch nie etwas ausgemacht, und so war er freundlich und schlagfertig geblieben. Seine Kunden und Angestellten hatten sein Lachen und seine positive Einstellung geschätzt. Aber ein paar Bedürfnisse waren da schon noch unbefriedigt.

Schließlich hatte er die perfekte Frau gefunden – Samantha. Die schöne Sam, witzig und sexy mit ihren langen schwarzen Haaren und dem hypnotisierenden Lächeln. Und Gott ja, es hatte ihm seinen Akku wieder aufgeladen, mit ihr zu schlafen! Als Innendekorateurin war sie ein Genie, und in null Komma nichts hatte sie Katie geholfen, ihre kleine Dreizimmerwohnung in ein Schmuckstück zu verwandeln. Und sie hatte ihn immerfort gewollt und liebte Sex.

Dass da etwas nichts stimmte, war ihm völlig entgangen.

Nachdem sie zwölf Monate miteinander verheiratet waren, hatte er herausgefunden, dass sie ihn betrog, und nicht nur mit einem Mann, sondern mit jedem Kerl, der ihr über den Weg lief.

„Sie ist krank“, lautete Katies Diagnose. „Es ist nicht einmal so, dass sie dir untreu wäre, sie ist sexsüchtig.“

„Ich glaube aber nicht an Sexsucht“, hatte Conner erwidert.

„Sie braucht Hilfe.“

„Dann wünsche ich ihr viel Glück dabei.“

Natürlich war es zur Scheidung gekommen. Am Ende hatte er eine kostspielige Therapie finanziert, allerdings waren ihm dafür Unterhaltszahlungen erspart geblieben. Er hatte sich noch nicht ganz davon erholt, als es noch schlimmer kam.

Conner hatte bloß den Abfall zur Mülltonne in der Gasse hinter seinem Geschäft bringen wollen, da war ein Mann aus einer schwarzen Limousine ausgestiegen, um den Wagen herum zur Beifahrerseite gegangen, hatte die Tür geöffnet und seinem Beifahrer eine Kugel in den Kopf gejagt. Conner hatte sich hinter dem Container geduckt, während der Typ, den er unglücklicherweise sehr gut erkennen konnte, die Leiche seines Opfers herauszog und Conners Mülltonne als Sarg benutzte. Dann war er in aller Ruhe wieder zu seinem schicken Auto zurückgekehrt und hatte die dunkle Gasse verlassen.

Mittlerweile war Conner an dem Punkt angelangt, wo er einiges anders gemacht hätte, denn er hatte nicht nur den Mann mit der Leiche gesehen, sondern auch das Nummernschild des Wagens erkannt. Wahrscheinlich wäre es insgesamt sehr viel leichter gewesen, hätte er die ganze Geschichte einfach ignoriert. Doch er hatte ganz mechanisch gehandelt, als er die Cops anrief. Leider hatte sein Name dann auf dem Haftbefehl gestanden, denn nur so konnte die Polizei bewirken, dass ein Richter ihn unterschrieb. Wenige Tage später hatte jemand seinen Laden abgefackelt.

Bis auf die Grundmauern.

Nun allerdings war es zu spät, selbst wenn er beschließen sollte, nicht vor Gericht auszusagen. Mr Regis Mathis war ein bedeutender Mann in Sacramento. Er spendete an katholische Wohltätigkeitseinrichtungen und unterstützte Politiker. Natürlich hatte das FBI ein paarmal wegen Steuerhinterziehung gegen ihn ermittelt, und er hatte einen Ruf als professioneller Spieler … sehr erfolgreiche legale Glücksspiele. Aber er besaß auch eine florierende Immobilienfirma, die Grundstücke für Eigentumswohnungen an Golfplätzen verkaufte. Noch nie war es zu einer Anklage gegen ihn gekommen.

Sein Opfer Dickie Randolph war das genaue Gegenteil. Als man ihn fand, waren seine Hände und Füße mit Klebeband gefesselt, und ein Streifen davon klebte auf seinem Mund. Er war ein drittklassiger Gangster gewesen, dem eine Reihe fragwürdiger Etablissements wie Massagesalons, Stripteasebars und Nachtclubs gehörte, von denen es hieß, dass dort illegaler Drogenkonsum, Prostitution und Sexspielchen stattfanden. Die beiden Männer hatten nichts gemeinsam, jedoch gab es Hinweise auf eine Verbindung, nämlich eine stille Partnerschaft, die allerdings so gut wie unmöglich nachzuweisen war.

Gleich nach der telefonischen Drohung hatten Conner und Bezirksstaatsanwalt Max dafür gesorgt, dass Katie und die Jungs nach Burlington in Vermont gebracht wurden. Max kannte dort den Freund eines Freundes, der ein kleines Haus zu vermieten hatte, und derselbe Freund vermittelte auch den Kontakt zu einem Kinderzahnarzt, der eine Buchhalterin suchte. Katie war gut versorgt und weit, weit weg.

Wie sehr Conner seiner Gastgeberin Brie Valenzuela auch entgegenkommen wollte, es fiel ihm schwer, fröhlich zu sein. Zur falschen Zeit war er auf seinem eigenen Grundstück am falschen Ort gewesen, und jetzt hatte er zu viel verloren. Er vermisste Katie und die Jungs. Eine Weile würde er nun auf Baustellen jobben, bis er seine Aussage getätigt hatte, um anschließend auf Dauer unterzutauchen, bevor Mathis sich an ihm rächen konnte.

Den Mann, der trotz allem immer optimistisch blieb, gab es nicht mehr.

Doch auf dem Weg zu den Ferienhäusern am Fluss brach das Sonnenlicht durch die Wolken und warf einen goldenen Strahl durch die majestätischen Mammutbäume. Anfang März war das Wetter feucht und kalt, aber dieser Sonnenstrahl war vielversprechend. Das Grün war so dicht und leuchtete feucht glänzend, nachdem es kurz zuvor geregnet hatte. Vielleicht, dachte er … Vielleicht ist es nicht der schlechteste Platz für ein Exil. Die Zeit würde es erweisen.

Er fuhr zu der Adresse, die Brie ihm überreicht hatte. Es war eine ruhige kleine Anlage, an der ein Fluss vorbeirauschte. Ein Mann trat aus dem Haus, anscheinend der Vorbesitzer von Conners Pick-up. Nachdem Conner ausgestiegen war, reichte er ihm die Hand. „Sie müssen Conner sein.“

„Ja, Sir.“

Der Typ lachte. „Wenn Sie mich noch einmal Sir nennen, werde ich vergessen, dass ich jetzt häuslich bin. Mein Name ist Luke Riordan. Meine Frau Shelby und ich vermieten die Hütten. Nummer vier ist nicht abgeschlossen, aber der Schlüssel hängt an einem Haken neben der Tür. Wir bieten keine Mahlzeiten an, doch wir haben ein Telefon, das Sie, wenn nötig, benutzen können. Es gibt eine Internetverbindung, falls Sie einen Laptop dabeihaben. Und das Häuschen ist mit einer Kochecke und Kaffeekanne ausgestattet. Aber heute Abend ist Jacks Bar sicher die beste Idee. Sie fahren nur zehn Minuten weiter die 36 rauf, bis Sie in Virgin River sind. Das Essen ist unglaublich gut, und die Leute sind nicht übel.“

„Danke, ich werde mich dort umsehen. Sind die anderen Ferienhütten alle belegt?“

„Nee, im Augenblick ist kaum jemand hier. Wir befinden uns zwischen zwei Jagdsaisons, und mit dem Angeln geht es gerade erst los. Wild wird im Herbst gejagt und Wasservögel im Januar. Von Spätsommer bis Dezember ist der Lachs fantastisch, dann wird es deutlich weniger. Die Sommergäste werden in ein paar Monaten eintrudeln, das heißt, von Juni bis Ende Januar haben wir viel zu tun. In den Wintermonaten versuche ich, alles zu reparieren und aufzufrischen.“

„Ganz schön feucht hier“, bemerkte Conner.

„Im April wird der Regen nachlassen. Wenn wir mal einen trockenen Tag haben, können Sie gern jederzeit meinen Grill ausleihen. Der steht gleich dort drüben im Lagerschuppen. Und da gibt es auch Angeln und Spulen. Bedienen Sie sich.“

Fast hätte Conner gelächelt. „Eine Hütte mit umfassendem Service.“

„Nicht einmal annähernd, mein Freund. Wir kümmern uns um das Bettzeug, wenn Sie ausgecheckt haben. Doch da Sie ein wenig länger hier sein könnten, können Sie die kleine Waschmaschine mit Trockner in der Hütte anschmeißen. Wir haben hier einen Mann, der Ihnen ein bisschen beim Putzen helfen kann, falls Sie möchten. Also Badezimmer, Fußboden, Dusche und solche Sachen. Im Haus liegt ein Schild, das Sie an die Tür hängen können, wenn er vorbeischauen soll. Er heißt Art und ist behindert. Er hat das Downsyndrom. Aber er ist klug und sehr kompetent. Ein guter Kerl.“

„Danke, doch ich habe jetzt schon eine ganze Weile alles selbst geputzt. Ich werde zurechtkommen.“

„Ich helfe Ihnen beim Ausladen“, bot Luke ihm an.

„Ich schätze, ich bringe am besten alles rein und fahr dann auf ein Bier und etwas zu essen ins Dorf.“

„Hört sich gut an. Werden Sie den Weg hierher wieder zurückfinden?“

„Ich denke, ja. An der alten Sequoia links abbiegen?“

Luke lachte. „Dann schaffen Sie es nach Hause.“

Zu Hause. Das war nur noch eine Erinnerung. Trotzdem bedankte sich Conner für die freundlichen Worte.

Luke half ihm dabei, ein paar Reisetaschen und Kisten in die Hütte zu tragen, schüttelte ihm die Hand und ging in sein Haus zurück, zu seiner Familie. Wieder allein, verstaute Conner ein paar Kleidungsstücke in der einzigen Kommode in diesem Zimmer. Er schloss seinen Laptop an, um ihn aufzuladen. Katie und er hatten ihre Benutzerkonten, Benutzernamen und Passwörter geändert. Auch wenn Brie nichts davon erwähnt hatte, der D. A. hatte ihm gesagt, dass sie über Internet in Verbindung bleiben könnten, hatte jedoch empfohlen, dass sie nicht ihre Namen oder zuvor genutzte Zugangsdaten verwenden sollten. Obendrein sollten sie dem Bedürfnis widerstehen, über Skype miteinander zu kommunizieren, das könnte zu unsicher sein.

Sein Baumarkt war völlig zerstört; außer dem Grundstück war nichts mehr davon übrig. Aber das befand sich in bester Lage. Conner hatte von der Versicherung Geld für den Wiederaufbau erhalten. Es befand sich auf einem Anlagekonto, das er unter seiner neuen Identität eingerichtet hatte, und würde ihm zur Verfügung stehen, sobald dieser Albtraum vorüber war. Mit seinem Anteil am Verkauf des Grundstücks und dem Geld der Versicherung für das Gebäude und den Warenbestand konnte er neu anfangen. Aber nicht in Sacramento, wo er, mit Ausnahme von zwei Jahren in der Army, sein ganzes Leben verbracht hatte.

Kurz vor sechs betrat er die kleine Bar in Virgin River und hätte nun wirklich beinahe gelächelt. Im Grunde seines Herzens war Conner Handwerker, und die Einrichtung ließ sich wahrhaftig sehen. Die Bar selbst war ein wundervolles Möbelstück, und jemand schien hier Bienenwachs als Schutz und Poliermittel zu bevorzugen. Er konnte es beinahe riechen. Der Laden war gemütlich, gastfreundlich und blitzsauber. Er fand einen Platz am Ende des Tresens, von wo aus er alles beobachten konnte.

„Hey, Partner, was kann ich Ihnen bringen?“, erkundigte sich der Barkeeper.

„Ich nehme ein helles Bier, und wie wär’s mit der Speisekarte?“

„Das Bier ist kein Problem, doch ich fürchte, wir haben keine Speisekarte. Unser Koch bereitet die Sachen nach Lust und Laune zu. Heute haben Sie Glück, wenn Sie gern Fisch essen. Die Forellen springen, und Preacher – das ist der Koch – war eine ganze Weile draußen am Fluss. Er macht eine gefüllte Forelle, da werden Sie in die Knie gehen.“

„Hört sich gut an.“

Das Bier wurde ihm sofort serviert, und der Barkeeper stellte sich vor: „Ich bin Jack. Die Bar gehört mir. Sind Sie auf der Durchreise?“

„Das will ich hoffen“, antwortete Conner und hob sein Glas an die Lippen.

Jack lächelte. „Nicht so eilig. Hier wird es richtig schön, wenn erst einmal der Regen nachlässt. Und wenn Sie sehen, was die Schneeschmelze in den Bergen mit dem Fluss anstellt, werden Sie sich einfach verlieben. Kein Wunder, dass unsere Fische so groß werden.“

Und damit war Jack auch schon wieder weg, kümmerte sich um andere Gäste an der Theke, servierte ein paar Essen und nahm ein paar leere Teller wieder mit. Die Atmosphäre war wirklich freundlich; alle schienen sich zu kennen. Ein kleiner Teil in Conner fragte sich: Könnte ich hier etwa wirklich leben? Eine kurze Zeit? Wenn man sich vorstellte, in einem Hotel einzuchecken, wo einem der Manager anbot, auf Wunsch ohne zusätzliche Kosten einen Putzservice zu liefern? Sich ein Bar-Restaurant vorstellte, in dem nur das serviert wurde, wonach dem Koch gerade der Sinn stand?

Etwas später tauchte Jack wieder auf. „Wie steht’s mit dem Bier? Das Essen ist fertig, sobald Sie so weit sind.“

„Na klar, ich bin bereit. Aber das Bier reicht mir noch.“

Während Jack nach hinten ging, um den Fisch zu holen, betrat eine junge Frau den Laden. Sie klappte den Kragen ihrer Jacke nach unten und schüttelte ihre dunkelblonden Haare aus. Unmengen dicker Locken fielen ihr auf die Schultern. Sie mochte vielleicht ein wenig dünn sein, aber sie war hübsch. Was ihn verwirrte – sie sah so adrett aus. Oder unschuldig. Wie eine Sonntagsschullehrerin oder so. Anständig wie das Mädchen von nebenan. Ihr Teint war pfirsichfarben, sie hatte dunkle Augen und volle, rosige Lippen. Nach der Erfahrung mit seiner Ex hatte Conner allen Grund, so etwas attraktiv zu finden.

Doch dann fiel ihm ein, dass auch Samantha superadrett gewirkt hatte, sogar stilvoll. Es hatte nicht den geringsten Hinweis an ihr gegeben, dass sie billig sein könnte. Die äußere Erscheinung bedeutete gar nichts.

Conner hatte seit Langem mit keiner Frau mehr zu tun gehabt, und das machte ihm zu schaffen. Er wollte einfach wieder leben, sich um seine Schwester und seine Neffen kümmern und sich nie wieder in eine Situation bringen, wo eine Frau ihn verletzen könnte. Er hatte nicht die geringste Sorge, dass er als alter, einsamer Mann sterben könnte, denn Katie und die Jungs standen ihm sehr nahe. Selbst wenn Katie einen perfekten zweiten Ehemann finden würde, er würde immer Onkel Danny bleiben … Nun ja, jetzt wohl eher Onkel Conner. Und das sollte ihm reichen.

Jack stellte ihm das Essen vor die Nase, entfernte sich allerdings wieder rasch zum anderen Ende der Bar, wo die Sonntagsschullehrerin wartete. Es dauerte nicht lange, bis ein Mann in den Laden kam, der der Sonntagsschullehrerin einen Arm um die Schultern legte und ihr einen Kuss auf die Schläfe hauchte.

Nun, das war’s dann. Die Versuchung hatte sich erledigt, was Conner betraf.

2. KAPITEL

Sowie Leslie Petruso vor der kleinen Bar im Ort geparkt hatte und hineingegangen war, fühlte sie sich etwas besser, etwas sicherer. Ihr gefiel, wie es hier aussah, so als würde der Raum sie zu einem einfacheren Leben einladen. Das war alles, was sie wollte, wirklich … etwas, das weniger kompliziert war. Sie musste nicht lange am Tresen warten, als auch schon ein großer, gut aussehender Barkeeper lächelnd vor ihr stand. „Was kann ich Ihnen bringen, Miss?“

„Wie sieht es mit einem Glas Merlot aus? Ich bin hier verabredet, aber wie ich sehe, ist er noch nicht da.“

Sofort wurde ihr der Wein serviert. „Jemand, den ich kenne?“, fragte der Barkeeper.

„Vielleicht. Paul Haggerty.“

„Einer meiner besten Freunde. Vor langer Zeit haben wir zusammen im Irak gedient. Ich bin Jack“, sagte er und reichte ihr die Hand.

„Hallo. Ich bin Leslie.“

„Sie sind mit Paul befreundet?“

„Das will ich hoffen. Er war mal mein Boss in Grants Pass. Einer von mehreren, sollte ich wohl sagen. Ich war Büroleiterin bei der Haggerty Construction.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen! Sind Sie zu Besuch hier?“

„Falls Paul es sich nicht anders überlegt hat, bin ich eigentlich hier, um als seine Sekretärin zu arbeiten. Büroleiterin. Was immer er braucht.“

„Also wirklich, es wurde ja auch Zeit, dass er noch jemanden einstellt! Seine Firma wächst immer weiter, denn er hat sich hier einen echt guten Ruf verschafft.“

„Sie sind die besten, die Haggertys.“

„Und wenn man vom Teufel spricht“, sagte Jack und wies mit dem Kinn zur Tür.

Lächelnd drehte sie sich um und erblickte Paul. Sie freute sich, ihn zu sehen, denn es war lange her. Seine geschäftlichen Besuche in Grants Pass waren seltener geworden, nachdem er seinen Firmenzweig nach Virgin River verlegt hatte. Mit seiner Frau und den Kindern besuchte er zwar nach wie vor seine restliche Familie, aber das schloss Leslie nicht ein.

Auf seine jungenhafte Art zog er sich den Hut vom Kopf und grinste sie an. Dann legte er ihr einen Arm um die Schultern und bückte sich, um ihr einen Kuss auf die Schläfe zu geben. „Gott, was freue ich mich, dich zu sehen! Wie geht es dir?“

Und verflucht, ihre Lippen fingen an, leicht zu zittern, sodass sie sie zusammenpressen musste, um nicht loszuheulen. Aber ihre Augen wurden feucht.

„Ach, komm schon, Liebes“, beruhigte er Leslie und drückte sie ein bisschen fester. „Jack, wie sieht’s aus mit einem Bier?“

„Kommt sofort.“

„Jetzt reg dich nicht auf. Wir werden hier etwas trinken, dann fahre ich dich zu dem Haus, das du gemietet hast. Dort lässt du dein Gepäck und den Wagen stehen, und wir fahren mit meinem Wagen zum Abendessen nach Hause. Vanni hat einen Braten gemacht, das ist ein Ereignis bei uns, weißt du. Hinterher fahre ich dich wieder zurück – in dein neues Heim.“

„Du musst dir nicht so viel Mühe machen, Paul. Ich kann selbst fahren.“

„Wenn man sich nicht auskennt, kann es schwierig sein, sich in diesen Bergen im Dunkeln zurechtzufinden. Damit kannst du morgen ohne jede Hilfe von Freunden anfangen. Deine Möbel sind eingetroffen, und weil es nicht so viel war, hat Vanni den Möbelpackern einfach gesagt, sie sollen die Kisten auspacken, und hat die Sachen verstaut. Das Bett ist frisch bezogen, und im Badezimmer liegen frische Handtücher. Du kannst ja alles wieder umräumen, so wie es dir gefällt.“

„Ich wünschte, sie hätte sich nicht so viel Mühe gemacht.“

„Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Sie ist so dankbar, dass du jetzt hier bist, denn sie hat viel von meinem Papierkram bearbeitet, die Sachen, die ich selbst nicht auf die Reihe gekriegt habe. Und schon dazu hat sie im Augenblick wirklich keine Zeit.“

„Sie ist dankbar? Oh, Paul, ich weiß wirklich nicht, was ich getan hätte, wenn du mir nicht den Job angeboten hättest, als dein Vater dich gefragt hat!“

„Ich hoffe, es wird dir nicht leidtun, wenn du mein Büro siehst. Wir werden noch ein paar Dinge ändern müssen, aber momentan bin ich damit in einem Bauwagen.“

„Danke, Paul.“ Sie trank einen Schluck und fügte dann mit zittriger Stimme hinzu: „Ich musste einfach von dort weg.“

Er ließ ihr einen Augenblick Zeit, bevor er fragte: „Wirklich so schlimm?“

„Du hast keine Ahnung, wie sehr ich mir gewünscht habe, den Kopf oben zu halten und alles an mir abperlen zu lassen. Ich habe versucht, so zu tun, als würde es mir nichts ausmachen, aber ich bin einfach nicht so stark, wie ich es gerne wäre.“

Paul hob ihr Kinn an und bemerkte ihren traurigen Blick. „Leslie, du traust dir zu wenig zu. Erstens bist nicht du diejenige, die schlecht dasteht – es ist Greg, der aussieht wie ein Idiot und Dummschwätzer. Und zweitens bist du eine tolle Frau, die in der Firma und in der Öffentlichkeit respektiert wird.“

„Es ist nett von dir, mir das zu sagen. Aber unsere Scheidung und seine Wiederverheiratung haben mich wirklich schwer belastet. Ich sehe sie überall! Wusstest du, dass sie jetzt das Baby bekommt, das er angeblich nie haben wollte? Mit mir nicht haben wollte, nehme ich an.“

Paul legte die Stirn an ihre. „Les, es tut mir leid.“

Sie zog sich zurück und reckte das Kinn. „Irgendwie muss ich es schaffen, mein Selbstwertgefühl wieder aufzubauen. In Grants Pass war das unmöglich, denn Greg scheint zu glauben, dass wir gute Freunde bleiben können.“

„Darum werden wir uns kümmern. Im Nu wird es dir besser gehen. Leslie, es geht hier nicht um dein Versagen, es geht um seins.“

„Vom Verstand her ist mir das klar. Aber versteh bitte, es gibt noch weit mehr, als du ahnst, worüber ich hinwegkommen muss. Ich meine, mich hat nicht mal jemand zum Abschlussball an der Highschool eingeladen.“

Paul lachte über ihre letzte Bemerkung, als hätte sie einen Witz gemacht. Seit zehn Jahren arbeitete Leslie nun für die Männer der Familie Haggerty. Alle schätzten ihren wunderbaren Sinn für Humor und standen absolut auf ihrer Seite. Pauls Vater Stan, Gründer und Vorsitzender der Haggerty Construction, hatte sogar beschlossen, nie wieder mit Greg zusammenzuarbeiten. Aber seine Söhne hatten sich ihm widersetzt und darauf hingewiesen, dass es wirtschaftlich kurzsichtig sei, sich zu weigern, mit einem erfolgreichen Immobilienunternehmen Geschäfte zu machen. Und außerdem sei es eine Art von Diskriminierung. „Ja“, hatte Stan getobt. „Ich diskriminiere Blödsäcke!“

Leslie hätte ihn dafür knutschen können!

Als sie Greg Adams geheiratet hatte, war sie dreiundzwanzig. Er hatte ein kleines Immobilienunternehmen aufgebaut, das ziemlich erfolgreich war und immer bekannter wurde, obwohl er damals erst dreißig war. Er war Mitglied in allen Freundschafts- und Kontaktgruppen, vom Rotary bis zur Handelskammer. Überall war er irgendwann einmal Vorsitzender gewesen. Er hatte vor, sich in den Stadtrat wählen zu lassen und vielleicht sogar Bürgermeister zu werden. Er sah unglaublich gut aus. Sehr sexy. Dass er sich für sie entschieden hatte, schien Leslie von Anfang an unfassbar. Und obwohl sie in Vollzeit für die Haggerty Construction arbeitete, war sie der „Junior League“ beigetreten, hatte ehrenamtlich für die „Library Volunteers“ gearbeitet … und überhaupt alles getan, wovon sie glaubte, dass es Greg helfen könnte, seine Pläne zu verwirklichen. Natürlich hatte Greg sie dazu ermuntert.

Und dann, nach acht Jahren Ehe, hatte sie erfahren, dass Greg eine Affäre mit einer siebenundzwanzigjährigen Anwältin hatte. Er selbst war achtunddreißig. Sofort hatte er reinen Tisch gemacht und ihr gestanden, dass es ihm zwar leidtäte, sie damit zu verletzen, er aber dennoch einen Neuanfang plante. Sein Leben habe sich auf eine Weise verändert, mit der er nie gerechnet hätte. Gleich am nächsten Tag, nachdem sie ihn zur Rede gestellt hatte, war er aus ihrem schönen Heim mit den vier Schlafzimmern ausgezogen und hatte die Scheidung eingereicht, während sie noch unter Schock stand.

Sie hatte das Haus und die Hypothek bekommen, die sie allein nicht tragen konnte. Fünfzig Prozent der Anteilswerte waren ihm zugesprochen worden. Unterhaltszahlungen erhielt sie nicht, denn wie es aussah, besaß dieser erfolgreiche Unternehmer kein Geld.

„Ha!“, hatte Stan Haggerty gebrüllt. „Das ist völliger Quatsch! Er hat massenhaft Kohle. Wahrscheinlich hat er alles versteckt!“

Anscheinend war es so, denn als nach der Scheidung das Haus verkauft und der Erlös geteilt war, konnte er sich auf einmal ein sehr großes und luxuriöses Haus in einem gehobenen Wohnviertel leisten, ein neues Auto und einen verschwenderischen Urlaub mit seiner neuen Lady auf Aruba. Ein Jahr nach der Scheidung feierte er eine protzige Hochzeit, zu der er die halbe Stadt eingeladen hatte, Leslie und ihre Eltern inklusive. Sie hatten darauf verzichtet und sich entschuldigt. Ein Jahr und vier Monate nach der Scheidung war der neuen Mrs Adams dann anzusehen, dass sie schwanger war.

Während der ganzen Zeit hatte Greg sie angerufen und regelmäßig besucht; sie sollte wissen, dass er sie immer lieben und respektieren werde, das sei ihm sehr wichtig. Er wollte, dass sie die guten Jahre, die sie miteinander verbracht hatten, in Erinnerung behielten und beste Freunde blieben. Wenn sie vor lauter Demütigung, Entmutigung und Neid nicht völlig am Boden gewesen wäre, hätte sie vielleicht die Kraft aufgebracht, ihm die Augen auszukratzen.

Dann eröffnete er Leslie, dass Allison schwanger war. Er hoffte tatsächlich, sie würde sich für sie beide freuen, doch mit dieser Nachricht hatte sie ihren Tiefpunkt erreicht. Mehr konnte sie nicht ertragen. Sie war zu Stan gegangen und hatte ihm gesagt, es täte ihr schrecklich leid, aber sie müsse kündigen.

„Wo willst du denn hin?“, hatte Stan gefragt.

„Keine Ahnung. Ich muss einfach nur hier weg. Ich weiß, dass die Leute auf meiner Seite sind, dass sie finden, mir wurde Unrecht getan, aber das hält sie nicht davon ab, mich mitleidig anzusehen, und wahrscheinlich fragen sie sich, womit ich meinen Mann vertrieben habe. Das ist Gregs Stadt. Und ich glaube, beinahe jeder bewundert Greg dafür, dass er sich so sehr darum bemüht hat, sich im Guten zu trennen. Ich begegne Greg und Allison überall. Er küsst ihren Hals und tätschelt ihren kleinen Bauch. Deshalb kündige ich dir einen Monat vorher. Meine Wohnung ebenfalls, und ich werde mich in einer anderen Stadt nach einem neuen Job umsehen. Bitte versprich mir, dass du mir ein gutes Arbeitszeugnis ausstellst.“

Er hatte mehr getan als das. Er hatte ihr den Job bei Paul vermittelt. „Damit hast du mehr Zeit zu überlegen, dich zu erholen und wieder auf die Beine zu kommen. Vielleicht beschließt du sogar, wieder nach Grants Pass zurückzukehren. Dein Job bei der Haggerty Construction ist dir sicher. Genau genommen weiß ich gar nicht, wie wir es ohne dich schaffen sollen.“

Conner musste Jack recht geben, was die gefüllte Forelle betraf. Und während er sie genoss, beobachtete er die Leute in der Bar. Mit mehreren Gästen führte Jack fortlaufende Gespräche; oft scherzten sie herum und machten sich übereinander lustig wie alte Freunde. Offensichtlich war Jack in seiner Bar das Mädchen für alles: Er servierte zwei kleinen alten Ladys, einer vierköpfigen Familie und ein paar Männern am anderen Ende des Tresens das Essen, räumte die leeren Teller ab und versorgte alle mit Drinks. Nebenbei beugte er sich über einen Tisch und gab jemandem einen Tipp beim Cribbage, einem beliebten Kartenspiel. Und schließlich half er den kleinen alten Ladys aus der Bar und die Treppe hinunter.

Alles in allem schien es hier gar nicht so übel zu sein für einen, der irgendwo untertauchen musste. Der Ort hatte seinen Reiz. Es ging ruhig und freundlich zu, und das konnte er brauchen.

Das Paar am Tresen wirkte ziemlich emotional, fand Conner. Während sie sich unterhielten, hatten sie die Köpfe dicht zusammengesteckt, und wenn er sich nicht irrte, stand die Sonntagsschullehrerin ein paarmal kurz davor, in Tränen auszubrechen. Waren sie wirklich ein Paar? Die Art, wie er sie berührte, war freundlich, liebevoll. Vielleicht hatten sie gerade eine Krise oder so. Was auch immer es sein mochte, der Mann tröstete sie, das war offensichtlich. Nach etwa zwanzig Minuten warf er ein paar Scheine auf den Tresen, legte eine Hand an ihren Rücken und führte sie hinaus.

Den zermürbenden Schmerz der Verbitterung konnte Conner kaum ertragen. Wegen seiner Ex und weil er als Zeuge eines Verbrechens gezwungen war, sich zu verstecken, war ihm das verwehrt. Ihm war das zufriedene Gefühl nicht vergönnt, eine hübsche Sonntagsschullehrerin aus der Tür zu führen und dann weiter, irgendwohin, an einen ruhigen privaten Ort.

Sein Herz war schwer. Wie er sich doch danach sehnte.

„Kann ich Ihnen noch was bringen, Kumpel?“, fragte Jack.

„Nein danke. Sie hatten recht mit der Forelle. Einfach hervorragend. Machen Sie mir die Rechnung fertig.“

Jack legte ihm einen Zettel hin; Conner kramte sein Geld hervor und ging.

Auf dem Rückweg fuhr er an der Abzweigung zu den Ferienhäusern vorbei und folgte der Straße den Berg hinunter, bis er auf seinem neuen Handy die Balken sah, die ihm anzeigten, dass er hier Empfang hatte. Schließlich war das Signal stark genug, um es mit einem Anruf zu versuchen. Bei nächster Gelegenheit fuhr er an den Straßenrand und wählte die Nummer, die er sich bereits eingeprägt hatte. Sie meldete sich verschlafen. „Ach, Katie, ich habe dich geweckt …“

Katie hatte keinen neuen Namen gebraucht, denn sie war nicht die Zeugin. „Wir sollen doch nicht über Zeitzonen, das Wetter, Sehenswürdigkeiten, Namen oder sonst was reden.“

„Du könntest jederzeit eingeschlafen sein“, entgegnete er, obwohl er wusste, dass es nicht stimmte. Sie ging immer früh schlafen und kuschelte sich ungefähr zur selben Zeit ins Bett, wenn ihre kleinen Jungs es taten, um sich nicht allzu einsam zu fühlen. „Mit den anderen Sachen wie Namen und so weiter könnte ich allerdings meine Schwierigkeiten haben.“

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie ihn.

„Es geht mir gut. Ich bin bereit, die Sache hinter mich zu bringen und wieder ein normales Leben zu führen.“

„Vielleicht wird es nie wieder normal sein, hast du schon einmal daran gedacht?“

„Woran sollte ich sonst denken? Vielleicht werden die Dinge nicht mehr so sein wie früher, aber es könnte sich alles normalisieren. Vielleicht werden wir woanders leben, aber bevor die Jungs vergessen haben, wie ich aussehe, werden wir das hinter uns haben und können wieder aufbauen. Erzähl mir von dir, Andy und Mitch. Alle wohlauf?“

„Namen“, erinnerte sie ihn lachend. „Besser, als ich gedacht hätte. Ich habe einen guten Job bei einem süßen, alleinstehenden Zahnarzt. Wer weiß? Vielleicht wird ja was draus, und du kommst hierher zu mir.“

„Wer weiß“, antwortete er lachend.

„Hast du schon einen Job?“

„Morgen. Das wurde alles längst für mich geregelt.“

„Sagst du mir, ob es dir dort gefällt?“

„Natürlich. Ja. Hör zu, ich weiß nicht genau, wie viel ich sagen darf, aber falls ich mich nicht melde, wenn du mich anrufst, liegt das an der schlechten Funkverbindung. Ich habe …“ Fast hätte er eine Internetverbindung gesagt, bremste sich jedoch. „Aber ich werde auf jeden Fall Kontakt mit dir aufnehmen. Auf die eine oder andere Art.“

„Okay, halt mich nur auf dem Laufenden. Wenn ich Hilfe brauche, werde ich mich eh nicht an dich wenden. Sie haben mir andere, schnellere Möglichkeiten an die Hand gegeben. Mach dir bitte keine Sorgen. Wir sind gut versorgt.“

„Ich werde mir keine Sorgen machen …“

„Kannst du mir einen Gefallen tun? Such dir einige nette Freunde, okay? Nun musst du endlich nicht mehr sechzehn Stunden am Tag arbeiten, um auch noch mich und die Jungs über Wasser zu halten. Also nutze die Gelegenheit und sieh es einfach an wie einen Urlaub.“

„Aber sicher.“ Urlaub? Ich verstecke mich vor einem Mörder, der mit Gangstern und Auftragskillern in Verbindung steht. Ich wurde von meiner Familie getrennt und habe nichts mehr außer der großen Frage, wo wir noch einmal neu anfangen werden. Toller Urlaub.

„Ich weiß nicht genau, wo du bist, aber wo auch immer das sein mag, es muss Sachen geben, die die Leute dort unternehmen. Finde es heraus. Geh mal raus auf ein Bier. So etwas machst du sonst nie. Und lade eine Frau ein …“

„Ein Date? Das glaube ich nicht …“

„Du hast dir etwas Spaß verdient, wenn es schon nicht das wahre Glück sein kann. Ich meine, komm schon, es ist nur für eine kurze Zeit.“

„Spaß? Wir werden sehen. Glück auf keinen Fall. Das letzte Mal, als ich mich glücklich gefühlt habe, bin ich dafür hart bestraft worden.“

„Ganz wie du willst. Dann sei halt so miesepetrig wie möglich.“

„Ich werde versuchen, diese kurze Zeit zu genießen, okay? Denn wenn es endlich vorbei ist, werde ich von vorn anfangen. Liebes, ist bei dir und den Jungs wirklich alles in Ordnung? Seid ihr glücklich? Sie haben doch nicht etwa Angst?“

„Wir vermissen dich. Es fällt ihnen schwer zu verstehen, warum wir nicht mit dir zusammen sein können. Aber das weißt du ja. Die Schule hier ist nett, und obwohl sie noch nicht lange hier sind, haben sie schon angefangen, Fußball zu spielen. Ein paarmal haben sie auch schon Freunde auf einen Film und Pizza mit nach Hause gebracht. Mein Boss ist unkompliziert und flexibel. Ich habe das Gefühl, dass ich für ihn eine zusätzliche Hilfe bin, und er bekommt mich wirklich billig. Vielleicht zahlt er mein Gehalt nicht einmal selbst, wenn du verstehst, was ich meine.“ Sie gähnte. „Wir werden das alle unbeschadet überstehen.“

Für T-Ball, Schwimmunterricht oder Fußball war immer Conner zuständig gewesen, und es schmerzte ihn furchtbar, so unerreichbar zu sein. „Du warst schon immer die Optimistin von uns beiden“, sagte Conner und wischte sich über die brennenden Augen. Wenn sie das überstanden hatten – und davon ging er aus –, würden sie alle in diesem großen Drama neue Rollen spielen, neue Identitäten haben, neue Wohnorte. Aber dann könnten sie wieder zusammen sein. „Ich glaube, ich bewundere dich mehr als irgendjemanden sonst, den ich kenne.“

„Ach, das ist nett von dir. Und ich habe es gar nicht verdient.“

Aber so war es. Sie hatte in ihrem Leben wirklich einiges durchgemacht, aber sie ging damit nicht um wie mit einer Belastung. Wenn sie litt, dann litt sie, kam darüber hinweg und gewann ihre sonnige Lebenseinstellung zurück.

„Lass uns nicht alle Minuten verbrauchen“, sagte sie. „Uns geht es gut, dir geht es gut. Das nächste Mal will ich mit dir sprechen, wenn du deinen Job hast … und denk daran, du hast versprochen, dir etwas zu suchen, das dir Freude macht.“

„Wird gemacht. Bin schon dabei.“ Auf einmal wünschte er sich, eine Frau zu treffen, die sich auf eine unverbindliche Sache mit ihm einließ. Nur um dem Ganzen die Schärfe zu nehmen. Aber was würde ihn dann noch von Samantha unterscheiden?

Paul wollte eigentlich nie ins Vermietungsgewerbe einsteigen, aber da der Immobilienmarkt im Keller und die Zinssätze niedrig waren, hatte er ein paar kleinere Objekte im Ort erworben, die sonst in die Zwangsvollstreckung gegangen wären, erklärte er Leslie. Wenn der Markt sich wieder erholt hatte, wollte er sie mit Gewinn verkaufen. In der Zwischenzeit vermietete er eins der mittlerweile renovierten Häuser an Leslie. Über neunzig Quadratmeter standen ihr zur Verfügung und das Haus war einfach fantastisch. Außerdem war die Miete verdächtig niedrig angesetzt.

„Irgendwann in den nächsten Wochen werde ich dir jemanden schicken, der dir den Vorgarten aufräumt, ein paar Grasnarben auf die blanken Stellen legt und am Weg entlang ein paar Blumen pflanzt. Wenn es ein bisschen trockener geworden ist, habe ich vor, eine neue Zufahrt zu gießen und einen ordentlichen überdachten Carport mit Stauraum anzubauen. Ehe man sichs versieht, ist es mit diesem Regen im März vorbei, und die Sonne scheint. Wenn du den Frühling hier erlebst, wird es dir den Atem verschlagen, so schön ist es.“

Das kleine Haus mit zwei Schlafzimmern wirkte einladend und befand sich in einer ruhigen und freundlichen Nebenstraße. Die Häuser auf beiden Seiten waren einfache, schlichte, niedrige Gebäude. Manche waren in einem besseren Zustand als andere, aber schon auf den ersten Blick hatte sie das Gefühl, in eine gute Nachbarschaft zu kommen, und das war alles, was Leslie wollte.

„Lass mich die Blumen pflanzen. Das wird mir helfen, mich einzuleben. Ich wollte schon immer einen kleinen Garten haben, aber bei der Arbeit und dem Leben in einem Apartment …“

„Du kannst hier machen, was du willst, Les. Tu so, als wäre es dein Haus.“

„Aber dein Angebot mit den Grasnarben und der Zufahrt nehme ich gern an, wenn du willst. Es wäre schön, den Wagen nicht immer auf der Straße parken zu müssen.“

„Wird gemacht.“

Ihre Sorgen darüber, Pauls Frau könnte sie bemitleiden, weil sie ihren Job in Grants Pass aufgegeben hatte, um ihrer demütigenden Scheidung zu entfliehen, waren völlig verschwendet gewesen. Während des Essens wurde der Grund, weshalb sie nach Virgin River gekommen war, nicht einmal erwähnt. Vanni war vielmehr wirklich nur dankbar, dass Paul endlich eine Vollzeitkraft hatte, die ihm half und obendrein auch schon früher für ihn gearbeitet hatte und das Geschäft kannte. Die Tatsache, dass sie schon lange eine Freundin der Familie Haggerty war, machte alles noch besser.

Als Leslie sich an diesem Abend in ihrem kleinen Mietshaus ins Bett kuschelte, fühlte sie sich entspannt wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Und sie wusste genau, warum. Es war der Abstand von ihrer Vergangenheit. Wenn sie morgen aus dem Haus ging, sich im Ort umschaute oder sich bei ihrem neuen Job meldete, wenn sie einkaufen ging oder sich ein Glas Wein bei Jack gönnte, würde sie weder Greg und Allison noch einem ihrer früheren Freunde über den Weg laufen. Es war, als wäre sie auf einem anderen Kontinent.

Am nächsten Morgen wachte sie erholt auf, machte sich einen Kaffee und trug ihn im Bademantel auf die vordere Veranda. Die Baumspitzen waren noch im frühen Morgennebel versteckt, der wie eine Decke über dem kleinen Ort lag, aber sie konnte Stimmen hören – Nachbarn, die sich begrüßten, Autos, die gerade ansprangen, Kinder, die lachten oder schrien und wahrscheinlich auf dem Weg zur Schule oder zur Bushaltestelle waren. Es war noch sehr früh. Als sie geduscht und Jeans und eine weiße Kragenbluse mit Pullover angezogen hatte, kämpfte die Sonne gerade darum, den Nebel zu durchbrechen.

Paul hatte ihr von einem schicken Outfit abgeraten, denn der Trailer, in dem er sein Büro untergebracht hatte, sah ziemlich wüst aus. Im Büro der Haggerty Construction war sie gewöhnlich in der üblichen Geschäftskleidung erschienen, also entweder Rock oder Stoffhose, denn an einem normalen Arbeitstag hatte sie mit Verkäufern, Kunden, Dekorateuren, Investoren und Projektentwicklern zu tun gehabt. Hier draußen würde sie außer Paul selbst aber wahrscheinlich nur Leuten aus dem Bautrupp begegnen.

Sie nahm sich einen Kaffeebecher für die Fahrt mit und folgte seiner Wegbeschreibung. Und da war er auch schon, der Trailer. Er stand auf einem großen Grundstück mit zwei Häusern, die sich noch im Bau befanden, und eigentlich war er ein kleines Mobilhaus. Wahrscheinlich wurden die Schlafzimmer als Büroräume genutzt, es gab eine Küche und ein Bad, vermutete Leslie.

Neben dem Trailer stand ein Pick-up, und das war nicht Pauls. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Viertel vor sieben, ziemlich spät in der Baubranche. Natürlich galt das nicht für die Büroangestellten, aber der Bautrupp legte in der Regel los, sobald sie Licht hatten. Und nun stand sie hier und hatte versucht, Paul mit ihrem frühen Erscheinen zu beeindrucken, aber anscheinend war er gar nicht mehr da.

Als sie die Tür des Trailers öffnete, sah sie einen Mann, der an einer Art Küchentisch, einer große Sperrholzplatte, die von zwei Sägeböcken getragen wurde, saß. Vor ihm stand eine Tasse Kaffee, und er schien irgendwelche Pläne durchzublättern, stand jedoch auf, als Leslie eintrat. „Hi. Ich bin Dan Brady, einer von Pauls Bauführern. Er ist zu einem Trupp auf einer anderen Baustelle gefahren und hat mich gebeten, hier auf Sie zu warten. Richten Sie sich am besten gleich ein. Sein Büro ist am Ende vom Flur“, erklärte er und deutete in die Richtung. „Er wird Sie in dem Zimmer nebenan unterbringen wollen, da steht auch schon ein Schreibtisch, allerdings ein alter und ziemlich schmutziger. Sie werden ihn reinigen müssen, und wahrscheinlich muss auch ein Keil unter einen der Füße geschoben werden.“ Er reichte ihr die Hand.

Leslie musste – über den Dreck und das Chaos um sie herum – lächeln. Überall waren Schlammspuren. Auf dem Küchentresen stand eine Kaffeemaschine für dreißig Tassen, die mit Fingertapsern übersät war. „Ich bin Leslie Petruso. Lassen Sie mich raten, die Männer trinken ihren Kaffee hier drin.“ Sie ergriff seine Hand und schüttelte sie.

„Vor allem, wenn es kalt ist. Bei schönem Wetter sitzen sie während ihrer Pause lieber hinten auf ihren Pick-ups oder sonst wo im Freien. So schlimm wie jetzt bei dem Regen sieht es normalerweise nicht aus. Ich hoffe, Sie sind nicht total schockiert.“

Sie lachte. „Ich arbeite seit zehn Jahren für eine Baufirma, da musste ich hin und wieder auch mal eine Baustelle besuchen. Freut mich, Sie kennenzulernen, Dan.“

Er wies auf ihren Becher, indem er das Kinn vorschob. „Wie wär’s mit einem heißen Kaffee?“

„Danke.“ Leslie reichte ihm den Becher und Dan füllte nach. „Also, hat Paul gesagt, was ich tun soll?“

„Er meinte, Sie wüssten schon, was zu tun ist. Seinen Laptop hat er immer bei sich im Wagen, aber auf seinem Schreibtisch liegt ein Terminplaner. Ich warte auf jemanden, der mit mir an der Innenausstattung in diesen beiden Häusern arbeitet, und Paul kommt, wann er kommt. Werden Sie sich zurechtfinden? Dann kann ich nämlich weiterarbeiten.“

„Darauf können Sie wetten. Machen Sie sich um mich keine Sorgen.“

Er lächelte sie an. „Willkommen an Bord, Leslie. Wir freuen uns alle, wenn Paul bei der Erledigung des ganzen Papierkrams etwas Unterstützung bekommt.“

„Damit hinkt er wohl leicht hinterher?“ Sie lachte.

„Er ist Bauunternehmer. Im Büro ist er kaum zu halten. Ich bin in dem Haus links, falls Sie mich brauchen.“

„Keine Sorge! Ich werde mal auf Pauls Schreibtisch herumschnüffeln und sehen, ob ich daraus irgendwie schlau werde.“

„Nur zu.“ Dan verabschiedete sich mit einem Salut.

Nachdem er gegangen war, schaute sich Leslie ein wenig um. Dabei konzentrierte sie sich nicht auf Pauls Schreibtisch, nicht einmal auf sein Büro. Dazu war noch Zeit genug. Erst einmal inspizierte sie alle Schränke und Wandschränke im Trailer. Und irgendwie geschah es ganz spontan: Sie wischte das Spülbecken aus, was zur Folge hatte, dass sie dann auch den Tresen abschrubbte. Das wiederum brachte sie dazu, den Küchenboden zunächst auszukehren, dann feucht zu putzen. Und dann wirbelte sie wie verrückt mit Putztuch und Wischmopp durch den ganzen Trailer.

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